60

Pfeilschnell sauste Richard durch die sanfte Lautlosigkeit der Sliph und glitt doch gleichzeitig sachte mit der trägen Eleganz eines Raben dahin, der in einer mondhellen Nacht von den zur Ruhe gekommenen Luftströmungen oberhalb der hohen Bäume getragen wird. Es existierten weder Hitze noch Kälte; süße Klänge füllten in der völligen Stille seinen Geist. In einer einzigen geisterhaften Vision erfassten seine Augen Licht und Dunkel, während seine Lungen sich unter der süßen Anwesenheit der Sliph blähten, sobald er sie mit jedem Atemzug in seine Seele sog.

Es war pure Verzückung.

Dann, ganz unvermittelt, war es zu Ende.

Körniges Dunkel erschien schlagartig vor seinem plötzlich wieder funktionierenden Gesichtssinn. Er durchbrach die Oberfläche und war umringt von kantigen, klobigen Schatten. Nicci umklammerte in panischem Schrecken seine Hand.

Atme, forderte die Sliph ihn auf.

Sogleich stieß Richard den süßen Hauch heraus, leerte seine Lungen von dem, was die Verzückung war, und sog mit einem gierigen Keuchen die fremde, exotische Luft in seine Lungen. Auch Cara atmete keuchend die heiße, staubige Luft ein, während Nicci mit dem Gesicht nach unten sachte schaukelnd auf der silbrigen Flüssigkeit trieb.

Richard warf einen Arm über die Steinmauer am Rand der Sliph und zog sie mit sich nach oben. Dann nahm er seinen Bogen vom Rücken, damit er ihn nicht behinderte, lehnte ihn rasch außen gegen die Ummauerung, sprang mithilfe der Sliph wieder auf die Mauerkrone und hievte Niccis erschlafften Körper mit vereinten Kräften wieder so weit hoch, dass sich Kopf und Schultern in der warmen, dunklen Luft befanden. Er klopfte ihr auf den Rücken. »Atmen, Nicci, atmen. Kommt schon, Ihr müsst die Sliph loslassen und atmen. Tut es, mir zuliebe.« Und schließlich tat sie es. Japsend sog sie die Luft in ihre Lungen, schlug dabei aus Entsetzen über ihre Verwirrung, ihre Verlorenheit in dieser so fremdartigen Umgebung wild mit den Armen um sich, bis Richard sie zu sich heranzog und ihr half, ihre Arme über den Rand zu legen. Keuchend zog sie sich auf die Mauer.

In den Wandhalterungen der nahen Mauern befanden sich Glaskugeln, die, ganz so wie in der Burg der Zauberer, aufleuchteten, als er schließlich aus dem Brunnen kletterte.

»Was meint Ihr, was könnte dies für ein Ort sein?« Cara schaute sich in dem dämmrigen Licht um. »Das war wirklich die reinste ... Verzückung«, keuchte Nicci, noch immer unter dem Einfluss des Erlebnisses. »Ich hab es ja gesagt«, ächzte Richard, als er ihr beim Heruntersteigen half. »Sieht aus, als befänden wir uns in einer Art Felsenkammer«, sagte Cara, während sie die äußere Umgrenzung abschritt.

Richard hielt auf die dunkle Stelle am einen Ende zu, und sofort erstrahlten zwei größere, in mächtigen Eisenhalterungen liegende Glaskugeln in gespenstisch grünem Licht. Er sah, dass sie eine Treppe flankierten, deren Stufen allerdings unter der Decke endeten.

»Ziemlich merkwürdig.« Cara stand bereits auf der zweiten Stufe und untersuchte die im Dunkeln liegende Decke.

»Hier.« Nicci stand über den Seitenrand der Stufen gebeugt. »Hier gibt es eine Metallplatte.«

Es war die gleiche Art Metallplatte, die Richard auch schon an anderer Stelle gesehen hatte; es handelte sich um Platten, mit denen die Schilde ausgelöst wurden. Nicci klopfte mit der flachen Hand darauf, doch nichts tat sich. Dann presste Richard seine Handfläche auf das eiskalte Metall, und kurz darauf war das mahlende Geräusch sich bewegenden Gesteins zu hören. Wolken von Staub rieselten herab. Geduckt wichen die drei zurück und sahen sich in dem trüben Licht um, um in Erfahrung zu bringen, was genau da in Bewegung geraten war. Der Boden erzitterte, und plötzlich schien sich der gesamte Raum zu verschieben und irgendwie seine Form zu verändern, bis Richard erkannte, dass es in Wahrheit nur die Decke war, die zur Seite gezogen wurde.

Ein immer mehr anwachsender Fleck Mondlicht ergoss sich über die Stufen. Richard hatte nicht die leiseste Ahnung, wo sie sich befanden, außer dass es sich wohl um eine offenbar unterirdische Felsenkammer handelte. Er wusste nicht, wo dieses Caska eigentlich lag – nur, dass es sich nach Aussage der Sliph im Herzen der Leere befand, doch dessen Lage war ihm gleichermaßen unbekannt, daher hatte er wirklich nicht den leisesten Schimmer, was er erwarten sollte. Ein entschieden beklommenes Gefühl beschlich ihn.

Er griff nach seinem Schwert.

Es war nicht da. Zum tausendsten Mal, so schien es, wurde ihm mit einem Gefühl lähmenden Bedauerns bewusst, wo es sich jetzt befand.

Stattdessen zog er sein langes Messer und begann in geduckter Haltung die Stufen hinaufzusteigen. Als Cara ihn sein Messer zücken sah, schnellte der Strafer in ihre Faust, und sie versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen, doch er hielt sie mit ausgestrecktem Arm zurück, sodass sie etwas seitlich links hinter ihm blieb. Nicci ging unmittelbar rechts hinter ihm.

Als er den Kopf aus der Bodenöffnung schob, erblickte er die schattenhaften Umrisse dreier nicht weit vor ihm stehender Personen. Da das Sehvermögen während der Erholungsphase nach einem Aufenthalt in der Sliph beträchtlich schärfer war als normal, konnte er sie vermutlich besser sehen als sie ihn. Und dank ebendieses geschärften Sehvermögens konnte er erkennen, dass der Mann in der Mitte ein zierliches Mädchen an seinen Körper gepresst hielt und ihr mit einer Hand den Mund zuhielt. Er konnte das Mädchen sich winden sehen. Auf der Klinge, die er ihr an den Hals presste, schimmerte das Mondlicht. »Waffen runter«, knurrte der Mann, der das Mädchen festhielt, »und ergib dich der Imperialen Ordnung, oder du bist tot.«

Richard warf das Messer so in die Luft, dass es eine halbe Drehung beschrieb, und fing es an der Spitze auf. Plötzlich stürzte ein dunkler Schatten auf den Kopf des Mannes herab; der Vogel stieß ein so durchdringendes Krächzen aus, dass der Mann zusammenzuckte. Richard nahm sich nicht die Zeit, sich über diese unerwartete Attacke zu wundern, sondern schleuderte das Messer.

Der Vogel erhob sich auf weiten Schwingen in die Lüfte, als die Klinge den Mann mit einem satten, dumpfen Geräusch mitten ins Gesicht traf. Die Klinge war so lang, dass sie das Gehirn des Mannes durchbohrte und mit der Spitze an der Rückseite des Schädels wieder austrat. Der Mann schlug hinter dem Mädchen kerzengerade auf den Boden und war tot, ehe er auch nur daran denken konnte, der Kleinen etwas anzutun. Die Männer rechts und links der Kleinen kamen nicht einmal mehr dazu, sich von der Stelle zu rühren, da entfesselte Nicci eine leise sirrende Sichel aus purer Energie, welche die beiden säuberlich enthauptete. Das einzige Geräusch, das dabei entstand, war der dumpfe Doppelschlag der beiden auf dem Boden aufprallenden Schädel. Die Körper selbst sanken rechts und links der Kleinen nieder. Bis auf das Zirpen der Zikaden herrschte wieder Stille in der Nacht.

Mit zögerlichen Schritten kam das Mädchen näher, ließ sich auf die Knie fallen und beugte sich am Rand der Stufen vor, bis ihre Stirn den Stein zu seinen Füßen berührte. »Ich bin Eure ergebene Dienerin, Lord Rahl. Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid und mich beschützt habt. Ich lebe nur, um zu dienen. Mein Leben gehört Euch. Gebietet nach Belieben über mich.«

Die Kleine hatte ihren mit zitternder Stimme vorgetragenen Spruch noch nicht ganz aufgesagt, da schwärmten Cara und Nicci bereits zu den Seiten aus und hielten nach weiteren Gefahren Ausschau. Richard legte einen Finger an die Lippen, um ihnen zu bedeuten, dass sie dabei völlig lautlos vorgehen sollten, um möglicherweise in der Nähe lagernde Truppen nicht auf sie aufmerksam zu machen. Die beiden sahen sein Zeichen und bestätigten es mit einem Nicken.

Er wartete, lauschte, ob ihnen etwas gefährlich werden konnte. Da das Mädchen ohnehin bereits am Boden lag, ließ er sie dort liegen, wo sie in Sicherheit war. Plötzlich vernahm er das Rauschen von Federn in der Luft. Der Rabe ließ sich auf einem nahem Ast nieder, und kurz darauf folgte ein leises Rascheln, als er seine Flügel zusammenfaltete.

»Die Luft ist rein«, verkündete Nicci mit leiser Stimme, als sie sich wieder aus den Schatten schälte. »Mein Han sagt mir, dass sich in der unmittelbaren Umgebung sonst niemand mehr befindet.«

Erleichtert ließ Richard die Anspannung aus seinen Muskeln weichen. Dann hörte er das Mädchen in stillem Entsetzen leise wimmern und setzte sich unmittelbar neben sie auf die oberste Treppenstufe. »Schon gut.« Sachte fasste er sie bei den Schultern und drängte sie, sich aufzurichten. »Ich tu dir nicht weh. Du bist jetzt erst einmal in Sicherheit.«

Kaum hatte sie sich aufgerichtet, zog er das völlig verängstigte Mädchen in seine Arme, drückte sie beschützend an sich und zog, als sie zu den drei Toten hinüberblickte, so als könnten sie noch immer jeden Moment aufspringen und sie ihm wieder entreißen, ihren Kopf an seine Schulter. Sie war ein zierliches, gelenkiges Ding, ein junges Mädchen an der Schwelle zur erwachsenen Frau, und doch wirkte sie so zerbrechlich wie ein gerade flügge gewordener Vogel. Vor Erleichterung weinend, schlang sie ihre dünnen Arme um Richards Hals. »Ist der Vogel ein Freund von dir?«, fragte er.

»Das ist Lokey«, bestätigte sie mit einem Nicken. »Er passt auf mich auf.«

»Nun, heute Abend hat er seine Sache jedenfalls gut gemacht.« »Ich dachte schon, Ihr würdet nicht mehr kommen, Meister Rahl. Ich dachte, ich wäre schuld daran, weil ich Euch als Priesterin nicht gut genug bin.«

Er strich ihr mit der Hand über den Hinterkopf. »Woher wusstest du denn, dass ich kommen würde?«

»Die Weissagungen haben gesagt, dass es so geschehen wird. Aber ich hab schon so lange gewartet, dass ich dachte, sie hätten sich geirrt. Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben und dachte, Ihr würdet uns vielleicht nicht als würdig befinden, und hatte Angst, ich wäre womöglich schuld daran.«

Mit diesen Weissagungen, vermutete er, war offenbar eine Art Prophezeiungen gemeint. »Du sagst, du bist Priesterin?«

Als sie darauf nickte, ein Stück zurückwich und in sein lächelndes Gesicht schaute, sah Richard, dass ihre großen, kupferfarbenen Augen hinter einer tiefdunklen, auf ihr Gesicht aufgemalten streifenförmigen Maske hervorlugten.

»Ich bin die Priesterin der Gebeine. Ihr seid zurückgekehrt, um mir zu helfen. Ich bin Eure Dienerin und dazu ausersehen, die Träume zu übertragen.«

»Zurückgekehrt ?«

»Ins Leben. Ihr seid von den Toten zurückgekehrt.«

Richard starrte sie nur verständnislos an.

Nicci hockte sich neben das Mädchen. »Was meinst du damit, er ist von den Toten zurückgekehrt?«

Das Mädchen zeigte hinter sie, auf das Gebäude, aus dem sie hervorgekommen waren. »Aus dem Totenreich zurückgekehrt zu uns, den Lebenden. Sein Name steht hier auf dem Grabstein.«

Richard drehte sich um. Tatsächlich, dort erblickte er seinen in das Monument gemeißelten Namen. Sofort musste er daran denken, dass er auch Kahlans Namen in Stein gemeißelt gesehen hatte – und beide lebten sie noch, obwohl es mit ihrem Namen gekennzeichnete Gräber gab.

Das Mädchen sah erst zu Cara, dann zu Nicci. »In den Weissagungen heißt es, dass Ihr wieder ins Leben zurückkehren werdet, aber nicht, dass Ihr Eure Schutzgeister mitbringen würdet.«

»Ich bin nicht von den Toten zurückgekehrt«, klärte er sie auf. »Ich bin durch die Sliph gekommen, aus dem Brunnen dort unten.«

Sie nickte. »Das ist der Brunnen der Toten. In den Weissagungen war von diesen rätselhaften Dingen die Rede, aber ich wusste nie, was sie bedeuten.«

»Wie soll ich dich anreden, mit ›Priesterin‹ oder mit deinem Namen?«

»Ihr seid Meister Rahl, Ihr könnt mich nennen, wie immer es Euch beliebt. Aber mein Name ist Julian. Den Namen habe ich schon mein Leben lang.«

»Also, Julian, mein Name ist Richard. Ich würde mich freuen, wenn du mich Richard nennen würdest.«

Sie nickte, noch immer diesen ehrfurchtsvollen Blick in ihren großen, runden Augen, dabei wusste er nicht einmal, ob ihre Ehrfurcht dem Meister Rahl galt oder einem zu den Lebenden zurückgekehrten Toten, der soeben aus seinem Grab gestiegen war.

»Jetzt pass mal auf, Jillian, über deine Weissagungen weiß ich überhaupt nichts, jedenfalls noch nicht, aber eins musst du verstehen, ich bin nicht von den Toten zurückgekehrt. Ich bin hierher gereist, weil ich in Schwierigkeiten stecke und weil ich auf der Suche nach Antworten bin.«

»Die Schwierigkeiten habt Ihr ja nun gefunden, Ihr habt gerade drei von ihnen getötet. Und die Antwort lautet: Ihr müsst mir helfen, die Träume zu übertragen, damit wir diese bösen Männer verjagen können. Sie haben den größten Teil unseres Volkes in die Verstecke getrieben. Die Älteren sind dort unten.« Sie wies den dunklen Hang hinab. »Sie zittern vor Angst, dass diese Männer sie töten könnten, wenn sie nicht finden, was sie suchen.«

»Und was suchen sie?«

»Das weiß ich nicht genau. Ich hatte mich bei den Seelen unserer Vorfahren versteckt. Die Männer müssen dort unten jemanden gezwungen haben, ihnen von mir zu erzählen, denn als sie mich heute endlich gefangen nahmen, kannten sie meinen Namen. Eine ganze Weile hab ich verhindern können, dass ich ihnen in die Hände fiel, aber heute haben sie mir an einer Stelle aufgelauert, wo ich einen kleinen Lebensmittelvorrat versteckt hatte. Die Männer haben mich gepackt und wollten, dass ich ihnen zeige, wo die Bücher sind.«

»Dies sind keine regulären Truppen der Imperialen Ordnung«, befand Nicci, als sie seine fragend gerunzelte Stirn bemerkte. »Sie gehören zu einer Vorhut aus Kundschaftern.«

Richards Blick wanderte hinüber zu den Toten. »Woher wollt Ihr das wissen?«

»Reguläre Truppen der Imperialen Ordnung würden einen niemals auffordern, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben, nur Späher, die Wege durch ihnen unbekanntes Land suchen und dabei alles an Informationen zusammenzutragen versuchen, was sie nur finden können, würden Gefangene machen. Sie verhören die Leute, und wer nicht redet, wird zur Truppe verbracht, um dort gefoltert zu werden. Diese Späher sind es, die als Erste die geheimen Verstecke der Bücher finden, die anschließend zusammengetragen werden, um sie Kaiser Jagang vorzulegen. Späher wie diese haben nicht nur die Aufgabe, Marschrouten für die Truppen auszukundschaften, sie sollen auch etwas für den Kaiser sehr viel Wichtigeres aufspüren: Informationen nämlich, vor allem solche, die in Büchern enthalten sind.«

Er wusste nur zu gut, wie zutreffend das war. Jagang, so schien es, war ein Experte für Geschichte, für die Taten und Errungenschaften früherer Zeiten. Richard konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er ständig Dinge in Erfahrung zu bringen versuchte, die Jagang längst bekannt waren. »Und, haben diese Männer schon irgendwelche Bücher gefunden?«, fragte Richard Julian. Sie blinzelte ihn aus ihren kupferfarbenen Augen an. »Mein Großvater hat immer von irgendwelchen Büchern erzählt, aber gesehen hab ich hier noch keine. Die Stadt ist schon seit langer Zeit verlassen. Wenn es hier Bücher gegeben hätte, wären sie bestimmt schon längst als Diebesbeute fortgeschleppt worden, wie alle anderen Wertgegenstände auch.«

Das war nicht das, was Richard zu hören gehofft hatte, denn natürlich hatte er erwartet, hier auf irgendeinen konkreten Hinweis zu stoßen, der ihm helfen würde, eine Antwort auf seine Fragen zu finden. Shota hatte schließlich davon gesprochen, er müsse die Stätte der Gebeine im Herzen der Leere finden, und diese Bezeichnung traf auf den Friedhof, auf dem er jetzt stand, ganz gewiss zu. »Dieser Ort wird Herz der Leere genannt?«, wandte er sich erneut an Julian. Sie nickte. »Es ist ein unermesslich weites Land, in dem es kaum Leben gibt. Niemand außer meinem Volk ist in der Lage, diesem verlassenen Landstrich das bisschen abzuringen, was man zum Leben braucht. Die Gegend ist seit jeher so gefürchtet, dass sich kaum jemand hierher wagt, und wer es dennoch tut, dessen Knochen liegen jetzt hier, oder dort draußen, weiter südlich, vor der Großen Barriere. Das Land wird Herz der Leere genannt.«

Richard dämmerte, dass dies eine Gegend ganz ähnlich der Wildnis in den Midlands sein musste. »Die Große Barriere?«, hakte Cara sofort misstrauisch nach.

Julian sah hoch zu der Mord-Sith. »Die Große Barriere, die uns vor der Alten Welt schützt.«

»Demnach müsste dieser Ort im Süden D’Haras liegen«, erklärte sie an Richard gewandt. »Und aus demselben Grund habe ich als Kind auch häufiger Geschichten über Caska gehört – weil es in D’Hara liegt.«

Jillian streckte die Hand aus. »Hier, an diesem Ort, haben meine Vorfahren gelebt. Sie sind damals, vor langer Zeit, von den Eindringlingen aus der Alten Welt ausgelöscht worden. Sie waren auch Menschen, die Träume übertragen konnten.«

»Hast du je den Begriff ›Feuerkette‹ gehört?«

Auf Julians Stirn erschien eine tiefe Furche. »Nein. Was soll das denn sein?«

»Eben das weiß ich ja nicht.« Er tippte seinen Finger gegen die Unterlippe, während er darüber nachdachte, wie er weiter vorgehen sollte.

»Richard«, unterbrach Jillian seine Gedanken, »Ihr müsst mir helfen, die Träume zu übertragen, die diese Männer vertreiben werden, damit mein Volk wieder in Sicherheit leben kann.«

Richard schaute hoch zu Nicci. »Irgendeine Idee, wie sich das bewerkstelligen ließe?«

»Nein. Aber eins garantiere ich dir, früher oder später werden die anderen kommen und nach diesen drei toten Kundschaftern suchen, das sind keine typischen Soldaten der Imperialen Ordnung. Auch wenn es brutale Rohlinge sein mögen, so gehören sie gewiss zu den Intelligentesten unter ihnen. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass diese Übertragung von Träumen etwas ist, wozu deine Gabe nötig wäre ... und die hier zu gebrauchen wäre alles andere als ratsam«, setzte sie hinzu.

Richard erhob sich und starrte hinüber zu der in Dunkelheit gehüllten, auf der Landzunge liegenden Stadt. »Suche das, was lange begraben ist...«, murmelte er leise bei sich. Er wandte sich wieder herum zu Jillian. »Du sagtest, du seist eine Priesterin der Gebeine. Du musst mir alles zeigen, was du über diese Gebeine weißt.«

Jillian schüttelte den Kopf. »Zuerst müsst Ihr mir helfen, die Träume zu übertragen, damit ich die Fremden verjagen kann und mein Großvater und die anderen aus unserem Volk wieder in Sicherheit sind.«

Richard stieß einen verzweifelten Seufzer aus. »Schau, Julian, ich habe nicht den leisesten Schimmer, wie ich dir helfen soll, irgendwelche Träume zu übertragen, außerdem fehlt mir die Zeit zu überlegen wie das gehen soll, aber ich könnte mir denken, dass es, wie Nicci sagte, irgendetwas mit Magie zu tun hat, und die kann ich auf keinen Fall anwenden, denn es wäre sehr gut möglich, dass dadurch eine Bestie herbeigerufen würde, die imstande wäre, dein ganzes Volk zu vernichten. Die Bestie hat schon viele meiner Freunde umgebracht, nur weil sie sich zufällig in meiner Nähe befanden. Du musst mir zeigen, was du über das weißt, was lange begraben liegt.«

Julian wischte sich ihr tränenverschmiertes Gesicht ab. »Diese Männer haben meinen Großvater und einige andere in ihrer Gewalt. Sie werden ihn bestimmt töten, ihn müsst Ihr also zuerst retten. Außerdem ist er ein Erzähler. Er weiß viel mehr als ich.«

Richard, der sich nicht vorzustellen vermochte, wie ihm zumute wäre, wenn sich jemand, den er für übermächtig hielt, weigern würde, ihm bei der Rettung seines Großvaters zu helfen, legte ihr eine Hand auf die Schulter, um sie zu beschwichtigen.

Dann hatte Nicci eine Idee. »Ich bin eine Hexenmeisterin, Julian. Ich weiß so ziemlich alles über diese Männer und ihre Methoden. Ich weiß, wie man mit ihnen umspringen muss. Du wirst jetzt erst einmal Richard helfen, und während du das tust, werde ich dort hinuntergehen und dafür sorgen, dass wir diese Männer loswerden. Wenn ich damit fertig bin, können sie dir und deinem Volk nicht mehr gefährlich werden.«

»Wenn ich Richard helfe, werdet Ihr meinem Großvater helfen?« Nicci lächelte. »Versprochen.« Julian schaute hoch zu Richard.

»Nicci wird ihr Wort halten«, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage. »Also gut. Ich werde Richard alles zeigen, was ich über diesen Ort weiß, solange Ihr nur diese Männer dazu bringt, uns in Ruhe zu lassen.«

»Cara«, sagte Richard, »Ihr werdet Nicci begleiten und ihr den Rücken freihalten.«

»Und wer hält Euren frei?«

Richard stemmte seinen Stiefel auf den Kopf des Mannes, den er getötet hatte, und riss mit einem kräftigen Ruck sein Messer heraus. »Das wird Lokey übernehmen.«

Cara schien nicht eben begeistert. »Ein Rabe soll Euch den Rücken freihalten?«

Er wischte die Klinge am Hemd des Mannes ab, dann schob er das Messer wieder zurück in die Scheide an seinem Gürtel. »Die Priesterin der Knochen wird auf mich aufpassen, schließlich hat sie die ganze Zeit hier ausgeharrt und darauf gewartet, dass ich komme. Nicci ist weitaus gefährdeter als ich, deshalb wüsste ich es sehr zu schätzen, wenn Ihr ein Auge auf sie haben könntet.«

Cara sah zu Nicci hinüber, als würde ihr in diesem Moment der größere Zusammenhang klar. »Wenn Ihr es verlangt, werde ich sie beschützen, Lord Rahl.«

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