Trotz der späten Stunde eilten immer noch viele Menschen geschäftig durch die breiten Gänge des Steins; ein stetiges Kommen und Gehen von Männern und Frauen im Schwarz und Gold der Diener oder in der Amtstracht irgendeines Hochlords. Von Zeit zu Zeit ließ sich auch einer der Verteidiger sehen, mit bloßem Kopf und unbewaffnet, ein paar sogar mit geöffnetem Mantel. Die Diener verbeugten sich und die Dienerinnen knicksten vor Perrin und Faile und eilten dann sofort weiter. Die meisten Soldaten zuckten erst einmal zusammen, wenn sie die beiden sahen. Ein paar verbeugten sich steif mit der Hand auf dem Herzen, aber jeder von ihnen beschleunigte dann seine Schritte, als sei er froh, von ihnen wegzukommen.
Nur jede dritte oder vierte Lampe brannte. In den dämmrigen Zonen zwischen ihren hohen Ständern lagen Schatten auf den Wandbehängen und über den wenigen Truhen und Kommoden. Jedenfalls konnte bei dieser Beleuchtung kaum ein gewöhnliches Auge etwas wahrnehmen. Perrins Augen dagegen glühten wie schimmerndes Gold in diesen trüb beleuchteten Gängen. Er schritt schnell von Lampe zu Lampe und hatte den Blick zu Boden gerichtet, wenn er sich nicht gerade im hellen Lampenschein befand. Die meisten Menschen im Stein wußten ja ohnehin von seinen eigenartig gefärbten Augen, hatten es auf die eine oder andere Art erfahren. Keiner erwähnte es natürlich ihm gegenüber. Selbst Faile schien zu glauben, seine Augenfarbe habe mit der Zusammenarbeit mit einer Aes Sedai zu tun, etwas, das man einfach akzeptieren mußte, ohne eine Erklärung zu erwarten. Trotzdem lief es ihm immer kalt über den Rücken, wenn ihm bewußt wurde, daß ein Fremder seine Augen im Dunklen hatte leuchten sehen. Wenn sie auch kein Wort darüber verloren, unterstrich gerade dieses Schweigen seine Außenseiterrolle.
»Ich wünschte, sie würden mich nicht so ansehen«, murmelte er, als ein grauhaariger Verteidiger, der bestimmt mehr als doppelt so alt war wie er, beinahe zu laufen begannen, nachdem er sie erblickt hatte. »Als hätten sie Angst vor mir. So haben sie sich zuvor doch nicht benommen. Warum liegen all diese Leute nicht in ihren Betten?« Eine Frau, die einen Mop und einen Eimer in der Hand trug, knickste hastig und eilte mit gesenktem Kopf weiter.
Faile hatte sich bei ihm untergehakt und blickte zu ihm auf. »Ich würde sagen, daß die Wachen sich in diesem Teil des Steins nur dann aufhalten, wenn sie im Dienst sind. Um diese Nachtzeit ist es doch schön, auf dem Stuhl eines Lords zu sitzen, mit einer Zofe auf dem Schoß, und vorzugeben, sie seien Lord und Lady, während die echten schlafen. Sie haben möglicherweise Angst, daß du sie meldest. Und die Diener erledigen die meisten Arbeiten bei Nacht. Wer will schon, daß sie tagsüber ständig herumwuseln, fegen und Staub wischen und polieren?« Perrin nickte zweifelnd. Von zu Hause her wußte sie sicher über solche Dinge Bescheid. Ein erfolgreicher Kaufmann wie ihr Vater hatte Diener und Wächter für seine Wagenzüge. Wenigstens waren diese Leute nicht aus dem gleichen Grund auf den Beinen wie er. Falls sie erlebt hätten, was ihm widerfahren war, befänden sie sich nicht mehr im Stein und wären vermutlich immer noch auf der Flucht. Aber warum hatte ausgerechnet ihm allein dieser Angriff gegolten? Er freute sich nicht gerade auf die Konfrontation mit Rand, aber es mußte sein. Faile machte größere Schritte, um mit ihm mitzuhalten.
Trotz all der Pracht, all des Golds und der schönen Schnitzereien und Einlegearbeiten war das Innere des Steins genau wie das Äußere für den Krieg geschaffen worden. Schächte waren über jeder Kreuzung von Korridoren in der Decke zu sehen. Noch nie benützte Schießscharten öffneten sich in den Gängen an Stellen, von wo aus sie den gesamten Gang bestreichen konnten. Faile und er kletterten eine enge Wendeltreppe nach der anderen empor, alle in die dicken Wände eingebaut oder auf andere Art durch Mauern geschützt, in denen sich weitere Schießscharten befanden, die auf den Gang darunter wiesen. Natürlich hatte nichts davon die Aiel aufhalten können, den ersten Feind, den die äußere Mauer nicht zurückgehalten hatte.
Als sie eine der Wendeltreppen hinaufhasteten, wobei Perrin gar nicht merkte, daß sie überhaupt rannten, und er noch schneller gemacht hätte, wenn sich nicht Faile an seinen Arm gehängt hätte, roch er eine Wolke alten Schweißes und süßlichen Parfums, aber das nahm er nur schwach im Hinterkopf wahr. Er konzentrierte sich darauf, zurechtzulegen, was er Rand sagen würde. Warum hast du versucht, mich umzubringen? Wirst du etwa schon wahnsinnig? Es gab keine einfache Formulierung für eine solche Frage, und er erwartete auch keine klaren Antworten.
Als sie fast ganz oben im Stein in einen dämmrigen Korridor traten, erblickten sie die Rücken eines Hochlords und zweier seiner Leibwächter. Nur den Verteidigern war es gestattet, innerhalb des Steins gerüstet herumzulaufen, doch die drei trugen Schwerter an den Hüften. Das war natürlich nicht ungewöhnlich, aber daß sie sich hier auf diesem Stockwerk im Schatten halb verborgen aufhielten und aufmerksam das helle Licht am hinteren Ende des Flurs unter Beobachtung hielten, das war nun ganz und gar nicht normal. Die Beleuchtung kam aus dem Vorraum der Gemächer, die man Rand überlassen hatte. Oder die er erwählt hatte. Oder vielleicht hatte ihn Moiraine auch dazu gedrängt.
Perrin und Faile hatten sich keine Mühe gegeben, besonders leise zu sein, als sie die vielen Treppen erklommen, aber die drei Männer beobachteten den Vorraum so intensiv, daß keiner von ihnen die Neuankömmlinge im ersten Moment bemerkte. Dann schüttelte der eine blau gekleidete Leibwächter seinen Kopf, als wolle er seine vom Beobachten starren Halsmuskeln lockern, und als er sie sah, fiel ihm beinahe die Kinnlade herunter. Der Bursche unterdrückte einen Fluch und wirbelte zu Perrin herum. Er brachte seine Schwertklinge vielleicht eine Handbreit aus der Scheide. Der andere war nur einen Herzschlag langsamer. Beide standen angespannt und kampfbereit da, aber ihre Blicke waren unstet und mieden Perrins Augen. Er roch an ihnen den sauren Geruch von Angst. Genauso stank auch der Hochlord, doch er hatte sich besser unter Kontrolle.
Hochlord Torean, dessen Spitzbart von Grau durchsetzt war, bewegte sich träge und entspannt wie auf einem Ball. Er zog ein viel zu süßlich parfümiertes Taschentuch aus dem Ärmel und betupfte eine Knollennase, die aber im Vergleich zu seinen Ohren nicht besonders groß erschien. Ein feiner Seidenmantel mit roten Satinmanschetten ließ sein grobes Gesicht noch mehr abstechen. Er musterte den in Hemdsärmeln dastehenden Perrin und betupfte noch einmal seine Nase, bevor er den Kopf leicht neigte. »Das Licht leuchte Euch«, sagte er höflich. Sein Blick berührte Perrins gelben Augen und zuckte weg, aber sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht. »Es geht Euch gut, hoffe ich?« Vielleicht etwas zu höflich.
Perrin war der Tonfall des Mannes gleich, aber die Art, wie Torean Faile von oben bis unten interessiert musterte, ließ ihn die Fäuste ballen. Er brachte es aber fertig, beherrscht zu sprechen: »Das Licht leuchte Euch, Hochlord Torean. Ich freue mich, daß Ihr mithelft, den Lord Drachen zu beschützen. Einige Männer an Eurer Stelle hätten bestimmt etwas gegen seine Anwesenheit einzuwenden.« Toreans schmale Augenbrauen zuckten. »Die Prophezeiung wurde erfüllt, und Tear hat seinen Platz darin. Vielleicht wird der Wiedergeborene Drache Tear zu noch größerem Ruhm führen. Welcher Mann könnte dagegen etwas einzuwenden haben? Aber es ist schon spät. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.« Er beäugte Faile noch einmal, spitzte die Lippen und schritt ein wenig zu betont forsch den Gang hinunter, weg von den Lichtern des Vorraums. Seine Leibwächter folgten ihm auf den Fersen wie gut dressierte Hunde.
»Es war aber nicht nötig, unhöflich zu sein«, sagte Faile etwas verkrampft, als sich der Hochlord außer Hörweite befand. »Es hat geklungen, als ob deine Stimme aus gefrorenem Eisen geschmiedet sei. Wenn du hier bleiben willst, solltest du lernen, mit den Lords auszukommen.« »Er hat dich angeschaut, als wolle er dich gleich auf den Schoß nehmen. Und nicht gerade auf väterliche Art.« Sie schniefte verächtlich. »Er ist nicht der erste Mann, der mich so anschaut. Wenn er die Frechheit aufgebracht hätte, mehr zu versuchen, hätte ich ihn schon mit einem entsprechenden Blick in die Schranken gewiesen. Ich habe es nicht nötig, dich für mich sprechen zu lassen, Perrin Aybara.« Trotzdem klang es nicht so, als sei sie böse darüber.
Er kratzte sich am Kopf und sah Torean nach. Der Hochlord und seine Leibwächter verschwanden um die nächste Biegung. Er fragte sich zum wiederholten Mal, wie die Lords von Tear so herumlaufen konnten, ohne sich zu Tode zu schwitzen. »Hast du es bemerkt, Faile? Seine Wachhunde haben die Hände nicht von den Schwertern genommen, bis er mindestens zehn Schritt weit von uns weg war.« Sie runzelte die Stirn, blickte dann den Gang hinunter den dreien nach und nickte schließlich bedächtig. »Du hast recht. Ich verstehe das nicht. Sie verbeugen sich nicht so unterwürfig wie bei ihm, aber jeder benimmt sich in deiner und Mats Gegenwart genauso vorsichtig wie bei den Aes Sedai.« »Vielleicht ist die Tatsache, mit dem Wiedergeborenen Drachen befreundet zu sein, nicht mehr der gleiche Schutzfaktor wie vorher.« Sie schlug nicht schon wieder vor, von hier fortzugehen, jedenfalls nicht in Worten, doch ihre Augen sprachen Bände. Er wurde aber mit dieser unausgesprochenen Aufforderung besser fertig als zuvor mit der ausgesprochenen.
Bevor sie das Ende des Flurs erreicht hatten, hastete plötzlich Berelain aus dem hellen Lichtschein des Vorraums heraus und zog ihre dünne, weiße Robe so eng um sich zusammen, als fröre sie. Wäre die Erste von Mayene noch schneller gegangen, hätte man meinen können, sie renne vor etwas davon.
Um Faile zu zeigen, daß er ihrem Wunsch nach mehr Höflichkeit entsprechen wolle, verbeugte er sich mit einem Schwung, den auch Mat nicht hätte übertreffen können. Im Gegensatz dazu war Failes Knicks lediglich ein leichtes Kopfnicken, verbunden mit einem Zucken eines Knies. Er bemerkte es kaum. Als Berelain vorbeirauschte, ohne ihnen einen Blick zuzuwerfen, war der Gestank der Angst, so übel wie der einer offenen, eiternden Wunde, so stark, daß seine Nasenflügel bebten. Dagegen war Toreans Furcht überhaupt nichts. Das hier war absolute Panik, mit dem dünnen Faden der Beherrschung lediglich äußerlich unterdrückt. Er richtete sich langsam auf und sah ihr nach.
»Interessanter Anblick, ja?« sagte Faile leise.
Er war ganz mit Berelain beschäftigt und mit der Frage, was sie so in Panik versetzt haben mochte, daß er ohne nachzudenken sagte: »Sie roch nach... « Weit hinten im Korridor trat plötzlich Torean aus einem Seitengang hervor und packte Berelain am Arm. Er redete heftig auf sie ein. Perrin verstand nur ein paar Bruchstücke seines Redeflusses. Er machte ihr anscheinend Vorwürfe, daß sie in ihrem Stolz zu weit gegangen sei, und irgendwie schien er ihr seinen Schutz anzubieten. Ihre Antwort war kurz, scharf und noch weniger hörbar. Dann riß sie sich grob los und schritt weiter, hochaufgerichtet und offensichtlich wieder beherrscht. Torean wäre ihr beinahe nachgegangen, dann aber erblickte er Perrin. So betupfte sich der Hochlord wieder die Nase mit seinem Taschentuch und verschwand in dem Seitengang.
»Es ist mir gleich, und wenn sie wie das Wesen der Dämmerung röche!« sagte Faile bissig. »Die ist nicht daran interessiert, einen Bären zu jagen, auch wenn sich sein Fell gut an ihrer Wand machen würde. Sie will die Sonne selbst haben.« Er runzelte die Stirn. »Die Sonne? Einen Bären? Wovon sprichst du?« »Geh nur allein weiter. Ich denke, ich werde jetzt doch ins Bett gehen.« »Wenn du willst«, sagte er bedächtig. »Aber ich dachte, du wolltest genau wie ich herausfinden, was eigentlich geschehen ist.« »Ach, jetzt nicht mehr. Ich will nicht so tun, als freue ich mich darauf, den... Rand... zu treffen, nachdem ich es bisher vermeiden konnte. Und jetzt habe ich schon gar keine Lust mehr. Zweifellos werdet ihr beide euch ohne mich prächtig unterhalten. Besonders, wenn auch noch Wein da sein sollte.« »Du redest ziemlichen Unsinn«, knurrte er und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Wenn du ins Bett gehen willst, na fein, aber ich wünschte, du würdest dich auf eine Art ausdrücken, die ich verstehen kann.« Einen langen Augenblick betrachtete sie sein Gesicht, und dann biß sie sich plötzlich auf die Unterlippe, wohl, um ein Lachen zu unterdrücken. »O Perrin, manchmal glaube ich, das Beste an dir ist deine Unschuld.« Ihre Stimme war von unterdrücktem Lachen durchsetzt. »Geh nur weiter zu... deinem Freund und erzähle mir am Morgen davon. Jedenfalls soviel du willst.« Sie zog seinen Kopf herab und küßte ihn flüchtig auf die Lippen, und dann lief sie genauso schnell und leichtfüßig davon.
Er schüttelte den Kopf und blickte ihr hinterher, bis sie die Wendeltreppe hinunterging. Von Torean war nichts zu sehen. Manchmal war es ihm, als spreche sie eine andere Sprache. Er ging weiter auf die Lichter zu.
Der Vorraum war rund und bestimmt fünfzig Schritt breit. Hundert vergoldete Lampen hingen an goldenen Ketten von der hohen Decke. Glänzende Sandsteinsäulen bildeten einen inneren Ring, und der Fußboden schien aus einer einzigen riesigen schwarzen Marmorplatte zu bestehen, die mit goldenen Schlieren durchsetzt war. Es war der Vorraum zu den Gemächern des Königs gewesen in jener Zeit, als Tear noch von Königen regiert wurde, bevor Artur Falkenflügel alle Länder vom Rückgrat der Welt bis zum Aryth-Meer unter seine Herrschaft brachte. Als Falkenflügels Reich zusammenbrach, hatte es in Tear keine Könige mehr gegeben, und tausend Jahre lang waren die einzigen Bewohner dieser Räume Mäuse gewesen, die ihre Spuren im Staub hinterließen. Kein Hochlord hatte je soviel Macht besessen, daß er es wagen konnte, diese Gemächer zu beziehen.
Ein Ring von fünfzig Verteidigern stand steif in der Mitte des Saales. Die Brustpanzer und Helme schimmerten im Lampenschein, und ihre nach außen gerichteten Speere standen alle im genau gleichen Winkel ab. So, wie sie gleichzeitig in alle Richtungen blickten, hatten sie die Aufgabe, alle Eindringlinge vom augenblicklichen Herrn des Steins fernzuhalten. Ihr Kommandant, ein Hauptmann, den man an zwei kurzen, weißen Federn auf dem Helm erkannte, stand fast genauso steif da wie seine Soldaten. Eine Hand auf dem Schwertgriff und die andere auf die Hüfte gestützt, so hatte er sich in Positur geworfen, damit auch dem letzten die Bedeutung seiner Pflichten klar wurde. Aber alle rochen nach Furcht und Unsicherheit, wie Menschen, die unter einer überhängenden Felswand wohnen und sich beinahe selbst davon überzeugt hatten, daß sie niemals herabstürzen werde. Oder jedenfalls nicht heute nacht. Nicht während der nächsten Stunde.
Perrin schritt an ihnen vorbei. Seine Stiefeltritte warfen Echos. Der Offizier wollte schon auf ihn zugehen, zögerte aber dann, als Perrin keineswegs stehenblieb, um sich überprüfen zu lassen. Natürlich wußte er, wer Perrin war, wenn auch nicht mehr als jeder andere in Tear: Ein Reisegefährte der Aes Sedai und Freund des Lord Drachen; kein Mann, mit dem sich ein einfacher Offizier der Verteidiger des Steins anlegen sollte. Sicher hatte er die Aufgabe, über die Ruhe des Lord Drachen zu wachen, aber auch wenn er es nicht einmal insgeheim zugeben würde, war das, was er da in seiner glänzenden Rüstung darstellte, nichts als reines Theater. Die wirklichen Wächter traf Perrin erst, als er zwischen den Säulen hindurchgeschritten war und sich der Tür zu Rands Gemächern näherte. Sie hatten so bewegungslos hinter den Säulen gesessen, daß sie mit dem Stein zu verschmelzen schienen, obwohl sich nun, da sie sich bewegten, ihre Hosen und Mäntel deutlich abhoben. Sie waren in Grau- und Brauntönen gehalten, damit man sie in der Wüste nicht sehen konnte. Sechs Töchter des Speers, Aielfrauen, die sich gegen den Herd und für das Leben eines Kriegers entschieden hatten, glitten auf weichen, kniehoch geschnürten Stiefeln zwischen ihn und die Tür. Es waren hochgewachsene Frauen. Die größte war kaum eine Handbreit kleiner als er, sonnengebräunt, mit kurzgeschnittenem Haar, dessen Farbe irgendwo zwischen blond und rot lag. Zwei von ihnen hielten gekrümmte Hornbögen in der Hand und hatten die Pfeile aufgelegt. Die anderen trugen kleine Lederschilde und jede von ihnen drei oder vier kurze Speere. Die Schäfte waren kurz, aber die Spitzen lang genug, um sich ganz und gar durch den Körper eines Mannes hindurchzubohren und noch ein Stück herauszuragen.
»Ich glaube nicht, daß ich Euch einlassen kann«, sagte eine Frau mit flammenfarbigem Haar. Aber sie lächelte leicht dabei. Die Aiel grinsten nicht so oft wie andere Leute und zeigten auch sonst äußerlich kaum Gefühlsbewegungen. »Ich glaube, heute nacht will er niemanden sehen.« »Ich gehe hinein, Bain.« Er ignorierte die Speere und packte sie an den Oberarmen. In diesem Moment allerdings konnte er die Speere nicht mehr ignorieren, da eine Speerspitze seinen Hals an der Seite berührte. Und dann hatte er auch noch plötzlich den Speer einer etwas blonderen Frau namens Chiad an der anderen Seite, als wollten sich die beiden irgendwo in der Mitte seines Halses treffen. Die anderen Frauen sahen lediglich zu, da sie sicher waren, daß Bain und Chiad mit allem fertig würden, was zu tun sei. Aber er gab sich trotzdem alle Mühe. »Ich habe keine Zeit, mich mit euch herumzustreiten. Allerdings hört ihr ja sowieso nicht auf die Argumente anderer Leute, wie ich sehr gut weiß. Ich gehe jetzt rein.« So sanft er nur konnte, hob er Bain hoch und setzte sie an der Seite ab, so daß sein Weg frei war.
Chiad hätte nur auf ihren Speer hauchen müssen und es wäre Blut geflossen, aber nach einem überraschten Blick aus ihren aufgerissenen dunkelblauen Augen nahm Bain plötzlich ihren Speer von seinem Hals und grinste ihn an. »Möchtet Ihr gern ein Spiel lernen, das man den ›Kuß einer Jungfrau‹ nennt, Perrin? Ich glaube, Ihr könntet das sehr gut. Und zumindest würdet Ihr einiges lernen.« Eine der anderen lachte laut los. Chiads Speerspitze schwenkte beiseite.
Er atmete tief durch und hoffte, es möge ihnen nicht auffallen, daß es sein erster Atemzug war, seit die Speerspitzen ihn berührt hatten. Sie hatten ihre Gesichter nicht verschleiert. Ihre Schufas hatten sie wie dunkle Halstücher umgebunden. Aber er wußte nicht, ob die Aiel das unbedingt tun mußten, bevor sie jemanden töteten. Was er wußte, war lediglich, daß ihr Verschleiern bedeutete, sie seien kampfbereit.
»Ein andermal vielleicht«, sagte er höflich. Sie grinsten nun alle, als habe Bain etwas Lustiges gesagt und als sei sein Unverständnis ein Teil des Grundes ihrer Belustigung. Thom hatte recht. Ein Mann konnte wirklich verrückt werden, wenn er die Frauen verstehen lernen wollte, gleich aus welchem Land oder aus welcher sozialen Schicht sie stammten. Das hatte Thom schon oft behauptet.
Als er nach dem Türknauf in Gestalt eines sich aufbäumenden goldenen Löwen griff, fügte Bain hinzu: »Auf Eure eigene Verantwortung. Er hat bereits hinausgescheucht, was die meisten Männer für viel bessere Gesellschaft halten würden als Euch.« Natürlich, dachte er. Berelain. Sie kam ja hier heraus. Heute nacht dreht sich wohl alles um...
Die Erste von Mayene war aus seinen Gedanken verschwunden, als er einen Blick in den Raum warf. Zerbrochene Spiegel hingen an den Wänden, und Glas- und Porzellanscherben bedeckten den Fußboden. Dazwischen lagen Federn aus dem aufgeschlitzten Bett. Geöffnete Bücher lagen zwischen umgestürzten Stühlen und Bänken. Und Rand saß mit geschlossenen Augen am Fuß seines Bettes, an einen Bettpfosten gelehnt, die schlaffen Hände auf Callandor, das auf seinen Knien lag. Er sah aus, als habe er in Blut gebadet.
»Holt Moiraine!« fuhr Perrin die Aielfrauen an. Lebte Rand überhaupt noch? Wenn ja, dann benötigte er dringend die Heilkunst einer Aes Sedai. »Sagt ihr, sie soll sich beeilen!« Er hörte, wie jemand hinter ihm nach Luft schnappte, und dann schnelle Stiefelschritte.
Rand hob den Kopf. Sein Gesicht war eine blutverschmierte Maske. »Mach die Tür zu.« »Moiraine wird gleich hier sein, Rand. Entspanne dich. Sie wird... « »Mach die Tür zu, Perrin.« Die Aielfrauen sprachen leise miteinander, traten dann aber unwillig zurück. Perrin zog die Tür zu und schnitt damit einen fragenden Ruf des Offiziers mit den Federn am Helm ab.
Glas knirschte unter seinen Sohlen, als er zu Rand hinüberging. Er riß einen Streifen von einem sowieso wüst zerschnittenen Leinenbettuch ab und preßte ihn auf die Wunde an Rands Seite. Rands Hände verkrampften sich einen Moment lang vor Schmerz um das durchsichtige Schwert, doch dann entspannten sie sich. Sofort drang Blut durch den Stoff. Rand war von Kopf bis Fuß mit Schnitten und Rissen übersät, und in vielen davon glitzerten Glasscherben. Perrin zuckte hilflos die Achseln. Er wußte nicht, was er dagegen tun sollte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf Moiraine zu warten.
»Was beim Licht hast du denn machen wollen, Rand? Du siehst aus, als wolltest du dir selber die Haut abziehen. Und du hättest mich auch noch fast umgebracht.« Er glaubte einen Augenblick lang, Rand würde nicht antworten.
»Ich nicht«, sagte er aber doch schließlich im Flüsterton. »Einer der Verlorenen.« Perrin bemühte sich, Muskeln zu entspannen, von denen er sich gar nicht bewußt war, sie verkrampft zu haben. Er hatte nur teilweise Erfolg damit. Wohl hatte er Faile gegenüber die Verlorenen erwähnt, und das durchaus im Ernst, aber im großen und ganzen hatte er sich doch bemüht, nicht daran zu denken, was die Verlorenen unternehmen könnten, wenn sie wüßten, wo Rand sich aufhielt. Wenn einer von ihnen den Wiedergeborenen Drachen zur Strecke brächte, würde er weit über den anderen stehen, sobald einmal der Dunkle König endgültig frei war. Der Dunkle König in Freiheit und die Letzte Schlacht verloren, bevor sie überhaupt ausgetragen werden konnte.
»Bist du sicher?« fragte er genauso leise.
»Es muß so sein, Perrin. Es kann nicht anders sein.« »Wenn einer von ihnen genauso mich angriff wie dich...? Wo steckt Mat, Rand? Wenn er am Leben ist und das erlebte, was ich durchgemacht habe, dann wird er auch dasselbe glauben wie ich. Daß du schuld warst. Er wäre jetzt bestimmt schon hier, um mit dir zu reden.« »Oder auf einem Pferd auf halbem Weg zum Stadttor.« Rand mühte sich, aufrechter dazusitzen. Trocknende Blutschmierer sprangen auf, und über Brust und Schultern zeigten sich neue Rinnsale. »Wenn er tot ist, Perrin, solltest du dich künftig so weit wie möglich von mir fernhalten. Ich glaube, Loial und du, ihr habt recht damit.« Er schwieg und betrachtete Perrin. »Du und Mat, ihr müßt euch doch wünschen, ich sei niemals geboren worden. Oder zumindest, daß ihr mich nie kennengelernt hättet.« Es hatte keinen Zweck, jetzt hinzugehen und nachzusehen; wenn Mat etwas passiert war, dann war es jetzt längst vorüber und ausgestanden. Und er hatte das Gefühl, seine improvisierte Bandage, die er gegen die Wunde an Rands Seite preßte, würde ihn gerade lange genug am Leben halten, bis Moiraine kam. Ohne die... »Dir scheint es ja gleich zu sein, ob er wirklich weg ist. Seng mich, er hat doch schließlich auch Bedeutung. Was wirst du machen, wenn er weg ist? Oder tot, das Licht möge es verhüten?« »Was sie am wenigsten erwarten.« Rands Augen wirkten wie ein vom Morgennebel überzogener Sonnenaufgang —blaugrau, durch das ein fieberhaftes Glühen drang. Seine Stimme klang hart. »So muß ich es auf jeden Fall halten. Was jeder am wenigsten von mir erwartet.« Perrin atmete langsam durch. Rand hatte ein Recht darauf, zu zeigen, daß seine Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren. Das war kein Anzeichen für den herannahenden Wahnsinn. Er mußte endlich aufhören, immer nach solchen Anzeichen zu suchen. Die würden sich schon früh genug zeigen, und jetzt ständig darauf zu warten, brachte ihm höchstens Magenkrämpfe ein. »Was soll das heißen?« fragte er leise.
Rand schloß die Augen. »Ich weiß nur, daß ich sie überraschen muß. Jeden überraschen muß«, murmelte er trotzig.
Die Türe öffnete sich, und ein hochgewachsener Aiel trat ein. Sein dunkelrotes Haar war mit Grau durchsetzt. Hinter ihm hüpften die Federn des tairenischen Offiziers auf und ab, als er sich mit den Töchtern des Speers herumstritt. Er fuchtelte immer noch wild herum, als Bain die Tür wieder zuschob.
Rhuarc blickte sich mit scharfen, blauen Augen im Raum um, als vermute er hinter einem Vorhang oder einem umgestürzten Stuhl versteckte Feinde. Der Clanhäuptling der Taardad Aiel war unbewaffnet bis auf das Messer mit der schweren Klinge am Gürtel, aber seine Autorität und sein ruhiges Selbstvertrauen waren wie zusätzliche Waffen. Und seine Schufa hing um seinen Hals, doch niemand, der auch nur ein wenig über die Aiel Bescheid wußte, hielt einen für weniger gefährlich, weil er das Gesicht nicht verschleiert hatte.
»Dieser tairenische Narr dort draußen hat seinem Kommandanten mitteilen lassen, daß hier drinnen etwas passiert sei«, sagte Rhuarc, »und nun verbreiten sich bereits Gerüchte wie Flechten in einer Höhle. Das geht von der Weißen Burg, die dich angeblich umbringen lassen wollte, bis hin zur Letzten Schlacht, die in diesem Raum ausgetragen wurde.« Perrin öffnete den Mund, doch Rhuarc hob warnend die Hand. »Ich habe zufällig Berelain getroffen. Sie sah aus, als habe man ihr den Tag genannt, an dem sie sterben werde. Sie hat mir die Wahrheit gesagt. Ich hatte meine Zweifel, aber nun sieht es wirklich so aus, daß sie recht hatte.« »Ich habe nach Moiraine geschickt«, sagte Perrin. Rhuarc nickte. Natürlich — die Töchter des Speers hatten ihm alles erzählt, was sie selbst wußten.
Rand lachte auf und zuckte gleichzeitig vor Schmerzen zusammen. »Ich hatte ihr gesagt, sie solle den Mund halten. Es scheint aber, daß der Lord Drache in Mayene nicht herrscht.« Die Heiterkeit in seiner Stimme klang reichlich gezwungen.
»Ich habe Töchter, die älter sind als diese junge Frau«, stellte Rhuarc fest. »Ich glaube nicht, daß sie es weitersagen wird. Ich glaube sogar eher, sie wird nur zu gern alles vergessen, was heute nacht geschehen ist.« »Und ich wüßte gern, was passiert ist«, sagte Moiraine, die leise in den Raum trat. So klein und schlank sie auch war — Rhuarc überragte sie genauso wie der Mann, der ihr folgte: Lan, ihr Behüter —, so dominierte doch die Aes Sedai den ganzen Raum. Sie mußte gelaufen sein, so schnell war sie angekommen, doch nun war sie so ruhig wie ein zugefrorener See. Es mußte schon viel geschehen, um ihr die Ruhe und Gelassenheit zu nehmen. Ihre blaue Seidenrobe hatte einen hohen Spitzenkragen, und in die Ärmel waren Streifen dunkleren Samts eingenäht, aber trotzdem schienen ihr Hitze und Feuchtigkeit nichts auszumachen. Ein kleiner, blauer Edelstein, der auf ihrer Stirn an einer dünnen Goldkette hing, die sie durchs Haar gezogen hatte, glitzerte im Lampenschein und betonte noch die Glätte ihrer Stirn. Da war auch nicht der leichteste Hauch von Schweiß zu entdecken.
Wie immer, wenn sie sich trafen, sprühten die eisigblauen Augen Rhuarcs und Lans beinahe Funken. Lans dunkles Haar wurde von einem geflochtenen Lederband gehalten. An den Schläfen war bereits einiges Grau zu sehen. Sein Gesicht schien aus Fels gehauen, so hart und kantig war es. Sein Schwert hing wie ein zusätzlicher Körperteil an der Hüfte. Perrin konnte nicht sagen, welcher der beiden Männer der tödlichere war, aber er glaubte, daß sie sich gegenseitig nicht nachstanden.
Der Blick des Behüters wanderte zu Rand hinüber. »Ich glaubte, Ihr wärt alt genug, um Euch allein rasieren zu können.« Rhuarc lächelte ein wenig, aber immerhin war es das erste Lächeln, das Perrin in Lans Anwesenheit bei ihm bemerkt hatte. »Er ist noch jung. Er wird es lernen.« Lan erwiderte den Blick des Aielmannes und lächelte dann auf die gleiche Art zurück.
Moiraine warf den beiden Männern einen kurzen, mißbilligenden Blick zu. Sie schien sich keinen Weg durch die Scherben suchen zu müssen, als sie über den Teppich schritt, sondern raffte einfach nur ihren Rock ein wenig hoch. Unter ihren Pantoffeln knirschte keine einzige Scherbe. Sie sah sich dabei im ganzen Raum um. Perrin war sicher, daß ihr keine Einzelheit entging. Einen Augenblick lang musterte sie auch ihn, doch er mied ihren Blick. Sie wußte einfach zu viel von ihm, als daß er sich unter ihrer Betrachtung wohl gefühlt hätte. Doch trotz dieser stillen Musterung kam sie unbeirrbar wie eine lautlose, seidene Lawine auf Rand zu, eiskalt und unerbittlich.
Perrin ließ die Hand an der Bandage fallen und wich ihr aus. Der blutgetränkte Leinenstreifen klebte an Rands Wunde fest. Von Kopf bis Fuß begann das Blut nun zu schwarzen Streifen und Schmierern anzutrocknen. Die Glassplitter in seiner Haut glitzerten im Lampenschein. Moiraine berührte die improvisierte Bandage mit den Fingerspitzen und zog dann die Hand zurück, als habe sie sich entschlossen, lieber doch nicht drunterzublicken. Perrin fragte sich, wie die Aes Sedai Rand ansehen konnte, ohne selbst bei dem Anblick Schmerzen zu empfinden, doch ihr Gesichtsausdruck änderte sich überhaupt nicht. Sie roch leicht nach Rosenölseife.
»Wenigstens seid Ihr am Leben.« Ihr Stimme war melodiös, doch im Augenblick war es eine eiskalte, zornige Melodie. »Was passiert ist, kann warten. Versucht, die Wahre Quelle zu berühren.« »Warum?« fragte Rand mit mißtrauischer Stimme. »Ich kann mich nicht selbst mit Hilfe der Macht heilen, selbst wenn ich wüßte, wie man das macht. Niemand kann das. Soviel weiß ich mittlerweile.« Einen Atemzug lang schien sich Moiraine am Rand eines Wutausbruchs zu befinden, so seltsam das bei ihr auch gewesen wäre, doch einen Atemzug später hatte sie wieder einen Panzer der Gelassenheit um sich gezogen, den kaum etwas erschüttern konnte. »Nur ein kleiner Teil der zum Heilen benötigten Kraft kommt vom Heiler. Die Macht kann das ersetzen, was von dem Kranken oder Verwundeten her kommen sollte. Ohne diese Hilfe werdet Ihr morgen und vielleicht auch noch übermorgen flach liegen. Also zieht jetzt etwas von der Macht an Euch, wenn Ihr könnt, aber tut nichts damit. Laßt sie nur ruhen. Wenn es sein muß, benützt das hier.« Sie mußte sich nicht weit vorbeugen, um Callandor zu berühren.
Rand zog das Schwert unter ihrer Hand weg. »Ich solle sie nur einfach ruhen lassen, sagt Ihr.« Es klang, als wolle er sie auslachen. »Also gut.« Es geschah nichts, was Perrin irgendwie sehen konnte, aber das erwartete er auch nicht. Rand saß da wie der letzte Überlebende einer verlorenen Schlacht und blickte Moiraine an. Sie zuckte mit keiner Wimper. Zweimal rieb sie mit den Fingern unbewußt über ihre Handflächen.
Nach einer Weile seufzte Rand. »Ich kann noch nicht einmal das Nichts heraufbeschwören. Ich kann mich einfach nicht konzentrieren.« Ein kurzes Grinsen ließ das eingetrocknete Blut auf seinem Gesicht springen. »Ich verstehe es selbst nicht.« Ein dünnes, rotes Rinnsal lief neben seinem linken Auge herunter.
»Dann werde ich es so machen wie immer«, sagte Moiraine und nahm Rands Kopf in die Hände, ohne darauf zu achten, daß ihr das Blut über die Finger lief.
Rand keuchte laut und sprang schwerfällig auf. Es war, als werde ihm die ganze Luft auf einmal aus der Lunge gepreßt. Er bäumte sich so auf, daß er seinen Kopf beinahe aus ihrem Griff losgerissen hätte. Einen Arm hatte er mit gespreizten Fingern zur Seite weggestreckt. Die Finger bogen sich derart nach hinten, daß es schien, als würden sie gleich brechen. Die andere Hand verkrampfte sich um den Griff Callandors. Die Muskeln an diesem Arm verknoteten und verkrampften sich sichtlich. Er bebte wie ein Segel im Sturm. Dunkle Schichten getrockneten Blutes sprangen ab, und Glassplitter klimperten auf die Truhe und den Fußboden. Sie waren aus Schnittwunden herausgequollen, die sich nun schlossen und von selbst zu heilen schienen.
Perrin schauderte, als tobe dieser Sturm auch um ihn. Er hatte schon früher zugesehen, wenn jemand geheilt wurde, und sogar in schlimmeren Fällen, aber es ließ ihn niemals kalt, wenn er zusah wie die Macht angewandt wurde, wenn er wußte, was geschah, und er schauderte, obwohl sie ja hier zum Guten verwandt wurde. Die Geschichten über die Aes Sedai, die ihnen früher von den Wächtern und Fahrern der Kaufleute lange Jahre vor seinem Zusammentreffen mit Moiraine erzählt worden waren, saßen immer noch tief. Rhuarc roch beißend nach Nervosität. Nur Lan nahm es wie selbstverständlich hin. Lan und Moiraine selbst natürlich.
Es war vorüber, so schnell wie es begonnen hatte. Moiraine nahm ihre Hände weg, und Rand sackte in sich zusammen. Er hielt sich am Bettpfosten fest, um überhaupt stehen bleiben zu können. Es war schwierig festzustellen, ob er den Bettpfosten oder Callandor fester umklammerte. Als Moiraine versuchte, ihm das Schwert wegzunehmen und es wieder auf seinen verzierten Ständer an der Wand zu legen, nahm er es ihr entschlossen und beinahe grob weg.
Sie verzog einen Moment lang ärgerlich den Mund, aber dann beließ sie es dabei, die Bandage von seiner Wunde herunterzunehmen und damit ein paar der Blutspritzer wegzuwischen. Die alte Wunde war nun wieder eine gerade einigermaßen verheilte Narbe. Die übrigen Verletzungen waren einfach verschwunden. Das angetrocknete Blut auf seinem gesamten Körper hätte auch von jemand anderem stammen können.
Moiraine runzelte die Stirn. »Sie spricht einfach nicht darauf an«, murmelte sie in sich hinein. »Sie heilt einfach nicht vollständig.« »Das ist die Wunde, die mich schließlich umbringen wird, oder?« fragte er sie leise. Dann zitierte er: »›Sein Blut auf den Felshängen des Shayol Ghul wäscht den Schatten weg. Sein Opfer zur Rettung der Menschheit.‹« »Ihr lest zuviel«, sagte sie in scharfem Ton, »und versteht zu wenig.« »Versteht Ihr mehr? Falls ja, sagt es mir.« »Er versucht doch nur, den richtigen Weg zu finden«, sagte Lan plötzlich. »Kein Mann möchte blind einherrennen, wenn er weiß, daß irgendwo vor ihm eine Klippe ist.« Perrin zuckte fast vor Überraschung zusammen. Lan widersprach Moiraine sonst nie oder jedenfalls nicht in Hörweite anderer. Allerdings hatte er viel Zeit mit Rand verbracht, um ihn im Schwertkampf auszubilden.
Moiraines dunkle Augen blitzten, doch dann sagte sie nur: »Er muß jetzt ins Bett. Sorge bitte dafür, daß man ihm Wasser zum Waschen bringt und ein anderes Schlafzimmer vorbereitet. Das hier muß gründlich gereinigt werden, und das Bett braucht eine neue Matratze und ein neues Oberbett.« Lan nickte und steckte einen Augenblick lang den Kopf zur Tür hinaus in den Vorraum. Er sprach leise mit jemandem.
»Ich werde hier schlafen, Moiraine.« Rand ließ den Bettpfosten los und hielt sich aufrecht, wobei er die Spitze Callandors auf den Teppich aufstellte und sich mit beiden Händen auf das Schwert stützte. So konnte man kaum sehen, wie schwach er wirklich war. »Ich lasse mich nicht mehr hin und her jagen. Nicht einmal aus einem Bett.« »Tai'shar Manetheren«, murmelte Lan.
Diesmal blickte sogar Rhuarc überrascht drein, aber falls Moiraine gehört hatte, wie der Behüter Rand ehrte, zeigte sie keine Reaktion. Sie sah Rand an. Ihr Gesichtsausdruck war nichtssagend wie meistens, doch in ihren Augen glühte der Zorn. Rand lächelte leicht und irgendwie fragend, als überlege er, was sie sich wohl als nächstes einfallen lassen werde.
Perrin schob sich langsam auf die Tür zu. Falls Rand und die Aes Sedai streiten wollten, war es besser, den Rückzug anzutreten. Lan schien das nicht zu kümmern. Es war auch schwer zu sagen, was er dachte oder fühlte. Aus seiner Haltung, gerade aufgerichtet und doch vollständig entspannt, ließ sich nichts ablesen. Er konnte sowohl gelangweilt im Halbschlaf herumstehen, wie auch im nächsten Moment kampfbereit das Schwert ziehen — beides erschien gleich wahrscheinlich. Rhuarc stand ähnlich da, aber er beäugte wenigstens ebenfalls sehnsuchtsvoll die Tür.
»Bleibt, wo Ihr seid!« Moiraine wandte den Blick nicht von Rand, und ihr ausgestreckter Finger zeigte irgendwohin in die Mitte zwischen Perrin und Rhuarc, aber Perrin blieb trotzdem wie angewurzelt stehen. Rhuarc zuckte die Achseln und faltete die Arme vor der Brust.
»Stur«, knurrte Moiraine. Diesmal galt es Rand. »Also gut. Wenn Ihr so stehen bleiben wollt, bis Ihr umfallt, könnt Ihr wenigstens die Zeit bis dahin nützen und mir sagen, was hier vorgefallen ist. Ich kann Euch nichts beibringen, aber wenn ich Bescheid weiß, kann ich Euch vielleicht wenigstens sagen, was Ihr falsch gemacht habt. Es ist zwar nur eine geringe Möglichkeit, aber...« Ihr Tonfall wurde schärfer. »Ihr müßt lernen, es zu beherrschen, und das nicht nur dieser Sache wegen. Wenn Ihr nicht lernt, die Macht unter Kontrolle zu halten, wird sie Euch umbringen. Das wißt Ihr. Ich habe es Euch oft genug gesagt. Ihr müßt es aber von allein lernen. Die Kraft dazu findet Ihr in Euch selbst.« »Ich habe nichts angerichtet, außer eben zu überleben«, sagte er trocken. Sie öffnete den Mund, aber er fuhr fort: »Glaubt Ihr, ich würde die Macht anwenden, ohne daß ich selbst es merke? Ich habe das nicht im Schlaf angerichtet. Das ist geschehen, als ich wach war.« Er schwankte und fing sich gerade noch mit Hilfe des stützenden Schwerts.
»Selbst Ihr könntet im Schlaf nichts anderes lenken als bestenfalls das Element Geist«, sagte Moiraine kühl. »Und das hier wurde nicht mit Geist angestellt. Ich war dabei, Euch zu fragen, was wirklich geschah.« Perrin sträubten sich die Haare, als Rand seine Geschichte erzählte. Das mit der Axt war schon schlimm genug gewesen, aber wenigstens war die Axt etwas Solides, Wirkliches. Doch die eigenen Spiegelbilder herauskommen zu sehen und... Unbewußt trat er von einem Fuß auf den anderen, um nicht auf irgendwelchen Glassplittern zu stehen.
Kurz nachdem Rand zu erzählen begonnen hatte, warf er heimlich einen Blick über die Schulter auf die Truhe, so, als wolle er nicht, daß die anderen ihn bemerkten. Einen Moment später rührten sich die über den Deckel der Truhe verstreuten Glassplitter von allein, und sie rutschten hinunter auf den Teppich, als würden sie von einem unsichtbaren Besen weggekehrt. Rand und Moiraine blickten sich an, und dann setzte er sich zum Weitererzählen hin. Perrin war nicht sicher, wer von den beiden den Deckel der Truhe abgeräumt hatte. In Rands Bericht war nicht von Berelain die Rede.
»Es muß einer der Verlorenen gewesen sein«, stellte Rand am Ende fest. »Vielleicht Sammael. Ihr sagtet doch, er befinde sich in Illian. Oder einer von ihnen ist hier in Tear. Könnte Sammael von Illian so schnell herübergekommen sein?« »Nicht einmal, wenn er selbst Callandor in Händen hielte«, antwortete Moiraine. »Es gibt Grenzen der Macht. Sammael ist nur ein Mensch und nicht der Dunkle König.« Nur ein Mensch? Keine sehr gute Beschreibung, dachte sich Perrin. Ein Mann, der die Macht benützen konnte und trotzdem, aus welchen Gründen auch immer, nicht dem Wahnsinn verfallen war, oder zumindest noch nicht, soweit man das beurteilen konnte. Vielleicht war er genauso stark wie Rand, aber wo Rand sich zu lernen bemühte, kannte Sammael bereits jeden Trick und jede Möglichkeit, die Macht einzusetzen. Ein Mann, der dreitausend Jahre im Gefängnis des Dunklen Königs verbracht hatte und der aus freien Stücken einst zum Schatten übergelaufen war. Nein. ›Nur ein Mensch‹ kam einer Beschreibung Sammaels oder eines der anderen Verlorenen, sei es Mann oder Frau, nicht einmal nahe.
»Dann befindet sich einer von ihnen hier. In der Stadt.« Rands Kopf sank auf seine Hände herunter, aber er riß ihn sofort wieder hoch und blickte die anderen im Raum zornig an. »Ich lasse mich nicht noch einmal jagen. Zuerst werde ich der Jagdhund sein. Ich werde ihn — oder sie — finden und... « »Keiner der Verlorenen«, warf Moiraine ein. »Ich glaube das nicht. Das Ganze war zu einfach und doch auch wieder zu vielschichtig.« Rand sagte ruhig: »Keine Rätsel, bitte, Moiraine. Wenn nicht einer der Verlorenen, wer dann? Oder was?« Das Gesicht der Aes Sedai hätte gut ein Amboß sein können, doch sie zögerte und tastete sich nur an eine schlüssige Antwort heran. Man konnte auch nicht sagen, ob sie sich einfach nicht sicher sei in bezug auf die Antwort, oder ob sie lediglich überlegte, wieviel sie enthüllen sollte.
»Da die Siegel am Gefängnis des Dunklen Königs langsam bröckeln«, sagte sie nach einer Weile, »könnte es unvermeidlich sein, daß — etwas von seiner Persönlichkeit entkommt, während er selbst sich noch drinnen befindet. Wie Blasen, die aus etwas Verfaulendem am Grunde eines Teichs aufsteigen. Aber diese Art von Blasen treiben durch das Muster hindurch, bis sie sich an einen Faden anhängen und platzen.« »Licht!« Das entschlüpfte Perrin, bevor er es verhindern konnte. Moiraines Blick wanderte zu ihm herüber. »Ihr meint, was Rand passierte, wird... wird irgendwann jedem passieren?« »Nicht jedem. Jedenfalls noch nicht. Am Anfang, denke ich, wird es nur ein paar Blasen geben, die durch Ritzen entschlüpfen, wo die Macht des Dunklen Königs bereits zugreifen kann. Und wer weiß schon, was später sein wird? Und weil die Ta'veren ja die anderen Fäden im Muster um sich herum neu knüpfen, so werden gerade sie wohl diese Blasen stärker anziehen als alle anderen.« Ihre Blicke sagten, sie wisse, daß Rand nicht der einzige war, dem ein wahr gewordener Alptraum widerfahren war. Ein kurzes Lächeln, schon wieder verschwunden, bevor er es richtig bemerkt hatte, sagte ihm, daß er das vor den anderen geheimhalten könne, wenn er es wünsche. Aber sie wußte Bescheid. »Doch in den kommenden Monaten — oder Jahren, falls wir das Glück haben, soviel Zeit gewinnen zu können — werden eine Menge Leute Dinge erleben, die ihnen graue Haare verschaffen, falls sie alles überleben sollten.« »Mat«, sagte Rand. »Wißt Ihr, ob er... ? Ist er...?« »Das werde ich bald genug wissen«, antwortete Moiraine gelassen. »Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber wir können hoffen.« So ruhig sie auch sprach, roch sie doch für Perrin nach Nervosität, bis Rhuarc sagte: »Es geht ihm gut. Oder es ging ihm gut. Ich habe ihn gesehen, als ich hierher unterwegs war.« »Wo ging er denn hin?« fragte Moiraine in etwas gereiztem Tonfall. »Es sah so aus, als gehe er zu den Quartieren der Diener hinüber«, berichtete der Aielmann. Er wußte, daß die drei ta'veren waren, auch wenn er sonst nicht soviel wußte, wie er selbst glaubte. Doch er kannte Mat gut genug, um hinzuzufügen: »Nicht zu den Ställen, Aes Sedai. In die andere Richtung, zum Fluß hin. Und an den Landungsstegen des Steins liegen gerade keine Schiffe.« Er hatte keine Probleme bei den Worten ›Schiffe‹ und ›Landungsstege‹, so wie sonst die meisten Aiel, obwohl in ihrer Wüste solche Dinge nur die Ausgeburten von Märchen zu sein schienen.
Sie nickte, als habe sie nichts anderes erwartet. Perrin schüttelte den Kopf. Sie war so daran gewöhnt, ihre wirklichen Gedanken anderen zu verheimlichen, daß sie das wohl mittlerweile schon aus purer Gewohnheit tat.
Plötzlich öffnete sich ein Türflügel, und Bain und Chiad schlüpften ausnahmsweise einmal ohne ihre Speere herein. Bain trug eine große weiße Schüssel und einen dicken Krug, aus dem Dampf aufstieg. Chiad hatte sich gefaltete Handtücher unter den Arm geklemmt.
»Warum bringt Ihr diese Sachen?« wollte Moiraine wissen.
Chiad zuckte die Achseln. »Sie wollte nicht hereinkommen.« Rand lachte kurz auf. »Selbst die Diener sind schlau genug, sich von mir fernzuhalten. Stellt es irgendwo hin.« »Eure Zeit hier wird knapp, Rand«, sagte Moiraine. »Die Tairener gewöhnen sich auf gewisse Weise an Euch, und was einem vertraut ist, das fürchtet man nicht mehr so wie das Unbekannte. Wie viele Wochen oder Tage wird es noch dauern, bis jemand Euch einen Pfeil in den Rücken schießt oder Gift in Euer Essen streut? Wie lange noch, bis einer der Verlorenen zuschlägt oder eine weitere Blase aus dem Gefängnis des Dunklen Königs entweicht und in das Muster eindringt?« »Versucht nicht, mich zu hetzen, Moiraine.« Er war blutverkrustet und schmutzig, halb nackt, stützte sich mehr oder weniger auf Callandor, um überhaupt aufrecht sitzen zu können, aber er brachte es fertig, in ruhigem Befehlston zu sprechen. »Ich werde auch bei Euch nicht springen.« »Wählt bald Euren weiteren Weg«, sagte sie. »Und informiert mich diesmal darüber, was Ihr vorhabt. Mein Wissen nützt Euch nichts, wenn Ihr euch weigert, meine Hilfe anzunehmen.« »Eure Hilfe?« fragte Rand müde. »Ich werde Eure Hilfe annehmen. Doch die Entscheidung darüber treffe ich, nicht Ihr.« Er sah Perrin an, als wolle er ihm wortlos etwas mitteilen, etwas, das die anderen nicht hören sollten. Perrin hatte keine Ahnung, was er wollte. Nach einem Augenblick seufzte Rand und ließ den Kopf ein wenig sinken. »Ich will schlafen. Geht nun bitte alle. Bitte. Wir reden morgen weiter.« Wieder traf sein Blick auf Perrin, als richteten seine Worte besonders an ihn.
Moiraine ging durch den Raum hinüber zu Bain und Chiad, und die drei steckten die Köpfe zusammen, um leise miteinander zu sprechen. Perrin hörte nur Gemurmel und fragte sich, ob sie vielleicht die Macht benützte, damit er nicht lauschen konnte. Sie wußte, wie gut er hörte. Dann war er sich dessen sicher, als Bain zurückflüsterte und er immer noch nichts verstand. Aber in bezug auf seinen Geruchssinn hatte die Aes Sedai nichts unternommen. Die Aielfrauen blickten beim Zuhören auf Rand, und sie rochen nach Wachsamkeit. Nicht nach Angst, aber so, als sei Rand ein großes Tier, das bei jedem Fehltritt plötzlich gefährlich werden könnte.
Die Aes Sedai wandte sich wieder Rand zu. »Wir werden uns morgen unterhalten. Ihr könnt nicht wie eine Wachtel dasitzen und auf das Netz des Jägers warten.« Sie ging zur Tür, bevor er antworten konnte. Lan sah Rand an, als wolle er ihm etwas sagen, aber dann folgte er ihr doch schweigend.
»Rand?« fragte Perrin.
»Wir tun, was wir tun müssen.« Rand blickte nicht von dem durchsichtigen Knauf in seinen Händen auf. »Wir tun alle, was wir müssen.« Er roch nach Angst.
Perrin nickte und folgte Rhuarc aus dem Raum. Moiraine und Lan waren nirgends mehr zu sehen. Der tairenische Offizier starrte aus zehn Schritt Entfernung die Tür an und versuchte den Eindruck zu erwecken, diese Entfernung entspräche seinem eigenen Wunsch und habe nichts mit der Anwesenheit der vier Aielfrauen zu tun, die ihn beobachteten. Die anderen beiden Töchter des Speers waren immer noch im Schlafzimmer, wie Perrin bemerkte. Er hörte drinnen Stimmen.
»Geht weg«, sagte Rand müde. »Stellt es einfach hin und geht.« »Falls Ihr aufstehen könnt«, sagte Chiad fröhlich, »werden wir gehen. Steht nur auf.« Man hörte, wie Wasser in eine Schüssel gegossen wurde. »Wir haben schon öfter Verwundete betreut«, sagte Bain in beruhigendem Ton. »Und ich habe immer meine Brüder gewaschen, als sie noch klein waren.« Rhuarc schloß die Tür, und der Rest wurde abgeschnitten. »Ihr behandelt ihn nicht so wie die Tairener«, sagte Perrin ruhig. »Keine Verbeugungen und Kratzfüße. Ich glaube nicht, daß ich bei einem von Euch schon einmal den Ausdruck ›Lord Drache‹ gehört habe.« »Der Wiedergeborene Drache ist eine Prophezeiung der Feuchtländer«, sagte Rhuarc. »In unserer heißt er ›Der Mit Der Morgendämmerung Kommt‹.« »Ich dachte, das sei das gleiche. Warum seid Ihr sonst zum Stein gekommen? Seng mich, Rhuarc, Ihr Aiel seid das Volk des Drachen, so, wie es vorhergesagt wurde. Das habt Ihr doch praktisch schon zugegeben, auch wenn Ihr es nicht offen aussprecht.« Rhuarc überhörte das letztere. »In Euren Prophezeiungen des Drachen wird durch den Fall des Steins und dadurch, daß er Callandor an sich nahm, die Wiedergeburt des Drachen bewiesen. In unserer Weissagung heißt es lediglich, daß der Stein fallen müsse, bevor er, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt, erscheint und uns wieder zu dem verhilft, was einst unser war. Vielleicht sind beide der gleiche Mann, aber ich bezweifle, daß selbst die Weisen Frauen dies mit Bestimmtheit behaupten können. Falls Rand derjenige ist, muß er noch bestimmte Dinge vollbringen, um es zu beweisen.« »Was denn?« wollte Perrin wissen.
»Falls er derjenige ist, weiß er es und wird sie vollbringen. Wenn nicht, geht unsere Suche weiter.« Ein Unterton in der Stimme des Aielmannes störte Perrin. »Und wenn er nicht derjenige ist, nach dem Ihr sucht? Was dann, Rhuarc?« »Schlaft gut und sicher, Perrin.« Rhuarcs weiche Stiefel verursachten kein Geräusch, als er über den schwarzen Marmorboden davonschritt. Der tairenische Offizier blickte immer noch an den Töchtern des Speers vorbei, roch nach Angst und brachte es nicht fertig, den Zorn und den Haß aus seinem Gesicht zu verbannen. Falls die Aiel zu dem Schluß kamen, daß Rand nicht Der Mit Der Morgendämmerung Kommt war...
Perrin betrachtete das Gesicht des Offiziers und überlegte, was geschähe, wenn die Töchter des Speers nicht da wären, wenn sich keine Aiel im Stein aufhielten. Er schauderte. Er mußte sichergehen, daß Faile abreiste. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Sie mußte sich entschließen, ohne ihn abzureisen.