65

Ein Schrei zerriss die nächtliche Stille. Richard, der in einem einfachen Armeezelt in sein Bettzeug gehüllt lag, stellte sich sofort der feine Flaum im Nacken auf. Der entsetzliche, die Luft zerreißende Laut war noch nicht verklungen, da war er bereits auf den Beinen.

Das nicht enden wollende Kreischen jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Klopfenden Herzens, und noch während der gespenstische Schrei durch das Feldlager hallte, als wollte er das Grauen bis in dessen hintersten Winkel tragen, stürzte er aus seinem Zelt.

Draußen vor dem etwas abseits gelegenen, weil nachträglich errichteten Zelt sah Richard einige Männer mit angstvoll aufgerissenen Augen im Dunkeln stehen. Einige Zelte weiter in der Reihe beobachtete General Meiffert mit den Übrigen das nächtliche Dunkel.

Richard sah, dass es der trügerische Augenblick kurz vor Anbruch der Dämmerung war, genau wie an dem Morgen, als Kahlan verschwunden war – die Frau, die er liebte und die alle so gründlich vergessen zu haben schienen, dass sich niemand an sie erinnern mochte. Wenn sie es war, die geschrien hatte, dann hatte niemand ihren Schrei gehört.

Endlich verstummte der Schrei, und eine Dunkelheit senkte sich über die Welt, die schwärzer war als die Nacht selbst. Es war, als tauche man, verloren und für immer vergessen, in die tintenschwarze Leere des Totenreiches ein. Ein Schauder überlief Richard, und plötzlich fühlte sich seine Haut an, als hätte etwas, das nicht von dieser Welt war, die Welt des Lebens mit purer Verheißung gestreift. Ebenso schnell, wie die Dunkelheit aufgekommen war, war sie auch wieder abgezogen. Die Soldaten warfen einander fragende Blicke zu. Niemand sprach.

Sofort schoss Richard der Gedanke durch den Kopf, dass die Viper jetzt nur noch drei Köpfe hatte. »Der Hüter hat eine der seinen zu sich gerufen«, erklärte er den fragenden Gesichtern, die sich ihm zugewandt hatten. Er sah den General horchend in das Dunkel starren. »Ihr solltet froh sein, dass ein so bösartiger Mensch jetzt nicht mehr unter den Lebenden weilt. Mögen all diese Menschen den Tod finden, den sie so verherrlichen.«

Sein Fluch bewirkte, dass die Soldaten unter zustimmendem Getuschel mit einem befreiten Lächeln auf den Lippen in ihre Zelte zurück krochen, um sich für die noch verbliebenen Stunden der Nacht noch etwas hinzulegen. General Meiffert blickte ihm kurz in die Augen und schlug sich mit der Faust aufs Herz, ehe auch er wieder in seinem Zelt verschwand.

Im trüben Licht des frühmorgendlichen Feldlagers, das auf einmal nur von Zelten und Wagen bevölkert schien, sah er Nicci überaus zielstrebig auf ihn zuhalten. Ihr ganzes Äußeres hatte etwas zutiefst Verstörendes, was daran liegen mochte, dass sie soeben ihrem Zorn Luft gemacht hatte, einem Zorn, den außer ihm vermutlich niemand verstand oder zu würdigen vermochte. Mit ihren wild um den Kopf flatternden blonden Haarsträhnen erinnerte sie ihn an ein Raubtier, ein Raubtier, das im Begriff war, sich, ganz angespannte Muskeln und Klauen, aus dem nächtlichen Dunkel auf ihn zu stürzen. Doch dann bemerkte er ihr tränenüberströmtes Gesicht, ihren verbissen angespannten Kiefer, ihren Schmerz und ihre Verletztheit, diese Mischung aus ungeheurer Bedrohlichkeit und zerbrechlicher Hilflosigkeit, in den Augen ein Ausdruck, der sein Verständnis überforderte, und bat sie mit einem Schritt zurück in sein Zelt zu sich herein, wo sie vor den Blicken des übrigen Lagers sicher war.

Sie kam, einem über eine Landspitze hereinbrechenden Unwetter gleich, in sein Zelt gerauscht und hielt direkt auf ihn zu. Nicht ahnend, was nicht stimmte oder was säe vorhatte, wich er, so weit es ging, zurück. Doch dann warf sie sich mit einem Schluchzer von solch nackter Verzweiflung vor seinen Füßen auf den Boden, dass er um ein Haar eingestimmt hätte, und schlang ihm, in der Hand ein Stück Stoff, die Arme um die Beine. Richard sah sofort, dass es Kahlans weißes Konfessorinnenkleid war. »Oh, Richard, es tut mir so Leid«, weinte sie, immer wieder geschüttelt von heftigem Schluchzen. »Es tut mir so unendlich Leid, was ich dir angetan habe. So Leid, so unendlich Leid«, murmelte sie in einem fort. Sachte berührte er sie an der Schulter. »Nicci, was ist denn nur passiert?«

»Es tut mir so Leid«, wimmerte sie und klammerte sich an seine Beine wie eine Verdammte, die ihren König um Gnade anfleht. »Bei den Gütigen Seelen, es tut mir so schrecklich Leid, was ich dir angetan habe.«

Er ließ sich auf die Knie herunter und befreite seine Beine behutsam aus ihrer Umklammerung. »Was ist denn nur los, Nicci?«

Ihre Schultern hoben und senkten sich, immer wieder geschüttelt von heftigem Schluchzen. Dann endlich, als er sie an den Armen hochzog, sah sie zu ihm auf. Sie hing in seinen Armen, schlaff wie eine Tote.

»Oh, Richard, es tut mir so Leid. Ich habe dir keinen Moment geglaubt, ich bin untröstlich, dass ich dir nie Glauben geschenkt habe. Ich hätte dir helfen sollen, stattdessen habe ich dich immer nur behindert. Es tut mir so unendlich Leid.«

Selten hatte er jemanden im Zustand so abgrundtiefer Verzweiflung gesehen. »Nicci...«

»Bitte«, schluchzte sie. »Bitte, Richard, mach ein Ende, jetzt gleich.«

»Was?«

»Ich möchte nicht mehr weiterleben, der Schmerz ist zu gewaltig. Bitte, nimm dein Messer und mach ein Ende. Bitte. Es tut mir so Leid. Was ich getan habe, war schlimmer, als dir einfach nicht zu glauben. Ich war es, die dich ständig, bei jeder Gelegenheit, behindert hat.«

Schlaff wie eine Lumpenpuppe hing sie in seinen Armen und weinte Tränen tiefster Hoffnungslosigkeit und endgültigen Versagens.

Sie war so aufgelöst, dass sie seinen Armen zu entgleiten drohte, doch dann zog er sie, auf dem Boden sitzend, zu sich heran – ganz ähnlich, wie er auch schon Jillian in die Arme genommen hatte. »Nicci, Ihr wart die Einzige, die mich immer wieder ermuntert hat, nicht aufzugeben, als ich schon drauf und dran war, alles hinzuwerfen. Ihr allein habt mich dazu gebracht, den Kampf nicht aufzugeben.«

Doch sie schluchzte nur und murmelte in einem fort, wie Leid es ihr tue und dass sie ihm hätte glauben sollen und es jetzt zu spät sei und sie nur noch wolle, dass die Schmerzen ein Ende hätten und sie stürbe. Richard zog ihren Kopf an seine Schulter und sprach ihr mit leiser Stimme Trost zu, wiegte sie sacht hin und her und beruhigte sie, ohne große Worte zu machen, nur durch sein Mitgefühl. In diesem Moment spürte, ja wusste er, dass sie in ihrem ganzen Leben noch keinen Menschen gehabt hatte, in dessen Armen sie sich hatte ausweinen können. In seinen Armen erfuhr sie zum ersten Mal den ungebrochenen Trost, den sie mehr als alles andere brauchte, sodass sie sich, geborgen wie vielleicht noch nie zuvor in ihrem Leben, völlig verausgabte und schließlich sanft einschlummerte. Das Gefühl, ihr diese seltene Geborgenheit geben zu können, erfüllte ihn mit großer Freude ... Er musste kurz eingenickt sein, denn als er die Augen aufschlug, drang bereits ein fahler Lichtschein durch die dünne Außenhaut des Sommerzelts. Als er den Kopf hob, rührte sich Nicci in seinen Armen wie ein Kind, das sich, beseelt vom Wunsch, nicht aufzuwachen, enger an einen schmiegt. Schließlich aber merkte sie, wo sie war, und tat es doch – ganz abrupt. Sie schaute hoch und betrachtete ihn aus ihren müde wirkenden blauen Augen. »Richard«, hauchte sie mit einer Stimme, die ihm sagte, dass sie wieder von vorn anfangen würde. Um sie erst gar nicht zu Wort kommen zu lassen, legte er ihr einen Finger auf die Lippen.

»Es gibt eine Reihe von Dingen, um die wir uns kümmern müssen. Sagt mir, was Ihr herausgefunden habt, damit wir augenblicklich weitermachen können.«

Sie legte ihm das weiße Kleid in die Hände. »Du hattest in fast jeder Hinsicht Recht, auch wenn dir die Zusammenhänge nicht klar waren. Schwester Ulicia und ihre kleine Schwesternschar wollten sich tatsächlich die Freiheit von dem Traumwandler erkaufen, genau wie du gesagt hast – also beschlossen sie, weil du das Leben über alles schätzt, dir Unsterblichkeit zu gewähren. Was immer sie sonst noch getan haben und wie zerstörerisch es auch gewesen sein mag, es war für sie zweitrangig, denn dadurch erlangten sie die nötige Freiheit, um die Befreiung des Hüters zu betreiben.«

Je länger er ihr zuhörte, desto ungläubiger weiteten sich seine Augen. »Schließlich entdeckten sie das Geheimnis der Feuerkette und bedienten sich seiner, um Kahlan aus dem allgemeinen Bewusstsein zu löschen und so die Kästchen der Ordnung stehlen zu können. Nachdem dein Vater dem Hüter in der Unterwelt verraten hatte, dass du ebenjene Schrift auswendig gelernt hattest, die sie dringend brauchten, wussten sie, dass sie nur mithilfe einer Konfessorin in den Besitz der Wahrheit gelangen konnten. Kahlan war ihnen in zweifacher Hinsicht nützlich: Sie sollte die Kästchen der Ordnung stehlen und ihnen helfen, den wortgetreuen Inhalt jenes Buches zu erfahren, dass du damals auswendig gelernt hattest. Demzufolge ist das Phänomen der Feuerkette – und nicht der Prophezeiungswurm! – schuld daran, was derzeit mit den Prophezeiungen geschieht.

Zurzeit haben die Schwestern zwei der Kästchen der Ordnung in ihrem Besitz – und die haben sie ins Spiel gebracht. Sie haben diese Phase ihres Plans aus zwei Gründen eingeleitet: weil sie den Hüter mithilfe der Magie der Ordnung in die Welt des Lebens rufen wollen, und weil die Kästchen der Ordnung als Gegenmittel gegen jene Kräfte geschaffen wurden, die durch die besagte Feuerkette auf den Plan gerufen werden könnten.«

Richard blinzelte sie verständnislos an. »Was soll das heißen, sie haben nur zwei Kästchen in ihrem Besitz? Ich dachte, sie hätten Kahlan gezwungen, alle drei zu stehlen. Immerhin befanden sich alle drei im Garten des Lebens.«

»Kahlan hatte zunächst nur ein Kästchen beschaffen können. Das übergaben sie Tovi, die damit schon einmal aufbrechen sollte, während sie Kahlan noch einmal zurückschickten, um die beiden anderen zu stehlen ...«

»Sie haben sie noch einmal zurückgeschickt? Ihr verschweigt mir doch etwas.«

Nicci benetzte sich die Lippen, wich aber seinem Blick nicht aus. »Das war der Grund, warum Tovi so geschrien hat.«

Richard spürte, wie ihm die Tränen in die Augen traten. Ein Kloß drohte seine Kehle zu verschließen. Nicci legte ihm ihre Hand aufs Herz. »Wir werden sie zurückbekommen, Richard.«

Er nickte, die Kiefermuskeln angespannt. »Weiter, was geschah dann?«

»Der neue Sucher überraschte Tovi, verwundete sie mit dem Schwert und stahl das Kästchen der Ordnung, als sie im Begriff war, es aus dem Palast des Volkes zu schaffen.«

»Wir müssen auf der Stelle eine Suche in die Wege leiten. Sie können noch nicht weit gekommen sein.«

»Sie sind längst fort, Richard, und werden ihre Spuren diesmal ebenso verwischt haben wie damals, bei Kahlans Entführung. Auf diese Weise werden wir sie bestimmt nicht finden.«

Plötzlich hob Richard den Kopf. »Samuel. Das Schwert der Wahrheit war ebenfalls ein Gegenmittel. In dem Moment, als ich ihm das Schwert übergab, muss ihm die Wahrheit über Kahlan klar geworden sein.« Sein Blick wanderte über die Innenwand des Zeltes, während er nachzudenken versuchte. »Wir müssen das genau durchdenken und alle Informationen zusammentragen, die wir kriegen können, damit wir endlich einmal einen Schritt voraus sind, statt immer nur hinterherzuhinken.«

»Ich werde dir helfen, Richard. Was immer du verlangst, ich werde es tun. Ich werde dir helfen, sie zurückzubekommen. Sie gehört zu dir, das ist mir jetzt klar geworden.«

Er nickte knapp, froh, dass sie zu ihrer eisernen Entschlossenheit zurückgefunden hatte. »Ich denke, wir sollten zunächst ein paar Dinge klarstellen und uns anschließend um erfahrene Helfer bemühen.«

Sie lächelte ein schiefes Lächeln. »Das ist der Sucher, wie ich ihn kenne.«

Unterdessen hatte sich draußen vor dem Zelt eine immer weiter anwachsende Schar von Soldaten zu versammeln begonnen, die alle den Lord Rahl sehen wollten, und durch diese Gruppe bahnte sich Verna einen Weg nach vorn. »Richard! Dem Schöpfer sei Dank – unsere Gebete wurden erhört!« Sie schlang die Arme um ihn. »Wie geht es dir, Richard?«

»Wo seid Ihr nur gewesen?«

»Ich war gerade dabei, einige Verletzte zu versorgen, Kundschafter, die auf eine feindliche Patrouille gestoßen waren, als General Meiffert mich per Kurier wissen ließ, dass ich sofort zurückkommen soll.«

»Und die Soldaten?«

»Ihre Stimmung ist gut«, antwortete sie mit einem Lächeln. »Jetzt, da du endlich für die entscheidende Schlacht zu uns gestoßen bist.«

Er ergriff ihre Hände. »Verna, wie Ihr wisst, hattet Ihr es in der Vergangenheit oft nicht eben leicht mit mir.«

Ein Lächeln ging über ihre Lippen, als sie dies mit einem Nicken bestätigte, ein Lächeln, das ihr jedoch sofort verging, als sie seine ernste Miene sah. »Und dies wird wieder eine dieser Situationen sein«, gestand er ihr. »Ihr werdet mir und dem, was ich zu sagen habe, wohl oder übel glauben müssen, da wir uns sonst gleich der Imperialen Ordnung ergeben können.«

Richard ließ ihre Hände los und stieg auf eine Lattenkiste, um besser gehört zu werden. Sofort sah er, dass er von einem Meer von Soldaten umringt war.

Ganz vorne, in der ersten Reihe, standen Cara und General Meiffert. »Lord Rahl, werdet Ihr unsere Führung übernehmen können?« »Nein«, rief er in die stille morgendliche Luft. Sofort ging ein besorgtes Raunen durch die Reihen der Soldaten. Richard hob beschwichtigend die Arme. »Hört mir zu!« Die Männer verstummten. »Ich habe nicht viel Zeit, vor allem habe ich nicht genug Zeit, die Dinge so zu erklären, wie ich es gerne möchte. Aber so ist es nun einmal. Ich werde euch einfach die Tatsachen mitteilen, danach urteilt selbst. Der Vormarsch der Armee der Imperialen Ordnung ist südlich von hier leicht ins Stocken geraten.« Er hob die Arme, um den aufbrandenden Jubel im Keim zu ersticken. »Meine Zeit ist knapp bemessen, also hört jetzt zu: Ihr Soldaten seid der Stahl gegen den Stahl. Ich bin die Magie gegen die Magie. In der bevorstehenden Schlacht werde ich mich, und zwar jetzt gleich, in diesem Augenblick, für eins von beiden entscheiden müssen. Wenn ich hier bleibe, euch anführe und an eurer Seite kämpfe, stehen unsere Chancen nicht eben günstig. Der Feind verfügt über eine gewaltige Übermacht, aber das muss ich wohl keinem von euch erklären. Wenn ich hier bleibe und euch im Kampf gegen diese Streitmacht unterstütze, werden die weitaus meisten von uns einen sinnlosen Tod sterben.«

»Eins kann ich Euch verraten«, warf General Meiffert ein, »das ist eine Aussicht, die mir kein bisschen behagt.«

»Und was wäre die Alternative?«, rief ein ganz in der Nähe stehender Soldat. »Die Alternative wäre, dass ich euch Männer eure Arbeit als Stahl gegen den Stahl tun lasse, um zu verhindern, dass die Imperiale Ordnung ungehindert in unser Land einmarschiert. Währenddessen gelobe ich feierlich, als Magie gegen die Magie, meinen Teil der Arbeit zu tun. Ich werde tun, was nur ich tun kann, und nach besten Kräften einen Weg zu finden versuchen, den Feind zu besiegen, ohne dass auch nur einer von euch in einer offenen Feldschlacht sein Leben lassen muss. Ich möchte einen Weg finden, ihn kraft meiner Magie aus dem Land zu jagen oder zu vernichten, ehe es überhaupt dazu kommt, dass wir kämpfen müssen.

Eine Garantie auf den Erfolg kann ich euch nicht geben. Wenn ich versage, werde ich bei dem Versuch ums Leben kommen, und ihr Männer werdet allein dem Feind die Spitze bieten müssen.«

»Glaubt Ihr wirklich, dass Ihr diese Horden mit so etwas wie Magie aufhalten könnt?«, wollte ein anderer wissen.

Mit einem Satz war Nicci neben ihm auf der Kiste. »Es wäre nicht das erste Mal, dass Lord Rahl Völker der Alten Welt gegen Jagangs Armeen aufstachelt; wir haben in ihrer eigenen Heimat gegen sie gekämpft, in der Hoffnung, sie dadurch ihrer Unterstützung zu berauben.

Wenn ihr darauf besteht, Lord Rahl hier, bei euch, zu behalten, dann lasst ihr sein einzigartiges Talent ungenutzt, und das könnte euer aller Tod zur Folge haben. Als eine seiner Mitstreiterinnen möchte ich euch hiermit bitten, ihn in seiner Funktion als Lord Rahl das tun zu lassen, was er tun muss, während ihr tut, was ihr tun müsst.«

»Ich hätte es nicht besser formulieren können«, fügte Richard hinzu. »Ihr habt es gehört. Jetzt liegt die Entscheidung bei euch.«

Mit den Füßen schlurfend, schufen die Männer nach und nach Platz, um niederzuknien, ehe wie aus einem Mund der Sprechgesang einsetzte:

»Führe uns, Meister Rahl. Lehre uns, Meister Rahl. In deinem Licht werden wir gedeihen. Deine Gnade gehe uns Schutz. Deine Weisheit beschämt uns. Wir leben nur, um zu dienen. Unser Leben gehört dir.«

Just als Richard den Blick über das Meer der Soldaten schweifen ließ, ging über dem Horizont die Sonne auf. Die Andacht wurde noch einmal wiederholt, dann ein zweites und schließlich noch ein drittes Mal, wie es im Feld Brauch war. Nachdem sie gesprochen war, begannen die Männer, sich wieder zu erheben. »Schätze, da habt Ihr Eure Antwort, Lord Rahl«, bemerkte General Meiffert. »Also los, Männer, schnappt euch diese Hunde.«

Ein Jubelsturm begeisterter Zustimmung brach los.

Richard sprang von der Kiste herab und reichte Nicci eine Hand, um ihr herunterzuhelfen. Richard wandte sich zu Cara. »Ich muss sofort aufbrechen, wir sind sehr in Eile. Schaut, Cara, Ihr sollt wissen, dass ich durchaus damit einverstanden wäre, wenn Ihr es vorziehen würdet, bei... der Armee zu bleiben.«

Eine dunkle Wolke zog über Caras Stirn herauf, und sie verschränkte trotzig die Arme. »Habt Ihr den Verstand verloren?« Sie blickte über ihre Schulter zu dem General. »Ich hab’s Euch ja gesagt, der Mann ist verrückt. Seht Ihr jetzt, was ich alles mitmachen muss?«

General Meiffert nickte mit ernster Miene. »Es ist mir wirklich schleierhaft, wie Ihr das alles schafft, Cara.«

»Übung«, vertraute sie ihm an, ehe sie ihm mit den Fingern über die Wange strich und ihn dabei auf eine Art anlächelte, wie Richard sie noch nie jemanden hatte anlächeln sehen. »Gebt auf Euch Acht, General.«

»Sehr wohl, Madam.« Er schenkte Nicci ein Lächeln, dann neigte er den Kopf. »Ganz, wie Ihr befehlt, Herrin Nicci.«

Richard war in Gedanken bereits woanders. »Nun macht endlich. Wir müssen los.«

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