41

»Eine Blutbestie?«, wiederholte Richard.

Cara trat dicht neben ihn. »Was soll denn das nun wieder sein?«

Shota holte tief Luft, ehe sie zu ihrer Erklärung ansetzte. »Nun, es handelt sich nicht mehr einfach nur um eine Bestie, die, wie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, mit der Unterwelt verbunden ist, denn durch eine Unachtsamkeit hat sie eine Kostprobe deines Blutes bekommen, Richard. Schlimmer noch, sie hat diese Kostprobe mithilfe subtraktiver Magie erhalten – einer Magie, die ebenfalls mit der Unterwelt verbunden ist. Erst dieser Vorfall hat sie zur Blutbestie gemacht.«

»Und ... was heißt das nun?«, wollte Cara wissen.

Shota beugte sich näher und senkte die Stimme, bis sie kaum mehr war als ein Flüstern. »Es bedeutet, dass sie jetzt ungemein viel gefährlicher ist.« Als sie sicher war, die beabsichtigte Wirkung erzielt zu haben, richtete sie sich wieder auf. »Ich bin wahrlich keine Expertin für alte, während des Großen Krieges geschaffene Waffen, aber ich glaube, wenn eine solche Bestie erst einmal auf diese Weise vom Blut ihres Opfers gekostet hat, ist es völlig unmöglich, sie jemals wieder zur Umkehr zu bewegen.«

»Na schön, sie wird also niemals aufgeben.« Richard legte seine Hand auf das Heft seines Schwertes. »Was könnt Ihr mir sagen, das mir helfen würde, sie zu töten oder sie wenigstens aufzuhalten oder in die Unterwelt zurückzuschicken? Was genau tut diese Bestie, und woher weiß sie, dass ich ...«

»Nein, nein.« Shota machte eine abwiegelnde Handbewegung. »Du versuchst sie dir vorzustellen als eine ganz gewöhnliche Gefahr, die dir überall auflauern könnte. Du versuchst, ihr ein Wesen zu geben, ihr ein eindeutiges, charakteristisches Verhalten zuzuschreiben, aber so etwas besitzt sie nicht. Das ist ja gerade das Besondere an dieser Bestie – das Fehlen einer typischen Charakteristik, eines Wesens. Oder jedenfalls eines Wesens, mit dem man etwas anfangen könnte, da ihr Wesen sich eben gerade dadurch auszeichnet, dass sie keines hat. Deshalb ist ihr Tun vollkommen unvorhersehbar.«

»Das ergibt doch keinen Sinn.« Richard verschränkte die Arme und fragte sich im Stillen, ob Shotas Wissen über diese Bestie tatsächlich so umfassend war, wie sie behauptete. »Ihr Tun muss doch einer bestimmten Charakteristik unterliegen. Ihr Verhalten muss bestimmten Normen folgen, die wir nach und nach verstehen lernen und schließlich vorhersehen können. Die gilt es eben herauszufinden. Ein absolut wesenloses Wesen ist einfach nicht vorstellbar.«

»Begreifst du nicht, Richard? Du versuchst gleich von Anfang an, diese Bestie zu verstehen. Meinst du nicht, Jagang weiß, dass du genau das versuchen würdest, um sie letztendlich besiegen zu können? Hast du dich ihm gegenüber nicht schon früher so verhalten? Er hat dein Wesen durchschaut und hat, um dich zu bekämpfen, eine Waffe geschaffen, die aus ebendiesem Grund kein Wesen besitzt. Du bist der Sucher, mit anderen Worten, du suchst Antworten auf die Frage nach dem Wesen von Menschen, Dingen und Situationen so wie dies mal mehr, mal weniger alle Menschen tun. Besäße die Blutbestie ein bestimmtes Wesen, könnte man ihre Handlungsweise erkennen und schließlich verstehen, und ist dies erst in ausreichendem Umfang geschehen, könnte man Vorsichtsmaßnahmen treffen und Pläne zu ihrer Bekämpfung ersinnen. Die Entschlüsselung seines Wesens ist die unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Gegenwehr. Aus genau diesem Grund besitzt diese Bestie kein Wesen – damit dir all diese Mittel verwehrt sind.«

Richard fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und sagte noch einmal: »Das ergibt doch keinen Sinn.«

»Soll es auch nicht. Auch das ist Teil ihrer Charakteristik – dass sie eben keine hat. Diese bewusste Unsinnigkeit hat den alleinigen Zweck, jegliche Gegenwehr deinerseits zu vereiteln.«

»Ich bin derselben Meinung wie Lord Rahl«, warf Cara ein. »Sie muss trotzdem über irgendein Wesen verfügen, eine bestimmte Art, zu handeln und zu reagieren. Selbst Menschen, die sich wegen ihrer Unberechenbarkeit für besonders schlau halten, gewöhnen sich, ohne es selbst zu merken, ein bestimmtes Verhaltensmuster an. Diese Bestie kann nicht einfach mal hierhin und mal dorthin laufen und darauf hoffen, Lord Rahl im Schlaf zu überraschen.«

»Um zu verhindern, dass sie verstanden und somit unschädlich gemacht werden kann, ist diese Bestie ganz bewusst als ein Geschöpf des Chaos erschaffen worden. Sie wurde geschaffen, um dich anzugreifen und zu töten, aber ihr Auftrag geht darüber hinaus, denn für das Erreichen dieses Ziels bedient sie sich Mitteln, die sich jeder Gesetzmäßigkeit verweigern.« Wieder raffte Shota einen flatternden Zipfel ihres Kleides auf, dann fuhr sie fort. »Wenn sie heute mit Krallen angreift, spuckt sie morgen Gift. Am nächsten Tag könnte sie sengende Flammen verwenden, oder aber sie streckt ihr Opfer mit einem Hieb nieder oder schlägt ihre Reißer in dich. Ihre Attacken unterliegen allein dem Zufall, denn sie entscheidet sich nicht aufgrund von Untersuchungen, früheren Erfahrungen oder der gegebenen Situation für eine bestimmte Vorgehensweise.«

Richard fasste seinen Nasenrücken zwischen Daumen und Zeigefinger und dachte über ihre Erklärung nach. Bisher deutete alles darauf hin, dass Shota Recht hatte, zumindest insoweit, als sämtliche Attacken kein erkennbares Muster hatten erkennen lassen, sondern auf höchst unterschiedliche Weise erfolgt waren – so unterschiedlich, dass sie sich schon gefragt hatten, ob es überhaupt dieselbe Bestie war, die es, Niccis warnenden Worten zufolge, auf ihn abgesehen hatte. »Aber Lord Rahl ist dieser Bestie doch schon mehrfach entkommen. Damit wäre doch bewiesen, dass man sie täuschen kann.«

Schon bei dem Gedanken, dem eine kindlich naive Vorstellung zugrunde lag, musste Shota schmunzeln. Schlendernd entfernte sie sich einige Schritte, ehe sie zurückkehrte, in Gedanken ganz in das Problem vertieft. Die leicht gekräuselte Stirn verriet Richard, dass ihr eine stichhaltigere Erklärung eingefallen war. »Betrachte diese Blutbestie einmal so, als wäre sie Regen«, begann sie. »Und dann stell dir vor, du würdest gerne vom Regen verschont bleiben – so wie du verhindern möchtest, von der Blutbestie erwischt zu werden. Es ist also dein Ziel, trocken zu bleiben. Heute hast du vielleicht ein Dach über dem Kopf, wenn der Regen kommt, also wird der Regen dich verschonen. An einem anderen Tag zieht der Regen auf der anderen Seite des Tales auf, sodass du wiederum nicht nass wirst. An wieder einem anderen Tag wirst du dich vielleicht entscheiden, eine Reise aufzuschieben, ehe der Regen niedergeht, und eines schönen Tages könnte es sogar sein, dass du, wenn Regen aufkommt, eine Straße entlanggehst, er jedoch nur auf das Feld zu deiner Rechten fällt, die Straße selbst und das Feld links von dir aber trocken bleiben. In allen diesen Fällen hat dich der aufs Geratewohl fallende Regen verfehlt, und du bist trocken geblieben – sei es, weil du entsprechende Vorkehrungen getroffen hattest, wie zum Beispiel, das Haus nicht zu verlassen, oder aber rein zufällig. Nun wirst du dich angesichts der Häufigkeit von Regen aber kaum der Tatsache verschließen können, dass du irgendwann nass werden wirst.

Du könntest also zu dem Schluss gelangen, dass es auf lange Sicht das Klügste wäre, ein gewisses Verständnis dafür zu entwickeln, womit du es eigentlich zu tun hast. Also wirst du, zum besseren Verständnis deines Gegners, den Himmel beobachten und den Regen vorherzusagen lernen – was es dir ermöglicht, bei drohendem Regen das Haus nicht zu verlassen und trocken zu bleiben. Deine Kenntnisse über die Möglichkeiten der Wettervorhersage waren also, könnte man meinen, der Garant für deinen Erfolg.«

Shotas aufmerksame alterslose Augen erfassten Cara, ehe sie sich so voller Energie auf Richard richteten, dass ihm fast die Luft wegblieb. »Früher oder später aber«, fuhr sie mit einer Stimme fort, die ihm ein Frösteln die Wirbelsäule hinaufkriechen ließ, »wird der Regen dich erwischen. Sei es, indem er dich völlig überrascht, oder aber, weil du aufgrund deiner Vorhersage der Meinung warst, noch genügend Zeit zu haben, rechtzeitig Schutz zu suchen, er dann aber mit einer Plötzlichkeit losbricht, die du schlechterdings nicht für möglich gehalten hättest. Oder aber er erwischt dich überraschend, weil du dich an einem Tag, an dem deiner Ansicht nach nicht die geringste Chance auf Regen bestand, zu weit von jedem Unterschlupf entfernt hast. Im Ergebnis ist es immer das Gleiche: Wäre es statt des Regens die Blutbestie, wärst du nicht nass, sondern tot.

Letztendlich also wird dir dein Vertrauen in die Fähigkeit, den Regen vorherzusagen, zum Verhängnis werden, denn auch wenn du mitunter durchaus in der Lage sein magst, ihn zuverlässig vorherzusagen, eine wirklich verlässliche Vorhersage aufgrund der dir zugänglichen Informationen oder auch deiner Fähigkeit, die dir vorliegenden Informationen zu deuten, ist nicht möglich. Und je öfter du ihm entgehst, desto mehr wird dein trügerisches Selbstvertrauen gestärkt und desto anfälliger wirst du für Überraschungen. All deine Bemühungen, dich mit dem Wesen des Regens vertraut zu machen, werden – selbst wenn du mit einer ganzen Reihe von Vorhersagen richtig gelegen haben magst – letztendlich scheitern, weil die Informationen, die zu erfolgreichen Vorhersagen geführt haben, nicht immer maßgeblich sind. Die Folge ist, irgendwann – und zwar, wenn du es am wenigsten erwartest – wird sich der Regen unbemerkt anschleichen und dich von Kopf bis Fuß durchnässen.«

Richard fiel Caras besorgte Miene auf, doch er sagte nichts.

»Exakt so verhält es sich mit dieser Blutbestie«, erklärte Shota mit abschließender Endgültigkeit. »Sie besitzt kein Wesen, eben damit du ihr Verhalten nicht anhand irgendwelcher Muster vorausberechnen kannst.«

Erschöpft wischte sich Richard mit der Hand durchs Gesicht. »Für mich ergibt das alles noch immer keinen Sinn. Wie ist ein solches Verhalten möglich? Wenn es sich um eine Bestie, also ein Lebewesen handelt, muss es von irgendeiner Absicht angetrieben werden. Irgendetwas muss es doch zum Handeln bewegen.«

»Oh ja, durchaus, von dem Verlangen, dich zu töten. Sie wurde als ein Wesen erschaffen, das in seinem Tun vollkommen chaotisch ist, sodass man ihm unmöglich etwas entgegensetzen kann. Man könnte sagen, du hast dich als so schwieriger Gegner erwiesen, dass Jagang gezwungen war, etwas zu ersinnen, das durch Umgehung deiner beeindruckenden Begabungen funktioniert, statt sie zu übertreffen.«

»Aber wenn die Bestie geschaffen wurde, um mich zu töten, dann hat sie doch ein Ziel.«

Shota zuckte mit den Achseln. »Wohl wahr, nur wird dir diese eine Information nicht helfen, exakt vorherzusagen, wie, wann oder wo sie einen dementsprechenden Versuch unternehmen wird. Wie du mittlerweile begriffen haben solltest, sind ihre Handlungen hinsichtlich dieses Ziels dem Zufall überlassen. Die Gefährlichkeit dieser Taktik liegt auf der Hand.«

»Aber Ihr seid doch eine Hexe«, warf Cara ein. »Ihr könnt ihm doch bestimmt einen Hinweis geben, der ihm hilft, sich gegen diese Bestie zu wehren.«

»Meine Talente gehen zum Teil auf die Fähigkeit zurück, Ereignisse im Fluss der Zeit zu sehen, man könnte sagen: zu sehen, wohin sie sich bewegen. Da die Blutbestie aber in ihrem Handeln unvorhersehbar ist, vermag ich sie mit meiner Fähigkeit, Vorhersagen zu treffen, nicht zu erfassen. In gewisser Weise steht diese Fähigkeit in enger Verbindung mit den Prophezeiungen. Auch Richard ist jemand, der für die Prophezeiungen nicht recht greifbar ist, er ist ein Mann, dessen Tun von anderen oft als frustrierend unberechenbar empfunden wird – wie die Mord-Sith zweifellos herausgefunden haben. Deshalb kann ich ihm hinsichtlich der Bestie keinen Rat geben, der sich auf mögliche Ereignisse oder Dinge bezieht, die er unbedingt vermeiden sollte.«

»Demnach wären also auch die Bücher der Prophezeiungen nutzlos?«, fragte Richard. »So wie auch ich sind alle Prophezeiungen blind gegen diese Bestie. Die Prophezeiungen können eine Blutbestie ebenso wenig erkennen, wie sie ein ausschließlich den Gesetzen des Chaos unterworfenes, zufälliges Ereignis erkennen können. Eine Prophezeiung mag imstande sein vorherzusagen, dass eine bestimmte Person am Morgen eines regnerischen Tages von einem Pfeil getroffen wird, aber weder vermag sie jeden einzelnen Regentag vorherzusagen, noch kann sie benennen, an welchem der Tage, an denen es regnet, dem Regen ein Pfeil vorausgehen wird. Das hieße also, die Prophezeiungen können bestenfalls vorhersagen, dass es früher oder später regnen wird und du dann nass werden wirst.«

Richard nickte, wenn auch sichtlich widerstrebend. »Ich muss gestehen, das deckt sich weitgehend mit meiner Ansicht über Prophezeiungen – sie können zwar vorhersagen, dass am nächsten Tag die Sonne aufgeht, nicht aber, was man mit diesem Tag anfangen wird.«

Er betrachtete sie missmutig. »Mit anderen Worten, Ihr könnt mir nichts über das künftige Verhalten dieser Bestie sagen, weil Euer Talent auf den Fluss der Zeit beschränkt ist.« Als sie daraufhin nickte, fragte er: »Wie kommt es dann, dass Ihr so viel über sie zu wissen scheint?«

»Der Strom der Ereignisse im Fluss der Zeit ist nicht mein einziges Talent«, lautete ihre recht rätselhafte Erwiderung.

Richard, der nicht mit ihr streiten wollte, seufzte nur. »Das ist also alles, was Ihr mir sagen könnt.«

Shota nickte. »Das ist alles, was ich dir über die Blutbestie und die Bedeutung, die ein solches Wesen für dich hat, sagen kann. Immer vorausgesetzt, sie überlebt, wird sie dich früher oder später erwischen. Wegen ihrer Unvorhersehbarkeit lässt sich allerdings nicht einmal dieser Ausgang mit Sicherheit vorhersagen. Wann, wo und wie bald sie dich erwischen wird, kann niemand wissen. Es könnte schon heute sein, aber ebenso gut könntest du, nach meinen Kenntnissen, längst an Altersschwäche gestorben sein, ehe es ihr gelingt, dich aufzuspüren und zu töten.«

»Na, wenigstens besteht diese Möglichkeit auch«, murmelte Richard. »Das ist nicht eben viel, um seine Hoffnungen darauf zu setzen«, erwiderte sie in verständnisvollem Ton. »Zeit deines Lebens, Richard, solange Blut in deinen Adern fließt, wird die Blutbestie Jagd auf dich machen.«

»Wollt Ihr damit andeuten, sie findet mich über mein Blut? So wie ein Herzhund einen Menschen über das Geräusch seines schlagenden Herzens aufspüren kann?«

Sie hob eine Hand, als wollte sie den Gedanken bereits im Keim ersticken. »Nun, sie hat in gewisser Weise von deinem Blut gekostet, nur ist dein Blut, so wie du es verstehst, nicht das, was für diese Bestie von Bedeutung ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, welche Wahrnehmung sie mit dieser Kostprobe verbindet, nämlich die deiner Abstammung.

Von deiner Existenz wusste sie auch vorher schon, schließlich hatte sie auch früher schon Jagd auf dich gemacht. Die allererste Anwendung deiner Gabe genügte, um sie für alle Ewigkeit an dich zu ketten. Was sie gespürt und letztendlich bewogen hat, sich zu verändern, ist die in deinem Blut enthaltene Gabe.«

Richard hatte so viele Fragen, dass er nicht wusste, wo er anfangen sollte, also begann er mit der, die seiner Ansicht nach am leichtesten verständlich sein müsste. »Inwiefern ist sie mit der Unterwelt verbunden? Gibt es einen bestimmten Grund dafür?«

»Mehrere, soweit mir bekannt ist. Die Unterwelt ist ewig. In der Ewigkeit ist Zeit bedeutungslos, somit hat Zeit auch für die Bestie keinerlei Bedeutung. Demzufolge steht sie bei dem Versuch, dich zu töten, nicht unter Zeitdruck. Zeitdruck wiederum würde ihrem Tun eine bewusste Absicht, eine Zielgerichtetheit verleihen, die ihr so etwas wie ein Wesen geben würde. Es ist keineswegs so, dass sie bei jedem Sonnenuntergang den Drang verspürt, ihre Mission endlich zum Abschluss zu bringen. Für sie ist ein Tag wie der andere, ihre Tage ziehen sich in endloser Folge dahin.

Weil ihr aber jedes Zeitgefühl abgeht, bedarf es keines Wesens. Für alle Lebewesen ist Zeit ein Teil dessen, was ihnen Bedeutung verleiht, sie ist das Element, welches das Wesen aller Dinge gestalten hilft. Selbst eine Motte, die für ihr beflügeltes Leben von gerade mal einem Tag Dauer aus ihrem Kokon schlüpft, muss sich während dieses einen Tages paaren und Eier ablegen, oder es wäre das Ende ihrer Art. Die Blutbestie dagegen unterliegt nicht dem Einfluss der Zeit. Ein wesentliches Element ihrer Veranlagung ist die Ewigkeit der Unterwelt, die im Widerspruch zum Gedanken der Schöpfung steht, da die Unterwelt die Vernichtung der Schöpfung ist. Diese Mischung, dieser innere Konflikt, ist Bestandteil jenes Antriebsmechanismus, der ihr Handeln so chaotisch macht. Als Nicci subtraktive Magie verwendete, um das Blutgerinnsel aus deinem Körper zu entfernen, erhielt die Bestie über seine Wurzeln in der Unterwelt eine Kostprobe von dir, oder präziser, eine gewisse Dosis deiner Magie.

Nun ist in deinem Blut sowohl additive als auch subtraktive Magie enthalten. Die Bestie wurde so erschaffen, dass sie dich anhand deiner Essenz, nämlich der Magie, erkennen kann, was es ihr ermöglichte, die üblichen Grenzen zwischen den Welten zu überschreiten. Sie war darauf angewiesen, dass du erst einmal Magie benutzt, um Verbindung mit dir aufnehmen zu können, eine Verbindung, die es ihr ermöglichte, Jagd auf dich zu machen. Doch mit der Kostprobe deines Blutes taten sich auf einmal ganz neue Möglichkeiten für sie auf, dich zu erkennen.

Denn was die Bestie in diesem Moment zu schmecken bekam, war die einzigartige in deinem Blut enthaltene Magie, wie sie dir von Zedds und von Darken Rahls Seite vererbt worden ist. Diese Kostprobe war es schließlich, die die Mutation der von Jagangs Günstlingen erschaffenen Bestie bewirkte. Sie nimmt nicht etwa das Blut selbst wahr, sondern sie spürt die Elemente der ihm innewohnenden Magie. Aus diesem Grund wird jede Verwendung von Magie die Bestie anlocken und sie zunehmend gefährlich machen, denn von nun an kann sie jede Verwendung deiner Magie überall auf der Welt aufspüren. Die Magie eines Menschen ist einzigartig, und deine ist der Bestie jetzt bekannt. Deswegen darfst du unter keinen Umständen Gebrauch von deiner Gabe machen. Es war Nicci, die der Bestie gegeben hat, was sie wirklich benötigte – kurz nachdem sie durch deinen ersten Gebrauch deiner Gabe zum Leben erweckt worden war. Schon möglich, dass sie es getan hat, um dir das Leben zu retten, schon möglich, dass sie keine andere Wahl hatte, aber getan hat sie es. Jede Anwendung deiner Magie vermag die Blutbestie von jetzt an noch müheloser auf deine Spur zu locken. Fast hat es den Anschein, als hätte Nicci mit ihrer Tat in gewisser Hinsicht ihren Eid als Schwester der Finsternis erfüllt.«

Mittlerweile sträubten sich die Härchen in Richards Nacken. Nur zu gern hätte er einen Weg gewusst, Shota zu widerlegen, hätte er einen Riss in dem schier undurchdringlichen Panzer dieses Ungeheuers gefunden, dem sie in seiner Vorstellung Gestalt verliehen hatte.

»Aber die Bestie hat mich angegriffen, als ich gar keine Magie benutzte. Erst heute Morgen hat sie unser Lager überfallen, auch da habe ich keine Magie benutzt.«

Shota bedachte ihn mit einem jener Blicke, die ihm augenblicklich das Gefühl gaben, hoffnungslos unwissend zu sein. »Aber du hast heute Morgen Magie benutzt.«

»Nein«, beharrte er. »Da hab ich doch noch geschlafen. Wie hätte ich da Magie ...«

Er ließ den Satz unbeendet. Sein Blick wanderte hinüber zu den fernen Hügeln des Tals und dem dahinter liegenden Gebirge. Er erinnerte sich, wie er aufgewacht war und ihn diese entsetzliche Erinnerung an den Morgen von Kahlans Verschwinden überkommen hatte und wie er plötzlich gemerkt hatte, dass er das Heft seines Schwertes in der Hand hielt, die Klinge bereits halb aus der Scheide. Und dann fiel ihm ein, wie die verstohlene Magie des Schwertes durch seinen Körper geströmt war. »Aber das war die Magie des Schwertes«, wandte er ein. »Sicher, ich hatte das Schwert in der Hand, aber das war nicht meine Magie.«

»Es war sehr wohl deine Magie«, beharrte Shota. »Wenn man das Schwert der Wahrheit benutzt, ruft dies dessen Magie auf den Plan, die sich dann mit deiner Gabe – deiner Magie – verbindet, die wiederum von der Blutbestie erkannt wird. Die Magie des Schwertes ist jetzt ein Teil von dir, und sie zu benutzen birgt das Risiko, die Bestie auf den Plan zu rufen.«

Auf einmal fühlte sich Richard von allen Seiten bedrängt und all seiner Handlungsmöglichkeiten beraubt. Es war, als hätte man ihm die Fähigkeit genommen, überhaupt etwas gegen die Gefahr zu tun, die ihn zu überwältigen drohte. Es war dem Gefühl von vor zwei Tagen nicht unähnlich, als er aufgewacht war und sich plötzlich in einer sich immer enger zusammenziehenden Falle wieder gefunden hatte. »Aber das Schwert wird mir helfen, mich gegen sie zu wehren. Ich kenne mich im Gebrauch meiner Gabe nicht aus, das Schwert ist das Einzige, auf das ich wirklich zählen kann.«

»Es ist nicht auszuschließen, dass es dich in einigen Fällen tatsächlich retten könnte.«

Er merkte, dass er das Heft des Schwertes der Wahrheit so fest umklammert hielt, dass die erhabenen Buchstaben des Wortes WAHRHEIT in seine Handfläche schnitten. Gleichzeitig konnte er deutlich spüren, wie der Zorn des Schwertes nachdrücklich und verstohlen von ihm Besitz ergriff, um ihn vor der Gefahr zu beschützen. Er löste die Hand so rasch vom Heft, als hätte er sich verbrannt, und fragte sich, ob dessen Magie seine eigene ausgelöst und er die Blutbestie bereits herbeigerufen hatte, ohne überhaupt zu merken, was er tat. Shota verschränkte die Hände. »Da ist noch etwas.«

Richard richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Hexe. »Großartig, was denn noch?«

»Ich war es nicht, die diese Bestie erschaffen hat, Richard, ich bin für die Gefahr, die sie für dich darstellt, nicht verantwortlich.«

Er winkte entschuldigend ab. »Nein, tut mir Leid. Ich weiß ja, es ist nicht Eure Schuld. Schätze, das ist alles nur ein bisschen viel für mich. Bitte, sprecht weiter, was wolltet Ihr gerade sagen?«

»Obwohl die Bestie es sofort spürt, wenn du Gebrauch von deiner Magie machst, kann es durchaus sein, dass sie aus einem unerfindlichen Grund nicht gleich reagiert, sondern erst beim nächsten Mal zuschlägt. Du darfst dich dadurch also nicht in Sicherheit wiegen lassen.«

»Das habt Ihr mir doch bereits erklärt.«

»Richtig, aber offenbar hast du die volle Tragweite dessen, was ich sage, bislang noch nicht erfasst. Du musst dir darüber im Klaren sein, dass die Bestie mit jedem Gebrauch der Magie sozusagen eine Witterung deines Blutes erhält.«

»Ich sagte es schon: Das habt Ihr mir bereits erklärt.«

»Das bedeutet, absolut jeder Gebrauch deiner Gabe.« Als er sie darauf mit leerem Blick anstarrte, tippte sie ihm ungeduldig mit dem Finger an die Stirn. »Denk nach.«

Als er noch immer nicht begriff, setzte sie hinzu: »Das schließt auch die Prophezeiungen ein.«

»Die Prophezeiungen? Was soll das heißen?«

»Eine Prophezeiung wird von Zauberern abgegeben, die im Besitz der entsprechenden Gabe sind. Ein gewöhnlicher Mensch, der eine Prophezeiung liest, sieht nichts weiter als die Worte, ja, selbst die Schwestern des Lichts, die sich doch selbst für Hüterinnen der Prophezeiungen halten, sehen die Prophezeiungen nicht in ihrem eigentlichen Zustand. Du bist ein Kriegszauberer, was aber im Grunde nichts weiter bedeutet, als dass deine Gabe eine Vielzahl verborgener Talente beinhaltet. Und dazu gehört eben auch, dass du fähig bist, dich der Prophezeiungen zu bedienen – indem du sie ihrer ursprünglichen Absicht entsprechend verstehst. Begreifst du jetzt? Siehst du, wie leicht es ist, unwissentlich von deiner Gabe Gebrauch zu machen? Dabei kommt es gar nicht darauf an, wie du es tust – ob du dein Schwert benutzt, ob du kraft deiner Gabe jemanden heilst oder einen Blitz vom Himmel rufst –, das ist vollkommen egal; du wirst stets die Bestie auf den Plan rufen.«

Richard konnte es kaum fassen. »Wollt Ihr damit etwa andeuten, wenn ich einfach nur jemanden heile oder mein Schwert ziehe, macht das die Bestie bereits auf mich aufmerksam?«

»So ist es. Wahrscheinlich sogar noch im selben Moment, denn mittlerweile kennt sie deinen Aufenthaltsort. Da sie nun mal im Wesentlichen subtraktiv ist, existiert sie nur teilweise in dieser Welt, woraus folgt, dass die Bestie, obschon Dinge wie Entfernung oder Hindernisse sie nicht aufhalten, in dieser Welt nicht ohne weiteres funktioniert. Sie ist nicht fähig, die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt, wie zum Beispiel die Zeit, in vollem Umfang zu begreifen. Dennoch ermüdet sie niemals, wird sie niemals träge, zornig oder ungeduldig. Aber all das soll keineswegs den Eindruck entstehen lassen, dass die Bestie ausnahmslos immer auf den Gebrauch deiner Gabe reagiert. Wie gesagt, ihr Tun ist absolut unberechenbar.«

»Großartig«, murmelte Richard und nahm sein Hin-und-her-Gerenne wieder auf. »Aber wie kann er diese Bestie denn nun töten?«, wollte Cara wissen. »Sie ist ja nicht einmal lebendig«, lautete Shotas trockene Erwiderung. »Eine Blutbestie lässt sich ebenso wenig töten wie ein Felsbrocken, der im Begriff ist, einen zu erschlagen, oder der Regen, ehe er Gelegenheit hat, einen zu durchnässen.«

Cara stand genau die gleiche Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, die Richard in diesem Moment empfand. »Aber irgendetwas muss es doch geben, was ihr Angst macht.«

»Furcht ist eine Empfindung von Lebewesen.«

»Nun, dann vielleicht etwas, das ihr nicht behagt.«

Shota runzelte verständnislos die Stirn. »Nicht behagt?«

»Ihr wisst schon, so was wie Feuer, Wasser oder Licht. Irgendwas, das sie verabscheut und deswegen meidet.«

»Sie könnte heute beschließen, Wasser zu verabscheuen, nur um einen Tag darauf aus einem morastigen Tümpel hervorzukriechen, Richards Bein zu packen und ihn unter Wasser zu ziehen, um ihn zu ersäufen. Sie bewegt sich in der hiesigen Welt wie in einer fremden, exotischen Landschaft, die sie so gut wie gar nicht in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen vermag.«

»Wo in aller Welt könnte jemand gelernt haben, wie man eine solche Bestie erzeugt?«, wollte Richard wissen. »Ich glaube, die Grundlagen dieses Wissens hat Jagang in alten Schriften gefunden, Schriften über Waffen, die noch aus der Zeit des Großen Krieges stammen. Schon seit geraumer Zeit beschäftigt er sich mit Themen, die sich mit der Kunst der Kriegsführung befassen, und trägt dieses Wissen aus aller Welt zusammen. Ich habe allerdings den Verdacht, dass er diesen Erkenntnissen einige seinen speziellen Anforderungen entsprechende Änderungen hinzugefügt hat, um dich besiegen zu können. Jedenfalls wissen wir, dass er sich anschließend der mit der Gabe gesegneten Schwestern bedient hat, um die Bestie zu erschaffen.«

Richard starrte sie an. »Shota, Ihr könnt mir das alles nicht einfach erzählen, ohne mir wenigstens irgendetwas anzubieten, das mir weiterhelfen könnte.«

»Du bist es, der zu mir gekommen ist, um Fragen zu stellen, nicht ich habe dich zu finden versucht. Im Übrigen habe ich dir bereits geholfen – ich habe dir gesagt, was ich weiß. Mit dem neu gewonnenen Wissen gelingt es dir vielleicht, den morgigen Tag zu überleben.«

»Demnach gibt es also keine Möglichkeit, wie ich mich vor dieser Blutbestie schützen kann?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

Er wirbelte wieder herum. »Was? Soll das heißen, ich habe noch eine Chance?«

Shota musterte seine Augen prüfend, wenn auch ohne jede innere Anteilnahme. »Ja, ich glaube, es gibt eine Möglichkeit, dich am Leben zu halten.«

»Und die wäre?«

Sie faltete die Hände, verschränkte die Finger ineinander und senkte einen Moment lang, so als dächte sie nach, den Blick zum Boden, schließlich sah sie ihm fest in die Augen. »Du könntest hier bleiben.«

Er sah, wie Samuel sich empört erhob, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Shotas abwartenden Blick. »Was genau wollt Ihr damit sagen?«

Sie zuckte mit den Achseln, so als sei ihr Angebot nicht weiter der Rede wert. »Bleib hier, dann werde ich dich beschützen.«

Cara richtete sich auf, löste ihre verschränkten Arme. »Das könntet Ihr tun?«

»Ich glaube ja.«

»Dann kommt doch einfach mit uns«, schlug Cara vor. »Damit wäre das Problem gelöst.«

Caras Vorschlag löste bei Richard sofort Unbehagen aus.

»Das kann ich nicht, ich kann ihn nur beschützen, wenn er hier in diesem Tal, in meinem Zuhause, bleibt.«

Um größtmögliche Beiläufigkeit bemüht, erwiderte Richard: »Also, hier bleiben kann ich auf keinen Fall.«

Shota streckte die Hand aus und fasste ihn sacht am Arm, als wollte sie andeuten, so einfach dürfe er den Vorschlag nicht abtun. »Doch, das kannst du, Richard. Wäre es denn so schlimm für dich, hier bei mir zu bleiben?«

»So war das nicht gemeint...«

»Dann bleib hier, bei mir.«

»Für wie lange?«

Ihre Finger spannten sich kaum merklich an, als fürchtete sie, es auszusprechen, als hätte sie Angst vor seiner Reaktion, während sie gleichzeitig fest entschlossen war, ihrer Linie treu zu bleiben. »Für immer.«

Richard schluckte. Ihm war, als wäre er, ohne sich dessen bewusst zu sein, auf eine dünne Eisfläche hinausgewandert, nur um festzustellen, dass es ein langer, sehr langer Weg zurück ans sichere Ufer war. Klar war ihm nur eins, wenn er jetzt das Falsche sagte, würde er bis über den Kopf in Schwierigkeiten stecken. Ein sanftes Kribbeln auf der Haut sagte ihm, wie gefahrvoll die spätnachmittägliche Luft plötzlich geworden war, und einen Augenblick lang war er nicht mehr sicher, ob er nicht lieber der Bestie begegnen würde, als Shotas forschendem Blick ausgesetzt zu sein. Er breitete die Arme aus, wie in einer Bitte um Verständnis. »Wie kann ich hier bleiben, Shota? Ihr wisst sehr wohl, dass es Menschen gibt, die auf mich zählen – Menschen, die mich brauchen. Das waren Eure eigenen Worte.«

»Du bist nicht der Sklave anderer Menschen oder durch ihre Bedürfnisse an sie gekettet. Dein Leben gehört dir, Richard. Bleib hier und lebe es.«

Einen mehr als misstrauischen Ausdruck im Gesicht, tippte sich Cara mit dem Daumen gegen die Brust. »Und was wird aus mir?«

Ohne sie eines Blickes zu würdigen, ohne Richard aus den Augen zu lassen, antwortete Shota kalt: »Eine Frau an diesem Ort ist genug.«

Caras Blick wanderte zwischen Richard und Shota hin und her, während diese einander in die Augen starrten, doch dann beherzigte sie tatsächlich Richards Rat: Sie bewies Fingerspitzengefühl und enthielt sich jeder weiteren Bemerkung.

»Bleib«, wiederholte Shota leise im Tonfall inniger Vertraulichkeit – und auf einmal konnte er sehen, dass ihre Augen eine schreckliche Verletzbarkeit offenbarten, ein Blick, so offen, wie er ihn noch nie bei ihr gesehen hatte. Gleichzeitig sah er aus den Augenwinkeln, dass Samuel ihn zornig anfunkelte. Mit einem Nicken wies er auf ihren Gefährten. »Und was wird aus ihm?«

Die Frage schien sie nicht in Verlegenheit zu bringen, tatsächlich schien sie sie erwartet zu haben. »Ein Sucher an diesem Ort ist genug.«

»Shota...«

»Wirst du bleiben, Richard?«, hakte sie nach, indem sie ihm das Wort abschnitt, ehe er ihr Angebot ablehnen konnte, ehe er eine Linie überschritt, von deren Existenz er bis zu diesem Augenblick gar nichts gewusst hatte. Es war beides – ein Angebot und ein Ultimatum.

»Aber was wird aus der Blutbestie? Ihr habt selbst gesagt, es ist unmöglich, ihr Wesen zu kennen. Woher wollt Ihr dann wissen, dass ich in Sicherheit wäre, wenn ich hier bliebe? Beim ersten Angriff der Bestie mussten viele tapfere Männer ihr Leben lassen, nur weil ich mich in ihrer Nähe befand.«

Shota reckte stolz ihr Kinn empor. »Ich kenne mich, ich kenne meine Fähigkeiten und meine Grenzen. Deshalb glaube ich, hier in diesem Tal deine Sicherheit garantieren zu können. Völlig sicher bin ich natürlich nicht, aber aufrichtig davon überzeugt, dass ich es kann. Allerdings weiß ich, dass nichts dich beschützen kann, sobald du diesen Ort verlässt. Dies ist deine einzige Chance.«

Der letzte Teil, das wusste er, war mehrdeutig zu verstehen.

»Bleib, Richard ... bitte. Wirst du hier bleiben, bei mir?«

»Für immer?«

Tränen traten ihr in die Augen. »Ja, für immer. Bitte. Ich werde stets für dich sorgen. Ich werde alles dafür tun, dass du es nie bereuen und den Rest der Welt niemals vermissen wirst. Bitte?«

Das war nicht die Hexe Shota, die da sprach, das war einfach Shota, die Frau, die sich ihm in ihrer Verzweiflung öffnete wie noch nie zuvor, die ihm, selbst auf die Gefahr einer Abfuhr hin, ungeschützt ihr Herz darbot. Die nackte Einsamkeit, die er in diesem Moment sah, war erschreckend. Er wusste es, denn er kannte das quälende Gefühl einer fast körperlich spürbaren Einsamkeit aus eigener Erfahrung. Richard schluckte und wagte sich einen Schritt weiter auf das Eis. »Das ist das vielleicht Netteste, was Ihr je zu mir gesagt habt, Shota. Zu wissen, dass Ihr mich genug respektiert, um mir diese Frage zu stellen, bedeutet mir mehr, als Ihr jemals verstehen werdet. Meine Hochachtung vor Euch ist größer, als Ihr ahnt – deswegen habe ich, als ich nach einer Antwort suchte, auch sofort an Euch gedacht. Ich weiß Euer Angebot aufrichtig zu schätzen, aber ich fürchte, ich kann es nicht annehmen. Ich muss fort.«

Der Blick, der daraufhin über ihr Gesicht ging, ließ ihn bis ins Mark gefrieren, so als hätte man ihn in eiskaltes Wasser geworfen.

Ohne ein weiteres Wort machte Shota kehrt und ging davon.

Загрузка...