13 Gerüchte

Das Geschäft der Taverne florierte wie überall im Mauleviertel. Es klang, als rase ein Planwagen voll Gänse und Töpferwaren bergab durch die Nacht. Das Stimmengewirr kämpfte gegen die Darbietungen der Musiker an, die die Sinne der Gäste mit Hilfe von drei verschiedenen Trommeln, zwei Hackbrettern und einem bauchigen Dudelsack, der jaulende Trillertöne von sich gab, zu betäuben versuchten. Die Bedienungen trugen dunkle, knöchellange Kleider mit Halskrausen bis unter das Kinn und kurzen, weißen Schürzen. Sie eilten geschäftig zwischen den vollbesetzten Tischen hin und her und hielten mehrere Steingutkrüge auf einmal in jeder kräftigen Hand hoch über den Kopf erhoben, damit sie sich durch die Menge der Gäste quetschen konnten. Da saßen und standen barfüßige Schauerleute mit Lederwesten, Burschen in engtaillierten Jacken und Männer mit bloßem Oberkörper, deren Hosen von breiten, bunten Schärpen gehalten wurden. So nahe am Hafen sah man auch überall in der Menge verstreut Ausländer in ihrer typischen Kleidung: hohe Halskrausen deuteten auf den Norden hin, lange Revers auf den Westen, und dazu kamen Silberketten auf den Mänteln und Glöckchen an Westen, kniehohe genau wie hüfthohe Schaftstiefel, Halsketten und Ohrringe auch bei Männern, Spitzenbesatz an Jacken und Hemden. Ein Mann mit breiten Schultern und einem dicken Bauch hatte einen in der Mitte geteilten blonden Bart, während ein anderer etwas auf seinen Schnurrbart geschmiert hatte, damit er im Lampenschein glänzte und sich zu beiden Seiten steif auf seine Wangen hochringelte. In drei Ecken des Raums rollten Würfel über die Tischflächen, und Silber wechselte unter Geschrei und Gelächter den Besitzer.

Mat saß allein mit dem Rücken zur Wand, wo er alle Türen im Auge behalten konnte, auch wenn er die meiste Zeit über versonnen in einen noch unberührten Krug mit Rotwein blickte. Er ging nicht zu den Spielern hinüber und er betrachtete nicht einmal die Beine der Bedienungen. Da die Taverne so voll war, kamen öfter einmal Männer her und wollten sich an seinen Tisch setzen, aber nach einem genaueren Blick auf seine Miene zogen sie gewöhnlich wieder ab und suchten sich einen Platz auf irgendeiner anderen Bank.

Er stippte mit einem Finger in seinen Wein und kritzelte damit gelangweilt auf der Tischfläche herum. Diese Narren hatten alle keine Ahnung, was heute abend im Stein passiert war. Er hatte gehört, daß ein paar Tairener von Unruhe im Stein gesprochen hatten, aber die Worte waren schnell gefallen und ebenso schnell unter nervösem Lachen wieder vergessen. Sie wußten nichts und wollten auch nichts wissen. Er wünschte beinahe, ebenfalls nichts wissen zu müssen. Nein, aber es wäre gut, mehr über das zu wissen, was tatsächlich geschehen war. Bilder huschten durch seinen Kopf, durch die Lücken in seinem Gedächtnis, und er wußte nichts Rechtes damit anzufangen.

Der Kampfeslärm irgendwo in einiger Entfernung warf Echos im Korridor, die von den Wandbehängen gedämpft wurden. Er zog mit einer zitternden Hand sein Messer aus der Leiche des Grauen Mannes. Ein Grauer Mann, und er war hinter ihm her gewesen. Er mußte jedenfalls hinter ihm her gewesen sein. Graue Männer liefen nicht einfach in der Gegend herum und brachten wahllos Leute um. Sie hatten Opfer, wie ein Pfeil sein Ziel hat. Er wandte sich um und wollte weglaufen, doch da war ein Myrddraal, der wie eine schwarze Schlange auf Beinen auf ihn zuschritt. Der Blick aus seinem leichenblassen, augenlosen Gesicht jagte ihm einen Schauder über den Rücken. Auf dreißig Schritt Entfernung warf er mit voller Wucht sein Messer dorthin, wo sich die Augen befinden sollten. Er war in der Lage, bei vier von fünf Würfen auf diese Entfernung ein Ziel zu treffen, das nicht größer war als ein Auge.

Das schwarze Schwert des Blassen verschwamm fast in der schnellen Bewegung, mit der er beinahe mühelos das Messer zur Seite schlug. Er kam noch nicht einmal ins Stolpern. »Zeit zu sterben, Hornbläser.« Seine Stimme war wie das trockene Zischen einer Sandviper, eine Vorankündigung des Todes.

Mat zog sich zurück. Nun hatte er in jeder Hand ein Messer, obgleich er sich gar nicht daran erinnerte, sie gezogen zu haben. Nicht, daß Messer sehr viel gegen ein Schwert ausrichten konnten, aber wenn er einfach wegrannte, hatte er ebenso sicher das schwarze Schwert im Rücken wie fünf Sechser vier Dreier schlugen. Er wünschte sich einen guten Bauernspieß herbei. Oder einen Bogen. Er würde gern einmal sehen, wie dieses... Ding... einen Pfeil von einem Langbogen von den Zwei Flüssen abwehrte. Er wünschte, er sei woanders. Hier würde er vermutlich sterben.

Mit einem Mal kam brüllend ein Dutzend Trollocs aus einem Seitengang gerannt und stürzte sich mit hackenden Äxten und Schwertern auf den Blassen. Mat traute seinen Augen kaum. Der Halbmensch kämpfte wie ein schwarz gerüsteter Wirbelwind. Mehr als die Hälfte der Trollocs war tot oder lag im Sterben, bis sich der Blasse als zuckendes Häufchen am Boden wand. Ein Arm krümmte sich und schlug aus wie eine sterbende Schlange, und das drei Schritt entfernt vom Körper. Er hatte das schwarze Schwert nicht losgelassen. Ein Trolloc mit Hammelhörnern blickte zu Mat herüber und hob die Schnauze zum Wittern. Er knurrte Mat an, winselte aber dann und leckte sich einen langen Riß, wo das Schwert des Blassen durch den Armschutz und in den haarigen Unterarm geschnitten hatte. Die anderen schnitten den Verwundeten vollends die Kehlen durch, und einer bellte ein paar harte, kehlige Worte. Ohne Mat weiter zu beachten, wandten sie sich um und trotteten weg. Ihre Hufe und Stiefel klapperten hohl auf dem Steinboden.

Von ihm weg. Mat schauderte. Trollocs als Retter. In was hatte ihn Rand nun wieder verwickelt? Er bemerkte, was er mit der weinbenetzten Fingerspitze auf den Tisch gezeichnet hatte — eine offene Tür — und wischte es ärgerlich weg. Er mußte von hier weg. Es mußte sein. Und im Hinterkopf hatte er wieder dieses drängende Gefühl, er müsse zum Stein zurück. Er schob das Gefühl beiseite, aber es wollte nicht vergehen.

Er fing einen Gesprächsfetzen vom Tisch zu seiner Rechten auf, wo der Bursche mit dem hageren Gesicht und dem hochgezwirbelten Schnurrbart mit schwerem Lugarder Akzent losgelegt hatte. »Dieser Drache bei Euch ist zweifellos ein großer Mann, das leugne ich gar nicht ab, aber er kann Logain nicht das Wasser reichen. Also, Logain hat es geschafft, ganz Ghealdan mit Krieg zu überziehen und noch halb Amadicia und Altara dazu. Er hat ganze Städte, die sich gegen ihn gestellt hatten, von der Erde verschlucken lassen. Gebäude, Leute und eben alles. Und der andere oben in Saldaea? Masim? Na ja, sie sagen, er habe die Sonne stillstehen lassen, bis er das Heer von Lord Bashere besiegt hatte. Das sei eine Tatsache, erzählt man.« Mat schüttelte den Kopf. Der Stein erobert und Callandor in Rands Hand, und dieser Idiot hielt ihn immer noch für einen falschen Drachen. Schon wieder hatte er diese Tür auf den Tisch gekritzelt. Er wischte mit einer Hand darüber, und mit der anderen hob er den Weinkrug, doch auf halbem Weg zu seinem Mund hielt er inne. Über all den Lärm hinweg hatte er eine vertraute Bezeichnung von einem der Tische in der Nähe her aufgeschnappt. So schob er seine Bank knirschend zurück und ging mit dem Krug in der Hand hinüber.

Die Menschen, die um den betreffenden Tisch saßen, stellten diese typische, eigenartige Mischung dar, die man in den Tavernen des Mauleviertels fand. Zwei barfüßige Seeleute mit Ölzeugmänteln über den nackten Oberkörpern, der eine davon mit einer dicken Goldkette um den Hals. Ein früher wohl einmal fetter Mann mit Hängebacken in einem dunklen Mantel aus Cairhien, der auf der Brust rote und goldene und grüne Schrägstreifen aufwies. Das konnte darauf schließen lassen, daß er ein Adliger sei, doch der Ärmel an einer Schulter war zerrissen. Es waren eben eine Menge Flüchtlinge aus Cairhien abgerissen und heruntergekommen nach Tear geschwemmt worden. Eine grauhaarige Frau, ganz in gedämpftes Dunkelblau gekleidet. Sie hatte ein hartes Gesicht und trug an den Händen schwere Goldringe. Und der Sprecher, der Bursche mit dem geteilten Bart, der einen Rubin von Taubeneigröße am Ohrläppchen trug. Die drei Silberkordeln auf der zum Platzen engen Brust seiner Jacke wiesen ihn als kandorischen Handelsmeister aus. In Kandor gab es eine Gilde der Kaufleute.

Das Gespräch verstummte, und alle blickten Mat an, als er an ihrem Tisch stehenblieb. »Ich hörte, daß Ihr die Zwei Flüsse erwähnt habt.« Spaltbart musterte ihn schnell, sah das ungekämmte Haar, den angespannten Gesichtsausdruck und den Weinkrug in seiner Hand, aber auch die glänzenden schwarzen Stiefel, die grüne Jacke mit den Goldstickereien, die bis zur Hüfte offenstand und ein schneeweißes Leinenhemd sehen ließ. Sicher, Jacke und Hemd waren ziemlich verknittert. Aber er gab trotzdem ganz das Bild eines jungen Lords ab, der sich unter dem gewöhnlichen Volk amüsierte. »Ich habe das erwähnt, mein Lord«, sagte er herzlich. »Ich sagte, ich könnte wetten, daß dieses Jahr kein Tabak von dort geliefert wird. Aber ich habe noch zwanzig Faß vom feinsten Zwei-Flüsse-Blatt. Es gibt nichts Besseres. Wird später dieses Jahr einen guten Preis einbringen. Falls der Lord ein Faß für den eigenen Vorrat haben möchte... « Er zupfte an einem Ende seines blonden Bartes und legte einen Finger auf die Nase. »... ich bin sicher, daß ich das ermöglichen könnte... « »Ihr würdet also darauf wetten, ja?« sagte Mat leise und unterbrach damit den Redefluß des anderen. »Warum sollte denn von den Zwei Flüssen kein Tabak kommen?« »Na, wegen der Weißmäntel natürlich, Herr. Wegen der Kinder des Lichts.« »Was haben die Weißmäntel mit den Zwei Flüssen zu tun?« Der Handelsmeister blickte sich hilfesuchend am Tisch um. In diesem ruhigen Tonfall lag etwas Gefährliches. Die Seeleute sahen aus, als wären sie am liebsten gegangen. Der Mann aus Cairhien sah Mat böse an. Er setzte sich kerzengerade auf und strich die abgewetzte Jacke glatt. Dabei schwankte er leicht; der leere Weinkrug vor ihm war offensichtlich nicht sein erster. Die grauhaarige Frau hatte ihren Krug zum Mund gehoben und beobachtete Mat abschätzend über den Rand hinweg mit scharfen Augen.

Der Händler verbeugte sich im Sitzen und sprach in unterwürfigem Ton weiter: »Die Gerüchte besagen, Herr, daß die Weißmäntel die Zwei Flüsse besetzt haben. Sie jagen den Wiedergeborenen Drachen dort, sagt man. Obwohl das natürlich gar nicht sein kann, da sich der Lord Drache ja hier in Tear befindet.« Er sah Mat ins Gesicht, um zu sehen, ob seine Worte irgendeine Wirkung hinterlassen hatten. Mats Gesichtsausdruck änderte sich jedoch nicht.

»Solche Gerüchte müssen nicht unbedingt stimmen, Herr. Vielleicht sind es nur Seifenblasen. Das gleiche Gerücht behauptet auch, die Weißmäntel seien ebenfalls hinter so einem Schattenfreund mit gelben Augen her. Habt Ihr je von einem Mann mit gelben Augen gehört, Herr? Genausowenig wie ich. Alles nur Seifenblasen.« Mat stellte seinen Krug auf den Tisch und beugte sich näher zu dem Mann herunter. »Wen suchen sie noch? Diesem Gerücht zufolge? Den Wiedergeborenen Drachen.

Einen Mann mit gelben Augen. Wen noch?« Schweißtropfen bildeten sich auf der Stirn des Händlers. »Niemanden, Herr. Niemanden, von dem ich gehört hätte. Nur Gerüchte, Herr. Stroh im Wind, nicht mehr. Eine Rauchwolke, die schnell verschwindet. Wollt Ihr mir die Ehre angedeihen lassen, und ein Faß Tabak von den Zwei Flüssen von mir anzunehmen? Eine Geste der Anerkennung... der Ehre... um meine...« Mat warf eine andoranische Goldkrone auf den Tisch. »Trinkt auf mein Wohl, solange das Gold reicht.« Beim Weggehen hörte er, wie sie am Tisch über ihn sprachen. »Ich glaubte, er wolle mir die Kehle durchschneiden. Ihr kennt ja diese jungen Lords, wenn sie einen über den Durst getrunken haben.« Das kam von dem Händler mit dem geteilten Bart. »Ein eigenartiger junger Mann«, sagte die Frau. »Gefährlich. Versucht nicht, jemanden von der Sorte auszutricksen, Paetram.« »Ich glaube nicht, daß er überhaupt ein Lord ist«, sagte ein anderer Mann geringschätzig. Der aus Cairhien, schätzte Mat. Er verzog den Mund. Ein Lord? Er wollte kein Lord sein, auch wenn man es ihm anböte. Weißmäntel bei den Zwei Flüssen. Licht! Licht, hilf uns!

Er zwängte sich zur Tür durch und zog ein Paar hölzerner Klogs aus dem Stapel an der Wand. Er hatte keine Ahnung, ob es diejenigen waren, die er bisher getragen hatte. Sie sahen alle gleich aus. Aber die hier paßten auf seine Stiefel.

Draußen hatte es zu regnen begonnen, ein leichter Nieselregen, der die Dunkelheit noch dunkler erscheinen ließ. Mat schlug seinen Kragen hoch und platschte ungeschickt durch die schlammigen Straßen des Mauleviertels, vorbei an lärmenden Tavernen, hellerleuchteten Schenken und Wohnhäusern mit dunklen Fenstern. Als der Matsch an der Mauer der Inneren Stadt Pflastersteinen Platz machte, schleuderte Mat die Klogs von den Füßen und ließ sie liegen. Er rannte nun richtig los. Die Verteidiger, die den nächstgelegenen Eingang zum Stein bewachten, ließen ihn ohne ein Wort durch. Sie wußten, wer er war. Er rannte den ganzen Weg zu Perrins Zimmer und warf die Tür auf. Den gesplitterten Spalt in der Holzfüllung der Tür bemerkte er gar nicht. Perrins Satteltaschen lagen auf dem Bett, und Perrin packte gerade Hemden und Strümpfe hinein. Nur eine Kerze brannte, aber Perrin schien die schlechte Beleuchtung nichts auszumachen.

»Du hast es also auch gehört«, sagte Mat.

Perrin machte weiter mit seiner Packerei. »Von zu Hause? Ja. Ich bin runtergegangen, um irgendein Gerücht für Faile aufzutreiben. Nach dem heutigen Abend muß ich sie mehr denn je...« Sein Grollen aus tiefster Kehle bewirkte, daß sich Mat die Haare sträubten, denn es klang zu sehr nach einem zornigen Wolf. »Ach, spielt keine Rolle. Ich habe es gehört. Vielleicht hat das die gleiche Wirkung.« Die gleiche? Was meint er damit? fragte sich Mat. »Glaubst du es?« Perrin blickte einen Moment lang auf. In seinen Augen spiegelte sich der Schein der Kerze und sie glänzten in tiefem Goldgelb. »Für mich gibt es da kaum Zweifel. Das kommt doch alles der Wahrheit zu nahe.« Mat trat gequält von einem Fuß auf den anderen. »Weiß Rand Bescheid?« Perrin nickte lediglich und wandte sich wieder dem Packen zu. »Und, was sagt er dazu?« Perrin schwieg einen Moment und betrachtete den zusammengefalteten Umhang, den er in Händen hielt. »Er hat bloß angefangen, etwas in sich hineinzubrabbeln. So etwa: ›Er sagte, daß er es tun werde. Er hat es gleich gesagt. Ich hätte ihm glauben sollen.‹ Es ergab keinen Sinn. Dann packte er mich beim Kragen und sagte, er müsse tun, ›was keiner von ihm erwartet‹. Er wollte, daß ich ihn verstehe, aber mir ist nicht klar, ob er es selber versteht. Es schien ihm gleich zu sein, ob ich gehe oder bleibe. Nein, halt, das stimmt nicht. Ich glaube, er war erleichtert, daß ich gehe.« »Also kurz gesagt, er wird nichts unternehmen«, sagte Mat. »Licht, mit Callandor könnte er tausend Weißmäntel auf einmal vernichten! Du hast ja gesehen, was er mit diesen verfluchten Trollocs angestellt hat. Du gehst hin, ja? Zurück zu den Zwei Flüssen? Allein?« »Es sei denn, du kommst auch mit.« Perrin stopfte den Umhang in eine Satteltasche. »Kommst du mit?« Statt zu antworten, tigerte Mat im Zimmer auf und ab. Sein Gesicht wurde einmal vom flackernden Licht der Kerze beleuchtet, und dann lag es wieder im Schatten. Seine Eltern und Schwestern lebten in Emondsfeld. Die Weißmäntel hatten keinen Grund, ihnen etwas anzutun. Falls er jetzt heimging, würde er wohl nie wieder weggehen, sagte ihm sein Gefühl. Seine Mutter würde ihn verheiraten, bevor er sich noch richtig hingesetzt hatte. Aber wenn er nicht ging und die Weißmäntel ihnen etwas zuleide taten... Bei denen reichte schon ein bloßes Gerücht aus, um loszuschlagen, hatte er gehört. Doch warum sollte es Gerüchte ausgerechnet über sie geben? Selbst die Coplins, obwohl sie ja Lügner und Stänkerer waren, konnten seinen Vater gut leiden. Jeder mochte Abell Cauthon.

»Du mußt nicht«, sagte Perrin leise. »Nichts von dem, was ich gehört habe, hat etwas über dich enthalten. Nur über Rand und mich.« »Seng mich, ich will ja g... « Er brachte es nicht heraus. Daran zu denken war ja leicht, aber es auszusprechen? Seine Kehle zog sich zusammen, als wolle sie die Worte erwürgen. »Fällt es dir leicht, Perrin? Ich meine, nach Hause zu gehen? Fühlst du nicht auch... irgend etwas, was versucht, dich zurückzuhalten? Was dir hundert Gründe nennt, warum du nicht gehen solltest?« »Natürlich — Hunderte, Mat, aber alles hat letzten Endes mit Rand zu tun und damit, daß wir Ta'veren sind. Das möchtest du dir selbst nicht zugeben, oder? Hundert Gründe, um hierzubleiben, aber der eine Grund zu gehen wiegt sie alle auf. Die Weißmäntel befinden sich in den Zwei Flüssen, und sie werden Menschen verletzen auf der Suche nach mir. Wenn ich hingehe, kann ich das beenden.« »Warum sollten die Weißmäntel gerade dich fangen wollen und deshalb sogar Menschen foltern? Licht, wenn sie herumreiten und nach jemandem mit gelben Augen fragen, weiß doch niemand in Emondsfeld, von wem sie überhaupt reden! Und wie könntest du das beenden? Ein Paar Hände mehr hilft da auch nicht. Aaaah! Die Weißmäntel werden sich an den Leuten von den Zwei Flüssen die Zähne ausbeißen.« »Sie kennen meinen Namen«, sagte Perrin leise. Sein Blick wanderte hoch zu der Axt, die an der Wand hing. Er hatte den Gürtel um die Axt und den Haken geschlungen.

Oder sah er doch den Hammer an, der unter der Axt an die Wand gelehnt stand? Mat war sich da nicht sicher. »Sie können meine Familie finden. Und warum? Nun, sie haben ihre Gründe, Mat. Genau, wie ich meine habe. Wer kann schon sagen, welche die besseren sind?« »Seng mich, Perrin. Seng mich! Ich will ja g-g... Siehst du? Ich kann es einfach nicht aussprechen. Als wüßte mein Kopf genau, daß ich es tue, wenn ich es ausgesprochen habe. Ich kann es noch nicht einmal in Gedanken ausdrücken!« »Verschiedene Pfade. Wir sind ja auch schon früher auf verschiedene Pfade gelenkt worden.« »Verschiedene Pfade können mich mal!« knurrte Mat. »Ich habe genug von Rand und den Aes Sedai, die mich auf irgendwelche Pfade schubsen. Ich will zur Abwechslung mal dorthin, wo ich will, und tun, was ich will!« Er wandte sich zur Tür, doch Perrins Stimme ließ ihn innehalten.

»Ich hoffe, dein weiterer Weg wird ein glücklicher sein, Mat. Das Licht möge dir hübsche Mädchen schicken und dumme Kerle, die mit dir würfeln wollen.« »Ach, seng mich, Perrin. Das Licht möge dir auch all das gönnen, was du dir wünscht.« »Ich denke schon, daß ich das schaffe.« Es klang nicht unbedingt glücklich.

»Richtest du meinem Pa aus, daß es mir gutgeht? Und meiner Mutter? Sie hat sich immer Sorgen gemacht. Und schau mal nach meinen Schwestern. Sie haben mich sonst immer bespitzelt und meiner Mutter alles erzählt, aber ich möchte trotzdem nicht, daß ihnen etwas zustößt.« »Das verspreche ich dir, Mat.« Mat schloß die Tür hinter sich und schlenderte ziellos weiter durch die Gänge. Seine Schwestern Eldrin und Bodewhin waren immer bereit gewesen, heimzurennen und zu schreien: »Mama, Mat ist schon wieder in Schwierigkeiten. Mat stellt wieder Sachen an!« Besonders Bode war so. Jetzt mußten sie mittlerweile sechzehn und siebzehn sein. Dachten vielleicht schon ans Heiraten. Vielleicht hatten sie schon irgendeinen dummen Bauernlümmel im Visier, ob der Bursche das wußte oder nicht. War er wirklich schon so lange weg? Manchmal schien es ihm, als könne das gar nicht sein. Es war ein Gefühl, als habe er erst vor ein oder zwei Wochen Emondsfeld verlassen. Aber es gab auch Zeiten, wo es ihm wie Jahre vorkam und er sich nur dunkel an die Heimat erinnern konnte. Er erinnerte sich schon daran, wie Eldrin und Bode gegrinst hatten, wenn er Prügel bezogen hatte, aber ihre Gesichter waren unscharf, verschwommen. Die Gesichter seiner eigenen Schwestern! Diese verdammten Lücken in seinem Gedächtnis waren wie Lücken in seinem Leben.

Er sah, daß Berelain auf ihn zukam, und mußte unwillkürlich grinsen. Trotz ihrer Launenhaftigkeit war sie eine prachtvoll gebaute Frau. Dieses enganliegende weiße Seidenkleid war so dünn wie ein Taschentuch, ganz zu schweigen davon, daß es tief genug saß, um eine beträchtliche Menge schönen, blassen Busens zu enthüllen.

Er verbeugte sich elegant und überhöflich. »Einen schönen guten Abend, Lady Berelain.« Sie wollte schon ohne einen Blick vorbeirauschen, da richtete er sich verärgert auf. »Seid Ihr taub und blind, Frau? Ich bin kein Teppich, über den man einfach wegläuft, und ich habe doch wohl höflich genug gegrüßt. Wenn ich Euch in den Hintern kneife, könnt Ihr mir ruhig eine Ohrfeige versetzen, aber bis dahin erwarte ich Höflichkeit als Antwort auf Höflichkeit!« Die Erste blieb abrupt stehen und sah ihn auf diese Art an, die Frauen so an sich haben. Sie hätte ihm ein Hemd stopfen können oder sein Gewicht abschätzen oder überlegen, wann er das letzte Mal gebadet hatte. Alles konnte in diesem Blick liegen. Dann wandte sie sich ab und murmelte etwas in sich hinein. Alles, was er davon aufschnappen konnte, war: »... zu sehr wie ich.« Er blickte ihr verblüfft nach. Kein Wort zu ihm! Dieses Gesicht, dieser Gang, und dann die Nase so hoch in der Luft, daß man sich schon fragen mußte, ob ihre Füße überhaupt den Boden berührten. Das hatte er nun davon, wenn er mit ihresgleichen sprechen wollte, ob es nun Berelain oder Elayne war. Adlige, für die man ein Stück Dreck war, wenn man nicht ein Schloß besaß und einen Stammbaum bis zurück zu Artur Falkenflügel. Na ja, er kannte eine mollige Küchenhilfe — gerade richtig griffig —, die ihn nicht für ein Stück Dreck hielt. Dara knabberte so gern an seinem Ohr, daß ihm dabei...

Sein Gedankenfluß riß plötzlich ab. Da hatte er nun überlegt, ob Dara wach sei und vielleicht Lust zum Schmusen hatte. Er hatte sogar daran gedacht, mit Berelain zu flirten. Ausgerechnet mit Berelain! Und dann die letzten Worte, die er Perrin mitgegeben hatte: Schau mal nach meinen Schwestern. Als habe er sich längst entschieden und wüßte, was er tun wolle. Aber das hatte er nicht. Er ließ sich nicht so einfach in alles hineinziehen. Vielleicht gab es einen anderen Weg.

Er kramte eine Goldmünze aus seiner Tasche, warf sie hoch, fing sie mit einer Hand und klatschte sie auf den anderen Handrücken. Eine Mark aus Tar Valon, wie er erst jetzt bemerkte. Er blickte genau auf die Flamme von Tar Valon, die wie eine stilisierte Träne aussah. »Seng doch alle Aes Sedai!« verkündete er laut. »Und seng Rand al'Thor, weil er mich in das alles hineingezogen hat!« Ein Diener in schwarzgoldener Livree blieb mitten im Schritt stehen und beäugte ihn besorgt. Auf dem silbernen Tablett des Mannes lag ein ganzer Stapel von Verbänden und Tiegeln mit Salben. Sobald ihm bewußt wurde, daß Mat ihn anblickte, fuhr er zusammen.

Mat warf die Goldmark auf das Tablett des Mannes. »Vom größten Narren der Welt. Gib acht, daß du sie auch gut anlegst — für Frauen und Wein!« »D-danke, Herr«, stammelte der Mann wie betäubt.

Mat ließ ihn dort stehen. Der größte Narr der Welt. Bin ich das vielleicht nicht?

Загрузка...