Wasser tropfte in einiger Entfernung, hohles Klatschen, das widerhallte, und auch das Echo hallte wider, und so verlor sich die Quelle des Tropfens in der Ewigkeit. Überall gab es Steinbrücken und Rampen ohne Geländer; alle begannen an breiten Steintürmen mit flachen Spitzen; alle schimmerten glatt und wiesen rote und goldene Streifen auf. Schicht um Schicht erstreckte sich dieses Labyrinth durch die Düsternis nach oben und nach unten, ohne klar sichtbaren Beginn oder Ende. Jede Brücke führte zu einem Turm, jede Rampe zu einem anderen Turm und zu anderen Brücken. In welche Richtung auch immer Rand blickte, so weit seine Augen in der Dämmerung sehen konnten: Es war immer dasselbe, oben genau wie unten. Das Licht war zu schwach, um alles genau zu sehen, und Rand war fast froh über diese Tatsache. Einige der Rampen führten zu Plattformen, die sich genau über denen darunter befinden mußten. Er konnte bei keiner ein Fundament erkennen. Er wehrte sich dagegen, suchte die Freiheit; wußte, daß es eine Illusion war. Alles war nur Illusion.
Er kannte diese Illusion; er war ihr schon zu oft gefolgt, um sie nicht zu kennen. Wie weit er auch ging, hinauf oder hinunter oder in irgendeine Richtung: Es gab immer nur den schimmernden Stein. Stein, und doch durchdrang der faulige Geruch tiefer, frisch aufgeworfener Erde die Luft — die ekelerregend süße Fäulnis eines Grabes, das viel zu früh geöffnet wurde. Er bemühte sich, die Luft anzuhalten, aber der Geruch füllte seine Nase. Er klebte wie Öl an seiner Haut.
Eine kaum sichtbare Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit, und er erstarrte dort, wo er sich gerade befand, halb gebückt an das matt glänzende Geländer um eine der Turmspitzen herum gekauert. Es war kein Versteck. Von tausend Standorten aus hätte ihn ein Beobachter sehen können. Schatten erfüllte die Luft, doch tiefere Schatten, in denen er sich hätte verbergen können, gab es nicht. Das Licht entsprang keinen Lampen oder Laternen oder Fackeln; es war einfach da, als sickere es aus der Luft heraus. Stark genug, um in etwa sehen zu können, und stark genug, um gesehen zu werden. Nur die Stille gewährte ein wenig Schutz.
Wieder eine Bewegung, und diesmal war die Ursache klar. Ein Mann schritt eine weit entfernte Rampe hinauf. Er achtete nicht auf fehlende Geländer und den drohenden Sturz ins Nichts. Der Umhang des Mannes flatterte durch die gravitätische Eile seines Schritts, und sein Kopf drehte sich suchend in allen Richtungen. Die Entfernung war zu groß, als daß Rand in der trüben Luft mehr als die Umrisse hätte erkennen können, aber er mußte gar nicht näher kommen, um zu wissen, daß der Umhang die rote Farbe frischen Blutes hatte und daß die suchenden Augen wie das Innere eines Brennofens flammten.
Er bemühte sich, das Labyrinth mit den Augen abzusuchen, um festzustellen, wie viele Übergänge Ba'alzamon noch brauchte, bevor er ihn erreichte, gab es dann aber auf. Entfernungen täuschten hier; eine andere Lektion, die er gelernt hatte. Was fern schien, konnte vielleicht erreicht werden, wenn man um die nächste Ecke kam, und was nahe lag, konnte sich völlig außerhalb jeder Reichweite befinden. Das einzige, was er tun konnte, war — wie schon seit Beginn -, in Bewegung zu bleiben. Sich fortbewegen, ohne zu denken. Denken war gefährlich, das wußte er.
Und doch: Als er sich von Ba'alzamons ferner Gestalt abwandte, konnte er nicht anders, als sich über Mat Gedanken zu machen. Befand sich auch Mat irgendwo in diesem Irrgarten? Oder gibt es zwei Irrgärten und zwei Ba'alzamons? Sein Verstand schreckte davor zurück; die Vorstellung war zu entsetzlich, um die Gedanken dort länger verweilen zu lassen. Ist das wie in Baerlon? Warum können sie mich dann nicht finden? Das war ein wenig besser. Eine kleine Erleichterung. Erleichterung? Blut und Asche, wo ist die Erleichterung daran?
Zwei- oder dreimal waren sie sich beinahe begegnet, auch wenn er sich nicht mehr genau daran erinnern konnte, aber lange, lange Zeit — wie lang? — war er davongerannt, und Ba'alzamon hatte ihn vergebens verfolgt. War das nun wieder wie in Baerlon, oder war es einfach ein Alptraum, nur ein Traum wie der anderer Menschen?
Einen Augenblick lang — gerade lang genug, um Luft zu holen — wußte er, warum es gefährlich war zu denken und woran er nicht denken sollte. Wie schon zuvor flimmerte die Luft, wenn er sich erlaubte, sich das in den Sinn zu rufen, was ihn als Traum umhüllte. Ein Schatten senkte sich über seine Augen. Die Luft wurde zähflüssig und hielt ihn fest. Nur einen Augenblick lang.
Die drückende Hitze ließ seine Haut prickeln, und sein Hals war schon lange ausgetrocknet, als er durch den Irrgarten von Dornenhecken trabte. Wie lange ging das jetzt schon so? Sein Schweiß verdunstete, bevor er noch Gelegenheit hatte, in Tropfenform herunterzurinnen, und seine Augen brannten. Oben — und nicht einmal sehr weit oben — kochten wilde, stählerne Wolken mit schwarzen Streifen, doch im Labyrinth rührte sich kein Lufthauch.
Einen Moment lang dachte er, es sei diesmal anders gewesen, aber der Gedanke verdampfte in der Hitze. Er war schon seit langer Zeit hier. Es war gefährlich, zu denken, das wußte er.
Glatte, blasse, abgerundete Steine fügten sich zu einem dürftigen Pflaster, halbbegraben unter knochentrockenem Staub, der selbst beim leichtesten Schritt hochgewirbelt wurde. Er kitzelte ihn in der Nase. Beinahe wäre ihm ein verräterisches Niesen entflohen; als er jedoch versuchte, durch den Mund zu atmen, verklebte ihm der Staub die Kehle, bis er fast erstickte.
Dies war ein gefährlicher Ort; auch das war ihm klar. Vor sich konnte er drei Öffnungen im hohen Dornengestrüpp erkennen, und dann machte der Weg eine Kurve, die ihm die Sicht nahm. Ba'alzamon konnte jeden Moment aus einer dieser Ecken auftauchen. Sie waren sich schon zwei- oder dreimal fast begegnet, auch wenn er sich über diese Tatsache hinaus an kaum etwas erinnern konnte, außer daß er entkommen war... irgendwie. Gefährlich, zuviel nachzudenken.
Unter der drückenden Hitze schwer atmend blieb er stehen und betrachtete die Wand des Irrgartens. Es waren dicht verwobene Dornbüsche, braun und abgestorben wirkend, mit bedrohlichen schwarzen Dornen wie zentimeterlange Haken. Zu hoch, um darüber hinwegblicken zu können; zu dicht, um hindurchzusehen. Vorsichtig berührte er das Gestrüpp und keuchte überrascht. Trotz aller Vorsicht stach ihm ein Dorn in den Finger und brannte wie eine heiße Nadel. Er stolperte rückwärts. Seine Fersen blieben an den Steinen hängen. Die verletzte Hand wurde durchgeschüttelt und verspritzte dicke Blutstropfen. Das Brennen ließ allmählich nach, aber seine ganze Hand pulsierte.
Plötzlich vergaß er den Schmerz. Seine Ferse hatte einen der glatten Steine umgeworfen, ihn aus dem trockenen Boden herausgetreten. Er sah auf ihn hinab, und leere Augenhöhlen blickten ihn an. Ein Schädel. Ein menschlicher Schädel. Er blickte den Weg entlang auf all die glatten, blassen Steine, die ziemlich gleich aussahen. Hastig nahm er die Füße herunter, doch er konnte nicht weitergehen, ohne auf sie zu treten, und er konnte nicht stehenbleiben, ohne auf ihnen zu stehen. Ein Nebengedanke formte sich undeutlich — die Dinge waren vielleicht nicht so, wie sie schienen -, doch er unterdrückte ihn rücksichtslos. Denken war hier etwas Gefährliches.
Er riß sich einigermaßen zusammen. Auf demselben Fleck zu bleiben, war auch gefährlich. Das war eine der Tatsachen, an die er sich zwar nur verschwommen erinnerte, deren er sich aber sicher war. Das Blut floß nur noch in zähen Tropfen aus seinem Finger, und das Pulsieren hatte auch schon beinahe aufgehört. Er saugte an der Fingerspitze und setzte sich, den Weg in der Richtung hinunter in Bewegung, in die er zufällig schaute. Hier war ein Weg so gut wie der andere.
Er erinnerte sich daran, daß er einmal gehört hatte, man könne aus einem Irrgarten entkommen, indem man immer in der gleichen Richtung abbog. Nach der ersten Öffnung im Dornengestrüpp wandte er sich nach rechts und bei der nächsten wieder. Und dann stand er Ba'alzamon gegenüber.
Überraschung breitete sich auf Ba'alzamons Gesicht aus, und sein blutroter Umhang hing still, als er plötzlich stehenblieb. Flammen loderten in seinen Augen auf, doch in der Hitze des Labyrinths fühlte Rand sie kaum. »Wie lang glaubst du, mir noch ausweichen zu können, Junge? Wie lange, glaubst du, kannst du deinem Schicksal noch entrinnen? Du gehörst mir!«
Während er rückwärts stolperte, fragte sich Rand, warum er an seinem Gürtel herumfummelte, als suche er nach einem Schwert. »Licht, hilf mir«, murmelte er, »Licht, hilf mir.« Er konnte sich nicht daran erinnern, was das bedeutete.
»Das Licht wird dir nicht helfen, Junge, Und das Auge der Welt wird dir nicht dienen. Du bist mein Jagdhund, und wenn du nicht auf mein Kommando springst, dann werde ich dich mit dem Kadaver der Großen Schlange erwürgen!«
Ba'alzamon streckte die Hand aus, und plötzlich fiel Rand ein Weg ein, wie er entkommen konnte — eine nebelhafte, halbausgeformte Erinnerung, die ›Gefahr‹ schrie, aber das war nichts gegen die Gefahr, vom Dunklen König berührt zu werden.
»Ein Traum!« rief Rand. »Das ist ein Traum!«
Ba'alzamon riß die Augen auf, überrascht oder zornig oder beides, und dann flimmerte die Luft; seine Gesichtszüge verschwammen und verblaßten.
Rand drehte sich auf dem Fleck herum und riß nun seinerseits die Augen auf. Er erblickte sein eigenes Abbild, das tausendfach auf ihn zurückgeworfen wurde. Zehntausendfach. Über ihm war Schwärze, und unter ihm war Schwärze, doch um ihn herum standen Spiegel, Spiegel, die in jedem möglichen Winkel nebeneinanderstanden, Spiegel, so weit er blicken konnte, und alle zeigten ihn, gebückt und in der Drehung befindlich, wie er mit ängstlich geweiteten Augen hineinblickte.
Ein roter Schleier trieb durch die Spiegel. Er wirbelte herum, versuchte, ihn zu fangen, doch in jedem Spiegel trieb er hinter sein eigenes Abbild und verschwand. Dann war er wieder da, aber nicht nur schleierhaft wie zuvor. Ba'alzamon schritt durch die Spiegel hindurch — zehntausend Ba'alzamons, suchend, zwischen den Spiegeln hin- und herkreuzend.
Er blickte das Spiegelbild seines eigenen Gesichts an, blaß und zitternd bei der beißenden Kälte. Hinter seinem wuchs Ba'alzamons Bild empor, sah ihn an, sah nichts, aber starrte noch immer. In jedem Spiegel wüteten hinter ihm die Flammen von Ba'alzamons Gesicht, umhüllten sein Bild, verschlangen es, verschmolzen damit. Er wollte schreien, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. In den endlosen Spiegeln war nur noch ein Gesicht zu erkennen: sein eigenes Gesicht. Ba'alzamons Gesicht. Ein Gesicht.
Rand zuckte zusammen und öffnete die Augen. Dunkelheit, nur ein wenig erhellt von einem blassen Licht. Er atmete kaum und bewegte nichts außer den Augen. Eine rauhe Wolldecke bedeckte ihn bis zu den Schultern, und den Kopf hatte er auf die Arme gelegt. Unter den Händen konnte er glatte Holzplanken fühlen. Deckplanken. Die Takelage knarrte durch die Nacht. Er atmete langsam aus. Er war auf der Gischt. Es war vorbei... wenigstens für diese eine Nacht.
Ohne sich etwas dabei zu denken, steckte er den Finger in den Mund. Als er Blut schmeckte, blieb ihm die Luft weg. Langsam hob er sich die Hand vors Gesicht, so daß er sie im trüben Mondlicht betrachten und sehen konnte, wie sich der Blutstropfen an der Fingerspitze bildete. Blut, wo er sich an einer Dorne gestochen hatte.
Die Gischt bewegte sich langsam den Arinelle hinunter. Der Wind war stark, kam aber aus Richtungen, die die Segel zur Nutzlosigkeit verdammten. Trotz Kapitän Domons Anordnungen, schneller zu fahren, kroch das Schiff nur den Fluß entlang. In der Nacht saß ein Mann mit einer Laterne am Bug und meldete dem Steuermann in singendem Ton die Tiefen nach hinten, während die Strömung das Schiff gegen den Wind bei eingezogenen Rudern den Fluß hinunter trieb. Im Arinelle mußte man keine Riffe befürchten, doch es gab genug Untiefen und Sandbänke, auf die ein Schiff leicht auflaufen konnte, und dort würde es dann mit dem Bug im Schlamm steckend auf Hilfe warten müssen. Falls es die erwünschte Hilfe war, die zuerst eintraf... Tagsüber arbeiteten die Ruderer von früh bis spät, aber der Wind kämpfte gegen sie an, als wolle er den Kahn wieder flußaufwärts zurückschieben.
Sie gingen nicht an Land, weder bei Tag noch bei Nacht. Bayle Domon trieb Kahn wie Besatzung pausenlos an, beklagte den Gegenwind und verfluchte die langsame Fortbewegung. Er beschimpfte die Besatzung als lahme Schnecken an den Riemen und zog ihnen mit Worten für jedes falsch festgezurrte Tau das Fell über die Ohren. Seine leise, harte Stimme malte ihnen zehn Fuß hohe Trollocs aus, die an Deck kamen und ihnen den Hals brachen. Zwei Tage lang genügte das, um jeden Mann kräftig anzutreiben. Dann verblaßte der Schock des Trolloc-Überfalls allmählich, und die Männer fingen an, von einer Stunde an Land zu schwärmen und darüber zu klagen, wie gefährlich es sei, nachts flußabwärts zu fahren.
Die Besatzung schimpfte aber nur leise. Sie schauten aus den Augenwinkeln, ob Kapitän Domon nahe genug war, um sie hören zu können, und er schien tatsächlich alles zu hören, was auf seinem Kahn gesprochen wurde. Jedesmal, wenn das Murren wieder einsetzte, holte er schweigend das lange, sichelförmige Schwert und die Axt mit dem furchtbaren Haken daran hervor, die sie nach dem Angriff an Deck gefunden hatten. Er hängte sie eine Stunde lang am Mast auf, und die Verwundeten tasteten nach ihren Bandagen, und das Gespräch verstummte — wenigstens einen Tag lang oder so, bis es dem einen oder anderen Besatzungsmitglied einfiel, daß sie nun sicherlich die Trollocs lange hinter sich gelassen hatten. Dann begann das Ganze von neuem.
Rand bemerkte, daß sich Thom Merrilin von der Mannschaft fernhielt, wenn die Fahrensmänner miteinander zu flüstern begannen und finstere Gesichter machten, obwohl er ihnen sonst auf die Schultern klopfte und Witze erzählte und mit ihnen herumspaßte, daß selbst der am härtesten arbeitende Mann grinsen mußte. Thom beobachtete diese geheimen Gespräche sehr aufmerksam, während er sich auf das Entzünden seiner langstieligen Pfeife, oder auf das Stimmen seiner Harfe oder irgend etwas anderes zu konzentrieren schien; nur die Besatzungsmitglieder interessierten ihn dann scheinbar überhaupt nicht. Rand verstand nicht, warum er dieses Spiel trieb. Es waren ja nicht sie drei, die von Trollocs gejagt an Bord gekommen waren und denen von der Mannschaft die Schuld daran gegeben wurde, sondern vielmehr Floran Gelb. An den ersten ein oder zwei Tagen konnte man Gelbs drahtige Gestalt ständig dabei beobachten, wie er mit jedem Besatzungsmitglied sprach, das er zu diesem Zweck in eine Ecke drängen konnte, und jedem erzählte er seine Version der Geschichte, wie Rand und die anderen an Bord gekommen waren. Gelbs Verhalten änderte sich ständig — von Prahlerei zu Jammern und wieder zurück, und er verzog jedesmal den Mund verächtlich, wenn er auf Thom oder Mat deutete, aber besonders bei Rand. Natürlich versuchte er, ihnen die Schuld in die Schuhe zu schieben.
»Sie sind Fremde«, klagte Gelb ruhig und dabei immer nach dem Kapitän Ausschau haltend. »Was wissen wir schon von ihnen? Die Trollocs sind mit ihnen gekommen, das ist gewiß. Sie gehören zusammen.«
»Gelb, halt mal die Luft an!« grollte ein Mann, der sein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte und einen kleinen blauen Stern auf eine Wange tätowiert trug. Er sah Gelb nicht an, während er ein Tau auf dem Deck einrollte. Er tat das mit Hilfe der nackten Füße. Alle Fahrensleute liefen trotz der Kälte barfuß herum; Stiefel konnten auf einem nassen Deck zu leicht wegrutschen. »Wenn man dich läßt, bezeichnest du noch deine eigene Mutter als Schattenfreund. Hau ab!« Er spuckte auf Gelbs Fuß und wandte sich wieder dem Tau zu.
Die ganze Besatzung hatte nicht vergessen, daß Gelb auf Wache geschlafen hatte, und die Reaktion des Mannes mit dem Pferdeschwanz war noch das Höflichste, was er zu hören bekam. Niemand wollte mit ihm zusammenarbeiten. Gelb wurden Arbeiten zugewiesen, die er allein erledigen konnte, und alle waren schmutzig, wie zum Beispiel das Ausschrubben der schmierigen Töpfe in der Kombüse, oder er mußte auf allen vieren in den Kielraum kriechen, um unter dem Dreck von vielen Jahren nach Lecks zu suchen. Bald gab er die Bemühungen auf, mit den anderen zu sprechen. Die Schultern abwehrend eingezogen, stand er in verletztem Schweigen herum — je mehr Menschen anwesend waren, desto anklagender seine Haltung -, aber das brachte ihm nicht mehr als ein kurzes Brummen ein. Wenn Gelbs Blick aber auf Rand oder auf Mat oder Thom fiel, dann stand ›Mord‹ auf seinem langnasigen Gesicht geschrieben. Wenn Rand sich Mat gegenüber äußerte, daß Gelb ihnen früher oder später Schwierigkeiten bereiten werde, dann sah sich Mat auf dem Kahn um und sagte: »Können wir einem von ihnen trauen? Überhaupt irgendeinem?« Dann ging er weg und suchte nach einem Plätzchen, um allein zu sein, so allein wie es eben auf einem Kahn möglich war, der vom Bug bis zur Heckstange, wo das Steuerruder angebracht war, nur weniger als dreißig Schritte maß. Nach Rands Meinung, hatte Mat seit der Nacht in Shadar Logoth zu viel Zeit allein und grübelnd verbracht.
Thom meinte: »Wenn wir in Schwierigkeiten kommen, Junge, dann nicht Gelbs wegen. Jedenfalls noch nicht. Keiner aus der Mannschaft steht hinter ihm, und er hat nicht den Mut, etwas auf eigene Faust zu unternehmen. Aber was die anderen betrifft...? Domon scheint fast zu glauben, daß die Trollocs hinter ihm persönlich her seien, doch der Rest glaubt, die Gefahr sei vorüber. Sie könnten zu dem Entschluß kommen, daß sie die Nase voll haben. Die Stimmung ist so schon kritisch genug.« Er zog sich seinen Flickenumhang über, und Rand hatte das Gefühl, er überprüfe seine versteckten Wurfmesser — seinen zweiten Satz. »Sollten sie meutern, Junge, dann lassen sie keine Passagiere zurück, die alles ausplaudern könnten. Das Gesetz der Königin mag so weit von Caemlyn entfernt nicht viel Einfluß haben, aber selbst ein Dorfbürgermeister wurde in so einem Fall eingreifen.« Nach diesem Gespräch bemühte sich auch Rand, unbemerkt die Besatzungsmitglieder zu beobachten.
Thom tat, was er konnte, um die Leute nicht an Meuterei denken zu lassen. Er erzählte jeden Morgen und jeden Abend Geschichten, schön ausgeschmückt, und dazwischen spielte er jedes gewünschte Lied. Um den Eindruck zu verstärken, daß Rand und Mat wirklich Gaukler-Lehrlinge waren, nahm er sich jeden Tag Zeit, sie zu unterrichten, und auch das diente der Besatzung zur Unterhaltung. Er ließ natürlich keinen von beiden an seine Harfe heran, und ihr Flötenunterricht führte zu schmerzhaftem Jaulen des Instruments, zumindest zu Beginn, und die Fahrensleute lachten und hielten sich die Ohren zu.
Er brachte den Jungen einige der leichteren Geschichten bei, dazu ein wenig einfache Akrobatik und natürlich das Jonglieren. Mat beklagte sich darüber, daß Thom zuviel von ihnen verlange, aber Thom pustete seine Schnurrbartenden weg und sah ihn zornig an.
»Ich spiele nicht, wenn ich versuche, euch etwas beizubringen, Junge. Entweder ich unterrichte euch, oder ich lasse es. Also! Selbst eine Landpomeranze sollte fähig sein, einen einfachen Handstand zu machen. Hoch mit dir!«
Die Besatzungsmitglieder, die gerade nichts zu tun hatten, versammelten sich und hockten sich im Kreis um sie herum. Einige probierten die Dinge, die Thom lehrte, sogar selbst aus und lachten über die eigenen schwerfälligen Bemühungen. Gelb stand allein dahinter, beobachtete alles und haßte sie alle.
Rand verbrachte einen großen Teil jedes Tages damit, an der Reling zu lehnen und die Ufer zu beobachten. Es war nicht so, daß er wirklich erwartet hätte, Egwene oder einen der anderen plötzlich am Ufer auftauchen zu sehen, aber der Kahn bewegte sich so langsam fort, daß er manchmal schon darauf hoffte. Sie könnten sie einholen, ohne zu schnell reiten zu müssen. Falls sie entkommen waren. Falls sie noch am Leben waren.
Der Fluß strömte ohne ein Anzeichen irgendwelchen Lebens dahin und es war außer der Gischt auch kein anderes Schiff zu sehen. Das hieß aber nicht, daß es gar nichts zu sehen und zu bestaunen gab. Am ersten Tag floß der Arinelle zwischen steilen Klippen hindurch, die sich zu beiden Seiten eine halbe Meile weit erstreckten. Diese ganze Strecke entlang waren aus dem Stein Figuren gehauen, hundert Fuß hohe Männer und Frauen mit Kronen, die sie als Könige und Königinnen auswiesen. In dieser königlichen Reihe glichen sich keine zwei Figuren, und eine lange Zeitspanne trennte die ersten von den letzten. Der Wind und der Regen hatten diejenigen am Nordende glattgeschliffen und ihre Züge beinahe beseitigt; weiter nach Süden zu wurden die Gesichter und ihre Einzelheiten immer deutlicher. Der Fluß plätscherte um die Füße der Statuen herum, Füße, die bis auf glatte Stummel abgeschliffen waren, soweit der Fluß sie nicht ganz zerstört hatte. Wie lange stehen sie schon hier? fragte Rand sich. Wie lange braucht der Fluß, um soviel Stein wegzuschleifen? Keiner der Besatzung blickte auch nur von der Arbeit auf, so oft hatten sie die uralten Skulpturen schon gesehen.
Ein andermal, als das östliche Ufer sich wieder zu flachem Grasland gewandelt hatte, gelegentlich von kleinen Hainen unterbrochen, wurde die Sonne von irgend etwas in der Ferne reflektiert. »Was kann das sein?« staunte Rand laut. »Es sieht wie Metall aus.«
Kapitän Domon kam gerade vorbei; er blieb stehen und blinzelte zu dem Gleißen hinüber. »Das sein Metall«, sagte er. Seine Sprache war noch immer radebrechend, aber Rand hatte mittlerweile gelernt, ihn zu verstehen, ohne jedesmal rätseln zu müssen. »Ein Metallturm. Ich haben ihn nahe gesehen und so ich weiß. Flußhändler ihn benutzen als Markierung. Wir sein zehn Tage vor Weißbrücke, wenn so weiterfahren.«
»Ein Turm aus Metall?« sagte Rand, und Mat, der mit übereinandergeschlagenen Beinen an ein Faß gelehnt dasaß, unterbrach sein Grübeln, um zu lauschen.
Der Kapitän nickte. »Ja. Glänzender Stahl, so es sich anfühlen und aussehen, aber kein bißchen Rost daran. Er sein zweihundert Fuß hoch, so dick wie ein Haus und kein Zeichen darauf und keine Öffnung darin zu finden.«
»Ich wette, es liegt ein Schatz darin«, sagte Mat. Er stand auf und starrte hinüber zu dem fernen Turm während die Gischt vom Fluß weitergetragen wurde. »So etwas muß gebaut worden sein, um etwas Wertvolles zu schützen.«
»Vielleicht, Junge«, polterte der Kapitän. »Aber es sein seltsamere Dinge auf der Welt als das. Auf Tremalking, was ist eine Insel der Meerleute, da stecken eine Steinhand fünfzig Fuß hoch aus einem Hügel und halten eine Kristallkugel, groß wie dies Schiff. Da sein Schatz unter diese Hügel, wenn überhaupt irgendwo sein Schatz, aber die Inselleute wollen nicht graben dort, und die Meerleute nichts anderes tun wollen, als mit ihre Schiffe segeln und nach Coramoor suchen, ihrer Auserwählten.«
»Ich würde graben«, sagte Mat. »Wie weit ist es nach diesem... Tremalking?« Eine Baumgruppe schob sich vor den glänzenden Turm, doch er blickte hinüber, als könne er ihn immer noch erkennen.
Kapitän Domon schüttelte den Kopf. »Nein, Junge, Schatz nicht sein so gut wie sehen die Welt. Wenn du finden eine Handvoll Gold oder Juwelen von tote König, gut und schön, aber es sein das Fremde, das du sehen, was dich zu nächstem Horizont hinziehen. In Tanchico — das sein Hafen an Aryth-Meer — Teil von Palast des Panarch war gebaut in Zeitalter von Legenden, man sagt. Da sein eine Wand mit Fries, der zeigt Tiere, die kein lebend Mann je gesehen haben.«
»Jedes Kind kann ein Tier zeichnen, das niemand je gesehen hat«, sagte Rand, und der Kapitän schmunzelte.
»Ja, Junge, das sein so. Aber kann Kind machen die Knochen von diese Tiere? In Tanchico sie haben Knochen und haben befestigt zusammen, so, wie Tier war. Sie stehen in Teil von Panarch-Palast, wo jeder kann hineingehen und ansehen. Die Zerstörung hinterlassen tausend Wunder, und es geben seither halbes Dutzend Weltreiche, manche beinahe so groß wie das von Artur Falkenflügel; jedes hinterlassen Dinge zu sehen und finden. Lichtstäbe und Schneidegewebe und Herzstein. Ein Kristallgitter, das ganze Insel bedecken, und es summen, wenn Mond am Himmel. Ein ausgehöhlter Berg wie Schüssel, und in Mitte ein Silberdorn, hundert Spannen hoch, und jeder, wo kommt näher als eine Meile, sterben muß. Verrostete Ruinen und abgebrochene Stücke und Dinge, gefunden am Meeresgrund, Dinge, auch nicht älteste Bücher wissen, was bedeuten. Ich selbst haben gefunden einiges. Dinge du nie träumen von, an mehr Orten als du kannst sehen in zehnmal Leben. Das sein das Fremde, was dich locken immer weiter.«
»Wir haben in den Sandhügeln nach alten Knochen gegraben«, sagte Rand bedächtig. »Eigenartige Knochen. Da war einmal ein Teil eines Fisches — ich glaube, es war ein Fisch -, so groß wie dieses Schiff. Einige behaupteten, es bringe Unglück, in den Hügeln zu graben.«
Der Kapitän beäugte ihn schelmisch. »Du schon denken an zu Hause, Junge, kaum du aufgebrochen, zu sehen Welt? Die Welt wird einen Haken drücken in deine Mund. Du werden aufbrechen und Sonnenuntergang jagen. Du schon sehen wirst... und wenn du je kommen zurück, dein Dorf werden sein zu klein, um dich zu halten.«
»Nein!« Er fuhr innerlich zusammen. Wie lange hatte er schon nicht mehr an Emondsfeld, an zu Hause gedacht? Und an Tam? Es mußte Tage her sein. Es schien Monate her zu sein. »Ich werde eines Tages nach Hause zurückkehren, wenn ich kann. Dann werde ich Schafe züchten wie... wie mein Vater, und wenn ich niemals mehr weggehe, ist es immer noch zu früh. Stimmt's, Mat? Sobald wir können, kehren wir zurück und vergessen, daß dies alles überhaupt existiert.«
Mit sichtbarer Mühe riß sich Mat von dem Anblick des Landes flußaufwärts los, hinter dem sich der verschwundene Turm verbarg. »Was? Oh! Ja, natürlich.
Wir gehen nach Hause. Klar.« Als er sich abwandte, um wegzugehen, hörte Rand ihn vor sich hin murmeln: »Ich wette, er will nicht, daß irgend jemand anders nach dem Schatz sucht.« Er schien gar nicht zu merken, daß er das laut ausgesprochen hatte.
Nach vier Tagen Fahrt den Fluß hinunter saß Rand oben auf dem stumpfen Mastende und hatte die Beine um die Querstreben geschlungen. Die Gischt schwankte sanft, doch fünfzig Fuß hoch über dem Wasser ließ dieses leichte Schwanken den Mast in weiten Bögen hin und her schwingen. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte in den Wind hinein, der ihm ins Gesicht blies. Die Ruder waren draußen, und von hier oben sah das Schiff aus wie eine zwölfbeinige Spinne, die den Arinelle hinunterkrabbelte. Er war schon zuvor so hoch oben gewesen — daheim auf den Bäumen der Zwei Flüsse -, aber diesmal gab es keine Zweige, die seine Sicht behinderten. Alles an Deck, die Matrosen an den Rudern, Männer auf ihren Knien, die das Deck mit Schleifsteinen schrubbten, Männer, die an Tauen und Luken arbeiteten, sahen aus dieser Höhe und diesem Winkel — in gerader Linie von oben — so eigenartig aus, alle zusammengedrückt und verkürzt, daß er eine Stunde allein damit verbracht hatte, sie zu betrachten und zu lachen.
Er mußte immer noch lachen, wenn er auf sie hinunterblickte, aber nun betrachtete er die vorbeischwimmenden Ufer. So schien es wenigstens, als stehe er still — außer natürlich, was dieses Schwanken von einer Seite auf die andere betraf -, und die Ufer glitten langsam vorbei; Hügel und Bäume glitten auf beiden Seiten nach hinten weg. Er saß still, und die ganze Welt bewegte sich an ihm vorbei.
In einem plötzlichen Anfall von Leichtsinn nahm er die Beine von den Querstreben am Mast und breitete Arme und Beine aus. So balancierte er das Schwanken aus. Drei vollständige Bögen bewältigte er auf diese Art, und dann war plötzlich das Gleichgewicht weg. Er schlug mit Armen und Beinen wild um sich, kippte nach vorn und bekam gerade noch die Fockstag zu fassen. Seine Beine hingen frei zu beiden Seiten des Mastes. Nichts hielt ihn an seinem luftigen Platz als seine beiden Hände an der Stange, und er lachte. Er sog sich die Lunge voll mit dem frischen, kalten Wind und lachte voll übermütiger Freude.
»Junge«, erreichte ihn Thoms Stimme, »Junge, wenn du versuchst, deinen dummen Hals zu brechen, dann falle wenigstens nicht auf mich!«
Rand blickte hinunter. Thom hielt sich an den Rattenscheiben direkt unter ihm fest und sah ihn ziemlich ernst von unten her an. Wie Rand hatte auch der Gaukler seinen Umhang unten gelassen. »Thom«, sagte er entzückt. »Thom, wann seid Ihr denn hier heraufgekommen?«
»Als du nicht darauf geachtet hast, daß die Leute dir etwas zuriefen. Junge, jeder denkt, du seist verrückt geworden!«
Er sah hinunter und war überrascht, daß alle Gesichter zu ihm nach oben schauten. Nur Mat, der mit überschlagenen Beinen und den Rücken an den Mast gelehnt am Bug saß, sah ihn nicht an. Sogar die Männer an den Rudern hatten die Augen erhoben und kamen dabei aus dem Rhythmus. Und niemand schimpfte deswegen. Rand verdrehte den Kopf und blickte unter dem Arm hindurch zum Heck. Kapitän Domon stand am Steuerruder, hatte die kräftigen Fäuste in die Hüften gestützt und sah böse zu ihm hinauf. Er wandte sich wieder Thom zu und grinste. »Wollt Ihr, daß ich jetzt hinunterkomme?«
Thom nickte lebhaft. »Das würde ich sehr begrüßen.«
»In Ordnung.« Er verlagerte den Griff an der Fockstag und sprang mit einem Satz von der Mastspitze weg. Er hörte, wie sich Thom einen Fluch verbiß, als sein Fall aufgehalten wurde und er an beiden Händen von der Stange herunterhing. Der Gaukler sah ihn mißbilligend an, eine Hand halb ausgestreckt, als wolle er ihn fangen. Er grinste Thom erneut zu. »Ich steige jetzt hinunter.«
Er schwang die Beine hoch, hakte sich mit einem Bein an einem dicken Tau fest, das vom Mast zum Bug herunterhing, warf einen Arm darüber, so daß er das Tau im Winkel zwischen Oberarm und Unterarm hatte, und ließ los. Langsam, dann immer schneller, glitt er hinunter. Direkt vor dem Bug ließ er sich fallen und landete geradewegs vor Mat auf dem Deck. Er machte einen Ausfallschritt, um das Gleichgewicht wieder zu erlangen, und dann drehte er sich dem übrigen Schiff mit weit ausgebreiteten Armen zu, wie es Thom nach einem akrobatischen Kunststück immer tat.
Vereinzeltes Klatschen von der Mannschaft war zu hören, aber er blickte überrascht auf Mat hinunter und darauf, was Mat in den Händen hielt, durch seinen Körper vor allen anderen verborgen: einen gekrümmten Dolch mit einer Goldscheide und fremdartigen Schriftzeichen darauf. Der Griff war mit feinem Golddraht umwickelt, und obenauf saß ein Rubin, so groß wie Rands Daumennagel, gehalten von zähnefletschenden Schlangen mit Goldschuppen. Mat fuhr noch einen Moment lang fort, den Dolch in die Scheide hineinzuschieben und wieder herauszuziehen. Er spielte immer noch damit, als er den Kopf langsam hob. Seine Augen schienen in weite Fernen zu blicken. Plötzlich jedoch richteten sie sich auf Rand, und er fuhr zusammen und steckte den Dolch rasch unter seinen Mantel. Rand hockte sich auf die Fersen und schlang die Arme um die Knie. »Wo hast du das her?« Mat sagte nichts, sondern sah sich nur hastig um, ob irgend jemand anders in der Nähe sei. Erstaunlicherweise waren sie allein. »Du hast das doch nicht etwa aus Shadar Logoth, oder?«
Mat sah ihn an. »Es ist deine Schuld. Deine und Perrins. Ihr zwei habt mich von dem Schatz weggerissen, obwohl ich ihn bereits in der Hand hatte. Mordeth hat ihn mir nicht gegeben. Ich habe ihn genommen, also trifft Moiraines Warnung vor seinen Geschenken nicht zu. Du erzählst es doch niemandem, Rand. Sonst stehlen sie ihn mir vielleicht.«
»Ich sage es nicht weiter«, versprach Rand. »Ich halte Kapitän Domon für ehrlich, aber den anderen traue ich nicht, besonders Gelb.«
»Niemandem«, beharrte Mat. »Nicht Domon, nicht Thom, niemandem. Wir sind die einzigen beiden aus Emondsfeld, die noch übrig sind, Rand. Wir können es uns gar nicht leisten, irgend jemand anderem zu trauen.«
»Sie sind am Leben, Mat. Egwene und Perrin. Ich weiß, daß sie noch leben.« Mat blickte beschämt drein. »Aber ich werde dein Geheimnis bewahren. Nur unter uns beiden. Wenigstens müssen wir uns jetzt des Geldes wegen keine Gedanken machen. Wir können ihn so gut verkaufen, daß wir dafür wie die Könige nach Tar Valon reisen können.«
»Natürlich«, sagte Mat nach einer Pause. »Wenn es sein muß. Sag nur niemandem etwas, bevor ich es dir erlaube.«
»Ich habe schon mal gesagt, ich tu das nicht. Hör mal, hast du wieder neue Träume gehabt, seit wir an Bord gegangen sind? Wie in Baerlon? Das ist jetzt die erste Gelegenheit, dich zu fragen, ohne daß sechs Leute zuhören.«
Mat drehte den Kopf weg und sah Rand von der Seite her an. »Vielleicht.«
»Was meinst du mit vielleicht? Entweder hast du oder nicht.«
»Ist schon gut, ja, ich hatte welche. Ich will nicht darüber sprechen. Ich will nicht mal daran denken! Es bringt nichts.«
Bevor einer von ihnen noch mehr sagen konnte, kam Thom über das Deck her, seinen Umhang über den Arm gelegt. Der Wind zerzauste sein weißes Haar, und seine langen Schnurrbartenden schienen zu beben. »Es ist mir noch einmal gelungen, den Kapitän davon zu überzeugen, daß du nicht verrückt geworden bist«, verkündete er, »sondern daß es ein Teil deiner Ausbildung war.« Er ergriff die Fockstag und rüttelte daran. »Dieser närrische Trick, am Tau herunterzurutschen, half dabei, aber du hast Glück gehabt, daß du dir nicht den Hals gebrochen hast.«
Rands Blick ging zur Fockstag und dann hinauf zur Mastspitze, und die Kinnlade fiel ihm herunter. Er war daran heruntergerutscht. Und er hatte auf dem Mast ge...
Plötzlich stellte er sich vor, wie er da oben mit gespreizten Armen und Beinen saß. Er setzte sich schwerfällig hin und fing sich gerade noch ab, bevor er platt auf dem Rücken lag. Thom blickte nachdenklich auf ihn herunter.
»Ich wußte gar nicht, daß du Höhen so gut verträgst, Junge. Wir können vielleicht in Illian oder Ebou Dar oder sogar in Tear damit Vorstellungen geben. Die Leute in den großen Städten im Süden sehen gern Hochseiltänzer und Schlappseilartisten.«
»Wir gehen aber nach... « Im letzten Moment erinnerte sich Rand daran, sich erst einmal umzusehen, ob jemand nahe genug war zum Lauschen. Ein paar Besatzungsmitglieder beobachteten sie, darunter auch Gelb, der wie gewöhnlich finster dreinblickte, aber keiner konnte hören, was er sagte. »Nach Tar Valon«, vollendete er. Mat zuckte die Achseln, als sei es ihm gleich, wohin sie gingen.
»Im Augenblick sieht es so aus, Junge«, sagte Thom und setzte sich neben sie. »Aber morgen... wer weiß? So ist das Leben eines Gauklers.« Er nahm eine Handvoll farbiger Bälle aus einem seiner weiten Ärmel. »Nachdem du jetzt nicht mehr da oben bist, können wir ja am Dreierschnitt weiterarbeiten.«
Rands Blick wanderte noch einmal zur Mastspitze, und ein kalter Schauder lief ihm den Rücken hinunter. Was ist denn mit mir los? Licht, was geschieht mit mir? Er mußte es herausfinden. Er mußte nach Tar Valon gehen, bevor er wirklich überschnappte.