PROLOG Der Drachenberg

Der Palast bebte immer noch von Zeit zu Zeit, wenn die Erde grollte, wenn sie aufstöhnte, als wolle sie ableugnen, was doch geschehen war. Balken von Sonnenlicht fielen durch Risse in den Wänden. Staubteilchen, die immer noch in der Luft hingen, glitzerten darin. Brandflecken verunstalteten die Wände, die Decke und den Boden. Breite schwarze Schmierspuren zogen sich über blasenschlagende Farbe und die Blattgoldauflage einst strahlend schöner Wandgemälde. Ruß bedeckte den zerbröckelnden Fries mit den Darstellungen von Menschen und Tieren. Es schien fast, als hätten diese fortzulaufen versucht, bevor der Wahnsinn sich wieder beruhigte. Überall lagen die Toten, Männer, Frauen und Kinder, auf dem Fluchtversuch von Blitzen erschlagen, die jeden Korridor durchzuckten, oder von lauernden Flammen ergriffen, oder in die Steine eingesunken, die Steine des Palastes, die sich, beinahe lebendig, bewegt hatten, gesucht hatten, bis die Stille wiederkehrte. In fremdartig anmutendem Gegensatz dazu standen die farbigen Wandbehänge und Gemälde — alles Meisterwerke -, die völlig unbeschädigt dahingen, außer an Stellen, wo die sich einwölbenden Mauern sie beiseite geschoben hatten. Kunstvoll geschnitzte Möbel, mit Gold und Elfenbein eingelegt, standen unberührt, und nur wenige Möbelstücke waren umgestürzt, als die Böden sich aufgebäumt hatten. Der Wahnsinn hatte auf das Herz gezielt und unwichtige Dinge übersehen.

Lews Therin Telamon schritt durch den Palast, und wenn sich die Erde aufbäumte, hielt er doch das Gleichgewicht. »Ilyena! Meine Liebste, wo bist du?« Der Saum seines blaßgrauen Umhangs schleifte durch Blut, als er über die Leiche einer Frau sprang, deren goldblonde Schönheit vom Schrecken der letzten Momente ihres Lebens zerstört worden war. Ihre aufgerissenen Augen waren in ungläubigem Staunen erstarrt. »Wo bist du, geliebte Frau? Wo verbergt ihr euch alle?«

Sein Blick erspähte das eigene Abbild in einem Spiegel, der schief an einer aufgeworfenen Marmorwand baumelte. Seine Kleidung hatte einst stattlich gewirkt, grau und golden und purpurfarben, aus feingewebten Tuchen, die Händler von jenseits des Weltmeeres mitgebracht hatten; doch nun war sie zerrissen und schmutzig und genau wie sein Haar und seine Haut von einer dicken Staubschicht bedeckt. Einen Augenblick lang fuhren seine Finger das Symbol auf dem Umhang nach, einen Kreis mit einer weißen und einer schwarzen Hälfte, die durch eine fließende Linie voneinander getrennt waren. Es hatte irgendeine Bedeutung, dieses Symbol. Rasch jedoch schweifte seine Aufmerksamkeit von dem gestickten Kreis ab. Staunend betrachtete er wieder sein Spiegelbild. Ein hochgewachsener Mann, der gerade in die mittleren Jahre gekommen war, einst gutaussehend, doch nun war sein Haar schon eher weiß als braun zu nennen, und das Gesicht war von Überanstrengung und Sorgen zerfurcht. Die dunklen Augen hatten schon viel zu viel gesehen. Lews Therin begann leise zu lachen, dann warf er den Kopf zurück, und sein lautes Gelächter kehrte als Echo aus den unbelebten Hallen zurück.

»Ilyena, meine Liebste! Komm zu mir, mein Weib. Das mußt du sehen!«

Hinter ihm schimmerte die Luft, floß in Wellen ineinander und gebar aus diesem Wirbel einen Mann, der sich umsah und dabei kurz den Mund vor Ekel verzog. Er war nicht so groß wie Lews Therin und ganz in Schwarz gekleidet. Nur der schneeweiße Spitzenkragen um den Hals und der silberne Zierrat an den oben umgeschlagenen hüfthohen Stiefeln stachen aus dem Schwarz hervor. Er schritt vorsichtig durch den Saal und hob sorgfältig den Umhang, damit er die Leichen nicht streifte. Der Boden erzitterte in Nachbeben, aber seine Aufmerksamkeit galt dem Mann, der in den Spiegel starrte und lachte. »Herr des Morgens«, sagte er, »ich bin gekommen, um Euch zu holen.«

Das Lachen brach ab, als sei es nie gewesen, und Lews Therin drehte sich — anscheinend keineswegs überrascht -zu ihm um. »Ach, ein Gast. Habt Ihr eine gute Stimme, Fremder? Es wird bald Zeit, das Singen zu beginnen, und hier sind alle willkommen, die daran teilnehmen möchten. Ilyena, meine Liebste, wir haben einen Gast. Ilyena, wo bist du?«

Die Augen des schwarzgekleideten Mannes weiteten sich, sein Blick huschte hinüber zum Körper der goldblonden Frau und dann zu Lews Therin zurück. »Shai'tan soll Euch holen! Hat Euch denn der Wahn schon so stark ergriffen?«

»Dieser Name. Shai... « Lews Therin erschauderte und hob eine Hand, als wolle er etwas abwehren. »Ihr dürft diesen Namen nicht erwähnen. Das ist gefährlich.«

»Also erinnert Ihr Euch wenigstens daran. Gefährlich für Euch, Ihr Narr, nicht für mich! Woran erinnert Ihr Euch noch? Erinnert Euch, Ihr verblendeter Idiot! Ich werde dies alles nicht beenden, wenn Ihr von Ahnungslosigkeit strotzt! Erinnert Euch!«

Einen Augenblick lang betrachtete Lews Therin seine erhobene Hand, fasziniert von den Mustern im Schmutz. Dann wischte er die Hand an dem noch schmutzigeren Umhang ab und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem anderen Manne zu. »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?«

Der schwarzgekleidete Mann richtete sich arrogant auf. »Einst nannte man mich Elan Morin Tedronai, doch jetzt... «

»Verräter aller Hoffnung!« Es war nur ein Flüstern von Lews Therin. Erinnerungen regten sich, aber er wandte den Kopf und scheute ihre Berührung.

»Also erinnert Ihr Euch an einiges. Ja, Verräter aller Hoffnung. So bin ich von Menschen genannt worden, so wie sie Euch Drache nannten, aber im Gegensatz zu Euch gefällt mir dieser Name. Sie gaben mir diesen Namen, um mich damit zu beschimpfen, doch ich werde sie dazu bringen, niederzuknien und ihn anzubeten. Was werdet Ihr mit Eurem Namen anfangen? Nach dem heutigen Tag werden die Menschen Euch Brudermörder nennen. Wie findet Ihr das?«

Lews Therin ließ den sorgenvollen Blick durch den zerstörten Saal schweifen. »Ilyena sollte hier sein, um einen Gast willkommen zu heißen«, murmelte er abwesend, und dann erhob er die Stimme. »Ilyena, wo bist du?« Der Boden bebte, der Körper der goldblonden Frau veränderte die Lage, als antworte er auf den Ruf. Seine Augen sahen sie nicht.

Elan Morin verzog das Gesicht. »Schaut Euch nur an«, sagte er verächtlich. »Einst wart Ihr der erste aller Diener. Einst habt Ihr den Ring von Tamyrlin getragen und auf dem Thron gesessen. Einst habt Ihr die Neun Geißeln der Herrschaft beschworen. Und jetzt? Ein erbärmliches, zerbrochenes Wrack. Aber das ist nicht genug. Ihr habt mich in der Halle der Diener gedemütigt. Ihr habt mich vor den Toren von Paaran Disen besiegt. Aber jetzt bin ich der Größere. Ich werde Euch nicht sterben lassen, ohne Euch das bewußt zu machen. Wenn Ihr sterbt, werden Eure letzten Gedanken das gesamte Wissen um Eure Niederlage erfassen. Ihr werdet begreifen, wie vollständig und endgültig sie ist. Falls ich Euch überhaupt sterben lasse.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, was Ilyena so lange aufhält. Sie wird böse auf mich sein, falls sie glaubt, ich habe einen Gast vor ihr verborgen. Ich hoffe, Ihr unterhaltet Euch gern, denn das liebt sie. Seid gewarnt. Ilyena wird Euch so viel fragen, daß Ihr am Ende alles erzählt, was Ihr wißt.«

Elan Morins Hände verkrampften sich. Mit einer schnellen Bewegung warf er den Mantel zurück. »Wie schade für Euch«, grübelte er laut, »daß keine Eurer Schwestern hier ist. Ich war nie sehr geschickt im Heilen, und nun folge ich einer anderen Macht. Doch selbst eine von ihnen könnte Euch nur ein paar klare Minuten bescheren, falls Ihr sie nicht schon vorher zerstört. Was ich tun kann, wird seinen Zweck auch erfüllen — jedenfalls meinen Zweck.« Sein plötzliches Lächeln hatte einen grausamen Zug. »Ich fürchte nur, die Heilung durch Shai'tan unterscheidet sich von der, die Ihr kennt. Heile, Lews Therin!« Er streckte die Hände aus, und das Licht verdunkelte sich, als läge ein Schatten auf der Sonne.

Schmerz flammte in Lews Therin auf, und er schrie. Der Schrei kam aus den Tiefen seiner Seele, und er konnte ihn nicht aufhalten. Feuer versengte sein Mark, Säure floß durch seine Adern. Er fiel nach rückwärts, stürzte auf den Marmorboden; sein Kopf schlug auf dem Stein auf und prallte zurück. Sein Herz hämmerte, bemühte sich, aus der Brust herauszuspringen, und mit jedem Pulsschlag durchzuckten ihn neue Flammen. Hilflos verkrampfte er sich, schlug um sich, sein Schädel eine Kugel reinster Todesqual und am Zerbersten. Seine heiseren Schreie hallten durch den Palast.

Langsam, unendlich langsam ließ der Schmerz nach. Das Nachlassen schien tausend Jahre zu dauern, und schließlich zuckte er noch schwach und saugte gierig die Luft durch den wunden Hals. Weitere tausend Jahre schienen zu vergehen, bis er in der Lage war, sich mit Hilfe nachgiebiger Muskeln herumzuwälzen und dann zitternd auf Händen und Knien zu ruhen. Er erblickte die goldhaarige Frau, und der Schrei, den er bei diesem Anblick ausstieß, stellte alles in den Schatten, was er vorher von sich gegeben hatte. Er torkelte, dem Fallen nahe, und kroch schließlich gebrochen über den Boden hin zu ihr. Er benötigte jedes bißchen Kraft, um sie in die Arme zu nehmen. Seine Hände zitterten, als er ihr das Haar aus dem erstarrten Gesicht strich.

»Ilyena! Um des Lichts willen, Ilyena!« Sein Körper krümmte sich schützend um den ihren. Sein Weinen endete in den gequälten Schreien eines Mannes, der nichts mehr besaß, wofür es sich zu leben lohnte. »Ilyena, nein! Nein!«

»Ihr könnt sie zurückhaben, Brudermörder. Der Große Herr der Dunkelheit kann sie wieder zum Leben erwecken, wenn Ihr ihm dafür dient. Wenn Ihr mir dient.«

Lews Therin hob den Kopf, und der schwarzgekleidete Mann trat vor seinem Blick unwillkürlich einen Schritt zurück. »Zehn Jahre, Verräter«, sagte Lews Therin leise. Es klang so sanft wie das Ziehen einer Stahlklinge. »Zehn Jahre lang hat Euer verderbter Herr die Welt gepeinigt.

Und nun das. Ich werde... «

»Zehn Jahre! Ihr seid ein bemitleidenswerter Narr! Dieser Krieg hat keine zehn Jahre gedauert, sondern währt von Beginn der Zeit. Ihr und ich haben tausend Schlachten geschlagen, solange sich das Rad dreht, und wir werden weiterkämpfen, bis selbst die Zeit stirbt und der Schatten triumphiert!« Er endete schreiend und mit erhobener Faust, und diesmal war es an Lews Therin, zurückzutreten und angesichts der glühenden Augen des Verräters tief durchzuatmen.

Vorsichtig legte Lews Therin Ilyena nieder. Seine Finger streichelten ihr sanft über das Haar. Tränen ließen seine Sicht verschwimmen, als er so dastand, aber seine Stimme klang wie gefrorenes Eisen. »Für das, was Ihr sonst noch getan habt, Verräter, kann es keine Vergebung geben, doch für Ilyenas Tod werde ich Euch zerstören, so daß selbst Euer Herr Euch nicht mehr zum Leben erwecken kann. Bereitet Euch vor... «

»Erinnert Euch, Ihr Narr! Denkt an Euren aussichtslosen Angriff auf den Großen Herrn der Dunkelheit! Denkt an seinen Gegenschlag! Erinnert Euch! Selbst jetzt noch zerreißen die Hundert Gefährten die Welt, und jeden Tag schließen sich ihnen hundert weitere Männer an. Wessen Hand tötete Ilyena Sonnenhaar, Brudermörder? Nicht meine. Nicht meine. Wessen Hand streckte jeden nieder, der auch nur einen Tropfen Eures Blutes in sich trug, jeden, der Euch liebte, jeden, den Ihr liebtet? Nicht meine Hand, Brudermörder. Nicht meine Hand. Erinnert Euch und erkennt den Preis, den Ihr zahlt, weil Ihr Euch gegen Shai'tan stelltet!«

Ein plötzlicher Schweißausbruch hinterließ Rinnen im Staub und Schmutz auf Lews Therins Gesicht. Er erinnerte sich, eine verschleierte Erinnerung, als träume er von einem Traum, doch er wußte, es war die Wahrheit.

Sein Aufheulen prallte gegen die Wände, das Aufheulen eines Mannes, der entdeckt hatte, daß seine Seele durch ihn selbst der Verdammnis anheimgestellt wurde, und er zerkratzte sich das Gesicht, als wolle er den Anblick dessen herausreißen, was er getan hatte. Wohin er auch blickte, seine Augen sahen die Toten. Zerfetzt waren sie oder zerbrochen oder verbrannt oder halb von Stein verschlungen. Überall leblose Gesichter, die er kannte, die er liebte. Alte Diener und Freunde aus seiner Kinderzeit, treue Gefährten in den langen Jahren des Kampfes. Und seine Kinder. Seine eigenen Söhne und Töchter; wie zerbrochene Puppen lagen sie verdreht da, ihr Spiel war für immer beendet. Alle von seiner Hand getötet. Die Gesichter seiner Kinder klagten ihn an. Die leeren Augen fragten: Warum? Und seine Tränen waren keine Antwort darauf. Das Lachen des Verräters geißelte ihn, erstickte sein Aufheulen. Er konnte die Gesichter nicht ertragen, nicht den Schmerz. Er konnte nicht länger bleiben. Verzweifelt griff sein Geist nach der Wahren Quelle, nach dem vom Bösen gezeichneten Saidin, und er begab sich fort.

Das Land um ihn herum war flach und leer. In der Nähe rauschte träge ein Fluß, breit und gerade, aber er fühlte, daß es auf Hunderte von Meilen keine Menschen gab. Er war allein, so allein ein Mann nur sein konnte, während er noch lebte, doch den Erinnerungen konnte er nicht entkommen. Die Augen verfolgten ihn durch die endlosen Höhlen seines Geistes. Er konnte sich nicht vor ihnen verstecken. Die Augen seiner Kinder. Ilyenas Augen. Tränen glitzerten ihm auf den Wangen, als er das Gesicht dem Himmel zuwandte.

»Licht, vergib mir!« Er glaubte nicht, daß er Vergebung erhalten könne. Nicht für das, was er getan hatte. Doch er schrie es trotzdem in den Himmel hinein, bettelte um etwas, an dessen Gewährung er nicht glaubte. »Licht, vergib mir!«

Er stand immer noch mit Saidin in Verbindung, der männlichen Hälfte der Macht, die das Universum antrieb, die das Rad der Zeit drehte, und er fühlte den öligen Schmutz, der ihre Oberfläche befleckte, die Verderbnis, die der Gegenschlag des Schattens darüber gebracht hatte, die Verderbnis, die die Welt zum Untergang verurteilte. Seinetwegen. Weil er in seiner Verblendung geglaubt hatte, Menschen könnten es dem Schöpfer gleichtun, könnten zusammenfügen, was der Schöpfer erschaffen und was sie zerbrochen hatten. Das hatte er in seinem Stolz geglaubt.

Tief zog er Kraft aus der Wahren Quelle und dann noch einmal, wie ein Verdurstender. Schnell hatte er mehr von der Einen Macht in sich aufgesogen, als er ohne Hilfe handhaben konnte; seine Haut schien zu brennen. Er nahm alle Kraft zusammen und versuchte, noch mehr aufzunehmen, versuchte, alles aufzunehmen.

»Licht, vergib mir! Ilyena!«

Die Luft verwandelte sich in Feuer, das Feuer in verflüssigtes Licht. Der Blitz, der vom Himmel herabzuckte, hätte jedes Auge versengt und geblendet, das ihn auch nur einen Moment lang erblickte. Er fuhr aus dem Himmel hernieder, flammte durch Lews Therin Telamon hindurch und bohrte sich in die Eingeweide der Erde. Seine Berührung verwandelte Stein in Dampf. Die Erde zuckte und erzitterte wie ein lebendes Wesen im Todeskampf. Der leuchtende Balken vom Himmel existierte nur einen Herzschlag lang, verband Erde und Himmel, doch auch nachdem er verschwunden war, wölbte sich die Erde auf wie ein Meer im Sturm. Geschmolzener Fels spritzte hundert Spannen hoch in die Luft, und der stöhnende Boden erhob sich und schob den brennenden Springbrunnen weiter hoch, immer höher. Aus dem Norden und. Süden, aus dem Osten und Westen heulte der Wind heran, brach Bäume wie kleine Äste entzwei, kreischte und pfiff, als wolle er den wachsenden Berg himmelwärts drücken. Dem Himmel entgegen.

Schließlich erstarb der Wind, die Erde beruhigte sich und murmelte nur noch zitternd vor sich hin. Von Lews Therin Telamon war nichts geblieben. Wo er gestanden hatte, erhob sich nun, auf Meilen in den Himmel, ein Berg. Aus dem zerfetzten Gipfel quoll immer noch dünnflüssige Lava. Der breite gerade Fluß war in einer Kurve vom Berg weggeschoben worden und teilte sich unweit davon. In der Mitte war eine lange Insel entstanden. Der Schatten des Bergs erreichte beinahe die Insel; er lag dunkel wie die drohende Hand der Prophezeiung über dem Land. Eine Zeitlang war nur das dumpfe protestierende Grollen der Erde zu hören.

Auf der Insel schimmerte die Luft und zog sich zu einem Wirbel zusammen. Der schwarzgekleidete Mann stand da und betrachtete den feurigen Berg, der sich aus der Ebene erhob. Sein Gesicht verzog sich vor Wut und Verachtung. »Du kannst nicht so leicht entkommen, Drache. Wir sind noch nicht fertig miteinander. Es ist erst zu Ende, wenn alle Zeiten enden.«

Dann war er weg, und Berg und Insel ruhten einsam. Warteten.


Und der Schatten fiel über das Land, und die Welt wurde Stein um Stein zerrissen. Die Meere flohen, und die Berge wurden verschluckt, und die Staaten wurden in die acht Ecken der Welt verstreut. Der Mond war wie Blut, und die Sonne war wie Asche. Die Meere kochten, und die Lebenden beneideten die Toten. Alles war zerschlagen und bis auf die Erinnerung verloren, und eine Erinnerung stand über allem: an ihn, der den Schatten gebracht und die Zerstörung der Welt verursacht hatte. Und ihn nannten sie Drache.

(Aus: Aleth nin Taerin alta Camora, der Zerstörung der Welt

Autor unbekannt, Viertes Zeitalter)


Und es geschah in jenen Tagen, wie es zuvor geschehen war und wieder geschehen würde, daß die Dunkelheit schwer auf dem Land lag und die Herzen der Menschen beschwerte und die grünen Dinge verblichen und die Hoffnung starb. Und die Menschen riefen ihren Schöpfer und sagten: O Licht des Himmels, Licht der Welt, laßt den Berg den Verheißenen gebären, wie es die Prophezeiung sagte, so wie er in vergangenen Zeitaltern geboren wurde und in späteren geboren werden wird. Laßt den Prinz des Morgens zum Land singen, so daß grüne Dinge wachsen und die Täler Lämmer hervorbringen. Laßt den Arm des Herren der Dämmerung uns Schutz vor dem Dunkel gewähren und das große Schwert der Gerechtigkeit uns verteidigen. Laßt den Drachen wieder auf den Winden der Zeit fliegen.

(Aus: Charal Drianaan te Calamon, dem Zyklus des Drachen

Autor unbekannt, Viertes Zeitalter)

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