14 Die Bräuche in Mayene...

Perrin schüttelte den Kopf, als sich die Tür hinter Mat schloß. Mat würde sich noch eher mit einem Hammer auf den eigenen Kopf schlagen, als zu den Zwei Flüssen zurückkehren. Nicht, solange er eben nicht mußte. Perrin wünschte, er könne auch einen Weg finden, die Heimkehr zu vermeiden. Aber es gab keinen. Das war eine unverrückbare Tatsache. Der Unterschied zwischen Mat und ihm lag darin, daß er bereit war, es zu akzeptieren, auch wenn es ihm widerstrebte.

Als er sein Hemd über den Kopf zog, stöhnte er auf, obwohl er vorsichtig gewesen war. Seine gesamte linke Schulter war ein einziger blauer Fleck, der mittlerweile allerdings eher braun und gelb aussah. Ein Trolloc hatte sich innerhalb der Reichweite seiner Axt verirrt, und nur Failes schneller Messerstich hatte ihn vor schlimmerem bewahrt. So schmerzte es ziemlich beim Waschen, aber es gab ja in Tear sowieso kaum kaltes Wasser.

Er hatte fertig gepackt und war reisefertig. Nur eine Garnitur Wäsche und Oberbekleidung hatte er zum Umziehen am Morgen draußengelassen. Sobald die Sonne aufging, würde er Loial suchen. Es hatte kaum Zweck, den Ogier noch in der Nacht aufzustöbern. Wahrscheinlich lag er schon im Bett, und dort wollte sich Perrin auch bald befinden. Faile stellte das einzige Problem dar, für das er noch keine Lösung gefunden hatte. Aber selbst in Tear zu bleiben wäre für sie noch sicherer, als mit ihm zu gehen.

Die Tür öffnete sich überraschend. Parfumduft breitete sich aus, sobald die Tür auch nur einen Spalt offenstand. Der Duft erinnerte ihn an Wickenblüten in einer heißen Sommernacht. Er war erregend, obwohl er nicht zu schwer war und nur auf ihn wirkte. Faile würde dieses Parfum aber nicht benützen. Doch dann war er noch überraschter, als Berelain in sein Zimmer trat.

Sie hielt sich an der Türkante fest und blinzelte, was ihm bewußtmachte, wie trüb ihr die Beleuchtung vorkommen mußte. »Ihr wollt verreisen?« fragte sie zögernd. Der Schein der Lampen im Flur beleuchtete sie von hinten her, und es fiel ihm schwer, sie nicht auffällig anzustarren.

»Ja, Lady Berelain.« Er verbeugte sich ein wenig tolpatschig, aber so gut er konnte. Faile mochte ja empört schnauben, wenn er Berelain erwähnte, doch er hatte keinen Grund, unhöflich zu sein. »Morgen früh.« »Ich auch.« Sie schloß die Tür und verschränkte die Arme unter dem Busen. Er sah weg und beobachtete sie nur aus dem Augenwinkel, damit sie nicht glaubte, er wolle ihren Körper anstarren. Sie fuhr fort, ohne auf seine Reaktion zu achten. Die Flamme der einzigen Kerze im Zimmer spiegelte sich in ihren Augen. »Nach diesem Abend... Morgen reise ich per Kutsche nach Godan und von dort aus mit dem Schiff nach Mayene. Ich hätte schon vor Tagen abreisen sollen, aber ich hoffte immer, es gebe eine Möglichkeit, alles zu bereinigen. Aber natürlich gab es keine. Das hätte ich vorher wissen müssen. Der heutige Abend hat es mir aber klargemacht. So, wie er... All diese Blitze, die durch die Gänge zuckten. Ich werde morgen abreisen.« »Lady Berelain«, sagte Perrin verwirrt, »warum erzählt Ihr mir das alles?« Die Art, wie sie das Haar nach hinten warf, erinnerte ihn an eine Stute, die er in Emondsfeld manchmal beschlagen hatte. Die biß auch nur zu gern kräftig zu. »Damit Ihr es dem Lord Drachen mitteilen könnt, natürlich.« Das ergab für ihn auch keinen Sinn. »Das könnt Ihr ihm doch selber sagen«, entgegnete er ziemlich frustriert. »Ich habe keine Zeit, um Botschaften zu überbringen, bevor ich weg muß.« »Ich... glaube nicht, daß er mich sehen möchte.« Jeder Mann würde sie nur zu gern sehen, denn sie war ausgesprochen schön, und das war ihr auch durchaus bewußt. Er glaubte aber, sie habe eigentlich etwas anderes sagen wollen. War sie so verängstigt durch die Geschehnisse in Rands Schlafzimmer an jenem Abend? Oder durch den Angriff und die Art, wie Rand ihn unterbunden hatte? Vielleicht, aber sie war keine Frau, der man so leicht Angst einjagen konnte. Sie musterte ihn jetzt auch ganz kühl und gelassen. »Gebt Eure Botschaft einem Diener. Ich bezweifle, daß ich Rand noch einmal sehen werde. Nicht vor meiner Abreise. Jeder Diener wird ein Schreiben von Euch überbringen.« »Es wäre besser, er erführe es von Euch, einem Freund... « »Gebt es einem Diener. Oder einem der Aiel.« »Ihr erfüllt meinen Wunsch nicht?« fragte sie ungläubig.

»Nein. Habt Ihr mir nicht zugehört?« Sie warf den Kopf wieder zurück, aber diesmal irgendwie anders, nur, daß er den Unterschied nicht definieren konnte. Sie musterte ihn nachdenklich und murmelte in sich hinein: »Welch außergewöhnliche Augen.« »Was?« Mit einem Mal wurde ihm bewußt, daß er mit nacktem Oberkörper dastand. Ihre intensive Musterung erschien ihm plötzlich wie das Beschauen eines Pferdes vor dem Kauf. Als nächstes würde sie wahrscheinlich seine Fesseln befühlen und sein Gebiß betrachten. Er schnappte sich das für den Morgen bereitgelegte Hemd vom Bett und zog es sich über den Kopf. »Gebt Eure Botschaft einem Diener. Ich will jetzt ins Bett gehen. Ich muß früh aufstehen. Noch vor Sonnenaufgang.« »Wo wollt Ihr morgen hin?« »Nach Hause. Zu den Zwei Flüssen. Es ist schon spät. Wenn Ihr morgen auch aufbrechen wollt, müßt Ihr wohl ebenfalls ein wenig schlafen. Ich weiß jedenfalls, wie müde ich bin.« Er gähnte betont.

Sie machte immer noch keine Anstalten zu gehen. »Ihr seid Schmied von Beruf? Ich könnte in Mayene einen guten Schmied gebrauchen, um Eisenornamente herzustellen. Ein kurzer Aufenthalt, bevor Ihr zu den Zwei Flüssen zurückkehrt? Ihr würdet Mayene... unterhaltsam finden.« »Ich gehe nach Hause«, sagte er ihr entschlossen, »und Ihr geht jetzt zurück in Eure Gemächer.« Sie zuckte die Achseln ganz kurz, und er sah schnell zur Seite. »Vielleicht ein andermal dann. Ich bekomme am Ende immer, was ich will. Und ich glaube schon, daß ich... « Sie hielt inne und musterte ihn noch einmal von oben bis unten. »... kunstvolle Eisengitter für meine Schlafzimmerfenster haben will.« Sie lächelte so unschuldig, daß in seinem Kopf Alarmglocken zu dröhnen begannen.

Die Tür öffnete sich wieder, und Faile trat ein. »Perrin, ich ging in die Stadt, um nach dir zu suchen, und dort hörte ich ein Gerücht...« Sie blieb plötzlich stocksteif stehen und sah Berelain mit hartem Blick an.

Die Erste ignorierte sie. Sie trat ganz nahe an Perrin heran und strich mit der Hand seinen Arm hoch und über seine Schulter. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, sie wolle seinen Kopf herunterziehen und ihn küssen. Sie hob ihm sogar das Gesicht entgegen. Doch dann streichelte sie lediglich seinen Hals ganz kurz und trat wieder zurück. Es war schon vorbei, bevor er sich rühren und sie abwehren konnte. »Denkt daran«, sagte sie leise, als seien sie allein im Zimmer, »ich bekomme immer, was ich will.« Und damit rauschte sie an Faile vorbei aus dem Zimmer.

Er wartete darauf, daß Faile explodierte, doch sie sah nur die gepackten Satteltaschen auf seinem Bett an und sagte: »Ich sehe, daß du dieses Gerücht bereits kennst. Aber es ist wirklich nur ein Gerücht, Perrin.« »Durch die gelben Augen wird es zu mehr als einem Gerücht.« Sie hätte eigentlich explodieren müssen wie ein Bündel trockenen Reisigs, das man ins Feuer wirft. Warum verhielt sie sich so kühl? »Na gut, das nächste Problem stellt dann Moiraine dar. Wird sie versuchen, dich aufzuhalten?« »Nicht, wenn sie es nicht weiß. Aber wenn sie es versucht, gehe ich trotzdem. Ich habe eine Familie und Freunde, Faile. Die überlasse ich nicht den Weißmänteln. Doch ich hoffe, ich kann es vor ihr geheimhalten, bis ich weit weg von hier bin.« Sogar ihr Blick war gelassen und ihre Augen wirkten wie dunkle Seen im Wald. Ihm sträubten sich die Nackenhaare.

»Aber es hat sicher Wochen gedauert, bis dieses Gerücht Tear erreichte, und es wird wiederum Wochen dauern, zu den Zwei Flüssen zu reiten. Bis dahin sind die Weißmäntel vermutlich wieder weg. Na ja, ich wollte ja, daß du hier weggehst. Also darf ich mich nicht beklagen. Ich will nur, daß du dir darüber klar bist, was dich erwartet.« »Durch die Kurzen Wege wird es keine Wochen dauern«, sagte er zu ihr. »Zwei Tage, vielleicht auch drei.« Zwei Tage. Er glaubte nicht, daß es noch schneller zu bewältigen sei.

»Du bist genauso verrückt wie Rand al'Thor«, sagte sie ungläubig. Sie ließ sich auf das Fußende seines Bettes fallen und schlug die Beine übereinander. Dann sprach sie in einem Tonfall mit ihm, wie man ein Kind belehrt: »Geh durch die Kurzen Wege, und du kommst hoffnungslos wahnsinnig wieder heraus. Falls du überhaupt wieder herauskommst, und es ist auch viel wahrscheinlicher, daß du drinnen bleibst. Die Wege sind vom Verderben des Dunklen Königs gezeichnet, Perrin. Dort herrscht seit —wie lange ist das schon? — dreihundert oder vierhundert Jahren Dunkelheit. Frage Loial. Er kann es dir sagen. Es waren die Ogier, die sie erbaut haben oder gezüchtet — was auch immer. Nicht einmal sie benützen die Wege. Und selbst, wenn du es schaffst, unbeschadet durchzukommen, weiß das Licht allein, wo du herauskommen wirst.« »Ich bin bereits durch die Kurzen Wege gereist, Faile.« Und das war ein furchterregendes Abenteuer gewesen. »Loial kann mich führen. Er kann die Wegweiser lesen; so sind wir früher schon durchgekommen. Er wird das wieder für mich tun, wenn er weiß, wie wichtig es ist.« Loial wollte auch endlich aus Tear weg. Er schien zu fürchten, seine Mutter wisse, wo er war. Perrin war sicher, daß er helfen würde.

»Na ja«, sagte sie und rieb sich energisch die Hände. »Na ja. Ich wünschte mir ja Abenteuer, und das ist wohl auch eines. Den Stein von Tear und den Wiedergeborenen Drachen zurücklassen, durch die Kurzen Wege zu gehen, um gegen Weißmäntel zu kämpfen. Ich frage mich, ob wir Thom Merrilin dazu überreden können, mitzukommen. Wenn wir schon keinen Barden mitbringen, dann doch wenigstens einen Gaukler. Er könnte die Geschichte verfassen und die Begleitmusik komponieren, aber natürlich stünden du und ich im Mittelpunkt. Kein Wiedergeborener Drache und keine Aes Sedai, die den ganzen Ruhm einheimsen. Wann reiten wir los? Am Morgen?« Er holte tief Luft, damit seine Stimme ruhiger klang. »Ich gehe allein, Faile. Nur Loial und ich.« »Wir werden ein Packpferd brauchen«, bemerkte sie, als habe er nichts gesagt. »Zwei sogar, glaube ich. In den Wegen ist es dunkel. Wir brauchen Laternen und eine Menge Öl. Deine Leute von den Zwei Flüssen. Bauern? Werden sie gegen die Weißmäntel kämpfen?« »Faile, ich sagte... « »Ich hörte, was du gesagt hast«, fauchte sie. Im flackernden Schatten wirkte sie gefährlich mit ihren schräg stehenden Augen und den hohen Backenknochen. »Ich habe es gehört, und es ist sinnlos. Was ist, wenn diese Bauern nicht kämpfen wollen? Oder nicht wissen, wie? Wer wird es ihnen beibringen? Du? Allein?« »Ich werde tun, was sein muß«, sagte er geduldig.

»Ohne dich.« Sie sprang so schnell auf, daß er schon glaubte, sie wolle ihm an die Kehle fahren. »Glaubst du etwa, Berelain kommt mit dir? Wird sie dir den Rücken decken? Oder vielleicht hättest du es lieber, wenn sie auf deinem Schoß sitzt und quiekt? Steck dein Hemd in die Hose, du haariger Ochse! Muß es eigentlich hier drinnen so dunkel sein? Berelain gefällt gedämpftes Licht, oder? Sie wird dir bestimmt eine tolle Hilfe gegen die Kinder des Lichts sein!« Perrin öffnete den Mund, um zu protestieren, und dann sagte er etwas ganz anderes, als er auf der Zunge gehabt hatte. »Sie sieht doch ganz kuschelig aus, Berelain. Welcher Mann hätte sie nicht gern auf dem Schoß?« Der Schmerz, der sich auf ihren Gesichtszügen breitmachte, zog ihm die Brust wie mit einem Eisenring zusammen, aber er zwang sich zum Weitersprechen. »Wenn ich zu Hause fertig bin, gehe ich vielleicht mal nach Mayene. Sie hat mich gebeten, zu kommen, na ja, und vielleicht tue ich das.« Faile sagte kein Wort. Sie sah ihn mit versteinerter Miene an, wirbelte dann herum und stürmte hinaus. Die Tür knallte wie eine Explosion hinter ihr zu.

Unwillkürlich wollte er ihr hinterherlaufen, doch dann blieb er stehen. Seine Hände hatten den Türrahmen so fest gepackt, daß seine Finger schmerzten. Er starrte den gesplitterten Spalt in der Türfüllung an, den seine Axt verursacht hatte, und ertappte sich dabei, daß er der Tür erzählte, was er bei ihr nicht herausgebracht hatte. »Ich habe Weißmäntel getötet. Sie hätten mich sonst umgebracht, aber sie nennen es trotzdem Mord. Ich gehe heim, um zu sterben, Faile. Das ist das einzige, womit ich sie daran hindern kann, meinen Freunden und Verwandten etwas anzutun. Laßt sie mich doch aufhängen. Ich kann dir das aber nicht zumuten und will dich nicht dabeihaben. Das geht nicht. Du würdest vielleicht versuchen, mich zu retten, und dann würden sie... « Er ließ seinen Kopf an die Tür sinken. Jetzt würde sie ihm keine Träne mehr nachweinen, und nur das zählte. Sie würde weggehen und irgendwo anders ein Abenteuer erleben, aber vor den Weißmänteln und Ta'veren und Blasen des Bösen sicher. Nur das war wichtig. Er verwünschte dieses Gefühl, vor Kummer heulen zu wollen.

Faile schritt im Eiltempo durch die Gänge des Steins und bemerkte überhaupt nicht, an wem sie vorbeilief oder wer schnell beiseite treten mußte, um sie vorbeizulassen. Perrin. Berelain. Perrin. Berelain. Er will eine milchgesichtige Nymphe, die halbnackt herumläuft, ja? Er weiß überhaupt nicht, was er will. Haariger Ochse! Holzköpfiger Narr! Schmied! Und diese schleichende Sau Berelain! Diese tänzelnde Ziege!

Ihr war gar nicht bewußt, wohin sie ging, bis sie vor sich Berelain sah, die in diesem Kleid einherrauschte, das nichts der Phantasie überließ. Sie ließ ihren Hintern beim Gehen derart wackeln, daß klar war: Sie wollte erreichen, daß den Männern die Augen aus dem Kopf fielen. Bevor Faile selbst wußte, was sie tat, hatte sie schon Berelain überholt und drehte sich zu ihr um. An einer Kreuzung zweier Gänge standen sich die beiden gegenüber.

»Perrin Aybara gehört mir«, fauchte sie. »Laß ja deine Hände und dein Lächeln von ihm!« Sie errötete bis zum Haaransatz bei ihren eigenen Worten. Sie hatte sich einst vorgenommen, niemals so etwas zu tun, niemals wie ein Bauernmädchen, das mit Burschen im Heu herumlümmelt, um einen Mann zu kämpfen.

Berelain zog kühl eine Augenbraue hoch. »Gehört Euch? Seltsam. Ich habe nicht bemerkt, daß er ein Halsband trägt. Ihr Dienstmägde — oder seid Ihr eine Bauerntochter? — habt auch die eigenartigsten Flausen im Kopf.« »Dienstmagd? Bauernmädchen? Ich bin...« Faile biß sich auf die Zunge, um nicht so weiterzutoben. Die Erste von Mayene — ha! In Saldaea gab es Güter, die größer waren als ganz Mayene. Am Hof von Saldaea würde die es keine Woche aushalten. Konnte sie Gedichte rezitieren, während sie mit ihrem Falken auf der Beiz war? Konnte sie den ganzen Tag über auf Jagd ausreiten und dann am Abend noch Zither spielen, während sie mit den anderen darüber diskutierte, was man gegen die Trolloc-Überfälle unternehmen solle? Sie glaubte vielleicht, sie kenne die Männer! Kannte sie die Sprache der Fächer? Konnte sie einem Mann mitteilen, er solle kommen oder gehen oder bleiben und hundert andere Dinge, nur, indem sie ihr Handgelenk leicht drehte und den Spitzenfächer auf die richtige Art bewegte? Das Licht leuchte mir, was ist nur mit mir los? Ich habe geschworen, ich würde nie mehr einen Fächer in die Hand nehmen! Aber es gab noch andere Bräuche in Saldaea. Sie blickte überrascht das Messer in ihrer eigenen Hand an. Man hatte sie gelehrt, nur dann ein Messer zu ziehen, wenn sie es auch anwenden wollte. »Die Bauernmädchen in Saldaea haben ihre eigene Art, wie sie mit Frauen umgehen, die anderen die Männer stehlen wollen. Wenn Ihr nicht schwört, die Finger von Perrin Aybara zu lassen, rasiere ich Euch den Kopf so kahl wie ein Ei. Vielleicht laufen Euch dann die Jungen aus dem Hühnerhof nach!« Sie wußte kaum, wie ihr geschah und wie Berelain ihr Handgelenk gepackt hatte, aber mit einem Mal flog sie durch die Luft. Als der Fußboden gegen ihren Rücken knallte, blieb ihr erst einmal die Luft weg.

Berelain stand lächelnd da und klopfte sich mit Failes Messerklinge auf die Handfläche. »Ein Brauch aus Mayene. Die Tairener schicken öfters mal Attentäter, und es sind nicht immer Wachen zur Hand. Ich hasse es, angegriffen zu werden, Bauernmädchen, also werde ich folgendes tun: Ich werde Euch diesen Schmied wegnehmen und ihn als Haustier halten, bis ich genug von ihm habe. Darauf schwöre ich Euch einen Ogiereid, Bauernmädchen. Er ist ja wirklich durchaus anziehend — diese Schultern, diese Arme, ganz zu schweigen von seinen Augen —, und wenn er jetzt noch ein wenig unzivilisiert ist, läßt sich das ja ändern. Bei meinem Hofstaat wird er lernen, sich richtig anzuziehen, und er wird diesen schrecklichen Bart loswerden. Wohin immer er auch geht, ich werde ihn finden und er wird mein sein. Ihr könnt ihn haben, wenn ich mit ihm fertig bin. Falls er Euch dann noch will, versteht sich.« Als sie endlich wieder atmen konnte, rappelte Faile sich hoch und zog ein zweites Messer. »Ich werde Euch zu ihm schleifen, nachdem ich Euch dieses Kleid vom Leib geschnitten habe, das Ihr beinahe tragt, und dann werdet Ihr ihm sagen, daß Ihr nichts anderes als eine Sau seid!« Licht, hilf mir! Ich benehme mich tatsächlich wie ein Bauernmädchen und rede sogar wie eins! Das schlimmste daran war, daß sie jedes Wort ernst meinte.

Berelain stand kampfbereit da. Offensichtlich wollte sie ihre Hände benützen und nicht das Messer. Sie hielt es wie einen Fächer. Faile stand locker auf den Ballen und wollte sich ihr nähern.

Plötzlich jedoch befand sich Rhuarc zwischen ihnen. Er ragte über ihnen auf und schnappte sich beide Messer, bevor die Frauen seiner richtig gewahr wurden. »Habt Ihr heute etwa noch nicht genug Blut gesehen?« sagte er mit kalter Stimme. »Von allen, bei denen ich glaubte, sie würden vielleicht einmal den Frieden stören, wärt Ihr beiden die letzten gewesen.« Faile starrte ihn mit offenem Mund an. Dann wirbelte sie ohne Vorwarnung herum und knallte Rhuarc die Faust in die kurzen Rippen. Dort würde es auch der härteste Mann spüren.

Er schien sich zu bewegen, ohne sie überhaupt ansehen zu müssen. Er packte ihre Hand und drehte ihr den Arm blitzschnell herum. Mit einemmal stand sie hoch aufgerichtet da und hoffte nur, er werde ihren Arm nicht noch höher drücken und vielleicht ausrenken.

Als sei nichts geschehen, wandte er sich Berelain zu: »Ihr werdet in Euer Zimmer gehen und nicht mehr herauskommen, bis die Sonne über dem Horizont steht. Ich werde dafür sorgen, daß man Euch kein Frühstück bringt. Ein wenig Hunger wird Euch daran erinnern, daß es auch für einen Kampf den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort gibt.« Berelain richtete sich indigniert auf. »Ich bin die Erste von Mayene. Niemand gibt mir Befehle wie... « »Ihr begebt Euch in Euer Zimmer. Jetzt sofort«, erklärte ihr Rhuarc nachdrücklich. Faile fragte sich, ob sie ihn treten solle. Dabei mußte sie sich angespannt haben, denn kaum hatte sie diesen Gedanken im Kopf, verstärkte er den Druck auf ihr Handgelenk und sie stand auf Zehenspitzen da. »Wenn nicht«, fuhr er zu Berelain gewandt fort, »werden wir unser erstes Gespräch noch einmal wiederholen, Ihr und ich. Gleich hier.« Berelains Gesicht wurde abwechselnd rot und kreidebleich. »Also gut«, sagte sie steif. »Wenn Ihr darauf besteht, werde ich vielleicht... « »Ich habe keine Diskussion vorgeschlagen. Wenn ich Euch immer noch hier erblicke, nachdem ich bis drei gezählt habe... Eins.« Berelain schnappte nach Luft, raffte ihren Rock hoch und rannte los. Selbst dabei schaffte sie es, ihren Hintern graziös zu schwenken.

Faile sah ihr verblüfft nach. Der Anblick war es beinahe wert, daß ihr der Arm fast ausgerenkt wurde. Auch Rhuarc blickte Berelain hinterher. Er verzog die Lippen zu einem leichten, anerkennenden Lächeln.

»Wollt Ihr mich die ganze Nacht hier festhalten?« fragte sie. Er ließ sie los und steckte ihre Messer in seinen Gürtel. »Aber die gehören mir!« »Nicht mehr«, sagte er. »Berelains Strafe für Euren Kampf war, daß Ihr sie gesehen habt, wie ich sie wie ein ungezogenes Kind ins Bett geschickt habe. Eure Strafe ist, diese Messer zu verlieren, die Ihr so schätzt. Ich weiß, daß Ihr noch andere habt. Wenn Ihr widersprecht, nehme ich Euch die vielleicht auch noch ab. Ich werde nicht zulassen, daß jemand hier den Frieden noch einmal stört.« Sie funkelte ihn an, war aber sicher, daß er tun würde, was er angekündigt hatte. Diese Messer hatte ein Mann für sie angefertigt, der ein Meister seines Fachs war. Sie waren genau richtig ausbalanciert. »Welches ›erste Gespräch‹ habt Ihr denn mit ihr geführt? Warum ist sie wie angestochen weggerannt?« »Das ist eine Sache zwischen ihr und mir. Ihr werdet ihr nicht mehr nahe kommen, Faile. Ich glaube nicht, daß sie mit diesem Streit angefangen hat. Ihre Waffen sind keine Messer. Falls eine von euch noch mal Schwierigkeiten macht, werde ich Euch künftig den Müll schleppen lassen. Ein paar der Tairener hatten geglaubt, sie könnten weiter ihre Privatduelle austragen, nachdem ich an diesem Ort den Hausfrieden verkündet hatte, aber der Gestank der Müllkarren und der Sickergruben hinter den Toiletten hat sie schnell eines besseren belehrt. Geht sicher, daß Ihr nicht auf die gleiche Art lernen müßt.« Sie wartete, bis er weg war, und dann rieb sie sich die schmerzende Schulter. Er erinnerte sie an ihren Vater. Nicht, daß ihr Vater ihr jemals den Arm umgedreht hatte, aber auch er hatte wenig Geduld mit Leuten, die Schwierigkeiten machten, gleich, welchen Standes sie waren, und niemand konnte ihn je überraschen. Sie fragte sich, ob sie Berelain irgendwie provozieren könne, damit sie erlebte, wie die Erste von Mayene zwischen den Müllkarren ins Schwitzen kam. Aber Rhuarc hatte sie beide gemeint. Ihr Vater tat auch immer das, was er angedroht hatte. Berelain. Etwas, das Berelain gesagt hatte, war ihr im Hinterkopf geblieben. Ogiereid. Das war es. Ein Ogier brach niemals einen Eid. Wenn man von einem Eidbrecher bei den Ogiern sprach, war das dasselbe, als spreche man von einem ›tapferen Feigling‹ oder einem ›klugen Narren‹.

Sie konnte sich nicht helfen: Sie mußte laut lachen. »Du wirst ihn mir wegnehmen, du dumme Henne? Bis du ihn wiedersiehst, wenn überhaupt, gehört er wieder mir allein.« Sie schmunzelte, rieb sich noch mal die Schulter und ging leichten Herzens zu ihrem Zimmer.

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