Im Schankraum der Weinquellenschenke war es still bis auf das Schaben von Perrins Feder. Still und leer, bis auf ihn und Aram. Der Sonnenschein dieses späten Vormittags erzeugte helle Lichtflecke auf dem Boden unter den Fenstern. Aus der Küche drangen nicht die üblichen Düfte. Nirgendwo im Dorf hatte man die Feuer angezündet, und selbst die in der Asche noch glühenden Kohlen hatte man gelöscht. Man mußte ja nicht gleich dem Gegner das Geschenk des Feuers anbieten, damit er die Häuser um so leichter abbrennen konnte. Der Kesselflicker — er fragte sich manchmal, ob es noch richtig sei, von Aram als einem solchen zu denken, aber ein Mann hörte nicht so einfach auf, zu sein, was er war, Schwert oder nicht — stand an der Wand neben der Eingangstür und beobachtete Perrin. Was erwartete der Mann? Was wollte er? Perrin stippte die Feder in das kleine Tintenfaß aus Steingut, legte den dritten Papierbogen zur Seite und begann einen vierten.
Ban al'Seen schob sich mit dem Bogen in der Hand durch die Tür herein und rieb sich mit einem Finger unsicher über den Rücken seiner großen Nase. »Die Aiel sind zurück«, sagte er ruhig, doch dabei bewegte er die Füße, als könnten sie nicht stillstehen. »Trollocs kommen von Norden und Süden her. Tausende, Lord Perrin.« »Nennt mich nicht so«, sagte Perrin geistesabwesend, während er finster auf das Blatt hinabschaute. Er konnte einfach nicht gut mit Worten umgehen. Er war nicht in der Lage, Dinge so hübsch und kunstvoll auszudrücken, wie es den Frauen gefiel. Er konnte eben nur niederschreiben, was er fühlte. Wieder stippte er die Feder ins Tintenfaß und fügte ein paar Zeilen hinzu.
Ich werde nicht um Vergebung für das bitten, was ich tat. Ich weiß nicht einmal, ob Du mir überhaupt vergeben könntest, aber ich bitte Dich auch gar nicht darum. Du bist wertvoller als das Leben für mich. Glaube niemals, ich hätte Dich verlassen. Wenn die Sonne ihren Schein über Dich wirft, dann ist es mein Lächeln. Wenn Du den Wind durch die Apfelblüten rauschen hörst, dann flüstere ich Dir zu, daß ich Dich liebe. Meine Liebe gehört auf ewig Dir.
Perrin Einen Augenblick lang las er, was er da geschrieben hatte. Es sagte nicht genug aus, aber es würde reichen müssen. Er hatte genausowenig die richtigen Worte wie die notwendige Zeit. Er löschte sorgfältig die feuchte Tinte mit Sand und faltete die Blätter. Beinahe hätte er ›Faile Bashere‹ auf die Außenseite geschrieben, aber gerade noch rechtzeitig wandelte er es zu ›Faile Aybara‹ ab. Ihm fiel ein, daß er noch nicht einmal wußte, ob auch in Saldaea eine Frau den Familiennamen ihres Mannes annahm. Es gab Gegenden, wo das nicht der Brauch war. Nun, sie hatte ihn an den Zwei Flüssen geheiratet, also würde sie sich mit den örtlichen Bräuchen abfinden müssen.
Er stellte den Brief in die Mitte des Kaminsimses. Vielleicht würde sie ihn eines Tages in Händen halten.
Dann rückte er das breite, rote Hochzeitsband unter seinen Kragen, damit die Enden richtig über seine Revers hingen. Das sollte er sieben Tage lang tragen, um jedem, der ihn sah, mitzuteilen, daß er frisch verheiratet sei. »Ich werde mich bemühen«, sagte er leise zu dem Brief. Faile hatte versucht, ihm ein Hochzeitsband in den Bart einzuflechten. Jetzt wünschte er, er hätte es zugelassen.
»Verzeihung, Lord Perrin«, sagte Ban, der immer noch nervös von einem Fuß auf den anderen trat. »Ich habe Euch nicht verstanden.« Aram kaute auf seiner Unterlippe. Die Augen hatte er voller Angst weit aufgerissen.
»Zeit, an die Arbeit zu gehen«, sagte Perrin. Vielleicht würde sie den Brief erhalten. Irgendwie. Er nahm seinen Bogen vom Tisch und hängte ihn sich über. Axt und Köcher hingen bereits an seinem Gürtel. »Und nennt mich nicht so!« Vor der Schenke hatten sich die ›Kameraden‹ bereits versammelt und waren aufgesessen. Wil al'Seen trug diese närrische Flagge mit dem Wolfskopf. Der lange Stock ruhte auf seinem Steigbügel. Wie lange war es her, daß Wil sich geweigert hatte, das Ding zu tragen? Jetzt beharrten die Überlebenden jener, die sich ihm ganz zu Anfang angeschlossen haben, eifersüchtig auf ihrem Recht. Wil, den Bogen übergehängt und das Schwert an der Hüfte, wirkte so stolz wie ein rechter Idiot.
Als Ban in den Sattel kletterte, hörte Perrin, wie er sagte: »Der Mann ist so kalt wie ein Teich im Winter. Wie Eis. Vielleicht wird es heute nicht so schlimm.« Er achtete kaum auf das Gerede der anderen. Die Frauen hatten sich auf dem Anger versammelt.
Sie bildeten ein engen Kreis um den hohen Mast, an dem die größere Flagge mit dem Wolfskopf im leichten Wind flatterte. Fünf oder sechs standen da hintereinander, Schulter an Schulter mit denen daneben. Sie trugen Stockwaffen, die sie aus Sensen und Mistgabeln gefertigt hatten. Sogar Äxte hatten sie obenan gebunden, und auch große Küchenmesser und Fleischhaken sah er vereinzelt.
Seine Kehle zog sich zusammen, als er auf Traber stieg und auf sie zuritt. Die Kinder standen dichtgedrängt innerhalb des Frauenkreises. Alle Kinder von Emondsfeld.
Er ritt langsam an ihren Reihen vorbei und fühlte, wie ihre Blicke ihm folgten, die der Frauen und die der Kinder. Er witterte Furcht und Sorgen. Den Kindern sah man es an den viel zu blassen Gesichtern an, aber alle rochen danach. Er hielt an, wo Marin al'Vere und Daise Congar und die anderen aus dem Frauenzirkel zusammenstanden. Alsbet Luhhan trug einen der Hämmer ihres Mannes auf der Schulter, und der Weißmantelhelm, den sie in der Nacht ihrer Rettung mitgenommen hatte, saß ihres dicken Zopfes wegen etwas schief auf ihrem Kopf. Neysa Ayellin hielt ein Metzgermesser mit langer Klinge in der Hand und hatte sich zwei weitere hinter den Gürtel gesteckt.
»Wir haben das genau geplant«, sagte Daise und blickte zu ihm auf, als erwarte sie Widerspruch und habe nicht vor, das überhaupt zuzulassen. Sie hielt eine Mistgabel, die an eine Stange gebunden war, fast drei Fuß höher als sie groß war. Sie hatte das Ding senkrecht vor sich hingestellt. »Falls die Trollocs irgendwo durchbrechen, werdet Ihr Männer ziemlich beschäftigt sein, und deshalb bringen wir dann die Kinder hinaus. Die älteren von ihnen wissen, was sie zu tun haben, und sie haben alle schon in den Wäldern Verstecken gespielt. Nur, damit sie in Sicherheit sind, bis sie wieder herauskommen können.« Die älteren von ihnen, Jungen und Mädchen von dreizehn oder vierzehn Jahren, trugen Babies auf den Rücken und hielten kleinere Kinder an der Hand. Mädchen, die bereits älter als diese anderen waren, standen neben den Frauen in ihrem Kreis: Bode Cauthon hatte eine Holzfälleraxt mit beiden Händen gepackt, und ihre Schwester Eldrin hielt eine Saufeder mit breiter Spitze. Ältere Jungen waren draußen bei den Männern oder saßen mit ihren Bögen oben auf den Dächern. Die Kesselflicker standen im Kreis bei den Kindern. Perrin blickte auf Aram hinab, der neben seinem Steigbügel stand. Sie würden nicht kämpfen, aber jeder Erwachsene hatte sich zwei Babies auf den Rücken geschnallt und ein weiteres in den Arm genommen. Raen und Ila, die einander im Arm hielten, sahen ihn nicht an. Damit sie in Sicherheit waren, bis sie wieder herauskommen konnten.
»Es tut mir leid.« Er mußte aufhören und sich räuspern. Er hatte die Dinge nicht so weit kommen lassen wollen. Aber so angestrengt er auch nachdachte, ihm fiel nichts ein, was er hätte anders machen können. Selbst wenn er sich den Trollocs ausgeliefert hätte, hätten sie mit dem Morden und Brennen nicht aufgehört. Am Ende wäre das gleiche herausgekommen. »Es war nicht fair, was ich mit Faile gemacht habe, aber ich mußte einfach. Bitte versteht mich. Ich mußte.« »Sei kein Narr, Perrin«, sagte Alsbet mit energischer Stimme, doch mit einem warmen Lächeln auf den Zügen. »Ich kann es nicht vertragen, wenn du dich so närrisch benimmst. Hast du geglaubt, wir hätten etwas anderes von dir erwartet?« Marin hatte in einer Hand ein Metzgerbeil und mit der anderen faßte sie hoch und tätschelte sein Knie. »Jeder Mann, der es wert ist, daß man ihm das Essen kocht, hätte dasselbe getan.« »Danke schön.« Licht, aber seine Stimme klang heiser. Noch eine Minute, und er würde näseln wie ein Mädchen. Aber aus irgendeinem Grund schaffte er es nicht, den Frosch im Hals loszuwerden. Sie mußten ihn für einen Idioten halten. »Danke schön. Ich hätte Euch nicht hinters Licht führen sollen, aber sie wäre nicht weggeritten, hätte sie einen Verdacht gehegt.« »Oh, Perrin«, lachte Marin. Sie lachte tatsächlich, trotz all dessen, dem sie sich gegenübersahen, trotz der Angst, die er an ihr witterte. Er wünschte, er hätte nur halb soviel Mut wie sie. »Wir wußten, was du vorhattest, noch bevor sie auf dem Pferd saß, und ich bin nicht sicher, ob es ihr nicht auch klar war. Frauen ertappen sich halt immer wieder dabei, Dinge zu tun, die sie nicht tun wollen, nur, um euch Männern einen Gefallen zu tun. Jetzt geh nur und tue, was sein muß. Das hier ist Sache der Frauen«, fügte sie streng hinzu.
Irgendwie brachte er es fertig, zurückzulächeln. »Ja, Chefin«, sagte er und berührte mit der Hand seine Stirn zum Salut. »Entschuldigt. Ich weiß, daß ich meine Nase da nicht hineinstecken darf.« Die Frauen in ihrer unmittelbaren Umgebung lachten leise und amüsiert, als er Traber wenden ließ. Ban und Tell ritten gleich hinter ihm, wie er bemerkte, und der Rest der Kameraden hatte sich hinter Wil und der Flagge angeschlossen. Er bedeutete den beiden, zu ihm aufzuschließen. »Falls es schlecht läuft heute«, sagte er, als sie zu beiden Seiten von ihm ritten, »dann sollen die ›Kameraden‹ hierher zurückreiten und den Frauen helfen.« »Aber... « Er unterbrach Tells Protest. »Ihr macht gefälligst, was ich sage! Falls es schiefläuft, bringt Ihr die Frauen und Kinder weg! Verstanden?« Sie nickten, zögernd wohl, aber sie nickten.
»Wie steht es mit dir?« fragte Ban leise.
Perrin ignorierte ihn. »Aram, Ihr bleibt bei den ›Kameraden‹.« Der Kesselflicker, der zwischen Traber und Tells zottigem Pferd einherschritt, blickte nicht einmal auf. »Ich gehe, wohin Ihr geht.« Er sagte das einfach so, doch sein Tonfall war kompromißlos. Er würde tun, was er wollte, gleich, was Perrin sagte. Perrin fragte sich, ob die echten Lords jemals solche Probleme hatten.
Am westlichen Ende des Angers saßen die Weißmäntel auf ihren Pferden. Die Umhänge mit ihren goldenen Sonnenaufgängen leuchteten hell, Helme und Harnische glänzten, die Lanzenspitzen warfen blendende Lichtreflexe, und so erstreckte sich die Kolonne vier Mann tief bis zwischen die Häuser. Sie mußten die halbe Nacht mit Polieren verbracht haben. Dain Bornhald und Jaret Byar ließen ihre Pferde wenden, um Perrin anzusehen. Bornhald saß hoch aufgerichtet im Sattel, aber er roch nach Apfelschnaps. Byars hageres Gesicht verzog sich unter dem Einfluß eines noch tieferen Zorns als üblich, wenn er Perrin anblickte.
»Ich dachte, Ihr wärt mittlerweile alle an Euren Plätzen«, sagte Perrin.
Bornhald blickte finster auf die Mähne seines Pferdes herab und antwortete nicht. Einen Augenblick später brach es aus Byar heraus: »Wir reiten ab, Schattenfreund.« Von den ›Kameraden‹ her erhob sich ärgerliches Gemurmel, aber der hohläugige Mann ignorierte sie genau wie die Geste Arams, der über seine Schulter hinten nach seinem Schwert griff. »Wir werden uns trotz Eurer Leute nach Wachhügel durchschlagen und uns mit dem Rest unserer Truppe zusammenschließen.« Abreiten. Über vierhundert Soldaten, und sie wollten fort. Weißmäntel, aber eben doch berittene Soldaten, keine Bauern, Soldaten die sich bereit erklärt hatten — Bornhald hatte sich bereit erklärt! — die Männer von den Zwei Flüssen überall dort zu unterstützen, wo die Kämpfe am heftigsten tobten. Wenn Emondsfeld überhaupt eine Chance haben sollte, brauchte er diese Männer. Traber warf den Kopf empor und schnaubte, als könne er die Gefühle seines Reiters mitempfinden. »Glaubt Ihr immer noch, ich sei ein Schattenfreund, Bornhald? Wie viele Angriffe habt Ihr bisher miterlebt? Diese Trollocs haben mich genauso umbringen wollen wie alle anderen.« Bornhald hob langsam den Kopf. Sein Blick wirkte gehetzt, und gleichzeitig waren seine Augen etwas glasig. Die Hände in den stahlverstärkten Kampfhandschuhen verkrampften sich unbewußt um die Zügel. »Ist Euch nicht klar, daß ich längst weiß, daß diese Verteidigungsanlagen ohne Euch gebaut wurden? Es war nicht Euer Werk, oder? Ich werde meine Männer nicht hierlassen und zusehen, wie Ihr eure eigenen Dorfbewohner an die Trollocs verfüttert. Tanzt Ihr auf dem Haufen ihrer Leichen, wenn es vollbracht ist, Schattenfreund? Nicht auf unseren! Ich habe vor, lang genug zu leben, um an Euch Gerechtigkeit üben zu lassen!« Perrin tätschelte Trabers Hals, um den Hengst zu beruhigen. Er brauchte diese Männer. »Ihr wollt mich haben? Na gut. Wenn es vorbei ist, wenn die Trollocs besiegt sind, werde ich keinen Widerstand leisten, falls Ihr versucht, mich festzunehmen.« »Nein!« schrien Ban und Tell im Chor, und hinter ihnen begannen die anderen zu murren. Aram blickte entsetzt hoch zu Perrin.
»Ein leeres Versprechen«, höhnte Bornhald. »Ihr wollt doch nur, daß alle hier sterben bis auf Euch.« »Das werdet Ihr nie herausfinden, wenn Ihr weglauft, oder?« Perrin bemühte sich, seine Stimme hart und verächtlich klingen zu lassen. »Ich werde mein Versprechen halten, aber wenn Ihr weglauft, findet Ihr mich vielleicht nie wieder. Rennt doch, wenn Ihr wollt! Rennt weg und versucht, zu vergessen, was hier geschieht! All Euer Geschwätz, daß Ihr die Menschen vor den Trollocs beschützen wollt! Wie viele sind durch die Trollocs gestorben, seit Ihr hier angekommen seid? Meine Familie war keineswegs die erste und auch nicht die letzte. Rennt fort! Oder bleibt, falls Ihr euch noch daran erinnert, daß Ihr Männer seid! Falls Ihr erst noch Mut fassen müßt, dann seht die Frauen an, Bornhald. Jede einzelne von ihnen ist tapferer als sämtliche von Euch Weißmänteln zusammengenommen!« Bornhald bebte, als treffe ihn jedes Wort wie ein Schlag. Perrin fürchtete, der Mann werde aus dem Sattel fallen. Schwankend, aber aufrecht blickte Bornhald ihn an. »Wir bleiben«, sagte er heiser.
»Aber, Lord Bornhald!« protestierte Byar.
»Sauber!« brüllte ihn Bornhald an. »Wenn wir hier sterben müssen, dann sterben wir wenigstens sauber!« Er riß seinen Kopf herum und blickte zu Perrin zurück. Auf seinen Lippen stand Speichel. »Wir bleiben. Aber am Ende werde ich Euch sterben sehen, Schattenfreund! Für meine Familie, für meinen Vater, will — ich — Euch — tot — sehen!« Er riß sein Pferd grob herum und galoppierte zurück zu seiner weiß gekleideten Kolonne. Byar bleckte seine Zähne in wortlosem Knurren in Perrins Richtung, und dann folgte er dem anderen.
»Ihr wollt doch nicht wirklich Euer Versprechen halten?« fragte Aram verschüchtert. »Das könnt Ihr nicht!« »Ich muß jeden Posten überprüfen«, sagte Perrin. Die Chance, daß er überleben und dieses Versprechen erfüllen könnte, war nicht gerade groß. »Es ist nicht viel Zeit.« Er ließ Traber die Fersen spüren, und das Pferd galoppierte los in Richtung des westlichen Dorfrandes.
Hinter den spitzen Pfählen dem Westwald gegenüber kauerten Männer mit ihren Speeren und Hellebarden und anderen Arten von Spießen, wie sie Haral Luhhan für sie angefertigt hatte. Der war auch da, angetan mit seiner langen Lederweste und mit einer Sichel, die er auf einen acht Fuß langen Schaft gesteckt hatte. Hinter ihnen standen die Bogenschützen in Reihen, die nur von den vier Katapulten unterbrochen wurden. Abell Cauthon schritt langsam die Ränge ab und sprach mit jedem Mann.
Perrin ließ sein Pferd neben Abell stehenbleiben. »Die Nachricht kam durch, daß sie aus dem Norden und aus dem Süden gleichzeitig kommen«, sagte er leise. »Aber beobachtet alles trotzdem ganz genau.« »Wir werden die Augen aufmachen. Und ich bin auch bereit, die Hälfte meiner Männer überall dorthin zu schicken, wo sie gebraucht werden. Sie werden sich an den Männern der Zwei Flüsse ganz schön die Zähne ausbeißen.« Abells Grinsen erinnerte stark an das seines Sohnes.
Es machte Perrin verlegen, als die Männer ihm rauh zujubelten, während er vorbeiritt, die ›Kameraden‹ und die Flagge hinter sich: »Goldauge! Goldauge!« Hier und da hörte man auch: »Lord Perrin!« Ihm war klar, daß er das von Beginn an energisch hätte unterdrücken müssen.
Im Süden war Tams Bezirk. Sein Gesicht wirkte grimmiger als das Abells, und er schritt beinahe wie ein Behüter die Ränge ab, immer eine Hand auf dem Schwertgriff. Die wölfische, tödliche Eleganz wirkte fremdartig an dem stämmigen, grauhaarigen Bauern. Doch das, was er zu Perrin sagte, unterschied sich kaum von Abells Worten: »Wir Leute von den Zwei Flüssen sind zäher, als den meisten klar ist«, sagte er leise. »Mach dir keine Sorgen: Wir werden uns heute teuer verkaufen.« Alanna stand an einem der hier aufgebauten sechs Katapulte und kümmerte sich gerade um einen mächtigen Steinbrocken, der in die Schale am Ende des dicken Holzarms gelegt werden sollte. In ihrer Nähe saß Ihvon in seinem farbenändernden Behüterumhang auf dem Pferd, schlank wie eine Stahlklinge und wachsam wie ein Habicht. Es gab keinen Zweifel daran, daß er seinen Standort, selbstverständlich bei Alanna, sorgfältig gewählt hatte, und daß er alles daransetzen würde, sie lebend hier herauszubringen. Er sah kaum zu Perrin hinüber. Doch die Aes Sedai unterbrach ihre Tätigkeit. Ihre Hände schwebten über dem Stein, aber ihre Blicke folgten ihm, als er vorbeiritt. Er konnte fast fühlen, wie sie kalkulierte und abwog und urteilte. Auch der Jubel folgte ihm.
Wo der Pfahlwald die wenigen Häuser östlich der Weinquellenschenke hinter sich ließ, waren Jon Thane und Samel Crawe gemeinsam verantwortlich. Perrin sagte ihnen dasselbe, was er Abell gesagt hatte, und er bekam so ziemlich die gleiche Antwort. Jon, der ein Kettenhemd mit einigen durchgerosteten Stellen übergeworfen hatte, hatte den Qualm seiner brennenden Mühle gesehen, und Samel mit dem Pferdegesicht und der langen Nase war sicher, daß der Rauch einer weiter draußen befindlichen Qualmwolke von seinem Hof stamme. Keiner von ihnen erwartete einen leichten Tag, aber beide trugen ihre eiserne Entschlossenheit wie einen Umhang.
Perrin hatte sich entschlossen, selbst den Norden zu übernehmen. Er fühlte nach dem Band, das ihm über ein Revers herunterhing, und spähte in Richtung Wachhügel, der Richtung, in die Faile geritten war. Dabei fragte er sich, warum er ausgerechnet die Nordseite gewählt hatte. Flieg nur, Faile. Flieg, mein Herz. Na ja, es war ein ebenso guter Ort zum Sterben wie jeder andere.
Bran war für diesen Teil offiziell verantwortlich. Mit seiner Stahlkappe und dem Wams mit den aufgenähten Metallscheiben angetan, schritt er die Reihen der Männer hinter dem Pfahlwald ab. Allerdings unterbrach er seinen Weg und verbeugte sich vor Perrin, soweit sein Bauch dies gestattete. Gaul und Chiad standen bereit, die Schufa um den Kopf gewickelt und die Gesichter bis auf die Augen hinter den schwarzen Schleiern verborgen. Seite an Seite, wie Perrin auffiel. Was sich auch zwischen ihnen abspielte, schien schwerer zu wiegen als die Blutfehde ihrer Clans.
Loial hielt in jeder Hand eine Holzfälleraxt. Die Äxte wirkten in seinen riesigen Pratzen wie Spielzeuge. Seine behaarten Ohren standen wild entschlossen nach vorn, und sein breites Gesicht trug einen grimmigen Ausdruck.
Glaubst du, ich würde weglaufen? hatte er gefragt, als Perrin ihm vorschlug, hinter Faile her in die Nacht hinauszuschlüpfen. Seine Ohren waren müde und beleidigt herabgesunken. Ich bin mit dir gekommen, Perrin, und ich bleibe bei dir, bis du gehst. Und dann hatte er plötzlich gelacht, ein tiefes, hallendes Lachen, das die Teller beinahe zum Klappern gebracht hatte. Vielleicht wird eines Tages sogar jemand eine Legende von mir erzählen. Wir halten nicht viel von so etwas, aber warum sollte es nicht auch einen Ogier-Helden geben? Ein Scherz, Perrin. Ich habe nur einen Scherz gemacht. Lach doch! Komm, wir erzählen uns gegenseitig Witze. Du sollst lachen und an Faile denken, wie sie frei und hoch fliegt.
»Es ist kein Scherz, Loial«, murmelte Perrin, als er die Reihen der Männer entlangritt und sich bemühte, ihren Jubel bei seinem Anblick zu überhören. »Du bist ein Held, ob du es nun sein willst oder nicht.« Der Ogier grinste ihn nervös an, bevor er wieder hinüber zur anderen Seite des Pfahlwalds blickte, wo sie freies Sicht- und Schußfeld geschaffen hatten. Stöcke mit weißen Streifen markierten jeweils hundert Schritt Abstand. Bis auf fünfhundert Schritt hatten sie auf diese Art markiert, um ihre eigene Schußweite genauer berechnen zu können. Dahinter lagen Stoppelfelder. Die Tabakpflanzen und der Hafer, die dort gewachsen waren, waren den früheren Angriffen zum Opfer gefallen. Dann folgten Hecken und niedrige Steinbegrenzungen und anschließend kleine Wäldchen mit Lederblattbäumen, Kiefern und Eichen.
Perrin erkannte so viele Gesichter in den Reihen der wartenden Männer. Der kräftige Eward Candwin und Paet al'Caar mit seinem eckigen Kinn. Der weißhaarige Buel Dowtry, der Pfeilmacher, der natürlich bei den Bogenschützen stand. Dort stand der untersetzte, grauhaarige Jac al'Seen mit seinem kahlköpfigen Cousin Wit und daneben der ewig griesgrämige Flann Lewin, eine schlacksige Bohnenstange von Mann wie alle aus der männlichen Linie seiner Familie. Jaim Torfinn und Hu Marwin waren da, die zu den ersten gehört hatten, die ihm nachritten. Sie hatten sich einer Gruppe wie den ›Kameraden‹ nicht anschließen wollen, als habe die Tatsache, daß sie den Hinterhalt im Wasserwald nicht miterlebt hatten, eine Kluft zwischen ihnen geöffnet. Elam Dowtry und Dav Ayellin und Ewin Finngar, Hari Coplin und sein Bruder Darl, der alte Bili Congar, Berin Thane, der Bruder des Müllers, und der fette Athan Dearn, und Kevrim al'Azar, dessen Enkel bereits erwachsene Söhne hatten, und Tuck Padwhin, der Zimmermann, und...
Perrin zwang sich, mit dem Zählen aufzuhören, und ritt hinüber zu Verin, die unter Tomas' wachsamen Blicken an einem der Katapulte stand. Tomas saß auf seinem Grauen. Die mollige, in Braun gekleidete Aes Sedai musterte Aram einen Augenblick lang, und dann ruhte ihr vogelgleicher Blick auf Perrin. Sie zog eine Augenbraue hoch, als wolle sie fragen, wieso er sie belästige.
»Ich bin ein wenig überrascht, daß Ihr und Alanna noch hier seid«, sagte er zu ihr. »Mädchen aufzuspüren, die das Talent haben, mit der Macht umzugehen, kann ja wohl nicht wert sein, daß man sich dafür umbringen läßt.
Genausowenig, wie einen Ta'veren als Marionette behalten zu wollen.« »Tun wir das denn?« Sie faltete die Hände vor dem Bauch und neigte den Kopf nachdenklich zur Seite. »Nein«, fuhr sie schließlich fort, »ich bin nicht der Meinung, daß wir jetzt schon gehen können. Ihr seid ein hochinteressantes Studienobjekt, auf Eure Art genauso interessant wie Rand. Und der junge Mat. Wenn ich mich nur in drei teilen und jedem von Euch Tag und Nacht folgen könnte, selbst wenn ich Euch dazu heiraten müßte.« »Ich habe bereits eine Frau.« Es war ein eigenartiges Gefühl, das zu sagen. Eigenartig und gut. Er hatte eine Frau, und sie war in Sicherheit.
Dann zerschlug sie den porzellangleich erstarrten Augenblick des Schwelgens. »Ja, das stimmt. Aber Ihr wißt überhaupt nicht, was es bedeutet, mit Zarene Bashere verheiratet zu sein, oder?« Sie faßte nach oben und drehte die Axt in ihrer Schlaufe am Gürtel ein wenig herum. Sie musterte die Waffe genau. »Wann werdet Ihr die aufgeben und statt dessen den Hammer wählen?« Er sah die Aes Sedai mit großen Augen an, richtete Traber einen Schritt nach rückwärts aus und nahm ihr die Axt aus der Hand, bevor ihm das selber bewußt war. Was es bedeutete, mit Faile verheiratet zu sein? Die Axt aufgeben? Was meinte sie damit? Was wußte sie?
»ISAM!« Das kehlige Brüllen erhob sich wie Donnerhall, und die Trollocs erschienen, jeder um die Hälfte größer und doppelt so breit wie ein Mann. So trabten sie auf das freie Feld und blieben außerhalb der Schußweite der Bögen stehen, eine dräuende, schwarzgerüstete Masse, viele Reihen tief. So umgaben sie das ganze Dorf.
Tausende von ihnen standen dichtgedrängt da draußen. Die großflächigen Gesichter waren durch Schnäbel oder Schnauzen verunstaltet; auf den Köpfen saßen Hörner oder gefiederte Kämme, an den Ellbogen und auf den Schultern wuchsen Dornen. In den Händen hielten sie sichelähnlich gekrümmte Schwerter und Dornenäxte, Speere mit Widerhaken und dornenbewehrte Dreizacke. Es war ein scheinbar endloses Meer grausamer Waffen. Dahinter galoppierten Myrddraal auf und ab, auf ihren Mitternachtspferden und mit ihren rabenschwarzen Umhängen, die völlig unbeweglich herabhingen, auch wenn sie die Pferde herumwirbeln ließen.
»ISAM!« »Interessant«, murmelte Verin.
Perrin hielt das nicht gerade für den richtigen Ausdruck. Dies war das erste Mal, daß die Trollocs etwas Verständliches geschrien hatten. Er hatte allerdings keine Ahnung, was es bedeutete.
So strich er das Hochzeitsband glatt und zwang sich dazu, ganz ruhig zur Mitte der Reihen der Männer zu reiten. Die Kameraden formierten sich hinter ihm. Der leichte Wind breitete die Flagge mit dem roten Wolfskopf aus. Aram hielt sein blankes Schwert mit beiden Händen. »Seid bereit!« rief Perrin. Seine Stimme klang beherrscht und ruhig, was er selbst kaum glauben konnte.
»ISAM!« Und die schwarze Flut schwappte unter wortlosem Heulen vorwärts.
Faile war in Sicherheit. Nichts anderes spielte eine Rolle. Er wollte die Gesichter der Männer zu seinen Seiten nicht sehen. Er hörte, wie aus dem Süden das gleiche Heulen erklang. Von beiden Seiten gleichzeitig. Das hatten sie noch nie zuvor versucht. Faile war in Sicherheit. »Auf vierhundert Schritt...!« Die Reihen entlang hoben sich die Bögen. Näher rückte die heulende Masse. Die langen, kräftigen Beine legten die Entfernung schnell zurück. Näher. »Schießt!« Das Surren der Bogensehnen ging im Brüllen der Trollocs unter, aber ein von Gänsefedern gelenkter Hagelschauer erhob sich in den Himmel und stürzte sich auf die schwarzgerüstete Horde. Steine aus den Katapulten explodierten wie Feuerbälle, und scharfe Splitter fetzten in die kochende Masse. Trollocs stürzten. Perrin sah sie fallen, sah, wie sie von Stiefeln und Hufen niedergetrampelt wurden. Selbst ein paar Myrddraal stürzten. Doch die Flutwelle ergoß sich weiter, schloß die Lücken und schien überhaupt nicht abzunehmen.
Es war nicht nötig, eine weitere Salve anzuordnen. Die zweite folgte, so schnell die Männer nur die Pfeile auflegen und abschießen konnten. Ein zweiter Schauer von Hammerkopfpfeilen surrte los, bevor noch der erste eingeschlagen hatte. Dann folgte der dritte, der vierte, der fünfte. Feuer explodierte unter den Trollocs, so schnell man die Katapulte neu spannen konnte. Verin galoppierte von einem Katapult zum anderen und beugte sich jeweils tief aus dem Sattel hinunter. Und die mächtigen, brüllenden Gestalten rannten weiter, heulten Worte in einer Sprache, die Perrin nicht verstand, schrien nach Blut, nach Menschenblut und Menschenfleisch. Die Männer, die hinter den Pfählen kauerten, machten sich bereit und hoben ihre Waffen.
In Perrins Innerem breitete sich Kälte aus. Er konnte erkennen, daß der Boden hinter der Trollocwelle bereits mit Toten und Sterbenden übersät war, und doch schien es, als seien es kaum weniger geworden. Traber tänzelte nervös, aber er konnte das leise Wiehern des Braunen durch das Geheul der Trollocs nicht hören. Die Axt befand sich plötzlich in seiner Hand. Die Sonne glänzte auf der langen, halbmondförmigen Schneide und dem dicken Dorn. Noch nicht einmal Mittag. Mein Herz gehört auf ewig dir, Faile. Diesmal, so glaubte er, würden die Pfähle nicht ausreichen...
Die vorderste Reihe der Trollocs verlangsamte nicht einmal den Schritt und rannte gegen die spitzen Pfähle an. Die Gesichter mit ihren Schnauzen und Schnäbeln verzerrten sich unter Schmerzschreien. Die Trollocs heulten, als sie aufgespießt wurden, von den von hinten nachdrückenden riesigen Gestalten getrieben, die über sie hinwegstiegen. Einige fielen zwischen die Pfähle, doch sie wurden von anderen ersetzt, immer wieder von neuen. Eine letzte Salve von Pfeilen aus kürzester Entfernung schlug in die Körper ein, und danach war es den Speeren und Hellebarden und improvisierten Waffen überlassen, auf die hoch aufragenden schwarzen Gestalten einzuschlagen und einzustechen. Manche fielen, während die Bogenschützen so gut wie möglich über die Köpfe ihrer Freunde hinweg auf die unmenschlichen Gesichter schossen. Die Jungen schossen, so gut sie konnten, von den Dächern herunter in das Gewirr von Wahnsinn und Tod und ohrenbetäubenden Schreien und Brüllen und Heulen. Langsam, aber unaufhaltsam wichen die Reihen der Männer von den Zwei Flüssen an einzelnen Stellen zurück. An einem Dutzend Stellen bog sich die Kampflinie nach innen. Wenn sie brach, irgendwo...
»Zurückweichen!« brüllte Perrin. Ein Trolloc mit Eberschnauze, der bereits blutete, drängte sich durch die Reihen der Männer. Er kreischte und schlug mit seinem dicken Krummschwert zu. Perrins Axt spaltete ihm den Schädel bis zur Schnauze. Traber versuchte, sich aufzubäumen und wieherte lautlos in dem ohrenbetäubenden Lärm. »Zurückweichen!« Darl Coplin fiel. Er umklammerte seinen von einem unterarmdicken Speer durchbohrten Schenkel. Der alte Bili Congar bemühte sich, ihn nach hinten zu schleifen, während er ungeschickt mit einer Saufeder fuchtelte. Hari Coplin schwang seine Hellebarde, um seinen Bruder zu verteidigen. Den Mund hatte er zu einem unhörbaren Schrei aufgerissen. »Zurück zwischen die Häuser!« Er war sich nicht sicher, ob andere den Befehl gehört und weitergegeben hatten oder ob es lediglich der massive Druck der Trollocs war, aber langsam, einen Schritt nach dem anderen, wichen die Menschen zurück. Loial schwang seine blutigen Äxte wie Dreschflegel. Sein breiter Mund war verzerrt. Neben dem Ogier stach Bran grimmig mit seinem Speer ein ums anderemal zu. Er hatte seine Stahlkappe verloren und Blut rann durch seinen lichten, grauen Haarkranz. Von seinem Hengst aus hielt Tomas Verin den Rücken frei. Ihr Haar flog wild herum, ihr Pferd hatte sie verloren, doch aus ihren Händen flogen Feuerbälle und jeder getroffene Trolloc explodierte, als habe man ihn zuvor in Öl getränkt. Nicht genug, um durchzuhalten. Die Männer der Zwei Flüsse schoben sich langsam rückwärts. Perrin hielt seinen Platz auf Traber mitten drinnen. Gaul und Chiad kämpften Rücken an Rücken. Sie hatte nur einen Speer übrig, und er schlitzte und stach mit seinem schweren Messer zu. Zurück. Im Westen und Osten waren die Männer von den Verteidigungslinien ausgeschwärmt und versuchten mit einem Pfeilhagel die Trollocs daran zu hindern, sie hier zu umgehen und einzuschließen. Nicht genug. Zurück.
Plötzlich versuchte eine riesenhafte Gestalt mit Hammelhörnern, Perrin aus dem Sattel zu reißen und hinter ihm aufzusteigen. Wild um sich schlagend, brach Traber unter dieser vereinigten Last zusammen. Perrins eines Bein wurde eingeklemmt und war dem Brechen nah. Er mühte sich ab, seine Axt herumzubekommen, und gleichzeitig Hände, größer als die von Ogiern, von seiner Kehle fernzuhalten. Der Trolloc kreischte auf, als Arams Schwert in seinen Nacken schnitt. In dem Moment, als er über Perrin zusammenbrach und sein Blut nach allen Seiten verspritzte, wirbelte Aram geschmeidig herum und rammte einem weiteren Trolloc sein Schwert in die Magengrube.
Perrin stöhnte vor Schmerz und trat sich den Weg frei. Traber kam wieder auf die Füße, aber an ein Aufsteigen war nicht zu denken. Er konnte gerade noch zur Seite rollen, bevor die Hufe eines schwarzen Pferdes dort aufstampften, wo sich eben sein Kopf befunden hatte. Das bleiche, augenlose Gesicht des Blassen war wie eine wutverzerrte Grimasse. Der Halbmensch beugte sich aus dem Sattel, als Perrin versuchte, sich aufzurichten. Das todschwarze Schwert fuhr durch die Luft und berührte noch seine Haare, doch Perrin hatte sich rechtzeitig fallen lassen. In einer Mischung aus Zorn und Todesangst schwang er seine Axt und hackte dem Pferd eines der Beine ab. Pferd und Reiter stürzten gemeinsam. Noch als sie fielen, vergrub er seine Axt dort, wo sich die Augen des Halbmenschen befinden sollten.
Er riß die Klinge rechtzeitig heraus, um beim Aufblicken Daise Congars Mistgabel in den Hals eines Trollocs mit einer Ziegenschnauze fahren zu sehen. Der packte wohl den langen Schaft mit einer Hand und stieß mit einer Harpune zu, die er in der anderen hielt, doch Marin al'Vere trennte ihm gelassen mit einem Schlag ihres Fleischerbeils ein Bein ab. Als das nachgab, durchhackte sie genauso kaltschnäuzig das Genick des Trollocs. Ein anderer hob Bode Cauthon an ihrem Zopf in die Luft. Ihr Mund war zu einem entsetzten Schrei aufgerissen, doch sie schmetterte ihr Beil in seine vom Schuppenpanzer geschützte Schulter, und im gleichen Moment rammte ihre Schwester Eldrin ihre Saufeder durch die Brust des Trollocs. Neysa Ayellin mit ihrem grauen Zopf gab ihm mit ihrem dicken Metzgermesser den Rest.
Soweit Perrin die Kampflinie zu beiden Seiten beobachten konnte — überall befanden sich auch die Frauen im Getümmel. Ihre Anzahl war der einzige Grund dafür, warum sie dem Angriff immer noch standhielten, obwohl sie beinahe bis zu den Häusern zurückgewichen waren. Frauen zwischen den Männern, Schulter an Schulter mit ihnen, einige davon nicht mehr als Mädchen, aber andererseits hatten sich auch einige dieser ›Männer‹ noch nie rasiert. Ein paar würden dazu auch nie mehr Gelegenheit haben. Wo waren die Weißmäntel? Die Kinder! Wenn die Frauen hier waren, war niemand da, der die Kinder wegbringen konnte. Wo sind die verdammten Weißmäntel? Wenn sie jetzt kämen, würden sie ihnen wenigstens ein paar Minuten mehr erkaufen. Ein paar Minuten, um die Kinder wegzubringen.
Ein Junge — es war der gleiche dunkelhaarige Botenjunge, der letzten Abend zu ihm gekommen war —packte ihn am Arm, als er sich umwandte, um nach den ›Kameraden‹ zu sehen. Die ›Kameraden‹ mußten den Kindern einen Weg hinaus bahnen. Er würde sie wegschicken und hier alles tun, was ihm möglich war. »Lord Perrin!« schrie der Junge durch den ohrenbetäubenden Lärm. »Lord Perrin!« Perrin versuchte, ihn abzuschütteln, und dann schnappte er ihn einfach und klemmte den zappelnden kleinen Burschen unter einen Arm. Er gehörte zu den anderen Kindern. Die ›Kameraden‹ hatten sich aufgeteilt und eine Reihe von Haus zu Haus gebildet. Ban und Tell und die anderen schossen vom Sattel aus über die Köpfe der Männer und Frauen hinweg. Wil hatte den Flaggenstock in den Boden gerammt, damit er beide Hände für den Bogen frei hatte. Irgendwie hatte Tell es fertiggebracht, Traber einzufangen und die Zügel des Braunen an seinen Sattel zu binden. Der Junge konnte auf Traber mitreiten.
»Lord Perrin! Hört bitte zu! Herr al'Thor sagt, jemand greift die Trollocs an! Lord Perrin!« Perrin befand sich auf halbem Weg zu Tell und humpelte seines lädierten Beins wegen, als ihm die Worte ins Bewußtsein drangen. Er steckte den Schaft der Axt durch die Gürtelschlaufe und wuchtete den Jungen so an den Schultern herum, daß er ihm ins Gesicht sehen konnte. »Sie angreifen? Wer?« »Ich weiß nicht, Lord Perrin. Meister al'Vere sagte mir, er glaubte, gehört zu haben, wie jemand schrie: ›Devenritt!‹« Aram ergriff Perrins Arm und deutete wortlos mit seinem blutigen Schwert. Perrin wandte sich rechtzeitig um, so daß er noch sah, wie ein neuer Pfeilhagel auf die Trollocs herniederprasselte. Vom Norden her. Und ein weiterer Schwarm hob sich gerade in den Himmel, um seinen tödlichen Bogen zu beschreiben.
»Geh zurück zu den anderen Kindern«, sagte er und setzte den Jungen ab. Er mußte nach oben, wo er besser sehen konnte. »Geh! Du hast deine Sache gut gemacht, Junge!« rief er noch, als er schwerfällig zu Traber rannte. Der kleine Bursche eilte grinsend ins Dorf zurück. Jeder Schritt ließ den Schmerz erneut durch Perrins Bein zucken. Vielleicht war das Ding wirklich gebrochen? Er hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
Er griff sich die Zügel, die ihm Tell zuwarf, und zog sich hoch in den Sattel. Und dann fragte er sich, ob er nur sehe, was er zu sehen wünschte, statt dessen, was wirklich da war.
Am Rand der ehemaligen Felder stand unter einer Flagge mit einem roten Adler eine lange Reihe von Männern in Bauernkleidung. Sie schossen ganz methodisch ihre Pfeile ab. Und neben der Flagge saß Faile in Schwalbes Sattel und Bain stand an ihrem Steigbügel. Es mußte Bain sein hinter dem schwarzen Schleier, und Failes Gesicht konnte er ganz deutlich erkennen. Sie wirkte erregt, angsterfüllt, erschrocken über den Anblick und doch vor Leben sprühend. Sie sah wunderschön aus.
Die Myrddraal bemühten sich, einige der Trollocs auf die Gefahr von hinten aufmerksam zu machen und einen Angriff auf die Männer aus Wachhügel oder Devenritt zu führen, aber das war umsonst. Selbst die Trollocs, die sich dorthin wandten, fielen, bevor sie fünfzig Schritt zurückgelegt hatten. Ein Blasser und sein Pferd stürzten, nicht durch Pfeile getroffen, sondern unter dem Ansturm der entsetzten Trollocs. Jetzt rannten die Trollocs zurück, völlig verwirrt und angsterfüllt. Sie flohen vor den Pfeilen von beiden Seiten her, denn sobald die Männer aus Emondsfeld genug Platz hatten, schossen auch sie wieder, was sie konnten. Trollocs fielen und Myrddraal gingen in der Masse unter. Es war ein einziges Schlachten geworden, aber Perrin bemerkte es kaum. Faile.
Der gleiche Junge erschien wieder an seinem Steigbügel. »Lord Perrin!« schrie er. Er mußte auch schreien, um über all den Lärm hinweg hörbar zu sein, denn die Männer und Frauen schrien erleichtert und jubelten, als die letzten der Trollocs fielen, die es noch nicht bis außerhalb der Bogenschußweite geschafft hatten. Nicht viele hatten es geschafft, wie Perrin meinte, aber andererseits war er kaum fähig, zu denken. Faile. Der Junge zupfte an seinem Hosenbein. »Lord Perrin! Meister al'Vere bestellt Euch, daß die Trollocs fliehen. Und sie schreien tatsächlich ›Devenritt‹! Die Männer meine ich. Ich habe es selbst gehört!« Perrin bückte sich und strich dem Jungen über den Lockenkopf. »Wie heißt du, Junge?« »Jaim Aybara, Lord Perrin. Ich bin Euer Cousin, glaube ich. So 'ne Art von Cousin jedenfalls.« Perrin schloß die Augen einen Moment lang, damit ihm keine Tränen herausrollten. Als er sie wieder öffnete, zitterte seine Hand auf dem Schopf des Jungen immer noch. »Also, Cousin Jaim, erzähle deinen Kindern vom heutigen Tag. Und erzähle es deinen Enkeln und deren Kindern.« »Ich werde keine haben«, sagte Jaim halsstarrig. »Mädchen sind schrecklich. Sie lachen einen aus, und sie wollen nichts machen, was sich lohnt, und überhaupt versteht man nicht, was sie sagen.« »Ich glaube, eines Tages wirst du merken, daß sie alles andere als schrecklich sind. Einiges wird sich nicht ändern, aber das schon.« Faile.
Jaim blickte zweifelnd drein, aber dann erhellte sich seine Miene und ein breites Grinsen überzog sein Gesicht. »Wartet nur, bis ich Had erzähle, daß mich Lord Perrin Cousin genannt hat!« Und er schoß davon, um Had zu berichten, der eines Tages auch Kinder haben würde, genau wie die anderen Jungen. Die Sonne stand senkrecht über ihnen. Eine Stunde vielleicht. Es hatte nicht mehr als eine Stunde gedauert. Er hatte das Gefühl, es habe ein ganzes Leben lang gedauert.
Traber trat vor, und ihm wurde bewußt, daß er ihn mit den Fersen angetrieben haben mußte. Jubelnde Menschen machten dem Braunen Platz, und doch hörte er sie kaum. Es gab große Lücken unter den Pfählen, wo sie einfach durch den Druck der Trolloc-Körper abgebrochen waren. Er ritt durch eine der Lücken über einen Hügel aus toten Trollocs und bemerkte es überhaupt nicht. Mit Pfeilen gespickte Trollocleichen pflasterten den Boden draußen, und hier und da schlug ein von unzähligen Hammerköpfen durchbohrter Blasser noch immer um sich. Er sah nichts davon. Er hatte nur Augen für eines: Faile.
Sie ritt aus der Gruppe der Männer von Wachhügel heraus, hielt noch einmal an, wohl, um Bain zu sagen, sie solle zurückbleiben, und dann ritt sie ihm entgegen. Sie ritt so elegant, als sei die schwarze Stute ein Teil von ihr, schlank und aufrecht. Sie lenkte Schwalbe eher durch Schenkeldruck als durch die Zügel, die sie so selbstverständlich in der Hand hielt. Das rote Hochzeitsband war immer noch in ihr Haar eingeflochten und die Enden hingen ihr über die Schultern herab. Er mußte Blumen für sie auftreiben.
Einen Augenblick lang musterten ihn diese schrägstehenden Augen. Ihr Mund... Bestimmt konnte sie sich doch ihm gegenüber nicht unsicher fühlen, doch sie roch danach. »Ich sagte ja, ich würde gehen«, brachte sie schließlich mit hocherhobenem Kopf hervor. Schwalbe tänzelte mit kokett gekrümmtem Hals zur Seite, doch Faile brachte die Stute beinahe unbewußt wieder zum Stillstand. »Ich sagte nicht, wie weit weg. Du kannst nicht behaupten, ich hätte dir etwas anderes versprochen.« Er brachte nichts heraus. Sie war so schön. Er wollte sie einfach nur ansehen, sie so schön, so sprühend vor Leben an seiner Seite sehen. Ihre Witterung war die von sauberem Schweiß, vermischt mit ein wenig Duft nach Kräuterseife. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er lachen oder weinen sollte. Vielleicht beides auf einmal. Er hätte am liebsten all ihren Duft in sich aufgesogen.
Sie runzelte die Stirn und sprach weiter: »Sie standen bereit, Perrin. Sie waren wirklich zum Kampf bereit. Ich mußte kaum etwas zu ihnen sagen, um sie zum Mitkommen zu überreden. Die Trollocs hatten sie kaum belästigt, aber sie hatten sehr wohl die Rauchwolken gesehen. Wir haben den Weg so schnell zurückgelegt, wie es nur ging, Bain und ich, und haben Wachhügel eine Weile vor Tagesanbruch erreicht. Bei Sonnenaufgang sind wir schon wieder nach hier aufgebrochen.« Aus ihrem angespannten Gesichtsausdruck wurde ein breites Lächeln, erwartungsvoll und stolz zugleich. Was für ein schönes Lächeln. Ihre dunklen Augen funkelten. »Sie gehorchten und folgten mir, Perrin. Sie gehorchten mir! Selbst Tenobia hat noch nie Männer in die Schlacht geführt. Sie wollte einmal, als ich acht war, doch Vater nahm sie sich unter vier Augen in ihren Gemächern vor, und als er zur Fäule losritt, blieb sie zu Hause.« Mit bedauerndem Lächeln fügte sie hinzu: »Ich glaube, du und ich, wir benützen manchmal die gleichen Methoden. Tenobia hat ihn verbannt, doch sie war erst sechzehn und der Rat der Lords hat es nach ein paar Wochen geschafft, sie umzustimmen. Sie wird grün vor Neid, wenn ich es ihr erzähle.« Wieder hielt sie inne, und diesmal holte sie tief Luft und stützte eine Faust auf die Hüfte. »Hast du mir denn nichts zu sagen?« wollte sie ungeduldig wissen. »Willst du nur hier wie ein haariger Klumpen herumsitzen? Ich habe nie gesagt, daß ich die Zwei Flüsse verlassen werde. Du hast das gesagt, aber ich nicht. Du hast kein Recht, wütend zu sein, weil ich nicht getan habe, was ich auch nie versprochen hatte. Und überhaupt du! Schickst mich weg, weil du glaubst, du wirst sterben! Ich bin zurückgekommen, weil... « »Ich liebe dich.« Das war alles, was er herausbrachte, aber seltsamerweise schien es zu genügen. Er hatte kaum ausgesprochen, da lenkte sie Schwalbe nahe genug heran, legte einen Arm um ihn und drückte ihr Gesicht an seine Brust. Sie schien ihn entzweidrücken zu wollen. Er strich ihr sanft über das dunkle Haar, fühlte, wie seidig es war, fühlte sie ganz und gar.
»Ich hatte solche Angst, ich würde zu spät kommen«, sagte sie in sein Wams hinein. »Die Männer aus Wachhügel marschierten, so schnell sie konnten, aber als wir ankamen und ich sah, daß die Trollocs bereits zwischen den Häusern kämpften, so viele von ihnen, als wollten sie das Dorf wie eine Lawine überrollen, und ich konnte dich nicht sehen...« Sie atmete zittrig ein und dann langsam wieder aus. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme ruhiger. Ein wenig. »Sind die Männer aus Devenritt gekommen?« Er fuhr zusammen, und seine Hand hielt über ihrem Haar inne. »Ja, sind sie. Woher weißt du das? Hast du etwa auch dafür gesorgt?« Sie begann zu zittern und er brauchte einen Moment lang, um zu bemerken, daß sie lachte.
»Nein, mein Herz, obwohl ich das bestimmt getan hätte, wäre es mir möglich gewesen. Als dieser Mann mit seiner Botschaft kam — ›Wir kommen‹ —, glaubte ich — hoffte ich —, daß es das zu bedeuten habe.« Sie zog ihr Gesicht ein wenig zurück und blickte ernst zu ihm auf. »Ich konnte es dir nicht sagen, Perrin. Ich konnte deine Hoffnung nicht wecken, auf eine bloße Ahnung von mir hin. Es wäre grausam gewesen, falls... Sei mir nicht böse, Perrin.« Lächelnd hob er sie aus dem Sattel und setzte sie quer vor sich ab. Sie protestierte lachend und reckte sich über das hohe Sattelhorn, um beide Arme um ihn zu schlingen. »Ich werde nie, nie auf dich böse sein, das schw...« Sie unterbrach ihn, indem sie eine Hand auf seinen Mund legte.
»Mutter sagt, das Schlimmste, was Vater ihr jemals angetan hat, war, ihr zu schwören, daß er ihr niemals böse sein werde. Sie brauchte ein Jahr, bis sie ihn so weit hatte, daß er es zurücknahm, und sie sagt, daß er in dieser Zeit einfach unausstehlich war, weil er alles in sich hineinfraß.
Du wirst böse auf mich sein, Perrin, und ich auf dich. Wenn du mir noch ein Heiratsversprechen geben willst, dann versprich mir, daß du es nicht zurückhalten wirst, wenn du mir böse bist! Ich kann nichts gegen Dinge unternehmen, von denen du mir nichts sagst, mein Gatte. Mein Gatte«, wiederholte sie in zufriedenem Tonfall, wobei sie sich an ihn drückte. »Der Klang gefällt mir.« Er bemerkte, daß sie ihm nicht versprochen hatte, sie werde ihn immer wissen lassen, wenn sie ihm böse sei. Seinen bisherigen Erfahrungen nach würde er das selbst herausbekommen müssen, jedenfalls in der Hälfte aller Fälle. Und sie versprach auch nicht, keine Geheimnisse mehr vor ihm zu haben. Aber in diesem Moment spielte das keine Rolle, solange sie nur bei ihm war. »Ich werde dich wissen lassen, wenn ich böse auf dich bin, meine Frau«, versprach er. Sie sah ihn ein wenig mißtrauisch an, als sei sie nicht sicher, wie das zu verstehen war. Du wirst sie niemals richtig verstehen lernen, Cousin Jaim, aber es wird dir gleich sein.
Mit einemmal wurde er der toten Trollocs in ihrer Umgebung gewahr, wie ein schwarzes Feld, das mit federgespickten Unkräutern überwuchert war. Die zuckenden Myrddraal weigerten sich immer noch, endgültig zu sterben. Langsam ließ er Traber wenden. Ein Schlachthof, übersät von den Leichen der Schattenabkömmlinge, erstreckte sich Hunderte von Schritten in jede Richtung. Es hüpften bereits Krähen herum, und über ihnen kreiste ein ganzer Schwarm von Geiern. Aber keine Raben. Und Jaims Worten nach sah es im Süden genauso aus. Er konnte den Beweis an den Geiern ablesen, die auch dort jenseits des Dorfes kreisten. Nicht genug, um Deselle oder Adora oder den kleinen Paet zu rächen, und... und... und... Nicht genug. Es würde niemals reichen. Nichts konnte sie jemals wiederbringen. Er umarmte Faile so hart, daß sie stöhnte, aber als er schnell nachließ, schlang sie ihre Arme um ihn und packte ihn genauso hart wie er zuvor sie. Sie würde immer reichen.
Die Menschen strömten aus Emondsfeld heraus. Bran hinkte und benützte seinen Speer als Krückstock; Marin lächelte und hatte einen Arm um ihn gelegt; Daise wurde von ihrem Mann Wit in den Arm genommen und Gaul und Chiad kamen Hand in Hand mit abgehängten Schleiern einher. Loials Ohren hingen erschöpft herunter, Tam hatte ein blutiges Gesicht, und Flann Lewin konnte nur mit Hilfe seiner Frau Adine überhaupt stehen. Beinahe jeder blutete und hatte sich irgendwelche Wunden notdürftig verbinden lassen. Aber sie kamen in immer größerer Anzahl heraus, Elam und Dav, Ewin und Aram, Eward Candwin und Buel Dowtry, Hu und Tad, die Stallburschen der Weinquellenschenke, Ban und Tell und die anderen der ›Kameraden‹, immer noch mit ihrer Flagge. Diesmal sah er vor sich nicht die fehlenden Gesichter, sondern nur die, die immer noch da waren. Verin und Alanna auf ihren Pferden, und Tomas und Ihvon ritten dicht hinter ihnen. Der alte Bili Congar fuchtelte mit einem Krug herum, in dem sicherlich Bier war, oder vielleicht auch Schnaps; Cenn Buie wirkte genauso verknorzt wie immer, wenn er auch ziemlich verschrammt aussah. Jac al'Seen hatte einen Arm um seine Frau gelegt, und um ihn herum hatte sich seine ganze Familie versammelt, die Söhne und Töchter mit ihren Ehefrauen und Ehemännern. Raen und Ila, immer noch mit den Babies auf den Rücken. Mehr. Andere Gesichter kannte er überhaupt nicht: Männer, die aus Devenritt und von den Höfen dort unten stammen mußten. Jungen und Mädchen rannten lachend durch das Gewühl.
Sie schwärmten nach beiden Seiten aus und bildeten zusammen mit den Männern aus Wachhügel einen großen Kreis, in dessen Mitte sich er und Faile befanden. Jeder mied die sterbenden Blassen, aber es war, als sähen sie die überall herumliegenden Schattenabkömmlinge gar nicht. Sie hatten nur Augen für das Paar auf Traber. Sie beobachteten sie schweigend, bis Perrin nervös wurde. Warum sagt denn niemand etwas? Warum starren sie uns so an?
Die Weißmäntel erschienen. Sie ritten langsam in einer langen, schimmernden Viererkolonne aus dem Dorf, Dain Bornhald zusammen mit Jaret Byar an der Spitze. Jeder weiße Umhang leuchtete, als sei er frisch gewaschen. Jede Lanze stand genau im gleichen Winkel nach oben. Mürrisches Gemurmel erhob sich, aber die Menschen wichen aus und ließen sie in den Kreis hinein.
Bornhald hob eine im Handschuh steckende Hand und ließ die Kolonne anhalten. Es klimperte und die Sättel knarrten. Er blickte Perrin an. »Es ist vollbracht, Schattenabkömmling.« Byars Mund bebte, als wolle er Perrin anknurren, doch Bornhalds Gesichtsausdruck änderte sich nicht und er erhob auch die Stimme keineswegs: »Die Trollocs hier sind besiegt. Also werde ich Euch unserer Einigung gemäß als Schattenfreund und Mörder festnehmen.« »Nein!« Faile wand sich herum und blickte Perrin mit zornigen Augen an. »Was meint er damit: Eurer Einigung gemäß?« Ihre Worte gingen fast im allgemeinen Geschrei von allen Seiten unter: »Nein! Nein!« und »Ihr werdet ihn nicht bekommen!« und »Goldauge!« ertönte es.
Perrin behielt Bornhald im Auge, hob eine Hand, und langsam senkte sich Schweigen über die Menge. Als alles ruhig war, sagte er: »Ich sagte, ich würde keinen Widerstand leisten, wenn Ihr uns helft.« Es überraschte ihn, wie ruhig seine Stimme klang, obwohl in seinem Inneren eine kalte Wut tobte. »Wenn Ihr uns helft, Weißmantel! Wo wart Ihr, als wir Euch brauchten?« Der Mann antwortete nicht.
Daise Congar trat aus dem sie umgebenden Kreis, und mit ihr kam Wit, der ihre Hand hielt, als wolle er sie nie wieder loslassen. Aber auch ihr kräftiger Arm lag um Wits Schultern. Sie gaben schon ein eigenartiges Bild ab: Sie war einen Kopf größer und hielt ihren kleineren Ehemann im Arm, als wolle sie ihn beschützen. Ihre verlängerte Mistgabel stellte sie energisch auf den Boden. »Sie waren auf dem Anger«, verkündete sie laut, »schön aufgereiht und herausgeputzt wie Mädchen, die am Sonnentag zum Tanz gehen. Sie haben sich nicht gerührt. Deshalb sind wir Frauen gekommen...« Zornige Frauenstimmen murmelten zustimmend. »... als wir sahen, daß sie Euch überrennen würden. Sie saßen lediglich untätig hier herum!« Bornhald wandte den Blick keinen Augenblick von Perrin. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Habt Ihr geglaubt, ich würde Euch vertrauen?« höhnte er. »Euer Plan ist nur fehlgeschlagen, weil diese anderen ankamen —ja? —, und daran hattet Ihr keinen Anteil.« Faile rührte sich, doch ohne seinerseits den Blick von dem Mann zu wenden, legte Perrin einen Finger auf ihren Mund, als sie ihn öffnen wollte. Sie biß zu — fest —, sagte aber nichts. Endlich wurde Bornhalds Stimme lauter. »Ich werde Euch hängen sehen, Schattenabkömmling. Ich werde Euch hängen sehen, gleich, was ich dafür tun muß! Ich werde dafür sorgen, daß Ihr sterbt, und wenn die ganze Welt dafür brennt!« Das letzere schrie er. Byars Schwert glitt eine Handbreit aus der Scheide. Ein kräftig gebauter Weißmantel hinter ihm, der Perrins Erinnerung nach Farran hieß, zog sein Schwert ganz heraus, wobei er erfreut lächelte — ein krasser Gegensatz zu Byars wütender Grimasse.
Sie erstarrten jedoch, als es in den vielen Köchern klapperte und Pfeile herausgezogen und aufgelegt wurden. Im ganzen Kreis hoben sich die Langbögen, und jeder Hammerkopfpfeil zeigte auf einen Weißmantel. Die ganze breite Kolonne entlang knarrten die Sättel, als sich die Männer nervös bewegten. Bornhald zeigte kein Anzeichen von Furcht, und er roch auch nicht danach. Seine Witterung bestand praktisch nur aus Haß. Sein fiebriger Blick huschte über die Reihen der Menschen von den Zwei Flüssen, die seine Truppe umstanden, und kehrte dann genauso hitzig und haßerfüllt zu Perrin zurück.
Perrin machte eine Bewegung nach unten, und die Bogensehnen wurden zögernd entspannt, die Bögen langsam gesenkt. »Ihr wolltet nicht helfen.« Seine Stimme klang wie kalter Stahl, hart wie ein Amboß. »Seit Ihr an die Zwei Flüsse kamt, war alle Hilfe, die Ihr geleistet habt, mehr oder weniger zufällig. Es war Euch im Grunde gleich, ob die Menschen obdachlos oder gar getötet wurden, solange Ihr nur jemanden finden konntet, den Ihr als Schattenfreund bezeichnet.« Bornhald schauderte, obwohl sein Blick immer noch glühte. »Es ist höchste Zeit für Euch, zu gehen. Nicht nur aus Emondsfeld. Es ist höchste Zeit für Euch, Eure Truppe zu sammeln und die Zwei Flüsse zu verlassen. Jetzt gleich, Bornhald. Ihr werdet jetzt abreiten.« »Ich werde dafür sorgen, daß Ihr eines Tages hängt«, sagte Bornhald leise. Er riß seine Hand nach oben und gab der Kolonne das Zeichen, ihm zu folgen. Dabei trat er seinem Pferd in die Flanken, als wolle er Perrin überreiten.
Perrin richtete Traber zur Seite aus. Er wollte, daß diese Männer wegritten. Es sollte kein Blutvergießen mehr geben. Sollte der Mann doch seinen Trotz öffentlich zeigen.
Bornhald wandte sich nicht mehr um, doch der hohlwangige Byar warf ihm schweigend noch einen haßerfüllten Blick zu. Farran dagegen sah ihn irgendwie bedauernd an, aus welchem Grund auch immer. Die anderen blickten stur geradeaus, als sie mit klimperndem Sattelzeug und Hufgeklapper vorbeiritten. Schweigend öffnete sich der Kreis und ließ sie in Richtung Norden hinausreiten.
Eine Gruppe von zehn oder zwölf Männern schritt auf Perrin zu, während noch die letzten Weißmäntel vorbeiritten. Einige davon trugen völlig unpassende Teile alter Rüstungen, und alle grinsten nervös. Er erkannte keinen von ihnen. Ein Bursche mit ledrigem Gesicht und breiter Nase schien ihr Anführer zu sein. Sein Graukopf war bloß, doch ein rostiges Kettenhemd hing ihm bis an die Knie herunter. Drunter trug er offensichtlich ein Bauernhemd, dessen Kragen oben noch herausschaute. Er verbeugte sich ungeschickt über seinen Bogen. »Jerinvar Barstere, Lord Perrin. Man nennt mich Jer.« Er sprach hastig, als habe er Angst, unterbrochen zu werden. »Entschuldigt, daß ich Euch belästige. Einige von uns werden die Weißmäntel ein Stück begleiten und überwachen, wenn es Euch recht ist. Viele von uns möchten nach Hause, auch wenn wir kaum vor Einbruch der Dunkelheit ankommen werden. In Wachhügel befinden sich noch mal genauso viele Weißmäntel, aber die wollten nicht kommen. Hätten den Befehl, den Posten dort zu halten, sagten sie. Ein Haufen Narren, wenn Ihr mich fragt, und wir sind es wirklich müde, daß sie hier herumlungern, ihre Nasen in die Häuser der Leute stecken und versuchen, den einen dazu zu bringen, daß er den anderen wegen irgendwas denunziert. Wir geleiten sie hinaus, wenn es Euch recht ist.« Er warf Faile einen verschämten Blick zu und duckte sich ein wenig, doch sein Redestrom brach nicht ab. »Verzeiht mir, Lady Faile. Ich wollte Euch und Euren Lord nicht belästigen. Wollte ihn nur wissen lassen, daß wir auf seiner Seite stehen. Eine prachtvolle Frau habt Ihr da, Lord Perrin. Eine prachtvolle Frau. Nichts für ungut, Lady Faile. Also, wir haben noch Tageslicht, und vom Reden werden auch keine Schafe geschoren. Verzeiht, daß ich Euch belästigt habe, Lord Perrin. Verzeihung, Lady Faile.« Er verbeugte sich wieder. Die anderen machten es ihm nach und dann eilten sie, von ihm angetrieben, fort. Er knurrte sie noch im Gehen an: »Nicht der richtige Moment für uns, den Lord und seine Lady zu belästigen. Es ist noch genug zu tun.« »Wer war denn das?« fragte Perrin noch leicht betäubt von diesem Redestrom. Daise und Cenn zusammen redeten nicht soviel. »Kennst du ihn, Faile? Aus Wachhügel?« »Meister Barstere ist der Dorfvorsteher von Wachhügel, und die anderen sind die Ratsmitglieder der Gemeinde. Die Versammlung der Frauen von Wachhügel will eine Abordnung mit der Seherin herschicken, sobald es in Sicherheit möglich ist. Um nachzusehen, ob dieser ›Lord Perrin‹ der richtige Mann für die Zwei Flüsse ist, sagen sie, aber sie wollten alle, daß ich ihnen beibringe, wie man vor dir knickst. Und die Seherin, Edelle Gaelin, bringt dir einige von ihren Apfelkuchen mit.« »Ach, seng mich«, hauchte er. Es verbreitete sich. Ihm war klar, daß er das von Anfang an hätte energisch unterbinden müssen. »Nennt mich nicht immer so!« rief er den weggehenden Männern nach. »Ich bin ein Schmied! Hört ihr mich? Ein Grobschmied!« Jer Barstere drehte sich um und winkte ihm zu und nickte, bevor er die anderen weitertrieb.
Schnaubend zupfte ihn Faile am Bart. »Du bist ein süßer Narr, mein Lord Schmied. Es ist jetzt zu spät, um noch einmal umzukehren.« Plötzlich wurde ihr Lächeln ausgesprochen spitzbübisch. »Ehemann, gibt es eine Möglichkeit, daß du irgendwann in der nächsten Zukunft einmal mit deiner Frau allein sein wirst? Die Heirat scheint mich schon genauso dreist gemacht zu haben, wie so ein Domaniflittchen. Ich weiß, du mußt müde sein, aber... « Sie quiekte leicht und klammerte sich an seinem Wams fest, als er Traber in Galopp versetzte und zur Weinquellenschenke zurückritt. Diesmal machten ihm die Jubelrufe der anderen zur Abwechslung gar nichts aus.
»Goldauge! Lord Perrin! Goldauge!« Vom dicken Ast einer ausladenden Eiche am Rand des Westwalds aus starrte Ordeith nach Emondsfeld hinüber, das etwa eine Meile weiter südlich lag. Es war unmöglich. Geißelt sie. Häutet sie. Alles hatte sich doch planmäßig entwickelt. Selbst Isam hatte ihm in die Hände gespielt. Warum hat der Narr aufgehört, weitere Trollocs herzubringen? Er hätte genug herbringen sollen, daß die ganzen Zwei Flüsse schwarz von ihnen gewesen wären! Speichel tropfte ihm von den Lippen, doch er bemerkte es gar nicht. Genausowenig wurde ihm bewußt, daß seine Hand an seinem Gürtel herumnestelte. Verwüstet ihr Land, bis ihnen das Herz bricht. Pflügt sie schreiend in den Boden! Alles geplant, um Rand al'Thor zu ihm herzulocken. Und nun war es zu diesem Ergebnis gekommen! Die Zwei Flüsse waren nicht einmal angekratzt. Ein paar niedergebrannte Bauernhöfe zählten nicht, genausowenig wie die paar Bauern, die man für die Kochtöpfe der Trollocs geschlachtet hatte. Ich will, daß die Zwei Flüsse brennen, so brennen, daß sich die Menschen noch in tausend Jahren daran erinnern!
Er betrachtete die Flagge, die über dem Dorf wehte, und die andere, die gar nicht so weit von ihm entfernt flatterte. Ein roter Wolfskopf auf weißem Feld mit rotem Rand und ein roter Adler. Rot für das Blut, das in den Zwei Flüssen vergossen werden mußte, damit Rand al'Thor heulte. Manetheren. Das soll wohl die Flagge von Manetheren sein. Jemand hatte ihnen von Manetheren erzählt, oder? Was wußten diese Narren vom Ruhm Manetherens? Manetheren. Ja. Es gab mehr als eine Möglichkeit, sie fertigzumachen. Er lachte so heftig, daß er beinahe von der Eiche fiel, bevor ihm bewußt wurde, daß er sich nicht mehr mit beiden Händen festhielt, daß eine davon den Gürtel an der Stelle gepackt hielt, wo ein Dolch hängen sollte. Das Lachen verzerrte sich zu einem bösartigen Knurren, als er diese Hand anblickte. Was man ihm gestohlen hatte, befand sich in der Weißen Burg. Was ihm gehörte durch ein Recht, das genauso alt war wie die Trolloc-Kriege.
Er ließ sich vom Ast herunterfallen und kletterte auf sein Pferd, bevor er sich nach seinen Begleitern umsah. Seinen Jagdhunden. Die dreißig oder mehr übriggebliebenen Weißmäntel trugen natürlich ihre weißen Umhänge längst nicht mehr. Auf ihren blinden Rüstungen zeigten sich Rostflecken, und Bornhald hätte diese mürrischen, mißtrauischen, ungewaschenen und unrasierten Gesichter nicht mehr erkannt. Die Menschen beobachteten Ordeith mißtrauisch und furchtsam, und sahen den Myrddraal in ihrer Mitte überhaupt nicht an. Sein leichenblasses augenloses Gesicht wirkte genauso trüb und hölzern wie die ihren. Der Halbmensch befürchtete, daß Isam ihn finden werde. Isam war alles andere als glücklich gewesen, als nach dem Überfall auf Taren-Fähre so viele entkamen, die über die Ereignisse an den Zwei Flüssen berichten konnten. Ordeith kicherte bei dem Gedanken daran, daß Isam beunruhigt war. Um den Mann würde er sich ein andermal kümmern müssen, falls er bis dahin überlebte.
»Wir reiten nach Tar Valon«, fuhr er sie an. Es würde ein schwerer Ritt, wenn sie noch vor Bornhald an der Fähre sein wollten. Manetherens Flagge wurde nach so vielen Jahrhunderten wieder in den Zwei Flüssen gehißt. Wie dieser rote Adler ihn vor so langer Zeit schon verfolgt hatte! »Aber zuerst kommt Caemlyn dran!« Geißelt sie und häutet sie! Erst würden die Zwei Flüsse bezahlen und dann Rand al'Thor, und dann...
Lachend galoppierte er nach Norden durch den Wald und blickte nicht einmal zurück, um zu sehen, ob ihm die anderen folgten. Sie würden ihm folgen. Sie hatten jetzt kein anderes Ziel mehr.