53 Eine bindende Entscheidung

Nur drei Kerzen und zwei Lampen erhellten den Schankraum der Weinquellenschenke, da sowohl Kerzen wie auch Öl knapp geworden waren. Die Speere und die anderen Waffen standen nicht mehr an den Wänden, und das Faß, in dem die Schwerter gesteckt hatten, war leer. Die Lampen standen auf zweien der Tische, die man vor dem großen Kamin zusammengeschoben hatte und an denen nun Marin al'Vere, Daise Congar und andere aus der Versammlung der Frauen die Listen durchgingen, wieviel Lebensmittel noch in Emondsfeld zur Verfügung standen. Perrin bemühte sich, nicht hinzuhören.

Von einem anderen Tisch hörte man das leise, regelmäßige Schleifen von Failes Wetzstein, als sie eines ihrer Messer schliff. Vor ihr lag ein Bogen, und an ihrem Gürtel hing ein gefüllter Köcher. Sie hatte sich als recht gute Schützin erwiesen, aber er hoffte, sie werde niemals herausfinden, daß es ein Knabenbogen war. Einen Langbogen von den zwei Flüssen konnte sie nicht spannen, auch wenn sie sich weigerte, das zuzugeben.

Er verschob seine Axt, daß sie ihn nicht so drückte, und versuchte, sich wieder auf das zu konzentrieren, was er mit den Männern besprochen hatte, die mit ihm am Tisch saßen. Nicht alle von ihnen waren so aufmerksam, wie sie eigentlich sein sollten.

»Sie haben Lampen«, murrte Cenn, »und wir müssen uns mit Talg begnügen.« Der knorrige alte Mann blickte böse die beiden Kerzen an, die in Messinghaltern steckten.

»Laß doch das Meckern sein, Cenn«, sagte Tam müde und zog Pfeife und Tabaksbeutel aus der Gürteltasche. »Laß doch einmal wenigstens das Meckern.« »Wenn wir lesen oder schreiben müßten«, sagte Abell in einem Tonfall, der der Geduld seiner Worte nicht ganz entsprach, »dann hätten wir auch Lampen.« Um seine Stirn war ein Verband gewickelt.

Als wolle er den Dachdecker daran erinnern, daß schließlich er der Dorfvorsteher sei, rückte Bran das silberne Medaillon zurecht, das er auf der breiten Brust hängen hatte. Waagschalen waren darauf eingraviert. »Konzentriere dich bitte auf das Notwendige, Cenn. Ich will nicht, daß einer von euch Perrins Zeit verschwendet.« »Ich bin aber der Meinung, daß wir Lampen bekommen sollten«, quengelte Cenn. »Perrin würde es mir sagen, wenn ich seine Zeit verschwendete.« Perrin seufzte. Seine Augenlider waren an diesem Abend schwer geworden. Er wünschte sich, jemand anders würde den Rat der Gemeinde vertreten, Haral Luhhan oder Jon Thane oder Samel Crawe, irgend jemand, aber nicht gerade Cenn mit seinem ewigen Mosern. Aber andererseits wünschte er sich auch, daß sich einer dieser Männer an ihn wandte und zu ihm sagte: »Das sind die Angelegenheiten des Dorfvorstehers und des Rats der Gemeinde, Junge. Geh du mal zurück an die Esse. Wir lassen dich schon wissen, was du zu tun hast.« Statt dessen machten sie sich Gedanken darüber, seine Zeit nicht zu verschwenden, und verwiesen jeden an ihn. Wie viele Angriffe hatte es gegeben in den letzten sieben Tagen? Er war sich nicht mehr sicher.

Der Verband um Abells Kopf irritierte Perrin. Die Aes Sedai heilten jetzt nur noch die schwerwiegendsten Wunden. Wenn ein Mann ohne ihre Hilfe klarkam, ließen sie ihn gehen. Es war ja nicht so, daß es bereits sehr viele Schwerverwundete gab, aber wie Verin trocken festgestellt hatte, hatten auch die Kräfte einer Aes Sedai ihre Grenzen. Offensichtlich hatte sie der Trick mit den Katapultsteinen mindestens ebensoviel Kraft gekostet wie das Heilen all dieser Verwundungen. Aber diesmal wollte er nicht an die Grenzen der Kräfte einer Aes Sedai erinnert werden. Noch nicht viele Schwerverwundete. Noch nicht.

»Haben wir noch genug Pfeile?« fragte er. Man erwartete von ihm ja wohl, daß er sich um solche Probleme kümmere.

»Ja, es reicht«, sagte Tam und zündete seine Pfeife an einer der Kerzen an. »Wir holen uns immer noch die meisten von denen zurück, die wir abgeschossen haben, jedenfalls bei Tageslicht. In der Nacht schleifen sie eine Menge ihrer Toten weg — für die Kochtöpfe bestimmt, schätze ich. Die gehen uns eben verloren.« Die anderen Männer kramten jetzt ebenfalls die Pfeifen aus allen möglichen Taschen heraus. Cenn knurrte etwas, daß er seinen Beutel vergessen habe. Mürrisch schob ihm Bran seinen Tabaksbeutel über den Tisch. Sein Kahlkopf schimmerte im Kerzenschein.

Perrin rieb sich die Stirn. Was hatte er als nächstes fragen wollen? Die Pfähle. Bei den meisten Angriffen, besonders während der Nacht, mußten sie bereits an und zwischen den Pfählen kämpfen. Wie oft waren die Trollocs nun schon beinahe durchgebrochen? Dreimal? Viermal?

»Hat jeder jetzt einen Speer oder irgendeine Art von Spieß oder dergleichen? Ist noch Material vorhanden, um weitere herzustellen?« Die Antwort war Schweigen, und er ließ seine Hand auf die Tischfläche sinken. Die anderen Männer blickten ihn an.

»Das hast du gestern schon gefragt«, sagte Abell mit sanfter Stimme. »Und Haral hat dir gesagt, daß es im ganzen Dorf keine Sichel und keine Mistgabel mehr gibt, die nicht schon zu einer Waffe verarbeitet wurde. Um die Wahrheit zu sagen, haben wir mehr Waffen als Hände, um sie zu führen.« »Ja. Natürlich. Es war mir einfach entfallen.« Ein Gesprächsfetzen von der Runde der Frauen drang in sein Bewußtsein.

»... sollten die Männer nicht erfahren«, sagte Marin gerade leise, als wiederhole sie eine öfters ausgesprochene Mahnung.

»Selbstverständlich nicht«, schnaubte Daise um einiges lauter. »Wenn die Narren herausbekommen, daß die Frauen nur noch halbe Rationen essen, werden sie darauf bestehen, es genauso zu machen, und wir können nicht... « Perrin schloß die Augen und bemühte sich, nicht mehr hinzuhören. Klar. Die Männer mußten ja kämpfen. Also brauchten sie jedes bißchen Kraft. Ganz einfach. Wenigstens mußten die Frauen bis jetzt noch nicht mitkämpfen. Außer den beiden Aielfrauen natürlich und Faile, aber sie war schlau genug, sich zurückzuhalten, wenn es dazu kam, zwischen den Pfählen mit Speeren und Spießen zu kämpfen. Das war auch der Grund, weshalb er den Bogen für sie aufgetrieben hatte. Sie hatte das Herz einer Leopardin und mehr Mut als zwei Männer zusammengenommen.

»Ich glaube, es ist Zeit, daß du schlafen gehst, Perrin«, schlug Bran vor. »Du kannst nicht so weitermachen und lediglich mal hier oder da eine Stunde schlafen.« Perrin kratzte sich lebhaft im Bart und bemühte sich, wachsam und hellwach zu wirken. »Ich werde später schlafen.« Wenn es vorbei war. »Bekommen die Männer denn auch genug Schlaf? Ich habe einige gesehen, die immer noch auf waren, obwohl sie... « Die Eingangstür schlug auf, und der magere Dannil Lewin trat aus der Nacht herein, schweißüberströmt und den Bogen in der Hand. Er trug an der Hüfte eines der Schwerter aus dem Faß. Tam hatte die Männer unterrichtet, wenn er gerade Zeit dazu hatte, und manchmal half auch einer der Behüter.

Bevor Dannil den Mund öffnen konnte, fauchte Daise: »Bist du etwa in einer Scheune erzogen worden, Dannil Lewin?« »Du könntest wirklich meine Tür ein wenig rücksichtsvoller behandeln.« Marin blickte erst den Mann und dann Daise bedeutungsvoll an, um sie beide daran zu erinnern, daß es ihre Tür sei.

Dannil duckte sich ein wenig und räusperte sich. »Verzeihung, Frau al'Vere«, sagte er schnell. »Verzeihung, Seherin. Tut mir leid, wenn ich so hereinstürme, aber ich habe eine Botschaft für Perrin.« Er eilte so hastig zum Tisch der Männer, als fürchte er, die Frauen würden ihn nochmals aufhalten. »Die Weißmäntel haben einen Mann hergebracht, der mit Euch sprechen will, Perrin. Er will sonst mit niemandem reden. Er ist schlimm verwundet, Perrin. Sie haben ihn nur bis zum Rand des Dorfs gebracht.

Ich glaube kaum, daß er es bis zur Schenke schaffen würde.« Perrin rappelte sich mühsam hoch. »Ich komme schon.« Wenigstens kein neuer Angriff. Die waren nachts am schlimmsten.

Faile schnappte sich ihren Bogen und schloß sich ihm an, bevor er die Tür erreicht hatte. Auch Aram stand zögernd auf. Er hatte im Schatten am Fuß der Treppe gesessen. Manchmal vergaß Perrin ganz, daß der Mann da war, weil er sich so ruhig verhielt. Er wirkte schon eigenartig mit seinem Schwert, das er sich über das schmutzige, gelbgestreifte Kesselflickerwams geschnallt hatte, mit ständig weit geöffneten Augen und ausdruckslosem Gesicht. Weder Raen noch Ila hatten auch nur ein Wort mit ihrem Enkel gesprochen, seit dem Tag, als er dieses Schwert in die Hand genommen hatte. Auch mit Perrin sprachen sie nicht mehr.

»Wenn Ihr mitkommen wollt, dann nur zu«, sagte er ein wenig mürrisch, und Aram schloß sich ihm an. Der Mann lief ihm wie ein Hund hinterher, wenn er nicht gerade Tam oder Ihvon oder Tomas plagte, damit sie ihm Lehrstunden im Gebrauch des Schwerts erteilten. Es war, als habe er seine Familie und sein Volk durch Perrin ersetzt. Perrin hätte ohne diese zusätzliche Verantwortung gut leben können, aber er hatte ihn nun mal am Hals.

Der Mond schien auf die strohgedeckten Dächer herab. Nur bei wenigen Häusern war mehr als ein Fenster beleuchtet. Stille hing über dem Dorf. Draußen vor der Schenke standen vielleicht dreißig der ›Kameraden‹ auf Wache. Sie trugen ihre Bögen in der Hand, und so viele von ihnen hatten Schwerter, wie es eben möglich gewesen war. Die Bezeichnung ›Kameraden‹ hatten sie alle übernommen, und selbst Perrin ertappte sich dabei sie zu benützen, trotz seines inneren Widerstands. Der Grund dafür, vor der Schenke Wachen aufzustellen, war auf dem Anger zu finden, der nicht mehr von Schafen und Kühen zum Weiden benutzt wurde. Nur ein kurzes Stück vom Weinquellenbach entfernt, jenseits der Stelle, an der diese närrische Flagge mit dem Wolfskopf jetzt schlaff herunterhing, brannten helle Lagerfeuer in der Dunkelheit der Nacht. Am Rande des Feuerscheins schimmerten weiße Mäntel im Mondschein.

Niemand hatte Weißmäntel zu Hause beherbergen wollen. Die Häuser waren so schon überfüllt, und Bornhald wollte seine Truppe sowieso nicht aufsplittern. Der Mann schien zu glauben, daß jeden Moment das ganze Dorf über ihn und seine Männer herfallen könne. Wenn sie Perrin folgten, mußten sie Schattenfreunde sein. Selbst Perrins scharfe Augen konnten die Gesichter an den Lagerfeuern nicht erkennen, aber er glaubte, Bornhalds Blick auf sich ruhen zu fühlen, wie er wartete und haßte.

Dannil wählte zehn der Kameraden aus, die Perrin begleiten sollten, alles junge Männer, die normalerweise mit ihm herumziehen und die Gegend unsicher machen sollten, aber nun statt dessen ihre Bögen trugen und für seine Sicherheit sorgen mußten. Aram reihte sich nicht bei ihnen ein, als Dannil sie die dunkle, schmutzige Straße entlangführte. Er war bei Perrin und nicht bei dieser Truppe. Faile hielt sich dicht an Perrins Seite. Ihre dunklen Augen schimmerten im Mondschein und beobachteten ihre Umgebung so genau, als sei sie sein einziger Schutz.

Wo die Alte Straße nach Emondsfeld hineinführte, hatte man die Wagenblockade beseitigt, um die Patrouille der Weißmäntel durchzulassen, zwanzig Mann in schneeweißen Mänteln, mit Lanzen bewaffnet und in glänzenden Rüstungen, die nicht weniger ungeduldig warteten als ihre stampfenden Pferde. Sie hoben sich deutlich von der Nacht ab, wohlwissend, daß die Trollocs nachts sehr gut sehen konnten, aber die Weißmäntel bestanden auf ihren Patrouillenritten. Manchmal hatten sie wirklich rechtzeitig vor einem Angriff warnen können, und vielleicht hielten sie mit ihren ständigen Nadelstichen die Trollocs ein wenig auf Abstand. Aber es wäre Perrin schon lieber gewesen, er hätte gewußt, was sie eigentlich draußen taten, bevor sie vollendete Tatsachen schufen.

Eine Schar Dorfbewohner und Bauern aus dem Umland, die Teile uralter Rüstungen und in ein paar Fällen rostige Helme trugen, hatten sich um einen Mann in Bauernkleidung versammelt, der auf der Straße lag. Sie machten ihm und Faile Platz, und er ging zu dem Mann und kniete neben ihm nieder.

Der Geruch nach Blut war sehr stark. Schweiß glänzte auf dem im Schatten liegenden Gesicht des Mannes. Ein daumendicker Trollocpfeil steckte wie ein kleiner Speer in seiner Brust. »Perrin — Goldauge«, stieß er heiser hervor, wobei er nach Luft rang. »Muß — zu — Perrin — Goldauge.« »Hat jemand nach einer der Aes Sedai geschickt?« wollte Perrin wissen. Er hob den Oberkörper des Mannes an, so sanft er nur konnte, und hielt seinen Kopf in der Armbeuge. Er hörte gar nicht erst auf die Antwort, denn er glaubte nicht, daß der Mann noch lange genug leben würde, bis eine Aes Sedai kam. »Ich bin Perrin.« »Goldauge? Ich — kann — nicht — gut — sehen.« Der Blick aus seinen weit aufgerissenen Augen ruhte direkt auf Perrins Gesicht. Falls er überhaupt noch sehen konnte, mußte der Bursche seine Augen golden in der Dunkelheit schimmern sehen.

»Ich bin Perrin Goldauge«, sagte er zögernd.

Der Mann packte ihn am Kragen und zog sein Gesicht mit überraschender Kraft dicht vor seines. »Wir — kommen. Geschickt — Euch — zu — sagen. Wir ko...« Sein Kopf fiel nach hinten und die Augen blickten nun ins Leere.

»Das Licht sei mit seiner Seele«, flüsterte Faile. Sie hängte sich den Bogen über.

Nach einem Augenblick löste Perrin die Finger des Mannes von seinem Kragen. »Kennt ihn irgend jemand?« Die Männer von den Zwei Flüssen blickten sich gegenseitig an und schüttelten dann die Köpfe. Perrin blickte zu den Weißmänteln auf ihren Pferden hoch. »Hat er sonst noch etwas gesagt, als Ihr ihn hereinbrachtet? Wo habt Ihr ihn gefunden?« Jaret Byar starrte ihn von oben herab an. Sein Gesicht war hager; die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er war das Abbild des Todes. Die anderen Weißmäntel sahen zur Seite, doch Byar zwang sich immer, Perrin direkt in die gelben Augen zu sehen, besonders in der Nacht wenn sie glühten. Byar grollte leise in sich hinein. Perrin hörte den Ausdruck ›Schattenwesen!‹ Dann hieb er seinem Pferd die Stiefel in die Flanken und die Patrouille galoppierte ins Dorf hinein. Sie schienen genauso erleichtert, von Perrin wegzukommen wie von den Trollocs. Aram blickte ihnen mit ausdruckslosem Gesicht hinterher. Eine Hand hatte er erhoben und er fühlte nach dem Schwertgriff, der hinten über seine Schulter hinausragte.

»Sie sagten, sie hätten ihn zwei oder drei Meilen südlich von hier gefunden.« Dannil zögerte und fügte dann hinzu: »Sie behaupten auch, die Trollocs seien in lauter kleine Gruppen aufgesplittert, Perrin. Vielleicht geben sie endlich auf?« Perrin ließ den Fremden langsam zu Boden gleiten. Wir kommen. »Paßt gut auf. Vielleicht kommt irgendeine Familie nun endlich her, die bisher versucht hat, sich auf dem eigenen Hof zu halten.« Er glaubte zwar nicht, daß jemand so lange Zeit überlebt habe, aber es konnte schon sein. »Erschießt niemanden aus Versehen.« Er taumelte hoch, und Faile legte eine Hand auf seinen Arm. »Es wird Zeit, daß du ins Bett kommst, Perrin. Gelegentlich mußt du auch mal schlafen.« Er sah sie nur stumm an. Er hätte dafür sorgen sollen, daß sie in Tear blieb. Gleich, wie er es angestellt hätte. Wenn er nur gründlich genug nachgedacht hätte...

Einer der Laufburschen, ein lockenköpfiger Junge, der ihm bis zur Brust reichte, schlüpfte zwischen den Männern durch und zupfte Perrin am Ärmel. Perrin kannte ihn nicht. Es waren ja auch viele Familien aus dem weiteren Umland da. »Es rührt sich irgend etwas im Westwald, Lord Perrin. Ich bin geschickt worden, um Euch das auszurichten.« »Nenne mich nicht ›Lord‹ Perrin«, sagte er in scharfem Ton zu dem Jungen. Wenn er nicht bei den Kindern anfing, würden ihn bald alle so nennen. »Geh und sage ihnen, daß ich komme.« Der Junge rannte los.

»Du gehörst ins Bett«, sagte Faile energisch. »Tomas kann durchaus die Verteidigung leiten.« »Das ist aber kein Angriff, sonst hätte es der Junge gesagt und irgend jemand würde Cenns Signalhorn blasen.« Sie hängte sich an seinen Arm und versuchte, ihn in Richtung Schenke zu ziehen, und als er in die entgegengesetzte Richtung losmarschierte, wurde sie auf die Art mitgeschleppt. Nach ein paar Minuten vergebener Anstrengung gab sie auf und tat so, als habe sie die ganze Zeit nur einfach seinen Arm gehalten. Aber sie knurrte einiges in sich hinein. Sie glaubte wohl immer noch, wenn sie ganz leise spräche, könne er es nicht hören. Es begann mit Ausdrücken wie ›närrisch‹, ›Maulesel‹ oder ›Muskeln statt Hirn‹, und danach wurde es härter. Es war eine hübsche Prozession: Sie hing an seinem Arm und verfluchte ihn leise, Aram folgte ihm wie ein treuer Hund, und Dannil mit den zehn Kameraden umgaben sie wie eine Ehrenwache. Wäre er nicht so müde gewesen, hätte er sich wohl wie ein kompletter Idiot gefühlt.

Kleine Gruppen von Wächtern waren in regelmäßigen Abständen um den Wall aus zugespitzten Pfählen verteilt und spähten in die Nacht hinaus. Bei jeder Gruppe befand sich ein Junge als Laufbursche. Am westlichen Ende des Dorfes hatten sich die Wächter alle an der Innenseite der Straßensperre versammelt. Sie hielten die Speere und Bögen in nervöser Kampfbereitschaft und blickten hinüber zum Westwald. Selbst im Mondschein mußten ihnen die Bäume wohl mehr wie schwarze Schatten vorkommen.

Der Behüterumhang ließ Teile von Tomas' Körper so mit der Nacht verschmelzen, daß sie praktisch unsichtbar waren. Bain und Chiad befanden sich bei ihm. Aus irgendeinem Grund hatten die beiden Töchter des Speers jede Nacht an diesem Ende Emondsfelds verbracht, seit Loial und Gaul weg waren. »Ich hätte Euch nicht gestört«, sagte der Behüter zu Perrin, »aber da draußen scheint sich nur eine Gestalt zu bewegen, und ich glaubte, Ihr könntet sie vielleicht besser ausmachen mit Euren scharfen Augen... « Perrin nickte. Jeder wußte von dieser Fähigkeit, gerade auch bei Dunkelheit noch gut sehen zu können. Die Leute von den Zwei Flüssen hielten das anscheinend für etwas ganz Besonderes. Das gehörte zu den Dingen, die ihn in ihren Augen zu einem dieser idiotischen ›Helden‹ stempelten. Was die Behüter oder die Aes Sedai davon hielten, wußte er nicht. Er war heute nacht auch zu müde, als daß es ihn gekümmert hätte. Sieben Tage, und wie viele Angriffe waren es gewesen?

Der Rand des Westwalds lag etwa fünfhundert Schritt entfernt. Selbst für seine Augen verschwammen die Bäume dort zu einem massiven Schatten. Etwas bewegte sich dort. Es war groß genug, daß es ein Trolloc sein konnte. Eine große Gestalt, die etwas trug... Das, was auf den Armen der Gestalt lag, hob einen Arm. Ein Mensch. Ein großer Schatten, der einen Menschen auf den Armen trug.

»Wir schießen nicht!« schrie er. Ihm war nach Lachen zumute — nein, er ertappte sich dabei, wirklich zu lachen. »Komm weiter! Komm her, Loial!« Die undeutliche Gestalt trabte schwerfällig los, schneller als ein Mensch laufen konnte, und wurde schließlich als der Ogier erkennbar, der mit Gaul auf den Armen auf das Dorf zueilte.

Die Männer feuerten ihn an, als sei das Ganze ein Wettrennen: »Rennt, Ogier, rennt! Los! Rennt!« Vielleicht war es auch ein Wettrennen, denn aus diesem Teil des Walds heraus war schon mehr als ein Angriff erfolgt.

Kurz vor den Pfählen kam Loial schwankend zum Stehen. Es war kaum Platz für seine kräftigen Beine, sich auch nur seitwärts durch die Barriere zu schieben. Doch schließlich hatte er es geschafft und setzte sofort den Aielmann ab. Er selbst sank zu Boden und lehnte sich erschöpft an die nächststehenden Pfähle. Er atmete schwer, und seine behaarten Ohren hingen schlapp herunter. Gaul hüpfte auf einem Bein heran und setzte sich neben ihn. Augenblicklich kümmerten sich Bain und Chiad besorgt um seinen linken Oberschenkel, wo die Hose zerrissen und mit getrocknetem Blut verschmiert war. Er hatte nur noch zwei Speere, und in seinem Köcher herrschte gähnende Leere. Auch Loials Axt fehlte.

»Du alter Narr von einem Ogier«, lachte Perrin ihn warmherzig an. »Sich so einfach fortzustehlen. Ich sollte dich Ausreißer von Daise Congar versohlen lassen. Na, wenigstens bist du noch am Leben. Und zurück.« Seine Stimme versagte ihm nun doch den Dienst. Er lebte. Und war wieder zurück in Emondsfeld.

»Wir haben es geschafft, Perrin«, schnaufte Loial mit müder, doch immer noch dröhnender Stimme. »Vor vier Tagen Wir haben das Wegetor verschlossen. Höchstens die Altesten oder eine Aes Sedai könnten es wieder öffnen.« »Er hat mich fast den ganzen Weg von den Bergen bis hier getragen«, sagte Gaul. »Während der ersten drei Tage wurden wir von einem Nachtläufer und vielleicht fünfzig Trollocs verfolgt, aber Loial war einfach zu schnell für sie.« Er versuchte, die Töchter des Speers wegzuschieben, doch das gelang ihm nicht.

»Lieg still, Shaarad«, fauchte ihn Chiad an, »oder ich werde behaupten, ich hätte dich bei voller Bewaffnung berührt. Dann kannst du selbst wählen, wie es um deine Ehre künftig stehen soll.« Faile lachte vergnügt. Perrin verstand gar nichts, doch die Bemerkung ließ den standhaften Aielmann beinahe in die Luft gehen. Anschließend ließ er sein Bein von den Töchtern behandeln.

»Geht es dir gut, Loial?« fragte Perrin. »Bist du verletzt?« Der Ogier rappelte sich mit sichtlicher Anstrengung hoch und stand einen Moment lang schwankend da, wie ein Baum vor dem Sturz. Seine Ohren hingen noch immer schlapp herunter. »Nein, ich bin unverletzt, Perrin. Nur müde. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich bin eben schon eine lange Zeit aus dem Stedding weg. Besuche dort reichen nicht aus.« Er schüttelte den Kopf, als habe er sich wieder beim Abschweifen ertappt. Seine breite Hand bedeckte Perrins Schulter. »Wenn ich ein bißchen geschlafen habe, geht es mir wieder gut.« Er senkte die Stimme. Jedenfalls für einen Ogier war dieses Hummelgebrumm durchaus leise. »Draußen sind die Zustände sehr schlimm, Perrin. Die meiste Zeit über sind wir den letzten Horden aus den Bergen hinunter gefolgt. Wir haben das Wegetor verschlossen, aber ich glaube, es befinden sich bereits mehrere tausend Trollocs an den Zwei Flüssen und dazu vielleicht noch fünfzig Myrddraal.« »Keineswegs«, verkündete Luc lauthals. Er war am Dorfrand entlanggaloppiert und kam aus der Gegend der Nordstraße. Er riß an den Zügeln und sein schwarzer Hengst bäumte sich auf, als er mit einem Ruck stehenbleiben mußte. Er schlug mit den Vorderhufen in die Luft. Der Auftritt eines Angebers...»Zweifellos beherrscht Ihr es prächtig, Ogier, Bäume zu besingen, aber gegen Trollocs zu kämpfen ist doch etwas anderes. Ich schätze, es sind mittlerweile weniger als tausend. Ganz sicher eine formidable Streitmacht, aber nichts, womit diese festen Verteidigungsanlagen und tapferen Männer nicht fertigwerden könnten. Hier ist noch eine Trophäe für Eure Sammlung, Lord Perrin Goldauge.« Lachend warf er Perrin einen prall gefüllten Stoffbeutel zu. Die Unterseite glänzte feucht und dunkel im Mondschein.

Perrin fing den Beutel auf und warf ihn trotz seines Gewichts in hohem Bogen über die Pfähle nach draußen. Zweifellos befanden sich vier oder fünf Trollocköpfe darin und vielleicht noch der eines Myrddraal. Der Mann brachte jeden Abend seine Trophäen herein und schien immer noch zu erwarten, daß man sie aufstellte und bewunderte. In der Nacht, als er mit einem Paar von Myrddraalköpfen hereingekommen war, hatten einige Coplins und Congars ein Fest für ihn veranstaltet.

»Verstehe ich etwa auch nichts vom Kämpfen?« meldete sich Gaul zu Wort. Er kam mühsam auf die Beine. »Ich sage, es sind mehrere tausend.« Luc zeigte beim Lächeln seine Zähne. »Wie viele Tage habt Ihr in der Fäule verbracht, Aiel? Ich war lange dort.« Vielleicht war es mehr eine Grimasse als ein Lächeln. »Lange. Glaubt, was Ihr wollt, Goldauge. Die endlosen Tage werden bringen, was sie eben bringen, wie es immer war.« Er riß den Hengst schon wieder auf die Hinterhand hoch, ließ ihn herumwirbeln und galoppierte zwischen den Häusern und den Bäumen, die einst den Rand des Westwalds gebildet hatten, in das Dorf hinein. Die Männer blickten ihm nervös hinterher oder spähten wieder in die Dunkelheit hinein.

»Er hat unrecht«, sagte Loial. »Gaul und ich haben es eindeutig so gesehen.« Seine Gesichtszüge wirkten schlaff und erschöpft, die Mundwinkel waren heruntergezogen und die langen Augenbrauen baumelten ihm auf die Wangen. Kein Wunder, wenn er Gaul drei oder vier Tage lang getragen hatte.

»Du hast eine Menge getan, Loial«, sagte Perrin. »Ihr beide habt etwas Großes vollbracht. Etwas Bedeutendes. Ich fürchte, in Euren Schlafzimmern liegen jetzt jeweils ein halbes Dutzend Kesselflicker, aber Frau al'Vere wird Euch schon ein Lager bereiten. Es ist Zeit, daß Ihr den Schlaf bekommt, den Ihr braucht.« »Und für dich ist es auch allerhöchste Zeit, Perrin Aybara!« Schnell treibende Wolken ließen Schatten über Failes prägnante Nase und die hohen Backenknochen tanzen. Sie war so schön! Aber ihre Stimme war knallhart: »Wenn du jetzt nicht schlafen gehst, lasse ich dich von Loial schleppen. Du kannst ja kaum noch stehen!« Gaul hatte Schwierigkeiten, mit seinem verwundeten Bein zu gehen. Bain stützte ihn auf einer Seite. Er versuchte, Chiad davon abzuhalten, seinen anderen Arm zu nehmen, aber sie murmelte drohend etwas, das wie ›Gai'schain‹ klang, und Bain lachte, und dann erlaubte der Aielmann beiden, ihm zu helfen, wobei er wütend in sich hineingrollte. Wovon die Töchter des Speers da auch sprechen mochten, jedenfalls hatten sie Gaul damit am Gängelband.

Tomas klopfte Perrin auf die Schulter. »Geht, Mann. Jeder braucht mal Schlaf.« Bei ihm klang das, als könne er gut noch drei weitere Tage ohne Schlaf auskommen. Perrin nickte.

Er ließ sich von Faile zur Weinquellenschenke zurückbringen. Loial und die Aiel folgten, und auch Aram, während Dannil und die zehn Kameraden sie schützend umgaben. Er war nicht sicher, wann die anderen zurückgeblieben waren, aber irgendwie fand er sich mit Faile zusammen in seinem Zimmer im zweiten Stock der Schenke wieder.

»Ganze Familien haben nicht mehr Platz als ich hier mit diesem Zimmer«, knurrte er. Eine Kerze brannte auf dem Sims über dem kleinen Kamin. Andere mußten ohne das auskommen, aber Marin entzündete hier eine, sobald es dunkel wurde, damit sie ihn später nicht stören mußte. »Ich kann mit Dannil und Ban und den anderen draußen schlafen.« »Sei kein Idiot«, sagte Faile, aber es klang irgendwie liebevoll. »Wenn Alanna und Verin ihre eigenen Zimmer haben, sollte das auch für dich gelten.« Ihm wurde bewußt, daß sie ihm bereits das Wams gelöst hatte und gerade sein Hemd aufband. »Ich bin nicht zu müde, um mich selbst auszuziehen.« Sanft schob er sie aus dem Zimmer.

»Du ziehst dich jetzt aus«, befahl sie. »Alles, hörst du? Du kannst nicht richtig schlafen, wenn du angezogen bist, auch wenn du das zu glauben scheinst.« »Mache ich«, versprach er. Als er die Tür geschlossen hatte, zog er auch tatsächlich die Stiefel aus, bevor er die Kerze ausblies und sich hinlegte. Marin hatte etwas gegen schmutzige Stiefel auf ihrer Bettdecke.

Tausende, hatten Gaul und Loial gesagt. Aber wieviel konnten die beiden gesehen haben, wenn sie sich versteckt in die Berge geschlichen hatten und auf dem Rückweg geflohen waren? Luc behauptete, es seien höchstens tausend, aber Perrin konnte sich nicht dazu überwinden, dem Mann zu trauen, und wenn er noch so viele Trophäen mitbrachte. Zersplittert, behaupteten wieder die Weißmäntel. Wie nahe konnten sie den Trollocs aber gekommen sein, wo doch ihre Rüstungen und Umhänge in der Dunkelheit richtiggehend leuchteten?

Vielleicht gab es eine Möglichkeit, selbst nachzusehen. Er hatte seit seinem letzten Besuch den Wolfstraum gemieden. Wann immer er auch daran dachte, dorthin zurückzugehen, verspürte er den Wunsch, den Schlächter endlich zu stellen, aber er war für Emondsfeld verantwortlich. Doch vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen? Der Schlaf überkam ihn, während er noch überlegte.

Er stand im strahlenden Nachmittagssonnenschein auf dem Anger. Die Sonne stand bereits tief und ein paar weiße Wolken trieben über den Himmel. Es grasten jetzt keine Schafe oder Kühe um den hohen Mast herum, an dem die leichte Brise die rote Flagge mit dem Wolfskopf flattern ließ. Nur eine Schmeißfliege brummte an seinem Gesicht vorbei. Menschenleer war es zwischen den strohgedeckten Häusern. Kleine Stapel von trockenen Holzscheiten auf kalten Aschehäufchen zeigten, wo die Weißmäntel lagerten. Er hatte im Wolfstraum kaum jemals etwas brennen sehen; höchstens das, was bereits verkohlt war oder direkt vor der Entzündung stand. Keine Raben am Himmel.

Während er nach den Vögeln suchte, verdunkelte sich ein Teil des Himmels und wurde zu einem Fenster, vielleicht in eine andere Welt. Egwene stand da in einer Gruppe von Frauen. Furcht stand in ihren Augen. Langsam knieten die Frauen in ihrer Umgebung vor ihr nieder. Nynaeve war eine davon, und er glaubte, auch Elaynes rotgoldenes Haar zu entdecken. Das Fenster verblaßte und wurde durch ein anderes ersetzt. Mat stand nackt und gefesselt da. Er knurrte wütend. Diesen eigenartigen Speer mit dem schwarzen Schaft hatte man ihm hinten unter den Armen durchgesteckt und auf seiner Brust hing ein silbernes Medaillon, ein Fuchskopf. Mat verschwand und wurde zu Rand. Perrin glaubte jedenfalls, es sei Rand. Er trug nur Lumpen und einen groben Umhang, und seine Augen waren mit einer Bandage verbunden. Das dritte Fenster verschwand. Der Himmel war nur noch Himmel und leer bis auf die Wolken.

Perrin schauderte. Diese Visionen, die er im Wolfstraum sah, hatten nie etwas mit der Wirklichkeit zu tun, die er kannte. Vielleicht wurden hier, wo sich alles so leicht veränderte, die Sorgen um seine Freunde zu etwas Greifbarem, etwas Sichtbarem? Was es auch war, er durfte keine Zeit damit verschwenden, solche Dinge anzugaffen.

Er war nicht überrascht, festzustellen, daß er die lange Lederweste eines Grobschmieds trug und kein Hemd darunter, und als er an den Gürtel griff, hing dort der Hammer, aber nicht die Axt. Mit gerunzelter Stirn konzentrierte er sich auf die lange, halbmondförmige Schneide und den dicken Dorn. Das war es, was er jetzt benötigte. Der Hammer veränderte sich nur langsam, zäh, als leiste er Widerstand, doch als schließlich die Axt in der festen Schlinge hing, glänzte sie irgendwie gefährlich.

Warum wehrte sich dieser Hammer so? Er wußte doch, was er wollte. An seiner anderen Hüfte erschien ein gefüllter Köcher, in seiner Hand ein Langbogen und ein Lederschutz an seinem linken Unterarm.

Drei Schritte, bei denen das Land unter ihm verschwamm, brachten ihn dorthin, wo er die nächstgelegenen Trolloclager vermutete, drei Meilen vom Dorf entfernt. Der letzte Schritt brachte ihn zwischen beinahe ein Dutzend hoher Holzhaufen, die inmitten niedergetrampelter Gerstenhalme auf der Asche alter Feuer lagen. Unter den Scheiten fanden sich zerbrochene Stühle, Tischbeine und selbst die Tür eines Bauernhauses. Große, schwarze, eiserne Kochkessel standen bereit, sie über die fertig vorbereiteten Feuer zu hängen. Leere Kessel natürlich. Aber er wußte, was sie kleinschneiden und hineinwerfen würden, oder was auf die dicken Eisenspieße gesteckt würde, die über einigen Feuerstellen hingen. Wie vielen Trollocs würden diese Feuer dienen? Es gab keine Zelte, und die schmutzigen, nach altem Trolloc-Schweiß stinkenden Decken, die hier und da lagen, gaben auch keinen wirklichen Anhalt. Viele Trollocs schliefen wie die Tiere ohne Decken auf dem blanken Boden oder höhlten sich eine Kuhle aus, um sich darin zusammenzurollen.

Mit kleineren Schritten, nicht länger als ein paar hundert Schritt jeweils, lief er um Emondsfeld herum. Das Land schien lediglich unter einem feinen Dunst zu liegen, als er von Bauernhof zu Bauernhof schritt, von Weiden zu Gerstenfeldern zu Reihen von Tabakspflanzen, durch vereinzelte Baumgruppen, entlang der Wagenspuren und kleiner Fußpfade... Er entdeckte mehr und mehr vorbereitete Holzstöße für Trollocfeuer, während ihn sein Weg langsam nach außen führte, spiralförmig vom Dorf weg. Zu viele. Hunderte von Feuern. Das mußte bedeuten, es waren mehrere tausend Trollocs. Fünftausend oder zehntausend oder auch das Doppelte — was machte das schon für einen Unterschied für Emondsfeld, wenn sie alle gleichzeitig angriffen.

Weiter draußen verschwanden die Anzeichen für die Anwesenheit der Trollocs. Zumindest die für ihre augenblickliche Anwesenheit. Nur wenige Bauernhäuser oder Scheunen standen noch. Verkohlte Stoppeln waren von vielen Feldern übriggeblieben, die sie niedergebrannt hatten. Andere Felder wiesen große niedergetrampelte Flächen auf. Es gab keinen vernünftigen Grund dafür, lediglich die Zerstörungswut der Trollocs. Die Menschen waren längst geflohen, als das getan wurde. Einmal landete er mitten auf einer großen verkohlten Fläche. Angesengte Wagenräder lagen noch in der Asche, auf denen sich vereinzelte bunte Lackflecken zeigten, die nicht in der Hitze des Feuers abgeblättert waren. Diese Stätte, an der der Wagenzug der Tuatha'an zerstört worden war, schmerzte ihn noch mehr als die niedergebrannten Bauernhöfe. Der Weg des Blatts sollte seine Chance bekommen. Irgendwo. Nicht hier. Er zwang sich zum Wegschauen und sprang etwa eine Meile weiter.

Schließlich erreichte er Devenritt. Reihen von strohgedeckten Häusern umgaben einen Anger mit einem Teich, der sein Wasser aus einer ummauerten Quelle bezog. Das überfließende Wasser rann aus Rinnen, die längst viel tiefer ausgewaschen worden waren als ursprünglich vorgesehen. Die Schenke am Ende des Angers, ›Zur Gans und Pfeife‹, hatte auch nur ein Strohdach, war aber ein wenig größer als die Weinquellenschenke, obwohl es in Devenritt bestimmt weniger Gäste gab als in Emondsfeld. Das Dorf war auf keinen Fall größer. Wagen und Karren, die man dicht vor die Häuser gestellt hatte, erzählten davon, daß auch hierher Bauern mit ihren Familien geflohen waren. Andere Wagen blockierten die Straßen und verstellten sogar die Lücken zwischen den Häusern am Dorfrand. Diese Vorbereitungen hätten nicht gereicht, um auch nur einen einzigen Angriff abzuwehren, wie sie in den letzten sieben Tagen über Emondsfeld hereingebrochen waren.

Nach drei Runden um das Dorf hatte Perrin lediglich ein halbes Dutzend Trolloclager gefunden. Genug, um die Menschen im Dorf einzuschließen. Sie dort festzuhalten, bis Emondsfeld erledigt war. Dann würden die Trollocs in aller Ruhe unter Anleitung der Blassen über Devenritt herfallen. Vielleicht konnte er eine Möglichkeit finden, den Dorfbewohnern eine Warnung zukommen zu lassen. Falls sie nach Süden flohen, konnten sie möglicherweise den Weißen Fluß überqueren. Und selbst der Versuch, den wilden und unbewohnten Schattenwald unterhalb des Flusses zu durchqueren, war immer noch besser, als darauf zu warten, daß man umgebracht wurde.

Die goldene Sonne hatte sich keine Spur weiterbewegt. Hier verlief die Zeit anders.

Nun rannte er, so schnell er konnte, nach Norden. Selbst Emondsfeld flog wie ein verwaschener Fleck an ihm vorbei. Wachhügel auf seiner runden Bergspitze war genau wie Devenritt mit Wagen und Karren zwischen den Häusern verbarrikadiert. Der Wind ließ eine Flagge an einer langen Fahnenstange flattern, die vor dem Weißen Keiler auf dem Hügelkamm aufgestellt worden war. Ein roter Adler auf blauem Feld. Der Rote Adler war das Wappen von Manetheren gewesen. Vielleicht hatten ihnen Alanna oder Verin von den alten Legenden erzählt, als sie sich in Wachhügel aufhielten.

Auch hier fand er nur wenige Trolloclager vor, gerade genug, um die Dorfbewohner festzunageln. Hier gab es allerdings einen bequemeren Fluchtweg als über den Weißen Fluß mit seinen endlosen Stromschnellen.

Weiter nach Norden rannte er, nach Taren-Fähre am Ufer des Tarendrelle, den er früher immer als Tarenfluß gekannt hatte. Hohe, schmale Häuser auf hohen Steinfundamenten prägten das Bild dieses Orts. Der Taren trat jedes Jahr über die Ufer, wenn der Schnee in den Verschleierten Bergen schmolz. Nun standen im unveränderten Nachmittagssonnenschein auf mindestens der Hälfte dieser Fundamente nur noch verkohlte Balken, und Aschehaufen lagen dazwischen. Hier sah er keine Wagen, keine Anzeichen für einen Widerstand. Und auch keine Trolloclager. Vielleicht waren hier gar keine Menschen mehr.

Am Ufer war ein massiver hölzerner Landesteg angebaut, von dem aus sich ein schweres Tau über den Fluß mit seiner starken Strömung spannte. Das Tau lief durch Eisenringe an Deck eines breiten, niedrigen Kahns, der am Landesteg vertäut lag. Die Fähre war also noch da und konnte benutzt werden.

Ein Satz brachte ihn über den Fluß, wo tiefe Wagenspuren das Ufer vernarbten und verstreute Haushaltsgegenstände herumlagen. Stühle und Standspiegel, Truhen, sogar ein paar Tische und ein hochglänzender Kleiderschrank, in dessen Türen Vögel geschnitzt worden waren, lagen dort, Gegenstände, die angsterfüllte Menschen hatten retten wollen und die sie dann doch liegen ließen, um schneller voranzukommen. Sie würden die Nachrichten von den Ereignissen verbreiten, die sich hier abgespielt hatten, die sich im Gebiet der Zwei Flüsse immer noch abspielten. Einige hatten mittlerweile vielleicht Baerlon erreicht, hundert Meilen oder mehr nördlich von hier, und ganz sicher natürlich die Bauerngehöfte zwischen Baerlon und dem Fluß. Die Nachrichten verbreiteten sich. Noch ein Monat, und man erfuhr in Caemlyn davon. Dann wußte Königin Morgase mit ihrer Königlichen Garde und ihrer Befehlsgewalt über ganze Heere Bescheid. Mit Glück würde das in einem Monat geschehen. Und genauso lang, bis sie hiersein konnten, falls Morgase es überhaupt glaubte. Zu spät für Emondsfeld. Vielleicht zu spät für die ganze Region.

Trotzdem ergab es keinen Sinn, daß die Trollocs jemanden entkommen ließen. Oder jedenfalls die Myrddraal; die Trollocs selbst dachten kaum mehr als einen Moment voraus. Er hätte gedacht, das erste, was die Blassen machten, sei, die Fähre zu zerstören. Wie konnten sie sicher sein, daß in Baerlon nicht genug Soldaten lagerten, um sie hier anzugreifen?

Er bückte sich, um eine Puppe mit buntbemaltem Holzgesicht aufzuheben, und ein Pfeil zischte durch, wo sich gerade noch seine Brust befunden hatte. Er sprang direkt aus seiner gebückten Haltung los und den Uferhang hinauf. Ein verwischter Fleck schoß hundert Schritt weit in den Wald hinein und kauerte sich plötzlich wieder klar sichtbar unter einen mächtigen Lederblattbaum. Um ihn herum bedeckten Gestrüpp und mit Ranken überwachsene, von der Überschwemmung umgestürzte Baumstämme den Waldboden.

Der Schlächter. Perrin hatte einen Pfeil aufgelegt und fragte sich erstaunt, ob er ihn im Sprung noch aus dem Köcher gezogen oder ihn einfach dorthin gedacht habe. Der Schlächter.

Er war schon wieder auf dem Sprung, blieb aber doch noch an Ort und Stelle. Der Schlächter würde ungefähr seinen Standpunkt einschätzen können. Perrin war der verschwimmenden Gestalt des Mannes auch schon relativ leicht gefolgt. Dieser sich verlängernde Wischer war so eindeutig, daß man ihn nicht verfehlen konnte. Zweimal nun hatte er das Spiel des anderen mitgespielt und beinahe verloren. Diesmal sollte der Schlächter ruhig sein Spielchen treiben. Er wartete ab.

Raben kreisten suchend und krächzend über den Baumwipfeln. Keine Bewegung verriet ihn; nicht einmal ein leichtes Zucken. Nur die Augen rührten sich und beobachteten den ihn umgebenden Wald. Ein leichter Lufthauch trug eine kalte Witterung an seine Nase, menschlich und doch wieder nicht. Er lächelte. Kein Laut außer dem Krächzen der Raben. Dieser Schlächter beherrschte die Kunst des Lauerns. Aber er war es nicht gewohnt, selbst der Gejagte zu sein. Was vergaß der Schlächter noch außer seiner eigenen Witterung? Er würde wohl kaum erwarten, daß Perrin genau dort verharrte, wo er gelandet war. Tiere rannten vor dem Jäger weg. Selbst die Wölfe rannten gelegentlich davon.

Die Andeutung einer Bewegung, und einen Augenblick lang erschien ein Gesicht über dem Stamm einer umgestürzten Kiefer etwa fünfzig Schritt von seinem Versteck. Das schräg einfallende Tageslicht ließ ihn die Züge ganz deutlich erkennen: dunkles Haar und blaue Augen, ein kantiges, hartes Gesicht, das ihn so sehr an das Lans erinnerte. Aber in diesem kurzen Moment leckte sich der Schlächter zweimal die Lippen. Seine Stirn war gerunzelt und sein Blick wanderte unstet hierhin und dorthin, als er den Wald absuchte. Lan hätte seine Unruhe niemals gezeigt, und wenn er allein tausend Trollocs gegenüberstünde. Nur ein Augenblick, und dann war das Gesicht wieder verschwunden. Die Raben kreisten aufgescheucht über dem Wald, als teilten sie die Unruhe des Schlächters und fürchteten, zu tief zu fliegen.

Perrin wartete und beobachtete weiter völlig bewegungslos. Stille. Nur diese kalte Witterung sagte ihm, daß er nicht mit den Raben oben allein sei.

Wieder erschien das Gesicht des Schlächters. Er spähte hinter dem dicken Stamm einer Eiche zu seiner Linken hervor. Dreißig Schritt. Die Eichen erstickten das meiste, was unmittelbar um sie herum wuchs. In dem mit faulenden Blättern bedeckten Humus unter ihren Ästen wuchsen nur ein paar Pilze und ein wenig Unkraut. Langsam schob sich der Mann ins Freie vor. Seine Stiefel machten kein Geräusch.

In einer einzigen flüssigen Bewegung zog Perrin durch und schoß seinen Pfeil ab. Die Raben krächzten laut auf, und der Schlächter fuhr herum, doch der Hammerkopfpfeil schlug in seine Brust ein. Aber ins Herz hatte Perrin ihn nicht getroffen. Der Mann schrie auf und faßte mit beiden Händen nach dem Pfeilschaft. Schwarze Federn schwebten herunter, als die Raben verzweifelt mit den Flügeln schlugen. Und die Gestalt des Schlächters verblaßte, während sein Schrei verhallte. Er wurde durchsichtig, zu einer Nebelschwade, und verschwand. Das Kreischen der Raben brach ab, wie mit einem Messer abgeschnitten. Der Pfeil, der den Mann durchbohrt hatte, fiel zu Boden. Auch die Raben waren verschwunden.

Perrin hatte schon den Bogen erneut halb durchgezogen, atmete dann aber tief durch und ließ die Spannung aus der Sehne weichen. Starb man hier auf diese Weise? Indem man einfach verblaßte und für immer verschwand?

»Wenigstens habe ich ihn erwischt«, knurrte er. Und außerdem hatte er sich von seinem eigentlichen Zweck ablenken lassen. Er war nicht des Schlächters wegen in den Wolfstraum gekommen. Nun denn, wenigstens waren die Wölfe nun sicher. Die Wölfe — und ein paar andere ebenfalls. Er trat aus dem Traum heraus...

... und als er erwachte, starrte er zunächst verständnislos die Zimmerdecke an und sein Hemd war schweißgetränkt. Durch die Fenster drang ein wenig Mondschein herein. Irgendwo im Dorf spielten Fiedeln eine wilde Kesselflickermelodie. Sie kämpften wohl nicht, halfen aber auf ihre Weise, die Menschen bei Laune zu halten.

Langsam setzte sich Perrin auf und zog sich im trüben Dämmerlicht des Zimmers die Stiefel an. Wie sollte er es anstellen, das durchzuführen, was er tun mußte? Es war schwierig. Er mußte es schlau anstellen, soviel war klar. Nur war er keineswegs sicher, daß er in seinem Leben jemals etwas schlau angestellt hatte. Er stand auf und stampfte die Füße in die Stiefel hinein.

Plötzliche Schreie von draußen und ein verklingendes Hufgeklapper ließen ihn zum nächsten Fenster eilen und es öffnen. Unten drängten sich die ›Kameraden‹ wild durcheinander. »Was ist los da unten?« Dreißig Gesichter wandten sich nach oben und Ban al'Seen rief: »Es war Lord Luc, Lord Perrin! Er hätte beinahe Wil und Tell niedergeritten! Ich glaube, er hat sie überhaupt nicht gesehen. Er war im Sattel zusammengekrümmt, als sei er verwundet, und er gab dem Hengst mit aller Gewalt die Sporen, Lord Perrin.« Perrin zupfte an seinem Bart. Luc war vorher ganz sicher nicht verwundet gewesen. Luc... und der Schlächter? Das war doch unmöglich. Der dunkelhaarige Schlächter wirkte wie ein Bruder oder Cousin Lans. Wenn Luc mit seinem rotblonden Haar jemandem ähnlich sah, wenigstens ein bißchen, dann war das höchstens Rand. Die beiden Männer hätten nicht unterschiedlicher aussehen können. Und doch... Diese kalte Witterung. Sie rochen nicht gleich, aber beide hatten diese eisige, kaum menschliche Witterung an sich. Seine Ohren vernahmen das Geräusch, wie unten an der Alten Straße Wagen aus dem Weg gezogen wurden und jemand schrie, man solle sich beeilen. Selbst wenn Ban und die Kameraden hinterherrannten, würden sie den Mann nun nicht mehr einholen. Der Hufschlag verriet ihm, daß jemand in vollem Galopp nach Süden ritt.

»Ban«, rief er. »Wenn Luc wieder auftauchen sollte, dann setzt ihn fest und bewacht ihn!« Er hielt kurz inne und fügte dann hinzu: »Und nennt mich nicht so.« Dann schlug er das Fenster zu.

Luc und der Schlächter; der Schlächter und Luc. Wie konnten sie ein und derselbe sein? Es war einfach unmöglich. Aber andererseits hatte er vor nicht einmal zwei Jahren auch nicht an die Existenz von Trollocs und Blassen geglaubt. Nun, Zeit genug, sich darüber Gedanken zu machen, wenn er den Mann je wieder in die Finger bekam. Jetzt standen Wachhügel und Devenritt auf dem Programm und... Einige konnte man vielleicht retten. Nicht alle Bewohner der Zwei Flüsse mußten sterben.

Auf dem Weg zum Schankraum blieb er auf dem oberen Treppenabsatz stehen. Aram stand von seinem Sitzplatz auf der untersten Stufe auf und beobachtete ihn. Er wartete darauf, ihm folgen zu dürfen, wohin er ihn auch führen mochte. Gaul lag ausgestreckt auf einem Deckenlager in der Nähe des Kamins. Eine dicke Bandage hüllte seinen linken Oberschenkel ein. Er schien zu schlafen. Faile und die beiden Töchter des Speers saßen mit übergeschlagenen Beinen auf dem Fußboden neben ihm und unterhielten sich leise. Auf der anderen Seite des Raums sah er ein viel größeres Lager, aber Loial, für den es bestimmt war, saß mit ausgestreckten Beinen auf einer Bank. Die Füße steckten unter einem Tisch, und er hatte sich weit nach vorn gebeugt und kritzelte bei Kerzenschein mit einer Feder in sein Notizbuch. Zweifellos schrieb er alles nieder, was auf ihrer Reise geschehen war, bevor und nachdem sie das Wegetor verschlossen hatten. Und Perrin kannte Loial gut genug, um zu wissen, daß er alle Ehre Gaul zuschreiben würde, ob es nun stimmte oder nicht. Loial schien seine eigenen Taten ganz und gar nicht für mutig zu halten und wert, festgehalten zu werden. Ansonsten war der Schankraum leer. Er hörte immer noch die Fiedeln aufspielen und glaubte auch, die Melodie zu erkennen. Kein Kesselflickerlied, das sie jetzt spielten: ›Meine Liebe ist eine wilde Rose‹.

Faile blickte hoch, kaum daß Perrin die erste Stufe betreten hatte. Sie erhob sich graziös, um ihm entgegenzugehen. Aram setzte sich wieder, als Perrin keine Anstalten machte, zur Tür zu gehen.

»Dein Hemd ist naß«, sagte Faile anklagend. »Du hast darin geschlafen, oder? Und in den Stiefeln. Das sollte mich nicht wundern. Es ist noch keine Stunde her, daß ich dich verließ. Du gehst jetzt sofort wieder hinauf, bevor du vor Erschöpfung umfällst!« »Hast du Luc wegreiten sehen?« fragte er. Ihr Mund verzog sich, aber manchmal blieb ihm nichts anderes übrig, als ihre Regungen zu ignorieren. Wenn er mit ihr stritt, hatte sie zu oft das letzte Wort. »Er ist vor ein paar Minuten hier vorbei und durch die Küche hinausgelaufen«, sagte sie schließlich. Ihr Tonfall allerdings sagte deutlich aus, daß sie mit ihm und dem Schlafbedürfnis noch nicht fertig sei.

»Schien er... verletzt zu sein?« »Ja«, sagte sie bedächtig. »Er taumelte und hielt sich etwas an die Brust unter seinem Wams. Vielleicht eine Bandage. Frau Congar ist in der Küche. Den Geräuschen nach hat er sie beinahe überrannt. Woher weißt du das?« »Ich habe es geträumt.« In ihren schrägstehenden Augen glitzerte es gefährlich. Sie hatte wohl nicht nachgedacht. Sie wußte doch von dem Wolfstraum. Erwartete sie von ihm, das laut zu erklären, wo Bain und Chiad zuhören konnten, ganz zu schweigen von Aram und Loial? Nun, vielleicht nicht Loial. Er war so mit seinen Notizen beschäftigt, daß er wahrscheinlich nicht einmal bemerkt hätte, wenn man eine Herde Schafe durch den Schankraum getrieben hätte. »Gaul?« »Frau Congar gab ihm etwas, damit er einschlief, und außerdem eine Tinktur für sein Bein. Wenn die Aes Sedai am Morgen erwachen, wird eine von ihnen ihn heilen, falls sie die Verletzung für schwerwiegend genug halten.« »Komm und setz dich, Faile. Ich möchte, daß du etwas für mich tust.« Sie sah ihn mißtrauisch an, ließ sich aber von ihm zu einem Stuhl begleiten. Als sie beide saßen, beugte er sich über den Tisch und bemühte sich, ernst, aber nicht zu eindringlich mit ihr zu sprechen. Auf keinen Fall, als sei es dringend. »Ich möchte, daß du für mich eine Nachricht nach Caemlyn bringst. Auf dem Weg lasse bitte die Leute in Wachhügel wissen, wie die Lage hier ist. Es dürfte wohl das Beste für sie sein, wenn sie über den Taren fliehen, bis alles vorbei ist.« Das hatte so richtig nebensächlich geklungen. Dabei war es nur ein momentaner Einfall gewesen. »Ich möchte, daß du Königin Morgase bittest, uns Soldaten aus der Königlichen Garde herzuschicken. Ich weiß, daß ich dich da um etwas Gefährliches bitte, aber Bain und Chiad bringen dich sicher nach Taren-Fähre, und die Fähre selbst ist auch noch da.« Chiad stand auf und sah ihn besorgt an. Warum war sie denn so besorgt?

»Ihr müßt ihn nicht verlassen«, sagte Faile zu ihr. Nach einem Moment nickte die Aielfrau und kehrte zu ihrem Platz neben Gaul zurück. Chiad und Gaul? Sie waren Todfeinde. Heute nacht ergab auch nichts einen Sinn.

»Es ist ein weiter Weg nach Caemlyn«, sagte Faile leise. Ihr Blick war ganz eindringlich auf ihn gerichtet, aber ihr Gesicht hätte auch aus Holz geschnitzt sein können, soviel Ausdruck zeigte es. »Es dauert Wochen, dorthin zu reiten, und dann noch eine Zeitlang, um zu Morgase vorzudringen und sie zu überzeugen, und dann weitere Wochen, um mit ihren Gardesoldaten hierher zurückzukehren.« »Solange können wir uns leicht halten«, sagte er zu ihr. Seng mich, wenn ich nicht genauso gut lügen kann wie Mat! »Luc hatte recht. Es können nicht mehr als tausend Trollocs da draußen übrig sein. Der Traum?« Sie nickte. Endlich hatte sie verstanden. »Wir können uns hier sehr lange halten, aber in der Zwischenzeit verbrennen sie die Ernte und werden das Licht weiß was anrichten. Wir brauchen die Königliche Garde, um sie endgültig loszuwerden. Logischerweise bist du diejenige, die gehen muß. Du weißt, wie man mit einer Königin umgeht, da du ja schließlich auch die Cousine einer Königin bist und so was. Faile, ich weiß, worum ich dich da bitte, ist gefährlich... « Nicht so gefährlich wie hierzubleiben. »... aber sobald du die Fähre erreichst, gibt es keine Probleme mehr.« Er hörte nicht, wie Loial näher kam, bis der Ogier plötzlich sein Notizbuch vor Faile auf den Tisch legte. »Ich konnte nicht anders, als mitzuhören, Faile. Wenn du nach Caemlyn gehst, nimmst du das dann mit? Damit es in Sicherheit ist, bis ich komme und es hole?« Er rückte das Büchlein mit einer beinahe zärtlichen Geste zurecht und fügte hinzu: »In Caemlyn werden viele schöne Bücher gedruckt. Entschuldige bitte die Unterbrechung, Perrin.« Doch seine teetassengroßen Augen waren auf sie gerichtet und nicht auf ihn. »Der Name Faile paßt zu dir. Du solltest frei fliegen wie ein Falke.« Er klopfte Perrin auf die Schulter und murmelte in einem tiefen Brummton: »Sie sollte frei wie ein Vogel sein.« Damit ging er zurück zu seinem Lager und legte sich mit dem Gesicht zur Wand hin.

»Er ist sehr müde«, sagte Perrin und bemühte sich, es wie einen nebensächlichen Kommentar klingen zu lassen. Der närrische Ogier konnte seinen ganzen Plan zu Fall bringen. »Wenn du heute nacht losreitest, kannst du bis Tagesanbruch in Wachhügel sein. Du mußt einen Bogen nach Osten zu reiten, denn dort sind weniger Trollocs. Es ist sehr wichtig für mich... für Emondsfeld, meine ich. Machst du das?« Sie blickte ihn so lange schweigend an, daß er sich fragte, ob sie überhaupt antworten wollte. Ihre Augen schienen feucht zu glänzen. Dann stand sie auf, kam um den Tisch herum und setzte sich auf seinen Schoß. Sie streichelte seinen Bart und stellte fest: »Den sollte man zurechtstutzen. Er gefällt mir, aber er muß ja nicht gerade bis auf deine Brust wachsen.« Er hätte beinahe Augen und Mund aufgerissen. Sie wechselte ja oft das Thema, aber meist nur, wenn sie dabei war, den kürzeren zu ziehen. »Faile, bitte. Ich brauche dich, um den Bericht nach Caemlyn zu bringen.« Ihre Hand packte seinen Bart fester und sie neigte den Kopf, als wiege sie die Argumente im Geist sorgfältig ab. »Ich gehe schon«, sagte sie schließlich, »aber ich will eine Belohnung dafür. Du versuchst immer, mich mit Gewalt dazu zu bringen, daß ich etwas mache. In Saldaea wäre ich ganz bestimmt nicht diejenige, die dich um so etwas bitten müßte. Meine Belohnung ist... eine Hochzeit. Ich will dich heiraten«, schloß sie etwas überstürzt.

»Und ich dich.« Er lächelte. »Wir können uns heute nacht noch vor der Versammlung der Frauen verloben, aber ich fürchte, mit der Hochzeit müssen wir noch ein Jahr warten. Wenn du aus Caemlyn zurück bist... « Sie hätte ihm fast ein Büschel Haare aus dem Bart gerissen.

»Ich will dich noch heute nacht zum Ehemann haben«, sagte sie mit gefährlich sanfter Stimme, »sonst gehe ich nicht!« »Von mir aus gern, aber es geht doch nicht!« protestierte er. »Daise Congar würde mir eins über den Schädel geben, wenn ich alle guten Sitten außer acht ließe. Um der Liebe des Lichts willen, Faile, überbringe den Bericht, und ich heirate dich, sobald sich auch nur eine Möglichkeit auftut.« Und das würde er tatsächlich. Falls dieser Tag jemals käme.

Mit einemmal beschäftigte sie sich ganz auffällig mit seinem Bart, strich ihn glatt und mied seinen Blick. Dann begann sie in bedächtigem Ton, sprach aber bald schneller und schneller, bis sich ihre Worte fast überschlugen: »Ich... habe nur zufällig... so im Vorbeigehen... habe ich nur mal Frau al'Vere gegenüber erwähnt, wie wir miteinander herumgezogen sind... ich weiß gar nicht mehr, wie wir auf dieses Thema kamen — und sie sagte — und Frau Congar stimmte ihr zu — nicht, daß ich gleich mit allen darüber gesprochen hätte! — sie sagte, man könne uns vielleicht —ganz eindeutig — man könnte uns bereits als verlobt betrachten, euren Bräuchen nach, und das Verlobungsjahr hält man ja nur ein, um festzustellen, ob man wirklich miteinander auskommt — und das ist ja bei uns der Fall, wie jeder sehen kann — und jetzt bin ich schon so frech wie eine Domanischlampe oder eines dieser leichten Mädchen aus Tear — wehe, wenn du auch nur an Berelain zu denken wagst! — oh, Licht, ich stottere schon fast, und du hast noch nicht einmal um... « Er unterbrach sie, indem er sie packte und so gründlich küßte, wie er nur konnte.

»Willst du mich heiraten?« fragte er atemlos, als er fertig war. »Heute nacht noch?« Er konnte doch offensichtlich besser küssen, als er geglaubt hatte. Er mußte das Ganze sechsmal wiederholen. Sie kicherte jedesmal und verlangte, er solle es noch mal sagen, aber schließlich hatte sie es wohl kapiert.

Und so fand er sich keine halbe Stunde später ihr gegenüber im Schankraum wieder, und vor ihnen standen Daise Congar und Marin al'Vere, Alsbet Luhhan und Neysa Ayellin und die gesamte Versammlung der Frauen. Man hatte Loial geweckt, um zusammen mit Aram für ihn den Trauzeugen zu spielen, während Bain und Chiad für Faile zuständig waren. Es gab keine Blumen, die man in sein oder ihr Haar hätte stecken können, aber Bain legte ihm mit Marins Hilfe ein langes, rotes Hochzeitsband um den Hals und Loial flocht eines in Failes dunkles Haar. Seine dicken Finger taten das überraschend geschickt und sanft. Perrins Hände zitterten, als er ihre damit umschloß.

»Ich, Perrin Aybara, verspreche hiermit, dich, Faile Bashere, zu lieben und zu ehren, solange ich lebe.« Solange ich lebe und danach. »Was auf dieser Welt mein ist, das gebe ich dir.« Ein Pferd, eine Axt und einen Bogen. Ach ja, und einen Hammer. Nicht gerade viel für eine Braut. Aber ich gebe dir mein Leben und meine Liebe. Das ist alles, was ich habe. »Ich werde dich halten, dir beistehen, dich pflegen, beschützen und behüten, mein ganzes Leben lang.« Ich kann dich nicht bei mir behalten; der einzige Weg, dich zu beschützen, ist, dich fortzuschicken. »Ich bin immer und auf ewig dein.« Als er damit fertig war, zitterten seine Hände deutlich sichtbar.

Faile entzog ihm ihre Hände und umschloß nun seine damit. »Ich, Zarine Bashere...« Das war eine Überraschung, denn sie haßte diesen Namen. »... verspreche dir, Perrin Aybara, dich zu lieben... « Ihre Hände zitterten überhaupt nicht.

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