51 Enthüllungen in Tanchico

Elayne hantierte ungeschickt mit den beiden dünnen, rotlackierten Stäbchen und versuchte, sie richtig zwischen die Finger zu bekommen. Sursa, erinnerte sie sich. Nicht Stäbchen, sondern Sursa. Eine idiotische Art zu essen, wie sie nun auch heißen mögen.

Auf der anderen Seite des Tisches in der Kammer der Fallenden Blüten blickte Egeanin finster auf ihre Sursa hinab. Sie hielt in jeder Hand ein Stäbchen, als wären es Spieße. Nynaeve hielt ihre so in einer Hand, wie Rendra es ihnen gezeigt hatte, doch bisher hatte sie auch nur ein Stückchen Fleisch und ein paar Paprikastreifen bis zu ihrem Mund gebracht. Sie hatte die Augen konzentriert zusammengekniffen. Viele kleine weiße Schüsselchen standen auf dem Tisch, jedes angefüllt mit Scheibchen und Stückchen von Fleisch und verschiedenen Gemüsesorten und mit dunklen wie hellen Saucen. Elayne befürchtete, sie würden den ganzen Rest des Tages über benötigen, um dieses Mahl zu beenden. Sie lächelte die Wirtin mit ihrem honigfarbenen Haar dankbar an, als die Frau sich über sie beugte und ihr die Sursa richtig in die Hand steckte.

»Euer Land befindet sich im Krieg mit Arad Doman«, sagte Egeanin, und es klang fast verärgert. »Warum serviert Ihr die Gerichte Eures Gegners?« Rendra zuckte die Achseln und spitzte die Lippen hinter ihrem Schleier. Heute trug sie ihn im blassesten Rot, das man sich vorstellen konnte, und die Perlen in der gleichen Farbe, die sie sich in die dünnen Zöpfe eingeflochten hatte, klickten leise, wenn sie den Kopf bewegte. »Das ist jetzt gerade Mode. Es begann vor vier Tagen im Garten der Silbernen Winde und jetzt verlangt fast jeder Gast nach Domani-Speisen. Ich glaube, wenn wir schon Arad Doman nicht erobern können, dann eben wenigstens ihre Speisen. Vielleicht essen sie jetzt in Bandar Eban Lammbraten mit Honigsauce und kandierten Äpfeln wie wir hier sonst? In weiteren vier Tagen wird vielleicht irgendeine andere Küche die große Mode sein. Das ändert sich heutzutage sehr schnell, und falls jemand den Mob gegen diese... « Sie zuckte noch mal die Achseln.

»Glaubt Ihr, es wird noch mehr Ausschreitungen geben?« fragte Elayne. »Werden sie sich auch noch darum streiten, welche Art von Speisen in den Schenken serviert werden?« »In den Straßen herrscht Unruhe«, sagte Rendra und spreizte die Hände schicksalsergeben. »Wer weiß schon, was sie wieder zum Überkochen bringen wird? Der Aufruhr vorgestern entstand wegen eines Gerüchts, daß sich Maracru für den Wiedergeborenen Drachen erklärt habe oder vielleicht an die Drachenverschworenen gefallen sei oder an die Rebellen — es scheint wohl kein großer Unterschied zu sein —, aber fällt daraufhin der Mob über die Leute aus Maracru her? Nein. Sie toben auf den Straßen herum, zerren die Leute aus den Kutschen, und dann brennen sie den Großen Saal der Versammlung nieder. Vielleicht trifft die Nachricht ein, daß unser Heer eine Schlacht gewonnen oder verloren hat, und dann erhebt sich der Mob gegen diejenigen, die Speisen aus Arad Doman servieren. Oder vielleicht brennen sie diesmal die Lagerhäuser an den Kais der Calpene nieder. Wer weiß das schon?« »Weder Recht noch Ordnung«, knurrte Egeanin und steckte sich die Sursa entschlossen zwischen die Finger ihrer rechten Hand. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen hätten die Stäbchen Dolche sein können, mit denen sie den Inhalt der Schüsselchen erstechen wollte. Nynaeve fiel ein kleiner Fleischbrocken von den Sursa, bevor er ihre Lippen erreicht hatte. Grollend holte sie ihn aus ihrem Schoß und tupfte die beigefarbene Seide mit ihrer Serviette ab.

»Ach, Ordnung«, lachte Rendra. »Ich erinnere mich an diesen Zustand. Vielleicht wird er eines Tages wiederkehren, oder? Einige glaubten, die Panarchin Amathera würde die Miliz wieder einsetzen, aber wenn ich an ihrer Stelle wäre und mich daran erinnerte, wie der Mob bei meiner Einsetzung draußen tobte... Die Kinder des Licht haben viele der Randalierer getötet. Vielleicht bedeutet das, es wird keine Auseinandersetzungen mehr geben, aber vielleicht wird es auch gerade deshalb wieder welche geben, und dann doppelt so stark oder zehnmal so schlimm. Ich glaube, ich würde auch die Wache und die Kinder des Lichts immer um mich herum behalten. Aber das ist kein Gesprächsthema beim Essen.« Sie schaute sich auf dem Tisch um und nickte zufrieden. Die Perlen in ihren dünnen Zöpfen klickten. Als sie sich der Tür zuwandte, hielt sie mit einem leichten Lächeln inne. »Es ist Mode, die Speisen der Domani mit den Sursa zu essen, und natürlich richtet man sich nach der Mode. Aber... es ist ja niemand hier, der Euch zusehen könnte, ja? Falls Ihr Löffel und Gabeln haben möchtet, liegen sie unter der Serviette.« Sie deutete auf das Tablett am Ende des Tisches. »Guten Appetit.« Nynaeve und Egeanin warteten, bis sich die Tür hinter der Wirtin geschlossen hatte, dann grinsten sie sich an und faßten mit entschieden unziemlicher Eile nach dem Tablett. Trotzdem schaffte es Elayne als erste, Löffel und Gabel in die Finger zu bekommen. Keine der anderen hatte jemals so hastig essen müssen wie eine Novizin zwischen ihren Haushaltsaufgaben und dem Unterricht.

»Es schmeckt ja schon gut«, sagte Egeanin nach dem ersten Bissen, »wenn man es endlich in den Mund bekommt.« Nynaeve schloß sich ihrem Lachen an.

In den sieben Tagen, seit sie die dunkelhaarige Frau mit den scharfen blauen Augen und der langgezogenen Aussprache getroffen hatten, hatten beide sie richtig liebgewonnen. Sie bot ihnen eine erfrischende Abwechslung gegenüber Rendras ewigem Geschwätz über Haarmoden, Kleider, Teint, und auch den Blicken gegenüber, die ihnen auf der Straße immer wieder zugeworfen wurden. Zu viele Leute hier wirkten, als würden sie einem für eine Kupfermünze bereits die Kehle durchschneiden. Das jetzt war ihr vierter Besuch seit dem ersten Zusammentreffen, und Elayne hatte es jedesmal Spaß gemacht. Egeanin war so geradeheraus und strahlte eine solche Unabhängigkeit aus, daß sie die Frau bewunderte. Vielleicht handelte sie nur ein wenig mit allem, was ihr so zuflatterte, aber sie tat es sogar Gareth Bryne darin gleich, offen auszusprechen, was sie dachte und vor niemandem zu kriechen.

Trotzdem wünschte sich Elayne, daß sie sich nicht so oft getroffen hätten, daß also sie und Nynaeve nicht so häufig zum Hof der Drei Pflaumen gekommen wären, wo Egeanin sie treffen konnte. Die ständigen Unruhen und Ausschreitungen seit der Einsetzung Amatheras machten es fast unmöglich, unbehelligt durch die Stadt zu gehen, und das trotz der Begleitung durch Domons hartgesottene Seeleute. Selbst Nynaeve hatte das zugeben müssen, nachdem sie knapp einem Hagelschauer faustgroßer Steine entgangen waren. Thom versprach ihnen immer noch, eine Kutsche mit Gespann aufzutreiben, doch sie war sich nicht sicher, ob er besondere Mühe auf die Suche aufwandte. Er und Juilin schienen ausgesprochen glücklich darüber zu sein, daß sie und Nynaeve in der Schenke mehr oder weniger festgenagelt waren. Sie kommen selbst verschrammt und blutend zurück, aber wir sollen uns möglichst noch nicht einmal einen Zeh anstoßen, dachte sie trocken. Warum glaubten die Männer immer, sie müßten Frauen in Watte packen? Warum hielten sie ihre Verletzungen für weniger wichtig als die der Frauen?

Dem Geschmack des Fleisches nach zu schließen, sollte Thom sich wohl besser in der Küche hier umsehen, wenn er auf der Suche nach Pferden war. Der Gedanke daran, Pferdefleisch zu essen, drehte ihr fast den Magen herum. So wählte sie ein Schüsselchen, in dem sich nur verschiedene Gemüsesorten befanden: dunkle Pilzscheiben, roter Paprika und so etwas wie fasrige, grüne Schößlinge in einer hellen, scharfen Sauce.

»Worüber sollen wir heute sprechen?« fragte Nynaeve Egeanin. »Ihr habt uns schon beinahe jede Frage gestellt, die ich mir vorstellen konnte.« Jedenfalls fast jede, die sie auch zu beantworten in der Lage waren. »Wenn Ihr noch mehr über die Aes Sedai erfahren wollt, müßt Ihr als Novizin in die Weiße Burg gehen.« Egeanin zuckte unbewußt zusammen, wie immer, wenn jemand sie im Gespräch mit der Macht in Verbindung brachte. Einen Augenblick lang blickte sie finster den Inhalt einer der kleinen Schüsseln an und rührte drin herum. »Ihr habt Euch keine besondere Mühe gegeben«, sagte sie dann bedächtig, »vor mir zu verbergen, daß Ihr hier jemanden sucht. Frauen. Wenn es nicht zu weit geht, würde ich gern wissen...« Sie brach ab, als es an die Tür klopfte.

Bayle Domon trat ohne abzuwarten ein. Von seinem runden Gesicht war eine Mischung aus Nervosität und grimmiger Befriedigung abzulesen. »Ich haben sie gefunden«, sagte er, und dann fuhr er zusammen, als er Egeanin entdeckte. »Ihr!« Zu Elaynes Schreck warf Egeanin ihren Stuhl um, als sie aufsprang, und knallte Domon so schnell eine Faust in den Magen, daß sie es fast nicht gesehen hätte. Irgendwie jedoch fing Domon ihr Handgelenk in seiner dicken Pratze und drehte ihr den Arm um. Einen atemlosen Moment später schien jeder dem anderen ein Bein stellen zu wollen. Egeanin versuchte, ihn mit einer Handkante am Hals zu treffen, doch plötzlich lag sie mit dem Gesicht nach unten am Boden. Domon hatte einen Stiefel auf ihrer Schulter und ihren Arm verdreht und bis an sein Knie hochgezogen. Trotzdem bekam sie mit der anderen Hand ihr Messer heraus.

Elayne webte Stränge aus Luft um das Pärchen, bevor ihr überhaupt bewußt wurde, daß sie nach Saidar gegriffen hatte. Sie erstarrten auf dem Fleck. »Was soll das bedeuten?« fragte sie mit eisiger Stimme.

»Wie könnt Ihr es wagen, Meister Domon?« Auch Nynaeves Stimme klang kalt wie die Elaynes. »Laßt sie los!« Etwas wärmer und besorgt fragte sie: »Egeanin, warum habt Ihr versucht, ihn zu schlagen? Ich habe Euch doch gesagt, Ihr sollt sie loslassen, Domon!« »Er kann nicht, Nynaeve.« Elayne wünschte sich wirklich, die andere könne wenigstens die Stränge sehen, auch wenn sie gerade nicht wütend war. Und sie hatte schließlich zuerst versucht, ihn zu schlagen. »Egeanin, warum?« Die dunkelhaarige Frau lag mit geschlossenen Augen und zusammengepreßten Lippen da. Ihre Knöchel wirkten blutleer, so fest hatte sie den Messergriff gepackt.

Domon blickte von Elayne zu Nynaeve. Sein eigenartiger Bart, wie man ihn in Illian trug, schien beinahe zu knistern vor Zorn. Elayne hatte nur seinem Kopf Bewegungsfreiheit gelassen. »Diese Frau sein Seanchan!« grollte er.

Elayne tauschte einen verblüfften Blick mit Nynaeve. Egeanin? Seanchan? Das war unmöglich. Das mußte einfach unmöglich sein.

»Seid Ihr da sicher?« fragte Nynaeve bedächtig und leise. Sie klang genauso erschlagen, wie sich Elayne fühlte.

»Ich werden niemals vergessen ihr Gesicht«, erwiderte Domon standhaft. »Ein Schiffskapitän. Es sein gewesen sie, die mich bringen nach Falme, mich und mein Schiff, als Gefangene der Seanchan.« Egeanin gab sich keine Mühe, es abzuleugnen. Sie lag nur da und hatte ihr Messer in der Hand. Seanchan. Aber ich mag sie!

Sorgfältig verschob Elayne das Gewebe von Luftsträngen, bis die Hand Egeanins, die das Messer hielt, fast, aber noch nicht ganz frei war. »Laßt es los, Egeanin«, sagte sie und kniete neben der Frau nieder. »Bitte.« Nach einem Moment öffnete sich Egeanins Hand. Elayne hob das Messer auf und stand wieder auf. Nun löste sie die Stränge ganz. »Laßt sie aufstehen, Meister Domon.« »Sie sein Seanchan, Herrin«, protestierte er, »und so hart wie Eisenstacheln.« »Laßt sie aufstehen.« Er knurrte leise etwas, ließ aber doch Egeanins Arm los und trat so schnell von ihr weg, als erwarte er, daß sie wieder auf ihn losgehen werde. Die dunkelhaarige Frau —die Seanchan-Frau — stand aber lediglich auf. Sie rollte die Schulter, die er ihr verdreht hatte und musterte ihn nachdenklich. Anschließend blickte sie kurz zur Tür hinüber, hob dann den Kopf und wartete äußerlich völlig ruhig und gelassen. Es fiel schwer, sie nicht zu bewundern.

»Seanchan«, grollte Nynaeve. Sie hatte eine ganze Handvoll ihrer dünnen Zöpfe gepackt, blickte diese Hand dann jedoch überrascht an und ließ wieder los. Doch die Stirn war noch gerunzelt und ihr Blick hart. »Seanchan! Und habt Euch unsere Freundschaft erschlichen. Ich glaubte, Ihr wärt alle zurückgefahren, woher Ihr gekommen seid. Warum seid Ihr hier, Egeanin? War unser Zusammentreffen wirklich ein Zufall? Warum habt Ihr gerade uns kennenlernen wollen? Habt Ihr uns irgendwohin locken wollen, wo Eure schmutzigen Sul'dam ihre Leinen an unseren Hälsen festmachen können?« Egeanin riß doch ein wenig die Augen auf, als sie das hörte. »O ja«, sagte Nynaeve in scharfem Ton zu ihr. »Wir wissen eine Menge über Euch Seanchan und Eure Sul'dam und Damane. Wir wissen mehr als Ihr selbst. Ihr kettet Frauen an, die mit der Macht arbeiten können, aber diejenigen, die ihre Leinen in Händen halten, können das ebenfalls, Egeanin. Auf jede Frau mit diesem Talent, die Ihr wie ein Tier an die Leine gelegt habt, kommen zehn oder zwanzig andere, die Ihr nicht als solche erkennt.« »Ich weiß«, sagte Egeanin einfach, und Nynaeve blieb der Mund offen stehen.

Elayne hatte das Gefühl, ihre Augen würden gleich herausfallen. »Ihr wißt das?« Sie atmete erstmal tief durch und fuhr dann in etwas weniger hysterischem Tonfall fort: »Egeanin, ich glaube, Ihr lügt. Ich habe noch nicht viele Seanchan kennengelernt, und die paar auch nur für wenige Minuten, aber ich kenne jemanden, der mehr Erfahrungen mit ihnen hat. Ihr Seanchan haßt noch nicht einmal Frauen, die mit der Macht arbeiten können. Ihr glaubt, sie seien Tiere. Ihr würdet das nicht so leicht nehmen, wenn Ihr wirklich Bescheid wüßtet oder es auch nur glaubtet.« »Frauen, die das Armband tragen können, sind auch fähig, zu lernen, wie man die Macht gebraucht«, sagte Egeanin. »Ich wußte nicht, daß man es lernen kann, da man mir beigebracht hat, daß man es eben entweder kann oder nicht. Aber als Ihr mir gesagt habt, daß man Mädchen führen muß, die nicht mit diesem Talent geboren sind, war mir alles klar. Darf ich mich hinsetzen?« Kühl bis ans Herz.

Elayne nickte, und Domon stellte Egeanins Stuhl wieder richtig hin. Er stellte sich dann auch sicherheitshalber hinter sie, als sie sich setzte. Sie blickte sich zu ihm um und sagte: »Beim letztenmal, als wir uns trafen, wart Ihr kein so... schwieriger... Gegner.« »Damals Ihr haben zwanzig gerüstete Soldaten auf meinem Deck und eine Damane, die mein Schiff mit der Hilfe von Macht in Stücke zerbrechen können. Nur weil ich einen Hai vom Schiff aus angeln können, ich noch lange nicht wollen ringen mit ihm im Wasser.« Überraschenderweise grinste er sie plötzlich an und rieb sich den Magen an der Stelle, wo sie ihn für Elayne fast unsichtbar getroffen hatte. »Ihr sein auch kein so einfacher Gegner, als ich glauben, ganz ohne Rüstung und Schwert.« Die Welt dieser Frau mußte wohl ziemlich durcheinandergeraten sein, doch sie nahm es sehr gelassen hin. Elayne konnte sich nicht vorstellen, was in ihrer eigenen Vorstellungswelt in dem gleichen Maße das Unterste zuoberst kehren könne, aber sie hoffte, falls das jemals geschähe, könne sie es mit der gleichen überlegenen Ruhe wie Egeanin hinnehmen. Ich muß mich davon abhalten, für sie noch Sympathie zu empfinden. Sie ist eine Seanchan. Sie hätten mich als Haustier an die Leine gelegt, wenn sie gekonnt hätten. Licht, wie kann man aufhören, jemanden zu mögen?

Nynaeve hatte anscheinend keine Probleme damit. Sie schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch und beugte sich so unbeherrscht zu Egeanin hinüber, daß ihre Zöpfe zwischen den Schüsseln baumelten. »Warum seid Ihr hier in Tanchico? Ich glaubte, Ihr wärt nach den Ereignissen von Falme alle geflohen. Und warum habt Ihr versucht, unser Vertrauen zu erschleichen wie eine hinterhältige Schlange? Falls Ihr glaubt, Ihr könnt uns ein Halsband umlegen, dann war das ein Irrglaube!« »Das war niemals meine Absicht«, sagte Egeanin hölzern. »Alles, was ich von Euch wollte, war, mehr über die Aes Sedai zu erfahren. Ich...« Zum erstenmal zögerte sie, und ihre Selbstsicherheit versagte. Sie preßte die Lippen aufeinander, blickte von Nynaeve zu Elayne und schüttelte den Kopf. »Ihr seid nicht so, wie man es mich gelehrt hat. Das Licht möge mich strafen, aber... ich mag Euch.« »Ihr mögt uns.« Bei Nynaeve klang das, als sei es ein Verbrechen. »Das beantwortet keine meiner Fragen.« Egeanin zögerte wieder, doch dann hob sie stolz und herausfordernd den Kopf. »In Falme wurden Sul'dam zurückgelassen. Einige flohen nach der Katastrophe. Ein paar von uns wurden ausgesandt, um sie zurückzuholen. Ich habe nur eine aufgespürt, doch durch sie habe ich herausgefunden, daß ein Adam auch sie fesselt.« Sie sah, wie Nynaeve die Fäuste noch fester ballte, und fügte schnell hinzu: »Ich ließ sie gestern abend gehen. Dafür werde ich teuer bezahlen, falls man es jemals herausfindet. Aber nachdem ich mit Euch gesprochen hatte, konnte ich sie nicht... « Sie verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Deshalb blieb ich bei Euch, nachdem Elayne mir gesagt hatte, wer sie sei. Ich wußte, daß Bethamin eine Sul'dam war. Als ich merkte, daß der A'dam sie fesselte, daß sie... Ich mußte es wissen, mußte mehr erfahren über Frauen, die mit der Macht umgehen können.« Sie atmete tief durch. »Was wollt Ihr nun mit mir tun?« Ihre Hände, die sie auf dem Tisch gefaltet hatte, zitterten nicht.

Nynaeve öffnete zornig den Mund und schloß ihn dann langsam wieder. Elayne wußte, was mit ihr los war. Nynaeve mochte Egeanin ja jetzt hassen, aber die Frage war wirklich, was sie nun mit ihr anstellen sollten. Es war unklar, ob sie in Tanchico irgendein Verbrechen begangen hatte, und in jedem Fall schien die Miliz sowieso an nichts anderem interessiert, als die eigene Haut zu retten. Sie war eine Seanchan, sie hatte die Sul'dam und Damane benützt, aber andererseits behauptete sie, diese Bethamin freigelassen zu haben. Welches Verbrechen konnten sie denn bestrafen? Daß sie Fragen gestellt und von ihnen darauf Antworten erhalten hatte? Ihre Sympathie gewonnen zu haben?

»Ich würde Euch gern die Haut abziehen, bis Ihr glüht wie ein Sonnenuntergang«, grollte Nynaeve. Plötzlich wandte sie sich Domon zu. »Ihr habt sie gefunden? Ihr sagtet doch, ihr hättet sie gefunden? Wo?« Er trat von einem Fuß auf den anderen und rollte warnend die Augen in Richtung von Egeanins Rücken. Seine Augenbrauen hoben sich fragend.

»Ich glaube nicht, daß sie zu den Schattenfreunden gehört«, sagte Elayne, als Nynaeve zögerte.

»Das bin ich ganz gewiß nicht!« Egeanins Blick war wild und beleidigt.

Nynaeve verschränkte die Arme, um zu verhindern, daß sie wieder an ihren Zöpfen zog, sah die Frau finster an und ließ ihren Blick dann zu Domon hinüberschweifen. Es wirkte so anklagend, als sei er an dem ganzen Durcheinander schuld. »Wir haben keinen Raum, um sie einzusperren«, sagte sie schließlich, »und Rendra würde sicher auch den Grund erfahren wollen. Fahrt also fort, Meister Domon.« Er warf Egeanin einen letzten zweifelnden Blick zu. »Im Panarchenpalast, einer meiner Männer haben gesehen zwei der Frauen von Eurer Liste. Die mit den Katzen und die Frau aus Saldaea.« »Seid Ihr sicher?« fragte Nynaeve. »Im Panarchenpalast? Ich wünschte, Ihr hättet sie selbst gesehen. Es gibt ja schließlich mehr Frauen als nur Marillin Gemalphin, die Katzen mögen. Und Asne Zeramene ist nicht die einzige Frau aus Saldaea, nicht einmal hier in Tanchico.« »Eine Frau mit schmalem Gesicht, blauen Augen und breiter Nase, die füttern ein Dutzend Katzen in dieser Stadt, wo Leute essen Katzen? In Gesellschaft einer anderen mit dieser typischen Nase und den schrägen Augen aus Saldaea? Das sein kein gewöhnliches Paar, Frau al'Meara.« »Da habt Ihr recht«, gab Nynaeve zu. »Aber im Panarchenpalast? Meister Domon, falls Ihr das vergessen habt, bewachen fünfhundert Weißmäntel diesen Ort, und das unter dem Befehl eines Inquisitors der Hand des Lichts! Zumindest Jaichim Carridin und seine Offiziere dürften eine Aes Sedai sofort erkennen. Würden sie bleiben, wenn sie feststellten, daß die Panarchin Aes Sedai beherbergt?« Er öffnete den Mund, doch Nynaeves Argument hatte ins Schwarze getroffen, und er brachte kein Wort heraus.

»Meister Domon«, sagte Elayne, »was hatte denn einer Eurer Männer am Panarchenpalast zu tun?« Er zupfte verlegen an seinem Bart und rieb sich mit einem dicken Finger die bartlose Oberlippe. »Ihr wissen, die Panarchin Amathera sein bekannt für Vorliebe für weißen Pfeffer, den ganz scharfen, und vielleicht sie sein großzügig, wenn erhalten Geschenk, und wenn nicht selbst bekommen, wenigstens Zollbeamte werden wissen, die ihr geben Geschenk, und dann selbst sein großzügiger.« »Geschenke?« fragte Elayne in mißbilligendem Tonfall, so gut sie das eben fertigbrachte. »Am Hafen wart Ihr ehrlicher und habt so etwas einfach Bestechung genannt.« Überraschenderweise hatte sich auch Egeanin auf ihrem Stuhl umgedreht und ihm ebenfalls einen mißbilligenden Blick zugeworfen. »Glück stich mich«, murrte er. »Ihr mich nicht beauftragen, aufzugeben den Handel. Und ich nicht machen das, auch wenn Ihr mir das sagen, und selbst, wenn Ihr bringen meine alte Mutter und sie sagen dasselbe. Ein Mann haben ein Recht auf seinen Beruf.« Egeanin schnaubte und setzte sich zurecht.

»Seine Bestechungsmethoden sind nicht unser Problem, Elayne«, sagte Nynaeve erregt. »Es ist mir gleich, und wenn er die ganze Stadt besticht und schmuggelt... « Ein Klopfen an der Tür ließ sie verstummen. Nach einem warnenden Blick zu den anderen zischte sie Egeanin an: »Sitzt gefälligst still!« und erhob dann die Stimme: »Herein.« Juilin steckte den Kopf in den Raum. Er trug diese idiotische zylindrische Kappe und blickte wie immer Domon besonders finster an. Der Schnitt an seiner dunklen Wange, an dem noch getrocknetes Blut zu sehen war, war nichts Besonderes. Auf den Straßen ging es jetzt tagsüber noch schlimmer zu als anfangs bei Nacht. »Kann ich allein mit Euch sprechen, Frau al'Meara?« sagte er, als er Egeanin am Tisch entdeckt hatte.

»Ach, kommt herein«, sagte Nynaeve ärgerlich zu ihm. »Nach dem, was sie schon gehört hat, spielt es keine Rolle mehr, ob sie noch mehr hört. Habt Ihr sie auch im Panarchenpalast entdeckt?« Er war bereits dabei, die Tür zu schließen, und warf Domon einen undefinierbaren Blick zu. Seine Lippen hatte er aufeinandergepreßt. Der Schmuggler lächelte ein wenig zu breit. Einen Augenblick lang schien es, die beiden wollten sich gegenseitig an den Kragen.

»Also ist mir der Illianer zuvorgekommen«, knurrte Juilin bedauernd. Er ignorierte Domon und sagte zu Nynaeve: »Ich sagte Euch ja, daß die Frau mit der weißen Strähne mich zu ihnen bringen werde. Das ist ja doch etwas sehr Auffallendes. Und ich habe dort auch die Domanifrau gesehen. Aus der Entfernung zwar nur, da ich ja nicht ein solcher Narr bin, um direkt in einen Schwarm Barrakudas hineinzuschwimmen, aber ich glaube nicht, daß sich außer Jeaine Caide noch eine andere Frau aus Arad Doman in ganz Tarabon aufhält.« »Ihr wollt damit sagen, daß sie tatsächlich im Panarchenpalast sind?« rief Nynaeve.

Juilins Gesichtsausdruck änderte sich nicht, doch weiteten sich seine dunklen Augen ein wenig, und sein Blick huschte zu Domon hinüber. »Also hatte er keinen Beweis«, murmelte er befriedigt.

»Ich haben Beweis.« Domon vermied es, den Tairener anzublicken. »Wenn Ihr es nicht glauben, bevor dieser Fischer hier kommen, Frau al'Meara, dann es sein kein Fehler von mir.« Juilin plusterte sich auf, doch Elayne schnitt dem Diebfänger das Wort ab: »Ihr habt sie beide aufgespürt und beide hattet Ihr Beweise. Höchstwahrscheinlich hätte es bei keinem allein gereicht, sehr wohl aber gemeinsam. Jetzt wissen wir, wo sie sich aufhalten, und das haben wir Euch beiden zu verdanken.« Nun wirkten die beiden noch mürrischer als zuvor. Männer benahmen sich manchmal auch zu töricht.

»Der Panarchenpalast.« Nynaeve riß an einer Handvoll ihrer Zöpfe und schleuderte sie dann mit einem scharfen Ruck ihres Kopfes über die Schulter zurück. »Was sie suchen, muß sich also dort befinden. Aber wenn sie es schon haben, warum sind sie dann noch in Tanchico? Der Palast ist riesengroß. Vielleicht haben sie es noch nicht gefunden? Nicht, daß uns das weiterbringt, solange sie drinnen sind und wir hier draußen!« Thom kam wie gewöhnlich ohne anzuklopfen herein und überblickte mit einem Blick alles. »Frau Egeanin«, grüßte er mit einer eleganten Verbeugung, der sein Hinken keinen Abbruch tat. »Nynaeve, ich würde gern mit Euch allein sprechen. Ich habe wichtige Neuigkeiten.« Die frische Schramme an seiner ledernen Wange machte Elayne noch zorniger als der Riß in seinem guten braunen Umhang. Der Mann war zu alt, um sich ständig auf den Straßen Tanchicos herumzutreiben. Oder überhaupt auf Straßen, in denen es rauh zuging. Es wurde Zeit, daß sie ihm irgendwo einen sicheren und bequemen Platz besorgte, an dem er seinen Lebensabend in Ruhe verbringen konnte. Keine Wanderschaft mehr als Gaukler von Dorf zu Dorf. Sie würde schon dafür sorgen.

Nynaeve blickte Thom scharf an. »Ich habe jetzt keine Zeit für so etwas. Die Schwarzen Schwestern befinden sich im Panarchenpalast, und es kann durchaus sein, daß Amathera ihnen hilft, den Palast vom Keller bis zum Dachboden abzusuchen.« »Das habe ich vor weniger als einer Stunde herausgefunden«, sagte er ungläubig. »Wie habt Ihr...?« Er sah Domon und Juilin an, die immer noch dreinblickten wie zwei Jungen, die beide den ganzen Kuchen beansprucht hatten.

Es war offensichtlich, daß er nicht glaubte, Nynaeve habe ihre Informationen von diesen beiden erhalten. Elayne hätte am liebsten gegrinst. Er war immer so stolz darauf, alle Hintergründe zu kennen, alle verborgenen Aktivitäten zu durchschauen. »Die Burg hat ihre eigenen Methoden, Thom«, sagte sie kühl und geheimnisvoll zu ihm. »Es ist am besten, wenn man die Nase nicht zu tief in die Methoden von Aes Sedai steckt.« Er verzog das Gesicht, und seine buschigen, weißen Augenbrauen zogen sich unsicher herunter. Sehr befriedigend. Ihr wurde bewußt, daß auch Juilin und Domon sie mit gerunzelter Stirn anblickten, und mit einemmal hatte sie Mühe, ein Erröten zu unterdrücken. Falls sie plauderten, würde sie wie eine Närrin dastehen. Das würden sie wahrscheinlich auch irgendwann; Männer klatschten so gern. Am besten schnell das Thema wechseln und hoffen. »Thom, habt Ihr etwas gehört, aus dem hervorgehen könnte, daß Amathera zu den Schattenfreunden gehört?« »Nichts.« Er zupfte nervös an einem langen Schnurrbartende. »Anscheinend hat sie Andric nicht mehr aufgesucht, seit sie die Krone des Baums aufgesetzt bekam. Vielleicht ist es wegen der ständigen Unruhen zu unsicher geworden, vom Palast des Königs zum Panarchenpalast zu fahren und umgekehrt. Vielleicht ist ihr klar geworden, daß sie jetzt genauso mächtig ist wie er, und sie ist nicht mehr so nachgiebig wie vorher. Nichts weist jedenfalls darauf hin, wo ihre politischen Bindungen liegen.« Nach einem Blick zu der dunkelhaarigen Frau auf dem Stuhl hinüber fügte er hinzu: »Ich bin dankbar für die Hilfe, die Euch Frau Egeanin im Falle dieser Räuber leistete, aber bisher glaubte ich, es sei nur eine lockere Freundschaft daraus entstanden. Darf ich fragen, wer sie ist, daß sie nun wohl in alles eingeweiht wurde? Ich erinnere mich dunkel daran, daß Ihr gedroht habt, einen Knoten in jede unvorsichtige Zunge zu knüpfen, Nynaeve.« »Sie ist eine Seanchan«, sagte Nynaeve zu ihm. »Macht den Mund zu, Thom, bevor Ihr einen Falter verschluckt, und setzt Euch. Wir können essen, während wir darüber nachdenken, was wir jetzt unternehmen wollen.« »Vor ihr?« fragte Thom. »Eine Seanchan?« Er hatte von Elayne Teile der Geschichte gehört, aber nur Teile, was in Falme geschehen war, und ganz bestimmt kannte er auch die Gerüchte. So musterte er Egeanin, als frage er sich, wo sie ihre Hörner verborgen habe. Juilin quollen die Augen heraus. Also hatte er vermutlich ebenfalls den Klatsch in Tanchico vernommen.

»Wollt Ihr etwa vorschlagen, ich solle Rendra bitten, sie in einem Lagerraum einzusperren?« fragte Nynaeve gelassen. »Das würde aber Aufmerksamkeit erregen, oder? Ich bin ziemlich sicher, daß drei große, haarige Männer Elayne und mich beschützen können, und wenn sie ein ganzes Seanchanheer aus der Tasche zieht. Setzt Euch, Thom, oder eßt im Stehen, wenn Euch das lieber ist, aber hört auf, sie so anzustarren. Setzt Euch alle hin. Ich habe vor, zu essen, bevor alles kalt ist.« Das taten sie denn auch. Thom wirkte dabei genauso unglücklich wie Juilin und Domon. Manchmal funktionierte Nynaeves Art, jeden Widerstand einfach niederzuknüppeln. Vielleicht könnte sie es auch einmal bei Rand versuchen?

Sie verdrängte das Thema Rand wieder und entschied, es sei Zeit, etwas Bedeutsameres loszuwerden. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich die Schwarzen Schwestern im Panarchenpalast ohne Wissen Amatheras aufhalten«, sagte sie und zog sich den Stuhl unter das hübsche Hinterteil. »Wie ich die Dinge sehe, gibt es drei Möglichkeiten. Einmal, daß Amathera zu den Schattenfreunden gehört. Dann, zweitens, könnte sie die Schwarzen einfach für normale Aes Sedai halten. Und drittens könnte sie natürlich ihre Gefangene sein.« Aus irgendeinem Grund erzeugte Thoms beifälliges Nicken ein warmes Gefühl in ihrem Inneren. Zu dumm. Auch wenn er das Spiel der Häuser gut kannte, war er doch nur ein närrischer Barde, der alles weggeworfen hatte, um Gaukler zu werden. »In jedem dieser Fälle wird sie ihnen wohl helfen, zu finden, wonach sie suchen, aber mir scheint, wenn sie sie wirklich für Aes Sedai hält, könnten wir ihre Hilfe vielleicht dadurch gewinnen, daß wir ihr die Wahrheit sagen. Und falls sie ihre Gefangene ist, können wir sie für uns gewinnen, indem wir sie befreien. Selbst Liandrin und ihre Begleiterinnen können den Palast nicht halten, wenn die Panarchin die Räumung anordnet, und das würde dann uns freie Hand geben, um selbst zu suchen.« »Das Problem ist, herauszufinden, ob sie nun ihre Verbündete ist, einfach leichtgläubig oder eine Gefangene«, sagte Thom und fuchtelte mit seinen Sursa herum. Er konnte doch tatsächlich perfekt mit den Dingern umgehen!

Juilin schüttelte den Kopf. »Das wirkliche Problem ist, überhaupt bis zu ihr zu kommen, gleich, wie die Lage nun aussieht. Jaichim Carridin hat fünfhundert Weißmäntel, die um den Palast herumlauern wie die Möwen um die Fischerboote. Die Legion der Panarchen ist beinahe doppelt so stark, und die Miliz hat noch mal ebenso viele Leute. Wenige der Ringfestungen werden auch nur halb so gut bewacht.« »Wir werden uns ja auch nicht durchkämpfen«, sagte Nynaeve trocken. »Hört auf, mit den Haaren auf Eurer Brust zu denken. Jetzt ist Verstand angesagt und nicht die Muskeln. Wie ich die Dinge sehe... « Die Diskussion setzte sich während des ganzen Essens fort und hielt auch noch an, als die letzte Schüssel geleert war. Nachdem sie eine Weile stumm dagesessen, nichts gegessen und anscheinend nicht einmal zugehört hatte, gab sogar Egeanin ein paar treffende Kommentare zur Lage. Sie hatte einen scharfen Verstand, und Thom griff bereitwillig einige ihrer Anregungen auf, auch wenn er andere geradewegs ablehnte — genauso wie bei allen anderen. Selbst Domon unterstützte überraschenderweise Egeanin, als Nynaeve forderte, daß sie schweige. »Sie sein wirklich vernünftig, Frau al'Meara. Nur ein Narr nicht annehmen guten Rat, gleich woher er kommen.« Unglücklicherweise bedeutete das Wissen um den Aufenthaltsort der Schwarzen Schwestern noch gar nichts, solange man nicht wußte, welche Rolle Amathera spielte und was sie eigentlich suchten. Am Ende, nach fast zwei Stunden fruchtloser Diskussion, waren sie sich gerade darüber im klaren und hatten ein paar Ideen, wie man mehr über Amathera herausfinden könne. Und all das hing wieder an den Männern mit ihrem Spinnennetz von Informanten in ganz Tanchico.

Keiner der Männer wollte sie mit einer Seanchan allein lassen, bis Nynaeve zornig genug war, sie alle drei mit Strängen von Luft zu fesseln und zur Tür hinaus zu schieben. »Glaubt Ihr nicht«, sagte sie mit eisiger Stimme, vom Glühen Saidars umgeben, »wir könnten das gleiche mit ihr machen, wenn sie auch nur ›Buh‹ sagt?« Sie ließ keinen von ihnen gehen, bevor er nicht genickt hatte. Mehr als die Köpfe konnten sie allerdings ohnehin nicht bewegen.

»Ihr haltet auf strenge Disziplin bei Eurer Mannschaft«, sagte Egeanin, kaum daß sich die Tür hinter den Männern geschlossen hatte.

»Schweigt, Seanchan!« Nynaeve verschränkte die Arme. Langsam schien sie es sich abzugewöhnen, an ihren Zöpfen zu reißen, wenn sie sich aufregte. »Setzt Euch — und —haltet — den — Mund!« Es war frustrierend, hier zu sitzen und zu warten, die Pflaumenbäume mit ihren fallenden Blüten anzustarren, die auf die fensterlosen Wände gemalt waren oder Nynaeve beim Herumtigern zu beobachten, während Thom und Juilin und Domon draußen waren und wirklich etwas unternehmen durften. Und doch wurde es noch schlimmer, wenn in Abständen immer einer der Männer zurückkam und berichtete, daß wieder eine Spur im Sand verlaufen oder ein Faden gerissen sei, sich schnell nach den Ergebnissen der anderen erkundigte und wieder hinaushastete.

Als Thom das erstemal zurückkam, mit einer neuen blauen Schwellung, diesmal auf der anderen Wange, sagte Elayne: »Wäre es nicht besser, Thom, Ihr bliebt hier und würdet auf die Berichte von Juilin und Meister Domon warten? Ihr könntet das viel besser beurteilen als Nynaeve und ich.« Er schüttelte seinen närrischen, zerzausten, weißen Schopf, während Nynaeve so laut schnaubte, daß man es sicher auf dem Flur hören konnte. »Ich habe eine Spur, die zu einem Haus auf der Verana führt, in das sich Amathera offensichtlich ein paar Nächte vor ihrer Ernennung zur Panarchin zurückzog.« Und er war weg, bevor sie noch ein Wort herausbringen konnte.

Als er das nächstemal zurückkam, humpelte er sichtlich stärker. Er berichtete, das Haus gehöre Amatheras altem Kindermädchen. Elayne riß sich zusammen und sagte in ihrem strengsten Befehlston: »Thom, ich will, daß Ihr euch jetzt hinsetzt. Ihr werdet von nun an hierbleiben. Ich lasse nicht zu, daß Ihr noch stärker verwundet werdet!« »Verwundet?« fragte er. »Kind, ich habe mich nie im Leben wohler gefühlt. Richtet Juilin und Domon aus, daß es angeblich hier in der Stadt eine Frau namens Cerindra gibt, die behauptet, alle möglichen dunklen Geheimnisse aus Amatheras Vergangenheit zu kennen.« Und sofort humpelte er wieder los. Sein Umhang flatterte hinter ihm, so eilig hatte er es. Im Umhang war auch ein neuer Riß zu sehen. Sturer, sturer, närrischer alter Mann!

Einmal drang Lärm durch die dicken Wände: brutales Geschrei und Rufe von der Straße her. Rendra eilte herein, gerade, als Elayne beschlossen hatte, selbst hinunterzugehen und nachzusehen. »Ein paar kleinere Schwierigkeiten draußen. Regt Euch nicht auf, bitte. Bayle Domons Männer halten es von uns fern, ja. Ich wollte nur nicht, daß Ihr euch Sorgen macht.« »Auseinandersetzungen hier draußen?« fragte Nynaeve in scharfem Tonfall. Die unmittelbare Nachbarschaft dieser Schenke war in der letzten Zeit ein Hort der Ruhe gewesen, einer der wenigen in der Stadt. »Nichts, um Euch zu beunruhigen«, sagte Rendra besänftigend. »Vielleicht wollen sie zu essen haben. Ich werde ihnen sagen, wo sich Bayle Domons Suppenküche befindet, und dann gehen sie weg.« Nach einer Weile erstarb der Lärm, und Rendra ließ Wein heraufbringen. Erst als der Kellner mit etwas mürrischem Gesicht wieder gegangen war, wurde Elayne klar, daß es der junge Mann mit den schönen braunen Augen gewesen war. Der Mann hatte angefangen, selbst auf ihre kältesten Blicke zu reagieren, als lächle sie. Glaubte dieser Narr, sie hätte jetzt überhaupt Zeit, ihn zu bemerken?

Warten und umhertigern, umhertigern und warten. Cerindra stellte sich als Kammerzofe heraus, die wegen eines Diebstahls entlassen worden war. Sie war absolut nicht dankbar dafür, daß ihr das Gefängnis erspart geblieben war; statt dessen bestätigte sie jede Anschuldigung, die man gegen Amathera erhob. Ein Bursche behauptete, Beweise dafür zu besitzen, daß Amathera eine Aes Sedai und noch dazu eine Schwarze sei, aber er sagte auch, die gleichen Dokumente bewiesen, König Andric sei der Wiedergeborene Drache. Die Gruppe von Frauen, die Amathera häufig heimlich besuchte, waren Freundinnen, die Andric nicht leiden konnte, und die ernüchternde Entdeckung, daß sie im geheimen mehrere Schmuggelboote finanziert hatte, führte auch zu nichts. Fast jeder Adlige bis auf den König selbst war irgendwie in den Schmuggel verwickelt. So endete jede Spur. Das Schlimmste, was Thom herausfand, war die Tatsache, daß Amathera gleich zwei gutaussehende junge Lords davon überzeugt hatte, jeder von ihnen sei die große Liebe ihres Lebens und sie benütze Andric nur, um ihr Ziel zu erreichen. Andererseits hatte sie einer Reihe von Adligen im Palast Audienzen gewährt, sowohl allein wie auch in Gesellschaft von Frauen, die leicht als Liandrin und die anderen von der Liste erkennbar waren, und deren Ratschläge sie, wie berichtet wurde, bereitwillig in ihren Entscheidungen beherzigt hatte. Verbündete oder Gefangene?

Als Juilin gute drei Stunden nach Sonnenuntergang zurückkehrte, seinen daumendicken Stock aus hellem, in viele Abschnitte unterteiltem Holz in der Hand wirbelte und etwas von einem blonden Kerl knurrte, der versucht hatte, ihn auszurauben, saßen Thom und Domon bereits zusammengesunken und enttäuscht mit Egeanin am Tisch.

»Das werden noch einmal wie Falme«, grollte Domon ins Leere hinein. Der kräftige Prügel, den er irgendwo aufgetrieben hatte, lag vor ihm, und er trug nun ein kurzes Schwert am Gürtel. »Aes Sedai. Die Schwarzen Ajah. Mit der Panarchin verwickelt sein. Wenn wir nicht finden etwas morgen, dann ich werden aus Tanchico flüchten. Oder ganz sicher am nächsten Tag, und wenn eigene Schwester meiniges bitten zu bleiben!« »Morgen«, sagte Thom müde, die Ellbogen auf dem Tisch und den Kopf auf die Fäuste gestützt. »Ich bin zu müde, um noch klar denken zu können. Ich habe mich sogar dabei ertappt, daß ich einem aus der Palastwäscherei zugehört habe, der behauptete, er habe gehört, wie Amathera schmutzige Lieder gegrölt habe, wie man sie sonst nur in den billigsten Tavernen im Hafen hört. Ich habe ihm tatsächlich zugehört!« »Was mich betrifft«, sagte Juilin und drehte seinen Stuhl um, damit er sich umgekehrt draufsetzen konnte, »so werde ich in der Nacht weitersuchen. Ich habe einen Dachlukenspezialisten kennengelernt, der sagt, die Frau, mit der er zusammenlebt, sei auch eine von Amatheras Zofen gewesen. Seinem Bericht nach hat Amathera an dem Abend, als sie in ihr Amt eingesetzt wurde, sämtliche Zofen ohne Vorwarnung entlassen. Er bringt mich zu ihr, wenn er heute nacht ein gewisses Geschäft auf dem Haus eines reichen Kaufmanns beendet hat.« Nynaeve schritt zum Tischende hinüber, die Fäuste auf die Hüften gestützt. »Ihr werdet heute nacht nirgends hingehen, Juilin. Ihr drei werdet Euch dabei abwechseln, unsere Tür zu bewachen.« Die Männer protestierten natürlich alle lebhaft.

»Ich haben meine eigenen Geschäfte zu abwickeln, und den Tag ich müssen damit verbringen, für Euch Fragen zu stellen... « »Frau al'Meara, diese Frau ist die erste Person, die ich kennengelernt habe, die tatsächlich Amathera gesehen hat, seit sie ernannt wurde... « »Nynaeve, ich werde morgen kaum in der Lage sein, irgendein Gerücht aufzuschnappen, und schon gar nicht, es weiterzuverfolgen, wenn ich die Nacht damit verbringen muß... « Sie ließ sie einfach reden. Als sie langsam aufhörten, wohl, weil sie glaubten, sie überzeugt zu haben, sagte sie: »Da wir keinen anderen Platz haben, um die Seanchanfrau festzusetzen, wird sie bei uns schlafen müssen. Elayne, läßt du bitte Rendra noch eine Matratze bringen? Sie kann sie ruhig auf den Boden legen.« Egeanin sah sie an, sagte aber nichts.

Die Männer steckten nun fein in der Zwickmühle:

Entweder weigerten sie sich und brachen damit ihr Wort, das sie Nynaeve gegeben hatten, sie würden ihr stets gehorsam sein, oder sie argumentierten weiter wie trotzige Knaben. Sie funkelten sie an, kochten offensichtlich vor Wut — aber sie gehorchten.

Rendra war sichtlich überrascht, daß sie lediglich eine Matratze verlangten, aber sie schluckte die Geschichte, daß Egeanin fürchte, nachts auf die Straße zu gehen. Sie wirkte dann aber pikiert, als sich Thom in den Flur neben ihre Zimmertür setzte. »Diese Kerle, die kamen nicht herein, so sehr sie sich auch bemühten. Ich sagte Euch doch, die Suppenküche würde sie weglocken. Gäste im ›Hof der Drei Pflaumen‹ brauchen keine Leibwächter auf den Zimmern.« »Das stimmt ganz sicher«, sagte Elayne und versuchte sanft, sie aus der Tür zu schieben. »Aber Thom und die anderen machen sich eben Sorgen. Ihr wißt ja, wie Männer sind.« Thom warf ihr einen scharfen Blick zu und seine dichten weißen Augenbrauen verzogen sich drohend, doch Rendra schnaubte und nickte bestätigend. Elayne konnte endlich die Tür schließen.

Nynaeve wandte sich sofort Egeanin zu, die ihr Lager auf der anderen Seite des Bettes aufschlug. »Zieht Euch aus, Seanchan. Ich will sichergehen, daß Ihr nicht irgendwo noch ein Messer versteckt habt.« Egeanin stand gelassen auf und zog sich bis auf das leinene Unterhemd aus. Nynaeve suchte ihre Kleidung gründlich ab und bestand dann darauf, auch Egeanin selbst zu untersuchen, und das nicht gerade sanft. Daß sie nichts fand, schien sie kaum zu besänftigen.

»Hände auf den Rücken, Seanchan. Elayne, fessle sie.« »Nynaeve, ich glaube nicht, daß sie... « »Fessle sie mit der Macht, Elayne«, sagte Nynaeve grob, »oder ich schneide ihr Kleid in Streifen und fessle sie an Händen und Füßen. Du wirst dich daran erinnern, wie sie die Kerle auf der Straße fertiggemacht hat. Möglicherweise von ihr selbst angeworbene Entführer. Sie könnte uns vielleicht im Schlaf mit bloßen Händen töten.« »Also wirklich, Nynaeve! Thom steht draußen... « »Sie ist eine Seanchan! Eine Seanchan, Elayne!« Es klang, als hasse sie die dunkelhaarige Frau, als habe sie ihr persönlich etwas angetan, aber das ergab keinen Sinn. Egwene war den Seanchan in die Hände gefallen, und nicht Nynaeve. Ihr leicht vorgeschobenes Kinn signalisierte, daß sie ihren Kopf durchsetzen wollte, ob mit Hilfe der Macht oder mit Stricken, falls sie welche auftrieb.

Egeanin hatte bereits die Handgelenke hinter dem Rücken aneinandergelegt, folgsam, wenn nicht sogar demütig. Elayne verwob einen Strang Luft um sie und band ihn. Zumindest würde das bequemer sein als aus ihrem eigenen Kleid gerissene Stoffstreifen. Egeanin spannte die Armmuskeln leicht, um die unsichtbaren Bande zu überprüfen, und dann schauderte sie. Genauso hätte sie versuchen können, Stahlketten zu zerreißen. Achselzuckend legte sie sich hin, so gut es eben ging, und wandte Elayne und Nynaeve den Rücken zu.

Nynaeve begann, ihr eigenes Kleid aufzuknöpfen. »Gib mir den Ring, Elayne.« »Bist du sicher, Nynaeve?« Sie blickte bedeutsam Egeanins Rücken an. Die Frau schien gar nicht zuzuhören.

»Sie wird jedenfalls heute nacht nicht mehr weglaufen und uns verraten.« Nynaeve schwieg einen Moment und zog sich das Kleid über den Kopf. Dann setzte sie sich in ihrem dünnen Seidenunterhemd aus Tarabon auf die Bettkante, um die Strümpfe herunterzurollen. »Heute ist die Nacht, in der wir uns wieder verabredet haben. Egwene erwartet eine von uns, und ich bin jetzt dran. Sie wird sich Sorgen machen, wenn keine von uns auftaucht.« Elayne fischte die Lederkordel aus ihrem Ausschnitt. Der Steinring mit seinen Flecken und Streifen in Blau und Braun und Rot hing neben dem goldenen Ring mit der Großen Schlange, die ihren eigenen Schwanz fraß. Sie knotete die Kordel auf, reichte Nynaeve den Ter'Angreal, band sie wieder zusammen und ließ den verbliebenen Ring unter ihr Kleid gleiten. Nynaeve hängte den steinernen Ter'Angreal neben ihren eigenen Schlangenring und den schweren Goldring von Lan, die zwischen ihren Brüsten baumelten.

»Gib mir eine Stunde, nachdem du sicher bist, daß ich schlafe, ja?« sagte sie und streckte sich auf der blauen Bettdecke aus. »Es sollte nicht länger dauern. Und paß auf die da auf.« »Was kann sie schon anstellen, wenn sie gefesselt ist, Nynaeve?« Elayne zögerte und dann fügte sie hinzu: »Ich glaube auch nicht, daß sie uns etwas antun würde, wenn sie frei wäre.« »Wage es nicht!« Nynaeve hob den Kopf und blickte böse auf Egeanins Rücken. Dann ließ sie sich wieder auf die Kissen fallen. »Eine Stunde, Elayne.« Sie schloß die Augen und veränderte ihre Stellung, bis sie bequemer lag. »Das dürfte auf jeden Fall reichen«, murmelte sie.

Elayne verbarg ein Gähnen hinter ihrer Hand und stellte den niedrigen Hocker an den Fuß des Bettes, wo sie Nynaeve beobachten konnte und auch Egeanin, obwohl das kaum notwendig werden dürfte. Die Frau lag zusammengerollt auf der Matratze, hatte die Knie angezogen und die Hände sicher gefesselt auf dem Rücken. Das war ein ermüdender Tag gewesen, obwohl sie die Schenke überhaupt nicht verlassen hatten. Nynaeve murmelte bereits leise im Schlaf. Ihre Ellbogen standen wieder mal ab.

Egeanin hob den Kopf und blickte sich nach hinten um. »Ich glaube, sie haßt mich.« »Schlaft lieber.« Elayne unterdrückte ein weiteres Gähnen.

»Aber Ihr schlaft nicht.« »Seid Euch Euer selbst nicht zu sicher«, warnte sie die andere. »Ihr scheint das alles sehr gelassen hinzunehmen. Wie könnt Ihr nur so ruhig bleiben?« »Ruhig?« Die Hände der Frau bewegten sich unwillkürlich und stemmten sich gegen die aus Luft gewebten Fesseln. »Ich habe derartig Angst, daß ich weinen könnte.« Ihrer Stimme war das nicht anzumerken, aber es klang trotzdem wie die Wahrheit.

»Wir werden Euch nichts tun, Egeanin.« Was Nynaeve auch vorhatte, sie würde schon dafür sorgen. »Schlaft jetzt.« Nach einem Augenblick senkte sich Egeanins Kopf.

Eine Stunde. Es war richtig, Egwene keine unnötigen Sorgen zu bereiten, aber sie hätte es lieber gehabt, wenn sie die Stunde mit Überlegen über ihre Probleme zugebracht hätten, anstatt sinnlos in Tel'aran'rhiod herumzulaufen. Wenn sie nicht in der Lage waren, herauszubekommen, ob Amathera nun eine Gefangene war oder nicht... Laß das jetzt mal beiseite; das findest du jetzt und hier bestimmt nicht heraus. Und wenn sie es schließlich wüßten, wie kämen sie dann trotz aller Soldaten und der Miliz in den Palast hinein, ganz zu schweigen von Liandrin und den anderen?

Nynaeve hatte leicht zu schnarchen begonnen, eine Angewohnheit, die sie noch hitziger abstritt als die ewig herausstechenden Ellbogen. Egeanin schien langgezogen und gleichmäßig zu atmen, als schlafe sie. Elayne hielt die Hand vor und gähnte wieder. Dann setzte sie sich auf dem Hocker zurecht und begann zu planen, wie sie sich in den Panarchenpalast einschleichen könnten.

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