24

Vorsichtig suchte Richard die Schatten mit den Augen ab, ehe er sich auf den Weg machte, um sich die Pferde anzusehen, die Ishaq für ihn ausgesucht hatte. Für sein Empfinden war es viel zu still im Stallgebäude, deshalb musste er unwillkürlich an die Stille in seinem Zimmer im Gasthaus denken, kurz bevor dieses Wesen durch die Zwischenwände gebrochen war. Es fiel ihm schwer, die plötzliche Stille nicht als bedrohlich zu empfinden, und er hätte gern eine Möglichkeit gehabt, zu wissen, ob die Bestie sich in der Nähe befand oder womöglich gar jeden Augenblick zuschlagen konnte. Seine Finger ertasteten den Knauf seines Schwertes. Wenn er schon sonst nichts hatte, so besaß er doch wenigstens sein Schwert und die ihm innewohnenden Kräfte. Nur zu gut erinnerte er sich an die barbarischen Drohungen von Leid und Folter, die, verborgen in Caras Innerstem, dort eigens für ihn zurückgelassen worden waren. Schon die bloße Erinnerung an das wortlose Wispern dieser Verheißungen rief bei ihm ein Gefühl von Übelkeit und Benommenheit hervor, sodass er kurz stehen bleiben und sich mit der Hand am Geländer abstützen musste. Als er kurz hinübersah und Cara erblickte, überkam ihn wiederholt die wortlose Freude darüber, dass sie am Leben und wohlauf war, und als er sah, dass sie seinen Blick erwiderte, schöpfte er neuen Mut. Eine Folge der Erfahrung, sie geheilt zu haben, war, dass er eine tiefe Verbundenheit mit ihr verspürte. Ihm war, als würde er die Frau, die sich hinter dem Panzer der Mord-Sith verbarg, jetzt ein wenig besser kennen.

Aber jetzt musste er sich erst einmal um Kahlan kümmern und dafür sorgen, dass auch sie am Leben und wohlauf war.

Zwei Pferde waren bereits gesattelt und standen bereit, während die anderen mit den Vorräten beladen worden waren – Ishaq hatte wie immer Wort gehalten. Als Richard ihre Box betrat, strich er der größeren der beiden rotbraunen Stuten mit der Hand über die Flanke, befühlte ihre Muskeln und gab ihr damit zu verstehen, dass er hinter ihr stand, um sie nicht unnötig zu ängstigen. Eines ihrer Ohren schraubte sich in seine Richtung. Die Tiere waren überaus schreckhaft nach den Vorfällen, von dem noch immer in der Luft hängenden Blutgeruch ganz zu schweigen. Das Gefühl eines Wildfremden ganz in ihrer Nähe ließ die Stute den Kopf werfen und nervös mit den Hufen stampfen, sodass er ihr erst einmal über den Kopf strich und mit leiser Stimme auf sie einredete, ehe er daranging, seinen Bogen am Sattel zu befestigen. Er liebkoste zärtlich ihr Ohr. Zu seiner Freude genügte ein wenig gutes Zureden, und sie beruhigte sich wieder. Als er wieder aus der Box heraustrat, beobachtete ihn Nicci; sie hatte ihn bereits erwartet. »Du wirst doch vorsichtig sein?«, fragte sie.

»Ihr könnt ganz unbesorgt sein«, sagte Cara im Vorübergehen, in den Händen einen Teil ihrer Sachen. Sie war bereits an der Box, in der die kleinere der beiden gesattelten Stuten stand, als sie hinzufügte: »Ich werde ihm eine gründliche Strafpredigt halten, wie dumm sein unüberlegtes Handeln heute Abend war.«

»Unüberlegtes Handeln, was meint Ihr damit?«, wollte Victor wissen. Einen Arm über den Hals ihres Pferdes gelegt, spielte sie beiläufig mit dessen Mähne, während sie sich zu dem Schmied herumwandte.

»Bei uns in D’Hara gibt es eine Redensart: Wir sind der Stahl gegen den Stahl, damit Lord Rahl die Magie gegen die Magie sein kann. Mit anderen Worten, es ist unsinnig, wenn Lord Rahl sein Leben in einem Kampf mit normalen Waffen aufs Spiel setzt, das ist unsere Aufgabe. Aber gegen Magie sind wir machtlos, dafür ist allein er zuständig. Und genau dafür muss er am Leben bleiben. Also ist es unsere Pflicht, zu verhindern, dass ihm Waffen aus Stahl gefährlich werden können, damit er uns im Gegenzug gegen die Magie beschützen kann. Das ist die Pflicht des Lord Rahl und sein Teil der Bande.«

Victor wies auf Richards Schwert. »Mir scheint er ziemlich gut mit einer Klinge umgehen zu können.«

Caras Gesichtsausdruck bekam etwas Schulmeisterliches. »Manchmal hat er eben Glück. Muss ich dich erinnern, dass er um ein Haar durch einen einfachen Pfeil ums Leben gekommen wäre? Ohne seine Mord-Sith wäre er aufgeschmissen«, fügte sie sicherheitshalber noch hinzu. Als Victor daraufhin besorgt in seine Richtung blickte, verdrehte Richard stumm die Augen. Auch Ishaq machte einen bekümmerten Eindruck, als er zu Richard hinüberschielte, so als wäre der ein Fremder, den er zum ersten Mal sah. Ein knappes Jahr lang hatten die beiden ihn nur als Richard gekannt, einen Mann, der für Ishaqs Transportunternehmen Wagen belud und Eisen für Victors Schmiedewerkstatt fuhr. Damals waren sie in dem Glauben gewesen, er sei mit Nicci verheiratet. Dass er eigentlich ihr Gefangener war, wussten sie nicht. Die Entdeckung, dass er in Wahrheit Lord Rahl war, der fast sagenumwobene Freiheitskämpfer aus dem fernen Norden, war für die beiden immer noch ein wenig verwirrend. Sie neigten dazu, ihn so zu sehen, wie sie ihn kennen gelernt hatten: als einen der ihren, der sich erhoben hatte, um mit ihnen gegen die Tyrannei zu kämpfen. Sobald das Gespräch auf Lord Rahl kam, wurden sie nervös, so als wüssten sie plötzlich nicht mehr, wie sie sich in seiner Gegenwart benehmen sollten.

Als Cara daranging, ihre restlichen Sachen in den Satteltaschen zu verstauen, legte Nicci Ishaq eine Hand auf die Schulter.

»Entschuldige, aber bevor er aufbricht, muss ich Richard einen Moment unter vier Augen sprechen.«

Ishaq nickte. »Victor und ich werden draußen warten. Wir haben auch etwas zu besprechen.«

Die beiden Männer waren bereits auf dem Weg zur Tür, da gab Nicci Cara einen kurzen Wink, worauf diese ihrem Pferd einen Klaps auf die Flanke versetzte, dann den beiden Männern aus dem Stallgebäude nach draußen folgte und das große Tor hinter sich zuzog. Richard war erstaunt, ja fast ein wenig besorgt, Cara so ohne jedes Widerwort gehen zu sehen.

Nicci stand im sanften Schein der Lampe vor ihm, die Finger ineinander verschlungen. Er fand, dass sie einen ziemlich bedrückten, ja fast unsicheren Eindruck machte.

»Ich mache mir Sorgen um dich, Richard. Ich finde, ich sollte dich begleiten.«

»Ihr habt heute Abend etwas in Gang gesetzt, das Ihr meiner Meinung nach auch zu Ende bringen müsst.«

Sie seufzte. »Da hast du wohl Recht.«

Ihm war noch immer nicht ganz klar, was sie eigentlich in Gang gesetzt hatte und was sie dabei im Sinn gehabt haben mochte, aber er hatte es eilig aufzubrechen. Sosehr er um Niccis Sicherheit besorgt war, seine Sorge um Kahlan war ungleich größer.

»Aber ich weiß noch immer nicht...«

»Ihr könnt nachkommen, sobald Ihr den Leuten hier geholfen und die unmittelbare Bedrohung durch die im Anmarsch auf die Stadt befindlichen Soldaten abgewendet habt«, erklärte Richard ihr. »Angesichts der Tatsache, dass dieser Zauberer Kronos die Truppen anführt, werden die Menschen hier Eure Hilfe gewiss gebrauchen können.«

»Ich weiß.« Sie nickte. Dieses Thema hatten sie ja bereits in aller Ausführlichkeit diskutiert. »Glaub mir, ich bin fest entschlossen, die Gefahr auszuschalten, die Altur’Rang droht. Aber ich habe nicht die Absicht, allzu viel Zeit darauf zu verschwenden, damit ich schon bald fortkann, um dir hinterher zureiten.«

Eine Woge kalter Angst überlief ihn, als ihm plötzlich dämmerte, worin ihr Plan im Wesentlichen bestand. Am liebsten hätte er ihr geraten, ihr Vorhaben augenblicklich zu vergessen, aber er zwang sich, den Mund zu halten, schließlich erwartete auch ihn eine wichtige und gefährliche Aufgabe, die keinen Aufschub duldete. Unter allen Umständen wollte er vermeiden, sich anhören zu müssen, sein Plan sei undurchführbar. Zudem war sie eine Schwester der Finsternis – eine jener sechs Frauen, die es geschafft hatten, im Palast der Propheten seine Lehrerinnen zu werden – und eine Hexenmeisterin, die sehr wohl wusste, was sie tat. Nicci war für jeden, der sich ihr widersetzte, eine ernst zu nehmende Gefahr. Er hoffte nur, dass sie kein unüberlegtes Risiko einging, nur um ihn rascher wieder unter ihre Fittiche nehmen zu können. Richard, unschlüssig, was sie eigentlich von ihm wollte, hakte die Daumen in seinen Gürtel. »Ihr seid herzlich aufgefordert, Euch mir anzuschließen, wann immer Ihr es einrichten könnt. Aber das sagte ich ja schon.«

»Ich weiß.«

»Ich möchte Euch einen Rat geben.« Er wartete, bis sie den Kopf hob und ihm in die Augen sah. »Ganz gleich, für wie mächtig Ihr Euch auch haltet, schon etwas so Einfaches wie ein Pfeil kann Euer Verderben bedeuten.«

Ein flüchtiges Lächeln ging über ihr Gesicht. »Den Rat gebe ich dir gern zurück, Zauberer.«

Ihm kam ein Gedanke. »Wie wollt Ihr mich überhaupt finden?«

Sie hob die Hand, packte den Kragen seines Hemdes und zog ihn zu sich heran. »Deswegen wollte ich ja mit dir alleine sein. Ich werde dich mit Magie berühren müssen, um dich wieder zu finden.«

Sofort regte sich Richards Argwohn. »Mit was für einer Art von Magie?«

»Ich denke, man könnte sagen, sie ähnelt ein wenig deinen Banden zum d’Haranischen Volk, die es diesem ermöglicht, dich jederzeit zu orten. Aber dies ist nicht der Augenblick für weitschweifige Erklärungen.«

Besorgt begann er sich zu fragen, warum sie dafür unbedingt mit ihm allein sein musste. Sein Hemd noch immer fest im Griff, presste sie, die Lider halb geschlossen, ihren Körper gegen seinen. »Halt einfach still«, sagte sie leise.

Was immer sie vorgehabt haben mochte, sie wirkte unschlüssig, ja fast abgeneigt, es in die Tat umzusetzen. Sie sah aus und hörte sich an, als versinke sie in Trance.

Richard hätte schwören können, dass die Lampen eben noch heller geleuchtet hatten, denn auf einmal war das Stallgebäude in ein trübes gelbliches Licht getaucht. Auch das Heu duftete auf einmal süßer, und die Luft fühlte sich wärmer an.

Der Gedanke schoss ihm kurz durch den Kopf, dass es vielleicht besser wäre, ihr nicht zu erlauben, zu tun, was immer sie vorhatte, doch schließlich beschloss er, ihr zu vertrauen.

Niccis Linke löste sich von seinem Hemd, glitt nach oben und über seine Schulter in den Nacken. Ihre Finger strichen um seinen Hals, wurden zur Faust und krallten sich in das Haar an seinem Hinterkopf, um ihn ruhig zu halten.

Seine Besorgnis nahm zu. Plötzlich war er gar nicht mehr so sicher, dass er sich von ihr mit ihrer Magie berühren lassen wollte. Er hatte sie bereits mehrfach zu spüren bekommen und war nicht unbedingt erpicht darauf, diese Erfahrung zu wiederholen.

Er wollte schon zurückweichen, doch aus einem unerfindlichen Grund ließ er es sein. Nicci beugte sich noch näher heran und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Einen Kuss, der mehr war als bloß ein Kuss.

Die Welt rings um ihn her löste sich auf. Das Stallgebäude, die drückende, schwüle Luft, der süßliche Geruch des Heus, das alles hörte scheinbar auf zu existieren. Nur seine Verbindung zu Nicci hatte noch Bestand, so als verhinderte sie allein, dass auch er im Nichts verschwand.

Richard wurde in eine immer mehr um sich greifende Sphäre atemloser Freude über das Leben an sich hineingesogen, ein Gefühl, das übermächtig war, verwirrend und großartig. Alles, von der körperlichen Empfindung der Verbindung zu ihr, ihrer Wärme und Lebendigkeit, bis hin zur allumfassenden Schönheit der Welt durchflutete ihn und füllte ihn aus, bis sein Geist davon gesättigt war und ihn die überschwängliche Freude darüber schwindeln machte.

Jedes Glücksgefühl, das er jemals erlebt hatte, durchflutete ihn mit überwältigender, über jedes ihm bekannte Maß hinaus gesteigerter Macht und erfüllte ihn mit einem Wonnegefühl von so großer Heftigkeit, dass er vor Freude verzückt aufstöhnte.

Als Nicci endlich ihre Lippen wieder von seiner Wange löste, schälte sich die Welt im Innern des Stallgebäudes wieder aus dem Nebel ringsum, doch jetzt schien sie intensiver zu sein als vorher, die Gerüche und Eindrücke waren stärker als in seiner Erinnerung. Bis auf das Zischen der einen nahen Lampe und das leise Wiehern der Pferde war es vollkommen still. Unter dem noch nachwirkenden Einfluss ihres Kusses zitterten ihm die Hände. Blinzelnd sah er sie an. »Was ... was habt Ihr getan?«

Auf dem Schwung ihrer Lippen und in ihren strahlend blauen Augen erblühte die winzige Andeutung eines Lächelns. »Ich habe dich mit einem Hauch meiner Magie berührt, damit ich dich wieder finden kann. Ich erkenne meine Kraft sofort, ich werde sie also jederzeit bis zu dir zurückverfolgen können. Keine Angst, die Wirkung hält lange genug an, um dich zu finden.«

»Ich glaube, Ihr habt noch etwas ganz anderes getan, Nicci.«

Ihr Lächeln verging wie ein Spuk, und stattdessen traten Sorgenfalten auf ihre Stirn. Sie brauchte einen Moment, bis sie die richtigen Worte fand, dann endlich schaute sie ihm in die Augen, mit einer Eindringlichkeit, die keinen Zweifel daran ließ, wie wichtig es ihr war, dass er verstand. »Bis jetzt habe ich dir mit meiner Magie stets Schmerzen zugefügt, Richard – als ich dich fortbrachte, als ich dich gefangen nahm, ja sogar als ich dich heilte. Immer war dies entweder mit Schmerzen oder Qualen verbunden. Verzeih, aber ich wollte dir wenigstens einmal einen Eindruck meiner Magie vermitteln, der dir nicht das Gefühl gibt, von mir verletzt zu werden, der dir nicht das Gefühl gibt, mich hassen zu müssen.«

Sie schlug die Augen nieder. »Ich wollte dir angenehmer in Erinnerung bleiben als die Male zuvor, als ich dich mit dem Schmerz der Magie berührte. Stattdessen wollte ich dir, ein einziges Mal nur, eine winzige Kostprobe von etwas Angenehmem geben.«

Er vermochte sich nicht einmal ansatzweise vorzustellen, wie sich ihre Magie wohl angefühlt hätte, wenn es mehr als eine winzige Kostprobe gewesen wäre.

Er bog ihr Kinn nach oben und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. »Ich verspüre keinen Hass auf Euch, Nicci, das wisst Ihr. Und ich weiß, dass Ihr mir all die vielen Male, die Ihr mich geheilt habt, mein Leben zurückgegeben habt. Das allein zählt.«

Schließlich war er es, der ihr nicht länger in ihre blauen Augen schauen konnte, und der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, dass Nicci die schönste Frau war, die er je kennen gelernt hatte. Außer Kahlan.

»Trotzdem, danke«, brachte er, noch immer unter dem Eindruck der anhaltenden Nachwirkungen, hervor. Sie fasste ihn sachte am Arm. »Du hast heute Abend etwas sehr Richtiges getan, Richard. Ich dachte mir, ein wenig wohltuende Magie könnte dir einen Teil deiner Kraft zurückgeben.«

»Ich habe schon so viele Menschen leiden und sterben sehen. Die Vorstellung, dass jetzt auch noch dieses kleine Mädchen sterben würde, war mir unerträglich.«

»Ich meinte, als du Cara das Leben gerettet hast.«

»Oh, na gut. Die Vorstellung, das große Mädchen sterben zu sehen, war mir nicht minder unerträglich.«

Dies entlockte Nicci ein Lächeln.

Mit einer Handbewegung wies er zu den Pferden. »Ich muss los.«

Sie nickte, und er entfernte sich, um die Pferde zu holen und nach ihrer Ausrüstung zu sehen. Nicci ging zur offenen Stalltür hinüber, und kaum war sie dort, kam Cara wieder herein, um ihr Pferd zu holen. Richard merkte, wie entsetzlich müde er war, vor allem nach der Verausgabung, die mit der Benutzung seines Schwertes einherging, auch wenn er sich nach dem, was Nicci gerade mit ihm gemacht hatte, schon ein wenig besser fühlte. Dennoch war ihm klar, dass sie eine Zeit lang nicht eben viel Schlaf bekommen würden. Vor ihnen lag eine überaus weite Reise, und er war fest entschlossen, sie so schnell wie irgend möglich hinter sich zu bringen. Die frischen Pferde, die sie mitnahmen, würde es ihnen erlauben, ein forsches Tempo anzuschlagen, unterwegs die Tiere zu wechseln und den Weg anschließend in nicht minder flottem Tempo fortzusetzen, sodass sie rasch vorwärts kommen würden. Er war fest entschlossen, ein mehr als forsches Tempo anzuschlagen. Nicci hielt die Trense seines Pferdes, als er seinen Stiefel in den Steigbügel schob und sich in den Sattel hinaufschwang. Das Tier schlug kurz mit dem Schwanz und trat unruhig auf der Stelle, erpicht darauf, trotz der frühen Stunde endlich den Stall verlassen zu können. Richard gab ihm einen Klaps auf die Schulter, damit es sich beruhigte. Es würde noch reichlich Gelegenheit haben, ihm zu zeigen, was in ihm steckte. Cara saß kaum im Sattel, da wandte sie sich, die Stirn fragend in Falten gelegt, zu ihm herum. »Übrigens, Lord Rahl, wohin zieht es uns eigentlich in dieser Hast?«

»Ich muss unbedingt zu Shota.«

»Shota!« Caras Unterkiefer klappte herunter. »Wir besuchen diese Hexe? Habt Ihr den Verstand verloren?«

Sofort war Nicci bei ihm; sie fühlte sich auf einmal gekränkt. »Ein Besuch bei dieser Hexe wäre blanker Wahnsinn, von den Truppen der Imperialen Ordnung ganz zu schweigen, von denen es auf der gesamten Strecke durch die Neue Welt nur so wimmelt. Das kannst du unmöglich tun.«

»Ich habe aber keine andere Wahl. Ich glaube, Shota könnte mir helfen, Kahlan wieder zu finden.«

»Sie ist eine Hexe, Richard!« Nicci war völlig außer sich. »Sie wird dir bestimmt nicht helfen.«

»Nun, sie hat es schon einmal getan. Außerdem hat sie mir und Kahlan ein Hochzeitsgeschenk gemacht, an das sie sich ganz gewiss erinnert.«

»Ein Hochzeitsgeschenk?«, fragte Cara. »Seid Ihr verrückt! Sie würde Euch töten, ohne mit der Wimper zu zucken!«

In dieser Bemerkung schwang mehr Wahrheit mit, als Cara ahnte. Sein Verhältnis zu Shota war immer schon von einem gewissen Unbehagen geprägt gewesen.

Nicci legte ihm ihre Hand auf den Oberschenkel. »Was denn für ein Hochzeitsgeschenk? Wovon redest du?«

»Shota war der Meinung, dass Kahlan sterben müsse, weil sie befürchtete, wir beide würden einen Nachkommen zeugen, der in ihren Augen ein Monster wäre, ein mit der Gabe gesegneter Konfessor. Deshalb hat sie Kahlan, zum Zeichen der Versöhnung, eine Halskette mit einem kleinen schwarzen Stein daran zur Hochzeit geschenkt. Angesichts der chaotischen Begleitumstände damals und unserer großen Sorge beschlossen Kahlan und ich, ihr Friedensangebot erst einmal anzunehmen.«

Doch dann war für eine gewisse Zeitspanne alle Magie versiegt, und da sie nichts davon wussten, hatte schließlich auch die Halskette ihre magische Wirkung verloren, und Kahlan war schwanger geworden – ein Zustand, den die Männer in jener fürchterlichen Nacht, als sie sie erbarmungslos zusammenschlugen, auf brutale Weise beendet hatten.

Dieses vorübergehende Versiegen der Magie hatte aber möglicherweise noch weiter reichende Folgen, denn es galt als durchaus denkbar, dass die Welt dadurch einen grundlegenden, unwiderruflichen Wandel durchmachte, der letztlich das Ende aller Magie bedeuten würde. Kahlan war jedenfalls fest davon überzeugt, denn anders wäre eine Reihe merkwürdiger Geschehnisse nicht zu erklären gewesen. Zedd hatte es einen Dominoeffekt genannt, der, einmal begonnen, nicht mehr aufzuhalten sei. Richard dagegen war sich dessen nicht so sicher.

»Shota wird sich bestimmt an die Halskette erinnern, die sie Kahlan zum Geschenk gemacht hat. Wenn sich jemand an sie erinnert, dann Shota. Es gab zwar des Öfteren Meinungsverschiedenheiten zwischen uns, andererseits habe ich ihr auch schon in der Vergangenheit geholfen, wenn auch unwissentlich. Sie schuldet mir etwas, und deshalb wird sie mir helfen. Sie muss es einfach tun.«

Resigniert warf Nicci die Hände in die Luft. »Natürlich! Es musste ja ausgerechnet ein Gegenstand sein, den Kahlan trägt und der sich nicht in deinem Besitz befindet. Merkst du eigentlich nicht, was du tust? Wieder einmal hat sich dein Verstand etwas zusammenfantasiert, das sich nicht belegen lässt – wie praktisch! Was immer du als Beweis anführst, ist entweder nicht zur Hand oder für uns unsichtbar. Diese Halskette ist doch auch nur ein Versatzstück aus deinem Traum.« Sie presste eine Hand an die Stirn. »Diese Hexe wird sich nicht an Kahlan erinnern, Richard, weil diese Kahlan nicht existiert.«

»Shota kann mir helfen, das weiß ich. Und ich weiß auch, dass sie es tun wird. Ich wüsste keine bessere Gelegenheit, mir Klarheit zu verschaffen. Die Zeit zerrinnt mir zwischen den Fingern. Je länger Kahlan sich in der Gewalt ihrer Entführer befindet, desto größer die Gefahr für ihr Leben und desto geringer meine Chance, sie zurückzubekommen. Ich muss ganz einfach zu Shota.«

»Und angenommen, du irrst dich?«, wandte Nicci ein. »Was, wenn diese Hexe sich weigert, dir zu helfen?«

»Ich werde alles tun, was nötig ist, um sie dazu zu bewegen.«

Entschlossen riss Richard die Zügel herum und lenkte sein Pferd und die daran angebundenen Tiere Richtung Tor. »Die beste Chance, mir Klarheit zu verschaffen, habe ich, wenn ich Shota aufsuche, und nichts wird mich daran hindern.«

Richard duckte sich unter dem großen Tor hindurch, und kurz darauf ritten sie hinaus in die Nacht. Draußen, jenseits des weitläufigen Parkgeländes, war noch immer das monotone Zirpen der Zikaden zu hören.

Unversehens ließ er sein Pferd noch einmal wenden und sah Nicci in der Toröffnung stehen, rücklings angestrahlt vom Schein der Laterne. »Nehmt Euch in Acht«, riet er ihr. »Wenn nicht um Eurer selbst willen, dann wenigstens mir zuliebe.«

Das brachte sie endlich zum Lächeln. Resigniert schüttelte sie den Kopf. »Euer Wunsch sei mir Befehl, Lord Rahl.«

Mit einem Wink verabschiedete er sich von Victor und Ishaq.

»Gute Reise«, rief Ishaq und zog seinen Hut. Victor salutierte mit einem Faustschlag auf sein Herz. »Lasst Euch, sobald Ihr könnt, wieder bei uns blicken, Richard.«

Er versprach es ihnen.

Kaum waren sie auf der Straße, da schüttelte Cara auch schon den Kopf. »Ich weiß wirklich nicht, warum Ihr Euch die Mühe gemacht habt, mir das Leben zu retten. Wir reiten geradewegs in den Tod, ist Euch das eigentlich klar?«

»Ich dachte, Eure Anwesenheit hätte gerade den Zweck, das zu verhindern.«

»Ich weiß nicht, ob ich Euch vor einer Hexe beschützen kann, Lord Rahl. Mit einer Macht wie der ihren hatte ich noch nie zu tun, ich habe auch noch von keiner Mord-Sith gehört, auf die das zutraf. Ich werde mein Bestes tun, aber über eins solltet Ihr Euch im Klaren sein: Es ist gut möglich, dass ich Euch vor einer Hexe nicht beschützen kann.«

»Oh, darüber würde ich mir nicht den Kopfzerbrechen, Cara.« Er presste seine Schenkel zusammen und verlagerte das Gewicht, um sein Pferd zu einem leichten Trab anzuspornen. »Wie ich Shota kenne, wird sie Euch sowieso nicht in ihre Nähe lassen.«

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