47

»Sie ist tatsächlich dort? Kahlan ist im Palast der Konfessoren?«

Ein besorgter Zug huschte über Zedds von Falten zerfurchtes Gesicht, während er zögernd nickte. Mit dem Handrücken wischte sich Richard die Tränen ab, die ihm übers Gesicht liefen. »Sie ist hier«, stieß er an Cara gewandt hervor. Er fasste sie bei den Schultern und rüttelte sie einmal fest. »Sie ist hier, in Aydindril. Habt Ihr gehört? Ich habe mir nichts eingebildet. Zedd erinnert sich an sie, er kennt die Wahrheit.«

Cara sah aus, als müsse sie sich größte Mühe geben, ihrer Verblüffung Herr zu werden, ohne gleichzeitig den falschen Eindruck entstehen zu lassen, sie sei über die verblüffende Neuigkeit womöglich nicht ganz glücklich. »Lord Rahl... ich ... ich freue mich wirklich sehr für Euch – wirklich –, aber ich versteh nicht ganz, wie ...«

Richard schien das unschlüssige Zögern der Mord-Sith gar nicht zu bemerken, er wandte sich wieder zu dem Zauberer herum und fragte mit vor Aufregung überbordender Stimme: »Aber was tut sie da unten?«

Zedd, sichtlich zutiefst besorgt, sah abermals kurz zu Cara und Nicci, ehe er Richard voller Mitgefühl eine Hand auf die Schulter legte.

»Sie liegt dort begraben, Richard.«

Die Welt schien plötzlich stillzustehen.

In einem Augenblick plötzlicher Erkenntnis dämmerte Nicci die Wahrheit, plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, auf einmal ergab auch Zedds Verhalten einen Sinn. Die Frau, die Zedd meinte, war keineswegs Kahlan, die Mutter Konfessor aus Richards Fantasien, die Frau, die ihn in seiner Einbildung liebte und die ihn geheiratet hatte.

Sie war die echte Mutter Konfessor.

Richards Blick wurde starr, bis Zedd schließlich mit einem sanften Druck auf seinen Arm fragte: »Richard, ist alles in Ordnung mit dir? Was ist denn los?«

Richard blinzelte benommen, er schien unter Schock zu stehen. »Was soll das heißen, sie wurde beim Palast der Konfessoren begraben?«, fragte er mit bebender Stimme. »Wann ist das passiert?«

Zedd benetzte sich die Lippen. »Wann genau sie verstorben ist, weiß ich nicht, aber als ich dort war – zur Zeit des Einmarschs der Armee Jagangs nach Aydindril –, ist mir der Grabstein aufgefallen. Damals kannte ich sie noch nicht, ich sah nur ihr Grab, das ist alles. Ein ziemlich eindrucksvoller Grabstein, es dürfte schwierig sein, ihn zu übersehen. Die Konfessoren waren damals gerade ausnahmslos von den von Darken Rahl ausgesandten Quadronen umgebracht worden. Vermutlich muss sie dann wohl auch etwa um diese Zeit gestorben sein. Du kannst die Frau also unmöglich gekannt haben, Richard. Sie muss lange tot und begraben gewesen sein, bevor wir unser Heim in Westland verließen – also noch vor dem Fall der Grenze. Zu der Zeit warst du noch Waldführer in den Wäldern Kernlands.«

Richard presste seine Hand gegen die Stirn. »Nein, nein, du verstehst nicht, du hast das gleiche Problem wie alle anderen. Das ist sie nicht. Du kennst doch Kahlan, meine Kahlan.«

Zedd hob die Hand in einer verständnisvollen Geste, um Richard zu besänftigen. »Richard, das ist völlig ausgeschlossen. Die Konfessorinnen sind damals ausnahmslos von den Quadronen umgebracht worden.«

»Richtig, auf alle übrigen trifft das ja auch zu, sie wurden von diesen Meuchlern umgebracht, nicht aber diese eine, nicht Kahlan.« Er tat den Einwand mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. »Sie war es, Zedd, die dich aufsuchte, um dich zu bitten, mich zum Sucher zu ernennen – aus diesem Grund haben wir damals Westland verlassen. Du kennst Kahlan.«

Verwirrt runzelte Zedd die Stirn. »Was in aller Welt redest du da, Richard? Wir mussten unsere Heimat verlassen, weil Darken Rahl hinter uns her war. Wir mussten fliehen, um unser nacktes Leben zu retten.«

»Ja, zum Teil ist das ja richtig, aber noch davor hatte Kahlan dich aufgesucht. Schließlich war sie es, die uns berichtete, dass Darken Rahl die Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht hatte. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich noch jenseits der Grenze. Wie hätten wir also davon erfahren sollen, hätte Kahlan uns nicht aufgesucht?«

Zedd sah ihn an, als vermutete er bei ihm eine schlimme Krankheit. »Richard, sobald die Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht werden, setzt das Wachstum der Schlingpflanzen ein, so steht es sogar im Buch der Gezählten Schatten. Ausgerechnet du solltest das eigentlich wissen; du befandest dich damals im Oberen Ven, wo du von einer Schlingpflanze verletzt wurdest. Daher wussten wir Bescheid. Kurz darauf kam Darken Rahl nach Westland und griff uns an.«

»Ja, im Großen und Ganzen mag das ja alles stimmen, trotzdem war es Kahlan, die uns von den Vorfällen in den Midlands berichtete – und uns die Bestätigung lieferte.« Richard stöhnte vor Verzweiflung. »Aber das allein ist es nicht. Sie kam nicht nur, um dich zu bitten, einen Sucher zu ernennen. Du kennst sie.«

»Ich fürchte nein, mein Junge.«

»Bei den Gütigen Seelen, Zedd, du hast den ganzen letzten Winter mit ihr zusammen bei der d’Haranischen Armee verbracht, und als Nicci mich in die Alte Welt verschleppte, war sie ebenfalls mit dir und Cara zusammen.« Mit einer nachdrücklichen Geste wies er auf Cara, so als würde das den entscheidenden Beweis für seine Argumentation liefern und dem Albtraum ein Ende machen. »Sie und Cara haben den ganzen Winter über an deiner Seite gekämpft.«

Zedd sah hoch zu Cara, die hinter Richards Rücken achselzuckend die Hände nach oben drehte, so als wollte sie sagen, sie wisse auch nicht mehr darüber als er.

»Da du schon davon angefangen hast, du seist der Sucher, wo ist eigentlich dein ...«

Unvermittelt schnippte Richard mit den Fingern, und seine Miene hellte sich auf. »Es ist gar nicht Kahlans Grabstätte.«

»Natürlich ist sie das. Das Grab ist unverwechselbar. Es springt einem sofort ins Auge, außerdem erinnere ich mich, dass es ihren in Stein gemeißelten Namen trägt.«

»Richtig, es trägt ihren Namen, aber es ist nicht ihr Grab. Jetzt dämmert mir allmählich, wovon du eigentlich sprichst.« Vor Erleichterung lachte er bei sich. »Ich sage dir, es ist nicht ihr Grab.«

Zedd fand das nicht komisch. »Richard, ich habe mit eigenen Augen ihren Namen auf dem Grabstein gesehen. Sie ist es, die Mutter Konfessor, Kahlan Amnell.«

Doch Richard schüttelte beharrlich den Kopf. »Nein, sie ist es nicht. Das Ganze war ein Ablenkungsmanöver ...«

»Ein Ablenkungsmanöver?« Zedd legte den Kopf schräg und runzelte die Stirn. »Was redest du da? Was denn für ein Ablenkungsmanöver?«

»Sie waren hinter ihr her – bei der Eroberung der Stadt Aydindril machte die Imperiale Ordnung Jagd auf Kahlan. Kurz zuvor hatten sie den Stadtrat übernommen und sie zum Tode verurteilt, und deshalb waren sie auf der Suche nach ihr. Um ihr zu helfen, der Verfolgung durch diese Leute zu entgehen, hast du sie mit einem Todeszauber belegt –«

»Was! Ein Todeszauber? Machst du dir überhaupt eine Vorstellung von der Tragweite dessen, was du da behauptest?«

»Natürlich tue ich das. Nichtsdestoweniger ist es wahr. Du musstest ihren Tod vortäuschen, um die Imperiale Ordnung glauben zu machen, ihre Bemühungen wären bereits erfolgreich gewesen und sie müssten sie nicht mehr verfolgen – wodurch du ihr zur Flucht verholfen hast. Erinnerst du dich etwa nicht? Du hast ihren Grabstein selbst angefertigt – oder zumindest anfertigen lassen –, und als ich herkam, um sie zu suchen, hab selbst ich mich von deinem Zauber täuschen lassen. Ich dachte, sie wäre tot, obwohl sie es nicht war.«

Zedds Verwirrung hatte sich gelegt, und an ihre Stelle war ernsthafte Besorgnis getreten. »Ich weiß beim besten Willen nicht, was mit dir nicht stimmt, Richard, aber das ist einfach ...«

»Ihr beide brachtet euch in Sicherheit, aber nicht, ohne mir auf dem Grabstein eine Botschaft zu hinterlassen«, fuhr Richard unbeirrt fort und stieß Zedd einen Finger gegen die Brust. »Damit ich wusste, dass sie in Wahrheit noch am Leben war, damit ich nicht verzweifelte und womöglich aufgab. Fast hätte ich es getan, doch dann bin ich euch auf die Schliche gekommen.«

Zedd konnte kaum noch an sich halten vor Ungeduld und Sorge –ein Gefühl, das Nicci nur zu vertraut war. »Verdammt, Junge, von welcher Botschaft redest du?«

»Die Worte auf dem Grabstein, die Inschrift. Sie waren eine an mich gerichtete Botschaft.«

Zedd stemmte die Fäuste in die Hüften. »Was redest du da? Was denn für eine Botschaft?«

Richard begann auf und ab zu gehen, die Fingerspitzen an die Schläfen gepresst, während er sich offenbar, leise vor sich hin murmelnd, auf den exakten Wortlaut zu besinnen versuchte. Oder, vermutete Nicci, ihn sich ebenso zusammenzufantasieren, wie er sich all seine Antworten zusammenfantasierte, um nicht der Wahrheit ins Gesicht sehen zu müssen. Diesmal war er im Begriff, einen Fehler zu begehen, der ihm endgültig zum Verhängnis werden würde, dessen war sie sich sicher. Die Wirklichkeit war ihm bereits erdrückend nahe gerückt, auch wenn er sich dessen noch nicht bewusst sein mochte. Aber das würde sich bald ändern.

»Nicht dort«, murmelte er nach einer Weile. »Irgendwie ging es darum, dass sie nicht dort liegt. Und außerdem war von meinem Herzen die Rede.«

Unvermittelt hielt Richard inne. »Nein, nicht von meinem Herzen war die Rede, das war es nicht, was dort stand. Der Gedenkstein war ziemlich groß. Jetzt weiß ich wieder, wie die Inschrift lautete: ›Kahlan Amnell. Mutter Konfessor. Sie ruht nicht hier, sondern in den Herzen derer, die sie lieben.‹ Das war eine an mich gerichtete Botschaft, die Hoffnung nicht aufzugeben, weil sie in Wahrheit gar nicht tot war – und auch nicht dort in diesem Grab lag.«

Zedd versuchte es mit sanftem Zureden. »Richard, es ist durchaus gebräuchliche Praxis, auf einen Grabstein zu schreiben, dass jemand nicht tot ist, sondern in den Herzen derer fortlebt, die ihn lieben. Grabsteine, die aus dieser Empfindung heraus bestellt werden und die exakt diese eingemeißelten Worten tragen, liegen vermutlich zuhauf bei den Totengräbern herum.«

»Aber sie ist dort nicht begraben worden, ganz sicher nicht! Die Zeile, ›Sie liegt nicht hier‹, steht dort aus einem ganz bestimmten Grund.«

»Und wer wurde dann in ihrem Grab beigesetzt?«, fragte Zedd. Für einen Augenblick verstummte Richard. »Niemand«, antwortete er schließlich und richtete den Blick in die Ferne, um nachzudenken. »Madame Sanderholt – die Köchin im Palast – hatte sich wie alle anderen von deinem Todeszauber täuschen lassen. Als ich schließlich hier eintraf, erzählte sie mir, du hattest bei Kahlans Enthauptung auf der Plattform des Schafotts gestanden. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch in tiefer Trauer deswegen und in einem schrecklich verwirrten Zustand – aber dann wurde mir klar, dass du so etwas niemals tun würdest, dass es sich nur um einen deiner Tricks handeln konnte. Weißt du noch, wie du mir selbst erzählt hast, ein einfacher Trick sei mitunter die beste Magie?« Zedd nickte. »In dem Punkt gebe ich dir Recht.« »Weiter berichtete mir Madame Sanderholt, Kahlans Leichnam sei anschließend unter der persönlichen Aufsicht des Obersten Zauberers auf einem Scheiterhaufen verbrannt und ihre Asche später unter besagtem riesigem Steinmonument beigesetzt worden. Sie hat mich sogar bis zu dem einsam gelegenen Friedhof außerhalb des Palasts geführt, wo die Konfessorinnen begraben liegen, und mir die Grabstätte gezeigt. Ich war entsetzt, denn im ersten Moment dachte ich, sie läge tatsächlich dort und sei tot, bis ich dahinter kam, was die in den Stein eingemeißelte Inschrift zu bedeuten hatte – die Botschaft, die ihr beide für mich dort zurückgelassen hattet.«

Er fasste seinen Großvater abermals bei den Schultern. »Begreifst du nicht? Es war ein Ablenkungsmanöver, um unsere Feinde von ihrer Fährte abzubringen. In Wahrheit war sie weder tot, noch ist sie dort jemals beigesetzt worden. Außer vielleicht ein paar Ascheresten liegt dort überhaupt nichts begraben.«

»Mit anderen Worten, du warst dort?«, fragte Zedd. »Unten, an der Stelle, wo der Grabstein steht?« »Ja. Und kurz darauf kam Denna ...«

»Denna war zu dem Zeitpunkt bereits tot.« Zum ersten Mal mischte sich Cara ein. »Ihr selbst hattet sie getötet, um aus dem Palast des Volkes fliehen zu können. Sie hätte gar nicht dort sein können ... es sei denn, natürlich, sie ist Euch als Geist erschienen.«

»Stimmt, genau so war es«, erklärte Richard, indem er sich zu Cara herumwandte. »Ist sie. Sie erschien mir als Geist und brachte mich an einen Ort zwischen den Welten, damit ich dort mit Kahlan zusammen sein konnte.«

Caras Blick suchte kurz den Zauberer. Unfähig, ihre Skepsis länger zu verbergen, vermied sie es, Richard anzusehen, und beschäftigte sich stattdessen damit, sich im Nacken zu kratzen. Nicci hätte am liebsten laut geschrien. Die Verwicklungen seiner Geschichte wurden von Minute zu Minute aberwitziger. Sie fühlte sich an die Worte der Prälatin erinnert, die ihr damals, noch als Novizin, beigebracht hatte, dass die Saat der Lüge, einmal ausgesät, mit der Zeit immer verschlungenere Gewächse hervorbrachte, die einem irgendwann über den Kopf wuchsen.

Von hinten kam Zedd und fasste Richard bei den Schultern.

»Komm jetzt, Junge. Ich denke, du brauchst dringend etwas Ruhe. Später dann können wir ...«

»Nein!« Empört wand er sich aus seinem Griff. »Das sind keine Hirngespinste! Ich habe mir das nicht ausgedacht!«

Zedd versuchte es erneut. »Du bist müde, Richard. Du siehst aus, als wärst du wer weiß wie lange nicht aus dem Sattel gekommen ...«

Mit ruhigem Trotz fiel Richard ihm ins Wort. »Ich kann es beweisen.«

Alles verstummte.

»Ich weiß, ihr glaubt mir nicht, keiner von euch – aber ich kann es beweisen.«

»Wie meinst du das?«, fragte Zedd.

»Kommt mit. Begleitet mich hinunter ins Tal zu diesem Grabstein.«

»Aber Richard, ich sagte doch bereits, es ist durchaus möglich, dass der Grabstein die Inschrift trägt, an die du dich erinnerst, nur ist das eben noch lange kein Beweis. Es ist absolut nicht ungebräuchlich, eine solche sentimentale Regung auf einem Grabstein zu verewigen.«

»Wird der Leichnam der toten Mutter Konfessor traditionell auf einem Scheiterhaufen verbrannt, oder war das nur Teil deines Ablenkungsmanövers, damit du bei ihrer angeblichen Beerdigung nicht ihren Leichnam vorweisen musstest?«

Mittlerweile war Zedd die Empörung immer deutlicher anzumerken. »Jedenfalls ist es zu meiner Zeit nicht vorgekommen, dass die Leichname der Konfessorinnen entweiht wurden; die Mutter Konfessor wurde in ihrem weißen Kleid in einen mit Silber beschlagenen Sarg gelegt, und anschließend erhielten die Menschen Gelegenheit, sie ein letztes Mal zu sehen und sich vor der Beisetzung von ihr zu verabschieden.«

Richard betrachtete erst seinen Großvater, dann Cara und zuletzt Nicci mit einem durchdringenden Blick. »Also gut. Wenn ich das Grab öffnen muss, um euch zu beweisen, dass unter dem Grabstein nichts begraben liegt, dann werde ich es eben tun. Die Angelegenheit muss aus der Welt geschafft werden, damit wir uns endlich um die Lösung der eigentlichen Probleme kümmern können. Aber um das tun zu können, müsst ihr mir glauben.«

Zedd breitete die Hände aus. »Das ist wirklich nicht nötig, Richard.«

»Doch, ist es, unbedingt! Ich will mein altes Leben wiederhaben!«

Dem mochte niemand widersprechen.

»Zedd, habe ich dich jemals in böswilliger Absicht angelogen?«

»Nein, mein Junge, hast du nie.«

»Und das tue ich auch jetzt nicht.«

»Niemand bezichtigt dich der Lüge, Richard. Du leidest an den unseligen Nachwirkungen eines durch eine Verletzung verursachten Fieberwahns. Jeder von uns hier weiß, dass du das alles nicht absichtlich tust.«

Er wandte sich herum zu seinem Großvater. »Begreifst du nicht, Zedd? Denk doch einmal nach. Mit der Welt ist etwas nicht in Ordnung, ganz und gar nicht in Ordnung. Aus irgendeinem Grund, der sich mir bislang verschließt, bin ich der Einzige, der sich dessen bewusst ist, der Einzige, der sich an Kahlan erinnert. Irgendetwas muss die Ursache dafür sein, irgendetwas Teuflisches. Womöglich steckt Jagang dahinter.«

»Jagang hat bereits dieses Wesen erschaffen lassen, das hinter dir her ist«, wandte Nicci ein. »Dafür hat er all seine Kräfte mobilisiert. Er hat es gar nicht nötig, außerdem noch etwas anderes zu unternehmen. Was hätte das auch für einen Sinn, wo diese Bestie sich bereits an dich heranzumachen versucht?«

»Das weiß ich nicht. Ich weiß schließlich nicht auf alles eine Antwort, aber über einige Dinge bin ich mir sehr wohl im Klaren.«

»Und wie kann es sein, dass du allein die Wahrheit gepachtet hast, während alle anderen sich irren, und die Erinnerung jeden im Stich gelassen hat, mit Ausnahme deiner Wenigkeit?«, wollte Zedd wissen. »Darauf weiß ich ebenfalls keine Antwort, aber immerhin kann ich meine Behauptungen beweisen, indem ich euch das Grab zeige. Also kommt schon.«

»Ich sagte doch bereits, Richard, die Inschrift auf dem Grabstein ist absolut nicht ungebräuchlich.«

Richards Gesichtsausdruck nahm einen gefährlichen Zug an. »Dann werden wir eben das Grab öffnen, damit ihr euch alle überzeugen könnt, dass es leer ist und ich nicht den Verstand verloren habe.«

Zedd wies mit der Hand auf die noch immer offen stehende Tür. »Aber es wird bald dunkel, außerdem gibt es gleich Regen.«

Richard kam von der Eingangstür zurück. »Ein Pferd ist uns geblieben. Wir können es noch bei Tageslicht bis unten schaffen, und wenn nötig, können wir Laternen benutzen. Wenn es sein muss, grabe ich sogar im Dunkeln. Das ist wichtiger, als sich über ein paar Regentropfen oder fehlendes Licht den Kopf zu zerbrechen. Gehen wir.«

Aufgeregt gestikulierend versuchte Zedd ihn zurückzuhalten. »Richard, das ist...«

»Lasst ihm doch seinen Willen«, warf Nicci ein und zog damit alle Blicke auf sich. »Ich denke, wir haben genug gehört. Ihm liegt so viel daran, also sollten wir ihm die Gelegenheit geben, zu tun, was er glaubt, tun zu müssen. Es ist die einzige Chance, die Angelegenheit ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen.«

Ehe Zedd etwas erwidern konnte, erschien eine Mord-Sith zwischen zwei der roten Marmorsäulen auf der gegenüberliegenden Seite des Saales. Wie Cara, so hatte auch sie ihr Haar nach hinten gerafft und zu einem einzelnen Zopf geflochten. Obwohl nicht ganz so groß wie diese und auch nicht so gertenschlank, ließ ihr Auftreten – so als fürchtete sie nichts und lebte nur, um dies auch zu beweisen – sie nicht minder Furcht einflößend erscheinen.

»Was ist hier los? Ich hörte ...« Ihr Blick erstarrte in plötzlichem Erstaunen. »Cara? Bist du es wirklich?«

Cara nickte lächelnd. »Es tut gut, endlich wieder dein Gesicht zu sehen.«

Sie verneigte sich tief vor Cara, tiefer als diese vor ihr, dann fiel ihr Blick auf Richard, und sie trat weiter in den Saal hinein.

Ihre Augen weiteten sich. »Lord Rahl, ich habe Euch nicht gesehen seit...«

Richard nickte. »Seit damals, im Palast des Volkes in D’Hara. Als ich kam, um das Tor zur Unterwelt zu schließen, gehörtet Ihr zu den Mord-Sith, die mir halfen, in den Garten des Lebens zu gelangen. Ihr hattet mir Eure Hand auf die linke Schulter gelegt, als Ihr mich alle gemeinsam sicher durch den Palast führtet. Eine Eurer Mord-Sith-Schwestern hat noch in derselben Nacht ihr Leben gelassen, damit ich meine Mission erfüllen konnte.«

Ein erstauntes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Das wisst Ihr noch? Wir trugen damals alle unsere roten Lederanzüge. Ich kann gar nicht glauben, dass Ihr ein so ausgezeichnetes Gedächtnis habt, dass Ihr Euch noch an mich erinnert, geschweige denn, dass ich diejenige war, die zu Eurer Linken ging.« Sie machte eine Verbeugung. »Mit Eurem Gedenken an eine von uns, die im Kampf gefallen ist, erweist Ihr uns allen eine Ehre.«

»Ja, das stimmt, ich verfüge über ein ausgezeichnetes Gedächtnis«, erwiderte Richard mit einem finsteren Seitenblick auf Nicci und schließlich auf Zedd. »Das war unmittelbar vor meiner Rückkehr nach Aydindril und zu dem Grabmal, das Kahlans Namen trägt.« Er wandte sich wieder an Rikka. »Könntet Ihr die Burg bewachen, Rikka? Wir müssen für eine Weile hinunter in die Stadt.«

»Selbstverständlich, Lord Rahl«, antwortete Rikka mit einem abermaligen Neigen des Kopfes. Sie schien fast übermütig vor Freude, wieder in seiner Nähe sein zu können und dass er sich noch an sie erinnerte. Richard ließ seinen Raubtierblick ein letztes Mal über die übrigen Anwesenden schweifen, ehe er mit einem nochmaligen »Gehen wir« durch die Tür verschwand. Als Nicci an Zedd vorüberging, bekam dieser sie am Ärmel zu fassen. »Er wurde verwundet, nicht?« Als sie mit der Antwort zögerte, fuhr er fort. »Ihr habt gesagt, er leidet wegen seiner Verwundung an Wahnvorstellungen.«

Nicci nickte. »Er wurde von einem Armbrustbolzen getroffen und wäre fast gestorben.«

Cara streckte den Kopf vor. »Aber Nicci hat ihn wieder geheilt«, setzte sie mit leiser Stimme hinzu. »Sie hat Lord Rahl das Leben gerettet.«

Zedd machte ein staunendes Gesicht. »Eine wahre Freundin.«

»Es stimmt, ich habe ihn geheilt«, bestätigte Nicci, »aber es war schwieriger als alles, woran ich mich je zuvor versucht habe. Mag sein, dass ich ihm dadurch das Leben gerettet habe, nur mache ich mir jetzt Sorgen, dass ich womöglich nicht ganze Arbeit geleistet habe.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Ich fürchte, ich könnte etwas getan haben, das diese Wahnvorstellungen überhaupt erst ausgelöst hat.«

»Das ist nicht wahr«, warf Cara ein.

»Eben das frage ich mich«, erwiderte Nicci. »Ich frage mich, ob ich vielleicht hätte mehr tun oder anders an die Sache herangehen können.«

Sie schluckte, vorbei an dem immer mehr anschwellenden Kloß in ihrer Kehle. Sie befürchtete, dass sie tatsächlich schuld an Richards Problem war, dass sie womöglich nicht schnell genug gehandelt oder ihr ein furchtbarer Fehler unterlaufen war. Die Entscheidung jenes grauenhaften Morgens, Richard erst an einen sicheren Ort zu schaffen, ehe sie mit ihrer Heilung begann, nagte noch immer an ihr. Sie hatte befürchtet, ein Angriff könnte ihren Heilbemühungen ein abruptes und verhängnisvolles Ende bereiten; aber wenn sie andererseits gleich an Ort und Stelle, noch auf dem Schlachtfeld, damit begonnen hätte, würde er jetzt vielleicht keinen Gespenstern nachjagen. Schließlich war dieser Angriff nie erfolgt, demnach war ihre Entscheidung, ihn unter allen Umständen erst zu dem abgelegenen Bauernhaus zu transportieren, falsch gewesen. »Was genau hat ihm eigentlich gefehlt?«, riss Zedd sie aus ihren Gedanken. »An welcher Stelle hat ihn der Pfeil getroffen?«

»In der linken Brustseite – und genau genommen war es ein mit Widerhaken versehener Armbrustbolzen. Der Kopf mit den Widerhaken war in seiner Brust stecken geblieben, ohne diese ganz bis zum Rücken zu durchdringen. Er hatte ihn noch leicht ablenken können, weshalb er sein Herz verfehlt hat, aber Lunge und Brust füllten sich bereits rasch mit Blut.«

Erstaunt zog Zedd eine Augenbraue hoch. »Und Ihr konntet den Bolzen entfernen und ihn heilen.«

»Aber ja«, bestätigte Cara mit leidenschaftlichem Nachdruck. »Sie hat Lord Rahl das Leben gerettet.«

»Ich weiß nicht...« Nicci hatte Mühe, es in die richtigen Worte zu fassen. »Ich war auf dem Weg hierher von ihm getrennt. Jetzt, da ich ihn wieder sehe, sehe, wie starrsinnig er an seinen Wahnvorstellungen festhält und sich völlig der Wahrheit verschließt, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich ihm damit einen Gefallen getan habe. Wie will er denn weiterleben, wenn er die Welt, die ihn umgibt, nicht so zu sehen vermag, wie sie tatsächlich ist? Körperlich mag er wieder genesen sein, aber wenn ihm der Verstand weiter seinen Dienst versagt, wird er grausam eines langsamen Todes sterben.«

In einer väterlichen Geste tätschelte ihr Zedd die Schulter. Nicci sah die Lebendigkeit in seinen Augen, es war dasselbe Feuer, das auch Richard besaß – oder doch besessen hatte. »Dann werden wir ihm eben helfen müssen, die Wahrheit zu erkennen.«

»Und wenn es ihm das Herz bricht?«

Ein Lächeln ging über Zedds Lippen.

»Dann werden wir es eben heilen müssen, oder was meint Ihr?«

Nicci, den Tränen nahe, war außerstande, etwas anderes als ein leises Flüstern hervorzubringen. »Und wie sollen wir das anstellen?«

Mit einem abermaligen Lächeln drückte Zedd fest ihre Schulter. »Das wird sich zeigen. Zunächst einmal müssen wir ihn dazu bringen, die Wahrheit einzusehen, anschließend können wir uns dann Gedanken darüber machen, wie wir die Wunde heilen wollen, die sie in seinem Herzen hinterlassen wird.«

Außer einem Nicken brachte Nicci nichts zustande. Die Aussicht, mit ansehen zu müssen, wie Richard ein Leid zugefügt wurde, machte ihr Angst.

»Und was hat es mit dieser Bestie auf sich, von der Ihr gesprochen habt? Die Jagang erschaffen hat?«

»Sie ist eine Waffe, geschaffen unter tatkräftiger Mithilfe der Schwestern der Finsternis«, antwortete Nicci. »Irgendetwas aus der Zeit des Großen Krieges.«

Die Neuigkeit entlockte Zedd einen kaum hörbaren Fluch. Cara sah aus, als hätte sie etwas über die Bestie anzumerken, aber dann überlegte sie es sich anders und ging zur Tür. »Kommt. Ich will nicht, dass Lord Rahl einen zu großen Vorsprung bekommt.«

Murrend pflichtete Zedd ihr bei. »Sieht aus, als würden wir nass werden.«

»Ich trage einen derartigen Pferdegeruch mit mir herum«, entgegnete die Mord-Sith, »dass mir ein paar Regentropfen bestimmt gut tun werden.«

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