17

Obwohl er bei seiner Rückkehr mehrere Tausend ungeschlachte d’Haranische Soldaten vorfand, die seinen Palast umstellten, war Tobias bei guter Laune. Die Dinge entwickelten sich prächtig — nicht wie ursprünglich geplant, aber prächtig trotz alledem. Die D’Haraner machten keinerlei Anstalten, ihn am Eintreten zu hindern, warnten ihn jedoch, es wäre besser, wenn er in dieser Nacht das Haus nicht noch einmal verlassen würde.

Ihre Unverschämtheit war ärgerlich, wesentlich mehr jedoch als die protokollarischen Verstöße der D’Haraner interessierte ihn die Alte, die Ettore für ihn bearbeitete. Er hatte Fragen und war gespannt auf die Antworten. Jetzt würde sie bereit sein, sie ihm zu geben. Ettore war in seinem Handwerk sehr geübt. Auch wenn dies das erste Mal war, daß man ihm die Vorbereitungen für ein Verhör anvertraute, ohne daß ein erfahrener Bruder sein Tun überwachte, so hatte er bereits Talent und eine sichere Hand bei dieser Aufgabe bewiesen. Ettore war mehr als bereit, diese Verantwortung zu übernehmen.

Tobias schüttelte den Schnee von seinem Cape auf den rubinroten und goldenen Teppich, bemühte sich erst gar nicht, seine Stiefel abzuputzen, ehe er forschen Schritts den blitzblanken Vorraum zu den Korridoren durchquerte, die zur Treppe führten. Die weitläufige Eingangshalle wurde von Lampen aus geschliffenem Glas erleuchtet, die vor polierten Silberreflektoren hingen und deren Licht über das vergoldete Balkenwerk tanzte. Wachen in karminroten Capes, die durch den Palast patrouillierten, berührten mit den Fingerspitzen ihre Stirn und verneigten sich vor ihm. Tobias machte sich nicht die Mühe, ihren Salut zu erwidern.

Dicht gefolgt von Galtero und Lunetta, sprang er die Treppe, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinunter. Die Wände oben waren mit reich verzierter Täfelung verkleidet, geschmückt mit Porträts von Mitgliedern des nicobaresischen Königshauses und kunstvollen Wandteppichen, auf denen ihre sagenhaften, weitgehend erfundenen Heldentaten dargestellt waren, die Mauern im unteren Stockwerk dagegen bestanden aus schlichten Steinquadern, kalt sowohl fürs Auge als auch sonst. In dem Raum, den er ansteuerte, würde es allerdings warm sein.

Er strich seinen Schnäuzer mit den Knöcheln glatt und erschrak, als er die Schmerzen in seinen Gliedern spürte. Die Kälte schien seinen Knochen in letzter Zeit mehr zuzusetzen. Er mahnte sich, dem Werk des Schöpfers mehr Aufmerksamkeit zu widmen und weniger solch weltlichen Dingen. Der Schöpfer hatte ihm an diesen Abend mehr als großzügige Hilfe gewährt, die durfte nicht umsonst gewesen sein.

In den oberen Stockwerken wurden die Flure von Soldaten der Kompanie bewacht, unten waren die tristen Gänge menschenleer. Hier gab es weder einen Weg in den Palast hinein noch aus ihm heraus. Galtero, immer auf der Hut, beobachtete die gesamte Länge des Ganges draußen vor der Tür des Verhörzimmers. Lunetta wartete geduldig lächelnd. Tobias hatte ihr erklärt, sie habe ihre Sache gut gemacht, insbesondere mit dem letzten Bann, und sein Wohlwollen spiegelte sich in ihrem strahlenden Gesicht wider.

Tobias betrat den Raum und sah sich Ettores wohlvertrautem, breiten Grinsen gegenüber.

Über seinen Augen jedoch lag der matte Glanz des Todes.

Tobias erstarrte.

Ettore hing an einem Seil, das an den beiden Enden eines eisernen Bolzens festgemacht war, den man ihm durch die Ohren getrieben hatte. Seine Füße baumelten dicht über einer dunklen, geronnenen Lache.

Der saubere Schnitt eines Rasiermessers führte in der Mitte rings um seinen Hals. Darunter hatte man ihm jeden Zentimeter Haut abgezogen. Bleiche Streifen davon lagen seitlich auf einem blutigen Haufen.

Dicht unterhalb des Brustkorbs klappte ein Schnitt. Auf dem Boden vor seinem leise schwingenden Körper lag seine Leber.

Auf jeder Seite waren ein paar Stücke herausgebissen worden. Die Bisse auf der einen Seite wiesen am Rand unregelmäßige Einrisse auf, wie größere Zähne sie hinterlassen, auf der anderen fanden sich die eines kleinen, regelmäßigen Gebisses.

Brogan wirbelte heulend vor Wut herum und schlug Lunetta mit dem Handrücken durchs Gesicht. Sie stürzte krachend neben der Feuerstelle an die Wand und glitt zu Boden.

»Daran bist du schuld, streganicha! Das ist deine Schuld. Du hättest hierbleiben und Ettore überwachen müssen!«

Brogan stand da, die Fäuste in die Hüften gestemmt, und starrte wuterfüllt die gehäutete Leiche des Mannes vom Lebensborn aus dem Schoß der Kirche an. Wäre Ettore nicht tot, Brogan hätte ihn eigenhändig umgebracht, wenn nötig mit den bloßen Händen, dafür, daß er diese alte Hexe der Gerechtigkeit hatte entgehen lassen. Einen Verderbten entkommen zu lassen, war nicht zu entschuldigen. Ein wahrer Jäger der Verderbten hätte die gottlose Person vor seinem Tod noch umgebracht, egal wie. Ettores spöttisches Grinsen brachte ihn noch mehr in Rage.

Brogan schlug in das erkaltete Gesicht. »Du hast uns im Stich gelassen, Ettore. Du wirst unehrenhaft aus dem Lebensborn entlassen. Dein Name wird aus dem Verzeichnis gelöscht.«

Lunetta kauerte an der Wand und hielt sich die blutverschmierte Wange. »Ich hab’ es Euch ja gesagt, ich hätte bleiben und ihn überwachen sollen. Ich hab’ es Euch gesagt.«

Brogan funkelte sie wütend an. »Komm mir nicht mit deinen dreckigen Ausflüchten, streganicha. Wenn du gewußt hast, wieviel Ärger die alte Hexe machen würde, dann hättest du hierbleiben müssen.«

»Aber das habe ich Euch doch gesagt.« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ihr habt mich gezwungen, Euch zu begleiten.«

Er hörte nicht auf sie und wandte sich an seinen Colonel. »Holt die Pferde«, zischte er zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor.

Er sollte sie umbringen. Gleich jetzt. Er sollte ihr die Kehle aufschlitzen, dann hätte er es hinter sich. Er war ihre abscheuliche Gabe leid. Diese Nacht hatte ihn wertvolle Informationen gekostet. Wäre seine verabscheuungswürdige Schwester nicht gewesen, er hätte sie bekommen.

»Wie viele Pferde, Lord General?« fragte Galtero leise.

Brogan beobachtete, wie seine Schwester mühsam auf die Beine kam und ihre Haltung wiederfand, während sie sich das Blut von der Wange wischte. Er solle sie umbringen. Gleich jetzt, in diesem Augenblick.

»Drei«, knurrte Brogan.

Galtero entnahm den Werkzeugen zur Befragung einen Knüppel, dann glitt er geräuschlos wie ein Schatten durch die Tür und war im Gang verschwunden. Offenbar hatten die Wachen sie nicht gesehen, auch wenn das bei Verderbten nicht unbedingt etwas heißen mußte. Trotzdem konnte die Alte durchaus noch immer in der Nähe sein. Man brauchte Galtero nicht zu erklären, daß sie lebend gefaßt werden mußte, falls man sie fand.

Vorschnelle Rache mit dem Schwert brachte ihnen nichts ein. Wenn man sie entdeckte, würde man sie lebend fassen und befragen. Wenn man sie entdeckte, würden sie den Preis für ihre Ruchlosigkeit bezahlen, aber vorher würde sie alles erzählen, was sie wußte.

Wenn man sie entdeckte. Er sah zu seiner Schwester hinüber. »Siehst du sie hier irgendwo in der Nähe?«

Lunetta schüttelte den Kopf. Sie kratzte nicht an ihren Armen herum. Auch wenn keine tausend d’Haranische Soldaten den Palast umstellt hätten, in diesem Sturm war es unmöglich, jemanden zu verfolgen. Außerdem, sosehr er die Alte auch zu fassen kriegen wollte, Brogan hatte ein ruchloseres Opfer, daß es zu verfolgen galt. Zudem war da auch noch Lord Rahl. Falls Galtero die alte Frau fand, gut, falls nicht, dann hätten sie ohnehin keine Zeit für eine schwierige und höchstwahrscheinlich erfolglose Verfolgungsjagd. Verderbte waren alles andere als eine Rarität, es gab immer noch andere. Der Lord General des Lebensborns aus dem Schoß der Kirche mußte sich um wichtigere Dinge kümmern: das Werk des Schöpfers.

Lunetta humpelte zu Brogan und legte einen Arm um seine Hüfte. Sie streichelte seine auf- und abschwellende Brust.

»Es ist spät, Tobias«, gurrte sie vertraulich. »Kommt zu Bett. Ihr hattet einen schweren Tag, das Werk des Schöpfers zu erledigen. Lunetta wird dafür sorgen, daß Ihr Euch besser fühlt. Ihr werdet zufrieden sein, das verspreche ich.« Er schwieg. »Galtero hatte sein Vergnügen, Lunetta wird für das Eure sorgen. Ich werde einen Zauber für Euch bewirken«, bot sie ihm an. »Bitte, Tobias?«

Er zog ihr Angebot einen Augenblick lang in Betracht. »Keine Zeit. Wir müssen sofort aufbrechen. Hoffentlich hast du heute nacht etwas gelernt, Lunetta. Ich lasse nicht zu, daß du dich noch einmal schlecht benimmst.«

Ihr Kopf zuckte auf und ab. »Ja, mein Lord General. Ich werde mich bessern, ganz bestimmt. Ich werde mich bessern. Ihr werdet sehen.«

Er führte sie nach oben in das Zimmer, in dem er die Zeugen vernommen hatte. Vor der Tür standen Wachen. Drinnen nahm er sein Trophäenkästchen von dem langen Tisch und schnallte es an seinen Gürtel. Er wollte schon zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. Die Silbermünze, die die Alte ihm gegeben hatte und die er hatte auf dem Tisch liegenlassen, war verschwunden. Er sah zu einem der Posten.

»Hat heute abend jemand diesen Raum betreten, nachdem ich gegangen bin?«

»Nein, Lord General«, erwiderte der Posten steif. »Keine Menschenseele.«

Brogan brummte in sich hinein. Sie war hier gewesen. Sie hatte ihre Münze wieder an sich genommen, um ihm damit eine Nachricht zu hinterlassen. Er machte sich auf dem Weg nach draußen gar nicht erst die Mühe, einen der anderen Posten zu befragen. Die hatten sicher auch nichts gesehen. Die Alte und ihre kleine Vertraute waren verschwunden. Er verbannte sie aus seinen Gedanken und konzentrierte sich auf das, was getan werden mußte.

Brogan machte sich auf den Weg in den hinteren Teil des Palastes, von wo aus es nur ein kurzes Stück über freies Gelände bis hin zu den Stallungen war. Galtero wußte, was sie für die Reise benötigten, er würde die Sachen zusammensuchen und drei Pferde satteln lassen. Bestimmt waren überall im Palast D’Haraner, doch in der Dunkelheit und bei diesem Schneegestöber würde er mit Lunetta ungehindert bis zu den Stallungen durchkommen.

Zu den Männern sagte Brogan nichts. Wenn er die Mutter Konfessor verfolgen wollte, dann ging das nur zu dritt. Drei konnten bei diesem Sturm vielleicht hinausschleichen, aber sicher nicht der gesamte Verband. Eine so große Zahl von Soldaten würde mit Sicherheit bemerkt und angehalten werden. Es würde zum Kampf kommen, und wahrscheinlich würden alle den Tod finden. Der Lebensborn verfügte über wildentschlossene Kämpfer, der Überzahl der D’Haraner wären sie jedoch nicht gewachsen. Schlimmer, seinen Beobachtungen zufolge war auch den D’Haranern das Kämpfen alles andere als fremd. Besser, sie ließen die Männer einfach als Ablenkung zurück. Was sie nicht wußten, konnten sie auch nicht verraten.

Brogan öffnete die schwere Eichentür einen Spalt weit und spähte hinaus in die Nacht. Er sah nichts als Schneegestöber, erleuchtet von dem schwachen Lichtschein, der durch ein paar Fenster im zweiten Stock nach draußen fiel. Er hätte die Lampen gelöscht, doch er brauchte das wenige Licht, das sie spendeten, um die ihm unbekannten Stallungen im Sturm zu finden.

»Bleib dicht bei mir. Wenn uns Soldaten anhalten, werden sie versuchen, uns am Fortreiten zu hindern. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen der Mutter Konfessor hinterher.«

»Aber Lord General —«

»Sei still«, fuhr Brogan sie an. »Sorge lieber dafür, daß wir durchkommen, wenn sie uns aufhalten wollen. Verstanden?«

»Wenn es viele sind, kann ich nur —«

»Fordere mich nicht heraus, Lunetta. Du hast Besserung gelobt. Jetzt gebe ich dir die Chance. Enttäusche mich nicht noch einmal.«

Sie raffte ihre hübschen Stoffe fest um ihren Körper. »Ja, Lord General.«

Brogan blies die Lampe drinnen in der Eingangshalle aus, dann zerrte er Lunetta hinaus in den Schneesturm, stapfte mit ihr durch die Verwehungen. Galtero müßte die Pferde inzwischen gesattelt haben. Sie brauchten es bloß bis zu ihm zu schaffen. Bei diesem Schnee würden die D’Haraner sie weder kommen sehen noch aufhalten können, wenn sie erst einmal auf ihren Pferden saßen. Die dunklen Stallungen kamen näher.

Plötzlich tauchten Schatten aus dem Schnee auf — Soldaten. Als sie ihn sahen, riefen sie ihren Kameraden etwas zu und zogen gleichzeitig ihren Stahl blank. Ihre Stimmen trugen im heulenden Wind nicht weit, aber weit genug, um eine Schar kräftiger Männer herbeizuholen.

Sie waren überall. »Lunetta, tu etwas.«

Sie hob einen Arm, die Finger zu einer Kralle gebogen, und begann, einen Zauber heraufzubeschwören, doch die Soldaten zögerten nicht. Sie stürmten mit erhobenen Waffen vor. Er zuckte zusammen, als ein Pfeil an seiner Wange vorbeisirrte. Der Schöpfer hatte eine Windbö geschickt, auf daß der Pfeil sein Ziel verfehlte und ihn verschonte. Lunetta duckte sich vor den Pfeilen.

Als er sah, daß die Soldaten von allen Seiten auf ihn zukamen, zog Tobias das Schwert. Er spielte mit dem Gedanken, sich zurück zum Palast durchzuschlagen, aber auch dieser Weg war versperrt. Es waren zu viele. Lunetta war so sehr damit beschäftigt, die Pfeile abzuwehren, daß sie keinen Zauber heraufbeschwören konnte, um ihnen zu helfen. Sie schrie vor Angst laut auf.

Ebenso plötzlich, wie der Pfeilhagel begonnen hatte, hörte er auf. Tobias hörte Rufe, die vom Wind davongetragen wurden. Er packte Lunetta am Arm, sprang durch die tiefen Verwehungen und hoffte, die Stallungen zu erreichen. Sicher wartete Galtero dort.

Mehrere Soldaten versuchten, ihm den Weg zu verstellen. Der, der ihm am nächsten war, schrie auf, als ein Schatten vor ihm vorüberhuschte. Der Mann stürzte mit dem Gesicht voran in den Schnee. Verwirrt beobachtete Tobias, wie die anderen Männer mit ihren Schwertern auf Windböen eindroschen.

Der Wind streckte sie erbarmungslos nieder.

Tobias blieb stolpernd stehen, konnte nicht fassen, was er sah. Ringsum gingen D’Haraner zu Boden. Schreie wurden laut im heulenden Wind. Er sah, wie der Schnee sich rot färbte. Er sah Männer, die in ihren Fußstapfen niedersanken, während ihnen die Eingeweide aus dem Leib quollen.

Tobias fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, rührte sich nicht, aus Angst, der Wind könnte auch ihn niederstrecken. Sein Blick zuckte in alle Richtungen, während er versuchte, sich einen Reim auf das zu machen, was hier geschah, und die Angreifer zu erkennen.

»Beim Schöpfer«, rief er laut, »verschone mich! Ich tue doch dein Werk!«

Männer strömten aus allen Richtungen in den Hof vor den Stallungen und wurden ebenso schnell niedergestreckt, wie sie eintrafen. Gut über hundert Leichen übersäten bereits das verschneite Schlachtfeld. Noch nie hatte er gesehen, daß Männer in solcher Geschwindigkeit mit solcher Brutalität erschlagen wurden.

Tobias ging in die Hocke und mußte zu seinem Entsetzen feststellen, daß die wirbelnden Böen sich voller Absicht bewegten.

Sie waren lebendig. Jetzt konnte er sie allmählich erkennen. Männer mit weißen Capes umschwebten ihn zu allen Seiten und attackierten die d’Haranischen Soldaten mit todbringender Schnelligkeit. Nicht einer der d’Haranischen Soldaten versuchte zu fliehen, sie alle griffen voller Ingrimm an, doch keinem einzigen gelang es, mit dem Feind die Klingen zu kreuzen, ehe er blitzschnell abgefertigt wurde.

Die Nacht wurde still bis auf den Wind. Es blieb nicht einmal Zeit, davonzurennen, da war alles bereits vorbei. Der Boden war mit reglosen, dunklen Gestalten übersät. Tobias drehte sie alle um, aber es lebte niemand mehr. Schon begann der Schnee über die Leichen zu wehen. Noch eine Stunde, und sie wären in diesem weißen Gestöber verschwunden.

Die Männer in den Capes glitten fließend durch den Schnee, sie bewegten sich elegant und geschmeidig, als wären sie aus Wind. Als sie auf ihn zukamen, entglitt das Schwert seinen gefühllosen Fingern. Tobias wollte Lunetta zurufen, sie solle sie mit einem Bann niederstrecken, aber als sie ins Licht kamen, versagte ihm die Stimme.

Es waren keine Männer.

Schuppen in der Farbe der verschneiten Nacht glänzten wellenförmig über dem Spiel der Muskeln. Glatte Haut überzog ohrenlose, haarlose plumpe Schädel mit kleinen, runden, funkelnden Augen. Die Bestien trugen nur einfache Fellkleidung unter ihren Capes, welche sich im Wind blähten und flatterten, und mit jeder krallenbesetzten Hand hielten sie blutverschmierte, dreiklingige Messer umklammert.

Es waren dieselben Kreaturen, die er draußen vor dem Palast der Konfessoren auf den Pfählen gesehen hatte — die Kreaturen, die Lord Rahl getötet hatte: Mriswiths. Jetzt, wo er gesehen hatte, wie sie diese erfahrenen Soldaten erschlagen hatten, konnte Tobias sich nicht vorstellen, daß Lord Rahl oder sonst irgend jemand auch nur einen einzigen von ihnen besiegt hatte, erst recht nicht die große Zahl, die er gesehen hatte.

Eine der Kreaturen kam auf ihn zugeschlichen und betrachtete ihn mit ungerührten Augen. Sie kam gleitend zum Stehen, keine drei Meter entfernt.

»Versssschwinde«, zischelte der Mriswith.

»Was?« stammelte Tobias.

»Verssschwinde.« Ein krallenartiges Messer sirrte durch die Luft, eine blitzschnelle Geste, elegant und von tödlicher Meisterschaft. »Fliehe.«

»Warum? Warum tut ihr das? Wieso wollt ihr, daß wir fliehen?«

Der lippenlose Mundschlitz weitete sich zu einem schauerlichen Grinsen. »Der Traumwandler will, dassss ihr flieht. Geht jetzzzzt, bevor noch weitere Hautwandler kommen. Geht.«

»Aber…«

Mit seinem schuppigen Arm raffte der Mriswith sein Cape zum Schutz gegen den Wind zusammen, machte kehrt und verschwand im Schneegestöber. Tobias starrte hinaus in die Nacht, doch der Wind war leer und ohne Leben.

Warum sollte ihm ein solch abscheuliches Geschöpf helfen wollen? Wieso sollten sie seine Feinde töten? Warum wollten sie, daß er floh?

Dann überkam ihn die Erkenntnis in einer plötzlichen Anwandlung von Liebe und Wärme. Der Schöpfer hatte sie geschickt. Natürlich. Wie hatte er nur so blind sein können? Lord Rahl hatte erzählt, er habe die Mriswiths getötet. Lord Rahl kämpfte für den Hüter. Wären die Mriswiths bösartige Geschöpfe, würde Lord Rahl auf ihrer Seite kämpfen, nicht gegen sie.

Die Mriswiths hatten gesagt, der Traumwandler habe sie geschickt. Aber im Traum erschien Tobias der Schöpfer. Das mußte es sein: der Schöpfer hatte sie geschickt.

»Lunetta.« Tobias drehte sich zu ihr um. Sie kauerte hinter ihm. »Der Schöpfer erscheint mir in meinen Träumen. Das wollten sie mir sagen, als sie meinten, jemand aus meinen Träumen habe sie geschickt. Lunetta, der Schöpfer hat sie geschickt, weil sie helfen sollen, mich zu beschützen.«

Lunetta machte große Augen. »Der Schöpfer selbst hat Euch zuliebe eingegriffen, um die Pläne des Hüters zu durchkreuzen. Der Schöpfer höchstpersönlich wacht über Euch. Er muß Großes mit Euch vorhaben, Tobias.«

Tobias holte sein Schwert unter dem Schnee hervor und richtete sich lächelnd auf. »Fürwahr. Ich habe Seinen Willen höher gehalten als alles andere, also hat Er mich beschützt. Beeil dich. Ich muß tun, was Seine Boten mir aufgetragen haben. Wir müssen aufbrechen und das Werk des Schöpfers vollbringen.«

Während er durch den Schnee stapfte und sich einen gewundenen Pfad zwischen den Leichen hindurch bahnte, hob er den Kopf und sah, wie plötzlich eine dunkle Gestalt vor ihn sprang und ihm den Weg versperrte.

»Sieh an, Lord General, Ihr wollt fort?« Ein bedrohliches Grinsen erschien auf dem Gesicht. »Willst du mich verzaubern, Magierin?«

Tobias hielt sein Schwert noch immer in der Hand, aber wußte, er würde nicht schnell genug sein.

Er erschrak, als er das markerschütternde, dumpfe Geräusch hörte. Der Kerl, der vor ihm stand, kippte mit dem Gesicht voran in den Schnee zu seinen Füßen. Tobias sah auf und erblickte Galtero, der mit dem Knüppel über der bewußtlosen Gestalt stand.

»Galtero, heute nacht habt Ihr Euch Euren Rang verdient.«

Gerade eben hatte der Schöpfer ihn mit einem Preis von unschätzbarem Wert belohnt und ihm gezeigt, daß dem Frommen nichts unerreichbar war. Dankenswerterweise hatte Galtero die Geistesgegenwart besessen, den Knüppel und nicht die Klinge zu benutzen.

Er sah das Blut von dem Schlag, aber er sah auch den Lebenshauch des Mannes. »Oh, oh, das wird eine gute Nacht. Lunetta, bevor du diesen Mann hier heilst, hast du noch etwas im Auftrag des Schöpfers zu erledigen.«

Lunetta beugte sich über die reglose Gestalt, drückte ihre Finger in das blutig verfilzte, braune, wellige Haar. »Vielleicht sollte ich zuerst die Heilung vornehmen. Galtero ist kräftiger, als er denkt.«

»Das, meine liebe Schwester, wäre nicht ratsam, wenigstens nicht nach dem, was ich gehört habe. Die Heilung kann warten.« Er sah zu seinem Colonel hinüber und deutete auf die Stallungen. »Sind die Pferde bereit?«

»Ja, Lord General. Wenn Ihr es seid.«

Tobias zog das Messer, das Galtero ihm gegeben hatte. »Wir müssen uns beeilen, Lunetta. Der Bote meinte, wir müßten fliehen.« Er hockte sich nieder und wälzte die bewußtlose Gestalt herum. »Und dann reiten wir los, der Mutter Konfessor hinterher.«

Lunetta beugte sich zu ihm vor, sah ihn an. »Aber Lord General, ich sagte Euch doch schon, das Netz des Zauberers verbirgt ihre Identität vor uns. Wir können die Fäden eines solchen Netzes nicht sehen. Wir werden sie nicht erkennen.«

Ein Grinsen spannte die Narbe neben Tobias’ Mund.

»Oh, aber ich habe die Fäden des Netzes bereits gesehen. Der Name der Mutter Konfessor lautet Kahlan Amnell.«

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