21

Als Cara, die unmittelbar hinter ihm ging, an Nicci vorbei wollte, bekam diese den Arm der Mord-Sith zu fassen und hielt sie zurück, bis sie ein paar Worte mit ihr wechseln konnte, ohne dass Richard etwas davon mitbekam. »Wie geht es Euch wirklich, Cara?«

Cara erwiderte Niccis unverblümten Blick mit einem festen Ausdruck in den Augen. »Ich bin müde, aber ansonsten geht es mir jetzt wieder gut. Und das habe ich Lord Rahl zu verdanken.«

Zufrieden nickte Nicci. »Darf ich Euch eine persönliche Frage stellen, Cara?«

»Solange ich nicht versprechen muss, sie zu beantworten.«

»Gibt es einen Mann mit Namen Benjamin Meiffert, dem Ihr sehr zugetan seid?«

Selbst bei diesem trüben Licht konnte sie Caras Gesicht so tief erröten sehen, dass es sich kaum noch von ihrem Lederanzug unterschied. »Wer hat Euch davon erzählt?«

»Wollt Ihr damit etwa andeuten, es ist ein Geheimnis, und niemand weiß etwas davon?«

»Na ja, das nicht gerade«, stammelte Cara. »Ich meine ... Ihr wollt mich doch nur dazu verleiten, dass ich gegen meinen Willen etwas ausplaudere.«

»Ich versuche keineswegs, Euch zum Ausplaudern irgendwelcher Intimitäten zu verleiten, erst recht nicht, wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen. Ich habe Euch lediglich nach Benjamin Meiffert gefragt.«

Argwohn zerfurchte Caras Stirn. »Wer hat Euch davon erzählt?«

»Richard.« Sie hob herausfordernd ihre Augenbrauen. »Und, ist es wahr?«

Cara presste ihre Lippen aufeinander. Schließlich wandte sie ihren Blick von Nicci ab und starrte hinaus in die Nacht. »Ja.«

»Demnach habt Ihr Richard also ausführlich davon erzählt, dass Ihr diesem Soldaten überaus zugetan seid?«

»Seid Ihr verrückt? So etwas würde ich Lord Rahl niemals erzählen. Aber wo könnte er es aufgeschnappt haben?«

Einen Moment lang lauschte Nicci den Zikaden und ihrem niemals endenden Paarungsgesang, während sie die Mord-Sith abschätzend musterte.

»Richard behauptet, dass Kahlan ihm ausführlich darüber berichtet habe.«

Cara stand da, den Mund weit offen. Schließlich fasste sie sich mit den Fingern an die Stirn und versuchte, ihrer Sinne wieder Herr zu werden.

»Aber, das ist doch einfach verrückt... ich, ich muss es ihm selbst erzählt haben. Schätze, ich hab es bloß vergessen. Wir reden so viel miteinander, da ist es schwer, sich an alles zu erinnern, was ich ihm erzähle. Aber wo Ihr schon davon sprecht, ich meine mich zu erinnern, dass ich eines Abends, als wir uns über romantische Dinge unterhielten, von so was gesprochen habe, und bei der Gelegenheit muss ich ihm wohl auch von Benjamin Meiffert erzählt haben. Wahrscheinlich hab ich dieses Gespräch über persönliche Dinge anschließend gleich wieder verdrängt, er dagegen nicht. Ich sollte endlich lernen, meinen Mund zu halten.«

»Ihr habt nichts zu befürchten, wenn Ihr Richard von diesen Dingen erzählt, Ihr habt auf der ganzen Welt keinen besseren Freund. Und von mir übrigens auch nicht, nur weil ich von diesen Dingen weiß, denn dass er mir davon erzählt hat, war lediglich ein Beweis für die Hochachtung, die er für Euch empfindet. Aber ich werde es für mich behalten. Eure Gefühle sind bei mir sicher aufgehoben, Cara.«

Gedankenversunken spielte sie mit den Haarsträhnen am Ende ihres einen Zopfes. »Ich glaube, so habe ich das wohl noch nie gesehen – ich meine, dass es ein Zeichen seiner Achtung für mich ist, wenn er Euch davon erzählt.«

»Liebe, das ist leidenschaftliche Lust am Leben, die man mit einem anderen Menschen teilt. Man verliebt sich in einen Menschen, den man für großartig hält. Es ist die höchste Wertschätzung, die man einem Menschen zollen kann, und dieser wiederum ist das Spiegelbild dessen, was man am meisten schätzt im Leben. Tief empfundene Liebe kann demnach eine der größten Belohnungen sein, die das Leben zu bieten hat. Es sollte Euch also nicht beschämen oder verlegen machen, verliebt zu sein, vorausgesetzt natürlich, Ihr liebt diesen General Meiffert von ganzem Herzen.«

Cara dachte einen Moment darüber nach. »Ich schäme mich nicht deswegen, ich bin eine Mord-Sith.« Ein Teil der Anspannung wich aus ihren Schultern. »Aber ich weiß auch nicht, ob ich ihn wirklich liebe. Ja, ich weiß, dass ich ihm sehr zugetan bin, aber ob das Liebe ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Es fällt mir schwer, mir über diese Dinge klar zu werden, ich bin es nämlich nicht gewohnt, dass meine Gedanken oder Gefühle zählen.«

Nicci nickte und begann, gemächlich durch die Schatten zu schlendern. »Ich habe einen Großteil meines Lebens auch nicht verstanden, was Liebe ist. Manchmal war sogar Jagang der Meinung, dass er so etwas wie Liebe für mich empfindet.«

»Jagang? Im Ernst? Er ist in Euch verliebt?«

»Nein, ist er nicht. Er glaubt es nur. Aber selbst damals wusste ich schon, dass es keine Liebe war, auch wenn mir der Grund nicht bewusst war. Jagangs Maßstab der Wertschätzung für andere bewegt sich irgendwo zwischen abgrundtiefem Hass und körperlicher Begierde. Er verachtet und verunglimpft alles, was gut ist im Leben, deshalb ist es ihm völlig unmöglich, wahre Liebe zu empfinden. Er vermag sie nur als schwachen Duft des Verlockenden und Geheimnisvollen, für ihn aber Unerreichbaren wahrzunehmen, das er besitzen möchte. Damals war er im Glauben, er könne Liebe erfahren, indem er mich bei den Haaren packte und zwang, ihm zu Willen zu sein. Das Vergnügen, das er beim Zusehen empfand, deutete er als Ausdruck seiner Liebe für mich. Er war der Meinung, ich müsste dankbar sein, dass er so starke Gefühle für mich empfand, dass sein überwältigendes Verlangen nach mir ihn alles andere vergessen ließ. Weil er seine Aufdringlichkeit mir gegenüber für einen Ausdruck seiner Liebe hielt, dachte er wohl, ich müsse es als Ehre auffassen und hinnehmen.«

»Er hätte sich bestimmt prächtig mit Darken Rahl verstanden«, murmelte Cara. »Die beiden wären glänzend miteinander ausgekommen.« Plötzlich fragte sie verwirrt: »Ihr seid doch eine Hexenmeisterin. Wieso habt Ihr den Hundesohn nicht einfach mit Euren magischen Kräften in einen Haufen Asche verwandelt?«

Niccis Seufzer kam aus tiefstem Herzen. Wie erklärte man mit einfachen Worten eine lebenslange, allumfassende Gehirnwäsche?

»Ich glaube, es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünsche, ich hätte diesen widerwärtigen Kerl umgebracht. Aber da ich nun mal – genau wie er – mit den Lehren der Glaubensgemeinschaft der Ordnung aufgewachsen bin, war ich der festen Überzeugung, moralische Unbescholtenheit sei nur durch Selbstaufopferung zu erlangen. Ihren Lehren zufolge ist man den Bedürftigen verpflichtet. Gebote wie diese werden stets entweder im Namen des Allgemeinwohls, der Verbesserung der Menschheit oder des pflichtschuldigen Gehorsams gegenüber dem Schöpfer ausgesprochen. Der Ideologie dieses Ordens entsprechend sollen wir uns nicht etwa für diejenigen aufopfern, die in unseren Augen die anständigsten Vertreter der Menschheit sind, sondern für die Allerübelsten nicht etwa, weil sie es verdient hätten, sondern gerade, weil sie es nicht verdient haben. Das, so die Lehre des Ordens, ist der Kern der Moral und unsere einzige Möglichkeit, uns im Leben nach dem Tod die Aufnahme in das ewige Licht des Schöpfers zu verdienen. Das Opfer der Tugendhaften besteht darin, sich in die Knechtschaft der Niederträchtigen zu begeben. Jagangs irdische Bedürfnisse kreisten allein um seinen Unterleib. Ich besaß, was er zu brauchen meinte, also war es meine moralische Pflicht, mich seinen Bedürfnissen zu opfern. Wenn Jagang mich schlug, bis ich halb bewusstlos war, und mich anschließend auf sein Bett warf, um sich nach Belieben an mir zu vergehen, dann tat ich nicht nur, was man mich als rechtens gelehrt hatte, sondern ich erfüllte meine selbstlose moralische Pflicht. Ich hasste mich sogar dafür, dass es mich zutiefst anwiderte. Und weil ich mich wegen meines Eigennutzes für schlecht hielt, war ich sogar überzeugt, ich hätte all die Schmerzen, die man mir in dieser Welt zufügte, sowie die ewige Strafe, die mich in der nächsten erwartete, verdient. Ich war gar nicht fähig, einen Mann zu töten, der mir, entsprechend dem mir von der Glaubensgemeinschaft des Ordens eingetrichterten Kredo, durch die Tugendhaftigkeit seiner Begierden moralisch überlegen war. Wie hätte ich einem Mann etwas antun können, dem zu dienen man mir beigebracht hatte? Wie hätte ich mich über das Leid beklagen sollen, das man mir zufügte, wo ich doch jedes bisschen und sogar noch mehr verdient hatte? Wem hätte ich meine Klage vortragen sollen, ja, worüber hätte ich mich überhaupt beklagen sollen? Etwa über mangelnde Gerechtigkeit? Das ist der ausweglose, elende Teufelskreis dieser Lehren über die Pflicht, sich dem Allgemeinwohl unterzuordnen.«

Schweigend schlenderten sie dahin, während Nicci eine ganze Flut schrecklicher Erinnerungen über sich ergehen ließ, bis Cara nach einer Weile schließlich fragte: »Wodurch hat sich das geändert?«

»Durch Richard«, erwiderte Nicci sanft. In diesem Moment war sie froh, dass es bereits dunkel war. Obwohl ihr die Tränen über das Gesicht liefen, reckte sie stolz das Kinn vor. »Die Lehren der Imperialen Ordnung können nur durch brutale Gewaltanwendung überdauern. Richard dagegen zeigte mir, dass niemand ein Recht auf mein Leben hat, weder auf das Leben als Ganzes noch auf Teile davon. Er zeigte mir, dass ich das Recht habe, über mein Leben selbst zu bestimmen, das niemandem außer mir allein gehört.«

Cara betrachtete sie mit einer Art wissendem Mitgefühl. »Ich denke, da hattet Ihr eine Menge mit den Mord-Sith unter der Herrschaft Darken Rahls gemeinsam. D’Hara war damals ein Ort der Finsternis, etwa vergleichbar mit dem Leben unter der Imperialen Ordnung jetzt. Richard hat nicht nur Darken Rahl getötet, er machte auch Schluss mit diesen krankhaften Lehren, die in D’Hara galten, und gab uns zurück, was er auch Euch gegeben hat: das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Ich vermute, dass Lord Rahl uns deswegen so gut verstehen konnte, weil er dasselbe durchgemacht hatte.«

Nicci war nicht ganz klar, worauf Cara anspielte. »Dasselbe?«

»Er war einst Gefangener einer Mord-Sith namens Denna. Unsere Aufgabe damals bestand darin, die Feinde Darken Rahls zu Tode zu foltern, und Denna galt als die Beste von allen. Darken Rahl hatte sie persönlich ausgewählt, um Richard gefangen zu nehmen und die Leitung seiner ›Ausbildung‹ zu übernehmen. Er war schon eine ganze Weile hinter ihm her gewesen, denn Richard war im Besitz wichtiger Informationen über die Kästchen der Ordnung, die Darken Rahl unbedingt in seinen Besitz bringen wollte. Dennas Aufgabe war es, Richard so lange zu foltern, bis er bereit wäre, bereitwillig jede Frage zu beantworten, die Darken Rahl ihm stellte.«

Als Nicci zu ihr hinüberschaute, sah sie Tränen in ihren Augen glitzern. Cara verlangsamte ihre Schritte und blieb stehen, nahm ihren Strafer zur Hand und starrte darauf, während sie ihn in ihren Fingern hin- und herrollen ließ. Natürlich wusste Nicci nur zu gut, was Denna Richard angetan hatte, entschied aber, dass es vielleicht das Beste wäre, sich bedeckt zu halten und einfach nur zuzuhören. Manchmal war es wichtiger, sich gewisse Dinge von der Seele zu reden, als sie einem anderen mitzuteilen. Auf Cara, die noch vor kurzem fast gestorben wäre, traf dies in diesem Augenblick vermutlich zu. »Ich war selbst dabei«, sagte sie mit fast tonloser Stimme, den Blick starr auf ihren Strafer gerichtet. »Er weiß nichts mehr davon, weil Denna ihn gefoltert hatte, bis er dem Wahnsinn nahe und kaum noch bei Bewusstsein war, aber ich habe ihn mit eigenen Augen im Palast des Volkes gesehen und miterlebt, was sie ihm antat... was wir alle ihm antaten.«

Für einen Moment stockte Nicci der Atem. »Was Ihr alle ihm antatet? Was wollt Ihr damit sagen?«

»Es war damals gängige Praxis bei den Mord-Sith, ihre Gefangenen untereinander auszutauschen. Dadurch sollte es ihnen erschwert werden, sich an das bestimmte Folterschema einer Mord-Sith zu gewöhnen, was es wiederum einfacher machte, sie in einen Zustand ständiger Angst und Verwirrung zu versetzen. Angst ist wesentlicher Bestandteil der Folter, es ist eines der ersten Dinge, die eine Mord-Sith in ihrer Ausbildung lernt: Die Angst vor dem Unbekannten steigert den Schmerz ins Unermessliche. Meist teilte sich Denna Richards Ausbildung mit einer Mord-Sith namens Constance, bisweilen aber wollte sie außer Constance noch andere zu Hilfe nehmen.«

Cara stand wie versteinert und starrte auf ihren Strafer. »Er war erst vor kurzem im Palast des Volkes eingetroffen, als es passierte. Richard kann sich nicht mehr daran erinnern – ich glaube, damals wusste er nicht einmal mehr seinen Namen, denn durch das, was sie ihm antat, hatte Denna ihn in einen Zustand geistiger Umnachtung und des Wahnsinns versetzt... wie auch immer, er verbrachte einen vollen Tag mit mir.«

Das war Nicci neu. Sie stand regungslos da und hatte Angst, etwas zu sagen. Sie hätte ohnehin nicht gewusst, was.

»Denna hatte Richard zu ihrem Gefährten erkoren«, fuhr Cara fort. »Ich glaube kaum, dass sie sich in Liebesdingen damals besser auskannte als Jagang oder Darken Rahl, aber am Ende empfand sie eine tiefe und aufrichtige Liebe für Richard. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese Veränderung über sie kam. Sie lernte ihn als Individuum schätzen, bis sie schließlich aufrichtige Leidenschaft für ihn empfand, genau wie Ihr es vorhin geschildert habt. Ihre Liebe zu ihm war so groß, dass sie ihm am Ende erlaubte, sie zu töten, um fliehen zu können. Davor jedoch, als sie ihn noch folterte, hab ich ihn mehr als einmal hilflos und blutbesudelt in seinen Ketten hängen und um die Erlösung des Todes betteln sehen.« Über Caras Wangen liefen Tränen. »Bei den Gütigen Seelen, ich hab ihn selbst um den Tod betteln lassen, als ich ihn beaufsichtigte.«

Auf einmal schien Cara bewusst zu werden, was sie da soeben laut ausgesprochen hatte, und ein Hauch von Panik trübte ihren Blick. »Bitte, erzählt ihm nichts davon. Es ist so lange her – das ist jetzt vorbei, alles ist anders geworden. Ich möchte nicht, dass er erfährt ... dass ich ihn in diesem Zustand gesehen habe.« Mittlerweile liefen ihr die Tränen in Strömen über das Gesicht. »Bitte ...«

Nicci ergriff Caras Hand. »Natürlich nicht, ich würde ihm niemals davon erzählen. Gerade ich kann sehr gut nachempfinden, wie Ihr Euch fühlt, denn auch ich habe ihm einst schreckliche Dinge angetan, allerdings über einen sehr viel längeren Zeitraum als jeder andere. Aber wie Ihr schon sagtet, das ist vorbei.« Nicci seufzte schwer. »Ich denke, wir alle drei wissen mittlerweile ein wenig darüber, was Liebe ist und was nicht.«

Cara nickte, nicht nur aus Erleichterung, sondern auch aus Dankbarkeit, dass Nicci sie verstand. »Ich denke, wir sollten jetzt zusehen, dass wir Lord Rahl einholen.«

Mit einer beiläufigen Handbewegung wies Nicci in die Richtung der Stallungen. »Richard spricht gerade zu den Angehörigen derjenigen unter Victors Männern, die getötet wurden.« Sie tippte sich gegen die Schläfe. »Ich kann ihn über meine Gabe gerade eben sprechen hören.« Sie wischte Cara eine Träne aus dem Gesicht. »Wir haben also noch genug Zeit, unsere Fassung wiederzuerlangen.«

Als sie sich gemächlichen Schritts in Richtung Stallgebäude in Bewegung setzten, fragte Cara: »Dürfte ich Euch vielleicht etwas gestehen ... etwas Persönliches?«

Noch eine Überraschung in dieser an Überraschungen reichen Nacht. »Aber ja, gewiss.«

Cara, die Stirn tief zerfurcht, suchte nach den richtigen Worten. »Nun ... als Lord Rahl zu mir kam – um mich zu heilen –, da ist er mir sehr nahe gekommen.«

»Wie meint Ihr das?«

»Ich meine, dass er neben mir lag, im Bett, und die Arme um mich gelegt hatte – Ihr wisst schon, um mich zu beschützen und mich zu wärmen.« Sie rieb sich die Arme, als hätte die Erinnerung sie wieder frösteln lassen. »Ich hab so entsetzlich gefroren.« Sie warf einen verstohlenen Seitenblick auf Nicci. »Vermutlich, na ja, in meinem Zustand, ich meine, ich hatte dabei wohl auch meine Arme um ihn gelegt.«

Erstaunt hob Nicci eine Braue. »Verstehe.«

»Na ja, die Sache ist die, ich hatte ... Gefühle, als er in mich eindrang – und wenn Ihr ihm auch nur ein Sterbenswörtchen davon erzählt, bringe ich Euch um, das schwöre ich.«

Nicci beruhigte sie mit einem Lächeln und nickte. »Wir sind ihm beide sehr zugetan. Ich nehme an, dass Ihr mir davon erzählt, geschieht allein aus Sorge um ihn.«

»Aber ja.« Wieder rieb sie sich ihre Arme, während sie fortfuhr. »Wir beide mögen ihn sehr. Als er endlich kam, um ... um mich zurückzuholen oder was immer er mit mir gemacht hat, war mir, als befände er sich in mir drin, in meinem Kopf, meine ich. Es war ein Gefühl intimer Vertrautheit, das sich mit nichts vergleichen lässt. Lord Rahl hat mich zuvor schon einmal nach einer schweren Verletzung geheilt, aber das war etwas anderes. Teils war es ähnlich, einige Empfindungen, die aufrichtige Sorge und so weiter, die ich bei ihm spürte, waren ganz genauso, aber trotzdem war es diesmal irgendwie anders – wirklich anders. Damals hatte er nur meine körperliche Verletzung geheilt.« Cara beugte sich näher, um sicherzugehen, dass deutlich wurde, was sie meinte. »Diesmal dagegen ging es um mehr, diesmal hatte mich dieses bösartige Wesen im Innersten berührt, so als wollte es mich, meine ganze Existenz, vergiften – meinen Lebenswillen.«

Sie richtete sich wieder auf, sichtlich niedergeschlagen und scheinbar außerstande, die passenden Worte zu finden, um es besser zu erklären.

»Ich kenne den Unterschied, den Ihr zu beschreiben versucht«, erklärte Nicci. »Diesmal kam es zu einer eher persönlichen Verbindung zwischen Euch beiden.«

Cara nickte erleichtert, weil Nicci zu verstehen schien.

»Ja, das stimmt, es war persönlicher. Sehr viel persönlicher«, setzte sie mit leiser Stimme hinzu. »Es war, als läge meine Seele entblößt vor ihm. Es war ein bisschen so, als ... na ja, lassen wir das.« Cara verstummte. Während sie schweigend durch die enge Gasse schlenderten, konnte Nicci mithilfe ihrer Gabe in der Ferne Menschen sich mit gesenkter Stimme unterhalten hören. Sie versuchte erst gar nicht, einzelne Worte zu verstehen, sondern beschränkte sich darauf, den allgemeinen Charakter der Unterhaltung herauszuhören. Es waren die Männer und Frauen, die sich bei den Stallgebäuden eingefunden hatten, einige von ihnen sprachen abwechselnd. Nicci konnte Richards Stimme unterscheiden, der behutsam auf sie einredete und ihre Fragen beantwortete. Man konnte hören, dass einige der Anwesenden weinten. An der Ecke des Gasthauses, wo die Straße rechter Hand zu den ein paar Türen weiter gelegenen Stallgebäuden hinabführte, packte Cara abrupt Niccis Arm, sodass sie noch im Schutz der tiefen Schatten stehen bleiben musste.

»Schaut, als diese Geschichte anfing, hatten wir beide doch das erklärte Ziel, Lord Rahl zu töten.«

Nicci, leicht verdutzt, fand, dass dies kaum der rechte Augenblick für Haarspaltereien war. »Mag sein, ja.«

»Vielleicht haben wir beide, Ihr und ich, ja mehr als jeder andere einen einzigartigen Blick für das, wofür Lord Rahl in Wahrheit steht. Ich finde, wenn man jemandem erst ein Leid zufügen will und dieser Jemand einen dann zu der Erkenntnis bringt, wie sehr man sich geirrt hat und dass man sehr viel mehr mit seinem Leben anfangen kann, dann, na ja, dann kann es eben passieren, dass man diesem Jemand nur umso inniger zugetan ist.«

»Ich denke, da werde ich Euch wohl zustimmen müssen.«

Cara deutete zurück auf den Weg, den sie gekommen waren, zu dem einstigen Palastgelände, das jetzt Platz der Freiheit hieß. »Als der Aufstand dort unten begann und Lord Rahl verwundet und dem Tod nahe war, wollten die Menschen nicht, dass Ihr ihn zu heilen versucht. Sie hatten Angst, Ihr würdet ihm stattdessen ein Leid zufügen. Damals war ich es, die ihnen erklärte, dass sie Euch vertrauen sollten. Ich begriff das Erweckungserlebnis, das Ihr gehabt hattet, denn im Großen und Ganzen hatte ich dasselbe erlebt. Ich konnte als Einzige nachvollziehen, was Ihr mittlerweile für diesen Mann empfandet. Also sagte ich ihnen, sie sollten Euch gewähren lassen. Sie hatten Angst, Ihr könntet die Gelegenheit benutzen, ihm das Leben zu nehmen, aber ich wusste, dass Ihr das nicht tun würdet. Ich war mir sicher, Ihr würdet ihn retten.«

»Ihr habt Recht, Cara, wir beide sind ihm zutiefst verbunden. Uns verbindet ein ganz besonderes Band.«

»Genau das ist es, ein ganz besonderes Band. Anders, denke ich, als bei allen anderen.«

Verwirrt, worauf Cara eigentlich hinauswollte, breitete Nicci die Hände aus. »Ich nehme an, Ihr wollt mir noch etwas anderes sagen?«

Den Blick auf ihre Stiefel gesenkt, bestätigte Cara dies mit einem Nicken. »Als Lord Rahl und ich dieses Gefühl innerer Verbundenheit erlebten, konnte ich spüren, was sich tief in seinem Inneren verbarg – ein Gefühl entsetzlicher, brennender Einsamkeit. Ich denke, die Geschichte mit dieser Frau – dieser Kahlan – rührt von dieser Einsamkeit her.«

Nicci versuchte ihrerseits zu ergründen, was genau Cara wohl in seinem Innern gespürt haben mochte. »Nun, ich nehme an, es könnte etwas damit zu tun haben.«

Cara räusperte sich. »Nicci, wenn Ihr einen Mann auf diese Weise in Euren Armen haltet und Ihr mit ihm auf eine so ... so intime Weise zusammen wart, dann spürt Ihr, was sich wirklich in seinem Innern verbirgt.«

Nicci drängte ihre Gefühle tiefer in die Schatten zurück. »Da habt Ihr gewiss Recht, Cara.«

»Was ich meine, ist, ich hätte ihn am liebsten für immer so festgehalten, ihn getröstet und dafür gesorgt, dass er sich nicht so allein fühlt.«

Nicci warf einen verstohlenen Seitenblick auf die Mord-Sith. Diese hatte den Mund verzogen und blickte nachdenklich zu Boden. Nicci erwiderte nichts, sondern wartete stattdessen, dass Cara fortfuhr.

»Nur glaube ich eben nicht, dass ich dafür die Richtige bin, so etwas für Lord Rahl tun zu können.«

Nicci wog die Formulierung ihrer Frage sorgfältig ab. »Mit anderen Worten, Ihr glaubt, nicht die Frau zu sein, die ... ihn für seine Einsamkeit entschädigen könnte?«

»Wohl eher nicht.«

»Weil es da diesen Benjamin gibt?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Zum Teil auch deswegen.« Sie sah auf und begegnete Niccis Blick. »Ich liebe Lord Rahl, ich würde mein Leben für ihn geben. Und ich muss gestehen, als ich dort neben ihm lag und ihn in meinen Armen hielt, hatte ich das Gefühl..., dass ich vielleicht mehr als bloß seine Leibwächterin und Freundin sein könnte. Als ich auf diesem Bett lag, eng an ihn geschmiegt, hab ich mir vorgestellt, wie es wohl wäre, seine ... seine ...« Sie ließ den Satz unbeendet.

Nicci schluckte. »Verstehe. Und darüber hinaus meint Ihr also, dass diese Frau aus seinen Fantasien auf seine Einsamkeit zurückzuführen ist?«

Cara nickte. »Ja ... aber da ist noch etwas anderes.«

Nicci warf kurz einen Blick die Straße entlang und sah eine Gruppe von Männern auf das Stallgebäude zuhalten. »Und das wäre?«

»Ich denke, dass vielleicht Ihr diejenige sein könntet.«

Niccis Herz schlug bis zum Hals, als sie sich wieder herumwandte und Cara ihr direkt ins Gesicht blicken sah. »Was?«

»Ich denke, Ihr könntet für Lord Rahl die Richtige sein.« Sie hob die Hände, um jedem Widerspruch zuvorzukommen. »Sagt jetzt nichts, ich möchte nicht, dass Ihr behauptet, ich hätte den Verstand verloren. Sagt erst einmal gar nichts, denkt nur darüber nach. Wir werden in Kürze aufbrechen, und es wird noch eine ganze Weile dauern, bis Ihr nachkommen und Euch uns anschließen könnt, Ihr habt also genug Zeit und könntet Euch alles in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Ich bitte Euch schließlich nicht, Euch für ihn aufzuopfern oder etwas ähnlich Dummes. Ich sage nur, dass Lord Rahl jemanden braucht und dass Ihr diese Frau sein könntet – natürlich nur, wenn Ihr ebenso empfindet. Ich bin es jedenfalls nicht, die er braucht. Ich bin eine Mord-Sith, und Lord Rahl ist ein Zauberer. Bei den Gütigen Seelen, ich kann Magie nicht ausstehen, und er ist die Verkörperung der Magie. Wir sind in vielen kleinen Dingen einfach nicht füreinander geschaffen. Ihr dagegen habt so viel mit ihm gemeinsam, Ihr seid eine Hexenmeisterin, wer könnte ihn besser verstehen als Ihr? Wer könnte ihm in seinem Leben in jeder Hinsicht tatkräftiger zur Seite stehen als Ihr? Ich weiß noch, wie Ihr beide Euch in jener Nacht im Lager über die kreative Bedeutung der Magie unterhalten habt. Das meiste hab ich gar nicht verstanden, trotzdem ist mir aufgefallen, wie ungezwungen Ihr beide miteinander sprechen konntet und die Gedanken, die Ideen des anderen, verstanden habt, wie dies sonst bestimmt niemand könnte. Ich weiß noch, dass ich ganz angetan war, wie gut Ihr beide zusammenzupassen schient. Und ich weiß auch noch, als wir uns beide in unserem Unterschlupf ganz eng an ihn geschmiegt haben, um uns gegenseitig zu wärmen, wie gut Ihr ausgesehen habt, so ganz nah bei ihm – wie die Frau an der Seite des Mannes, den sie liebt. Aus irgendeinem Grund erinnere ich mich noch, wie ich fast erwartet habe, dass er Euch gleich küsst. Es hätte bestimmt ganz natürlich ausgesehen.«

Nicci war außerstande, ihr heftig schlagendes Herz zu beruhigen. »Cara, ich ...« Ihr fehlten die Worte. Cara zupfte einen Streifen abblätternder Farbe von einem Schalbrett an der Ecke des Gebäudes. »Außerdem seid Ihr die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Lord Rahl sollte eine Frau haben, die ihm ebenbürtig ist, und eine bessere Gemahlin als Euch kann ich mir einfach nicht vorstellen.«

»Gemahlin?«

»Seht Ihr nicht, wie gut das alles passen würde? Es würde die Leere ausfüllen, die ich in seinem Innern gespürt habe, es würde ihm Freude und Glück bringen und seiner Trübsal ein Ende machen. Endlich hätte er jemanden, mit dem er seine Gabe und seinen Hang zur Magie teilen könnte. Er würde auch nicht mehr einsam sein. Denkt darüber nach.«

»Aber Cara, Richard liebt mich nicht.«

Einen unbehaglichen Moment lang sah Cara sie abwägend an, und sofort musste sie daran denken, wie Richard ihr das lähmende Gefühl geschildert hatte, dem forschenden Blick einer Mord-Sith ausgesetzt zu sein, wenn diese einem tief, ganz tief in die Augen schaute. Jetzt verstand sie, was er gemeint hatte.

Nicci benetzte sich die Lippen. »Ich denke, wir sollten jetzt besser zum Stallgebäude hinübergehen, sonst bricht er womöglich noch ohne Euch auf. Er schien mir ziemlich wild entschlossen.«

Cara zeigte ihr ein Lächeln. »Ihr habt Recht. Schaut, Nicci, wenn es Euch lieber ist, vergesst einfach, dass ich davon angefangen habe. Ich sehe schon, es macht Euch verlegen. Mir ist sowieso nicht wohl dabei, dass ich davon angefangen habe.«

»Und warum habt Ihr es dann getan?«

Caras Blick war versonnen in die Ferne gerichtet. »Ich denke, weil es mir, als ich ihn in meinen Armen hielt und fühlte, wie tief seine Einsamkeit war, fast das Herz gebrochen hat.« Ihr Blick wanderte zurück zu Niccis Augen. »Und das passiert einer Mord-Sith nicht eben oft.«

Ebenso wenig einer Hexenmeisterin, hätte Nicci um ein Haar hinzugefügt.

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