12

»Hör auf damit«, knurrte Tobias. »Die Leute werden denken, du hast Flöhe.«

Auf einer breiten Straße, zu beiden Seiten gesäumt mit majestätischen Ahornbäumen, deren kahles Astdickicht sich über ihren Köpfen verflocht, stiegen Würdenträger und Amtsinhaber verschiedenster Länder aus prunkvollen Kutschen und schlenderten das letzte Stück hinauf zum Palast der Konfessoren. Wie Uferbänke standen d’Haranische Soldaten am Rand des Stromes der grüppchenweise eintreffenden Gäste.

»Ich kann nichts dagegen tun, Lord General«, beschwerte sich Lunetta, während sie sich kratzte. »Meine Arme jucken, seit wir hier in Aydindril angekommen sind. So habe ich mich noch nie gefühlt.«

Menschen, die sich dem Strom anschlossen, starrten Lunetta ganz offen an. Wegen ihrer zerfetzten Lumpen fiel sie auf wie eine Leprakranke bei einer Krönungszeremonie. Sie schien den Spott in den Blicken nicht zu bemerken, eher hielt sie ihn für Bewunderung. Bei unzähligen Gelegenheiten hatte sie sich geweigert, eines der eleganten Kleider anzulegen, die Tobias ihr anbot, und sich damit herausgeredet, daß keines es mit ihren ›hübschen‹ Sachen aufnehmen könne. Offenbar jedoch lenkten sie sie ab und begrenzten so den Einfluß des Hüters, daher bestand er nie darauf, daß sie etwas anderes trug. Außerdem fand er es gotteslästerlich, jemandem, der vom Bösen berührt war, ein ansprechendes Äußeres zu geben.

Die Eintreffenden trugen ihre elegantesten Gewänder, Mäntel oder Pelze. Einige hatten zwar reich geschmückte Schwerter umgeschnallt, doch Tobias war sich sicher, daß diese Waffen nur der Zierde dienten. Er bezweifelte, ob auch nur einer von ihnen sein Schwert jemals in einem Augenblick der Furcht, viel weniger noch des Zorns, gezogen hatte. Schlug gelegentlich ein Umhang auf, sah er, daß die Frauen elegante Kleider trugen, während die untergehende Sonne auf dem Schmuck an ihren Hälsen, Handgelenken und Fingern blitzte. Fast schien es, als seien sie alle so aufgeregt, in den Palast der Konfessoren geladen zu sein, um den neuen Lord Rahl kennenzulernen, daß sie die d’Haranischen Soldaten nicht als bedrohlich empfanden. Nach ihrem Lächeln und Geplauder zu schließen, konnten sie es alle kaum erwarten, sich beim neuen Lord Rahl einzuschmeicheln.

Tobias knirschte mit den Zähnen. »Wenn du nicht mit dem Gekratze aufhörst, binde ich dir die Hände auf den Rücken.«

Lunetta nahm die Hände herunter. Tobias und Galtero hoben die Köpfe und sahen, daß man zu beiden Seiten der Promenade vor ihnen Leichen auf Pfähle gespießt hatte. Während die drei näher kamen, erkannte er, daß es sich nicht um Menschen handelte, sondern um schuppige Kreaturen, wie sie nur der Hüter ersonnen haben konnte. Beim Weitergehen hüllte sie ein Gestank so dicht wie Nebel ein, und sie befürchteten, er werde ihre Lunge schwärzen, sollten sie es wagen, einen Atemzug zu tun.

An manchen der Pfähle waren nur Köpfe befestigt, an manchen ganze Körper, an wieder anderen nur Körperteile. Offenbar waren alle in brutalem Kampf getötet worden. Einige der Bestien waren aufgeschlitzt worden, und mehrere hatte man vollständig in zwei Teile gehackt, so daß ihre Eingeweide wie erstarrt aus ihren Überresten hingen.

Es war, als durchschritt man ein Monument des Bösen, ein Tor zur Unterwelt.

Die anderen Gäste bedeckten ihre Nasen so gut es ging mit allem, was sie griffbereit hatten. Einige der elegant gekleideten Frauen sanken ohnmächtig zu Boden. Diener eilten ihnen zur Hilfe, fächelten ihnen mit Taschentüchern Luft zu oder rieben ihnen ein wenig Schnee auf ihre Stirn. Manche der Leute starrten voller Verwunderung auf den Anblick, andere dagegen schauderten so heftig, daß Tobias ihre Zähne klappern hörte. Nach diesem Spießrutenlauf aus Denkwürdigkeiten und Gerüchen befanden sich alle ringsum entweder in einem Zustand höchster Angst, oder zumindest sichtlicher Unruhe. Tobias, der sich schon oft inmitten des Bösen bewegt hatte, betrachtete die anderen Gäste voller Abscheu.

Auf die Frage eines mitgenommenen Diplomaten antwortete einer der seitlich stehenden D’Haraner, diese Geschöpfe hätten die Stadt angegriffen und Lord Rahl habe sie erschlagen. Die Stimmung der Gäste hellte auf. Im Weitergehen unterhielten sie sich ausgelassen darüber, welche Ehre es doch sei, einen Mann wie Lord Rahl kennenzulernen, den Herrscher ganz D’Haras. Übermütiges Gelächter wehte in der kälter werdenden Luft davon.

Galtero beugte sich näher. »Als ich vorhin draußen war, bevor all dieser Singsang losging, und die Soldaten draußen vor der Stadt noch gesprächig waren, rieten sie mir, auf der Hut zu sein. Es habe Angriffe unsichtbarer Geschöpfe gegeben, und eine Anzahl ihrer Soldaten und auch Bürger der Stadt seien zu Tode gekommen.«

Tobias erinnerte sich, daß die Alte ihm erzählt hatte, die schuppigen Kreaturen — er wußte nicht mehr, wie sie sie genannt hatte — seien aus dem Nichts gekommen und hätten jedem die Gedärme aus dem Leib gerissen, der ihnen im Weg stand. Lunetta hatte behauptet, die Frau habe die Wahrheit gesprochen. Das mußten also diese Kreaturen sein.

»Wie praktisch, daß Lord Rahl genau im richtigen Augenblick eintrifft, um die Kreaturen zu erschlagen und die Stadt zu retten.«

»Mriswiths«, sagte Lunetta.

»Was?«

»Die Frau meinte, die Kreaturen würden Mriswiths genannt.«

Tobias nickte. »Ja, ich glaube du hast recht: Mriswiths.«

Weiße Säulen ragten draußen vor dem Palasteingang in die Höhe. Das Heer der Soldaten zu beiden Seiten schleuste sie durch weiße, mit Schnitzereien verzierte, weit offenstehende Türen hinein in eine prachtvolle Eingangshalle, die durch Fenster aus blaßblauem Glas erhellt wurde. Diese waren zwischen polierten, weißen Marmorsäulen, die goldene Kapitelle krönten, eingelassen. Tobias Brogan hatte das Gefühl, in den Bauch des Bösen hineingesogen zu werden. Die anderen Gäste, hätte auch nur ein einziger von ihnen genug Verstand besessen, wären angesichts dieses Monuments der Gottlosigkeit erschaudert, und nicht wegen der toten Tierkadaver.

Nach einem langen Marsch durch elegante Korridore und Gemächer mit genügend Granit und Marmor, um daraus einen Berg zu errichten, kamen sie endlich durch eine hohe Mahagonitür und betraten einen riesigen Saal, über dem sich eine gewaltige Kuppel wölbte. Reiche Fresken von Männern und Frauen zierten die Decke.

Runde Fenster rings um den unteren Kuppelrand gewährten dem nachlassenden Licht Eintritt und gaben den Blick frei auf die Wolken, die sich am dämmernden Himmel zusammenbrauten. Die Sessel hinter dem prächtigen, mit Schnitzereien verzierten Tisch oben auf dem Podium, auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, waren leer.

Hinter mit Bögen überwölbten Durchbrüchen rings um den Saal führten Treppen hinauf zu den mit Säulengängen versehenen Balkonen, die von geschwungenen, polierten Mahagonigeländern eingefaßt wurden. Auf den Balkonen drängten sich ebenfalls Menschen — keine feingekleideten Edelleute wie im Saal selbst, bemerkte er, sondern gewöhnliches, arbeitendes Volk. Den anderen Gästen fiel dies ebenfalls auf, und sie warfen mißbilligende Blicke nach oben auf das Gesindel, das im Schatten hinter dem Geländer stand. Die Menschen dort oben hielten ein wenig Abstand zum Geländer, so als suchten sie die Anonymität der Dunkelheit, damit keiner von ihnen erkannt und zur Rechenschaft gezogen werden konnte, weil er es gewagt hatte, bei einem so großen festlichen Anlaß anwesend zu sein. Üblicherweise wurde ein großer Mann erst der Obrigkeit vorgestellt, bevor er sich dem gewöhnlichen Volk präsentierte.

Die Gäste unten ignorierten das Publikum auf den Balkonen und verteilten sich auf dem gemusterten Marmorboden. Dabei hielten sie Abstand zu den beiden Männern des Lebensborns und versuchten, es wie einen Zufall und nicht wie Absicht aussehen zu lassen, wenn sie ihnen aus dem Wege gingen. Erwartungsvoll blickten sie sich nach ihrem Gastgeber um, während sie tuschelnd die Köpfe zusammensteckten. Fast schienen sie in ihren eleganten Kleidern ein Teil der reichen Schnitzereien und Dekoration zu sein. Niemand ließ sich anmerken, daß ihm die Pracht des Palastes der Konfessoren gewaltigen Respekt einflößte. Tobias vermutete, daß die meisten häufige Besucher waren. Er war zwar nie zuvor in Aydindril gewesen, aber er wußte, wann er Speichellecker vor sich hatte. In der Umgebung seines Königs hatte es genug davon gegeben.

Lunetta blieb dicht an seiner Seite, die eindrucksvolle Architektur ringsum interessierte sie nur wenig. Von den Menschen, die sie anstarrten, nahm sie keinerlei Notiz, obwohl es inzwischen weniger geworden waren — die meisten waren jetzt eher an sich selbst und an der Aussicht, endlich Lord Rahl kennenzulernen, interessiert, als an dieser seltsamen Frau, die zwischen zwei Männern des Lebensborns in scharlachroten Capes stand. Galtero ließ den Blick im Raum schweifen, wobei er den Prunk übersah, und taxierte statt dessen ohne Unterlaß Menschen, Soldaten und Ausgänge. Die Schwerter, die er und Tobias trugen, dienten nicht der Zierde.

Bei aller Verachtung konnte Tobias nicht umhin, den Ort, an dem er stand, zu bewundern. Dies war der Ort, von dem aus die Mutter Konfessor und die Zauberer ihren Einfluß über die Midlands ausgeübt hatten. Dies war der Ort, an dem der Rat, über Jahrtausende hinweg, das Symbol der Einheit dargestellt und die Magie bewahrt und geschützt hatte. Von hier aus hatte der Hüter die Fäden gezogen.

Diese Einheit war jetzt zerschlagen. Die Magie hatte ihre Macht über die Menschen, ihre schützende Funktion, verloren. Das Zeitalter der Magie war vorbei. Die Midlands waren am Ende. Schon bald würde der Palast voller scharlachroter Capes sein, und auf dem Podium würden dann die Männer des Lebensborns sitzen. Tobias lächelte — die Geschehnisse bewegten sich unaufhaltsam auf ihr unausweichliches Ende zu.

Ein Mann und eine Frau schlenderten vorbei, mit Absicht, wie Tobias vermutete. Die Frau mit ihrem hochaufgetürmten schwarzen Haar und den feinen Locken rings um ihr buntbemaltes Gesicht beugte sich beiläufig zu ihm hinüber. »Stellt Euch vor, man lädt uns ein, und dann gibt es nicht einmal etwas zu essen.« Sie strich die Spitze am Busen ihres gelben Kleides glatt, und ein höfliches Lächeln kam ihr auf die unfaßbar roten Lippen, während sie auf eine Antwort wartete. Er erwiderte nichts, und sie fuhr fort. »Scheint sehr unfein, nicht einmal einen Tropfen Wein anzubieten, wenn man bedenkt, wie kurzfristig wir gekommen sind, findet Ihr nicht auch? Hoffentlich erwartet er nach dieser ungehobelten Behandlung nicht, daß wir seiner Einladung noch einmal Folge leisten.«

Tobias verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Ihr kennt Lord Rahl?«

»Vielleicht bin ich ihm schon mal begegnet, aber ich kann mich nicht erinnern.« Sie wischte ein für ihn nicht sichtbares Stäubchen von ihrer nackten Schulter und hielt ihm dabei ihre funkelnden Juwelen unter die Nase. »Ich bin zu so vielen Gesellschaften hier im Palast eingeladen, daß ich mir nicht all die Menschen merken kann, die mir vorgestellt werden. Schließlich ist es jetzt, nachdem Prinz Fyren ermordet wurde, doch sehr wahrscheinlich, daß Herzog Lumholtz und ich demnächst führende Positionen einnehmen.«

Sie schob die Lippen zu einem aufgesetzten Lächeln vor. »Vom Lebensborn ist mir jedoch mit Sicherheit hier noch nie jemand begegnet. Schließlich hat der Rat dem Lebensborn immer übertriebenen Eifer vorgeworfen. Nicht, daß ich damit sagen will, ich sei derselben Meinung, ganz und gar nicht, er hat ihm allerdings verboten, sein … ›Gewerbe‹ irgendwo außerhalb seines Heimatlandes auszuüben. Natürlich, zur Zeit hat es wohl den Anschein, als hätten wir keinen Rat. Wie gräßlich sie umgebracht wurden, genau hier, während sie sich über den zukünftigen Kurs der Midlands berieten. Was führt Euch hierher, Sir?«

Tobias blickte an ihr vorbei und sah, wie Soldaten die Türen schlossen. Er strich sich mit den Knöcheln über den Schnauzer und schlenderte in Richtung Podium los. »Ich wurde ›eingeladen‹, genau wie Ihr.«

Herzogin Lumholtz schloß sich ihm an. »Wie ich höre, hält die Imperiale Ordnung große Stücke auf den Lebensborn.«

Der Mann in ihrer Begleitung, der eine goldbesetzte blaue Jacke trug und große Autorität ausstrahlte, lauschte mit bemühter Gleichgültigkeit, während er vorgab, er sei mit seinen Gedanken ganz woanders. Von seinem dunklen Haar und seinen dichten Brauen her hatte Tobias bereits geschlossen, daß er Keltonier war. Die Keltonier hatten sich flugs nach der Imperialen Ordnung ausgerichtet und verteidigten eifersüchtig ihre hohe Stellung dort. Sie wußten auch, wieviel die Imperiale Ordnung von der Meinung des Lebensborns hielt.

»Ich bin überrascht, meine Dame, daß Ihr überhaupt etwas hört, soviel, wie Ihr redet.«

Ihr Gesicht wurde so rot wie ihre Lippen. Tobias blieb ihre vorhersehbare, empörte Entgegnung erspart, als auf der anderen Seite des Saals Bewegung in die Menge kam. Er war nicht groß genug, um über die Köpfe hinwegsehen zu können, also wartete er geduldig ab, denn Lord Rahl würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf das erhöhte Podium begeben. Für diesen Fall wählte er seinen Standort mit Bedacht. Nah genug, um den Mann einschätzen zu können, doch nicht so nah, um aufzufallen. Im Gegensatz zu den anderen Gästen war ihm bewußt, daß heute abend nicht zu einem gesellschaftlichen Anlaß eingeladen worden war. Vermutlich würde es stürmisch werden, und wenn es blitzte, war er nicht gern der höchste Baum. Tobias Brogan — im Gegensatz zu den Narren, die um ihn herumstanden — wußte, wann Vorsicht geboten war.

Auf der anderen Seite des Saales machten die Gäste eilig einer Staffel d’Haranischer Soldaten Platz, die wie ein Keil den Weg freiräumte. Es folgte eine dichte Formation aus Lanzenträgern, die paarweise ausscherten, um einen Korridor zu schaffen. Die Staffel nahm vor dem Podium Aufstellung, ein grimmig entschlossener Keil aus d’Haranischen Muskeln und Stahl. Die flinke Präzision war beeindruckend. Hochrangige d’Haranische Offiziere marschierten durch den Korridor und stellten sich neben das Podium. Tobias blickte über Lunettas Kopf hinweg in Galteros eiskalte Augen. Wahrlich, ein geselliger Abend würde das nicht werden.

Nervöses, erwartungsvolles Gemurmel wurde in der Menge laut, während man dessen harrte, was als nächstes geschehen würde. Dem Geraune nach zu urteilen, das Tobias mitbekam, war dergleichen im Palast der Konfessoren mehr als beispiellos. Tuschelnd machten sich rotgesichtige Würdenträger einander in ihrer Empörung Luft über den ihrer Ansicht nach nicht hinnehmbaren Einsatz bewaffneter Truppen im Ratssaal — einem Ort, der für diplomatische Verhandlungen gedacht war.

Brogan war Diplomatie gegenüber unempfänglich — Blut war eindrucksvoller und wirkte dauerhafter. Zunehmend schien ihm, als wüßte Lord Rahl dies ebenfalls, im Gegensatz zu dem Meer kriecherischer Gesichter, das sich im Saale drängte.

Tobias wußte, was dieser Lord Rahl wollte. Das war schließlich zu erwarten gewesen, denn immerhin hatten die D’Haraner den größten Teil der Last für die Imperiale Ordnung auf sich genommen. In den Bergen war er auf eine Streitmacht gestoßen, die größtenteils aus D’Haranern bestand, und die auf dem Weg nach Ebinissia war. Die D’Haraner hatten Aydindril eingenommen, dafür gesorgt, daß kein Chaos ausbrach und der Imperialen Ordnung dann die Herrschaft überlassen. Im Namen der Imperialen Ordnung hatten sie ihren Kopf im Kampf gegen die Rebellen hingehalten, andere dagegen, wie die Keltonier, wie Herzog Lumholtz, hatten ihre Machtpositionen behalten und die Befehle weitergegeben, um die D’Haraner in die Spitzen der feindlichen Klingen laufen zu lassen.

Lord Rahl hatte zweifellos die Absicht, innerhalb der Imperialen Ordnung einen hohen Rang für sich zu beanspruchen, und würde den versammelten Vertretern ihre Zustimmung abnötigen. Fast wünschte sich Tobias, man hätte Speisen angeboten. Dann hätte er beobachten können, wie all die intriganten Funktionäre sich daran verschluckten, während der neue Lord Rahl seine Forderungen stellte.

Die beiden D’Haraner, die als nächste eintraten, waren so riesig, daß Tobias ihr Näherkommen über die Köpfe der Menge hinweg verfolgen konnte. Als sie schließlich genau vor ihm standen und er ihre Lederrüstung, ihren Kettenpanzer und die gespitzten Dornenreifen über ihren Ellenbogen sah, raunte ihm Galtero über Lunettas Kopf hinweg zu: »Die beiden habe ich schon mal gesehen.«

»Wo?« raunte Tobias zurück.

Galtero betrachtete die Männer und schüttelte den Kopf. »Draußen auf der Straße irgendwo.«

Tobias drehte sich wieder um, und zu seiner Überraschung erblickte er drei Frauen in rotem Leder, die den beiden riesenhaften D’Haranern folgten. Nach den Berichten, die Tobias gehört hatte, konnte es sich bei ihnen nur um Mord-Siths handeln. Mord-Siths standen in dem Ruf, äußerst gefährlich für den zu sein, der Magie besaß und sich ihnen widersetzte. Tobias hatte sich einmal der Dienste einer dieser Frauen versichern wollen, doch man hatte ihm erzählt, daß sie nur dem Herrscher von D’Hara dienten und unnachsichtig gegen jeden vorgingen, der ihnen irgendwelche Angebote machte. Nach dem, was er gehört hatte, waren sie nicht käuflich, für welchen Preis auch immer.

Machten die Mord-Siths die Menge schon nervös, dann raubte ihr das, was danach kam, den Atem. Kinnladen fielen beim Anblick einer monströsen Bestie mit Krallen, Reißzähnen und Flügeln herunter. Selbst Tobias versteifte sich beim Anblick des Gar. Kurzschwänzige Gars galten als äußerst aggressive, blutrünstige Rohlinge, die alles Lebendige fraßen, was ihnen unterkam. Seit dem Fall der Grenze im vergangenen Frühjahr hatten Gars dem Lebensborn nicht wenig Ärger bereitet. Im Augenblick trabte diese Bestie ganz ruhig hinter den drei Frauen her. Tobias überprüfte, ob sein Schwert locker in der Scheide steckte, und bemerkte, daß Galtero dasselbe tat.

»Bitte, Lord General«, greinte Lunetta, »ich will jetzt fort.« Sie kratzte sich heftig an den Armen.

Brogan packte sie am Oberarm, riß sie an sich heran und redete zwischen zusammengepreßten Zähnen auf sie ein. »Du wirst dir diesen Lord Rahl jetzt aufmerksam ansehen, oder ich habe keine Verwendung mehr für dich. Hast du verstanden? Und hör mit dem Gekratze auf!«

Ihre Augen wurden wässrig, als er ihr den Arm verdrehte. »Ja, Lord General.«

»Paß genau auf, was er sagt.«

Sie nickte, während die beiden riesenhaften D’Haraner ihre Plätze am jeweiligen Ende des Podiums einnahmen. Die drei Frauen in rotem Leder stiegen zwischen ihnen hinauf und ließen einen Platz in der Mitte frei, vermutlich für den Lord Rahl, wenn er denn endlich kam. Der Gar stand hochaufragend hinter den Sesseln.

Die blondköpfige Mord-Sith in der Mitte des Podiums sah sich mit einem durchdringenden Blick, der sich Stille ausbat, im Saal um.

»Bewohner der Midlands«, sagte sie, hob einführend den Arm und deutete auf den leeren Sessel oberhalb des Tisches, »hiermit stelle ich Euch Lord Rahl vor.«

Ein Schatten nahm in der Luft Gestalt an. Plötzlich zeichnete sich ein schwarzer Umhang ab, und als dieser weit auseinandergerissen wurde, stand dort oben auf dem Podium ein Mann.

Jene, die ganz vorne standen, wichen erschrocken zurück. Vereinzelt schrien Leute entsetzt auf. Einige riefen den Schöpfer an, er solle sie beschützen, andere flehten, die Seelen möchten ihnen zur Hilfe kommen, wieder andere fielen auf die Knie. Viele verstummten vor Schreck, dennoch wurden einige der Zierschwerter zum ersten Mal aus Furcht blank gezogen. Als ein D’Haraner aus der ersten Reihe der Staffel sie mit leiser, eisiger Stimme ermahnte, die Waffen in die Scheide zurückzustecken, stießen sie die Klingen widerstrebend in ihre Hüllen zurück.

Lunetta kratzte sich heftig, als sie zu dem Mann hochblickte, doch diesmal hinderte Brogan sie nicht daran. Selbst er spürte, wie das Unheil der Magie ihm eine Gänsehaut bereitete.

Der Mann dort oben wartete geduldig, bis die Menge still geworden war, dann sprach er mit ruhiger Stimme.

»Ich bin Richard Rahl, von den D’Haranern Lord Rahl genannt. Andere Völker kennen mich unter anderen Titeln. Prophezeiungen aus ferner Vergangenheit, noch vor der Entstehung der Midlands, haben mir diesen Namen eingetragen.« Er stieg vom Tisch herunter und stellte sich zwischen die Mord-Siths. »Doch es ist die Zukunft, über die zu sprechen ich vor Euch trete.«

Obwohl nicht so groß wie die beiden D’Haraner zu den Seiten des geschwungenen Tisches, war er dennoch ein kräftiger Mann, groß und muskulös und überraschend jung. Seine Kleidung, ein schwarzer Umhang und hohe Stiefel, eine dunkle Hose und ein schlichtes Hemd, war einfach, um so mehr für jemanden, der sich als ›Lord‹ bezeichnete. Auch wenn das Blinken einer silbernen und goldenen Scheide an seiner Hüfte kaum zu übersehen war, so schien er doch nichts weiter zu sein als ein Mann aus den Wäldern. Tobias fand, der Mann sah zudem müde aus, so als lastete ein Berg von Sorgen auf seinen Schultern.

Tobias war das Schlachtfeld nicht fremd, und so erkannte er allein an der eleganten Haltung dieses Mannes, an der Selbstverständlichkeit, mit der der Waffengurt über seiner Schulter lag und das Schwert an seiner Hüfte sich mit ihm zusammen bewegte, daß man diesen Mann nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte. Das Schwert hing nicht zur Zierde dort, es war eine Waffe. Der Kerl wirkte wie ein Mann, der in letzter Zeit eine große Zahl Entscheidungen aus Verzweiflung heraus gefällt und sie alle überlebt hatte. Trotz seines bescheidenen Äußeren hatte er eine unerklärliche Autorität an sich, und sein Auftreten gebot Aufmerksamkeit.

Schon hatten viele der Frauen die Haltung wiedergefunden und begannen ihm heimlich zuzulächeln, dabei zwinkerten sie und verfielen in die einstudierten Gewohnheiten, mit denen sie sich bei denen einschmeichelten, die Macht ausübten. Auch wenn der Mann nicht auf derbe Weise gut ausgesehen hätte, sie hätten dasselbe getan, wenn auch vielleicht mit weniger Ernst. Entweder bemerkte Lord Rahl ihr lüsternes Gebaren nicht, oder er hatte sich entschlossen, es zu ignorieren.

Doch was Brogan interessierte, waren seine Augen. Die Augen verrieten den Charakter eines Mannes, und von ihnen ließ er sich nur selten täuschen. Wenn der stählerne Blick dieses Mannes sich auf die Menschen richtete, wich manch einer zurück, ohne es zu merken, und andere wurden unruhig. Jetzt wandten sich diese Augen in Tobias’ Richtung, und der Blick fiel zum ersten Mal auf ihn.

Der kurze Blick war alles, was er brauchte: Lord Rahl war ein sehr gefährlicher Mann.

Zwar war er jung und fühlte sich in seiner Haut nicht wohl, weil er das Zentrum allen Interesses war, und doch war er nichtsdestotrotz ein Mann, der wie der Teufel kämpfen würde. Augen wie diese hatte Tobias schon einmal gesehen. Dieser Mann würde sich kopfüber von einer Klippe stürzen, um jemanden zu verfolgen, wenn es sein mußte.

»Ich kenne ihn«, raunte Galtero.

»Was? Woher?«

»Heute morgen, als ich Zeugen gesucht habe, bin ich diesem Mann begegnet. Ich wollte ihn zum Verhör zu Euch bringen, da sind diese beiden riesigen Wachen aufgetaucht und haben ihn fortgeschleppt.«

»Das ist schade. Es wäre sicherlich…«

Die plötzliche Stille im Saal ließ Tobias aufsehen. Lord Rahl starrte ihn an. Es war, als schaute man in die durchdringenden, grauen Augen eines Raubvogels.

Lord Rahls Blick wanderte weiter zu Lunetta. Sie erstarrte. Überraschenderweise huschte ein Lächeln über seine Lippen.

»Von allen Frauen auf dem Ball«, meinte Lord Rahl zu ihr, »ist dein Kleid das hübscheste.«

Lunetta strahlte. Tobias hätte fast laut aufgelacht. Lord Rahl hatte den anderen Anwesenden im Saal gerade auf einschneidende Weise klargemacht, daß ihr gesellschaftlicher Rang für ihn nichts zählte. Plötzlich fing Tobias an, sich zu amüsieren. Vielleicht wäre der Imperialen Ordnung mit einem Mann wie diesem unter ihren Führern gar nicht schlecht gedient.

»Die Imperiale Ordnung«, begann Lord Rahl, »glaubt, die Zeit sei gekommen, die Welt unter allgemein verbindlichen Regeln — den ihren — zu vereinen. Diese Leute sagen, Magie sei für jedes Versagen, für alles Unglück und sämtliche Sorgen der Menschen verantwortlich. Sie behaupten, alles Unheil ginge auf den äußeren Einfluß von Magie zurück. Sie sagen, die Zeit sei gekommen, daß die Magie aus der Welt verschwinde.«

Einige im Saal gaben ihm murmelnd recht, andere brummten skeptisch, doch die meisten blieben stumm.

Lord Rahl legte einen Arm über die Lehne des größten Sessels — desjenigen in der Mitte. »Damit ihre Vision sich erfüllt, und im Hinblick auf die von ihnen selbst verkündete göttliche Sache, wollen sie keinem einzigen Land seine Souveränität zugestehen. Sie wollen, daß sich alle ihrem Einfluß unterstellen und als ein Volk in die Zukunft schreiten: als Untertanen der Imperialen Ordnung.«

Er hielt einen Augenblick inne und blickte vielen unten im Saal in die Augen. »Magie ist keineswegs ein Quell des Bösen. Das ist lediglich eine Rechtfertigung für ihre Taten auf dem Weg zur Herrschaft.«

Ein Flüstern machte sich im Saal breit, und gemurmelte Debatten wurden lauter. Herzogin Lumholtz trat energisch vor und bat sich Aufmerksamkeit aus. Sie lächelte Lord Rahl zu, bevor sie den Kopf verneigte.

»Was Ihr da sagt, Lord Rahl, ist ja sehr interessant, aber der Lebensborn hier« — mit einer knappen Bewegung ihrer Hand deutete sie auf Tobias und funkelte ihn dabei eiskalt an — »sagt, alle Magie sei ein Auswurf des Hüters.«

Weder sagte Brogan etwas noch rührte er sich von der Stelle, Lord Rahl sah nicht in seine Richtung, sondern hielt statt dessen den Blick auf die Herzogin gerichtet.

»Ein Kind, das neu in diese Welt kommt, ist Magie. Wollt Ihr das als Unheil bezeichnen?«

Ein gebieterisches Heben ihrer Hand ließ die Menschenmenge in ihrem Rücken verstummen. »Der Lebensborn predigt, Magie sei vom Hüter selbst erschaffen und könne daher nur eine Verkörperung des Bösen sein.«

Zustimmende Rufe erschallten von verschiedenen Stellen unten im Saal und oben auf dem Balkon. Diesmal war es Lord Rahl, der die Hand hob und die Menge zum Schweigen brachte.

»Der Hüter ist der Zerstörer, der Verderber allen Lichts und Lebens, der Hauch des Todes. Wie ich erzählen hörte, ist es der Schöpfer mit seiner Macht und Erhabenheit, der alle Dinge ins Leben ruft.« Fast wie aus einem Mund schrie die Menge, dies sei wahr.

»Wenn das so ist«, sagte Lord Rahl, »dann ist der Glaube, daß Magie vom Hüter stammt, eine Gotteslästerung. Wäre der Hüter imstande, ein neugeborenes Kind zu schaffen? Dem Hüter die Fähigkeit zur Schöpfung zuzuschreiben, die allein das Reich des Schöpfers ist, hieße dem Hüter eine Reinheit zugestehen, die nur dem Schöpfer innewohnt. Der Hüter ist nicht zur Schöpfung fähig. An einem solch profanen Glauben festzuhalten, kann nur als Ketzerei bezeichnet werden.«

Stille senkte sich wie ein Leichentuch über den Saal. Lord Rahl legte den Kopf seitlich und sah die Herzogin an. »Seid Ihr deshalb vorgetreten, Mylady, weil Ihr Euch als Ketzerin offenbaren wollt? Oder einfach nur, um einen anderen zu Eurem persönlichen Vorteil der Ketzerei zu bezichtigen?«

Mit einem Gesicht, das ein weiteres Mal so rot wurde wie ihre zusammengepreßten Lippen, wich sie mehrere Schritte zurück und stellte sich wieder neben ihren Gatten. Der Herzog, dessen Gesicht nicht länger ruhig blieb, drohte Lord Rahl mit dem Finger.

»Eure verdrehten Worte werden nichts an der Tatsache ändern, daß die Imperiale Ordnung gegen das Unheil des Hüters kämpft und angetreten ist, um uns gegen ihn zu vereinen. Ihr Ziel ist lediglich das gemeinsame Wohl aller Völker. Magie verweigert der Menschheit dieses Recht. Ich bin Keltone und stolz darauf, aber es ist an der Zeit, diese Kleinstaaterei hinter uns zu lassen. Wir haben umfassende Gespräche mit der Imperialen Ordnung geführt, und sie als zivilisierte und ehrbare Menschen kennengelernt, deren Interesse es ist, alle Länder in Frieden zu vereinen.«

»Ein nobles Ideal«, antwortete Lord Rahl mit ruhiger Stimme, »das in der Einheit der Midlands bereits verwirklicht war, das Ihr jedoch aus Habsucht aufgegeben habt.«

»Die Imperiale Ordnung ist anders. Sie bietet wahre Stärke und echten, dauerhaften Frieden.«

Lord Rahl fixierte den Herzog mit einem wütend funkelnden Blick. »Auf Friedhöfen wird nur selten der Frieden gebrochen.« Er richtete sein wütendes Funkeln auf die Menschenmenge. »Es ist noch nicht lange her, als eine Armee der Imperialen Ordnung durch das Herz der Midlands fegte und danach trachtete, andere in ihren Schoß aufzunehmen. Viele schlossen sich ihnen an, was bewirkte, daß ihre Streitmacht immer größer wurde. Ein d’Haranischer General mit Namen Riggs führte sie an, zusammen mit Offizieren verschiedener Länder. Dabei unterstützte ihn ein Zauberer Slagle, von Keltonischem Geblüt.

Über einhunderttausend Mann fielen über Ebinissia her, den Sitz der Krone Galeas. Die Imperiale Ordnung befahl dem Volk von Ebinissia, sich ihnen anzuschließen und Untertanen der Imperialen Ordnung zu werden. Als man sie aufforderte, sich der Aggression gegen die Midlands zu widersetzen, tat das Volk von Ebinissia dies voller Tapferkeit. Sie weigerten sich, ihre Verpflichtung gegenüber der Einheit und der gemeinschaftlichen Verteidigung aufzugeben, die die Midlands ausmachte.«

Der Herzog öffnete den Mund und wollte etwas sagen, doch zum allerersten Mal nahm Lord Rahls Stimme einen bedrohlichen Unterton an, der ihm das Wort abschnitt.

»Die galeanische Armee verteidigte die Stadt bis zum letzten Mann. Der Zauberer benutzte seine Kraft dazu, die Stadtmauern einzureißen, und die Imperiale Ordnung stürmte sie. Als die galeanischen Verteidiger, bei weitem in der Unterzahl, vernichtet waren, besetzte die Imperiale Ordnung die Stadt nicht, sondern zog durch sie hindurch wie ein Rudel heulender Wölfe — und vergewaltigte, folterte und ermordete brutal hilflose Menschen.«

Lord Rahl, die Kiefer fest zusammengebissen, beugte sich über den Tisch vor und zeigte auf Herzog Lumholtz. »Die Imperiale Ordnung schlachtete jeden lebenden Menschen in Ebinissia ab: die Alten, die Jungen, die Neugeborenen. Sie pfählten wehrlose, schwangere Frauen, um auf diese Weise sowohl die Mutter als auch das ungeborene Kind zu töten.«

Mit zornrotem Gesicht schlug er krachend mit der Faust auf den Tisch. Der ganze Saal fuhr zusammen. »Mit dieser Tat strafte die Imperiale Ordnung alle ihre Worte Lügen. Sie haben das Recht verwirkt, irgend jemandem zu erzählen, was richtig ist und was gottlos. Sie wissen nicht, was Tugend ist. Sie kommen aus einem ganz bestimmten Grund, und aus diesem Grund allein: zu besiegen und zu unterwerfen. Sie haben die Menschen in Ebinissia dahingemetzelt, um anderen zu zeigen, was jedem droht, der sich ihnen entgegenstellt.

Weder Grenzen noch Vernunft können sie aufhalten. Männer mit dem Blut von kleinen Kindern an ihren Klingen kennen keine Moral. Wagt es nicht, mir etwas anderes zu erzählen. Die Imperiale Ordnung läßt sich durch nichts rechtfertigen. Sie hat die Fangzähne hinter ihrem Lächeln gezeigt, und bei den Seelen, sie hat das Recht verwirkt, Reden zu schwingen, denen man Glauben schenken kann!«

Lord Rahl atmete tief durch und richtete sich auf. »Beide, sowohl die Verteidiger als auch die Angreifer, verloren viel an jenem Tag. Die Verteidiger ihr Leben. Die Angreifer ihre Menschlichkeit und das Recht, gehört zu werden — oder daß man ihnen irgendwann noch Glauben schenkt. Sie haben sich und jeden, der sich ihnen anschließt, mir zum Feind gemacht.«

»Und wer waren diese Soldaten?« fragte jemand. »Viele waren D’Haraner, wie Ihr selbst zugebt. Ihr führt die D’Haraner an, wie Ihr gesagt habt. Als die Grenze vergangenes Frühjahr fiel, stürmten die D’Haraner ins Land und begingen scheußliche Greueltaten, ganz so, wie Ihr berichtet. Zwar blieb Aydindril diese Grausamkeit erspart, viele andere Städte und Ortschaften erlitten jedoch das gleiche Schicksal wie Ebinissia, allerdings durch die Hände D’Haras. Und jetzt sollen wir Euch glauben? Ihr seid kein bißchen besser.«

Lord Rahl nickte. »Was Ihr über D’Hara sagt, ist wahr. D’Hara wurde von meinem Vater, Darken Rahl, geführt, der für mich jedoch ein Fremder war. Er hat mich nicht erzogen. Was er wollte, war größtenteils das gleiche, was auch die Imperiale Ordnung will: alle Länder erobern und alle Menschen beherrschen. Ging es bei der Imperialen Ordnung um den Zusammenschluß zu einem einzigen festen Block, so hatte er nur sein persönliches Wohl im Blick. Neben brutaler Gewalt benutzte er auch Magie, um seine Ziele zu erreichen, genau wie die Imperiale Ordnung.

Ich bin gegen alles, wofür Darken Rahl einst stand. Er machte vor keiner Bosheit halt, um seinen Willen durchzusetzen. Er folterte und tötete unzählige unschuldige Menschen und unterdrückte die Magie, damit sie nicht gegen ihn eingesetzt werden konnte, genau wie es die Imperiale Ordnung tut.«

»Dann seid Ihr genau wie er.«

Lord Rahl schüttelte den Kopf. »Nein, das bin ich nicht. Ich giere nicht nach Macht. Ich ergreife das Schwert nur, weil ich dabei helfen kann, der Unterdrückung Widerstand zu leisten. Ich habe auf Seiten der Midlands gegen meinen Vater gekämpft. Am Ende habe ich ihn für seine Verbrechen getötet. Als er seine abscheuliche Magie dazu benutzte, aus der Unterwelt zurückzukehren, wandte ich ebenfalls Magie an, um ihn aufzuhalten und seine Seele zurück zum Hüter zu schicken. Ich benutzte Magie, um ein Tor zu schließen, das der Hüter dazu mißbrauchte, seine Günstlinge in diese Welt zu entsenden.«

Brogan biß die Zähne aufeinander. Aus Erfahrung wußte er, daß Verderbte oft ihre wahre Natur hinter Geschichten darüber zu verbergen suchten, wie tapfer sie den Hüter und seine Günstlinge bekämpft hatten. Er hatte genug von diesen verfälschten Berichten gehört, um zu erkennen, daß sie von der eigentlichen Bosheit in den Herzen dieser Menschen ablenken sollten. Die Anhänger des Hüters waren oft zu feige, wahres Wesen zu offenbaren und versteckten sich daher hinter Prahlereien und erfundenen Heldentaten.

Tatsächlich wäre er viel eher in Aydindril eingetroffen, wäre er nach seinem Abzug aus Nicobarese nicht auf so viele Nester voller Verderbter gestoßen. Ganze Dörfer und Ortschaften, wo jeder ein frommes Leben zu führen schien, waren, wie sich herausstellte, von Verdorbenheit zerfressen. Einige der hartnäckigeren Verfechter ihrer eigenen Tugendhaftigkeit mußten erst gründlichen Verhören unterzogen werden, bevor sie schließlich ihre Blasphemie gestanden. Im Verlauf dieser gründlichen Verhöre waren ihnen die Namen der streganicha und der Verderbten, die in der Gegend lebten und sie zum Bösen verleitet hatten, ganz leicht über die Lippen gekommen.

Die einzige Lösung war Läuterung gewesen. Ganze Dörfer und Ortschaften hatten dem Feuer übergeben werden müssen. Nicht einmal ein Ortsschild zum Versteck des Hüters blieb von ihnen. Der Lebensborn aus dem Schoß der Kirche hatte das Werk des Schöpfers vollendet, doch das hatte Zeit und Mühe gekostet.

Innerlich brodelnd, richtete Brogan seine Aufmerksamkeit wieder auf Lord Rahls Worte.

»Ich nehme diese Herausforderung nur deswegen an, weil man mir das Schwert aufgedrängt hat. Ich bitte Euch, mich nicht danach zu beurteilen, wer mein Vater war, sondern nach meinen eigenen Taten. Ich schlachte keine unschuldigen, hilflosen Menschen ab. Doch die Imperiale Ordnung geht so vor. Solange ich nicht gewaltsam das Vertrauen ehrlicher Menschen breche, habe ich das Recht auf eine gerechte Beurteilung.

Ich kann nicht danebenstehen und mitansehen, wie das Böse triumphiert. Ich werde mit allem kämpfen, was ich habe, auch mit Magie. Wenn Ihr Euch auf die Seite dieser Mörder schlagt, werdet Ihr unter meinem Schwert keine Gnade finden.«

»Wir wollen nichts weiter als Frieden!« rief jemand.

Lord Rahl nickte. »Ich wünsche mir auch nichts mehr als Frieden, damit ich nach Hause in meine geliebten Wälder gehen und ein einfaches Leben führen kann. Doch das kann ich nicht, ebensowenig wie wir zur schlichten Unschuld unserer Kindheit zurückkehren können. Man hat mir die Verantwortung aufgedrängt. Wenn man hilfsbedürftigen Unschuldigen den Rücken zukehrt, macht man sich zum Komplizen des Aggressors. Im Namen der Unschuldigen und Wehrlosen ergreife ich das Schwert und fechte diesen Kampf aus.«

Lord Rahl legte seinen Arm wieder über den Sessel in der Mitte. »Dies ist der Platz der Mutter Konfessor. Tausende von Jahren haben die Mütter Konfessor die Midlands mit wohlwollender Hand regiert, waren darum bemüht, die Länder zusammenzuhalten, darauf bedacht, daß alle Völker der Midlands als Nachbarn in Frieden leben und ihren eigenen Angelegenheiten ohne Furcht vor einer außenstehenden Macht nachgehen konnten.« Er ließ seinen Blick über die Augen wandern, die ihn beobachteten. »Der Rat trachtete danach, den Frieden der Einheit zu zerstören, für die dieser Saal und diese Stadt standen, und von dem Ihr so voller Sehnsucht sprecht. Er verurteilte die Mutter Konfessor einstimmig zum Tode und ließ sie hinrichten.«

Lord Rahl zog langsam sein Schwert blank und legte die Waffe auf die vordere Kante des Tisches, wo alle sie sehen konnten. »Ich sagte, daß man mich unter verschiedenen Titeln kennt. Ich bin auch der Sucher, dazu ernannt vom Ersten Zauberer. Ich trage zu Recht das Schwert der Wahrheit. Gestern abend habe ich den Rat für seinen Verrat hingerichtet.

Ihr seid die Vertreter der Länder der Midlands. Die Mutter Konfessor bot Euch die Chance, zusammenzustehen, doch Ihr habt dieses Angebot abgelehnt und damit auch ihr den Rücken zugekehrt.«

Ein Mann außerhalb Tobias’ Gesichtsfeld brach das eisige Schweigen. »Wir waren nicht alle mit dem Vorgehen des Rates einverstanden. Viele von uns wollten, daß die Midlands weiterbestehen. Die Midlands werden wieder vereint werden und aus dem Kampf stärker hervorgehen als zuvor.«

Viele in der Menge gelobten, ihr Bestes zu geben, um die Einheit wiederherzustellen. Andere blieben stumm.

»Dafür ist es zu spät. Ihr habt Eure Chance gehabt. Die Mutter Konfessor hat Euer Gezänk und Euren Eigensinn ertragen.« Lord Rahl rammte sein Schwert zurück in die Scheide. »Ich werde das nicht tun.«

»Was redet Ihr da?« fragte Herzog Lumholtz, dessen Verärgerung seinem Ton eine gewisse Schärfe verlieh. »Ihr seid aus D’Hara. Ihr habt kein Recht, uns vorzuschreiben, was in den Midlands geschieht. Die Midlands sind unsere eigene Angelegenheit.«

Lord Rahl stand reglos wie eine Statue da, während er sich mit seiner sanften, achtunggebietenden Stimme an die Menge wandte. »Die Midlands existieren nicht länger. Ich löse sie auf, hier und jetzt. Von jetzt an ist jedes Land auf sich gestellt.«

»Die Midlands sind nicht Euer Spielzeug!«

»Auch nicht das Keltons«, erwiderte Lord Rahl. »Kelton hatte den Plan, die Midlands zu beherrschen.«

»Wie wagt Ihr es, uns zu beschuldigen…«

Lord Rahl hob seine Hand und bat sich Ruhe aus. »Ihr seid ebenso raffgierig wie manche von den anderen. Viele von Euch konnten es kaum erwarten, die Mutter Konfessor und die Zauberer los zu sein, um die Beute unter sich aufzuteilen.«

Lunetta zupfte ihn am Arm. »Das stimmt«, sagte sie leise. Brogan gebot ihr mit einem eisigen Blick Schweigen.

»Die Midlands werden diese Einmischung in ihre Angelegenheiten nicht hinnehmen!« rief jemand anderes.

»Ich bin nicht hier, um über die Regierung der Midlands mit Euch zu diskutieren. Ich habe es Euch gerade erst erklärt, die Midlands sind aufgelöst.« Lord Rahl betrachtete die Menge mit einem funkelnden Blick von solch tödlicher Entschlossenheit, daß Tobias bald das Atmen vergessen hätte. »Ich bin gekommen, um Euch die Bedingungen Eurer Kapitulation zu diktieren.«

Die Menge zuckte wie ein Mann zusammen. Verärgerte Rufe wurden laut und schwollen an, bis der Saal tobte. Rotgesichtige Männer schworen fäusteschwingend Eide.

Herzog Lumholtz schrie alle nieder und drehte sich ein weiteres Mal zum Podium um. »Ich weiß nicht, welch törichte Vorstellungen Ihr Euch in den Kopf gesetzt habt, junger Mann, aber diese Stadt steht unter der Obhut der Imperialen Ordnung. Viele haben vernünftige Abmachungen mit ihr getroffen. Die Midlands werden bestehen bleiben, durch die Imperiale Ordnung vereint werden und niemals vor D’Hara und seinesgleichen die Waffen strecken!«

Als die Menschenmenge auf Lord Rahl zubrandete, erschienen rote Stäbe in den Händen der Mord-Siths, die Staffel aus Soldaten zog Stahl blank, Lanzen senkten sich, und der Gar breitete mit einem Schlag die Flügel aus. Das Tier knurrte, seine Reißzähne trieften, seine grünen Augen leuchteten. Lord Rahl stand wie eine Mauer aus Granit da. Die Menge kam zum Stillstand und wich dann zurück.

Lord Rahls Anspannung drückte sich in seiner bedrohlichen Körperhaltung sowie in seinem funkelnden Blick aus. »Man hat Euch eine Chance gegeben, die Midlands zu erhalten, aber ihr habt sie nicht genutzt. D’Hara hat sich von der Imperialen Ordnung befreit und regiert nun in Aydindril.«

»Ihr glaubt nur, daß Ihr Aydindril in Eurer Gewalt habt«, widersprach der Herzog. »Wir haben Truppen hier, wie eine große Zahl der anderen Länder auch, und haben keinesfalls die Absicht, die Stadt kampflos aufzugeben.«

»Auch das kommt ein wenig spät.« Lord Rahl streckte die Hand aus. »Darf ich General Reibisch vorstellen, den Kommandanten aller d’Haranischen Streitkräfte in diesem Gebiet?«

Der General, ein muskulöser Mann mit rostrotem Bart und Narben im Gesicht, kletterte auf das Podium und salutierte vor Lord Rahl mit einem Faustschlag aufs Herz, bevor er sich an die Leute wandte. »Meine Truppen sitzen in Aydindril und haben es gleichzeitig umzingelt. Endlich sind wir von der Herrschaft der Imperialen Ordnung befreit und wieder D’Haraner, angeführt von Herrscher Rahl.

D’Haranische Soldaten mögen es nicht, tatenlos herumzusitzen. Falls jemand von Euch einen Kampf wünscht, ich persönlich hätte nichts dagegen. Lord Rahl hat allerdings befohlen, daß wir mit dem Morden nicht beginnen dürfen. Aber wenn wir uns verteidigen müssen, dann, die Seelen wissen es, erledigen wir das gründlich. Das ermüdende Geschäft der Besatzung langweilt mich fast zu Tode, viel lieber würde ich mich etwas Interessanterem widmen, etwas, das ich gut beherrsche.

Jedes eurer Länder hat Verbände abkommandiert, die eure Paläste bewachen sollen. Solltet Ihr beschließen, mit allen Euch zur Verfügung stehenden Truppen um die Stadt zu kämpfen, würde es meiner Einschätzung nach einen, vielleicht zwei Tage dauern, bis wir Euch in die Flucht geschlagen hätten. Wenn das erledigt wäre, hätten all unsere Schwierigkeiten ein Ende. Hat der Kampf einmal begonnen, machen D’Haraner keine Gefangenen mehr.«

Der General trat mit einer Verbeugung vor Lord Rahl zurück.

Alles redete wild durcheinander, mancher schüttelte erzürnt die Fäuste und versuchte, sich durch Gebrüll Gehör zu verschaffen. Lord Rahl riß die Hand nach oben.

»Ruhe!« Es wurde fast augenblicklich still, und er fuhr fort: »Ich habe Euch hierher eingeladen, um mir anzuhören, was Ihr zu sagen habt. Doch erst, wenn Ihr Euch entschlossen habt, Euch D’Hara zu ergeben, werde ich mich dem widmen, was Ihr zu sagen habt. Vorher nicht!

Die Imperiale Ordnung will ganz D’Hara und die Midlands beherrschen. D’Hara hat sie verloren. In D’Hara regiere ich. Aydindril hat sie verloren, in Aydindril regiert D’Hara.

Ihr hattet eine Chance zur Einheit, und Ihr habt sie leichtfertig vertan. Diese Chance ist Vergangenheit. Jetzt bleiben Euch nur zwei Alternativen. Die erste besteht darin, Euch auf die Seite der Imperialen Ordnung zu schlagen. Sie wird mit eiserner Faust herrschen. Ihr werdet nichts zu sagen und keine Rechte haben. Alle Magie wird ausgerottet werden, bis auf jene, mit der sie Euch beherrscht. Überlebt Ihr, wird Euer Leben ein trostloser Kampf ohne Hoffnung auf Freiheit. Ihr werdet ihre Sklaven sein.

Eure andere Alternative ist, Euch D’Hara zu ergeben. Ihr werdet Euch an die Gesetze D’Haras halten. Seid ihr erst mit uns vereint, werdet Ihr bei diesen Gesetzen ein Mitspracherecht erhalten. Ihr werdet das Recht auf die Früchte Eurer Arbeit haben, das Recht auf Handel und Erfolg, solange Ihr Euch im Rahmen der Gesetze bewegt und die Rechte anderer achtet. Magie wird geschützt werden, und Eure Kinder werden in eine freie Welt hineingeboren werden, in der ihnen alle Möglichkeiten offenstehen.

Sobald die Imperiale Ordnung ausgerottet ist, wird es Frieden geben. Wahren Frieden.

Doch das hat seinen Preis: Eure Souveränität. Man wird Euch zwar erlauben, Eure Länder und Kultur beizubehalten, ein stehendes Heer wird man Euch aber nicht gestatten. Die einzigen Männer unter Waffen werden jene sein, die allen gemeinsam dienen — unter dem Banner D’Haras. Dies wird kein Zusammenschluß unabhängiger Länder sein, Euer Verzicht ist endgültig. Die Kapitulation ist der Preis, den jedes Land für den Frieden zahlt, und der Beweis dafür, daß Ihr Euch ihm verpflichtet fühlt.

Zwar werdet Ihr alle eine Abgabe an Aydindril leisten, trotzdem wird kein einziges Land, kein Volk die Last der Freiheit alleine tragen müssen. Alle Länder, alle Völker werden eine Steuer zahlen, die für die gemeinsame Verteidigung ausreicht, sonst aber nichts. Alle werden gleichermaßen zahlen, niemand wird bevorzugt werden.«

Im Saal brach Protestgeschrei aus. Die meisten machten geltend, dies sei Diebstahl dessen, was ihnen gehöre. Lord Rahl brachte sie allein mit seinem Blick zum Schweigen.

»Was ohne Preis gewonnen wurde, ist nichts wert. Erst heute bin ich an diese Tatsache erinnert worden. Sie war es, die wir begraben haben. Freiheit hat ihren Preis, und den werden alle tragen, auf daß alle sie zu schätzen wissen und sie bewahren.«

Unter den Menschen auf dem Balkon wäre fast ein Tumult ausgebrochen. Sie beschwerten sich, man habe ihnen Gold versprochen, daß dieses ihnen gehöre und daß sie es sich nicht leisten könnten, eine Steuer zu bezahlen. Ein Sprechchor setzte ein, in dem verlangt wurde, man solle ihnen das Gold aushändigen. Wieder hob Lord Rahl seine Hand und bat sich Ruhe aus.

»Der Mann, der Euch das Gold versprochen hat, ist tot. Grabt ihn aus und beschwert Euch bei ihm, wenn Ihr wollt. Die Männer, die für Eure Freiheit kämpfen, benötigen Lebensmittel — und die werden unsere Truppen nicht stehlen. Wer von Euch Speisen und Dienste bereitstellen kann, wird einen fairen Preis für seine Arbeit und seine Waren gezahlt bekommen. Am Kampf für Freiheit und Frieden werden sich alle beteiligten, wenn nicht im Dienst unter Waffen, dann wenigstens mit Steuern zur Unterstützung unserer Truppen.

Alle, über welche Mittel sie auch verfügen, müssen etwas in ihre Freiheit investieren und werden ihren Teil bezahlen. Dieses Prinzip ist ein Gesetz, das nicht gebrochen werden darf.

Wenn Ihr Euch dem nicht fügen wollt, dann verlaßt Aydindril und geht zur Imperialen Ordnung. Es steht Euch frei, das Gold von ihr zu verlangen, schließlich war sie es, die es Euch versprochen hat. Ich werde ihr die Erfüllung dieses Versprechens nicht abnehmen.

Also wählt frei: mit uns oder gegen uns. Wenn Ihr mit uns seid, dann werdet Ihr uns helfen. Überlegt es Euch gut, bevor Ihr geht, denn wenn ihr geht und später beschließt, daß Ihr lieber doch nicht unter der Imperialen Ordnung leiden wollt, dann werdet Ihr über einen Zeitraum von zehn Jahren die doppelte Steuer zahlen, um Euch Eure Rückkehr zu erkaufen.«

Der Menschenmenge auf dem Balkon stockte der Atem. Eine Frau unten im Saal, ziemlich weit vorn, meldete sich mit besorgter Stimme zu Wort.

»Und wenn wir uns für keine von beiden Möglichkeiten entscheiden? Kämpfen ist gegen unsere Prinzipien. Was, wenn wir beschließen, nicht zu kämpfen, sondern einfach unseren Geschäften nachzugehen?«

»Glaubt Ihr in Eurer Arroganz, uns macht es Spaß zu kämpfen, nur weil wir unbedingt wollen, daß das Gemetzel ein Ende hat, und Ihr seid etwas Besseres, weil Ihr nicht kämpfen wollt? Oder daß wir die ganze Last auf uns laden, damit Ihr die Freiheit genießen und nach Euren Prinzipien leben könnt?

Ihr könnt Euch auf andere Weise beteiligen, ohne ein Schwert in die Hand zu nehmen, aber beteiligen müßt Ihr Euch. Ihr könnt helfen, die Verwundeten zu versorgen, Ihr könnt den Familien helfen, deren Männer in den Kampf gezogen sind, Ihr könnt helfen, Straßen zu bauen und zu unterhalten, um die Soldaten mit Nachschub zu versorgen — es gibt unzählige Möglichkeiten, wie Ihr helfen könnt, aber helfen müßt Ihr. Ihr werdet die Steuer zahlen wie jeder andere auch. Niemand wird tatenlos zusehen.

Solltet Ihr beschließen, Euch nicht zu ergeben, dann seid Ihr auf Euch selbst gestellt. Die Imperiale Ordnung hat die Absicht, alle Völker und Länder zu erobern. Früher oder später werdet Ihr also von einem von uns beherrscht werden. Betet darum, daß es nicht die Imperiale Ordnung ist.

Die Länder, die es vorziehen, sich uns nicht zu ergeben, werden mit einer Blockade belegt und isoliert, bis wir Zeit haben, Euch zu erobern — oder die Imperiale Ordnung dies tut. Keinem unserer Völker wird es unter Androhung einer Strafe wegen Verrats erlaubt sein, mit Euch Handel zu treiben, und weder Reisende noch Güter werden unsere Grenzen passieren dürfen.

Die Möglichkeit der Kapitulation, die ich Euch jetzt biete, ist verlockend: Ihr könnt Euch uns ohne Nachteile oder Strafen anschließen. Ist dieses Ultimatum zur friedlichen Kapitulation jedoch abgelaufen und wird es erforderlich, Euch zu erobern, dann wird man Euch erobern, und Ihr werdet Euch ergeben — aber die Bedingungen werden hart sein. Jedes einzelne Eurer Völker wird über einen Zeitraum von dreißig Jahren eine dreifache Steuer zahlen. Es wäre unfair, zukünftige Generationen für die Taten dieser Generation zu bestrafen. Die angrenzenden Länder werden wachsen und gedeihen, während Ihr dies, belastet durch die höheren Kosten eurer Kapitulation, nicht könnt. Schließlich wird auch Euer Land sich erholen, aber wahrscheinlich werdet Ihr das nicht mehr erleben.

Seid gewarnt: Ich habe die Absicht, diese Schlächter, die sich Imperiale Ordnung schimpfen, vom Erdboden zu fegen. Seid Ihr töricht genug, Euch ihr anzuschließen, dann schließt Ihr Euch auf Gedeih und Verderb mit ihnen zusammen, und es wird kein Erbarmen geben.«

»Damit kommt Ihr nicht ungestraft durch«, rief eine anonyme Stimme aus der Menge. »Wir werden Euch daran hindern.«

»Die Midlands sind zerschlagen. Man kann sie nicht wieder zu einem Ganzen zusammenfügen, sonst würde ich mich statt dessen Euch anschließen. Was vorbei ist, ist vorbei und kann nicht mehr zurückgewonnen werden.

Der Geist der Midlands wird in denen von uns weiterleben, die ihren Zielen zur Ehre gereichen. Die Mutter Konfessor hat die Midlands zu einem erbarmungslosen Krieg gegen die Tyrannei der Imperialen Ordnung verpflichtet. Macht Ihrer Herrschaft und den Idealen der Midlands auf die einzige Weise Ehre, die von Erfolg gekrönt sein wird: ergebt Euch D’Hara. Schließt Ihr Euch aber der Imperialen Ordnung an, so steht Ihr gegen alles, wofür die Midlands einst gestanden haben.

Eine Streitmacht galeanischer Soldaten, angeführt von der Königin Galeas selbst, hat die Meuchler der Imperialen Ordnung zur Strecke gebracht und sie bis auf den letzten Mann aufgerieben. Sie hat uns allen gezeigt, daß die Imperiale Ordnung zu besiegen ist.

Ich habe versprochen, die Königin von Galea, Kahlan Amnell, zu ehelichen und ihr Volk und das meine zu vereinen und auf diese Weise allen zu zeigen, daß ich die begangenen Verbrechen nicht dulde, selbst wenn sie von d’Haranischen Soldaten begangen wurden. Galea und D’Hara werden die ersten sein, die dem neuen Bund beitreten, indem Galea sich D’Hara ergibt. Meine Vermählung mit Kahlan wird allen zeigen, daß es sich um einen Bund gegenseitigen Respekts handelt, und beweisen, daß man dies auch ohne blutige Eroberung oder Gier nach Macht erreichen kann, sondern statt dessen um der Stärke willen und einer Hoffnung auf ein neues und besseres Leben. Kahlan hat nicht weniger als ich das feste Ziel, die Imperiale Ordnung zu vernichten. Sie hat ihren Mut mit kaltem Stahl bewiesen.«

Die Menge, sowohl die Menschen unten im Saal als auch die oben auf dem Balkon, fing an, Fragen zu rufen und Forderungen zu stellen.

Lord Rahl brüllte sie nieder. »Genug!« Widerstrebend verstummten die Leute ein weiteres Mal. »Ich habe nicht die Absicht, Euch noch länger zuzuhören. Ich habe Euch erklärt, wie es sein wird. Glaubt nicht irrtümlicherweise, ich würde die Art einfach so hinnehmen, wie Ihr als Nationen der Midlands aufgetreten seid. Das werde ich bestimmt nicht tun. Bis zu Eurer Kapitulation seid Ihr potentielle Feinde und dementsprechend werdet ihr behandelt werden. Eure Truppen werden ihre Waffen sofort abgeben, und es wird ihnen nicht erlaubt sein, sich aus der Bewachung der d’Haranischen Truppen zu entfernen, die gegenwärtig Eure Paläste umstellt haben.

Jedes Volk wird eine kleine Abordnung in sein Heimatland entsenden, die meine Botschaft so übermittelt, wie ich sie Euch soeben erklärt habe. Versucht nicht, meine Geduld auf die Probe zu stellen. Eine Verzögerung könnte Euch um Kopf und Kragen bringen. Und glaubt nicht, Ihr könntet mich zu besonderen Bedingungen überreden — die wird es nicht geben. Jedes Land, ob groß oder klein, wird gleich behandelt werden und muß sich ergeben. Entscheidet Ihr Euch für die Kapitulation, heißen wir Euch mit offenen Armen willkommen und erwarten von Euch, daß Ihr Euren Beitrag zum Ganzen leistet.« Er sah hinauf zu den Balkonen. »Die Verantwortung lastet auch auf Euren Schultern: leistet Euren Beitrag zu unserem Überleben oder verlaßt die Stadt.

Ich behaupte nicht, daß es einfach werden wird. Wir haben es mit einem gewissenlosen Feind zu tun. Die Kreaturen draußen auf den Pfählen wurden auf uns gehetzt. Haltet Euch ihr Schicksal vor Augen, wenn Ihr über meine Worte nachdenkt.

Solltet Ihr beschließen, Euch der Imperialen Ordnung anzuschließen, dann bete ich dafür, daß die Seelen Euch im Leben nach dem Tode gnädiger sein werden als ich in diesem.

Ihr seid entlassen.«

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