64

Das Feldlager überraschte Nicci. Sie war so daran gewöhnt, sich unter den Truppen Jagangs zu bewegen, dass sie gar nicht auf die Idee gekommen war, diese Soldaten könnten anders sein. Eigentlich war es nur logisch, nur hatte sie einfach nie darüber nachgedacht.

Sogar jetzt, im Dunkeln, verströmten die unzähligen Lagerfeuer eine gewisse Helligkeit, sodass sie erwartete, sofort im Mittelpunkt eines völlig überzogenen, krankhaften Interesses zu stehen und von den Soldaten, in dem Versuch, sie zu schockieren, zu demütigen oder ihr Angst zu machen, mit den unflätigsten Ausdrücken überhäuft zu werden, die ihnen in den Sinn kamen. Im Lager der Imperialen Ordnung war es gang und gäbe, dass man sie mit spöttischem Gejohle und Gebrüll, mit obszönen Gesten und schallendem Gelächter begrüßte, sobald sie sich unter ihnen bewegte.

Gewiss, auch diese Männer drehten die Köpfe in ihre Richtung. Nicci vermutete, dass sie nur selten das Vergnügen hatten, eine Frau wie sie in ihr Lager reiten zu sehen. Aber bei den Blicken blieb es. Ein flüchtiges Drehen des Kopfes, ein staunendes Gesicht, da und dort ein Lächeln, begleitet von einem kurzen Nicken zur Begrüßung, das war auch schon das Äußerste, was man ihr entgegenbrachte. Vielleicht lag es daran, dass sie an der Seite des Lord Rahl und einer Mord-Sith in rotem Lederanzug ritt, doch eigentlich mochte Nicci das nicht glauben. Diese Männer waren einfach anders; von ihnen wurde erwartet, dass sie sich respektvoll benahmen. Wo immer die Soldaten Richard erblickten, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als voller Stolz aufzuspringen oder eine Weile neben seinem Pferd herzutraben und mit einem Faustschlag auf ihr Herz zu salutieren. Sie schienen geradezu überwältigt vor Freude, ihn in ihr Feldlager reiten zu sehen, ihren Lord Rahl endlich wieder in ihren Reihen begrüßen zu können.

Auch das Lager selbst machte einen aufgeräumteren Eindruck, wobei diesem Umstand gewiss die Trockenheit zugute kam. Es gab kaum etwas Scheußlicheres als ein Armeelager bei feuchter Witterung. In diesem Lager waren die Tiere auf jene Bereiche beschränkt, in denen sie nicht unabsichtlich Anlass zu Verdruss geben konnten, und auch die Wagen standen abseits der zentralen Lagerstraße. Ja, es gab tatsächlich ganz bewusst und planvoll angelegte Wege durch das Lager.

Obwohl die Männer vom langen Marsch erschöpft aussahen, waren ihre Zelte in geordneter Manier errichtet worden – und nicht auf jene beliebige, jeden sich selbst überlassende Art, wie das bei der Imperialen Ordnung üblich war. Die Lagerfeuer prasselten bescheiden und erfüllten einfach ihren Zweck – im Gegensatz zu den riesigen Freudenfeuern, die den Mittelpunkt betrunkener Gelage aus tanzenden, singenden und krakeelenden Männern bildeten. Der andere entscheidende Unterschied bestand darin, dass nirgendwo Folterzelte aufgestellt waren. Bei der Imperialen Ordnung gab es stets einen operativen, den Folterungen vorbehaltenen Bereich, dem ein steter Strom von Menschen zugeführt wurde, um dort verhört zu werden, während ein nicht minder großer Strom von Leichen diesen Bereich wieder verließ. Das niemals abreißende Gebrüll der Opfer trug dazu bei, dass es im Lager überaus geräuschvoll zuging. Und dies war der zweite große Unterschied: Es herrschte relative Ruhe. Die Soldaten beendeten ihr abendliches Mahl und begaben sich zur Nachtruhe. Es war ein Augenblick friedlicher Stille, wie es ihn im Lager der Imperialen Ordnung zu keiner Zeit gab.

»Dort drüben.« Mit erhobenem Arm wies einer der Männer aus ihrer Eskorte auf die im Dunkeln liegenden Kommandozelte. Aus einem davon trat soeben ein groß gewachsener blonder Offizier, offenbar nachdem er Pferde in der Nähe gehört hatte. Zweifellos hatte man ihn bereits davon unterrichtet, dass der Lord Rahl sich auf dem Weg zu ihm befand.

Richard schwang sich aus dem Sattel und konnte mit knapper Not verhindern, dass der Mann sich auf die Knie fallen ließ, um eine Andacht zu sprechen.

»Es tut gut, Euch wieder zu sehen, General Meiffert, aber dafür haben wir jetzt keine Zeit.«

Er verneigte sich kurz. »Ganz, wie Ihr wünscht, Lord Rahl.«

Nicci war nicht entgangen, dass die blauen Augen des Generals kurz zu Cara hinüberzuckten, als diese neben Richard trat.

Er strich sich das blonde Haar aus der Stirn. »Herrin Cara.«

»General.«

Unwirsch sagte Richard: »Das Leben ist zu kurz, um so zu tun, als ob Ihr zwei nichts füreinander empfindet. Ihr solltet Euch stattdessen lieber klar machen, dass jeder gemeinsame Augenblick, der Euch vergönnt ist, kostbar ist und dass nichts daran verkehrt ist, jemandem seine Zuneigung zu zeigen. Das ist schließlich die Art von Freiheit, für die wir kämpfen. Oder irre ich mich da?«

»Gewiss doch, Lord Rahl«, erwiderte General Meiffert leicht verdutzt. »Wir sind wegen eines Eurer Berichte hier, in dem von einer Frau mit Schwertverletzung die Rede ist. Ist sie noch am Leben?«

Der junge General nickte. »Ich habe seit ungefähr einer Stunde nicht mehr nach ihr gesehen, aber davor lebte sie noch. Meine Feldärzte kümmern sich um sie, es gibt jedoch Verletzungen, die weit außerhalb ihrer Möglichkeiten liegen, und diese gehört dazu. Sie wurde von einem Schwert in den Unterleib getroffen – ein langsamer und überaus schmerzhafter Tod. Sie hat bereits länger überlebt, als ich erwartet habe.«

»Wisst Ihr, wie sie heißt?«, fragte Nicci.

»Im Wachzustand wollte sie uns ihren Namen nicht verraten, aber dann fiel sie in ein Fieberkoma, und wir befragten sie erneut. Sie sagte, ihr Name sei Tovi.«

Richard warf einen Seitenblick auf Nicci, ehe er nachhakte. »Wie sieht sie aus?«

»Eine ältere, etwas korpulente Frau.«

»Klingt, als könnte sie es sein«, verkündete Richard und wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Wir müssen sie sehen. Auf der Stelle.«

Der General nickte. »Dann folgt mir, bitte.«

»Augenblick.«

Richard wandte sich herum zu Nicci. »Was ist?«

»Wenn du dort hineingehst, wird sie dir überhaupt nichts sagen. Tovi hat mich seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Als sie zuletzt von mir hörte, war ich noch eine Sklavin Jagangs, während sie gerade entkommen war. Möglicherweise schaffe ich es, den richtigen Ton anzuschlagen, damit sie mit der Wahrheit herausrückt.«

Richard, das war nicht zu übersehen, konnte es kaum erwarten, endlich eine jener Frauen in die Finger zu bekommen, die nach seiner festen Überzeugung für die Entführung der Frau verantwortlich waren, die er liebte. Sie dagegen wusste noch immer nicht recht, was sie glauben sollte. Vielleicht lag es ja einfach nur an ihren Gefühlen für ihn, dass sie noch immer glaubte, er fantasiere sich diese andere Frau nur zusammen. Sie trat näher zu ihm hin, um vertraulich mit ihm sprechen zu können. »Überlass es mir, Richard. Wenn du hineingehst, habe ich keine Chance mehr, irgendetwas zu erreichen. Ich bin sicher, ich werde sie zum Reden bringen, aber sobald sie dich zu Gesicht bekommt, ist alles vorbei.«

»Und wie, bitte, wollt Ihr es schaffen, sie zum Reden zu bewegen?«

»Hör zu, willst du wissen, was mit deiner Kahlan passiert ist, oder möchtest du darüber streiten, wie ich diese Information zu beschaffen gedenke?«

Einen Moment lang presste er die Lippen aufeinander. »Von mir aus könnt Ihr diesem Weibsstück Zoll für Zoll die Eingeweide herausreißen, wenn Ihr sie nur zum Sprechen bewegt.«

Im Vorübergehen legte sie ihm kurz die Hand auf die Schulter, dann folgte sie dem General. Sie hatten sich erst wenige Meter entfernt, da schloss sie zu ihm auf und ging auf dem Weg durch das nahezu dunkle Lager neben ihm. Sofort wurde ihr klar, warum Cara den Mann attraktiv fand. Er besaß eines jener eindrucksvollen Gesichter, die zu Unaufrichtigkeiten einfach nicht fähig schienen.

»Übrigens«, sagte er mit einem Seitenblick zu ihr, »ich bin General Meiffert.«

»Ich weiß, Benjamin.«

Er blieb mitten auf dem durch das Lager führenden Pfad stehen. »Woher wisst Ihr das?«

Ein Lächeln ging über ihre Lippen. »Cara hat mir von Euch erzählt.« Er starrte sie noch immer an. Sie fasste seinen Arm und bewog ihn weiterzugehen. »Es ist für eine Mord-Sith sehr ungewöhnlich, sich so anerkennend über einen Mann zu äußern.« »Cara hat anerkennend von mir gesprochen?« »Aber ja. Sie mag Euch sehr. Das wisst Ihr doch.« Er verschränkte seine Hände hinter dem Rücken, während sie weitergingen. »Schätze, dann wisst Ihr sicher auch, dass ich eine sehr hohe Meinung von ihr habe.« »Natürlich.«

»Wer seid Ihr eigentlich, wenn ich mir die Frage erlauben darf? Tut mir Leid, aber Lord Rahl hat uns nicht vorgestellt.«

Nicci warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu, »Möglicherweise kennt Ihr mich unter dem Namen Herrin des Todes.«

General Meiffert blieb abrupt stehen, kam dabei ins Stolpern und verschluckte sich vor Schreck an seiner eigenen Spucke. »Herrin des Todes?«, brachte er schließlich hervor. »Vor Euch fürchten sich die Menschen sogar noch mehr als vor Jagang.«

»Und das aus gutem Grund.«

»Ihr seid diejenige, die Lord Rahl gefangen nahm und in die Alte Welt entführte.«

»So ist es.« Sie ging weiter.

Er ging neben ihr her und ließ sich die Geschichte dabei durch den Kopf gehen. »Nun, ich schätze, Ihr müsst Euch sehr verändert haben, sonst würde Lord Rahl Euch wohl kaum in seiner Nähe dulden.«

Sie lächelte ihn einfach nur an, ein aalglattes Lächeln, das ihn sofort wieder verunsicherte. Er wies nach rechts. »Dort unten. Das Zelt, in dem wir sie untergebracht haben, steht dort drüben.«

Nicci packte ihn am Unterarm und hinderte ihn am Weitergehen. Sie wollte nicht, dass Tovi sie hörte, noch nicht.

»Es wird ein Weile dauern. Warum geht Ihr nicht zurück zu Richard und richtet ihm von mir aus, er soll sich ein wenig ausruhen. Ich denke, Cara hat auch ein wenig Ruhe nötig. Warum kümmert Ihr Euch nicht auch gleich um sie?«

»Nun, ich schätze, es spricht wohl nichts dagegen.«

»Und noch etwas, General. Wenn meine Freundin Cara morgen früh nicht mit einem übermütigen Lächeln von hier aufbricht, reiße ich Euch bei lebendigem Leib die Eingeweide heraus.«

Seine Augen weiteten sich erstaunt. Nicci konnte nicht anders, sie musste lächeln. »Nur so eine Redewendung, Benjamin.« Keck hob sie eine Braue. »Die Nacht mit ihr gehört Euch. Vertut sie nicht.«

Endlich lächelte auch er. »Danke ...«

»Nicci.«

»Danke, Nicci. Ich muss die ganze Zeit an sie denken. Ich könnt gar nicht ermessen, wie sehr ich sie vermisst habe – und wie besorgt ich ihretwegen war.«

»Doch, ich denke, das kann ich. Aber das solltet Ihr besser ihr erzählen, nicht mir. Also, wo ist nun diese Tovi?«

Er hob den Arm und zeigte. »Dort unten, nach rechts hinüber. Das letzte Zelt in der Reihe.«

Nicci nickte. »Tut mir einen Gefallen. Sorgt dafür, dass niemand uns stört, das gilt auch für die Ärzte. Es ist unbedingt erforderlich, dass ich mit ihr allein bin.«

»Ich werde mich darum kümmern.« Er wandte sich herum und kratzte sich verlegen am Kopf. »Tja, eigentlich geht es mich ja nichts an, aber seid Ihr« – er deutete auf sie, dann auf den Weg, den sie gekommen waren –, »Ihr und Richard Rahl, nun, Ihr wisst schon.«

Nicci schien mit keiner Antwort herausrücken zu können, von der sie wirklich überzeugt war. »Die Zeit ist knapp. Lasst Cara nicht warten.«

»Ja, ich verstehe, was Ihr meint. Danke, Nicci. Ich hoffe, Euch morgen früh zu sehen.«

Sie sah ihm noch nach, wie die Dunkelheit ihn verschluckte, dann wandte sie sich ihrer Aufgabe zu. Eigentlich hatte sie den General mit ihrem Gerede über die Herrin des Todes nicht verunsichern wollen, aber um ihrer selbst willen musste sie noch einmal in die alte Rolle schlüpfen, musste sie sich noch einmal diese Denkweise zu Eigen machen und zu der eiskalten Einstellung zurückfinden, die sie für alles unempfänglich machte. Sie schlug die Zeltplane zur Seite und trat ins Zelt. In einer gusseisernen Halterung, die man neben der Pritsche in den Boden gerammt hatte, brannte eine einzelne Kerze. Im Zelt war es stickig und heiß, und es roch nach abgestandenem Schweiß und getrocknetem Blut.

Tovis schwerer Körper lag auf dem Rücken, sie hatte sichtlich Mühe, Luft zu bekommen. Beherzt ließ Nicci sich auf einem Armeehocker neben ihr nieder. Tovi bekam kaum mit, dass sich jemand neben sie setzte. Nicci legte ihr eine Hand aufs Handgelenk und ließ einen feinen Strahl ihrer Magie in sie hineinströmen, um ihr ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Sofort registrierte Tovi diese von der Gabe inspirierte Hilfe und wandte den Kopf herum. Erstaunt weiteten sich ihre Augen, ihr Atem beschleunigte. Doch dann keuchte sie plötzlich auf vor Schmerzen und griff sich an den Unterleib. Nicci verstärkte ihren Energiestrom, bis Tovi sich mit einem erleichterten Seufzer wieder zurücksinken ließ. »Was führt dich hierher, Nicci? Was in aller Welt tust du hier?« »Seit wann kümmert dich das? Schwester Ulicia und ihr Übrigen habt mich einfach in Jagangs Gewalt zurückgelassen, als seine Leibsklavin, als Gefangene dieses Schweins.« »Aber offenbar bist du entkommen.«

»Entkommen? Schwester Tovi, hast du den Verstand verloren? Niemand konnte dem Traumwandler je entkommen – niemand außer euch fünfen.«

»Vier. Schwester Merissa ist tot.« »Wie das?«

»Das dumme Miststück hat versucht, ihr eigenes Spiel mit Richard Rahl zu spielen. Du wirst dich erinnern, wie sehr sie ihn gehasst hat –in seinem Blut baden wollte sie.« »Ja, ich erinnere mich.« »Schwester Nicci, was tust du hier?«

»Ihr habt mich bei Jagang zurückgelassen.« Nicci beugte sich vor, damit Tovi das wütende Funkeln in ihren Augen sehen konnte. »Du ahnst nicht, was ich alles über mich ergehen lassen musste. Seit jener Zeit bin ich auf einer langfristigen Mission im Namen Seiner Exzellenz. Er braucht halt immer wieder Informationen und weiß, dass ich sie ihm beschaffen kann.«

Ein unschönes Lächeln ging über Tovis Gesicht. »Er zwingt dich, für ihn herumzuhuren, damit du in Erfahrung bringst, was er wissen will?«

Nicci antwortete nicht auf die Frage und überließ es ihr stattdessen, sie sich selbst zu beantworten. »Mir ist zufällig etwas über ein törichtes Weib zu Ohren gekommen, dem es gelungen ist, sich im selben Augenblick, als sie beraubt werden sollte, auch noch mit einem Schwert durchbohren zu lassen. Irgendetwas an ihrer Beschreibung hat mich zu dem Entschluss bewogen, hierher zu kommen und mich persönlich davon zu überzeugen, dass es womöglich sogar du sein könntest.«

Tovi nickte matt. »Ich fürchte, es steht ziemlich schlecht um mich.«

»Ich hoffe, du hast Schmerzen. Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass du eines langsamen, qualvollen Todes stirbst. Ich will dich leiden sehen für das, was du mir angetan hast – mich in der Gewalt Jagangs zurückzulassen, während ihr anderen geflohen seid, ohne mir auch nur zu erklären, wie es geht.«

»Das war nicht zu ändern. Uns bot sich eine Gelegenheit, und die mussten wir beim Schopf ergreifen, das ist alles.« Ein verschlagenes Grinsen breitete sich über ihr Gesicht. »Aber du kannst dich auch von Jagang befreien.«

Nicci hakte sofort nach. »Wie – wie kann ich mich befreien?«

»Heile mich, und ich verrate es dir.«

»Will heißen, ich soll dich heilen, damit du mich wie schon einmal verraten kannst. So nicht, Tovi. Entweder erzählst du mir alles, oder ich werde genau auf diesem Platz sitzen bleiben und genüsslich zuschauen, wie du nach einem langen Leidensweg für alle Ewigkeit in den Armen des Hüters landest. Vielleicht flöße ich dir sogar ein wenig Magie ein, gerade genug, um dich noch ein Weilchen am Leben zu lassen.«

Tovi krallte ihre Hand in Niccis Kleid. »Bitte, Schwester, hilf mir. Die Schmerzen sind unerträglich.«

»Rede, Schwester.«

Sie löste den Griff in Niccis Kleid und ließ ihr Gesicht zur Seite rollen, von ihr fort. »Es sind die Bande zu Lord Rahl. Wir haben ihm einen ewigen Bund geschworen.«

»Wenn du mich für so dämlich hältst, Schwester Tovi, werde ich dich leiden lassen, dass du diesen Gedanken bis in den Tod bereust.«

Sie wälzte den Kopf herum und schaute Nicci an. »Nein, es ist wahr.«

»Wie kann man jemandem einen ewigen Bund schwören, den man vernichten will?«

Wieder ging ein boshaftes Grinsen über Tovis Gesicht. »Schwester Ulicia ist auf die Idee gekommen. Wir schworen ihm einen ewigen Bund, aber nicht, ohne ihn zu zwingen, uns gehen zu lassen, ehe er uns auf die Einhaltung einer ganzen Liste seiner Befehle verpflichten konnte.«

»Deine Geschichte wird immer abwegiger.«

Nicci zog ihre Hand von Tovis Arm zurück, und mit ihm den feinen magischen Strahl, der ihr Erleichterung verschaffte. Dann stand sie auf. Tovi stöhnte auf vor Schmerzen. »Bitte, Schwester Nicci, es ist wahr.« Sie ergriff Niccis Hand. »Dafür, dass er uns gehen ließ, haben wir ihm etwas gegeben, das er unbedingt haben wollte.«

»Was könnte Lord Rahl schon so sehr wollen, dass er einer Schar von Schwestern der Finsternis die Freiheit schenkt? Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe.«

»Eine Frau.«

»Was?«

»Er verlangte eine Frau.«

»Als Lord Rahl kann er sich jede Frau nehmen, nach der es ihn gelüstet. Er braucht sie sich nur auszusuchen und in sein Bett bringen zu lassen, es sei denn, sie zieht stattdessen den Henkersblock vor, und das tut niemand. Er ist wohl kaum darauf angewiesen, dass die Schwestern der Finsternis ihm Frauen in sein Bett schleifen.«

»Nein, nein, nicht diese Art Frauen. Eine Frau, die er liebte.«

»Das reicht.« Nicci stieß ein ärgerliches Schnauben aus. »Leb wohl, Schwester Tovi. Und vergiss nicht, dem Hüter des Totenreichs meine Empfehlung zu überbringen, wenn du dort ankommst. Tut mir aufrichtig Leid, aber ich fürchte, dieses Zusammentreffen wird noch ein Weilchen auf sich warten lassen. Ich finde, du siehst aus, als würdest du noch ein paar Tage hier verweilen. Was für ein Jammer.«

»Bitte!« Ihr Arm langte in weitem Bogen herüber und suchte den Kontakt zu dem einen Menschen, der sie noch retten konnte. »Schwester Nicci, bitte. Hör bitte zu, dann will ich dir alles erzählen.«

Nicci setzte sich – widerwillig, wie es schien – wieder hin und ergriff erneut Tovis Arm. »Also gut, Schwester, aber denk daran, meine Kraft funktioniert auch in der anderen Richtung.«

Tovi bog den Rücken durch und schrie vor Schmerz. »Nicht! Ich flehe dich an!«

Nicci empfand bei dem, was sie tat, nicht das geringste Gefühl des Bedauerns. Die von ihr verursachten Folterqualen waren moralisch gewiss nicht genauso zu bewerten wie das, was die Imperiale Ordnung tat, auch wenn es, bei oberflächlicher Betrachtung, vielleicht ganz ähnlich aussehen mochte. Sie tat es einzig in der Absicht, unschuldige Menschenleben zu retten, die Imperiale Ordnung dagegen benutzte Folter als Mittel der Unterwerfung und Eroberung, als Mittel, ihre Feinde in Angst und Schrecken zu versetzen. Und manchmal auch nur, um sich daran zu ergötzen, denn es verlieh ihnen ein Gefühl grenzenloser Macht, wenn sie sich zum Herrscher nicht nur über die Qualen, sondern über das Leben selbst aufschwangen.

Nicci kehrte das Leid, das sie der alten Frau einflößte, in sein Gegenteil um, und Tovi sank zurück, in den Augen Tränen dankbarer Erleichterung.

Sie war mit einer feinen Schweißschicht bedeckt. »Bitte, Schwester, spende mir stattdessen ein wenig Trost, dann verrate ich dir alles.«

»Fang damit an, wer dich verwundet hat.«

»Der Sucher.«

»Der Sucher ist Richard Rahl. Glaubst du allen Ernstes, ich würde dir eine solche Geschichte glauben? Richard Rahl hätte dich mit einem einzigen Hieb einen Kopf kürzer gemacht.«

Tovis Kopf wälzte sich verzweifelt hin und her. »Nein, nein, du verstehst nicht. Dieser Kerl hatte das Schwert der Wahrheit.« Sie deutete auf ihren Unterleib. »Ich sollte dieses Schwert doch eigentlich erkennen, wenn es sich in meinen Körper bohrt. Er hat mich überrascht, und ehe ich überhaupt wusste, wer er war oder was er wollte, hatte mich der Bastard auch schon durchbohrt.«

Verwirrt presste Nicci ihre Finger an die Stirn. »Ich denke, am besten fängst du noch einmal ganz von vorne an.«

Tovi war bereits im Begriff, ins Koma zu fallen, also verstärkte Nicci den feinen, in ihren Körper strömenden magischen Strahl, um ihr ein wenig heilsame Erleichterung zu verschaffen, ohne aber ihre schwere Verletzung ganz zu heilen. Nicci wollte sie auf keinen Fall kurieren, sie brauchte sie, wie sie war: unfähig, sich selbst zu helfen. Nach außen hin mochte sie wie die typische freundliche Großmutter erscheinen, ihrem Wesen nach war sie eine giftige Viper.

Nicci schlug die Beine übereinander. Es würde eine lange Nacht werden. Endlich kam Tovi wieder zu sich, und Nicci straffte sich. »Du hast also Richard, in seiner Funktion als Lord Rahl, einen ewigen Bund geschworen«, fuhr Nicci fort, als wäre ihr Gespräch nie unterbrochen worden, »und dadurch wart ihr alle vor dem Traumwandler geschützt.«

»Das ist richtig.«

»Und was geschah dann?«

»Wir konnten fliehen. Und während wir wieder darangingen, das Werk unseres Herrn und Meisters zu vollbringen, hielten wir ständig Verbindung zu Richard. Wir mussten irgendeinen Dreh finden.«

Nicci wusste nur zu gut, wer ihr Herr und Meister war.

»Was meinst du mit einem Dreh?«

»Um tun zu können, was wir tun mussten, um den Hüter zufrieden zu stellen, galt es, eine sichere Möglichkeit zu finden, um zu verhindern, dass Richard Rahl sich einmischte. Und die haben wir gefunden.«

»Und die wäre?«

»Etwas, das die Bande zu ihm aufrechterhalten würde, was immer wir auch taten. Der Einfall war brillant.«

»Und was ist es nun?«

»Leben.«

Nicci runzelte die Stirn, unsicher, ob sie richtig gehört hatte. Sie legte eine Hand auf Tovis Wunde und schenkte ihr ein wenig konzentrierte Erleichterung.

Als Tovi sich nach der Schmerzattacke wieder beruhigt hatte, fragte Nicci mit ruhiger Stimme: »Was willst du damit sagen?«

Endlich reagierte Tovi. »Das Leben. Es ist für ihn das höchste Gut.«

»Und?«

»Denk nach, Schwester. Um uns dem Zugriff des Traumwandlers zu entziehen, müssen wir Richard jederzeit über die Bande verbunden sein. Wir dürfen nicht auch nur einen einzigen Augenblick der Unschlüssigkeit riskieren. Und doch, wer ist letztendlich unser wahrer Herr und Meister?«

»Der Hüter des Totenreichs. Ihm haben wir einen Eid geschworen.«

»Richtig. Und falls wir etwas tun sollten, das Richards Leben gefährdet, wie zum Beispiel den Hüter auf die Welt des Lebendigen loszulassen, würden wir unseren Banden zu Richard zuwiderhandeln. Das aber hätte zur Folge, dass Jagang, noch bevor wir den Hüter aus den Grenzen des Totenreichs befreien könnten, in dieser Welt über uns herfallen könnte.«

»Schwester Tovi, du tätest gut daran, dich etwas klarer auszudrücken, denn sonst verliere ich die Geduld, und ich versichere dir, das wird dir nicht gefallen. Ich will wissen, was gespielt wird, damit ich mitspielen kann. Ich möchte endlich wieder wissen, wohin ich gehöre.«

»Natürlich, natürlich. Du musst wissen, in Richards Augen stellt das Leben das allerhöchste Gut dar. Er hat ihm sogar eine Statue gewidmet. Wir sind in der Alten Welt gewesen; wir haben seine dem Leben gewidmete Statue mit eigenen Augen gesehen.«

»Das hatte ich deinen Worten bereits entnommen.«

Sie wälzte ihren Kopf wieder herum, sodass sie Nicci ansehen konnte. »Und, meine Liebe, was haben wir in dem Treueschwur, den wir abgelegt haben, gelobt zu tun?«

»Den Hüter zu befreien.«

»Und was winkt uns als Lohn, wenn wir unsere Aufgabe erfüllen?«

Nicci starrte in die kalten Augen der Frau. »Unsterblichkeit.«

Ein Feixen ging über ihr Gesicht. »Genau.«

»Willst du etwa behaupten, weil das Leben für Richard das höchste Gut darstellt, habt ihr vor, ihm Unsterblichkeit zu gewähren?«

»Aber ja. Denn damit arbeiten wir auf sein edelstes Ideal hin: Leben.«

»Aber vielleicht möchte er gar nicht unsterblich sein?«

Tovi gelang es, mit einer Achsel zu zucken. »Mag sein. Nur haben wir gar nicht die Absicht, ihn zu fragen. Erkennst du nicht, wie brillant Schwester Ulicias Plan ist? Wie wir wissen, ist – wie gesagt –sein höchstes Ideal das Leben; was immer wir auch sonst tun mögen, das seinen Vorstellungen widerspricht, es kann für ihn unmöglich die gleiche Bedeutung haben wie sein allerhöchstes Gut. Somit respektieren wir die Bande zu Lord Rahl auf höchst eindrucksvolle Weise: indem wir einerseits die Bande aufrechterhalten – um den Traumwandler aus unseren Gedanken fern zu halten – und gleichzeitig darauf hinarbeiten, dem Hüter einen Weg in die Welt des Lebens zu eröffnen. Ein wahrhaft teuflischer Kreis: Das eine zieht das andere stets noch zwingender nach sich.«

»Aber es ist der Hüter, der euch Unsterblichkeit verheißt, ihr könnt sie nicht gewähren.«

»Nicht, wenn wir sie durch den Hüter zu erlangen suchen.«

»Wie könntet ihr jemals Unsterblichkeit gewähren? Diese Art von Macht besitzt ihr nicht.«

»Oh, das kommt noch, ganz gewiss.« »Und wie?«

Tovi bekam einen Hustenanfall, sodass Nicci sich mit einem schnellen Eingriff an ihrer Verletzung zu schaffen machen musste, um sie wenigstens am Leben zu erhalten. Es dauerte fast zwei Stunden, bis sie sie wieder bei Bewusstsein und ruhig gestellt hatte. »Ich musste deine Wunde teilweise zusammenflicken, aber bevor ich deine Wunde ganz schließen und deine volle Gesundheit wiederherstellen kann – damit du den gerechten Lohn für dein Leben empfangen kannst –, muss ich die ganze Geschichte hören. Wie könnt ihr allen Ernstes glauben, ihr könntet jemandem Unsterblichkeit gewähren? Diese Art von Macht besitzt ihr nicht.«

»Wir haben die Kästchen der Ordnung in unseren Besitz gebracht und planen, mit ihrer Hilfe alles Leben zu vernichten ... bis auf solches natürlich, von dem wir uns umgeben wissen wollen. Dank der Macht der Ordnung herrschen wir über Leben und Tod, und damit haben wir auch die Macht, Richard Rahl Unsterblichkeit zu gewähren. Verstehst du? Den Banden ist damit Genüge getan.«

Nicci drehte sich der Kopf. »Was du da sagst, Tovi, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Diese Dinge sind weit komplizierter, als du sie darstellst.«

»Nun, damit ist der Plan noch lange nicht erschöpft. Wir haben unter dem Palast der Propheten Katakomben entdeckt.«

Nicci hatte von der Existenz solcher Katakomben nichts gewusst, aber da sie wollte, dass Tovi mit ihrer Geschichte fortfuhr, ließ sie sie einfach weitersprechen.

»Das war der Moment, als alles anfing, als wir auf die Idee kamen. Du musst wissen, wir waren damals schon eine Weile durch die Lande gezogen, immer auf der Suche nach Möglichkeiten, den Hüter zufrieden zu stellen ...« Sie bohrte ihre Finger so fest in Niccis Arm, dass es schmerzte. »Er sucht uns in unseren Träumen heim, er kommt und quält uns, zwingt uns, ihm zu Willen zu sein und alles dafür zu tun, ihn endlich zu befreien.«

Nicci musste ihre krallengleiche Hand mit Gewalt von ihrem Arm lösen. »Katakomben?«

»Richtig. Die Katakomben. Wir entdeckten alte Katakomben und darin jede Menge Bücher, darunter eines mit dem Titel Feuerkette.«

Eine Gänsehaut kroch Niccis Arme hoch. »Feuerkette, was soll das bedeuten? Ist das so etwas wie ein Zauber?«

»Oh, es ist weit mehr als etwas so Simples wie ein Zauber. Der Begriff stammt aus alter Zeit. Die Zauberer damals hatten eine neue Methode entwickelt, eine Methode, wie sich das Gedächtnis beeinflussen ließe – oder anders ausgedrückt, wie sich tatsächliche Ereignisse mittels subtraktiver Magie verändern ließen, sodass sich alle nicht miteinander in Verbindung stehenden Teilereignisse spontan und voneinander unabhängig neu ordneten. Insbesondere, wie man ein Individuum in den Augen aller anderen verschwinden lassen kann, indem man dafür sorgt, dass den Menschen der Name der betreffenden Person entfällt, selbst wenn sie ihr noch wenige Augenblicke zuvor begegnet sind.

Nun waren die Zauberer, die diese Methode entwickelt hatten, zaghafte Menschen, daher war ihnen nicht ganz wohl dabei, eine solche Magie auf die Welt loszulassen – nicht nur, weil ihnen klar war, dass eine solche Verkettung von Ereignissen irreparable Schäden bei den betreffenden Personen hervorrufen würde, sondern auch, weil ein solcher Vorgang, einmal in Gang gesetzt, für sie nicht mehr beherrschbar wäre. Er würde sich aus eigener Kraft immer wieder aufs Neue in Gang setzen und immer weitere Kreise ziehen.«

»Wie meinst du das? Was geschieht denn dabei?«

»Nun, zum einen wird die Erinnerung der Menschen an die betreffende Person gelöscht. Gleichzeitig aber setzt dieser Auslöser eine wahre Flut von Ereignissen in Gang, die vollkommen unvorhersehbar und unbeherrschbar sind. Mit der Zeit werden so viele Querverbindungen gelöscht, dass davon im wahrsten Sinne alles befallen wird. Für unsere Zwecke spielt das allerdings keine Rolle, da wir ohnehin alles Leben vernichten wollen. Aus Angst, jemand könnte uns auf die Schliche kommen, vernichteten wir das Buch und zerstörten anschließend auch die Katakomben.«

»Aber wieso musstet ihr jemanden aus der Erinnerung aller löschen?«

»Oh, nicht irgendjemanden, sondern ebenjene Frau, der wir diese Bande überhaupt erst zu verdanken hatten, Kahlan Amnell, Richard Rahls große Liebe. Durch das Auslösen dieser Feuerkette, dieser Verkettung von Ereignissen, wurde sie am Ende zu einer Frau, an die sich niemand erinnert.«

»Aber was habt ihr damit gewonnen?«

»Die Kästchen der Ordnung. Wir haben uns ihrer bedient, um in den Besitz der Kästchen zu gelangen und mit ihrer Hilfe den Hüter befreien zu können. Dank der Kästchen sind wir in der Lage, Richard Rahl ewiges Leben zu gewähren und gleichzeitig den Hüter zu befreien. In unseren Träumen flüsterte uns der Hüter ein, dass Richard im Besitz des Geheimnisses zum Offnen der Kästchen sei, dass er dieses Wissen, das sonst an keinem anderen Ort existiert, einst auswendig gelernt habe. Darken Rahl selbst war es, der dies dem Hüter einst verraten hat. Richard weiß, wie die Geheimnisse der Magie der Ordnung zu entschlüsseln sind, nur kennen wir diesmal den Trick, der Darken Rahl damals zum Verhängnis wurde. In dem Buch, das Richard auswendig lernte, steht, dass wir zum Öffnen der Kästchen eine Konfessorin benötigen – jetzt haben wir eine in unserer Gewalt, an die niemand sich erinnert, weswegen uns niemand ihretwegen behelligen wird.«

»Und was ist mit den, wie du sagst, Querverbindungen? Mit den verschwindenden Prophezeiungen? Wurde das auch durch diese Feuerkette ausgelöst?«

»Das Verschwinden der Prophezeiungen ist Teil dieser Ereigniskette. Damals nannten sie es ›das Korollarium der Feuerkette‹. In der Eingangsphase der Feuerkette ist es unumgänglich, dass auch die Prophezeiungen von diesem Vorgang erfasst werden – etwa so, wie auch das Gedächtnis der Menschen von diesem magischen Feuer ergriffen wird. Die Feuerkette nährt sich von diesen Erinnerungen und hält sich dadurch selbst in Gang, weswegen die Prophezeiungen mit einbezogen werden müssen. Nun finden sich an den entsprechenden Gabelungen innerhalb der Prophezeiungen Leerstellen –Stellen, wo der Prophet Platz gelassen hat, sollte ein künftiger Prophet den Wunsch verspüren, das Werk zu ergänzen. Diese Leerstellen in den Prophezeiungen füllen wir mit einer ergänzenden Prophezeiung, in der die Formel der Feuerkette enthalten ist, sodass sie sämtliche damit in Zusammenhang stehenden Prophezeiungen auf diesem Zweig befällt und schließlich vernichtet, angefangen mit den entweder über die Zielperson selbst oder den zeitlichen Zusammenhang verwandten Prophezeiungen. In diesem Fall trifft beides zu: Kahlan, die Frau, die wir aus diesem Leben gelöscht haben, wurde gleichzeitig auch aus den Prophezeiungen entfernt – dank des Korol-lariums der Feuerkette.«

»Offenbar habt ihr euch das ja alles ganz genau überlegt«, bemerkte Nicci. Trotz ihrer Schmerzen konnte Tovi sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Es kommt noch besser.«

»Besser? Wie könnte es noch amüsanter werden?«

»Es gibt ein Gegenmittel gegen die Feuerkette.« Tovi kicherte geradezu vor Schadenfreude. »Ein Gegenmittel? Soll das heißen, ihr seid das Risiko eingegangen, dass Richard ein Gegenmittel gegen das entdeckt, was ihr angerichtet habt, ein Gegenmittel, das euern ganzen Plan vereiteln könnte?«

Sosehr sie sich bemühte, ihr Kichern zu unterdrücken, es bahnte sich immer wieder einen Weg. Obwohl sie unübersehbar Schmerzen hatte, amüsierte sie sich viel zu sehr, um aufzuhören. »Das ist das Beste überhaupt. Die Zauberer von einst, welche die Feuerkettenmethode ersannen, waren sich der Möglichkeit einer völligen Vernichtung allen Lebens bewusst, daher schufen sie ein Gegenmittel, für den Fall, dass jemals eine solche Feuerkette ausgelöst werden sollte.«

Wütend knirschte Nicci mit den Zähnen. »Und das wäre?«

»Die Kästchen der Ordnung.«

Nicci riss verdutzt die Augen auf. »Die Kästchen der Ordnung wurden als Gegenmittel gegen diese Feuerkette entwickelt, die ihr ausgelöst habt?«

»Aber ja. Ist das nicht köstlich? Mehr noch, wir haben die Kästchen bereits ins Spiel gebracht.«

Nicci stieß einen tiefen Atemzug aus. »Nun, ich sagte es bereits, offenbar habt ihr euch das ganz genau zurechtgelegt.«

Ein Schmerz ließ Tovi zusammenzucken. »Nun ... mehr oder weniger. Da wäre nur eine Kleinigkeit...«

»Und die wäre?«

»Nun, als wir sie das erste Mal in den Garten des Lebens schickten, brachte dieses dusselige Weib nur ein einziges Kästchen mit. Wir durften natürlich nicht zulassen, dass jemand die Kästchen sieht, denn im Gegensatz zu Richards geliebtem Weib würden sich die Menschen an die Kästchen der Ordnung erinnern. Sie behauptete, in ihrem Bündel sei kein Platz mehr gewesen. Schwester Ulicia war außer sich vor Wut und prügelte sie grün und blau – du wärst begeistert gewesen, Schwester Nicci – und befahl ihr, etwas herauszunehmen, um mehr Platz zu schaffen, wenn es nicht anders ginge, ehe sie sie abermals losschickte, um die beiden anderen Kästchen zu holen.«

Tovi krümmte sich unter einem stechenden Schmerz. »Wir hatten jedoch Angst zu warten, also schickte Schwester Ulicia mich mit dem ersten Kästchen vor und versprach, später wieder zu mir zu stoßen.« Ein weiterer schmerzhafter Stich ließ Tovi aufstöhnen. »Ich hatte das erste Kästchen also bei mir. Der Sucher, oder jedenfalls der Kerl, der jetzt das Schwert hat, überraschte mich und rammte es mir in den Leib. Dann entriss er mir das Kästchen. Nachdem Kahlan endlich die beiden anderen beschafft hatte, war Schwester Ulicia im Besitz von diesen zweien – und brachte, im Glauben, ich hätte das dritte, noch vor Verlassen des Palasts die Magie der Ordnung ins Spiel.«

Nicci erhob sich wankend; ihr war schwindlig. Sie konnte es kaum fassen, und doch wusste sie jetzt, dass es die Wahrheit war. Richard hatte die ganze Zeit über Recht gehabt. Er hatte das Rätsel, nahezu ohne einen einzigen konkreten Hinweis, im Großen und Ganzen durchschaut. Und während all dieser Zeit hatte ihm kein Mensch auf der ganzen Welt Gehör schenken wollen ... einer Welt, die im Begriff war, von einer unkontrollierbaren magischen Feuerkette ausgelöscht zu werden.

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