66

Rikka hatte die Führung übernommen, und Cara und Nicci bildeten die Nachhut, als Richard entschlossenen Schritts den holzgetäfelten Flur entlangmarschierte, bis er schließlich die Einmündung erreichte und in einen gemauerten Seitenkorridor einbog, dessen luftige Gewölbedecke sich zu einer Höhe von nahezu zweihundert Fuß emporschwang. Gekehlte Säulen auf beiden Seiten säumten ihn in gleichmäßigen Abständen, und durch die großen, in die obere Mauerpartie eingelassenen Fenster waren die massiven äußeren Strebepfeiler zu erkennen, welche die stolzen Burgmauern stützten. Durch die ganz oben sowie unweit darunter eingelassenen Rundfenster fielen in schrägem Winkel Streifen trüben Lichts. Ihre Stiefelschritte hallten wie Hammerschläge durch die kalten Hallen.

Richards Umhang, der aussah, als wäre er aus gesponnenem Gold gewoben, blähte sich hinter ihm wie in den ersten Böen eines aufkommenden Sturms. Die güldenen Symbole auf dem Saum des schwarzen Capes schimmerten matt im gedämpften Licht, und wann immer er einen der einfallenden Lichtstreifen passierte, erzeugten die silbernen Embleme auf seinen Stiefeln, dem breiten, mehrschichtigen Ledergürtel und seinen ledergepolsterten Armreifen ein verwirrendes Spiel aus Schlaglichtern, das vom Eintreffen des Kriegszauberers kündete.

Normalerweise reichte das ungestüme Temperament einer Mord-Sith, um den meisten Menschen das Blut in den Adern stocken zu lassen, der kalte Zorn in Caras hübschem Gesicht dagegen schien sogar fähig, das bereits stockende Blut zu Eis gefrieren zu lassen. Einen nicht minder Furcht erregenden Anblick bot die einstige Herrin des Todes, die auf seiner anderen Seite ging. Vom Augenblick ihrer ersten Begegnung an hatte Richard die Luft rings um sie her, aufgeladen von ihrer ungeheuren Energie, beinahe knistern hören können, und so war es auch jetzt.

Richard lief vorüber an gepolsterten Sesseln und in Mauernischen stehenden Tischen. Winklig ausgelegte Teppiche ragten da und dort in den Flur hinein und luden Passanten ein, diese ruhigen, gemütlichen Winkel aufzusuchen. Richard mied sie, denn ihm gefiel der harte Klang seiner Stiefel auf dem polierten Granit. Da auch keine seiner Begleiterinnen auf die Teppiche trat, schaukelte sich das aus dem langen Flur zurückgeworfene Echo auf, bis man fast den Eindruck haben konnte, eine ganze Armee falle in die Burg der Zauberer ein. Ohne in ihrem Tempo nachzulassen, wandte sich Rikka zu ihm herum und wies nach rechts. »Sie sind dort drinnen, Lord Rahl.«

Richard bog, ohne sein Tempo zu drosseln, um die Ecke und marschierte genau durch die Mitte der beiden gewaltigen Türflügel, die, von einem Gitter schwerer Eichenstreben in je ein Dutzend Glasscheiben unterteilt, geöffnet in die noble Bibliothek hineinragten. Die dreißig Meter breite Rückwand der Bibliothek war bis unter die Decke mit Regalen voll gestellt, vor denen man auf Messingschienen gleitende Leitern sah, über die sie zu erreichen waren. Im Schein des durch die hohen Fenster einfallenden Lichts glänzten schwere Mahagonipfeiler, weiter unten jedoch war das Licht düsterer und musste von Lampen unterstützt werden, deren Strahl den Raum zu unterteilen schien. Unmittelbar gegenüber der Tür stand ein Mahagonitisch von gewaltigen Ausmaßen, dessen geschwungene Beine im Umfang mächtiger waren als Richard, rechts und links davon erhoben sich zwei das Deckengewölbe stützende Pfeiler. Die beiden Enden des Raumes ganz rechts sowie ganz links blieben in den Schatten. Ann machte ein überraschtes Gesicht. »Was hast du hier verloren, Richard? Du solltest draußen bei unseren Truppen sein.«

Ohne überhaupt auf sie einzugehen, griff Richard nach dem in rotem Leder gebundenen Buch, das unter seinem Arm klemmte, und fegte damit, es wie einen Besen benutzend, die über weite Teile der Tischplatte verstreuten Bücher vor ihnen beiseite, bis vor den drei mit der Gabe Gesegneten eine breite, leere Fläche blank polierten Holzes entstand.

Er warf das rote, ledergebundene Buch auf den Tisch; der dabei entstehende Knall hallte beinahe wie ein Donnerschlag. Die vergoldeten Buchstaben auf dem Rücken, Feuerkette, schimmerten im Dämmerlicht.

»Was ist denn das nun wieder?«, fragte Zedd mit einem Anflug von Verzweiflung. »Der Beweis«, erklärte Richard. »Oder zumindest ein Teil davon. Ich hatte doch versprochen, Beweise vorzulegen.«

»Dieses Buch ist sehr alt«, klärte Nicci sie auf, »und enthält eine Formel zur Erschaffung von etwas, das mit dem Begriff Feuerketten-Ereignis bezeichnet wird.«

Zedds haselnussbraune Augen blickten auf. »Und was, bitte schön, muss man sich darunter vorstellen?«

»Das Ende der Welt, wie wir sie kennen«, stellte Richard mit erbitterter Endgültigkeit fest. »Was diese Leute damals taten, beinhaltete, wie sich herausstellte, den unabsichtlichen Versuch, einen Widerspruch zu erzeugen, was gegen das neunte Gesetz der Magie verstieß. Zu guter Letzt gelangten sie jedoch zu der Erkenntnis, dass es katastrophale Folgen haben würde, sollte jemand es tatsächlich wagen, ein Feuerkettenereignis auszulösen.«

Die Stirn in tiefe Falten gelegt, sah Nathan zu Nicci, offenkundig in der Hoffnung, von der einstigen Schwester eine etwas kenntnisreichere und fundiertere Antwort zu erhalten. »Wovon redet der Junge überhaupt?«

»Die Zauberer aus alter Zeit hatten eine neue Methode entdeckt, wie sich mithilfe subtraktiver Magie das Gedächtnis beeinflussen ließe, wobei sich die daraus resultierenden entkoppelten Einzelereignisse in der Folge sämtlich spontan und voneinander unabhängig neu ordnen würden – und zwar zu einer Art falschem Gedächtnis, das die durch den Zerstörungsprozess entstandenen Lücken wieder auffüllen sollte. Sie untersuchten die Methode, wie man ein Individuum für alle anderen verschwinden lassen konnte, indem man die Menschen dazu brachte, die betreffende Person ganz einfach zu vergessen – selbst dann, wenn sie diese noch wenige Augenblicke zuvor gesehen hatten, ja sogar bereits während sie sie noch vor Augen hatten. Die Erinnerung der Menschen an die Zielperson wird dabei aufgelöst. Man fand jedoch heraus, dass mit dem Auslösen eines solchen Ereignisses eine ganze Flut von Geschehnissen in Gang gesetzt wird, die weder beeinflussbar noch vorhersehbar sind. Ganz ähnlich einem verheerenden, außer Kontrolle geratenen Flächenbrand frisst sie sich immer weiter durch Verbindungen zu anderen Personen, deren Gedächtnis noch nicht verändert wurde, bis dieser Prozess schließlich zur Auflösung der Welt des Lebens insgesamt führt.«

»Und was den Prophezeiungswurm anbelangt«, nahm Richard den Faden auf, »so mag er durchaus real sein, dennoch ist in diesem Fall besagte Feuerkette schuld am Verschwinden der Prophezeiungen. Teil dieses Prozesses ist es, dass die das Ereignis auslösende Person ebenfalls eine Leerstelle in den Prophezeiungen ausfüllt, eine Stelle, die von einem Propheten zwecks künftiger Bearbeitungen freigelassen wurde. Diese Lücke wird nun mit einer ergänzenden Prophezeiung gefüllt, in der die Feuerkettenformel bereits enthalten ist. Auf diese Weise infiziert und vernichtet ein Feuerkettenereignis sämtliche zugeordneten Prophezeiungen auf diesem Zweig, angefangen bei den – entweder über die Zielperson oder den zeitlichen Zusammenhang – verwandten Prophezeiungen, was in diesem Fall, der Person Kahlans, beides zutrifft. Dadurch wird sie – durch etwas, das man Feuerkettenkorollarium nennt – ebenfalls aus der Prophezeiung gelöscht.«

Nathan ließ sich schwer auf seinen Stuhl sinken. »Bei den Gütigen Seelen.«

Ann schien weder zufrieden noch sonderlich beeindruckt. »Das ist ja alles gut und schön, und gewiss werden wir uns eingehend mit diesem Buch beschäftigen und herausfinden müssen, ob von deinen Ausführungen irgendetwas zumindest ansatzweise einen Sinn ergibt. Aber dieses Buch ist nicht das eigentliche Problem. Du hättest bei unseren Soldaten bleiben sollen, denn du musst unsere Truppe in der letzten entscheidenden Schlacht anführen. Du musst sofort dorthin zurück, in diesem Punkt sind die Prophezeiungen absolut eindeutig. Dort heißt es, solltest du dies unterlassen, wird die Welt unter einen Schatten fallen.«

Aber Richard achtete gar nicht auf Ann, sondern sah stattdessen seinem Großvater fest in die Augen. »Und jetzt rate mal, was das Gegenmittel zu einem solchen Feuerkettenereignis ist.«

Zedd, von Richards Art der Fragestellung verwirrt, zuckte mit den Achseln. »Woher soll ich das wissen?«

»Es gibt nur eines, und das wurde eigens zu diesem Zweck erschaffen.«

»Und das wäre?«

»Die Kästchen der Ordnung.«

Zedd klappte der Unterkiefer runter. »Richard, das ist einfach völlig ...«

Richard langte in seine Tasche, förderte sein Mitbringsel zutage und knallte es vor den Augen der drei auf den Tisch.

Zedds Augen weiteten sich. »Verdammt, Richard, das ist eine Schlingpflanze.«

»Du erinnerst dich vielleicht an eine Stelle aus dem Buch der Gezählten Schatten: Und wenn die drei Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht werden, werden die Schlingpflanzen zu wachsen beginnen.«

»Aber ... aber«, stammelte Zedd, »die Kästchen der Ordnung befinden sich doch im Garten des Lebens – unter strengster Bewachung.«

»Nicht nur das«, warf Nathan ein, »ich persönlich habe die Männer der Ersten Rotte mit Waffen ausgerüstet, die selbst gegen die mit der Gabe Gesegneten von tödlicher Wirkung sind. Kein Unbefugter könnte sich dort Zutritt verschaffen.«

»Da muss ich ihm Recht geben«, beharrte Zedd. »Es ist völlig unmöglich.«

Richard wandte sich herum und nahm den Gegenstand vorsichtig entgegen, den Cara mitgebracht hatte. Behutsam stellte er die Statuette mit dem Namen Seele so auf den Tisch, dass die Figur den dreien auf der anderen Seite des Tisches das Gesicht zuwandte – trotzig das Haupt erhoben, so als sei sie entschlossen, sich allen Bestrebungen zu widersetzen, von ihnen zu einem Hirngespinst abgestempelt zu werden. »Sie gehört Kahlan. Sie hat sie im Garten des Lebens zurückgelassen – anstelle der Kästchen und gewissermaßen als Beweis ihrer Existenz. Das Feuerkettenereignis hat sie aus dem Gedächtnis aller gelöscht, und wer sie sieht, hat sie bereits vergessen, ehe sein Verstand auch nur Gelegenheit hatte, sie zu registrieren.«

Mit einer abfällig wedelnden Handbewegung wies Ann auf Buch, Schlingpflanze und Statuette. »Aber das hier, das sind doch nach wie vor alles nur Vermutungen, Richard. Wer in aller Welt könnte sich denn ein solches Komplott ausgedacht haben?«

»Ausgebrütet hat den Plan Schwester Ulicia«, warf Nicci ein. »Und geholfen haben ihr dabei die Schwestern Cecilia, Arminia und Tovi.«

Ann runzelte die Stirn. »Woher wollt Ihr das wissen?«

»Tovi hat es mir gegenüber selbst zugegeben.«

»Sie hat es zugegeben ... Aber warum sollte sie so etwas tun? Wie habt Ihr sie überhaupt erreicht?«

»Sie war im Begriff, sich mit einem der Kästchen der Ordnung aus dem Staub zu machen«, sagte Richard. »Dabei wurde sie hinterrücks von dem Mann überfallen, dem ich das Schwert der Wahrheit überlassen habe. Er verletzte sie mit dem Schwert und brachte das Kästchen der Ordnung, das sie bei sich trug, in seinen Besitz.«

Unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen, schlug Zedd sich mit der Hand vor die Stirn und ließ sich schwer in seinen Sessel sacken.

»Des Weiteren verriet mir Tovi«, fuhr Nicci fort, »dass sie hier in Aydindril waren und im Grab der Mutter Konfessor eine Leiche verscharrt haben, um sicherzustellen, dass niemand Richard Glauben schenkt, falls er auf den Gedanken kommen sollte, sie zum Beweis, dass er die Wahrheit spricht, zu exhumieren. Das Kleid hatten sie aus dem Palast der Konfessoren. Sie wollten unter allen Umständen sichergehen, dass alle glauben, Richard bilde sich das alles nur ein. Ich denke, in diesem Zusammenhang solltet Ihr auch wissen, dass wir zu den Ruinen einer Stadt namens Caska, unten im Süden D’Haras, im ›Herzen der Leeres gereist sind, wo wir auf Kundschafter der Imperialen Ordnung stießen. An einem von ihnen habe ich ein Experiment durchgeführt. Ich benutzte ebenjenen subtraktiven Zauber, mit dessen Hilfe ich auf Euer aller Wunsch Richard von seinen angeblichen Wahnvorstellungen ›kurieren‹ sollte.«

Ann, inzwischen vorsichtig geworden, neigte den Kopf fragend zur Seite. »Und?«

»Er hat es nicht länger als ein paar Augenblicke überlebt.« Zedd, mittlerweile fast so weiß wie sein widerspenstiges Haar, vergrub das Gesicht in den Händen.

»Ich bin sicher, einiges davon wird sich als ganz ... nützlich erweisen«, meinte eine ziemlich verwirrt aussehende Ann, »und es ist gut, dass Ihr es herausgefunden habt. Aber wie ich bereits sagte, die Tatsache bleibt trotz allem bestehen, dass du unbedingt bei unseren Truppen sein musst, Richard, wie es in der alles entscheidenden Prophezeiung heißt, die wir dir enthüllt haben: ›Wenn der fuer grissa ost drauka in der entscheidenden Schlacht nicht die Führung übernimmt, wird die bereits jetzt am Rande der Finsternis stehende Welt unter einen fürchterlichen Schatten fallen.‹ All die anderen Dinge, die ihr hier zur Sprache bringt, mögen zweifellos ganz faszinierend sein, aber unsere allerwichtigste Mission ist und bleibt diese Prophezeiung. Wir können uns ein Scheitern ganz einfach nicht erlauben, da sich sonst besagter Schatten über die Welt legen wird.«

Daumen und Mittelfinger an die Schläfen gepresst, senkte Richard den Blick zum Boden, übte sich in Geduld und ermahnte sich, dass sie alle schließlich nur das Richtige zu tun versuchten. Schließlich sah er auf und blickte ihnen fest in die Augen. »Begreift ihr nicht?« Er wies auf die Schlingpflanze auf dem Tisch. »Das hier ist die letzte, entscheidende Schlacht. Die Schwestern der Finsternis haben die Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht, ihr Ziel ist es, den Hüter des Totenreichs in die Welt der Lebenden zu rufen, das Leben in die Obhut des Todes zu übergeben, mit dem Ziel, dadurch selbst Unsterblichkeit zu erlangen. Die Welt steht am Rande ewiger Finsternis. Begreift ihr nicht? Wäre es nach euch und eurer Entschlossenheit gegangen, den Prophezeiungen Geltung zu verschaffen, und hättet ihr euch nach einem Text gerichtet, der eurer Überzeugung nach vorherbestimmt war, dann hätte ich den Versuch, mich zu ›kurieren‹, nicht überlebt. Im Gegenteil, mit eurem Bestreben, die Prophezeiung zu erfüllen, hättet ihr den Erfolg der Schwestern der Finsternis und das Ende allen Lebens erst garantiert. Ihr wärt schuld daran gewesen, dass die Welt des Lebens geendet hätte. Nur der freie Wille – sowohl Niccis als auch meiner – hat verhindern können, was ihr mit eurem blinden Glauben an die Prophezeiungen über die Menschheit gebracht hättet.«

Ann, die als Letzte noch immer stand, ließ sich schwer in ihren Sessel fallen. »Bei den Gütigen Seelen, er hat Recht«, sagte Zedd leise bei sich. »Soeben hat der Sucher drei alte Narren vor sich selbst bewahrt.«

»Nein – keiner von euch ist ein Narr«, widersprach Richard. »Wir alle tun mitunter unsinnige Dinge, weil wir nicht nachdenken. Aber wenn das passiert, gilt es, den Fehler zu erkennen und ihn künftig zu vermeiden. Lernt daraus, lasst nicht zu, dass ihr beim nächsten Mal wieder versagt. Ich bin nicht hier, um euch zu sagen, dass ihr Narren seid, denn das seid ihr nicht, ich bin hier, weil ich eure Hilfe brauche. Ich möchte, dass ihr anfangt, von eurem Verstand Gebrauch zu machen. Jeder von euch ist auf seine ganz bestimmte Weise einzigartig, jeder verfügt über ein Wissen, das sonst kein Lebender besitzt. Die Frau, die ich liebe und mit der ich verheiratet bin, ist von den Schwestern der Finsternis entführt worden, ihr Leben wurde der verheerenden Wirkung einer Feuerkette ausgesetzt, einer Ereigniskette, die sich jetzt durch das Leben all derer frisst, die sie kannten, und die letztendlich alle Lebenden verschlingen wird.«

Er wies auf die Statuette mit Namen Seele. »Dies habe ich deiner Enkeltochter aus der Seele geschnitzt, Zedd. Sie hat es sehr geliebt und geschätzt, und doch hat sie es dort auf dem steinernen Altar stehen lassen, über und über mit ihrem Blut beschmiert. Ich will sie zurück. Und dazu benötige ich Hilfe. Weder Nicci noch Cara erinnern sich an Kahlan, und doch wissen sie um die Tatsache, dass sie sich nicht an sie erinnern, und zwar aufgrund dessen, was in diesem Buch mit dem Titel Feuerkette steht – und nicht etwa, weil sie nicht existiert. Ihr alle habt mit dem Verlust eurer Erinnerung an Kahlan einen großen Verlust erlitten, etwas, das für euer Leben von unschätzbarem Wert ist und das ihr nicht einmal ansatzweise zu ersetzen vermögt. Ihr habt eine der anständigsten ...«

Richard musste abbrechen. Der Kummer hatte ihm die Kehle so sehr zusammengeschnürt, dass er kein Wort mehr über die Lippen brachte. Tränen tropften von seinem Gesicht auf den Tisch. Nicci ging zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Alles wird sich wieder fügen, Richard. Wir werden sie zurückbekommen.«

Auf seiner anderen Schulter spürte er Caras Hand. »Bestimmt, Lord Rahl. Wir werden sie zurückbekommen.«

Richard, unfähig zu sprechen, da sein Kinn zu sehr zitterte, nickte nur. Zedd erhob sich. »Ich hoffe doch, Richard, du glaubst nicht ernsthaft, wir würden dich noch einmal im Stich lassen. Das werden wir nicht tun, darauf hast du mein Wort als Oberster Zauberer.«

»Dein Wort als mein Großvater wäre mir lieber.«

Trotz seines tränenüberströmten Gesichts lächelte Zedd. »Das auch, mein Junge, das auch.«

Jetzt sprang auch Nathan auf. »Mein Schwert ist ebenfalls mit von der Partie, mein Junge.«

Ann musterte ihn missbilligend. »Dein Schwert ist mit von der Partie? Was in aller Welt soll das nun wieder heißen?«

»Na ja, du weißt schon«, antwortete Nathan, indem er mit der Hand eine Reihe von Hieben und Stößen demonstrierte. »Es bedeutet, dass ich mich tapfer schlagen werde.«

»Tapfer schlagen. Wir wär’s, wenn du uns stattdessen helfen würdest, Kahlan wieder zu finden?«

»Also, verdammt, Frau ...«

Anns Blick wanderte zu Zedd. »Hast du ihm etwa beigebracht, so zu reden? So flucht er erst, seit er mit dir zusammensteckt.«

Zedd zuckte unschuldig mit den Achseln. »Ich? Du meine Güte, nein, bestimmt nicht.«

Ann bedachte die beiden Zauberer rechts und links von ihr mit einem tadelnden Blick, ehe sie sich, jetzt wieder lächelnd, Richard zuwandte.

»Ich kann mich noch gut erinnern an den Tag, als du geboren wurdest, Richard; als du noch ein kleines, springlebendiges Bündel in den Armen deiner Mutter warst. Sie war damals so stolz auf dich, bloß weil du weinen konntest. Nun, ich schätze, jetzt kann sie wieder ziemlich stolz auf dich sein. Und das gilt für uns alle, Richard.«

Zedd wischte sich die Nase am Ärmel ab. »Wie wahr.«

»Vorausgesetzt, du kannst uns noch mal verzeihen«, fuhr Ann fort, »würden wir gerne dabei helfen, dieser Gefahr Einhalt zu gebieten. Ich, für meinen Teil, bin geradezu versessen darauf, mir diese Schwestern vorzunehmen.«

Nicci drückte Richards Schulter. »Ganz kampflos werdet Ihr kaum in den Genuss dieses Vergnügens kommen. Ich glaube, wir alle würden sie nur zu gerne in die Finger bekommen.«

Cara steckte den Kopf an Richard vorbei. »Na klar, Euch geht das leicht über die Lippen. Ihr durftet schließlich schon Schwester Tovi beseitigen.«

Richard stand, einen Fuß auf das niedrige Mauerwerk gestützt, zwischen den Zinnen der Brustwehr, den Blick auf die sonnenbeschienene Szenerie der weit unterhalb des Berges liegenden Stadt Aydindril gerichtet, und schaute den durch das Tal ziehenden Schatten der bauschigen weißen Wolken zu. Von hinten näherte sich Zedd, blieb neben ihm stehen und betrachtete eine Zeit lang schweigend ebenfalls das Schauspiel.

Schließlich sagte er: »Sosehr ich es auch versuche, ich kann mich nicht an Kahlan erinnern, es will mir einfach nicht gelingen.«

»Ich weiß«, antwortete Richard, ohne ihn anzusehen.

»Aber sie muss wohl eine bemerkenswerte Frau sein, wenn sie deine Lebensgefährtin ist.«

Richard konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Ja, das ist sie.«

Zedd legte seinem Enkelsohn eine knochige Hand auf die Schulter. »Wir werden sie finden, mein Junge, und ich werde dir dabei helfen. Wir werden sie finden, das verspreche ich dir.«

Lächelnd legte Richard seinem Großvater einen Arm um die Schultern. »Danke, Zedd. Ich werde deine Hilfe bestimmt brauchen können.«

Zedd hob einen Finger. »Und wir werden unverzüglich damit beginnen.«

»Das soll mir recht sein. Ich werde mir allerdings ein Schwert besorgen müssen.«

»Ach, weißt du, das Schwert ist gar nicht so wichtig; es ist nichts weiter als ein Werkzeug. Die eigentliche Waffe ist der Sucher, und ich würde sagen, der bist noch immer du.«

»Wo du schon davon anfängst, Zedd. Weißt du, ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass Shota, als sie das Schwert im Tausch gegen die Hinweise, die sie mir gab, verlangte, vielleicht doch nicht so selbstsüchtig gehandelt hat.«

»Wie kommst du darauf?«

»Nun, das Schwert der Wahrheit speist sich aus meiner Gabe. Wenn ich mich meiner Gabe bediene, wie an jenem Tag, als wir unten in der Bibliothek waren und ich aus einem Buch der Prophezeiungen vorlas, besteht die ganz reale Möglichkeit, dass es die Bestie zu mir lockt.«

Zedd strich sich nachdenklich über sein glatt rasiertes Kinn. »Schätze, da ist etwas dran. Vielleicht hat sie in gewisser Weise ja tatsächlich dazu beigetragen, dich zu beschützen.« Sein Blick verdüsterte sich. »Aber dann hat sie es an Samuel weitergegeben. Und der Kerl ist ein Dieb!«

»Und was hat er gestohlen, seit er das Schwert wiederhat?«

Zedd musterte ihn mit einem Auge. »Gestohlen? Ich weiß nicht. Worauf spielst du an?«

»Er hat eine Schwester der Finsternis beinahe getötet und ihr das Kästchen der Ordnung, das sie bei sich trug, abgenommen – und dadurch verhindert, dass sie alle drei Kästchen in ihren Besitz bringen konnten, um die Magie der Ordnung auf den Plan zu rufen.«

Zedds Stirn furchte sich noch tiefer. »Und was wird dieser jämmerliche Dieb deiner Meinung nach mit dem Kästchen anfangen?«

Richard zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht, aber immerhin haben wir durch ihn etwas Zeit gewonnen. Jetzt können wir ihn verfolgen und auf diese Weise zumindest verhindern, dass die Schwestern alle drei Kästchen in ihren Besitz bringen.«

Zedd kratzte sich an seiner hohlen Wange und warf Richard einen schrägen Blick zu. »Man könnte sich direkt an das letzte Mal erinnert fühlen, was? ... als sich Darken Rahl noch das letzte Kästchen beschaffen musste.«

Richard musterte seinen Großvater mit finsterer Miene. »Was redest du da?«

Zedd zuckte mit den Achseln. »Ach nichts, war nur so dahergesagt.«

»Was war nur so dahergesagt?«

»Na ja, genau, wie ich sagte, es erinnert fast ein wenig an das letzte Mal, das ist alles.« Er gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Ach, komm jetzt, Rikka hat das Abendessen fertig. Wir werden uns erst mal alle eine ordentliche Mahlzeit gönnen, und dann überlegen wir uns, wie wir weiter vorgehen wollen.«

»Klingt hervorragend.«

»Woher willst du das eigentlich wissen, hm? Ich habe dir nicht mal verraten, was sie gekocht hat.«

»Nein, ich meinte ... ach, schon gut. Gehen wir.«

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