54

Richard fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch. Kahlan lag zusammengerollt mit dem Rücken an seiner Brust. Die Verletzung durch die Mriswithkönigin an seiner Schulter schmerzte. Er hatte sich von einem Armeearzt eine Packung auflegen lassen und war dann, zu erschöpft, um sich noch länger auf den Beinen zu halten, auf das Bett des Gästezimmers gefallen, das er bewohnte. Er hatte nicht einmal seine Stiefel ausgezogen, und das unangenehme Drücken an seiner Hüfte verriet ihm, daß er noch immer das Schwert der Wahrheit trug und darauf lag.

Kahlan rührte sich in seinen Armen, ein Gefühl, das ihn mit Freude erfüllte. Doch dann fielen ihm die Tausende von Toten ein, die seinetwegen gestorben waren, und seine Freude verflog.

»Guten Morgen, Lord Rahl«, hörte er eine muntere Stimme.

Er blickte fragend hoch zu Cara und begrüßte sie mit einem Stöhnen. Kahlan blinzelte in die Sonne, die durch das Fenster fiel.

Cara deutete mit einer wedelnden Handbewegung auf die beiden. »Es geht besser, wenn man die Kleider ablegt.«

Richard runzelte die Stirn. Seine Stimme war ein heiseres Krächzen. »Was?«

Die Frage schien sie zu verwirren. »Ihr werdet feststellen, denke ich, daß diese Dinge ohne Kleidung besser gehen.« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Ich dachte, wenigstens das wüßtet Ihr.«

»Cara, was habt Ihr hier drinnen zu suchen?«

»Ulic wollte Euch sprechen, hatte aber Angst nachzusehen, also sagte ich, ich würde es tun. Für einen so großen Kerl kann er manchmal recht schüchtern sein.«

»Darin sollte er Euch Unterricht geben.« Richard zuckte zusammen, als er sich aufsetzte. »Was will er?«

»Er hat eine Leiche gefunden.«

Kahlan setzte sich auf und rieb sich die Augen. »Das dürfte nicht schwer gewesen sein.«

Cara lächelte, doch ihr Lächeln erlosch, als Richard es bemerkte. »Er hat eine Leiche am Fuß der Klippen gefunden, unterhalb der Burg.«

Richard schwang die Beine aus dem Bett. »Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt?«

Kahlan rannte ihm hinterher, um ihn einzuholen, als er nach draußen auf den Korridor stürzte, wo Ulic wartete.

»Hast du ihn gefunden? Hast du den Leichnam eines alten Mannes gefunden?«

»Nein, Lord Rahl. Es war die Leiche einer Frau.«

»Einer Frau? Was für einer Frau?«

»Sie war in einem schlimmen Zustand, aber ich habe die auseinanderstehenden Zähne und die zerrissene Decke wiedererkannt. Es war dieses alte Weib, Valdora. Die, die Honigkuchen verkauft hat.«

Richard rieb sich die empfindliche Schulter. »Valdora. Sehr merkwürdig. Und das kleine Mädchen, wie hieß sie gleich?«

»Holly. Von ihr haben wir keine Spur gefunden. Wir haben sonst niemanden entdeckt, allerdings ist das Gebiet, das abgesucht werden muß, groß. Es könnte sein, daß Tiere … nun ja, gut möglich, daß wir nichts mehr finden.«

Richard nickte, ihm fehlten die Worte. Er fühlte sich umgeben vom Leichentuch des Todes.

Caras Stimme wurde mitfühlend. »Die Totenfeuer werden bald beginnen. Möchtet Ihr hingehen?«

»Natürlich!« Als er Kahlans beruhigende Hand auf seinem Rücken spürte, mäßigte er seinen Ton. »Ich muß dabeisein. Es ist meine Schuld, daß sie gestorben sind.«

Cara runzelte die Stirn. »Es ist die Schuld des Lebensborns, daß sie gestorben sind, und die der Imperialen Ordnung.«

»Das wissen wir, Cara«, meinte Kahlan. »Wir werden dort sein, sobald ich den Verband auf seiner Schulter gewechselt habe und wir uns gewaschen und umgezogen haben.«

Die Totenfeuer brannten tagelang. Siebenundzwanzigtausend Menschen waren gefallen. Richard kam sich vor, als trügen die Flammen seine Seele zusammen mit denen jener Männer davon, die getötet worden waren. Er blieb und sprach mit den anderen das Gebet, und nachts stand er mit den anderen bei den Feuern Wache, bis es vorüber war.

Aus dem Schein dieses Feuers hinauf ins Licht. Eine sichere Reise in die Welt der Seelen.

Seine Stimmung hatte sich nicht gebessert.

Er wandelte durch die Korridore und blickte gelegentlich aus den Fenstern hinaus auf die Straßen, redete aber nur mit wenigen Menschen. Kahlan blieb stets in seiner Nähe, bot ihm ihre Gesellschaft an zum Trost, schwieg jedoch, es sei denn, er sagte etwas. Richard schaffte es nicht, das Bild all dieser Toten aus einem Kopf zu verbannen. Der Name, den ihm die Prophezeiung gegeben hatte, verfolgte ihn: der Bringer des Todes.

Eines Tages, seine Schulter hatte endlich begonnen zu verheilen, saß er an dem Tisch, den er als Schreibtisch nutzte, und starrte ins Nirgendwo, als es plötzlich hell wurde. Er hob den Kopf. Kahlan war ins Zimmer getreten, und er hatte es überhaupt nicht bemerkt. Sie hatte die Vorhänge aufgezogen, um die Sonne hereinzulassen.

»Ich mache mir allmählich Sorgen um dich, Richard.«

»Ich weiß. Aber offenbar kann ich mich nicht dazu zwingen zu vergessen.«

»Es ist schon richtig, Richard, der Mantel der Herrschaft wiegt schwer, aber du darfst dich nicht von ihm erdrücken lassen.«

»Das sagt sich leicht, aber es war meine Schuld, daß all die Menschen umgekommen sind.«

Kahlan setzte sich vor ihn auf den Tisch und hob sein Kinn mit einem Finger. »Glaubst du das wirklich, Richard, oder tut es dir nur leid, daß so viele Menschen sterben mußten?«

»Ich war dumm, Kahlan. Ich habe überstürzt gehandelt. Ohne nachzudenken. Hätte ich meinen Kopf gebraucht, wären all diese Soldaten vielleicht nicht tot.«

»Du hast instinktiv gehandelt. Du hast selbst gesagt, so funktioniert die Gabe bei dir — gelegentlich jedenfalls.«

»Aber ich —«

»Spielen wir ›Was wäre, wenn‹. Was wäre, wenn du anders vorgegangen wärst?«

»Nun, dann wären all diese Menschen nicht getötet worden.«

»Wirklich nicht? Du spielst nicht nach den Regeln von ›Was wäre, wenn‹. Denk darüber nach, Richard. Was wäre gewesen, hättest du nicht instinktiv gehandelt und wärst nicht zur Sliph gegangen? Was wäre die Folge gewesen?«

»Nun, laß mich überlegen.« Er streichelte ihr übers Bein. »Ich weiß es nicht, aber die Dinge hätten sich anders entwickelt.«

»Ja, das hätten sie. Du wärst hier gewesen, als der Angriff kam. Du hättest morgens statt gegen Ende des Tages in den Kampf gegen die Mriswiths eingegriffen. Du wärst zermürbt und getötet worden, lange bevor die Gars in der Abenddämmerung eingetroffen wären. Du wärst tot. Und all diese Menschen hätten ihren Lord Rahl verloren.«

Richard hob den Kopf. »Da ist etwas dran.« Er dachte einen Augenblick darüber nach. »Und wenn ich nicht in die Alte Welt gereist wäre, dann wäre der Palast der Propheten in Jagangs Hand. Er wäre im Besitz der Prophezeiungen.« Er stand auf und ging zum Fenster, blickte hinaus in den strahlenden Frühlingstag. »Und niemand hätte Schutz vor dem Traumwandler gefunden, denn ich wäre tot gewesen.«

»Du hast dein Denken von deinen Gefühlen beherrschen lassen.«

Richard kam zurück und ergriff ihre Hände. Zum ersten Mal seit langem nahm er wieder wahr, wie wunderschön sie aussah. »Das Dritte Gesetz der Magie: Leidenschaft ist stärker als Vernunft. Kolo hat davor gewarnt, es sei heimtückisch. Ich habe es dadurch gebrochen, daß ich glaubte, ich hätte es gebrochen.«

Kahlan legte den Arm um ihn. »Fühlst du dich jetzt ein wenig besser?«

Er legte ihr die Hände auf die Hüften und lächelte seit Tagen zum ersten Mal. »Du hast mir geholfen, das zu erkennen. Früher war es Zedd, der das gemacht hat. Ich denke, ich werde mich ab jetzt auf dich verlassen müssen.«

Sie schlang die Beine um ihn und zog ihn näher heran. »Das solltest du auch.«

Als sie ihm gerade einen kleinen Kuß gab und er ihr einen etwas größeren geben wollte, kamen die drei Mord-Sith ins Zimmer marschiert. Kahlan schmiegte sich an seine Wange. »Klopfen die eigentlich nie?«

»Selten«, flüsterte Richard. »Es macht ihnen Spaß, Menschen auf die Probe zu stellen. Es ist ihre Lieblingsbeschäftigung. Sie werden es nie müde.«

Cara, die vorneweg ging, blieb stehen und blickte vom einen zum anderen. »Immer noch in den Kleidern, Lord Rahl?«

»Ihr drei seht gut aus heute morgen.«

»Ja, das stimmt«, meinte Cara. »Wir haben etwas zu erledigen.«

»Was denn?«

»Sobald Ihr Zeit dafür habt — einige Vertreter sind in Aydindril eingetroffen und haben um eine Audienz bei Lord Rahl gebeten.«

Berdine schwenkte Kolos Tagebuch. »Und ich hätte hierbei gerne Eure Hilfe. Was wir bis jetzt erfahren haben, war bereits sehr wichtig, und es gibt noch vieles, das wir nicht übersetzt haben. Wir haben Arbeit zu erledigen.«

»Übersetzen?« fragte Kahlan. »Ich spreche viele Sprachen. Um was geht es?«

»Um Hoch-D’Haran«, sagte Berdine und nahm einen Bissen von einer Birne in ihrer anderen Hand. »Lord Rahl wird in Hoch-D’Haran allmählich sogar besser als ich.«

»Tatsächlich«, sagte Kahlan. »Ich bin beeindruckt. Nur wenige Menschen beherrschen Hoch-D’Haran. Es ist eine äußerst schwierige Sprache, hat man mir erzählt.«

»Wir haben zusammen daran gearbeitet.« Berdine lächelte. »Nachts.«

Richard räusperte sich. »Gehen wir und sehen nach, was die Vertreter wollen.« Er packte Kahlan an den Hüften und stellte sie neben sich auf den Boden.

Berdine gestikulierte mit der Birne. »Lord Rahl hat sehr große Hände. Sie passen genau über meine Brüste.«

Kahlan zog die Brauen hoch. »Tatsächlich?«

»Ja«, stellte Berdine fest. »Eines Tages hat er sich von uns allen die Brüste zeigen lassen.«

»Ist das wahr. Von Euch allen.«

Cara und Raina warteten, ohne eine Miene zu verziehen, Berdine dagegen nickte. Richard verbarg sein Gesicht in den Händen.

Berdine nahm noch einen Bissen von ihrer Birne. »Aber am besten paßten seine Hände über meine Brüste.«

Kahlan schlenderte zur Tür. »Nun, meine Brüste sind nicht so groß wie Eure, Berdine.« Sie hielt inne, als sie an Raina vorüberkam. »Ich denke, meine würden besser in Rainas Hände passen.«

Berdine hüstelte und verschluckte sich an ihrem Birnenstück, während Kahlan aus dem Zimmer schlenderte. Auf Rainas Lippen machte sich ein Grinsen breit.

Cara fing plötzlich herzhaft an zu lachen. Sie gab Richard im Vorübergehen einen Klaps auf den Rücken. »Sie gefällt mir, Lord Rahl. Von mir aus dürft Ihr sie behalten.«

Richard blieb zögernd stehen. »Ja, danke, Cara. Ich bin sehr froh, daß ich Eure Zustimmung habe.«

Sie nickte ernst. »Das könnt Ihr auch.«

Er verließ eilig das Zimmer und holte Kahlan schließlich ein Stück den Korridor hinunter ein. »Woher wußtest du das von Berdine und Raina?«

Sie sah ihn verwirrt an. »Ist das nicht offensichtlich, Richard? Der Blick in ihren Augen? Es muß dir doch auch sofort aufgefallen sein.«

»Na ja…« Richard warf einen Blick durch den Korridor zurück, um zu sehen, ob die Frauen sie schon eingeholt hatten. »Es wird dich sicher freuen zu hören, daß Cara dich mag und daß ich die Erlaubnis habe, dich zu behalten.«

Kahlan legte ihm den Arm um die Hüfte. »Ich mag sie auch. Ich bezweifele, daß du Wächter finden könntest, die dich besser beschützen.«

»Soll das ein Trost sein?«

Lächelnd legte sie ihren Kopf an seine Schulter. »Für mich, ja.«

Richard wechselte das Thema. »Gehen wir nachsehen, was die Vertreter uns mitzuteilen haben. Unsere Zukunft, jedermanns Zukunft, hängt davon ab.«

Kahlan saß schweigend im weißen Kleid der Mutter Konfessor in ihrem Sessel, dem Sessel der Mutter Konfessor, neben Richard, unter dem gemalten Bildnis von Magda Searus, der ersten Mutter Konfessor, und ihrem Zauberer, Merritt.

Begleitet vom lächelnden General Baldwin, schritten Vertreter Garthram aus Lifany, Vertreter Theriault aus Herjborgue und Botschafter Bezancort aus Sanderia über die weite Marmorfläche. Sie schienen alle überrascht und erfreut zu sein, die Mutter Konfessor neben Richard sitzen zu sehen.

General Baldwin verneigte sich. »Meine Königin, Lord Rahl.«

Kahlan lächelte freundlich. »Guten Tag, General Baldwin.«

»Meine Herren«, sagte Richard, »ich hoffe, in Euren Ländern steht alles gut. Wie habt Ihr Euch entschieden?«

Vertreter Garthram strich über seinen grauen Bart. »Nach eingehender Beratung mit der Regierung in der Heimat und dem Beispiel von Kelton und Galea folgend, sind wir alle zu dem Schluß gekommen, daß unsere Zukunft bei Euch liegt, Lord Rahl. Wir alle haben die Kapitulationsurkunden mitgebracht. Bedingungslos, wie von Euch gewünscht. Wir möchten uns Euch anschließen, um ein Teil D’Haras und von Euch regiert zu werden.«

Der hochgewachsene Botschafter Bezancort ergriff das Wort. »Wir sind gekommen, um zu kapitulieren und uns D’Hara anzuschließen, trotzdem hegen wir nach wie vor die Hoffnung, daß die Mutter Konfessor unseren Entschluß gutheißt.«

Kahlan betrachtete die Männer einen Augenblick lang. »Die Zukunft und nicht die Vergangenheit, das ist der Ort, an dem wir und unsere Kinder leben müssen. Die erste Mutter Konfessor und ihr Zauberer taten, was für die Menschen damals und in jener Zeit das Beste war. Jetzt, da ich Mutter Konfessor bin, müssen mein Zauberer und ich das tun, was für unsere Zeit das Beste ist. Wir werden tun, was wir tun müssen, unsere Hoffnung jedoch gilt, wie die ihre damals, dem Frieden.

Unsere beste Chance auf eine Stärke, die einen dauerhaften Frieden garantiert, liegt bei Lord Rahl. Unser neuer Kurs liegt fest. Mein Herz und mein Volk werden ihm folgen. Als Mutter Konfessor bin ich Teil dieser Union und heiße Euch darin willkommen.«

Richard erwiderte ihren Händedruck.

»Wir werden auch in Zukunft unsere Mutter Konfessor haben«, sagte er. »Wir brauchen ihre Weisheit und ihre Führerschaft, so wie wir sie immer gebraucht haben.«


Einige Tage darauf, an einem schönen Frühlingsnachmittag schlenderten Richard und Kahlan Hand in Hand durch die Straßen und machten sich ein Bild von den Aufräumarbeiten nach der Zerstörung durch die Schlacht, als Richard plötzlich einen Einfall hatte. Er drehte sich um und spürte den kühlen Wind und die warme Sonne auf seinem Gesicht.

»Weißt du, ich habe die Kapitulation der Länder der Midlands verlangt, dabei weiß ich nicht einmal, wieviel es überhaupt sind, von ihren Namen ganz zu schweigen.«

»Nun, ich denke, dann werde ich dir eine Menge beibringen müssen«, sagte sie. »Du wirst mich wohl in deiner Nähe behalten müssen.«

Ihn überkam ein Lächeln. »Ich brauche dich. Jetzt und immer.« Er legte ihr die Hand an die Wange. »Ich kann nicht glauben, daß wir endlich wieder zusammen sind.« Er sah kurz zu den drei Frauen und den beiden Männern kaum drei Schritte hinter ihnen. »Wenn wir nur alleine sein könnten.«

Cara runzelte die Stirn. »Sollte das ein Wink sein, Lord Rahl?«

»Nein, das ist ein Befehl.«

Cara zuckte die Achseln. »Tut mir leid, aber wir können den Befehl hier draußen nicht befolgen. Ihr braucht Schutz. Wißt Ihr, Mutter Konfessor, daß wir ihm manchmal erklären müssen, mit welchem Fuß er den nächsten Schritt tun soll? Gelegentlich ist er bei den einfachsten Dingen auf unsere Hilfe angewiesen.«

Kahlan gab sich mit einem hilflosen Seufzer geschlagen. Schließlich blickte sie an Cara vorbei zu den hochaufragenden Männern dahinter. »Ulic, hast du dafür gesorgt, daß die Riegel an unserem Zimmer angebracht wurden?«

»Ja, Mutter Konfessor.«

Kahlan lächelte. »Gut.« Sie drehte sich zu Richard um. »Sollen wir nach Hause gehen? Ich werde müde.«

»Ihr werdet ihn erst heiraten müssen«, erklärte Cara. »Befehl von Lord Rahl. Außer seiner Gemahlin dürfen keine Frauen in sein Zimmer gelassen werden.«

Richard machte ein finsteres Gesicht. »Ich sagte ›außer Kahlan‹. Von ›Gemahlin‹ war nie die Rede. Ich sagte ›außer Kahlan‹.«

Cara blickte kurz auf den Strafer, der an einer dünnen Kette um Kahlans Hals hing. Es war Dennas Strafer. Richard hatte ihn Kahlan an jenem Ort zwischen den Welten geschenkt, an den Denna sie gebracht hatte, damit sie Zusammensein konnten. Er war zu einer Art Amulett geworden — eines, das die drei Mord-Sith niemals erwähnt hatten, das ihnen aber gleich, als sie Kahlan zum ersten Mal gesehen hatten, aufgefallen war. Richard vermutete, daß es ihnen ebensoviel bedeutete wie Kahlan und ihm selbst.

Caras unbekümmerter Blick wanderte zurück zu Richard. »Ihr habt uns den Auftrag gegeben, die Mutter Konfessor zu beschützen, Lord Rahl. Wir beschützen lediglich die Ehre unserer Schwester.«

Kahlan mußte schmunzeln, als sie sah, daß es Cara schließlich doch gelungen war, ihn aus der Reserve zu locken — etwas, das ihr nur selten gelang. Richard holte tief Luft, um sich zu beherrschen. »Und wie gut Ihr Eure Sache macht — aber keine Sorge, auf mein Wort, sie wird bald meine Gemahlin sein.«

Kahlan streichelte ihm beiläufig mit den Fingern über den Rücken. »Wir haben den Schlammenschen versprochen, uns in ihrem Dorf vom Vogelmann und in dem Kleid, das Weselan für mich genäht hat, trauen zu lassen. Dieses Versprechen unseren Freunden gegenüber bedeutet mir sehr viel. Wärt Ihr damit einverstanden, wenn wir uns bei den Schlammenschen trauen lassen würden?«

Bevor Richard dazu kam, ihr zu sagen, wieviel es auch ihm bedeutete, wurden sie von einer Gruppe von Kindern umschwärmt. Sie zerrten an seinen Händen und baten ihn, zu kommen und zuzusehen, so wie er es versprochen hatte.

»Wovon reden sie?« fragte Kahlan, freundlich lachend.

»Von Ja’La«, meinte Richard. »Kommt her, zeigt mir euren Ja’La-Ball«, sagte er zu den Kindern.

Sie gaben ihm den Ball, und er warf ihn mit einer Hand in die Höhe und zeigte ihn ihr. Kahlan nahm den Ball in die Hand, drehte ihn und betrachtete den Buchstaben R, den man in ihn hinein geprägt hatte.

»Was ist das?«

»Nun ja, früher wurde mit einem Ball gespielt, genannt Broc, der so schwer war, daß sich die Kinder laufend an ihm verletzt haben. Ich habe von den Näherinnen neue Bälle herstellen lassen, so daß alle Kinder mitspielen können, nicht nur die kräftigsten. Jetzt ist es eher eine Frage der Geschicklichkeit anstatt brutaler Körperkraft.«

»Wofür steht das R

»Ich habe ihnen erklärt, jeder, der bereit sei, diese neue Art Ball zu benutzen, bekäme vom Palast einen offiziellen Broc geschenkt. Das R steht für Rahl, damit soll gezeigt werden, daß es sich um einen offiziellen Ball handelt. Früher hieß das Spiel Ja’La, seit ich jedoch die Regeln geändert habe, nennen sie es jetzt Ja’La-Rahl.«

»Na ja«, meinte Kahlan und warf den Kindern den Ball zurück, »da Lord Rahl es versprochen hat und er immer sein Wort hält…«

»Ja!« rief ein Junge. »Er hat versprochen, wenn wir diesen offiziellen Ball benutzen, kommt er und sieht zu.«

Richard warf einen Blick auf die sich zusammenziehenden Wolken. »Na ja, es zieht ein Unwetter auf, aber ich denke, vorher bleibt uns noch Zeit für ein Spiel.«

Arm in Arm folgten sie der ausgelassenen Kindermeute die Straße hoch.

Richard lächelte im Gehen. »Wenn nur Zedd bei uns wäre.«

»Glaubst du, er ist oben bei der Burg umgekommen?«

Richard sah kurz zu dem Berg hinauf. »Er meinte immer, wenn man eine Möglichkeit akzeptiert, macht man sie zur Wirklichkeit.

Ich habe beschlossen, solange mir niemand etwas anderes beweist, werde ich seinen Tod nicht akzeptieren. Ich glaube an ihn. Ich glaube, daß er lebt und irgendwo da draußen ist und jemandem schwer zu schaffen macht.«


Das Gasthaus sah gemütlich aus, anders als so manche, in denen sie abgestiegen waren, wo zuviel getrunken und gelärmt wurde. Wieso die Menschen tanzen wollten, sobald es dunkel wurde, war ihm ein Rätsel. Irgendwie schienen diese beiden Dinge zusammenzugehören, so wie Bienen und Blumen oder Fliegen und Mist: Dunkelheit und Tanzen.

An einigen Tischen saßen Leute und nahmen still eine Mahlzeit zu sich, und um einen der Tische nahe der gegenüberliegenden Wand drängte sich eine Gruppe älterer Männer, die Pfeife rauchten, ein Brettspiel spielten und an ihrem Bier nippten, während sie sich lebhaft unterhielten. Er schnappte Gesprächsfetzen auf über den neuen Lord Rahl.

»Halt bloß den Mund«, warnte ihn Ann, »und überlaß das Reden mir.«

Ein freundlich aussehendes Paar hinter der Theke lächelte, als sie näher kamen. Auf den Wangen der Frau bildeten sich Grübchen.

»’n Abend, Leute.«

»Guten Abend«, sagte Ann. »Wir möchten uns nach einem Zimmer erkundigen. Der Junge bei den Stallungen meinte, Ihr hättet schöne Zimmer.«

»Oh, das ist wohl wahr, meine Dame. Für Euch und Euren…«

Ann öffnete den Mund. Zedd kam ihr zuvor. »Bruder. Ruben ist mein Name. Dies ist meine Schwester Elsie. Ich bin Ruben Rybnik.« Zedd machte eine schwungvolle Handbewegung. »Ich bin ein Wolkendeuter von einiger Berühmtheit. Vielleicht habt Ihr von mir gehört. Ruben Rybnik, der berühmte Wolkendeuter.«

Der Unterkiefer der Frau bewegte sich, als versuchte sie zu ergründen, wohin alle ihre Worte entschwunden waren. »Nun … ich … ja, ich glaube schon.«

»Na siehst du«, sagte Zedd und tätschelte Ann den Rücken. »Fast alle haben schon von mir gehört, Elsie.« Er beugte sich, auf einen Ellenbogen gestützt, zu dem Paar hinter der Theke hinüber. »Elsie glaubt, ich bilde mir das ein. Dabei war sie eine Weile fort, auf dieser Farm, bei diesen armen Unglückseligen, die Stimmen hören und mit den Wänden sprechen.«

Die beiden Köpfe schwenkten gleichzeitig herum zu Ann.

»Ich habe dort gearbeitet«, brachte Ann zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor. »Ich habe dort gearbeitet und den ›armen Unglückseligen‹ geholfen, die dort unsere Gäste waren.«

»Ja, ja«, meinte Zedd. »Und das hast du wirklich gut gemacht, Elsie. Warum man dich hat gehen lassen, werde ich nie begreifen.« Er wandte sich wieder zu dem verstummten Paar um. »Da sie ohne Arbeit ist, dachte ich, ich nehme sie mit hinaus in die Welt, damit sie sieht, worum es im Leben geht, wenn Ihr versteht.«

»Ja«, erwiderte das Paar wie aus einem Mund.

»Und, um die Wahrheit zu sagen«, fuhr Zedd fort, »wir hätten lieber zwei Zimmer. Eins für meine Schwester, und eins für mich.« Sie blickten ihn verständnislos an. »Sie schnarcht«, erklärte er. »Ich brauche meinen Schlaf.«

»Tja, wir haben sehr hübsche Zimmer«, sagte die Frau, und wieder erschienen die Grübchen auf ihren Wangen. »Ich bin sicher, Ihr werdet Euch gut erholen.«

Zedd drohte mahnend mit dem Finger. »Die besten, die Ihr habt, denkt daran. Elsie kann es sich leisten. Ihr Onkel verstarb und hinterließ ihr alles, was er hatte. Und er war ein reicher Mann.«

Die Brauen des Mannes zogen sich zusammen. »Müßte er dann nicht auch Euer Onkel gewesen sein?«

»Mein Onkel? Na ja, natürlich, doch er hat mich nicht gemocht. Immer gab es Ärger mit dem Mann. Er war ein bißchen exzentrisch. Trug mitten im Hochsommer Socken als Handschuhe. Elsie war sein Liebling.«

»Die Zimmer«, brummte Ann. Sie drehte sich um und sah ihn mit großen Augen an. »Ruben braucht seinen Schlaf. Er hat eine Menge Wolken zu deuten und muß schon früh am Morgen damit anfangen. Wenn er seinen Schlaf nicht hat, bekommt er einen äußerst seltsamen Ausschlag, der sich wie ein Ring um seinen Hals legt.«

Die Frau kam hinter der Theke hervor. »Nun, dann will ich sie Euch zeigen.«

»Das ist doch nicht etwa der Duft von gebratener Ente, oder doch?«

»Aber ja«, antwortete die Frau und drehte sich wieder um. »Das ist unser Abendessen. Gebratene Ente mit Pastinaken, Zwiebel und Bratensoße, wenn Euch danach gelüstet.«

Zedd sog den Duft förmlich in sich hinein. »Meine Güte, was für ein köstliches Aroma. Man braucht viel Können, um eine Ente genau auf den Punkt zu braten. An diesem Duft jedoch erkenne ich, daß Euch dies genau gelungen ist. Kein Zweifel.«

Die Frau wurde rot und kicherte. »Tja, für meine gebratene Ente bin ich bekannt.«

»Hört sich wunderbar an«, meinte Ann. »Wenn Ihr so freundlich wärt und uns zwei Portionen auf die Zimmer schicken würdet?«

»Oh, selbstverständlich. Es wäre mir ein Vergnügen.«

Die Frau wollte sie den Korridor hinunterführen.

»Wenn ich es recht überdenke«, sagte Zedd, »dann geh nur, Elsie. Ich weiß, wie nervös es dich macht, wenn Menschen dir beim Essen zusehen. Ich werde mein Abendessen hier unten zu mir nehmen. Und dazu eine Kanne Tee, wenn es Euch nichts ausmacht.«

Ann drehte sich um und schickte einen finsteren Blick in seine Richtung. Er spürte, wie der Ring um seinen Hals heiß wurde. »Bleib nicht zu lange, Ruben. Wir müssen morgen früh los.«

Zedd beruhigte sie mit einer Handbewegung. »Oh, nein, meine Liebe. Ich werde nur zu Abend essen, dann vielleicht noch ein Spiel mit diesen Gentlemen hier, dann gehe ich auf schnellstem Wege ins Bett. Wir sehen uns frisch und munter morgen früh.«

Ihr Blick hätte Pech zum Sieden bringen können. »Dann gute Nacht, Ruben.«

Zedd lächelte nachsichtig. »Vergiß nicht, die gute Frau zu bezahlen, und gib ihr noch etwas extra für die großzügig bemessene Portion ihres ausgezeichneten Entenbratens.« Zedd beugte sich mit gewichtiger Miene zu ihr vor, und seine Stimme wurde leise. »Und vergiß nicht, vor dem Zubettgehen in dein Tagebuch zu schreiben.«

Sie versteifte sich. »In mein Tagebuch?«

»Ja, das kleine Reisetagebuch, das du führst. Ich weiß, wie gerne du über deine Abenteuer schreibst, aber in letzter Zeit hast du es nicht so weitergeführt, wie du solltest. Ich denke, es wird Zeit, daß du das nachholst.«

»Ja…«, stammelte sie. »Dann werde ich das tun, Ruben.«

Nachdem Ann ihm dafür noch einen liebevollen Blick geschenkt hatte und gegangen war, baten ihn die Gentlemen, die das Gespräch mitangehört hatten, zu sich an den Tisch.

»Wolkendeuter, sagtet Ihr?« fragte einer.

»Der allerbeste.« Zedd hielt einen dürren Finger in die Höhe. »Wolkendeuter der Könige, nicht weniger.«

Erstauntes Tuscheln machte die Runde.

Ein Mann etwas seitlich nahm die Pfeife aus den Zähnen. »Würdet Ihr für uns die Wolken deuten, Meister Ruben? Wir würden alle zusammenlegen und Euch eine Kleinigkeit dafür zahlen.«

Zedd hob seine dürre Hand, als wollte er sie abwehren. »Ich fürchte, das kann ich nicht.« Er wartete, bis sich die Enttäuschung aufgeschaukelt hatte. »Ich könnte Euer Geld nicht annehmen. Es wäre mir eine Ehre, Euch zu verraten, was die Wolken zu sagen haben, aber ich werde keine Kupfermünze dafür nehmen.«

Das Lächeln kehrte zurück. »Das ist äußerst großzügig von Euch, Meister Ruben.«

Ein gedrungener Mann beugte sich vor. »Was haben die Wolken denn zu erzählen?«

Die Wirtsfrau stellte einen dampfenden Teller Entenbraten vor ihn und lenkte ihn damit ab. »Der Tee kommt sofort«, sagte sie und eilte in die Küche zurück.

»Die Wolken hatten viel zu erzählen über die Winde der Veränderung, meine Herren. Gefahren und Gelegenheiten. Über den ruhmreichen neuen Lord Rahl und die … nun, laßt mich erst von dieser saftig aussehenden Ente kosten, dann werde ich Euch mit größtem Vergnügen alles darüber erzählen.«

»Greift zu, Ruben«, meinte ein anderer.

Zedd ließ sich einen Bissen auf der Zunge zergehen und legte eine dramatische Pause ein, um genüßlich zu seufzen, während die anderen ihn mit gespannter Aufmerksamkeit beobachteten.

»Das ist aber ein sehr seltsames Halsband, das Ihr da tragt.«

Zedd tippte kauend gegen den Halsring. »So etwas wird heutzutage gar nicht mehr hergestellt.« Der Mann kniff die Augen zusammen und deutete mit dem Pfeifenstiel auf den Halsring. »Scheint gar keinen Verschluß zu haben. Sieht aus wie aus einem Stück. Wie habt Ihr den über Euren Kopf bekommen?«

Zedd öffnete den Halsring und hielt ihn ihnen hin, die beiden Hälften am Gelenk hin und herbewegend. »Doch, er hat einen. Seht Ihr? Verdammt feine Arbeit, nicht wahr? Man sieht das Gelenk nicht mal, so fein ist es gearbeitet. Ein Meisterwerk der Handwerkskunst. So etwas findet man heutzutage nicht mehr.«

»Das sage ich auch immer«, meinte der Mann mit der Pfeife. »Wirklich gute Handwerksarbeit findet man nicht mehr.«

Zedd ließ den Ring wieder um seinen Hals schnappen. »Nein, findet man nicht.«

»Heute habe ich eine merkwürdige Wolke gesehen. Wie eine Schlange sah sie aus. Schlängelte sich sozusagen durch den Himmel.«

Zedd beugte sich vor und senkte die Stimme. »Ihr habt sie also gesehen.«

Alle beugten sich vor. »Was hat das zu bedeuten, Ruben?« fragte einer leise.

Er sah von einem Augenpaar zum anderen. »Einige Leute meinen, es sei eine Spürwolke, die jemandem von einem Zauberer angehängt wurde.« Zufrieden registrierte Zedd das erschrockene Japsen.

»Wozu?« fragte der untersetzte Mann, und in seinen Augen war überall das Weiße zu erkennen.

Zedd tat, als sehe er sich nach den anderen Tischen um, bevor er sprach. »Um ihn aufzuspüren und um zu wissen, wohin er geht.«

»Würde dieser die Wolke denn nicht bemerken, wo sie doch aussieht wie eine Schlange?«

»Es ist ein Trick dabei, hab’ ich gehört«, sagte Zedd leise und benutzte seine Gabel, um ihn zu demonstrieren. »Sie zeigt nach unten und auf den verfolgten Mann, so daß er nichts weiter sieht als einen winzigen Punkt, etwa so, als betrachte er die Spitze eines Stocks. Wer aber seitlich steht, sieht den Stock in seiner vollen Länge.«

Die Männer machten ah und oh und lehnten sich zurück, um die Neuigkeit zu verdauen, während Zedd sich an der Ente gütlich tat.

»Habt Ihr von den Winden der Veränderung gehört?« fragte einer schließlich. »Und von diesem neuen Lord Rahl?«

»Wenn nicht, wäre ich dann der Wolkendeuter der Königin?« Zedd schwenkte seine Gabel. »Das ist eine verdammt gute Geschichte, vorausgesetzt, Euch steht der Sinn danach, sie anzuhören.«

Alle beugten sich erneut nach vorn.

»Das alles fing vor vielen Jahren an, während des Krieges in der alten Zeit«, begann Zedd, »als jene Wesen geschaffen wurden, die man Traumwandler nannte.«

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