48 Ein Angebot wird abgelehnt

Ist das der Typ von Frau, der Euch gefällt?« fragte Aviendha verächtlich.

Rand blickte auf sie hinunter, wie sie neben Jeade'en mit ihrem dicken Rock und dem doppelt um den Kopf geschlungenen braunen Schal einherschritt. Große, blaugrüne Augen blitzten unter ihrem breiten Kopftuch hervor zu ihm hoch, als wünsche sie sich, sie habe noch immer den Speer, zu dem sie während des Angriffs der Trollocs gegriffen hatte, obwohl die Weisen Frauen sie deshalb kräftig gescholten hatten. Manchmal war es ihm richtig unangenehm, daß er ritt und sie nebenherlief, aber er hatte bereits versucht, selbst zu Fuß zu gehen, und seine wunden Füße waren sehr bald dankbar für die Gegenwart eines Pferds gewesen. Manchmal, aber nur äußerst selten, hatte er es geschafft, sie zu überreden, hinter seinem Sattel Platz zu nehmen. Er hatte sich nämlich beklagt, sein Hals werde allmählich steif, weil er ihn immer verdrehen mußte, um mit ihr sprechen zu können. Wie sich herausstellte, widersprach das Reiten nicht unbedingt den guten Sitten, doch sie verachtete eben die angebliche Schwäche, nicht die eigenen Beine zum Vorwärtskommen benutzen zu wollen. So ging sie meist nebenher. Wenn nur einer der Aiel lachte — besonders eine Tochter des Speers —, weil sie auf einem Pferd saß, war sie blitzartig wieder unten.

»Sie ist weich, Rand al'Thor. Schwach.« Er blickte zurück zu dem schachtelförmig gebauten weißen Wohnwagen, der den Wagenzug der Händler anführte. Die Karawane kroch in unregelmäßigem Tempo und in Schlangenlinien durch die staubige, zerklüftete Landschaft. Heute wurde sie wieder von Töchtern des Speers aus der Jindo-Septime eskortiert. Isendre befand sich oben auf dem Kutschbock, zusammen mit Kadere und dem Fahrer. Sie saß auf dem Schoß des breit gebauten Händlers und ihr Kinn ruhte auf seiner Schulter, während er für sie und auch für sich einen kleinen, blauseidenen Sonnenschirm hochhielt, um sie beide vor der glühenden Sonne zu schützen. Obwohl er schon ein weißes Wams trug, wischte sich Kadere ständig mit einem großen Taschentuch über das braungebrannte Gesicht. Die Hitze machte ihm offensichtlich mehr aus als ihr. Sie trug ein langes, enganliegendes Kleid, passend zu dem Schirm. Rand war nicht nahe genug, um es beurteilen zu können, glaubte aber, daß ihr dunklen Augen über dem hauchzarten Schleier, der ihr Gesicht und den Kopf verhüllte, auf ihn gerichtet seien. Sie schien ihn überhaupt ständig zu beobachten. Kadere hatte anscheinend nichts dagegen.

»Ich glaube nicht, daß Isendre weich ist«, sagte er ruhig und rückte die Schufa um seinen Kopf zurecht. Sie hielt wenigstens einigermaßen die brennende Sonne von seinem Kopf ab. Er hatte der Versuchung widerstanden, weitere typische Kleidungsstücke der Aiel anzulegen, obwohl sie dem Klima sicher besser angepaßt waren als sein rotes Wollwams. Woher er auch abstammte und was auch die Zeichen an seinen Unterarmen aussagen mochten — er war jedenfalls trotzdem kein Aiel und würde das auch nicht vorgeben. Was er auch tun mußte, ein wenig Anstand konnte er dabei bewahren. »Nein, das würde ich nicht sagen.« Auf dem Kutschbock des zweiten Wagens stritten sich die fette Keille und der Gaukler Natael schon wieder. Natael hielt die Zügel, obwohl er kein so guter Fahrer war wie der Mann, der das sonst tat. Manchmal blickten auch sie zu Rand herüber, kurz nur, und dann ging die Streiterei weiter. Nun, jeder blickte ihn mehr oder weniger heimlich an. Die lange Kolonne von Jindo auf seiner anderen Seite, dahinter noch die Weisen Frauen mit ihrer Begleitung und mit Moiraine, Egwene und Lan. Auch unter den noch zahlreicheren, aber weiter entfernten Shaido glaubte er erkennen zu können, daß sich immer wieder Köpfe in seine Richtung wandten. Es überraschte ihn allerdings nicht; hatte ihn zu keinem Zeitpunkt überrascht. Er war eben derjenige, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt. Jeder wollte wissen, was er vorhabe. Sie würden es bald genug erfahren.

»Weich«, beharrte Aviendha. »Elayne ist nicht weich. Ihr gehört zu Elayne und solltet diese milchhäutige Kuh nicht mit Blicken liebkosen.« Sie schüttelte wild entschlossen den Kopf und knurrte in sich hinein: »Unsere Sitten erschrecken sie. Sie kann sie nicht akzeptieren. Warum sollte ich etwas darauf geben, ob sie sie akzeptiert oder nicht? Ich will nicht da hineingezogen werden! Es kann nicht sein! Wenn ich könnte, würde ich Euch zum Gai'schain machen und Elayne schenken!« »Warum sollte Isendre die Sitten der Aiel akzeptieren?« Der Blick aus ihren weit aufgerissenen Augen war so verblüfft, daß er beinahe gelacht hätte. Sofort machte sie eine finstere Miene, als habe er etwas Schlimmes gesagt.

Die Aielfrauen waren genauso schwer zu verstehen wie alle anderen.

»Ihr seid ganz bestimmt nicht weich, Aviendha.« Das sollte sie als Kompliment verstehen. Die Frau war wirklich manchmal so hart wie ein Wetzstein. »Erklärt mir bitte das mit der Dachherrin noch einmal. Wenn Rhuarc Clanhäuptling der Taardad und auch Häuptling der Kaltfelsenfestung ist, wie kann es dann sein, daß die Festung seiner Frau gehört und nicht ihm?« Sie funkelte ihn noch einen Augenblick lang an, wobei sich ihre Lippen bewegten, als führe sie Selbstgespräche, und dann antwortete sie: »Weil sie die Dachherrin ist, Ihr dickschädliger Feuchtländer. Ein Mann kann genausowenig ein Dach besitzen wie eigenes Land! Manchmal hört Ihr Feuchtländer Euch an wie die Wilden.« »Aber wenn Lian Dachherrin der Kaltfelsenfestung ist, weil sie eben Rhuarcs Frau ist... « »Das ist etwas anderes! Wollt Ihr das denn nicht verstehen? Jedes Kind versteht das!« Sie atmete tief durch und rückte den Schal zurecht. Sie war eine hübsche Frau mit nur einem Fehler: Sie sah ihn die ganze Zeit über an, als habe er an ihr irgend etwas verbrochen. Woran das liegen konnte, wußte er nicht. Die weißhaarige Bair mit ihrem ledernen Gesicht, die sonst nie über Rhuidean sprach, hatte ihm schließlich unwillig erklärt, daß Aviendha die Glassäulen nicht besucht habe und das auch nicht tun werde, bis sie soweit sei, eine Weise Frau zu werden. Also warum haßte sie ihn dann? Auf dieses Rätsel hätte er nur zu gern eine Antwort gehabt.

»Also gehen wir das von einer anderen Seite her an«, grollte sie zu ihm herauf. »Wenn eine Frau heiraten will und noch kein eigenes Dach besitzt, baut ihre Familie eins für sie. An ihrem Hochzeitstag trägt ihr Ehemann sie auf der Schulter weg von ihrer Familie, während seine Brüder ihre Schwestern von der Verfolgung abhalten, doch an der Tür setzt er sie ab und bittet sie um Erlaubnis, eintreten zu dürfen. Das Dach gehört ihr. Sie kann... « Diese Lektionen waren das Angenehmste an den elf Tagen und Nächten seit dem Angriff der Trollocs gewesen. Zuerst hatte sie überhaupt nicht mit ihm sprechen wollen, abgesehen von weiteren Tiraden, wie er angeblich Elayne mißhandle, und dann wieder ein Vortrag, der ihn gewaltig in Verlegenheit brachte, in dem sie Elaynes Vorzüge ausführlich schilderte. Erst als er im Vorübergehen Egwene gegenüber erwähnte, wenn Aviendha schon nicht mit ihm sprechen wolle, dann solle sie wenigstens aufhören, ihn dauernd anzustarren, kam innerhalb einer Stunde ein in Weiß gehüllter Gai'schain und holte die Aielfrau.

Was die Weisen Frauen ihr auch gesagt haben mochten, jedenfalls kehrte sie vor Zorn bebend zurück und verlangte von ihm — verlangte! —, daß er sich von ihr über Sitten und Gebräuche der Aiel unterrichten lassen solle. Zweifellos hofften sie, er werde ihnen durch die Fragen, die er stellte, etwas über seine Pläne verraten. Nach den subtilen Intrigen in Tear war die offene Spioniererei der Weisen Frauen richtig herzerfrischend. Trotzdem war es ganz sicher gut, zu erfahren, was er nur konnte, und er genoß auf diese Art sogar die Unterhaltungen mit Aviendha, besonders bei jenen Gelegenheiten, wenn sie zu vergessen schien, daß sie ihn aus irgendeinem unerfindlichen Grund verachtete. Klar — wenn ihr bewußt wurde, daß sie sich wie zwei Menschen unterhielten und nicht wie jemand, der einen Gefangenen verhört, mit seinem Opfer, bekam sie wieder einen Wutanfall, als habe er sie in eine Falle gelockt.

Und doch waren selbst diese Unterhaltungen angenehm, wenn man sie mit dem Rest der Reise verglich. Er fing sogar schon an, ihre Wutanfälle amüsant zu finden, wenn er sich das auch vorsichtigerweise nicht vor ihr anmerken ließ. Wenn sie in ihm einen Mann sah, den sie haßte, sah sie wenigstens nicht nur ihn, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt, oder den Wiedergeborenen Drachen. Einfach Rand al'Thor. Und wenigstens wußte sie, was sie von ihm halten sollte. Nicht wie Elayne, die ihm einen Brief schrieb, der ihm heiße Ohren verschaffte, und dann am gleichen Tag einen anderen, bei dem er sich allen Ernstes fragen mußte, ob er plötzlich Hörner und Reißzähne wie ein Trolloc habe.

Min war so ungefähr die einzige Frau in seinem Leben, die seinen Verstand nicht völlig verwirrte. Doch sie war in der Weißen Burg und dort wenigstens in Sicherheit, und das wiederum war ein Ort, den er meiden wollte. Manchmal dachte er sich, sein Leben könne viel einfacher sein, wenn er Frauen ganz vergaß. Nun hatte Aviendha den Weg in seine Träume geschafft, als seien dort nicht schon Min und Elayne zu Hause. Diese Frauen verknoteten seine Gefühle völlig, und er mußte jetzt einen klaren Kopf bewahren. Klar und kalt mußte er denken.

Ihm wurde bewußt, daß er schon wieder Isendre anblickte. Sie winkte ganz leicht mit ihren schlanken Fingern zu ihm herüber, und zwar hinter Kaderes Ohr, so daß der es nicht sehen konnte. Er war sicher, diese vollen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. O ja, gefährlich. Ich muß kalt bleiben und hart wie Stahl. Scharfer Stahl.

Elf Tage und Nächte, und nun der zwölfte, aber ansonsten hatte sich nichts geändert. Tage und Nächte voller eigenartiger Felsformationen, abgeflachter Steinsäulen und Spitzkuppen, die sich in einem zerklüfteten, sonnenverbrannten Land erhoben, in dem die Berge völlig wahllos verteilt aufragten. Tage voll glühenden Sonnenscheins und heißer Winde und Nächte voll eisiger Kälte. Was dort wuchs, besaß Dornen oder Stacheln, oder bei jeder Berührung brannten einem die Hände. Von einigen behauptete Aviendha, daß sie giftig seien. Diese Liste schien länger als die der eßbaren Pflanzen hier. Das einzige Wasser fand man in verborgenen Quellen und Wasserlöchern. Sie zeigte ihm allerdings auch Pflanzen, deren Anwesenheit bedeutete, daß sich dort ein Loch ganz langsam mit Sickerwasser füllen würde, genügend, um ein oder zwei Menschen das Überleben zu sichern. Das Mark anderer Pflanzen wieder konnte man zu einem sauren, wässrigen Brei zerkauen.

In einer Nacht töteten Löwen zwei Packpferde der Shaido. Sie brüllten laut in der Dunkelheit, als sie von ihrer Beute vertrieben wurden und in den Felsklüften verschwanden. Ein Wagenfahrer störte eine kleine braune Schlange in ihrer Ruhe, als sie am vierten Abend ihr Lager aufschlugen. Eine Zweischrittschlange nannte Aviendha sie, und der Name erwies sich als passend. Der Bursche schrie und wollte zu den Wagen rennen, obwohl er sah, daß Moiraine bereits auf ihn zukam, doch beim zweiten Schritt bereits stürzte er auf sein Gesicht und war tot, bevor die Aes Sedai von ihrer weißen Stute absteigen konnte. Aviendha zählte ihm Giftschlangen, Giftspinnen und giftige Eidechsen auf. Giftige Eidechsen! Einmal suchte sie eine für ihn. Sie war zwei Fuß lang und dick und hatte auf ihren Bronzeschuppen gelbe, senkrechte Streifen. Sie trat ganz selbstverständlich mit einem im weichen Stiefel steckenden Fuß darauf und hielt sie auf diese Art fest, und dann stieß sie ihr Messer in den breiten Kopf der Echse. Anschließend hielt sie das Tier hoch, damit er die klare, ölige Flüssigkeit sehen konnte, die über scharfkantige Knochenreihen im Maul herausfloß. Wie sie erklärte, konnte eine Gara durchaus einen Stiefel durchbeißen. Sie konnte sogar einen Stier töten. Andere waren natürlich schlimmer. Die Gara war langsam und nicht wirklich gefährlich, wenn man nicht gerade dumm genug war, auf eine zu treten. Als sie die große Eidechse mit dem Messer wegschleuderte, paßten sich das Gelb und der Bronzeton genau der Farbe des getrockneten Lehmbodens an. O ja. Sei nur nicht so dumm, draufzutreten.

Moiraine teilte ihre Zeit zwischen den Weisen Frauen und Rand. Für gewöhnlich bemühte sie sich auf die typische Art der Aes Sedai, ihn dazu zu bringen, seine Pläne endlich zu enthüllen. »Das Rad webt, wie Das Rad es will«, hatte sie ihm erst an diesem Morgen wieder gesagt. Ihre Stimme klang kühl und ruhig, das alterslose Gesicht war ernst, doch der Blick aus ihren dunklen Augen brannte heiß, als sie ihn über Aviendhas Kopf hinweg ansah. »Aber ein Narr kann sich im Muster verfangen und selbst erdrosseln«, fuhr sie fort. »Paßt auf, daß Ihr keine Schlinge für Euren eigenen Hals webt.« Sie hatte sich einen hellen Umhang zugelegt, beinahe so weiß wie die der Gai'schain, der im Sonnenschein schimmerte, und unter der weiten Kapuze trug sie noch einen verschwitzten, weißen Schal um die Stirn gewickelt.

»Ich webe keine Schlingen für meinen Hals.« Er lachte, und sie riß Aldieb so schnell herum, daß die Stute beinahe Aviendha umstieß. Dann galoppierte sie zurück zum Zug der Weisen Frauen. Ihr Umhang flatterte hinter ihr her.

»Es ist dumm, eine Aes Sedai zu ärgern«, knurrte Aviendha und rieb sich die Schulter, wo sie von Aldieb gestreift worden war. »Ich hatte nicht geglaubt, daß Ihr ein dummer Mann seid.« »Wir werden abwarten müssen, ob ich einer bin oder nicht«, sagte er zu ihr, und ihm war nicht mehr nach Lachen zumute. Dumm? Es gab eben Risiken, die man in Kauf nehmen mußte. »Wir werden es ja sehen.« Egwene verließ die Weißen Frauen selten. Sie ging zu Fuß nebenher oder ritt auf ihrer grauen Stute, und selbst dann nahm sie öfters eine von ihnen hinter sich hoch und ließ sie eine Weile mitreiten. Er war schließlich auf den Gedanken gekommen, daß sie wahrscheinlich den Weisen Frauen gegenüber wieder die fertige Aes Sedai spielte. Amys und Bair, Seana und Melaine schienen das genauso bereitwillig zu akzeptieren, wie die Tairener damals, wenn auch nicht alle auf die gleiche Art. Gelegentlich stritt sich die eine oder andere von ihnen so laut mit ihr, daß er auf mehr als hundert Schritt Entfernung fast noch verstehen konnte, was da geschrien wurde. Sie behandelten Egwene beinahe genauso wie Aviendha, obwohl sie die allerdings eher herumkommandierten. Nun ja, selbst mit Moiraine führten sie ja gelegentlich hitzige Diskussionen. Besonders Melaine mit ihren Sonnenhaaren.

Am zehnten Morgen endlich hatte Egwene aufgehört, ihr Haar zu diesen zwei Zöpfen geflochten zu tragen. Das war schon eine eigenartige Sache. Die Weisen Frauen hatten sich mit ihr zusammen ein Stück von den anderen entfernt und sehr lange mit ihr gesprochen, während die Gai'schain ihre Zelte abbrachen und Rand Jeade'en sattelte. Hätte er sie nicht besser gekannt, dann hätte Rand annehmen müssen, ihre Haltung, mit gesenktem Kopf, sei ein Versuch, demütig zu erscheinen, aber dieses Wort konnte man bei ihr eigentlich nur mit Blick auf Nynaeve gebrauchen. Und vielleicht auch mit Moiraine. Plötzlich klatschte Egwene dann in die Hände, lachte und umarmte eine der Weisen Frauen nach der anderen. Anschließend wickelte sie schnellstens ihre Zöpfe auf.

Als er Aviendha fragte, was los sei — sie hatte außen vor seinem Zelt gesessen, als er erwachte —, knurrte sie mürrisch: »Sie haben ihr zuerkannt, daß sie gewachsen sei...« Sie brach plötzlich ab, warf ihm einen mißtrauischen Blick zu, verschränkte die Arme und fuhr mit kühler Stimme fort: »Das ist Sache der Weisen Frauen, Rand al'Thor. Fragt sie, wenn Ihr wünscht, aber seid darauf vorbereitet, daß man Euch sagt, es gehe Euch nichts an.« Wieso war Egwene gewachsen? Ihr Haar etwa? Es ergab keinen Sinn. Aviendha sagte kein Wort mehr über diese Sache. Statt dessen kratzte sie ein wenig grauer Flechten von einem Stein und begann, ihm zu beschreiben, wie man damit eine Wunde behandeln könne. Die Frau lernte ein wenig zu schnell für seinen Geschmack von den Weisen Frauen. Die Weisen Frauen selbst schenkten ihm wenig Aufmerksamkeit. Klar, das mußten sie auch nicht, da ihm Aviendha die ganze Zeit über in ihrem Auftrag über die Schulter sah.

Die anderen Aiel, oder jedenfalls die Jindo, wurden mit jedem Tag ein bißchen weniger hochnäsig. Vielleicht gewöhnten sie sich daran, was Er, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt, für sie bedeutete. Doch nur Aviendha sprach überhaupt längere Zeit mit ihm. Jeden Abend kam Lan herüber und übte mit ihm den Schwertkampf, während Rhuarc ihm beibrachte, wie man mit dem Speer umging, und ihn in der eigenartigen Kampfart der Aiel mit Händen und Füßen unterwies. Der Behüter verstand auch etwas davon und machte beim Üben mit. Die meisten jedoch mieden Rand, besonders die Wagenfahrer, die erfahren hatten, daß er der Wiedergeborene Drache war, ein Mann, der die Macht gebrauchen konnte. Wenn er einen dieser Männer mit ihren groben Gesichtern dabei ertappte, wie er ihn anblickte, hätte er meinen können, der Mann blicke den Dunklen König selbst an. Aber Kadere war eine Ausnahme, genau wie der Gaukler.

Beinahe jeden Morgen, wenn sie aufbrachen, ritt der Händler auf einem der Maultiere herüber, die zu den von den Trollocs verbrannten Wagen gehört hatten. Durch den langen weißen Schal, den er sich um den Kopf gewickelt hatte und der ihm hinten herunterhing, wirkte sein Gesicht noch dunkler. Rand gegenüber war er ausgesprochen schüchtern, doch seine kalten, immer gleich dreinblickenden Augen machten aus seiner Hakennase einen Adlerschnabel.

»Mein Lord Drache«, hatte er am Morgen nach dem Angriff der Trollocs begonnen und sich dann erst einmal mit dem immer vorhandenen Taschentuch den Schweiß abgewischt. Er war nervös auf dem zerkratzten, alten Sattel umhergerutscht, den er irgendwo für das Maultier aufgetrieben hatte. »Darf ich Euch so nennen?« Die verkohlten Reste der drei Wagen blieben im Süden hinter ihnen zurück und mit ihnen die Gräber von zwei Männern Kaderes und einer ganzen Anzahl Aiel. Man hatte die Trollocs aus den Lagern geschleift und den Aasfressern überlassen, heulenden Biestern mit großen Ohren. Rand wußte nicht, ob das große Füchse seien oder kleine Hunde; sie hatten von beiden etwas an sich. Über ihnen kreisten Geier mit rotgeränderten Flügeln. Manche trauten sich noch nicht herunter, während andere bereits in einem Durcheinander von wirbelnden Schwingen neben ihrer Beute landeten.

»Nennt mich, wie Ihr wollt«, sagte Rand zu ihm.

»Mein Lord Drache, ich habe darüber nachgedacht, was Ihr gestern sagtet.« Kadere sah sich um, als fürchte er, belauscht zu werden, obwohl sich Aviendha bei den Weisen Frauen befand und die nächsten Ohren zu seiner eigenen Wagenkarawane gehörten, die mehr als fünfzig Schritt entfernt war. Er senkte trotzdem die Stimme zu einem Flüstern und wischte sich nervös das Gesicht ab. Dennoch änderte sich der Ausdruck seiner Augen überhaupt nicht. »Was Ihr sagtet in bezug auf den Wert des Wissens und daß gerade dies den Weg zum Ruhm ebnet. Es ist wahr.« Rand sah ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, an. Sein eigenes Gesicht blieb ausdruckslos. »Das habt Ihr gesagt und nicht ich«, sagte er schließlich.

»Na ja, vielleicht stimmt das. Aber es ist doch wahr, oder nicht, Lord Drache?« Rand nickte, und der Händler fuhr fort, immer noch im Flüsterton und nach wie vor wachsam nach Lauschern suchend: »Doch im Wissen kann auch eine Gefahr liegen. Wenn man mehr gibt, als man empfängt. Ein Mann, der Wissen und Kenntnisse verkauft, muß nicht nur seinen guten Preis dafür verlangen, nein, er muß sich auch absichern. Absichern gegen... Rückschläge. Seid Ihr nicht meiner Meinung?« »Habt Ihr Kenntnisse, die Ihr zu... verkaufen wünscht, Kadere?« Der massige Mann blickte seine Wagenkarawane finster an. Keille war von ihrem Wagen gesprungen und wollte wohl eine Weile nebenherlaufen, obwohl die Hitze ständig wuchs. Ihr fetter Körper war in Weiß gekleidet, und die Elfenbeinkämme in ihrem groben schwarzen Haar hielten einen weißen Spitzenschal fest. Immer wieder blickte sie zu den beiden Männern hinüber, die nebeneinander her ritten. Auf diese Entfernung war ihr Gesichtsausdruck nicht zu deuten. Es war schon eigenartig, daß sich jemand mit diesem Gewicht so leichtfüßig bewegte. Isendre war aus dem Wageninneren auf den Kutschbock des ersten Wagens geklettert und beobachtete sie ganz offen. Sie hielt sich fest, damit sie um die Ecke des weißgestrichenen Wagens nach ihnen ausschauen konnte, obwohl der Wagen schaukelte und ruckte.

»Diese Frau ist noch mein Tod«, knurrte Kadere. »Vielleicht können wir uns später weiter unterhalten Lord Drache, wenn es Euch gefällt.« Er rammte seine Stiefel in die Flanken des Maultiers, damit es zum ersten Wagen hinüber trottete, und dort angekommen, schwang er sich überraschend gelenkig auf den Kutschbock. Er band die Zügel des Maultiers an einen Eisenring an der Ecke des großen Wohnwagens. Dann verschwand er mit Isendre im Inneren und tauchte nicht mehr auf, bis sie am Abend anhielten, um ihr Lager für die Nacht aufzuschlagen.

Er kam am nächsten Tag wieder und an anderen Tagen, immer wenn er sah, daß Rand allein war, und immer deutete er etwas von Kenntnissen an, die er für einen guten Preis zu verkaufen bereit sei, wenn ihm die nötige Sicherheit geboten werde. Einmal verstieg er sich soweit, daß er sagte, alles, auch Mord, Verrat, eben einfach alles könne man vergeben, wenn man dafür Wissen erhält, und dann schien er sehr nervös zu werden, als Rand ihm nicht beipflichtete. Was er auch zu verkaufen suchte, offensichtlich wollte er Rands pauschalen Schutz für jede Untat, die er vielleicht einmal begangen hatte.

»Ich weiß nicht, ob ich überhaupt Informationen kaufen will«, sagte ihm Rand mehr als einmal. »Da ist immer die Frage des Preises, oder? Es gibt Preise, die ich nicht zu zahlen bereit bin.« An jenem ersten Abend, nachdem die Feuer entzündet waren und der Duft nach Essen sich zwischen den niedrigen Zelten ausbreitete, nahm Natael Rand beiseite. Der Gaukler schien beinahe genauso nervös zu sein wie Kadere. »Ich habe ziemlich viel über Euch nachgedacht«, sagte er und blickte Rand von der Seite her mit geneigtem Kopf an. »Ihr solltet ein grandioses Epos erhalten, um Eure Geschichte zu erzählen. Der Wiedergeborene Drache. Er, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt. Die Figur unzähliger Weissagungen in diesem Zeitalter und aus anderen.« Er zog seinen Umhang um sich zusammen. Die bunten Flicken flatterten im leichten Abendwind. Die Dämmerung dauerte in der Wüste nicht lang; Nacht und Kälte kamen schnell und Hand in Hand. »Was haltet Ihr von dem Schicksal, das man Euch prophezeit hat? Ich muß es wissen, wenn ich dieses Epos komponieren will.« »Was ich davon halte?« Rand blickte sich im Lager um. Die Jindo eilten geschäftig zwischen den Zelten umher. Wie viele von ihnen würden sterben, bevor sein Schicksal erfüllt war? »Müde. Ich bin es müde.« »Wohl kaum ein heldenhaftes Gefühl«, murmelte Natael. »Aber es war zu erwarten bei Eurem Schicksal. Die Welt lastet auf Euren Schultern, die meisten Leute würden Euch töten, hätten sie eine Möglichkeit dazu, und die übrigen sind Narren, die glauben, Euch benützen zu können, um Ruhm und Ehre zu erlangen.« »Zu welchen gehört Ihr, Natael?« »Ich? Ich bin nur ein einfacher Gaukler.« Der Mann hob einen Zipfel seines Flickenumhangs, als könne der alles bezeugen. »Ich würde um keinen Preis der Welt Euren Platz einnehmen wollen, nicht bei dem Schicksal, das Euch droht. Tod oder Wahnsinn oder beides. ›Sein Blut auf den Felsen des Shayol Ghul...‹ Das steht doch im Karaethon-Zyklus, den Prophezeiungen des Drachen, oder? Daß Ihr sterben müßt, um die Narren zu retten, die bei Eurem Tod einen Seufzer der Erleichterung loswerden. Nein. Trotz all Eurer Macht und allem anderen um Euch möchte ich nicht in Eurer Haut stecken.« »Rand«, sagte Egwene, die aus der sich vertiefenden Dunkelheit heraustrat, ihren hellen Umhang eng zusammengezogen und die Kapuze auf dem Kopf, »wir sind gekommen, um zu sehen, wie du dich nach deiner Heilbehandlung und einem Tag in dieser Hitze fühlst.« Moiraine war bei ihr, das Gesicht unter der weiten Kapuze ihres weißen Umhangs verborgen, und Bair und Amys, Melaine und Seana, die Köpfe mit dunklen Schals umwickelt, und alle beobachteten ihn, ruhig und kalt wie die Nacht. Sogar Egwene. Sie zeigte noch nicht die Alterslosigkeit der Aes Sedai, aber sie hatte bereits deren Blick.

Anfangs bemerkte er Aviendha gar nicht, die hinter den anderen ein Stückchen zurückgeblieben war. Dann, als er sie entdeckt hatte, glaubte er einen Moment lang, auf ihren Zügen etwas wie Anteilnahme zu erkennen, aber das verschwand, sobald sie seinen Blick bemerkte. Einbildung. Er war wirklich müde.

»Ein andermal«, sagte Natael, der wohl mit Rand sprach, aber auf seine seltsame Art die Frauen von der Seite her anschielte. »Wir sprechen ein andermal weiter.« Mit einer angedeuteten Verbeugung schritt er weg.

»Plagt Euch der Gedanke an die Zukunft, Rand?« sagte Moiraine leise, als der Gaukler weg war. »Prophezeiungen sind in blumigen Worten mit versteckter Bedeutung geschrieben. Sie bedeuten nicht immer das, was sie auf den ersten Blick auszusagen scheinen.« »Das Rad webt, wie das Rad es wünscht«, sagte er zu ihr. »Ich werde tun, was sein muß. Denkt daran, Moiraine. Ich werde tun, was sein muß.« Sie schien es zufrieden, doch bei Aes Sedai konnte man das schlecht sagen. Sie würde bestimmt nicht zufrieden sein, wüßte sie alles.

Natael kam am nächsten Abend wieder und am nächsten und am nächsten, und immer sprach er von dem Epos, das er komponieren wolle, aber dabei trat ein morbider Zug immer deutlicher hervor. Ständig bohrte er nach, wie Rand mit Problemen wie Wahnsinn und Tod fertigwerden wolle. Wie es schien, wollte er eine Tragödie komponieren. Rand verspürte aber keinerlei Lust, seine Ängste öffentlich zu diskutieren. Was er im Herzen und im Kopf trug, ging niemanden etwas an. Schließlich war der Gaukler es wohl müde, immer nur zu hören: »Ich werde tun, was sein muß«, und er kam nicht mehr. Es schien, er wolle sein Epos nicht komponieren, wenn er es nicht mit Schmerz und Qual füllen konnte. Der Mann wirkte frustriert, als er zum letztenmal mit wild hinterherflatterndem Umhang davonstolzierte.

Der Bursche war schon eigenartig, aber wenn man Thom Merrilin als Beispiel nahm, waren das wohl alle Gaukler. Natael zeigte eben andere typische Züge des Gauklerhandwerks. Zum Beispiel war er recht eingebildet. Rand war es gleich, ob der Mann ihn mit einem Titel anredete oder nicht, doch Rhuarc, und selbst Moiraine, soweit er mit ihr zusammen war, behandelte er, als seien sie Gleichgestellte. Das war ganz und gar dasselbe wie bei Thom. Und dann gab er es auf, den Jindo seine Künste zu zeigen, und verbrachte statt dessen den größten Teil seiner Abende bei den Shaido. Es gebe eben mehr Shaido hier, erklärte er Rhuarc gelassen, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Ein größeres Publikum. Das gefiel keinem der Jindo, aber selbst Rhuarc konnte nichts dagegen tun. Im Dreifachen Land durfte ein Gaukler sich so ziemlich alles erlauben, bis auf Mord, und kam damit davon.

Aviendha verbrachte ihre Nächte bei den Weisen Frauen und ging auch manchmal während des Tages eine Stunde oder länger mit ihnen. Dann wurde sie von allen in die Mitte genommen. Auch Moiraine und Egwene schlossen sich dem an. Zuerst glaubte Rand sie berieten sich darüber, wie sie ihn am besten in den Griff bekäme und ihm alles aus der Nase zöge, was sie von ihm wissen wollten. Dann, eines Tages, als die Sonne wie ein Ball geschmolzenen Metalls über ihnen hing, flimmerte plötzlich ein pferdegroßer Feuerball aus dem Nichts kommend vor der Gruppe auf und rollte schlingernd durch die Luft davon. Er brannte eine Furche in das dürre Land, bis er schließlich schrumpfte und verschwand.

Einige der Fahrer ließen ihre erschreckten, schnaubenden Tiere anhalten und standen auf, um zuzusehen. Sie machten sich gegenseitig darauf aufmerksam. In ihren Stimmen schwang eine Mischung von Furcht und Verwirrung mit, und ein paar fluchten hilflos. Durch die Kolonne der Jindo lief ein Murmeln, und dasselbe geschah bei den Shaido, doch beide Kolonnen marschierten ohne Pause weiter. Die eigentliche Aufregung war nur bei den Weisen Frauen zu erkennen. Die vier drängten sich um Aviendha und redeten alle auf einmal auf sie ein und fuchtelten wild mit den Armen. Moiraine und Egwene, die ihre Pferde am Zügel führten, bemühten sich offensichtlich, auch ein Wort einzuwerfen. Ohne etwas verstehen zu können, war Rand klar, daß Amys ihnen unmißverständlich mit wütend fuchtelndem Zeigefinger erklärte, sie sollten sich heraushalten.

Rand stand in den Steigbügeln und betrachtete die rußgeschwärzte Furche, die sich pfeilgerade über eine halbe Meile hinzog. Dann setzte er sich wieder in den Sattel. Sie brachten Aviendha also bei, die Macht zu gebrauchen. Klar. Das also wollten sie. Er wischte sich mit dem Handrücken Schweiß von der Stirn, der nicht von der Sonne herrührte. Als der Feuerball plötzlich dagewesen war, hatte er unwillkürlich nach der Wahren Quelle gegriffen. Es war, als wolle er Wasser mit einem zerrissenen Sieb schöpfen. Er hätte statt nach Saidin genausogut nach Luft greifen können. Das konnte ihm eines Tages auch passieren, wenn er die Macht dringend benötigte. Er mußte auch weiterlernen, doch er hatte keinen Lehrer. Er mußte nicht nur weiterlernen, weil die Arbeit mit der Macht ihn umbringen konnte, bevor er noch die Chance hatte, wahnsinnig zu werden, nein, er mußte mehr lernen, weil er die Macht gebrauchen mußte. Er mußte lernen, sie zu benützen, und er mußte sie benützen, um zu lernen. Er lachte so schallend los, daß die Jindo ganz nervös zu ihm herüberblickten.

Er hätte sich während dieser elf Tage und Nächte sehr über Mats Gesellschaft gefreut, doch Mat näherte sich ihm höchstens für ein oder zwei Minuten. Er hatte immer die breite Krempe seines flachen Huts heruntergezogen, um seinen Augen Schatten zu spenden. Der Speer mit dem schwarzen Schaft lag quer über Pips' Sattel, so daß man deutlich die mit Raben gezeichnete, mit Hilfe der Macht gefertigte gekrümmte Schwertklinge sah, die ihm als Spitze diente.

»Wenn dein Gesicht von der Sonne noch etwas brauner wird, dann wirst du tatsächlich noch zum Aielmann«, sagte er gelegentlich lachend, oder: »Willst du den Rest deines Lebens hier verbringen? Es liegt noch eine ganze Welt jenseits der Drachenmauer. Wein? Frauen? Erinnerst du dich noch an solche Dinge?« Aber Mat wirkte dabei eindeutig nervös, und er zögerte noch mehr als die Weisen Frauen, wenn er von Rhuidean sprechen sollte und was dort mit ihm geschehen sei. Bei der bloßen Erwähnung der in Nebel gehüllten Stadt verkrampfte sich sein Griff um den schwarzen Speerschaft, und er behauptete, sich an nichts während seines Gangs durch den Ter'Angreal zu erinnern, und dann widersprach er sich wieder, indem er zu Rand sagte: »Bleib von diesem Ding weg, Rand. Es ist dem im Stein überhaupt nicht ähnlich. Sie betrügen. Seng mich, ich wünschte, ich hätte es nie gesehen!« Beim einzigenmal, als Rand die Alte Sprache erwähnte, fauchte er: »Verdammt noch mal, ich weiß nichts über die verfluchte Alte Sprache!« Und damit galoppierte er geradewegs zu den Händlerwagen zurück.

Dort verbrachte Mat gewöhnlich seine Zeit. Er würfelte mit den Fahrern, bis ihnen klar wurde, daß er viel öfter gewann als verlor, gleich, wessen Würfel er benützte. Bei jeder Gelegenheit verwickelte er Kadere oder Natael in lange Gespräche und war hinter Isendre her. Es war klar, was er im Sinn hatte, als er sie zum erstenmal angrinste und seinen Hut zurechtschob. Das war am Morgen nach dem Angriff der Trollocs gewesen. Er unterhielt sich mit ihr fast jeden Abend, solange es nur ging, und er stach sich derart in die Finger, als er ihr weiße Blüten von einem Dornbusch pflückte, daß er zwei Tage lang kaum die Zügel halten konnte. Er weigerte sich aber, sich von Moiraine behandeln zu lassen. Isendre ermutigte ihn nicht gerade, aber ihr ruhiges, herausforderndes Lächeln war auch nicht geeignet, ihn von ihr fernzuhalten. Kadere sah zu und sagte kein Wort dazu, obwohl sein Blick manchmal Mat folgte wie der eines Geiers. Andere machten allerdings Bemerkungen darüber.

An einem Spätnachmittag, als gerade die Maultiere ausgespannt wurden und Rand Jeade'en absattelte, stand Mat mit Isendre im dünnen Schatten eines der Planwagen.

Sie standen sehr nahe beieinander. Rand schüttelte den Kopf und beobachtete die beiden, während er den Apfelschimmel abrieb. Die Sonne glühte ein kurzes Stück über dem Horizont, und die langen Schatten von den hohen Felssäulen fielen über das Lager.

Isendre machte an ihrem durchscheinenden Schal herum, als denke sie gelangweilt daran, ihn abzunehmen, und sie lächelte mit gespitzten, vollen Lippen. Ermutigt grinste Mat selbstbewußt und rückte noch näher. Sie ließ ihre Hand sinken und schüttelte bedächtig den Kopf, doch dieses einladende Lächeln blieb. Keiner von beiden hörte, wie Keille herankam, leichtfüßig, trotz ihres Gewichts.

»Ist es das, was Ihr wünscht, guter Herr? Sie?« Beim Erklingen dieser einschmeichelnden Stimme fuhren die beiden auseinander, und das perlendes Lachen Keilles stand im Gegensatz zu ihrem Mienenspiel. »Ein Sonderangebot für Euch, Matrim Cauthon: Eine Mark aus Tar Valon, und sie gehört Euch. Eine Schlampe wie sie kann nicht mehr als zwei Mark wert sein, also ist das doch ein gutes Sonderangebot.« Mat verzog das Gesicht und sah aus, als wäre er lieber überall sonst, nur nicht hier. Isendre allerdings wandte sich langsam Keille zu, wie eine Bergkatze, die einem Bären gegenübersteht. »Ihr geht zu weit, alte Frau«, sagte sie leise mit harten Augen über dem Schleier. »Ich werde mir Eure böse Zunge nicht mehr bieten lassen. Nehmt Euch in acht. Vielleicht bleibt Ihr ja auch lieber hier in der Wüste?« Keille lächelte breit, doch in ihren Augen, die über ihren fetten Wangen blitzten, lag keinerlei Belustigung. »Würdet Ihr lieber hierbleiben?« Isendre nickte entschlossen und sagte: »Eine Mark aus Tar Valon.« Ihre Stimme klang hart wie Eisen. »Ich werde dafür sorgen, daß Ihr eine Mark aus Tar Valon bekommt, wenn wir Euch verlassen. Ich wünschte nur, ich könnte Euch beobachten, wenn Ihr versucht, sie zu trinken.« Damit wandte sie ihr den Rücken zu und schritt zum Führungswagen. Diesmal fehlte ihrem Gang der verführerische Schwung. Sie verschwand im Inneren.

Keille beobachtete sie mit ausdruckslosem rundem Gesicht, bis sich die weiße Tür geschlossen hatte, und dann fuhr sie plötzlich Mat an, der versuchte, unbemerkt davonzuschlüpfen: »Nur wenige Männer haben mir je ein Angebot ausgeschlagen, und schon gar nicht zweimal. Ihr solltet Euch in acht nehmen, daß ich es Euch nicht krumm nehme.« Lachend streckte sie die Hand aus und kniff ihn mit dicken Fingern in die Wange, hart genug, daß er zuckte, und dann wandte sie sich in Rands Richtung. »Sagt es ihm, mein Lord Drache. Ich habe das Gefühl, Ihr wißt etwas von den Gefahren, eine Frau zu mißachten. Dieses Aielmädchen das Euch immer mit bösem Blick hinterherläuft. Wie ich hörte, gehört Ihr einer anderen an. Vielleicht fühlt sie sich auch mißachtet.« »Das bezweifle ich, gute Frau«, sagte er trocken. »Aviendha würde mir ein Messer zwischen die Rippen rennen, wenn sie glaubte, ich dächte so über sie.« Die massige Frau lachte schallend. Mat zuckte zurück, als sie die Hand wieder nach ihm ausstreckte doch sie tätschelte lediglich die Wange, in die sie vorher gekniffen hatte. »Seht Ihr, guter Herr? Mißachtet das Angebot einer Frau, und vielleicht denkt sie sich nichts dabei, vielleicht aber« — sie fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Hals —»gebraucht sie das Messer. Diese Lektion kann sich jeder Mann zu Herzen nehmen. Nicht wahr, mein Lord Drache?« Sie lachte pfeifend und eilte fort, um die Männer zu schelten, die sich um die Maultiere kümmerten.

Mat rieb sich die Wange und knurrte: »Die spinnen doch alle«, bevor auch er ging. Aber er lief trotzdem Isendre weiter hinterher.

Und so ging es weiter, elf Tage lang und in den zwölften hinein, über ein unfruchtbares, durchgebackenes Land. Zweimal sahen sie andere Außenposten, rohe Steingebäude ähnliche wie am Imre, die zur besseren Verteidigung an die Steilwand einer Felsnadel oder einer Spitzkuppe angebaut waren. Bei einem standen dreihundert oder mehr Schafe und dazu Männer, die genauso überrascht waren, von Rand zu erfahren, wie über die Tatsache, daß Trollocs im Dreifachen Land gewesen waren. Das andere war leer, nicht überfallen, sondern einfach unbenutzt. Mehrmals erspähte Rand Ziegen oder Schafe oder fahle Langhornrinder in einiger Entfernung. Aviendha sagte, die Herden gehörten zu in der Nähe gelegenen Septimenfestungen, aber er sah keine Menschen und bestimmt kein Gebäude, das die Bezeichnung Festung verdient gehabt hätte. Der zwölfte Tag: die dicken Kolonnen der Jindo und der Shaido flankierten den Zug der Weisen Frauen; der Wagenzug der Händler rumpelte mit; Keille und Natael stritten sich und Isendre beobachtete Rand vom Schoß Kaderes aus.

»... und so ist es also«, sagte Aviendha und nickte in sich hinein. »Jetzt versteht Ihr bestimmt, wie das mit einer Dachherrin ist.« »Na ja, eigentlich nicht«, gab Rand zu. Ihm war bewußtgeworden, daß er eine ganze Weile lang nur dem Klang ihrer Stimme, aber nicht ihren Worten gelauscht hatte. »Ich bin aber sicher, daß es gut funktioniert.« Sie knurrte ihn an: »Wenn Ihr einmal heiratet«, sagte sie dann mit gepreßter Stimme, »und die Drachen auf Euren Armen Eure Herkunft beweisen, werdet Ihr dann dieser Herkunft folgen, oder werdet Ihr alles bis auf das Kleid Eurer Frau als Euer Eigentum verlangen, wie so ein Wilder aus den Feuchtländern?« »Das ist keineswegs so, wie Ihr behauptet«, protestierte er, »und dort, wo ich herkomme, würde jede Frau einem Mann den Schädel einschlagen, der sie so behandelte. Und außerdem, glaubt Ihr nicht, das sollte zwischen mir und der Frau geregelt werden, die ich wirklich einmal heiraten will?« Wenn überhaupt, dann schmollte sie jetzt noch mehr als vorher.

Zu seiner Erleichterung kam Rhuarc jetzt von seinem Platz an der Spitze der Jindo-Kolonne zu ihm zurückgetrabt. »Wir sind da«, verkündete der Aielmann lächelnd. »Die Kaltfelsenfestung.«

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