36 Falsche Spuren

Die Aiel brachen die Zelte früh am Morgen ab und entfernten sich von Rhuidean, während die noch nicht einmal richtig aufgegangene Sonne noch die fernen Bergketten scharf umriß. In drei Gruppen marschierten sie in Serpentinen um den Chaendaer herum nach unten und hinaus in die zerklüftete Ebene mit ihren gelegentlichen Hügeln, hohen Steinsäulen und abgeflachten Felskuppen. Grau und Braun und jede Schattierung dazwischen beherrschten das Bild des Landes, und an manchen Stellen war der Fels mit langen Streifen von Rot und Ocker durchsetzt. Von Zeit zu Zeit kamen sie auf ihrem Weg nach Nordwesten an einem mächtigen, von der Natur geschaffenen Torbogen vorbei oder an eigenartigen, riesigen Steinplatten, die auf einer Felsnadel balancierten, immer haarscharf am Rande des Absturzes. In jeder Richtung sah Rand in der Entfernung neue Bergketten aufragen. Alle Bruchstücke, die von der Zerstörung der Welt übriggeblieben waren, schienen hier gesammelt worden zu sein in diesem Land, das man die Aiel-Wüste nannte. Wo der harte Boden nicht aus überall aufgesprungenem gelben oder braunen Lehm bestand, da kam der blanke Fels durch, andauernd von trockenen Rinnen und Senken durchzogen. Die verstreute Vegetation war spärlich und niedrig: Dornbüsche und blattlose Dinge mit langen Stacheln. Die vereinzelt sichtbaren wenigen weißen oder roten oder gelben Blüten überraschten das Auge immer wieder. Gelegentlich bedeckte hartes, zähes Gras eine kleinere Fläche und noch seltener entdeckten sie einen verkrüppelten Baum, der gewöhnlich ebenfalls Dornen oder Stacheln aufwies. Wenn er es mit dem Chaendaer und dem Tal von Rhuidean verglich, wirkte aber diese Vegetation schon beinahe üppig. Die Luft war so klar, das Land so kahl, daß es Rand schien, er könne unendlich weit blicken.

Die Luft war ansonsten genauso trocken und die Hitze genauso erdrückend wie vorher. Die Sonne hing wie ein Klumpen geschmolzenen Goldes hoch an einem wolkenlosen Himmel. Rand hatte sich eine Schufa zum Schutz gegen die Sonne um den Kopf gewickelt und trank gelegentlich aus dem Wasserschlauch an Jeade'ens Sattel. Seltsamerweise half es ihm, daß er sein Wams trug. Er schwitzte wohl nicht weniger, aber unter der roten Wolle blieb sein Hemd feucht und verschaffte ihm so etwas Kühlung. Mat hatte ein großes weißes Taschentuch mit Hilfe eines Stricks auf seinem Kopf festgebunden. Es hing ihm wie eine Narrenkappe über den Nacken herunter. Dazu hob er ständig die Hand, um seine Augen vor dem grellen Sonnenschein zu schützen. Er trug den beschrifteten Speer mit der Schwertklinge wie eine Lanze, den Schaft unten in einen Steigbügel gestützt.

Ihre Gruppe bestand aus ungefähr vierhundert Jindo. Rand und Mat ritten neben Rhuarc und Heim an der Spitze. Die Aiel gingen natürlich zu Fuß. Ihre Zelte und einiges aus der Beute von Tear hatten sie auf Maulesel und Pferde geladen. Eine Anzahl von Töchtern des Speers war bereits vor ihnen als Kundschafter ausgeschwärmt. Einige Steinhunde bildeten die Nachhut. Die Hauptgruppe war eingerahmt von wachsamen Augen, bereitgehaltenen Speeren und Bögen mit aufgelegten Pfeilen. Angeblich galt der Friede von Rhuidean ja solange, bis diejenigen, die zum Chaendaer gegangen waren, in ihre eigene Festung zurückkehrten, aber Rhuarc hatte Rand erklärt, daß durchaus schon Fehler vorgekommen seien, und Entschuldigungen und selbst ein Blutpreis hatten die Toten auch nicht wieder aus ihren Gräbern auferstehen lassen. Rhuarc schien gerade diesmal einen Fehler für besonders wahrscheinlich zu halten, sicher vor allem der Gruppe von Shaido wegen.

Das Gebiet des Shaido-Clans lag weit jenseits von dem der Jindo-Taardad, aber in der gleichen Richtung vom Chaendaer aus gesehen, und so zogen sie parallel zu den Jindo vielleicht eine Viertelmeile entfernt dahin. Nach Rhuarcs Aussage hätte Couladin eigentlich noch einen weiteren Tag lang auf die Rückkehr seines Bruders warten müssen. Daß Rand Muradin gesehen hatte, nachdem dieser seine eigenen Augen ausgerissen hatte, machte keinen Unterschied. Die ihnen zugestandene Wartezeit betrug nun einmal zehn Tage. Früher abzureisen bedeutete, daß man denjenigen, der nach Rhuidean gegangen war, im Stich ließ. Und doch hatte Couladin den Shaido befohlen, das Lager abzubrechen, sobald er gesehen hatte, wie die Jindo ihre Packtiere beluden. Nun marschierten die Shaido mit ihren eigenen Kundschaftern und einer Nachhut einher, schienen die Jindo zu ignorieren, ließen aber doch den Abstand zwischen beiden Gruppen nie größer werden als dreihundert Schritt. Es war normal, daß man Zeugen aus mindestens einem halben Dutzend der größeren Septimen dabei hatte, wenn ein Mann nach Rhuidean ging, um Clanhäuptling zu werden. Couladin hatte auf diese Art etwa doppelt so viele Leute dabei wie die Jindo. Rand vermutete, daß nur die dritte Gruppe, die sich etwa in der Mitte zwischen den Shaido und den Taardad hielt, der Grund war, warum sich der Abstand nicht plötzlich verringerte und zu einer tödlichen Auseinandersetzung führte.

Die Weisen Frauen gingen genau wie die anderen Aiel zu Fuß, und das schloß auch diese eigenartigen weißgekleideten Männer und Frauen ein, die Rhuarc Gai'schain nannte. Sie führten die Packpferde. Sie waren nicht unbedingt Diener, aber Rand hatte Rhuarcs Erklärungen in bezug auf Ehre, Verpflichtung und die Gefangenen nicht ganz verstanden. Heim hatte ihn dann noch mehr verwirrt, als gebe er sich Mühe, zu erklären, warum Wasser naß sei. Moiraine, Egwene und Lan ritten mit den Weisen Frauen, oder zumindest die beiden Frauen befanden sich bei ihnen. Der Behüter ritt auf seinem mächtigen Streitroß ein Stück von den Frauen entfernt auf der den Shaido zugewandten Seite entlang und beobachtete diese genauso aufmerksam wie die zerklüftete Landschaft. Manchmal stiegen Moiraine oder Egwene oder auch beide eine Weile ab und gingen zu Fuß mit, um sich mit den Weisen Frauen zu unterhalten. Rand hätte alles darum gegeben, sie belauschen zu können. Sie blickten oft in seine Richtung, schnelle Blicke, die er offensichtlich nicht bemerken sollte. Aus irgendeinem Grund hatte Egwene ihr Haar zu zwei Zöpfen geflochten und wie eine Braut mit roten Bändern geschmückt. Er konnte sich nicht vorstellen, warum sie das getan hatte. Er hatte vor ihrem Abmarsch vom Chaendaer eine Bemerkung darüber fallen lassen, sie lediglich erwähnt, und sie hätte ihm beinahe den Kopf abgerissen.

»Elayne ist die richtige Frau für Euch.« Er blickte verwirrt auf Aviendha herunter. Wieder stand dieser herausfordernde Blick in ihren blaugrünen Augen, aber er überlagerte nur eine deutliche Abneigung. Sie hatte vor seinem Zelt gewartet, als er an diesem Morgen erwachte, und seither hatte sie sich nicht weiter als drei Schritt von ihm entfernt. Ganz klar, daß die Weisen Frauen sie ihm als Spionin zur Seite gestellt hatten, und ebenso klar, daß er das nicht merken sollte. Sie war hübsch, und von ihm nahmen sie an, daß er, von dieser Tatsache abgesehen, nichts weiter bemerken würde. Das war zweifellos auch der Grund, warum sie jetzt einen Rock trug und bis auf ein kleines Messer am Gürtel keine Waffe mehr bei sich hatte. Die Frauen schienen die Männer hier schon für ziemlich dumm zu halten. Wenn er genauer darüber nachdachte, hatte allerdings keiner der anderen Aiel eine Bemerkung dazu gemacht, daß sie ihre Kleidung gewechselt hatte. Selbst Rhuarc vermied es, sie etwas länger anzusehen. Wahrscheinlich war ihnen klar, warum sie sich hier befand, oder sie hatten eine leise Ahnung von den Plänen der Weisen Frauen und wollten nicht darüber sprechen.

Rhuidean. Er wußte immer noch nicht, warum sie hingegangen war. Rhuarc knurrte etwas von ›Frauensachen‹ und zögerte offensichtlich, in ihrer Gegenwart darüber zu sprechen. Da sie sich ständig an Rands Seite aufhielt, hieß das, Rand konnte von dieser Seite keinerlei Informationen erwarten. Der Clanhäuptling lauschte dafür jetzt ganz gewiß, genau wie Heim und jeder Jindo in Hörweite. Es war bei den Aiel manchmal schwer zu sagen, doch er glaubte, daß sie sich amüsierten. Mat pfiff leise vor sich hin und vermied es ganz offensichtlich, Aviendha und ihn anzusehen. Trotzdem war dies das erste Mal heute, daß sie ihn angesprochen hatte.

»Was meint Ihr damit?« fragte er.

Ihr bauschiger Rock behinderte sie nicht beim Gehen. Sie hielt sich immer neben Jeade'en. Nein, gehen konnte man nicht dazu sagen. Sie belauerte ihn. Wenn sie eine Katze wäre, würde sie mit dem Schweif schlagen. »Elayne ist eine Feuchtländerin, genau wie Ihr.« Sie warf den Kopf arrogant hoch. Der kurze Pferdeschwanz, den die Aielkrieger im Nacken trugen, fehlte nun bei ihr. Der gefaltete Schal um ihre Schläfen verdeckte beinahe ganz ihr Haar. »Genau die richtige Frau für Euch. Ist sie nicht schön? Ihr Rücken ist gerade, ihre Glieder schlank und stark, ihre Lippen wie reife Liebesäpfel. Ihr Haar ist wie gesponnenes Gold und ihre Augen sind blaue Saphire. Ihre Haut ist weicher als die feinste Seide, ihr Busen zart und wohlgerundet. Ihre Hüften sind... « Er unterbrach sie verzweifelt mit geröteten Wangen: »Ich weiß, daß sie hübsch ist. Was wollt Ihr eigentlich?« »Ich beschreibe sie doch nur.« Aviendha runzelte die Stirn. »Habt Ihr sie im Bad gesehen? Ich brauche sie nicht weiter zu beschreiben, wenn Ihr sie... « »Ich habe sie nicht gesehen!« Er verwünschte sich, weil das so halb erstickt herauskam. Rhuarc und die anderen lauschten natürlich, und ihre Mienen waren so nichtssagend, daß sie sich nur amüsieren konnten. Mat rollte mit den Augen und grinste offen und spitzbübisch.

Die Frau zuckte lediglich die Achseln und zupfte ihren Schal zurecht. »Sie hätte dafür sorgen sollen. Aber ich habe sie ja gesehen und werde als ihre Beinahe-Schwester handeln.« Die Betonung schien darauf hinzuweisen, daß seine Beinahe-Schwester das gleiche getan hätte. Die Sitten der Aiel waren schon eigenartig, aber das hier war blanker Wahnsinn. »Ihre Hüften...« »Aufhören!« Sie funkelte ihn kurz von der Seite her an. »Sie ist die richtige Frau für Euch. Elayne hat ihr Herz als Brautstrauß Euch zu Füßen gelegt. Glaubt Ihr, es gebe jemanden im Stein von Tear, der darüber nicht Bescheid weiß?« »Ich will nicht über Elayne sprechen«, sagte er ihr entschlossen. Und ganz bestimmt nicht, wenn sie so weitermachte, wie zu Beginn. Der Gedanke allein ließ ihn wieder rot anlaufen. Der Frau schien es völlig egal zu sein, was sie sagte und wer zuhörte!

»Ihr tut recht daran, zu erröten, wenn Ihr sie beiseite schiebt, obwohl sie Euch ihr Herz offenbart hat.« Aviendhas Stimme klang hart und verächtlich. »Zwei Briefe hat sie Euch geschrieben und alles offenbart, als habe sie sich unter dem Dach Eurer Mutter entkleidet. Ihr lockt sie erst in dunkle Ecken, um sie zu küssen, und dann stoßt Ihr sie zurück. Sie hat jedes Wort in diesen Briefen ernst gemeint, Rand al'Thor! Das hat mir Egwene bestätigt. Jedes Wort war ernst gemeint. Was wollt Ihr mit ihr anfangen, Feuchtländer?« Rand fuhr sich mit der Hand durchs Haar und mußte dann seine Schufa zurechtrücken. Elayne meinte jedes Wort ernst? In beiden Briefen? Das war wohl eindeutig unmöglich. Der eine Brief widersprach dem anderen beinahe Punkt für Punkt. Plötzlich zuckte er zusammen. Egwene hatte ihr das gesagt? Über Elaynes Briefe? Unterhielten sich die Frauen miteinander über solche Themen? Planten sie gemeinsam, wie man einen Mann am besten durcheinanderbringt?

Er ertappte sich dabei, daß er Min vermißte. Min hatte nie einen Narren aus ihm gemacht. Nun ja, nicht mehr als ein- oder zweimal. Und sie hatte ihn nie beleidigt. Sicher, sie hatte ihn ein paar Mal als Schafhirten bezeichnet. Aber er fühlte sich einfach wohl in ihrer Nähe, und auf seltsame Art empfand er Wärme ihr gegenüber. Sie gab ihm nicht das Gefühl, ein kompletter Idiot zu sein, wie es Elayne und Aviendha taten.

Sein Schweigen schien die Aielfrau noch mehr aufzuregen, falls das überhaupt möglich war. Sie knurrte etwas in sich hinein und schritt aus, als wolle sie am liebsten irgend etwas niedertrampeln. Ein halbes Dutzend Mal mindestens zog sie ihren Schal zurecht. Schließlich verflog das Grollen auf ihren Gesichtszügen. Statt dessen begann sie nun, ihn ständig anzustarren. Wie ein Geier. Er verstand nicht, wieso sie nicht stolperte und auf den Hintern fiel.

»Was schaut Ihr mich so an?« wollte er wissen.

»Ich höre zu, Rand al'Thor, da Ihr ja wünscht, daß ich schweige.« Sie lächelte trotz zusammengebissener Zähne. »Gefällt es Euch nicht, wenn ich Euch zuhöre?« Er blickte über sie hinweg zu Mat, und der schüttelte den Kopf. Aus Frauen wurde einfach niemand schlau. Rand bemühte sich, daran zu denken, was vor ihm lag, aber es war schwierig, wenn ihn diese Frau ständig ansah. Hübsche Augen. Wären ihre Blicke nur nicht so ablehnend gewesen. Er wünschte, sie würde einmal woandershin schauen.

Mat schützte seine Augen mit einer Hand gegen die Sonne und sah betont an Rand und der Aielfrau vorbei, die zwischen ihren Pferden einherschritt. Er konnte nicht verstehen, wieso Rand sich das gefallen ließ. Aviendha war schon hübsch, ganz klar, mehr als nur hübsch sogar, jetzt, da sie endlich so etwas wie richtige Kleidung trug, aber sie hatte eine derart spitze Zunge und war so launisch, daß sie sogar Nynaeve in den Schatten stellte. Er war froh, daß sie sich an Rand gehängt hatte und nicht an ihn.

Er zog sich das Tuch vom Kopf und wischte sich damit das Gesicht ab. Dann band er es sich wieder um die Stirn. Die Hitze und dieser ewige Sonnenschein, der ihn blendete, machten ihn allmählich fertig. Gab es in diesem ganzen verdammten Land keinen Schatten? Der Schweiß brannte in seinen Wunden. Er hatte sich vorigen Abend geweigert, seine Wunden von Moiraine heilen zu lassen, als sie ihn weckte, nachdem er endlich Schlaf gefunden hatte. Ein paar Schrammen waren ein kleiner Preis dafür, vermieden zu haben, daß man mit Hilfe der Macht behandelt wurde. Der übelschmeckende Tee der Weisen Frauen hatte immerhin seine Kopfschmerzen besiegt. Was ihn sonst noch plagte, war seiner Meinung nach nichts, womit Moiraine hätte fertigwerden können. Er hatte auch nicht die Absicht, ihr etwas davon zu erzählen, bevor er es selbst verstand. Wenn überhaupt. Er wollte gar nicht daran denken.

Moiraine und die Weisen Frauen beobachteten ihn. Sicher, wahrscheinlich beobachteten sie vor allem Rand, aber das Gefühl war das gleiche. Überraschenderweise war die blonde — Melaine — hinter der Aes Sedai auf Aldieb geklettert und saß nun ungeschickt da, klammerte sich an Moiraine fest und unterhielt sich mit ihr. Er hatte nicht geglaubt, daß eine Aiel jemals reiten würde. Melaine war eine hübsche Frau, mit diesen feurigen grünen Augen. Pech war nur, daß sie die Macht benützen konnte. Ein Mann mußte schon ein kompletter Idiot sein, wenn er sich mit einer solchen Frau einließ. Er setzte sich auf Pips' Sattel etwas bequemer zurecht und erinnerte sich daran, daß es für ihn keine Rolle spiele, was die Aiel machten.

Ich bin in Rhuidean gewesen. Ich habe getan, was diese Schlangenmenschen von mir verlangten. Und was konnte er als Beweis vorzeigen? Diesen verdammten Speer, ein silbernes Medaillon und... Ich könnte jetzt eigentlich wegreiten. Wenn ich noch einen Funken Verstand besitze, haue ich jetzt ab.

Er konnte durchaus gehen. Dann müßte er versuchen, selbst einen Weg aus der Wüste hinaus zu finden, bevor er verdurstete oder an einem Hitzschlag einging. Er könnte, aber Rand zog ihn nach wie vor mit und hielt ihn fest. Am leichtesten konnte er herausfinden, wie fest er an Rand gebunden war, indem er einfach versuchte, ihn zu verlassen. Doch dann sah er sich die kahle Landschaft ein wenig genauer an und verzog das Gesicht. Wind kam auf. Es war ein Gefühl, als wehe er über einen überhitzten Ofen. Kleine Luftwirbel ließen gelben Staub über den aufgesprungenen Boden fegen. Das Hitzeflimmern war so stark, daß sogar die Berge in der Ferne nur verschwommen sichtbar waren. Vielleicht war es das Beste, noch eine Weile bei den anderen zu bleiben.

Eine der Töchter des Speers, die als Kundschafterin unterwegs gewesen war, kam zurückgetrabt und ging neben Rhuarc her, wobei sie leise mit ihm sprach. Sie grinste Mat kurz an, als sie fertig war, und er beschäftigte sich verlegen mit Pips Mähne, aus der er eine besonders unangenehme Klette herauszog. Er erinnerte sich nur zu gut an diese rothaarige junge Frau namens Dorindha. Sie war ungefähr so alt wie Egwene. Dorindha war eine von denen gewesen, die ihn dazu überredet hatten, mit ihnen den ›Kuß der Jungfrau‹ zu spielen. Sie hatte damals das erste Pfand kassiert. Es war ja nicht so, daß er sie meiden wollte. Er konnte sie durchaus anblicken. Aber seinem Pferd die Kletten zu entfernen und so was war doch äußerst wichtig.

»Händler«, verkündete Rhuarc, als Dorindha wieder in die Richtung zurückrannte, aus der sie gekommen war. »Händlerwagen kommen in unsere Richtung gefahren.« Es klang nicht erfreut.

Mats Miene erhellte sich aber doch deutlich. Ein fahrender Händler konnte jetzt genau das Richtige sein. Wenn der Bursche den Weg hierher kannte, kannte er auch den Weg zurück. Er fragte sich, ob Rand erriet, was er dachte. Der Mann machte schon ein genauso nichtssagendes Gesicht wie die Aiel.

Die Aiel marschierten etwas schneller. Couladins Leute taten es ohne zu zögern den Jindo und den Weisen Frauen gleich. Wahrscheinlich hatten ihnen die eigenen Kundschafter die gleichen Neuigkeiten gebracht. Nun mußten auch die Pferde schneller voranschreiten. Die Sonne machte den Aiel nichts aus; nicht einmal den Gai'schain in ihren weißen Gewändern. Sie glitten elegant über den zerklüfteten Boden.

Nach weniger als zwei Meilen kamen die Wagen in Sicht. Es waren eineinhalb Dutzend, die alle in einer Reihe hintereinander fuhren. Bei allen zeigten sich Spuren einer langen, schweren Reise. Überall hatte man Reserveräder festgebunden. Trotz der gelben Staubschicht, die alle überzog, sahen die beiden ersten Wagen aus wie weiß angestrichene Schachteln auf Rädern oder wie kleine Häuser. Sie hatten sogar hinten ein paar Holzstufen, und aus den Dächern ragten Blechschornsteine. Die letzten drei, die von Mauleselgespannen von je zwanzig Tieren gezogen wurden, erschienen ihm lediglich als Riesenfässer. Auch sie waren weiß angestrichen und enthielten bestimmt Wasser. Die anderen Wagen dazwischen hätten auch an den Zwei Flüssen als Händlerwagen herhalten können. Ihre Räder waren hoch und die Speichen dick, und an den Seiten und sogar auf der hohen, runden Plane waren überall klappernde Kochtöpfe und große Netze vollbepackt mit anderen Waren festgezurrt.

Die Fahrer ließen sofort ihre Gespanne anhalten, als sie die Aiel ausmachten. Dann warteten sie auf die sich nähernden Wüstenkrieger. Ein schwergewichtiger Mann in hellgrauem Wams und mit einem dunklen, breitrandigen Hut kletterte hinten aus dem ersten Wagen heraus und beobachtete die Ankömmlinge. Von Zeit zu Zeit nahm er den flachen Hut ab und wischte sich mit einem großen weißen Taschentuch die Stirn ab. Falls er nervös geworden war beim Anblick von vielleicht fünfzehnhundert Aiel, die auf ihn zukamen, konnte ihm Mat keinen Vorwurf machen. Das eigenartigste war jedoch der Gesichtsausdruck der Aiel, die Mat am nächsten waren. Rhuarc, der vor Rands Pferd einhertrabte, blickte finster drein, und mit Heims Miene hätte man Steine zerklopfen können.

»Ich verstehe Euch nicht«, sagte Mat. »Ihr seht aus, als wolltet Ihr jemanden umbringen.« Das würde seiner Hoffnung allerdings ein jähes Ende bereiten. »Ich hatte geglaubt, daß Ihr Aiel drei Arten von Leuten hier hinaus in die Wüste ziehen laßt: Händler, Gaukler und das Fahrende Volk.« »Händler und Gaukler sind uns willkommen«, antwortete Heim kurz angebunden. Falls das ein Willkommen sein sollte, wollte Mat lieber nicht erleben, wenn die Aiel jemanden als unerwünscht betrachteten.

»Wie steht es mit dem Fahrenden Volk?« fragte er neugierig. Als Heim schwieg, fügte er hinzu: »Kesselflicker? Die Tuatha'an?« Die Miene des Septimenhäuptlings wurde noch finsterer, bevor er den Blick wieder den Wagen zuwandte. Aviendha warf Mat einen Blick zu, der ihm sagte, er sei ein Narr.

Rand lenkte Jeade'en nahe an Pips heran. »Ich würde an deiner Stelle vor den Aiel die Kesselflicker nicht erwähnen«, sagte er mit leiser Stimme. »Das ist ein... wunder Punkt bei ihnen.« »Wenn du meinst.« Warum sollten die Kesselflicker bei den Aiel einen wunden Punkt darstellen? »Sieht sowieso schon so aus, als sei dieser Händler für sie auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Fahrende Händler! Ich kann mich an große Kaufleute erinnern, die mit weniger Wagen in Emondsfeld ankamen.« »Er kam eben in die Wüste«, schmunzelte Rand. Jeade'en warf den Kopf auf und tänzelte ein paar Schritte weiter. »Ich frage mich, ob er sie wieder verlassen wird.« Rands schiefes Grinsen war nur eine Grimasse und erreichte nicht einmal seine Augen. Manchmal wünschte sich Mat beinahe, Rand würde sich entscheiden, ob er nun verrückt geworden war oder nicht, und dann wäre wenigstens alles klar. Beinahe.

Dreihundert Schritt von den Wagen entfernt gab Rhuarc das Zeichen zum Stehenbleiben, und dann gingen Heim und er allein weiter. Zumindest war das ihre Absicht gewesen, doch Rand trieb seinen Apfelschimmel hinterher, und natürlich folgte ihm die unvermeidliche Leibgarde von hundert Jindo-Kriegern. Und selbstverständlich auch Aviendha, die sich so nahe bei ihm hielt, als habe man sie an sein Pferd gebunden. Also ritt Mat auch gleich mit. Falls Rhuarc diesen Burschen zurückschicken wollte, würde er die Chance nicht verstreichen lassen, mit ihm aus der Wüste zu gelangen.

Couladin trabte von der Gruppe der Shaido aus hinüber. Allein. Vielleicht wollte er das gleiche tun, was Rhuarc und Heim beabsichtigt hatten. Aber Mat vermutete eher, der Mann wolle nur allen zeigen, daß er sich allein dorthin begab, während Rand hundert Mann zum Schutz benötigte. Zuerst schien ihm, daß auch Moiraine kommen wollte, aber nach einer kurzen Unterhaltung mit den Weisen Frauen blieben alle, wo sie waren. Natürlich beobachteten sie alles. Die Aes Sedai stieg ab, spielte mit etwas Kleinem, das in der Sonne funkelte, und Egwene sowie die Weisen Frauen versammelten sich um sie.

Obwohl er sich das Gesicht oft abwischte, schien der große Bursche im grauen Wams aus der Nähe gar nicht so nervös zu sein. Allerdings fuhr er doch zusammen, als sich plötzlich Töchter des Speers vom Boden erhoben und die Wagen umzingelten. Die Fahrer, Männer mit harten Gesichtern und genug Narben und gebrochenen Nasen, um weit herumgekommen zu sein, sahen aus, als wollten sie am liebsten unter ihre Böcke kriechen. Wenn man sie mit den Aielwölfen verglich, waren sie höchstens streunende Hunde. Der Händler erholte sich jedoch schnell. Er war trotz seiner Größe nicht fett. Sein Gewicht rührte von den Muskelpaketen her. Rand und Mat auf ihren Pferden wurden von ihm mit neugierigen Blicken bedacht, aber er konzentrierte sich sofort auf Rhuarc. Mit der Hakennase und den dunklen, schrägstehenden Augen hatte er etwas Raubvogelhaftes an sich, trotz des breiten Gesichts, und das wurde auch nicht durch sein Lächeln gemildert. Er verbeugte sich und schwenkte dabei seinen Hut. »Ich heiße Hadnan Kadere«, sagte er, »und bin ein fahrender Händler. Ich will zur Kaltfelsenfestung, gute Herren, aber ich verkaufe gern alles an jedermann. Ich habe viele schöne... « Rhuarc schnitt ihm wie mit einem eiskalten Messer das Wort ab: »Ihr fahrt in ganz anderer Richtung als zur Kaltfelsenfestung. Euer Kurs führt zu überhaupt keiner Festung hin. Wie kommt Ihr hierher, so weit von der Drachenmauer entfernt, ohne einen Führer bei Euch zu haben?« »Ich kenne mich wirklich nicht besonders gut aus, guter Herr.« Kadere verlor sein Lächeln nicht, nur um seine Mundwinkel herum spannte sich die Haut ein wenig. »Ich bin ganz offen durchs Land gefahren. Das ist meine erste Reise in den südlichen Teil des Dreifachen Landes. Ich dachte, daß es hier gar keine Führer gebe.« Couladin schnaubte vernehmlich und spielte träge mit einem seiner Speere. Kadere zog die Schultern ein, als spüre er bereits, wie sich die Spitze in seinen kräftigen Körper bohrte.

»Es gibt überall Führer«, sagte Rhuarc kalt. »Ihr habt Glück gehabt, daß ihr ohne einen so weit gekommen seid.

Glück, daß Ihr nicht tot seid oder nackt zur Drachenmauer zurücklaufen müßt.« Kadere lächelte kurz und unsicher, und dann fuhr der Clanhäuptling fort: »Euer Glück, daß Ihr auf uns getroffen seid. Wärt Ihr auf diesem Weg noch ein oder zwei Tage weitergezogen, dann wärt Ihr nach Rhuidean gekommen.« Das Gesicht des Händlers färbte sich grau. »Ich habe gehört... « Er hielt inne und schluckte erst einmal. »Das wußte ich nicht, gute Herren. Ihr müßt mir glauben, daß ich so etwas nicht mit Absicht unternehmen würde. Und auch nicht zufällig«, fügte er schnell noch hinzu. »Das Licht leuchte meinen Worten, gute Herren, denn das wollte ich wirklich nicht!« »Das ist gut«, sagte Rhuarc zu ihm. »Die Strafe wäre bitter hart. Ihr dürft mit mir zur Kaltfelsenfestung fahren. Es wäre nicht gut, wenn Ihr euch noch einmal verirrt. Das Dreifache Land kann ein gefährlicher Ort für diejenigen sein, die es nicht kennen.« Couladins Kopf schoß hoch. »Warum nicht mit mir?« fragte er mit scharfer Stimme. »Es sind mehr Shaido hier, Rhuarc. Die Sitten verlangen, daß er mit mir fährt.« »Seid Ihr zum Clanhäuptling gemacht worden, als ich gerade nicht hinsah?« Der Aiel mit dem Feuerkopf lief rot an, aber Rhuarc zeigte deshalb keine Befriedigung. Er fuhr lediglich mit beherrschter Stimme fort: »Der Händler sucht die Kaltfelsenfestung. Er wird mit mir fahren. Die Shaido bei Euch können während der Fahrt mit ihm Handel treiben. Die Taardad sind nicht so ausgehungert, daß wir einen Händler ganz für uns behalten wollen.« Couladins Gesicht verfärbte sich noch mehr, doch er mäßigte seinen Ton, auch wenn man die Mühe durchhören konnte: »Ich werde in der Nähe der Kaltfelsenfestung lagern lassen, Rhuarc. Er, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt, betrifft alle Aiel und nicht nur die Taardad. Die Shaido werden den ihnen zustehenden Platz einnehmen. Auch die Shaido werden Ihm folgen.« Mat wurde bewußt, daß er damit nicht gesagt hatte, daß dies Rand sei. Der betrachtete derweil die Wagen und schien nicht hingehört zu haben.

Rhuarc schwieg einen Augenblick lang. »Die Shaido werden im Gebiet der Taardad willkommen sein, wenn sie dem folgen, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt.« Und das konnte man auch so oder so auslegen.

Kadere hatte derweil die ganze Zeit über sein Gesicht abgewischt. Er sah sich wahrscheinlich schon im Mittelpunkt einer Schlacht zwischen den Aielclans. Er begrüßte Rhuarcs Einladung mit einem schweren Seufzer der Erleichterung. »Ich danke Euch, gute Herren. Ich danke Euch.« Wahrscheinlich dafür, daß sie ihn nicht auf der Stelle getötet hatten. »Vielleicht würdet Ihr gern sehen, was meine Wagen Euch alles bieten können? Gibt es etwas Besonderes, an dem Ihr Interesse habt?« »Später«, sagte Rhuarc. »Wir werden die Nacht beim Imre-Außenposten verbringen, und dann könnt Ihr uns Eure Waren vorführen.« Couladin schritt bereits davon, nachdem er die Bezeichnung Imre-Außenposten vernommen hatte, was das auch sein mochte. Kadere setzte seinen Hut wieder auf.

»Ein Hut«, sagte Mat und lenkte Pips näher zu dem Händler hin. Wenn er noch ein wenig länger in der Wüste bleiben mußte, konnte er damit wenigstens den grellen Sonnenschein von seinen Augen fernhalten. »Ich gebe Euch eine Goldmark für einen Hut wie Euren.« »Gemacht!« rief die rauchigmelodiöse Stimme einer Frau.

Mat sah sich um und fuhr zusammen. Die einzige Frau in Sicht außer Aviendha und den Töchtern des Speers schritt vom zweiten Wagen her auf sie zu. Aber sie entsprach ganz und gar nicht ihrer Stimme, die zu den schönsten gehörte, die er jemals vernommen hatte. Rand sah sie mit gerunzelter Stirn an und schüttelte den Kopf. Dazu hatte er allen Grund. Sie war einen Fuß kleiner als Kadere, wog aber bestimmt genauso viel oder mehr. Ihre dunklen Augen verschwanden beinahe hinter Fettpolstern, ließen nicht erkennen, ob sie schräggestellt waren oder nicht, aber ihre Nase war dafür noch um einiges größer als die des Händlers. Ihr hellgrünes Seidenkleid spannte sich eng um ihren fetten Körper. Ein weißer Spitzenschal wurde von kunstvoll geschnitzten Elfenbeinkämmen auf ihrem groben, schwarzen Haar festgehalten. Und doch bewegte sie sich mit einer scheinbar unvereinbaren Leichtigkeit und Grazie, fast wie eine Tochter des Speers.

»Ein gutes Angebot«, sagte sie mit dieser melodiösen Stimme. »Ich bin Keille Shaogi und eine fahrende Händlerin.« Sie schnappte sich Kaderes Hut und hielt ihn Mat hin. »Fest, guter Herr, und fast neu obendrein. Ihr werdet so etwas brauchen, um im Dreifachen Land zu überleben. Hier kann ein Mann im Handumdrehen... « Fette Finger schnalzten wie ein Peitschenhieb. »... sterben.« Ihr plötzliches Lachen klang genauso rauchig und angenehm wie ihre Sprechstimme. »Oder eine Frau. Eine Goldmark, habt Ihr gesagt.« Als er zögerte, glitzerten ihre halbverborgenen Augen rabenschwarz. »Ich biete nur selten einem Mann denselben Sonderpreis zweimal an.« Eine eigenartige Frau, um noch das Mindeste zu sagen. Kadere protestierte nicht weiter. Nur verzog er leicht das Gesicht. Falls Keille seine Partnerin war, gab es keinen Zweifel darüber, wer von beiden das Sagen hatte. Und wenn der Hut Mats Kopf vor dem Überkochen bewahrte, dann war er für ihn auch diesen Preis wert. Sie biß in die tairenische Goldmark, die er ihr reichte, und dann ließ sie den Hut los. Erstaunlicherweise paßte er. Und obwohl es unter dem breiten Rand nicht kühler war, warf er doch wenigstens einen willkommenen Schatten. Das Tuch wanderte zurück in seine Tasche.

»Irgend etwas für die anderen?« Der Blick der fetten Frau wanderte über die Aiel, und sie murmelte »Was für ein hübsches Kind« in Richtung Aviendha, wobei die die Zähne bleckte, was wohl ein Lächeln bedeuten sollte. Zu Rand sagte sie mit süßer Stimme: »Und Ihr, guter Herr?« Es war schon ein gewaltiger Kontrast, diese Stimme aus diesem von Fettpolstern umgebenen Mund zu vernehmen, besonders bei dem jetzt angeschlagenen honigsüßen Tonfall. »Etwas, das Euch vor diesem Land der Verzweiflung schützt?« Rand ließ Jeade'en wenden, damit er die Fahrer besser sehen konnte, und er schüttelte den Kopf. Mit der um den Kopf gewickelten Schufa sah er wirklich wie ein Aiel aus.

»Heute abend, Keille«, sagte Kadere. »Wir eröffnen heute abend an einem Ort, den man den Imre-Außenposten nennt.« »Tatsächlich?« Einen Augenblick lang spähte sie hinüber zu der Kolonne der Shaido und noch länger zu den Weisen Frauen und ihrer Begleitung. Mit einemmal wandte sie sich zum Gehen und sagte nur noch nach hinten gewandt zu dem Händler: »Warum haltet Ihr diese guten Herren noch auf? Bewegt Euch, Kadere. Bewegt Euch.« Rand sah ihr nach und schüttelte wieder den Kopf.

Hinten bei ihrem Wagen befand sich ein Gaukler. Mat zwinkerte erst und glaubte, die Hitze habe ihn nun vollends erwischt, aber der Bursche verschwand nicht. Es war ein dunkelhaariger Mann von mittleren Jahren, der den Flickenumhang trug. Er beobachtete aufmerksam die Menschenansammlung, bis Keille ihn vor sich die Treppen zum Wagen hochschob. Kadere sah ihren weißen Wagen mit noch ausdrucksloserer Miene an, als es die Aiel fertigbrachten. Dann stolzierte auch er davon. Wirklich ein seltsamer Haufen.

»Hast du den Gaukler gesehen?« fragte Mat Rand, der abwesend nickte und die Reihe der Wagen so beäugte, als habe er noch nie welche gesehen. Rhuarc und Heim befanden sich bereits auf dem Rückweg zu den anderen Jindo. Die hundert Leibwächter Rands warteten geduldig und teilten ihre Aufmerksamkeit zwischen ihm und allem, was auch nur einer Maus als Schlupfwinkel hätte dienen können. Die Fahrer setzten sich zurecht, aber Rand rührte sich nicht vom Fleck. »Seltsame Leute, diese Händler, findest du nicht auch, Rand? Aber ich schätze, man muß schon einen Knacks haben, wenn man freiwillig in die Wüste geht. Sieh nur uns mal an.« Das ließ Aviendha das Gesicht verziehen, aber Rand schien nichts gehört zu haben. Mat wollte doch nur, daß er etwas sagte. Irgendwas. Dieses Schweigen raubte ihm den letzten Nerv. »Hättest du gedacht, daß es solch eine Ehre sein muß, einen Händlerzug zu begleiten, daß sich Rhuarc und Couladin darum streiten? Verstehst du etwas von diesem ganzen Ji'e'toh?«

»Ihr seid ein Narr«, knurrte Aviendha. »Es hat nichts mit Ji'e'toh zu tun. Couladin versucht, sich als Clanhäuptling aufzuspielen. Rhuarc kann das nicht zulassen, bis — ohne daß — er nach Rhuidean geht. Die Shaido würden jedem Hund den Knochen stehlen, oder wahrscheinlich sowohl den Knochen wie auch den ganzen Hund, aber selbst sie haben es verdient, einen echten Häuptling an der Spitze zu haben. Und Rand al'Thors wegen müssen wir nun tausend von ihnen in unserem Gebiet lagern lassen.« »Seine Augen«, sagte Rand, ohne den Blick von den Wagen zu wenden. »Ein gefährlicher Mann.« Mat runzelte die Stirn. »Wessen Augen? Couladins?« »Kaderes Augen. All das Schwitzen und dann das Erblassen. Und doch hat sich der Ausdruck seiner Augen nie geändert. Du mußt immer die Augen beobachten. Nicht, was er zu sein scheint.« »Sicher, Rand.« Mat rutschte im Sattel umher. Er hob die Zügel, um weiterzureiten. Vielleicht war das Schweigen doch nicht so schlimm gewesen. »Du mußt die Augen beobachten.« Rand verlagerte seine Aufmerksamkeit auf die nächstgelegenen Felsnadeln und Spitzkuppen und drehte seinen Kopf mal in die eine Richtung und mal in die andere. »Das Risiko liegt im Zeitaufwand«, murmelte er. »Die Zeit stellt uns Fallen. Ich muß die ihren meiden, während ich die eigenen aufstelle.« Oben gab es nichts, was Mat besonders auffiel, bis auf verstreute Dornbüsche und hier und da einen verkrüppelten Baum. Aviendha blickte finsterneugierig hoch und dann Rand an. Sie rückte ihren Schal zurecht. »Fallen?« fragte Mat. Licht, laß ihn doch mal irgend etwas antworten, was nicht verrückt klingt! »Wer stellt uns Fallen?« Einen Augenblick lang sah ihn Rand an, als habe er die Frage nicht verstanden. Die Händlerwagen rumpelten mit einer Eskorte von Töchtern des Speers an den Seiten los und bogen auf den Kurs der Jindo ein, die an ihnen vorbeitrabten. Die Shaido trabten ebenfalls zu beiden Seiten weiter. Weitere Töchter des Speers rannten los, um die Vorhut zu bilden. Nur die Aiel um Rand herum standen noch da. Und die Gruppe um die Weisen Frauen zögerte noch und beobachtete sie. Egwene gestikulierte, so daß Mat glaubte, sie wolle herüberkommen und nachsehen, was mit ihnen los sei.

»Du kannst es nicht sehen oder fühlen«, sagte Rand schließlich. Er beugte sich ein wenig zu Mat vor und flüsterte laut, als gebe er nur vor, ein Geheimnis mitzuteilen: »Wir reiten jetzt mit dem Bösen weiter, Mat. Paß auf dich auf.« Er grinste wieder so schief, während er die Wagen an sich vorüberrumpeln ließ.

»Glaubst du, dieser Kadere sei böse?«

»Ein gefährlicher Mann, Mat — das verraten einem immer die Augen — aber wer weiß? Doch warum sollte ich mir Sorgen machen, wo doch Moiraine und die Weisen Frauen über mich wachen? Und Lanfear dürfen wir auch nicht außer acht lassen. Ist jemals ein Mann von so vielen wachsamen Augen überwacht worden?« Plötzlich richtete sich Rand im Sattel auf. »Es hat angefangen«, sagte er leise. »Wünsche uns, daß ich dein Glück habe, Mat. Es hat angefangen und nun gibt es keinen Weg zurück, wohin auch die Klinge trifft.« Er nickte sich selbst zu und ließ seinen Apfelschimmel hinter Rhuarc hertraben. Aviendha blieb an seiner Seite, und die hundert Jindo folgten ihnen.

Mat war froh darüber, daß es weiterging. Das war sicherlich besser, als hier zurückzubleiben. Die Sonne brannte heiß von einem wolkenlosblauen Himmel. Sie mußten noch ein ganzes Stück weit reiten bis zum Sonnenuntergang. Es hatte angefangen? Was meinte er damit, daß es angefangen habe? Es hatte doch in Rhuidean begonnen, oder besser, in Emondsfeld in der Winternacht vor einem Jahr. ›Mit dem Bösen reiten‹ und ›kein Weg zurück‹? Und dann Lanfear? Rand balancierte jetzt tatsächlich auf des Messers Schneide. Da gab es wohl keinen Zweifel. Es mußte einen Weg aus der Wüste hinaus geben, und sie mußten ihn finden, bevor es zu spät war. Von Zeit zu Zeit betrachtete Mat die Wagen der Händler. Bevor es zu spät war. Falls es nicht schon zu spät war.

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