6 Tore

Rand al'Thor«, sagte Moiraine mit leiser, angespannter Stimme zu niemandem direkt, »ist ein wollköpfiger Maulesel, ein sturer Bock, ein Narr von einem... einem Mann!« Elayne hob zornig den Kopf. Ihr Kindermädchen Lini hatte immer gesagt, man könne eher Seide aus Schweineborsten weben, als aus einem Mann etwas anderes machen als eben einen Mann. Aber das war natürlich keine Entschuldigung für Rand.

»An den Zwei Flüssen züchtet man sie so.« Nynaeve machte plötzlich einen zufriedenen Eindruck und unterdrückte sichtlich ein Lächeln. Sie verbarg ihre Abneigung gegen die Aes Sedai nur selten so gut, wie sie selbst glaubte. »Die Frauen der Zwei Flüsse haben keine Probleme mit ihnen.« Dem überraschten Blick Egwenes nach zu schließen, war das eine so gewaltige Lüge, daß man ihr eigentlich hätte den Mund auswaschen müssen.

Moiraines Augenbrauen zogen sich zusammen, als wolle sie Nynaeve noch um einiges härter antworten. Elayne machte eine abwehrende Bewegung, doch ihr fiel nichts ein, was sie zur Beruhigung der Lage sagen konnte. Ihr ging immer nur Rand durch den Kopf. Er hatte kein Recht dazu! Aber mit welchem Recht beurteilte sie das?

Statt dessen sagte Egwene: »Was hat er getan, Moiraine?« Der Blick der Aes Sedai wandte sich Egwene zu, und er war so scharf, daß die junge Frau einen Schritt zurücktrat und ihren Fächer wieder aufklappte, um sich nervös Luft zuzufächeln. Dann traf Moiraines Blick auf Joiya und Amico. Die erstere beobachtete sie mißtrauisch, während die andere gebunden war und nichts sah als die hintere Wand des Raumes.

Elayne fuhr ein wenig zusammen, als ihr klar wurde, daß Joiya nicht gebunden war. Hastig überprüfte sie die Abschirmung, die die Frau von der Wahren Quelle abschneiden sollte. Sie hoffte, daß keine der anderen ihr Erschrecken bemerkt hatte. Sie selbst hatte Todesangst vor Joiya, aber weder Egwene und Nynaeve noch Moiraine schienen sie zu fürchten. Manchmal war es schon schwer, so tapfer zu sein, wie sie es als Tochter-Erbin von Andor sein sollte. Sie wünschte sich oft, damit ebenso gut fertigwerden zu können wie die beiden.

»Die Wachen«, knurrte Moiraine in sich hinein. »Ich habe sie immer im Korridor gesehen und mir daher nichts weiter dabei gedacht.« Sie strich ihr Kleid glatt und gab sich die größte Mühe, ihre Beherrschung wiederzufinden. Elayne konnte sich nicht erinnern, Moiraine jemals so erregt gesehen zu haben wie an diesem Abend. Aber natürlich hatte die Aes Sedai auch einen guten Grund dafür. Nicht mehr als ich. Oder? Sie ertappte sich dabei, daß sie Egwenes Blick zu meiden versuchte.

Wären es Egwene, Nynaeve oder Elayne gewesen, die ihre Beherrschung verloren, hätte Joiya ganz sicher etwas von sich gegeben, irgend etwas Subtiles, Doppelzüngiges, dazu geeignet, sie noch ein bißchen mehr aus dem Gleichgewicht zu bringen. Zumindest, wenn sie allein gewesen wären. Aber in Moiraines Fall blickte sie nur verstört drein und schwieg.

Moiraine ging mit beinahe wiederhergestellter äußerlicher Ruhe am Tisch entlang. Joiya war wohl fast einen Kopf größer, aber selbst wenn sie ebenfalls in Seide gekleidet gewesen wäre, so hätte es doch keinen Zweifel daran gegeben, wer hier die Lage beherrschte. Joiya wich zwar nicht zurück, aber ihre Hände verkrampften sich einen Moment lang in ihren Rock, bevor sie sich wieder im Griff hatte.

»Ich habe Vorkehrungen getroffen«, sagte Moiraine leise. »In vier Tagen bringt man Euch mit dem Schiff flußaufwärts nach Tar Valon zur Burg. Dort wird man nicht so sanft mit Euch verfahren wie wir. Wenn Ihr bisher noch nicht zur Wahrheit gefunden habt, dann findet dazu, bevor Ihr den Südhafen erreicht habt, oder Ihr werdet todsicher den Weg zum Galgen im Hof Der Verräter antreten. Ich werde nicht mehr mit Euch sprechen, bis Ihr mir eine Nachricht senden laßt, daß Ihr mir etwas Neues zu sagen habt. Und ich will kein Wort von Euch hören — kein einziges Wort — das nicht neu ist. Glaubt mir, das wird Euch in Tar Valon Schmerzen ersparen. Aviendha, sagt Ihr bitte dem Hauptmann, daß er zwei seiner Männer hereinschicken soll?« Elayne blinzelte, als sich die Aielfrau aufrichtete und durch die Tür verschwand. Manchmal verhielt sich Aviendha so still, daß man sie gar nicht bemerkte.

Joiya verzog das Gesicht, als wolle sie etwas sagen, doch Moiraine starrte sie schweigend an, bis die Hörige des Schattens ihren Blick abwandte. Ihre Augen glitzerten wie die eines Raben. Ihr Blick sprach von Mord, doch sie blieb stumm.

In Elaynes Augen umgab plötzlich ein goldenweißes Glühen Moiraine, das Glühen einer Frau, die Saidar berührte. Nur eine Frau, die selbst im Gebrauch der Macht ausgebildet war, konnte das wahrnehmen. Die Stränge, die Amico banden, wickelten sich schneller auf, als Elayne das geschafft hätte. Dabei war sie von den Anlagen her stärker als Moiraine. In der Burg hatten die Frauen, die sie unterwiesen, kaum glauben können, welches Potential in ihr steckte und genauso in Egwene und Nynaeve. Nynaeve war die stärkste von allen, wenn sie es einmal fertigbrachte, die Macht zu lenken. Aber Moiraine hatte eben sehr viel Erfahrung. Was sie erst noch lernen mußten, konnte Moiraine fast im Schlaf bewältigen. Und doch gab es bereits einige Dinge, die Elayne und die anderen beiden beherrschten, die aber Moiraine nicht gelangen. Das verschaffte ihr ein klein wenig Befriedigung, obwohl Moiraine Joiya so schnell zum Nachgeben gezwungen hatte.

Befreit und wieder in der Lage, zu hören, drehte sich Amico um und wurde zum erstenmal Moiraines gewahr. Mit einem Quieken knickste sie so schnell und tief wie eine gerade aufgenommene Novizin. Joiya blickte zornig zur Tür hinüber und mied die Blicke der anderen. Nynaeve, die ihre Arme vor der Brust verschränkt hatte und deren Knöchel weiß waren vor Anstrengung, so fest umklammerte sie ihren Zopf, warf Moiraine einen beinahe genauso mörderischen Blick zu wie Joiya zuvor. Egwene strich über ihr Kleid und funkelte Joiya an. Elayne runzelte die Stirn und wünschte sich, genauso tapfer wie Egwene zu sein. Sie hatte das Gefühl, ihre Freundinnen mit ihrer Feigheit zu verraten. Und in diese Situation hinein schritten der Hauptmann und zwei Verteidiger in Schwarz und Gold. Aviendha war nicht mit ihnen gekommen; es schien, sie habe die Gelegenheit benützt, um der Aes Sedai zu entfliehen.

Der ergraute Offizier mit den beiden kurzen weißen Federn auf dem Helm scheute zurück, als sein Blick sich mit dem Joiyas kreuzte, obwohl sie ihn gar nicht bewußt wahrzunehmen schien. Dann glitt sein Blick unsicher von einer Frau zur anderen. Die Stimmung im Raum war geladen, und ein kluger Mann mied diese Art von Streitigkeiten zwischen Frauen. Die beiden Soldaten umklammerten ihre Hellebarden so fest, als rechneten sie damit, sie gebrauchen zu müssen. Vielleicht fürchteten sie das tatsächlich.

»Ihr bringt diese beiden in ihre Zellen zurück«, sagte Moiraine kurz angebunden zu dem Offizier. »Wiederholt Euren Befehl. Es darf keine Fehler geben.« »Ja, Ae... « Der Hauptmann schien plötzlich einen Kloß im Hals zu haben. Er atmete hastig durch. »Ja, Lady«, sagte er und beobachtete sie ängstlich, um zu sehen, ob er vielleicht einen Fehler gemacht habe. Als sie ihn lediglich wartend anblickte, seufzte er hörbar erleichtert auf. »Die Gefangenen dürfen mit niemandem außer mir sprechen, auch nicht miteinander. Zwanzig Mann im Wachraum und zwei grundsätzlich immer vor jeder Zelle, und falls aus irgendeinem Grund die Tür geöffnet werden muß, vier Mann davor. Ich bin persönlich dabei, wenn ihr Essen zubereitet wird und bringe es ihnen selbst. Wie Ihr befohlen habt, Lady.« Die Andeutung einer Frage schwang in seinem Tonfall mit. Hundert Gerüchte in bezug auf die Gefangenen gingen im Stein um. Vor allem fragte man sich, wieso zwei Frauen so streng bewacht werden mußten. Und man flüsterte sich düstere Geschichten über die Aes Sedai zu, eine schlimmer als die andere.

»Sehr gut«, sagte Moiraine. »Bringt sie weg.« Es wurde nicht klar, wer den Raum lieber verließ — die Gefangenen oder die Wächter. Selbst Joiya schritt schnell hinaus, als könne sie es keinen Augenblick länger ertragen, schweigend vor Moiraine stehen zu müssen.

Elayne war im festen Glauben, keine Miene verzogen zu haben, seit sie den Raum betreten hatte, aber nun kam Egwene zu ihr herüber und legte den Arm um sie. »Was ist los, Elayne? Du siehst aus, als wolltest du weinen.« Die Sorge in ihrer Stimme allein schon reichte fast, um Elayne in Tränen ausbrechen zu lassen. Licht, dachte sie. Ich werde mich nicht so töricht benehmen! Niemals! »Eine weinende Frau ist wie ein Eimer ohne Boden.« Lini war vollgewesen von Redensarten wie dieser.

»Dreimal...«, brach es aus Nynaeve heraus, und dann fuhr sie Moiraine an: »Nur dreimal habt Ihr euch dazu herabgelassen, uns beim Verhör zu helfen. Diesmal verschwindet Ihr sogar, bevor wir überhaupt anfangen, und nun verkündet Ihr so einfach und gelassen, daß Ihr sie nach Tar Valon schickt! Wenn Ihr schon nicht helft, dann mischt Euch wenigstens nicht ein!« »Strapaziert die Autorität der Amyrlin nicht zu sehr«, sagte Moiraine kühl. »Sie hat Euch wohl ausgesandt, um Liandrin zu jagen, aber Ihr seid trotzdem nur Aufgenommene und ziemlich unwissende dazu, welche Briefe Ihr auch mitführen mögt. Oder wolltet Ihr sie ewig weiter verhören, bevor Ihr euch zu einer Entscheidung durchringt? Ihr Leute von den Zwei Flüssen scheint groß darin zu sein, Euch vor notwendigen Entscheidungen zu drücken.« Nynaeve öffnete mit herausquellenden Augen den Mund und schloß ihn dann wieder, als könne sie sich nicht entscheiden, auf welche dieser Anschuldigungen sie zuerst eingehen solle, doch Moiraine wandte sich bereits Egwene und Elayne zu. »Reißt Euch zusammen, Elayne. Wie könnt Ihr den Auftrag der Amyrlin ausführen, wenn Ihr glaubt, jedes Land müsse sich nach Euren Sitten richten? Und ich weiß auch nicht, warum Ihr euch so aufregt. Laßt andere nicht so unter Euren Gefühlen leiden.« »Was meint Ihr damit?« fragte Egwene. »Welche Sitten? Wovon sprecht Ihr?« »Berelain hielt sich in Rands Gemächern auf«, platzte Elayne in anklagendem Ton heraus, bevor sie es verhindern konnte. Ihr schuldbewußter Blick traf Egwene. Sie hatte doch wohl hoffentlich ihre eigenen Gefühle verborgen?

Moiraine sah sie mißbilligend an und seufzte: »Ich hätte Euch das gern erspart, Egwene. Wenn Elayne nicht ihre Vernunft an den Nagel gehängt hätte, weil sie Berelain so verachtet. Die Sitten in Mayene entsprechen nunmal überhaupt nicht denen, in die Ihr beide hineingeboren wurdet. Egwene, ich weiß, was Ihr für Rand empfindet, aber mittlerweile sollte Euch ja auch klar sein, daß das zu nichts führen wird. Er gehört dem Muster und der Geschichte.« Egwene schien die Aes Sedai zu ignorieren und sah statt dessen Elayne in die Augen. Elayne wollte wegschauen, konnte aber nicht. Plötzlich beugte sich Egwene näher zu ihr herüber und flüsterte ihr hinter vorgehaltener Hand zu: »Ich liebe ihn. Wie einen Bruder. Und dich wie eine Schwester. Ich wünsche dir Glück mit ihm.« Elayne riß die Augen auf und langsam breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht aus. Sie antwortete Egwene mit einer wilden Umarmung. Dann flüsterte sie leise: »Danke dir. Ich liebe dich auch, Schwester. Oh, danke.« »Sie hat sich tatsächlich geirrt«, sagte Egwene ins Leere hinein, und dabei grinste sie in höchstem Maße erfreut. »Seid Ihr jemals verliebt gewesen, Moiraine?« Was für eine überraschende Frage! Elayne konnte sich keine verliebte Aes Sedai vorstellen. Moiraine gehörte zu den Blauen Ajah, und man sagte den Blauen Schwestern nach, daß all ihre Liebe ihren Aufgaben gelte.

Die schlanke Frau war aber keineswegs erschüttert. Einen langen Augenblick über sah sie die beiden ruhig an, wie sie Arm in Arm dastanden. Schließlich sagte sie: »Ich könnte wetten, daß ich das Gesicht des Mannes besser kenne, den ich einmal heiraten werde, als Ihr zwei das Eures zukünftigen Ehemannes kennt.« Egwene schnappte überrascht nach Luft.

»Wer?« schluckte Elayne.

Die Aes Sedai schien bereits zu bereuen, daß sie soviel gesagt hatte. »Vielleicht wollte ich damit nur sagen, daß wir in dieser Hinsicht gleich unwissend sind. Lest nicht zuviel aus ein paar Worten heraus.« Nachdenklich blickte sie Nynaeve an. »Sollte ich aber jemals einen Mann erwählen — sollte, habe ich gesagt —, dann wird es nicht Lan sein. Soviel steht fest.« Das war an sich Seelenbalsam für Nynaeve, doch die schien es nicht gern zu hören. Nynaeve hatte noch ein hartes Stück Arbeit vor sich, weil sie nicht nur einen Behüter liebte, sondern mit ihm eben einen Mann, der sich bemühte, zu verbergen, daß er ihre Liebe erwiderte. Narr, der er war, sprach er doch von dem Krieg gegen den Schatten, in den er verwickelt sei und den er nicht gewinnen könne, und daß er sich weigere, Nynaeve schon zu ihrer Hochzeit das Witwenkleid überstreifen zu lassen. Dummes Zeug dieser Art hatte er auf Lager. Elayne wußte nicht, wie Nynaeve damit fertigwerden konnte. Sie war keine sehr geduldige Frau.

»Wenn Ihr mit dem Thema Männer fertig seid«, sagte Nynaeve ätzend, als wolle sie gleich den Beweis antreten, »können wir uns vielleicht wieder Wichtigem zuwenden?« Sie hatte ihren Zopf wieder fest in der Faust, und nun kam immer mehr Schwung in sie, wie bei einem Mühlrad, das man von der Mühle abgekoppelt hatte. »Wie können wir entscheiden, ob Joiya lügt oder Amico, wenn Ihr sie wegschickt? Oder ob beide lügen? Es paßt mir nicht, hier müßig herumzuhocken, Moiraine, gleich, was Ihr jetzt glaubt, aber ich bin schon in so viele Fallen getappt, daß ich nicht wieder hereinfallen möchte. Und ich will auch keine Irrlichter jagen. Ich... wir... sind diejenigen, die von der Amyrlin hinter Liandrin und ihren Hexen hergejagt wurden. Da Ihr zu denken scheint, sie seien nicht wichtig genug, um uns zu helfen und wenigstens ein paar Augenblicke dafür zu erübrigen, könntet Ihr euch wenigstens bemühen, uns keinen Knüppel zwischen die Beine zu werfen!« Sie schien bereit, ihren Zopf auszureißen und die Aes Sedai damit zu erwürgen. Moiraine ihrerseits befleißigte sich einer gefährlich kalten Ruhe, die andeutete, daß sie drauf und dran war, auch Nynaeve dieselbe Lektion über das Schweigen zu erteilen wie vorher Joiya. Elayne entschied, es sei höchste Zeit für sie, mit Schmollen aufzuhören und etwas zu unternehmen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie eigentlich in diese Rolle der Vermittlerin zwischen drei Frauen hineingetrieben worden war, und gelegentlich hätte sie ja gern alle drei am Kragen gepackt und geschüttelt, aber ihre Mutter hatte immer gesagt, im Zorn könne niemand eine gute Entscheidung fällen. »Fügt Eurer Liste dessen, was wir wissen möchten, noch etwas hinzu: Warum wurden wir zu Rand gerufen? Denn dorthin hat uns Careen gebracht. Jetzt geht es ihm natürlich wieder gut. Moiraine hat ihn geheilt.« Sie konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, wenn sie sich an den kurzen Blick erinnerte, den sie in Rands Zimmer geworfen hatte, aber das Ablenkungsmanöver schlug derweil voll ein.

»Geheilt?« Nynaeve schnappte nach Luft. »Was ist mit ihm geschehen?« »Er wäre beinahe umgekommen«, sagte die Aes Sedai so gelassen, als erzähle sie, daß sie eine Tasse Tee getrunken habe.

Elayne spürte, wie Egwene zitterte, als sie sich Moiraines leidenschaftslosen Bericht anhörten, aber vielleicht war es zum Teil auch ihr eigenes Zittern, das sie spürte. Blasen des Bösen, die durch das Muster trieben. Doppelgänger, die aus Spiegeln stiegen. Rand über und über von Blut und Wunden bedeckt. Fast nebensächlich erwähnte Moiraine noch, sie sei sicher, daß Perrin und Mat etwas Ähnliches durchgemacht haben mußten, doch unbeschadet davongekommen seien. Die Frau mußte Eis in den Adern haben statt Blut. Nein, sie war wütend genug über Rands Sturheit. Und sie klang nicht kalt, als sie vom Heiraten sprach, auch wenn sie sich Mühe gab, ihre innere Beteiligung zu verbergen. Aber nun klang es, als spreche sie darüber, ob ein Ballen Seide die richtige Farbe für ein bestimmtes Kleid habe.

»Und diese... diese Dinge werden so weitergehen?« fragte Egwene, als Moiraine geendet hatte. »Könnt Ihr nichts tun, damit das aufhört? Oder kann Rand nichts tun?« Der kleine blaue Edelstein, der auf Moiraines Stirn hing, schaukelte wild, als sie den Kopf schüttelte. »Nicht, bis er gelernt hat, seine Fähigkeiten unter Kontrolle zu halten. Vielleicht auch dann noch nicht. Ich weiß nicht, ob er selbst stark genug ist, um diese — Ausdünstungen des Bösen — von sich fernzuhalten. Zumindest aber wird er besser in der Lage sein, sich dagegen zu verteidigen.« »Könnt Ihr ihm nicht irgendwie zur Hilfe kommen?« wollte Nynaeve wissen. »Ihr seid diejenige unter uns, die angeblich alles weiß oder zumindest so tut. Könnt Ihr ihm nichts beibringen? Wenigstens einen Teil dessen, was er wissen muß? Und zitiert nicht wieder Sprichwörter über Vögel, die Fischen das Fliegen beibringen wollen.« »Ihr würdet es besser wissen«, antwortete Moiraine, »wenn Ihr mehr Zeit mit Euren Studien verbracht hättet. Ihr solltet es wirklich besser wissen. Ihr wollt wissen, wie man die Macht anwendet, Nynaeve, aber Ihr wollt nichts über die Macht selbst erfahren. Saidin ist nicht Saidar. Die Ströme fließen anders, die Art zu weben ist eine andere. Der Vogel hat eine größere Chance.« Diesmal übernahm es Egwene, die Lage zu entspannen. »Inwiefern ist Rand denn wieder stur?« Nynaeve öffnete den Mund und so fügte sie schnell hinzu: »Manchmal ist er so stur wie ein Felsblock.« Nynaeve klappte den Mund wieder zu, denn sie alle wußten, wie sehr dies der Wahrheit entsprach.

Moiraine betrachtete sie nachdenklich. Gelegentlich war sich Elayne nicht sicher, ob ihnen die Aes Sedai ganz und gar traute. Ob sie überhaupt jemandem vertraute. »Er muß sich bewegen«, sagte die Aes Sedai schließlich. »Statt dessen sitzt er hier herum, und die Tairener beginnen bereits, ihre Angst vor ihm abzubauen. Er sitzt hier, und je länger das so weitergeht, desto eher werden die Verlorenen das als Zeichen der Schwäche werten. Das Muster bewegt sich und fließt; nur die Toten liegen still. Er muß handeln oder sterben. Durch einen Armbrustbolzen im Rücken oder Gift im Essen, oder die Verlorenen schließen sich zusammen, um ihm die Seele aus dem Körper zu reißen. Er muß handeln oder sterben.« Elayne zuckte bei jeder der aufgezählten Gefahren zusammen. Daß sie durchaus wirklich waren, machte alles nur noch schlimmer.

»Und Ihr wißt, was er zu tun hat, nicht wahr?« sagte Nynaeve nervös. »Ihr habt bereits alles für ihn geplant.« Moiraine nickte. »Wäre es Euch lieber, wenn er wieder ins Blaue hinein und allein loszöge? Das wage ich nicht zu riskieren. Diesmal stirbt er vielleicht dabei, oder es geschieht ihm noch schlimmeres, bevor ich ihn finde.« Das stimmte natürlich. Rand wußte kaum, was er da eigentlich tat. Und Elayne war sicher, daß Moiraine das bißchen Einfluß nicht aufgeben wollte, das sie noch auf Rand hatte. Das Wenige, was er ihr noch gestattete.

»Werdet Ihr eure Pläne im Hinblick auf ihn mit uns teilen?« wollte Egwene wissen. Jetzt trug sie nichts mehr zur Beruhigung bei.

»Ja, tut das«, sagte Elayne, wobei sie selbst über das kühle Echo von Egwenes Tonfall in ihrer eigenen Stimme erstaunt war. Sie liebte normalerweise die Auseinandersetzung nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Ihre Mutter hatte ihr beigebracht, es sei besser, die Menschen anzuleiten, als sie mit dem Holzhammer zur Folgsamkeit zu erziehen.

Falls Moiraine ihretwegen irritiert war, ließ sie es sich nicht anmerken. »Solange Ihr versteht, daß Ihr es für Euch behalten müßt. Ein verratener Plan ist zum Scheitern verurteilt. Ja, ich sehe schon, daß Euch dies klar ist.« Elayne verstand sie jedenfalls sehr gut: Der Plan war gefährlich und Moiraine wußte nicht, ob er funktionieren würde.

»Sammael befindet sich in Illian«, fuhr die Aes Sedai fort. »Die Tairener sind immer zum Krieg mit Illian bereit, ebenso umgekehrt. Sie haben sich tausend Jahre lang immer wieder gegenseitig die Köpfe eingeschlagen, und sie sprechen von der Möglichkeit eines neuen Krieges wie andere vom nächsten Feiertag. Ich bezweifle, daß dies anders wäre, wenn sie von Sammaels Anwesenheit wüßten; jedenfalls nicht, solange der Wiedergeborene Drache sie anführt. Bei dieser Unternehmung wird Tear hinter Rand stehen, und wenn er Sammael stürzt, dann... « »Licht!« rief Nynaeve. »Ihr wollt nicht nur, daß er einen Krieg beginnt, sondern auch noch, daß er sich mit einem der Verlorenen anlegt! Kein Wunder, wenn er stur ist. Für einen Mann ist er wirklich nicht dumm.« »Er muß am Ende dem Dunklen König selbst gegenübertreten«, sagte Moiraine ruhig. »Glaubt Ihr wirklich, daß er jetzt die Verlorenen noch meiden könnte? Und was Kriege betrifft, gibt es auch ohne ihn schon genug, und jeder davon nutzloser als der andere.« »Jeder Krieg ist nutzlos«, begann Elayne, aber dann versagte ihre Stimme, als sie die Vernunft hinter Moiraines Plan einsah. Auf ihrem Gesicht standen Trauer und Bedauern, aber eben auch Verständnis. Ihre Mutter hatte ihr viele Vorträge darüber gehalten, wie man eine Nation führte und wie man sie regierte — zwei ganz verschiedene Dinge und beide notwendig. Und manchmal mußte man in beiden Fällen Dinge tun, die mehr als nur unangenehm waren. Doch der Preis dafür, sie nicht zu unternehmen, war manchmal noch viel höher.

Moiraine warf ihr einen verständnisvollen Blick zu. »Es ist nicht immer angenehm, ja? Eure Mutter hat wohl damit begonnen, Euch beizubringen, was Ihr später als Herrscherin einmal wissen müßt, sobald Ihr auch nur alt genug wart, um zu verstehen, was sie sagte.« Moiraine war im Königspalast von Cairhien aufgewachsen, nicht dazu bestimmt, einmal zu regieren, doch mit der Herrscherfamilie verwandt, und zweifellos hatte sie einiges mitbekommen. »Manchmal scheint es einem besser, nichts zu wissen, vielleicht lieber ein Bauernmädchen zu sein, das nicht über die Grenzen ihrer Felder hinwegblicken kann.« »Noch mehr Rätsel?« fragte Nynaeve verächtlich. »Krieg war sonst etwas für mich, von dem die fahrenden Händler berichteten, das fern von uns stattfand und das ich eigentlich gar nicht verstand. Jetzt weiß ich, was er bedeutet. Männer töten andere Männer. Männer benehmen sich wie die Tiere, werden selbst zu Tieren. Dörfer werden verbrannt, Bauernhöfe und Felder verwüstet. Hunger, Krankheiten und Tod für die Unschuldigen genau wie für die Schuldigen. Was macht diesen Euren Krieg zu etwas Besserem, Moiraine? Wodurch wird er sauberer?« »Elayne?« forderte Moiraine sie ruhig auf.

Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht diejenige sein, die ihr das erklären mußte. Aber sie war nicht sicher, ob selbst ihre Mutter auf dem Löwenthron ruhig geblieben wäre, wenn Moiraine sie mit ihren großen, dunklen Augen so auffordernd angeblickt hätte. »Der Kriegt kommt, ob Rand ihn nun beginnt oder nicht«, sagte sie zögernd. Egwene trat einen Schritt zurück und sah sie genauso ungläubig an wie Nynaeve. Doch als sie weitersprach, verschwand das Unverständnis aus den Gesichtern der beiden. »Die Verlorenen werden nicht ruhig bleiben und zuschauen. Sammael kann nicht der einzige von ihnen sein, der die Führung eines Staates an sich gerissen hat. Er ist eben nur der einzige, von dem wir es wissen. Sie werden schließlich alle hinter Rand her sein, vielleicht persönlich, aber auf jeden Fall mit Hilfe der Heere, die sie anführen. Und die Länder, die frei sind von den Verlorenen? Wie viele davon werden Loblieder auf den Wiedergeborenen Drachen singen und seiner Flagge bis Tarmon Gai'don folgen, und wie viele werden sich täuschen, glauben, der Fall des Steins sei eine Lüge und Rand nur ein neuer falscher Drache, den man besiegen müsse, vielleicht ein so starker, daß man gegen ihn sofort losschlagen muß, bevor er zu einer Bedrohung werden kann? So oder so wird dieser Krieg kommen.« Sie brach abrupt ab. Es war noch mehr dazu zu sagen, doch sie konnte und wollte ihnen den Rest nicht erzählen.

Moiraine hatte da keine Hemmungen. »Sehr gut«, sagte sie und nickte, »aber unvollständig.« Der Blick, den sie Elayne zuwarf, sagte, sie habe bemerkt, daß sie diesen Teil absichtlich weggelassen hatte. Mit vor ihrem Mieder gefalteten Händen wandte sie sich ruhig an Nynaeve und Egwene. »Es gibt nichts, was diesen Krieg sauberer und besser werden ließe. Außer, daß er die Tairener an ihn binden wird, und am Ende werden ihm die Illianer genauso folgen, wie jetzt Tear. Wie könnten sie es auch verweigern, wenn die Drachenflagge über Illian flattert? Allein die Nachricht von seinem Sieg könnte die Kriege in Tarabon und Arad Doman zu seinen Gunsten entscheiden. Und damit würden diese Kriege beendet!

Mit einem Schlag kann er dadurch, soweit es Männer und Schwerter betrifft, so stark werden, daß nur noch eine Koalition aller übriggebliebenen Nationen von hier bis zur Fäule ihn besiegen könnte, und mit dem gleichen Schlag würde er den Verlorenen beweisen, daß er keine fette Wachtel ist, die auf dem Ast sitzt und auf das Netz des Jägers wartet. Das wird sie vorsichtig machen und ihm Zeit verschaffen, in der er lernen kann, seine Stärke richtig einzusetzen. Er muß zuerst losschlagen, der Hammer sein und nicht der Nagel.« Die Aes Sedai verzog leicht das Gesicht, und eine Andeutung des vorherigen Zorns schlich sich in die Gelassenheit ihrer Miene. »Er muß einfach zuerst handeln. Und was macht er? Er liest. Liest und bringt sich damit immer mehr in Schwierigkeiten.« Nynaeve wirkte erschüttert, als sehe sie all diese Schlachten und Tode vor sich. Egwenes dunkle Augen waren in erschrecktem Verstehen weit aufgerissen. Elayne schauderte beim Anblick ihrer Mienen. Die eine hatte Rand aufwachsen sehen, die andere war mit ihm zusammen aufgewachsen. Und nun sahen sie zu, wie er Kriege in Gang brachte. Nicht einfach der Wiedergeborene Drache, sondern Rand al'Thor.

Egwene kämpfte sichtlich mit sich und verlegte sich schließlich darauf, den kleinsten Teil, das Unwichtigste von dem aufzugreifen, was Moiraine gesagt hatte. »Wie kann Lesen ihn in noch größere Schwierigkeiten bringen?« »Er hat sich entschlossen, selbst herauszufinden, was die Prophezeiungen des Drachen vorhersagen.« Moiraines Gesichtsausdruck blieb kühl und unberührt, doch mit einemmal hörte sie sich so müde an, wie Elayne sich fühlte. »Sie waren in Tear vielleicht verboten, aber der Vorsteher der Bibliothek hatte neun verschiedene Übersetzungen in einer verschlossenen Truhe. Rand hat sie jetzt alle bei sich. Ich habe ihm den Teil gezeigt, der uns hier angeht, und er hat ihn mir auswendig hergesagt, wie er früher einmal in Kandor übersetzt wurde:

Die Macht des Schattens erweckte das menschliche Fleisch zu Aufruhr, Rivalität und Ruin.

Der Wiedergeborene, gezeichnet und blutend, tanzt in Träumen und Nebel den Tanz des Schwerts, bindet die dem Schatten Zugeschworenen an seinen Willen, die aus der Stadt, der verirrten und verlorenen, führt wieder die Speere in den Krieg, zerbricht die Speere und zeigt ihnen die Wahrheit, die lange schon in uralten Träumen verborgen lag.« Sie verzog das Gesicht. »Man kann das auf diese Situation genauso beziehen wie auf jede andere. Illian unter Sammael ist bestimmt eine verlorene Stadt. Führe die Speere Tears in den Krieg, leg Sammael in Ketten, und er hat die Weissagung erfüllt. Der uralte Traum vom Wiedergeborenen Drachen. Aber er will das nicht sehen. Er hat sogar ein Exemplar in der Alten Sprache, als verstünde er die. Er verfolgt Schatten, und Sammael oder Rahvin oder Lanfear haben ihn vielleicht schon an der Kehle gepackt, bevor ich ihn davon überzeugen kann, daß er einen Fehler gemacht hat.« »Er ist verzweifelt.« Nynaeves sanfter Tonfall galt nicht Moiraine, da war Elayne sicher, sondern Rand. »Verzweifelt sucht er nach seiner Bestimmung.« »Ich bin auch verzweifelt«, sagte Moiraine mit fester Stimme. »Ich habe mein Leben der Aufgabe gewidmet, ihn zu finden, und ich werde nicht zulassen, daß er versagt, wenn ich es verhindern kann. Ich bin fast schon verzweifelt genug, um...« Sie brach ab und schürzte die Lippen. »Belassen wir es dabei, daß ich tun werde, was ich tun muß.« »Aber das reicht nicht«, sagte Egwene in scharfem Ton. »Und was werdet Ihr tun?« »Ihr habt andere Dinge, um die Ihr euch kümmern müßt«, sagte die Aes Sedai. »Die Schwarzen Ajah... « »Nein!« Elaynes Stimme klang eisenhart und ließ keinen Widerspruch zu. Wo ihre Hand sich in den hellblauen Rock verkrampfte, war ihr Knöchel vor Anstrengung weiß. »Ihr haltet vieles geheim, Moiraine, aber sagt uns dies: Was wollt Ihr ihm antun?« Ein Bild ging ihr durch den Kopf, wie sie Moiraine packte und die Wahrheit aus ihr herausschüttelte, falls das notwendig war.

»Ihm antun? Nichts. Ach, nun denn. Es gibt keinen Grund, warum Ihr das nicht wissen könnt. Ihr habt gesehen, was von den Tairenern als die Große Sammlung bezeichnet wird?« Es war eigenartig bei einem Volk, das die Macht derart fürchtete, aber im Stein befand sich eine Sammlung von Objekten, die alle mit der Macht zu tun hatten. Nur in der Weißen Burg fand man eine noch größere Ansammlung solcher Dinge. Elayne glaubte, es liege daran, daß sie so lange Zeit über gezwungen gewesen waren, Callandor aufzubewahren, ob sie nun wollten oder nicht. Sogar das Schwert, Das Kein Schwert Ist sah nach weniger aus, wenn es sich unter vielen anderen ähnlichen Dingen befand. Aber die Tairener hatten es niemals übers Herz gebracht, ihre Schätze herzuzeigen. Die Große Sammlung wurde in schmutzigen und vollgestopften Räumen noch unterhalb der Kerker aufbewahrt. Als Elayne sie zum erstenmal gesehen hatte, waren alle Türschlösser längst zugerostet, soweit die Türen nicht sowieso schon vermodert waren.

»Wir haben einen ganzen Tag dort unten verbracht«, sagte Nynaeve. »Um herauszufinden, ob Liandrin und ihre Freundinnen etwas gestohlen haben. Ich glaube aber nicht. Alles war unter Schichten von Staub und Moder begraben. Man wird drei Schiffe brauchen, um alles zur Burg zu transportieren. Vielleicht können sie dort mehr herausfinden; ich war nicht dazu in der Lage.« Die Versuchung, zu sticheln, war offensichtlich so stark, daß sie nicht vermeiden konnte, hinzuzufügen: »Aber das wüßtet Ihr alles längst, wenn Ihr uns ein wenig mehr von Eurer Zeit gewidmet hättet.« Moiraine nahm keine Notiz davon. Sie schien in sich hineinzublicken, ihre eigenen Gedanken zu überprüfen, und sie führte beinahe ein Selbstgespräch. »Es gibt einen besonderen Ter'Angreal in der Sammlung, der aussieht, wie ein aus Sandstein gefertigter Türrahmen, der dem Auge jedoch seltsam verdreht erscheint. Wenn ich ihn nicht zu einem Entschluß treiben kann, muß ich vielleicht hindurchgehen.« Der kleine blaue Edelstein auf ihrer Stirn bebte und funkelte. Offensichtlich war sie nicht erpicht darauf, diesen Schritt zu unternehmen.

Bei der Erwähnung des Ter'Angreal hatte Egwene instinktiv das Oberteil ihres Kleids berührt. Sie hatte eine kleine Tasche dort eingenäht, um den Steinring darin aufzubewahren. Der Ring war ein Ter'Angreal, wohl klein, aber trotzdem sehr stark, und Elayne war eine von nur drei Frauen, die wußten, daß sie ihn in Besitz hatte. Moiraine gehörte nicht zu den dreien.

Es waren schon eigenartige Dinge, diese Ter'Angreal, Bruchstücke aus dem Zeitalter der Legenden, so wie ein Angreal und ein Sa'Angreal, wenn auch häufiger. Ter'Angreal gebrauchten die Eine Macht, anstatt sie zu verstärken. Jeder war offensichtlich angefertigt worden, um eine Aufgabe, und wirklich nur eine einzige zu erfüllen, aber obwohl man einige davon jetzt benützte, war niemand sicher, ob man nun das gleiche mit ihnen unternahm wie damals, als man sie hergestellt hatte. Die Eidesrute zum Beispiel, die eine Frau beim Schwören der Drei Eide halten mußte, wenn sie zur Aes Sedai erhoben wurde, war ein Ter'Angreal, der diese Eide den Frauen in Fleisch und Blut übergehen ließ. Die letzte Prüfung, die eine Novizin hinter sich bringen mußte, um zur Aufgenommenen erhoben zu werden, fand innerhalb eines Ter'Angreal statt, der ihre innersten Ängste herauskehrte und wirklich werden ließ —oder sie vielleicht auch auf eine Welt transportierte, in der sie Wirklichkeit waren. Seltsame Dinge konnten einem mit einem Ter'Angreal passieren. Aes Sedai waren schon ausgebrannt oder gestorben oder einfach verschwunden, als sie Ter'Angreal untersuchten und benützten.

»Dieses Tor habe ich auch gesehen«, sagte Elayne. »Im letzten Raum am Ende des Flurs. Meine Lampe ist ausgegangen, und ich bin dreimal hingefallen, bevor ich wieder an der Tür war.« Eine leichte Schamröte überzog ihre Wangen. »Ich habe mich davor gefürchtet, dort die Macht zu benützen, und sogar davor, die Lampe wieder anzuzünden. Vieles, was dort liegt, sieht mir nach Schrott aus. Ich glaube, die Tairener haben sich einfach alles geschnappt, was aussah, als habe es mit der Macht zu tun. Doch dort drinnen fürchtete ich, wenn ich die Macht benützte, etwas auszulösen, etwas noch Funktionierendes in Gang zu setzen, und wer weiß, was dann geschehen wäre.« »Und wenn Ihr im Dunklen gestolpert und durch dieses verdrehte Tor gefallen wärt?« fragte Moiraine trocken. »Dazu muß man die Macht nicht gebrauchen; es genügt, wenn man hindurchgeht.« »Zu welchem Zweck?« fragte Nynaeve.

»Um Antworten zu erhalten. Drei Antworten, jede davon wahr, über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.« Elayne dachte unwillkürlich an die Kindergeschichte Bili unter dem Hügel, aber nur der drei Antworten wegen. Ein zweiter Gedanke folgte dem jedoch, und das offensichtlich nicht nur bei ihr. Sie sprach ihn bereits aus, während Nynaeve und Egwene den Mund noch nicht ganz aufbekamen: »Moiraine, das löst unser Problem. Wir können fragen, ob Joiya oder Amico die Wahrheit gesagt haben. Wir können fragen, wo sich Liandrin und die anderen aufhalten. Die Namen der Schwarzen Ajah, die sich noch in der Burg befinden... « »Wir können fragen, was das ist, das für Rand so gefährlich sein soll«, warf Egwene ein, und Nynaeve setzte die Liste fort: »Warum habt Ihr uns davon nicht früher berichtet? Warum mußten wir uns Tag für Tag die gleichen Geschichten anhören, wenn wir alles längst hätten entscheiden können?« Die Aes Sedai verzog das Gesicht und hob abwehrend die Hände. »Ihr drei wollt blind in etwas hineinrennen, wo Lan mit hundert Behütern noch größte Vorsicht walten lassen würde. Warum, glaubt Ihr, bin ich selbst noch nicht hindurchgeschritten? Schon vor Tagen hätte ich fragen können, was Rand tun muß, um zu überleben und zu siegen, wie er die Verlorenen und den Dunklen König schlagen kann, wie er lernen kann, die Macht zu beherrschen und den Wahnsinn lange genug von sich fernzuhalten, bis er vollbracht hat, was sein muß.« Sie wartete, die Hände in die Hüften gestützt, während ihre Worte wirkten. Keine sagte ein Wort. »Es gibt Regeln«, fuhr sie fort, »und Gefahren. Niemand darf mehr als einmal hindurchtreten. Nur ein einziges Mal. Ihr dürft drei Fragen stellen, aber Ihr müßt alle drei gestellt und die Antworten vernommen haben, bevor ihr wieder hinausgehen dürft. Fragen, die Ihr nicht ernst gemeint habt, werden anscheinend bestraft, aber es scheint auch, daß, was dem einem ernst ist, bei einem anderen wieder als Anmaßung betrachtet wird. Und was am wichtigsten ist: Fragen, die den Schatten betreffen, ziehen ernste Konsequenzen nach sich.

Wenn Ihr eine Frage in bezug auf die Schwarzen Ajah stellt, könnte es sein, daß Ihr tot herausfallt oder als geifernde Irre, falls Ihr überhaupt noch einmal herauskommt. Was Rand betrifft... Ich glaube nicht, daß es möglich ist, eine Frage über den Wiedergeborenen Drachen zu stellen, die nicht in irgendeiner Form auch den Schatten berührt. Merkt Ihr etwas? Es gibt manchmal gute Gründe für Vorsicht.« »Woher wißt Ihr das alles?« verlangte Nynaeve zu wissen. Sie stützte die Hände in die Hüften und baute sich vor der Aes Sedai auf. »Die Hochlords haben garantiert keine Aes Sedai an die Große Sammlung herangelassen, um die Gegenstände zu untersuchen. Dem Schmutz dort unten nach zu urteilen, hat nichts davon seit hundert Jahren oder länger das Licht der Sonne erblickt.« »Länger, denke ich«, antwortete Moiraine gelassen. »Sie haben mit Sammeln vor beinahe dreihundert Jahren aufgehört. Und gerade kurz davor haben sie diesen besonderen Ter'Angreal in die Hände bekommen. Bis dahin war er im Besitz der Ersten von Mayene, die seine Antworten dazu benutzten, um Mayene vor der Herrschaft Tears zu bewahren. Und sie hatten den Aes Sedai gestattet, ihn zu untersuchen. Geheim natürlich. Mayene hat nie gewagt, Tear offen zu verärgern.« »Wenn er für Mayene so wichtig war«, sagte Nynaeve mißtrauisch, »warum befindet er sich dann hier im Stein?« »Weil die Ersten sowohl richtige wie auch falsche Entscheidungen getroffen haben, wenn es um die Abhängigkeit von Tear ging. Vor dreihundert Jahren planten die Hochlords den Bau einer Flotte, die den Schiffen Mayenes folgen sollte, um die Ölfisch-Schwärme aufzuspüren. Halvar, der zu dieser Zeit der Erste war, hob den Preis für Lampenöl aus Mayene stark an, so daß es teurer war als das Olivenöl Tears, und um die Hochlords des weiteren davon zu überzeugen, daß Mayene die Interessen Tears über die eigenen stellt, schenkte er ihnen diesen Ter'Angreal. Er hatte ihn bereits benützt, und so konnte er ihn nicht mehr gebrauchen. Außerdem war er fast genauso jung wie Berelain jetzt, hatte offensichtlich eine lange Herrschaftsperiode vor sich, und würde den guten Willen Tears viele Jahre lang benötigen.« »Er war ein Narr«, murmelte Elayne. »Meine Mutter hätte einen solchen Fehler niemals begangen.« »Vielleicht nicht«, sagte Moiraine. »Aber Andor ist eben auch kein kleines Land, das von einem viel größeren und mächtigeren an die Wand gedrückt wird. Halvar war tatsächlich ein Narr, wie sich herausstellte, denn die Hochlords ließen ihn nur ein Jahr später ermorden, aber sein Fehler verschafft mir eine Möglichkeit, die ich ausnützen werde, wenn es sich als notwendig erweist. Eine gefährliche Chance vielleicht, aber besser als nichts.« Nynaeve knurrte etwas in sich hinein. Möglicherweise war sie enttäuscht darüber, daß die Aes Sedai nicht ins Stolpern geraten war.

»Das bringt uns auf den gleichen Stand von vorher zurück«, seufzte Egwene. »Nicht zu wissen, welche von beiden lügt, oder ob sie vielleicht sogar beide lügen.« »Verhört sie noch einmal, wenn Ihr wünscht«, sagte Moiraine. »Ihr habt Zeit, bis sie sich auf dem Schiff befinden, aber ich bezweifle, daß eine von ihnen ihre Geschichte noch einmal revidieren wird. Mein Rat wäre, Euch auf Tanchico zu konzentrieren. Wenn Joiya die Wahrheit sagt, brauchen wir Aes Sedai und Behüter, um Mazrim Taim zu bewachen, und nicht nur Euch drei. Ich habe der Amyrlin eine Warnung per Brieftaube zukommen lassen, als ich Joiyas Geschichte das erste Mal hörte. Ich habe sogar drei Brieftauben abgeschickt, um sicher zu gehen, daß eine davon die Burg erreicht.« »Sehr nett von Euch, daß Ihr uns immer so gut informiert«, knurrte Elayne. Diese Frau ging wohl immer ihren eigenen Weg. Nur, weil sie lediglich vorgaben, bereits Aes Sedai zu sein, mußte sie sie ja nicht derart im Dunkeln lassen. Schließlich waren sie von der Amyrlin geschickt worden, um die Schwarzen Ajah aufzuspüren.

Moiraine neigte kurz den Kopf, als akzeptiere sie den Dank ernsthaft. »Ist schon in Ordnung. Denkt aber daran, daß Ihr die Jagdhunde seid, die von der Amyrlin auf die Spur der Schwarzen Ajah angesetzt wurden.« Ihr leichtes Lächeln sagte Elayne, daß Moiraine genau wußte, was sie gedacht hatte. »Die Entscheidung, wohin Euch diese Jagd führen soll, ist allein Eure. Das habt Ihr mir ja bereits klargemacht«, fügte sie trocken hinzu. »Ich denke, diese Entscheidung wird leichter als die, vor der ich stehe. Und ich hoffe, Ihr werdet gut schlafen, obwohl bis Tagesanbruch nicht mehr viel Zeit ist. Gute Nacht!« »Diese Frau...«, fauchte Elayne, als sich die Tür hinter der Aes Sedai geschlossen hatte. »Manchmal könnte ich sie fast erwürgen.« Sie ließ sich auf einen der Stühle am Tisch fallen, legte die Hände in den Schoß und saß mit nachdenklich gerunzelter Stirn da.

Nynaeve knurrte etwas, das wohl Zustimmung bedeuten sollte, und ging zu einem kleinen Tischchen an der Wand hinüber, auf dem einige Silberpokale neben Gewürzbehältern standen. Auch zwei Krüge standen dort. Der eine war mit Wein gefüllt und ruhte in einer Schüssel mit mittlerweile fast geschmolzenem Eis, wie es vom Rückgrat der Welt aus in Sägemehl eingepackt hertransportiert wurde. Eis für die Getränke der Hochlords, und das bei den Temperaturen in Tear. Elayne hatte sich das vorher kaum vorstellen können.

»Ein kühles Getränk vor dem Einschlafen wird uns gut tun«, sagte Nynaeve. Sie füllte drei Pokale mit Wein und fügte Wasser und Gewürze hinzu.

Elayne hob den Kopf, als Egwene sich neben sie setzte. »War das ernst, was du vorhin gesagt hast, Egwene? Mit Rand?« Egwene nickte, und Elayne seufzte auf. »Erinnerst du dich daran, was Min immer gesagt hat? All ihre Scherze darüber, ihn miteinander zu teilen? Ich habe mich schon gefragt, ob sie etwas gesehen hat, wovon sie uns nichts erzählte. Ich glaubte, sie meinte damit, daß wir beide ihn lieben und sie davon wisse. Aber du hattest ein Recht auf ihn, und ich wußte nicht, was tun. Ich weiß es immer noch nicht. Egwene, er liebt dich.« »Man muß ihm den Kopf zurechtrücken«, sagte Egwene mit fester Stimme. »Wenn ich heirate, wird es geschehen, weil ich es will und nicht bloß, weil ein Mann vor mir erwartet, daß ich ihn liebe. Ich werde es ihm sanft beibringen, Elayne, aber noch bevor ich mit ihm fertig bin, wird er wissen, daß er frei ist. Ob er will oder nicht. Meine Mutter sagt, daß sich Männer von uns unterscheiden. Sie sagt, wir wollen lieben, aber nur den, den wir uns in den Kopf gesetzt haben. Ein Mann muß sich zuerst verlieben, aber das wird bereits bei der ersten Frau geschehen, die sein Herz an die Kette legt.« »Das ist alles schön und gut«, sagte Elayne nervös, »aber Berelain befand sich in seinen Gemächern.« Egwene schniefte. »Was sie auch vorhat — Berelain kann sich nicht lange genug mit einem Mann aufhalten, daß er sich auch wirklich in sie verliebt. Vor zwei Tagen hat sie noch Rhuarc schöne Augen gemacht. In zwei Tagen wird sie ihr Auge auf jemand anderen werfen. Sie ist wie Else Grinwell. Erinnerst du dich noch an sie? Die Novizin, die ständig draußen auf dem Übungsgelände war und den Behütern schöne Augen machte?« »Sie hat ihm aber nicht bloß schöne Augen gemacht in seinem Schlafzimmer und um diese Zeit! Sie hat sogar noch weniger Kleidung als sonst getragen, falls das überhaupt möglich ist.« »Willst du ihn denn ihr überlassen?« »Nein!« Elayne sagte das wild entschlossen, aber schon im nächsten Moment versank sie wieder in tiefste Verzweiflung. »Ach, Egwene, ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich liebe ihn. Ich möchte ihn heiraten. Licht! Was wird Mutter dazu sagen? Ich würde lieber eine Nacht in Joiyas Zelle verbringen, als mir anhören, was Mutter mir zu sagen haben wird.« Adlige in Andor, selbst Mitglieder der königlichen Familie, heirateten öfter Gemeine und das erregte kaum viel Aufsehen. Aber Rand war nicht gerade von der üblichen Sorte. Ihre Mutter war durchaus im Stande, Lini zu ihr zu schicken, daß sie sie am Ohr packte und nach Hause schleifte.

»Morgase darf gar nicht viel sagen, wenn man Mat glauben kann«, sagte Egwene beruhigend. »Oder wenn man ihm auch nur die Hälfte glauben kann. Dieser Lord Gaebril, mit dem deine Mutter herummacht, klingt auch nicht unbedingt nach der Sorte von Mann, die eine Frau bei klarem Verstand erwählt.« »Ich bin sicher, daß Mat übertrieben hat«, erwiderte Elayne pikiert. Ihre Mutter war doch wohl zu clever, um sich eines Mannes wegen zum Narren zu machen. Sie hatte noch nie von dem Burschen gehört, bevor Mat davon erzählte. Falls dieser Lord Gaebril davon träumte, durch Morgase an Macht zu gewinnen, dann würde er eines Tages ziemlich unsanft geweckt werden.

Nynaeve brachte die drei Pokale mit Gewürzwein zu ihrem Tisch herüber. An den glänzenden Bechern lief das Kondenswasser herunter. Sie legte kleine grüngoldene Strohuntersetzer unter die Pokale, damit keine Feuchtigkeit auf die hochglänzende Tischfläche kam. »Also«, sagte sie, während sie sich hinsetzte, »du hast herausgefunden, daß du in Rand verliebt bist, Elayne, und du, Egwene, hast herausgefunden, daß du ihn nicht liebst.« Die beiden jüngeren Frauen, die eine dunkel, die andere blond, starrten sie mit offenem Mund an — jede ein Spiegelbild der Überraschung der anderen.

»Ich habe Augen im Kopf«, sagte Nynaeve friedlich. »Und Ohren, wenn ihr euch schon nicht die Mühe macht, zu flüstern.« Sie schlürfte ein wenig Wein und ihr Tonfall wurde kälter, als sie fortfuhr: »Was wollt ihr nun in bezug auf ihn unternehmen? Falls diese Schlampe Berelain ihre Klauen in ihn geschlagen hat, wird es nicht einfach werden, sie wieder wegzureißen. Seid ihr sicher, daß es die Mühe wert ist? Ihr wißt, was er ist. Ihr wißt, was ihm bevorsteht, die Prophezeiungen einmal ganz beiseite gelassen. Wahnsinn. Tod. Wie lange hat er noch? Ein Jahr? Zwei? Oder wird es anfangen, bevor noch der Sommer endet? Er ist ein Mann, der die Macht gebrauchen kann.« Jedes Wort klang wie ein Schlag mit dem Hammer auf den Amboß. »Denkt daran, was man euch beigebracht hat. Denkt daran, was er ist.« Elayne hatte den Kopf hoch erhoben und sah Nynaeve in die Augen. »Es spielt keine Rolle. Vielleicht sollte es, aber — nein. Vielleicht bin ich eine Närrin. Es ist mir gleich. Ich kann mein Herz nicht zwingen, wie mein Verstand zu urteilen, Nynaeve.« Plötzlich lächelte Nynaeve. »Ich mußte sichergehen«, sagte sie mit warmer Stimme. »Du mußt dir sicher sein. Es ist wahrhaftig nicht leicht, einen Mann zu lieben, aber diesen einen Mann zu lieben wird noch viel schwerer.« Ihr Lächeln verflog beim Weitersprechen. »Meine erste Frage ist aber noch unbeantwortet. Was wollt ihr seinetwegen unternehmen? Berelain wirkt wohl sehr sanft, und sie will ja, daß die Männer sie so sehen, doch ich glaube nicht daran. Sie wird um das kämpfen, was sie haben will. Und sie ist die Art von Frau, die um etwas mit letztem Einsatz kämpfen wird — selbst wenn sie gar nicht so sehr daran interessiert ist — nur damit eine andere es nicht bekommt!« »Ich würde sie gern in ein Faß stecken«, sagte Egwene. Sie packte ihren Pokal, als sei es der Hals der Ersten von Mayene. »Und dann schicke ich es nach Mayene zurück. Ganz unten im Laderaum.« Nynaeves Zopf schwenkte herum, als sie den Kopf schüttelte. »Alles schön und gut, aber bemühe dich lieber, einen Rat zu erteilen, der tatsächlich hilft. Wenn du das nicht kannst, halte lieber den Mund und laß sie selbst entscheiden, was zu tun ist.« Egwene sah sie mit großen Augen an, und so fügte sie hinzu: »Jetzt ist Rand Elaynes Angelegenheit und nicht mehr deine. Du bist zurückgetreten, falls du dich noch daran erinnerst.« Die Bemerkung hätte eigentlich Elayne zum Lächeln bringen sollen, tat es aber nicht. »Das hätte alles anders ablaufen sollen.« Sie seufzte. »Ich glaubte, ich würde einen Mann kennenlernen, über Monate oder Jahre hinweg kennenlernen, wohlgemerkt, und schließlich erkennen, daß ich ihn liebe. So hatte ich mir das immer vorgestellt. Ich kenne Rand ja kaum. Ich habe mich innerhalb eines Jahres vielleicht gerade ein halbes Dutzend Male mit ihm unterhalten. Aber ich wußte, daß ich ihn liebe, fünf Minuten, nachdem ich ihn das erste Mal erblickt hatte.« Das war nun wirklich närrisch. Nur war ihr das gleich, denn es entsprach nun mal der Wahrheit. Das würde sie auch ihrer Mutter ins Gesicht sagen und Lini ebenso. Nun, Lini vielleicht nicht. Die hatte ihre eigene Art, mit dem fertigzuwerden, was sie als Idiotie betrachtete, und sie schien zu glauben, Elayne sei immer noch nicht älter als zehn. »Wie die Dinge liegen, habe ich aber noch nicht einmal das Recht, auf ihn wütend zu sein. Oder auf Berelain.« Trotzdem war sie es. Ich würde ihm gern eine verpassen, daß ihm die Ohren ein Jahr lang klingeln! Sie würde ich gern mit der Rute zu dem Schiff treiben, das sie nach Mayene zurückbringt! Nur hatte sie kein Recht dazu, und das machte alles viel schlimmer. Sie war wütend auf sich selbst, und ihre Stimme klang ziemlich kläglich: »Was kann ich denn machen? Er hat mich nie wirklich beachtet.« »An den zwei Flüssen«, sagte Egwene bedächtig, »ist es so: Wenn eine Frau einem Mann zeigen will, daß sie sich für ihn interessiert, steckt sie ihm an Bel Tein oder am Sonnentag Blumen ins Haar. Oder sie stickt ein schönes Festtagshemd für ihn. Oder sie bittet gerade ihn zum Tanz und niemand anderen.« Elayne sah sie fast mitleidig an und so fügte sie schnell hinzu: »Ich will damit ja nicht vorschlagen, daß du ihm ein Hemd bestickst, aber es gibt Methoden, ihm zu zeigen, was du fühlst.« »Die Leute in Mayene sprechen alles offen aus.« Elaynes Stimme klang scharf. »Vielleicht ist das das Beste. Es ihm einfach geradeheraus zu sagen. Dann weiß er wenigstens, was ich für ihn empfinde. Dann habe ich wenigstens ein Recht darauf... « Sie schnappte sich ihren Pokal, legte den Kopf zurück und trank mit langen Zügen. So etwas einfach aussprechen? Wie so eine Mayene-Hure? Als sie den leeren Pokal auf den Untersetzer zurückstellte, atmete sie tief ein und murmelte: »Was wird nur Mutter dazu sagen?« »Was wichtiger wäre«, stellte Nynaeve sanft fest, »ist, was du tun wirst, wenn wir von hier fortmüssen. Ob nun nach Tanchico oder zur Burg oder sonstwohin, gehen müssen wir auf jeden Fall. Was machst du, wenn du fortmußt, kaum daß du ihm beigebracht hast, wie sehr du ihn liebst? Wenn er dich bittet zu bleiben? Wenn du das möchtest?« »Ich werde mitkommen.« Elaynes Antwort kam ohne Zögern, beinahe sogar ein wenig gekränkt. Die andere hätte wirklich nicht fragen brauchen. »Wenn ich schon akzeptieren muß, daß er der Wiedergeborene Drache ist, muß er mich auch als das akzeptieren, was ich bin, und daß ich Aufgaben zu erfüllen habe. Ich will Aes Sedai werden, Nynaeve. Das sage ich nicht nur so leichthin. Und wir drei haben eine wichtige Arbeit zu erledigen. Hast du im Ernst geglaubt, ich würde dich und Egwene im Stich lassen?« Egwene beeilte sich, ihr zu versichern, der Gedanke sei ihr niemals gekommen, und Nynaeve schloß sich dem an, doch langsam genug, um selbst ihre eigene Lüge besser schlucken zu können.

Elayne blickte von der einen zur anderen. »In Wirklichkeit habe ich gefürchtet, ihr würdet mir Vorwürfe machen, weil ich mich mit so etwas beschäftige, obwohl wir doch wahrhaftig genug mit den Schwarzen Ajah am Hals haben.« Egwenes unsteter Blick verriet, daß sie daran tatsächlich gedacht hatte, aber Nynaeve sagte: »Rand ist nicht der einzige, der nächstes Jahr oder auch nächsten Monat sterben könnte. Das kann auch uns widerfahren. Die Zeiten sind nicht so wie früher, und auch wir müssen dem Rechnung tragen und uns ändern. Wenn du nur dasitzt und von dem träumst, was du gern haben möchtest, kann es geschehen, daß du es auf dieser Seite des Todes nicht mehr findest.« Das war schon eine erschreckende Art von Bestätigung, aber Elayne nickte. Sie würde sich nicht wie eine dumme Gans anstellen. Wenn sie die Sache mit den Schwarzen Ajah nur schnell hinter sich bringen könnten. Sie drückte den leeren Silberpokal gegen ihre Stirn und genoß die Kühle. Was sollten sie nur tun?

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