34

Sie sah leuchtend grüne Augen. Im schwachen Schein des kleinen Wintermondes und der Sterne kam eine mächtige Gestalt auf sie zu. Sie wollte aufschreien, aber ihr versagte die Stimme.

Als die riesige Bestie die Lippen zurückzog, wurde das gesamte Ausmaß ihrer gewaltigen Zähne sichtbar. Kahlan taumelte einen Schritt nach hinten. Sie hielt den Griff ihres Messers so fest in der Hand, daß ihr die Finger schmerzten. Wenn sie schnell war und nicht in Panik geriet, hatte sie vielleicht eine Chance. Wenn sie schrie, würde Zedd sie dann hören? Würde überhaupt jemand sie hören? Selbst wenn, waren die anderen zu weit weg. Sie würden es nicht rechtzeitig bis zu ihr schaffen.

An seiner Größe erkannte sie im schwachen Licht, daß es sich um einen kurzschwänzigen Gar handelte. Ausgerechnet ein kurzschwänziger Gar. Das waren die größten, die tödlichsten. Gütige Seelen, warum konnte es kein langschwänziger Gar sein?

Starren Blicks verfolgte Kahlan, wie er etwas von seiner Brust nahm. Wieso stand er einfach bloß da? Wo waren seine Blutmücken? Er senkte den Kopf, sah zu ihr hoch, senkte erneut den Kopf. Die Augen leuchteten bedrohlich grün. Er zog die Lippen noch weiter zurück. Sein Atem bildete Wolken in der Luft, als er einen gurgelnden Laut ausstieß.

Kahlans Augen weiteten sich. War es möglich? »Gratch?«

Plötzlich begann der Gar, aufgeregt zu heulen, auf und ab zu hüpfen und mit den Flügeln zu schlagen.

Kahlan sackte erleichtert seufzend in sich zusammen. Sie steckte ihr Messer zurück und trat näher an das hoch aufragende Tier heran, war aber immer noch auf der Hut.

»Gratch? Bist du das, Gratch?«

Der Gar nickte heftig mit dem riesigen, ungestalten Kopf. »Grrrratch!« Er stieß ein tiefes Grollen aus, das ihr Brustbein erzittern ließ. Mit beiden Klauen trommelte er sich auf die Brust. »Grrratch!«

»Gratch, hat Richard dich geschickt?«

Als er Richards Namen hörte, schlug der Gar noch nachdrücklicher mit den Flügeln.

Sie kam näher. »Hat Richard dich geschickt?«

»Grrratch haaach Raaaach arrrg lieeeeg.«

Kahlan war fassungslos. Richard hatte ihr erzählt, daß der Gar zu sprechen versuchte. Plötzlich mußte sie lachen. »Kahlan hat Richard auch lieb.« Sie tippte sich auf die Brust. »Ich bin Kahlan, Gratch. Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen.«

Ihr stockte der Atem, als der Gar ausholte, sie in seine pelzigen Arme nahm und ihre Füße glatt vom Boden hob. Ihr erster Gedanke war, er werde sie bestimmt zerquetschen. Doch überraschend behutsam drückte er sie an seine weiche Brust. Kahlan schlang die Arme um den gewaltigen Körper und berührte die Hüften des Gar. Sie konnte ihn nicht einmal zur Hälfte umfassen.

Kahlan hätte sich niemals vorstellen können, etwas Derartiges zu tun, jetzt aber war sie fast zu Tränen gerührt, denn Gratch war Richards Freund, und Richard hatte den Gar zu ihr geschickt. Fast war es, als hätte Richard selbst sie in den Arm genommen.

Der Gar setzte sie vorsichtig auf dem Boden ab. Er betrachtete sie aus seinen leuchtend grünen Augen. Sie strich über das Fell seitlich seiner Brust, während das schwerfällige Tier nach unten langte und ihr zärtlich mit einer riesigen, tödlichen Kralle über das Haar fuhr.

Kahlan sah lächelnd hinauf in das faltige Gesicht voller Reißzähne. Gratch stieß ein perlendes Gurgeln aus. Seine Flügel bewegten sich mit langsamem, zufriedenem Schwung, während sie sein Fell streichelte und er ihr Haar.

»Hier bei uns bist du sicher, Gratch. Richard hat mir alles über dich erzählt. Ich weiß nicht, wieviel du verstehst, aber du bist unter Freunden.«

Als er die Lippen zurückzog und erneut das ganze Ausmaß seiner Reißzähne zeigte, wurde ihr plötzlich bewußt, daß dies ein Lächeln war. Es war das häßlichste Lächeln, das sie je gesehen hatte, aber es hatte etwas Unschuldiges an sich, das sie gleichzeitig schmunzeln ließ. Nie im Leben hätte sie geglaubt, daß Gars lächeln konnten. Es war wirklich ein Wunder.

»Hat Richard dich geschickt, Gratch?«

»Raaaaach aaaarg.« Gratch trommelte sich auf die Brust. Er schlug so heftig mit den Flügeln, daß seine Füße kurz vom Boden abhoben. Dann langte er nach vorn und tippte Kahlan auf die Schulter.

Kahlans Mund klappte auf. Der Gar wollte ihr etwas sagen, und sie begriff. »Richard hat dich geschickt, um mich zu suchen?«

Gratch war außer sich vor Freude, daß sie verstand. Er nahm sie wieder in die Arme. Kahlan mußte lachen, so wunderbar war das alles.

Als er sie wieder absetzte, fragte sie: »War es schwer, mich zu finden?«

Er stieß ein Winseln aus und zuckte die Achseln.

»War es ein bißchen schwer?«

Gratch nickte. Kahlan kannte eine Vielzahl von Sprachen, aber sie konnte nicht anders, bei der Vorstellung, sich mit einem Gar zu unterhalten, mußte sie lachen. Verwundert schüttelte sie den Kopf. Wer außer Richard käme auf die Idee, sich mit einem Gar anzufreunden?

Kahlan nahm eine Kralle in die Hand. »Komm mit ins Haus. Dort ist jemand, den ich dir vorstellen möchte.«

Gratch gurgelte zum Zeichen, daß er einverstanden war.

In der Tür blieb Kahlan stehen. Zedd und Adie sahen von ihren Stühlen am Feuer auf.

»Ich möchte euch einen Freund vorstellen«, sagte sie und zog Gratch an einer Kralle hinter sich hinein. Er duckte sich unter dem Türbalken, legte die Flügel an, damit er hindurchpaßte, und richtete sich, als er drinnen war, hinter ihr zu fast voller Größe auf. Er mußte sich immer noch leicht bücken, um nicht an die Decke zu stoßen.

Zedd kippte mit seinem Stuhl nach hinten und fuchtelte wild mit seinen dürren Armen und Beinen in der Luft herum.

»Hör auf damit, Zedd. Du machst ihm noch angst«, wies sie ihn zurecht.

»Ihm angst machen!« krächzte Zedd. »Du selbst hast mir erzählt, Richard habe behauptet, es sei ein ganz kleiner Gar! Dieses Biest ist fast völlig ausgewachsen!«

Gratchs gewaltige Brauen zogen sich zusammen. Stirnrunzelnd verfolgte er, wie der Zauberer sich aufrappelte und an seinem durcheinandergeratenen Gewand herumzupfte.

Kahlan deutete mit der Hand auf ihn. »Gratch, das ist Richards Großvater Zedd.«

Die ledrigen Lippen wurden zurückgezogen, und wieder konnte man die Reißzähne sehen. Gratch breitete seine Pranken aus und wollte das Zimmer durchqueren. Zedd fuhr zusammen und wich strauchelnd zurück.

»Warum tut er das? Hat er schon was zu fressen bekommen?«

Kahlan mußte so heftig lachen, daß sie fast kein Wort herausbrachte. »Das ist sein Lächeln. Er mag dich. Er will dich in die Arme nehmen.«

Zu spät. Mit drei Schritten hatte der Gar die kurze Entfernung hinter sich gebracht und war bereits dabei, den knochigen Zauberer in die gewaltigen, pelzigen Arme zu schließen. Zedd stieß einen gedämpften Schrei aus. Gratch kicherte gurgelnd und hob Zedd von den Füßen.

»Verdammt!« Zedd versuchte erfolglos, sich dem Atem des Gar zu entziehen. »Dieser fliegende Teppich hat schon gefressen. Und frag besser nicht, was!«

Schließlich setzte Gratch Zedd wieder ab. Der Zauberer taumelte ein paar Schritte zurück und drohte dem Tier mit den Fingern. »Jetzt hör mal gut zu. Das machst du nicht noch einmal! Behalte deine Arme bei dir!«

Gratch sank in sich zusammen und winselte.

»Zedd!« mahnte Kahlan. »Du hast seine Gefühle verletzt! Er ist Richards Freund, und unser auch. Und er hatte große Mühe, uns zu finden. Du könntest wenigstens nett zu ihm sein.«

Zedd räusperte sich gewichtig. »Na ja … vielleicht hast du recht.« Er sah zu dem Tier hoch, das ihn erwartungsvoll anblickte. »Tut mir leid, Gratch. Ich denke, ab und an ist es ganz in Ordnung, wenn du mich in die Arme nimmst.«

Der Zauberer kam nicht mehr dazu, die Arme zu heben und den Gar abzuwehren. Gratch hatte ihn schon wieder hochgehoben und drückte ihn wie eine Lumpenpuppe an sich, während Zedds Beine hin und her baumelten. Endlich setzte der Gar den um Atem ringenden Zauberer wieder ab.

Adie hielt ihm zur Begrüßung die Hand hin. »Ich bin Adie. Gratch. Freut mich, dich kennenzulernen.«

Gratch ignorierte die Hand und schlang seine pelzigen Arme auch um sie. Kahlan hatte Adie oft lächeln sehen, aber dieses schnarrende Lachen hörte man nur selten von ihr. Jetzt lachte sie. Und Gratch lachte mit ihr — auf seine eigene, brummige Art.

Als in dem kleinen Zimmer wieder Ruhe eingekehrt war und alle wieder Luft bekamen, sah Kahlan, daß Jebra mit großen Augen durch einen Spalt in der Schlafzimmertür spähte. »Schon gut, Jebra. Das ist Gratch, ein Freund von uns.« Kahlan hielt Gratch mit festem Griff im Fell auf seinem Arm zurück. »Du kannst sie später umarmen.«

Gratch zuckte mit den Achseln und nickte. Kahlan drehte ihn zu sich herum und ergriff eine von seinen Krallen mit beiden Händen. Dann blickte sie in seine leuchtend grünen Augen.

»Gratch, hat Richard dich vorgeschickt, um uns zu sagen, daß er bald hier sein wird?« Gratch schüttelte den Kopf. Kahlan mußte schlucken. »Aber er ist auf dem Weg hierher? Er hat Aydindril verlassen und hat sich auf den Weg gemacht, um uns einzuholen?«

Gratch musterte ihr Gesicht. Er hob seine Pranke und streichelte ihr übers Haar. Kahlan sah, daß er eine Locke ihres Haares an einem Lederband um den Hals trug, zusammen mit dem Drachenzahn. Langsam schüttelte er ein weiteres Mal den Kopf.

Kahlans Mut sank wie ein Stein in einem Brunnen. »Er ist nicht auf dem Weg hierher? Aber er hat dich zu mir geschickt?«

Gratch nickte und schlug einmal kurz mit den Flügeln.

»Warum? Weißt du, warum?«

Gratch nickte. Er griff über seine Schulter und bekam etwas zu fassen, das an einem weiteren Lederband auf seinem Rücken hing. Er zerrte einen länglichen, roten Gegenstand hervor und hielt ihn ihr am Ende des Bandes hin.

»Was ist das?« fragte Zedd.

Kahlan machte sich daran, den Knoten zu lösen. »Eine Mappe für Schriftstücke. Vielleicht ist es ein Brief von Richard.«

Gratch bestätigte ihre Vermutung mit einem Nicken. Als sie den Knoten gelöst hatte, bat sie Gratch, sich hinzusetzen. Er ließ sich bereitwillig ein Stück weit seitlich nieder, während Kahlan den zusammengerollten und plattgedrückten Brief aus der Tasche nahm.

Zedd setzte sich neben Adie ans Feuer. »Dann wollen wir mal hören, welche Ausflüchte der Junge vorzubringen hat. Hoffentlich taugen sie was, sonst kann er sich auf eine Menge Ärger gefaßt machen.«

»Da gebe ich dir recht«, sagte sie tonlos. »Auf dem Ding klebt genug Wachs für ein Dutzend Briefe. Wir müssen Richard beibringen, wie man ein Schriftstück versiegelt.« Sie hielt ihn ins Licht. »Es ist das Schwert. Er hat das Heft des Schwertes der Wahrheit ins Wachs gedrückt.«

»Damit wir wissen, daß der Brief wirklich von ihm stammt«, bemerkte Zedd, während er ein Stück Holz ins Feuer legte.

Als sie das Siegel aufgebrochen hatte, zog Kahlan den Brief auseinander und drehte sich mit dem Rücken zum Feuer, um ihn lesen zu können.

»›Meine verehrteste Königin«, las sie laut vor, »ich bete zu den guten Seelen, daß dieser Brief in Eure Hände gelangt…‹«

Zedd war augenblicklich auf den Beinen. »Das ist eine Nachricht.«

Kahlan sah ihn verwundert an. »Na ja, natürlich ist es das. Das ist ein Brief von ihm.«

Er winkte mit seiner winzigen Hand ab. »Nein, nein. Ich meinte, er will uns damit etwas sagen. Ich kenne Richard — ich weiß, wie er denkt. Er sagt uns, daß er befürchtet, wenn der Brief jemandem in die Hände fällt, könnte er uns verraten … oder ihn. Deshalb macht er uns darauf aufmerksam, daß er nicht alles sagen kann, was er vielleicht sagen möchte.«

Kahlan biß sich auf die Unterlippe. »Ja, das ergäbe Sinn. Normalerweise überlegt sich Richard, was er tut.«

Zedd gab ihr einen Wink und blickte kurz hinter sich, um mit seinem knochigen Hinterteil beim Setzen auch sicher den Stuhl zu treffen. »Lies weiter.«

»›Meine verehrteste Königin, ich bete zu den guten Seelen, daß dieser Brief in Eure Hände gelangt und er Euch und Eure Freunde wohlbehalten und in Sicherheit antrifft. Vieles ist geschehen, und ich muß Euch um Verständnis bitten.

Der Bund der Midlands ist aufgelöst. Von oben starren mich Magda Searus, die erste Mutter Konfessor, und ihr Zauberer Merritt erbost an, weil sie Zeugen seines Endes wurden und weil ich es war, der ihn aufgekündigt hat.

Bitte versteht, daß ich mir vollkommen über die Bedeutung der jahrtausendelangen Geschichte bewußt bin, die von oben auf mich herabblickt. Aber bitte begreift doch — hätte ich nicht gehandelt, hätte unsere Zukunft darin bestanden, Sklaven der Imperialen Ordnung zu werden, und diese Geschichte wäre in Vergessenheit geraten.‹«

Kahlan legte die Hand auf ihr klopfendes Herz und hielt inne, um schnell zu schlucken, bevor sie weiterlas.

»›Vor Monaten bereits begann die Imperiale Ordnung mit der Auflösung des Bündnisses, indem sie Abtrünnige für sich gewann und die Auflösung jener Einheit betrieb, die die Midlands einst darstellten. Während wir gegen den Hüter kämpften, kämpften sie darum, uns die Geborgenheit unserer Heimat zu nehmen. Vielleicht hätte es eine Möglichkeit gegeben, die Einheit wiederherzustellen, hätten wir genügend Zeit gehabt, doch die Imperiale Ordnung treibt ihr Vorhaben rasch voran. Jetzt, da die Mutter Konfessor nicht mehr lebt, war ich gezwungen, zu tun, was getan werden mußte, um die Einheit wiederherzustellen.‹«

»Was? Was hat er bloß angestellt?« krächzte Zedd.

Kahlan brachte ihn mit einem knappen Blick über den Rand des Briefes zum Schweigen und fuhr fort.

»›Zögern bedeutet Schwäche, und Schwäche bedeutet den Tod durch die Hand der Imperialen Ordnung. Unsere geliebte Mutter Konfessor kannte den Preis des Scheiterns und hat uns aufgetragen, diesen Krieg siegreich zu beenden. Sie hat ihn zu einem erbarmungslosen Krieg gegen die Imperiale Ordnung erklärt. Ihre Weisheit in diesem Punkt war unfehlbar. Das Bündnis jedoch war aus eigennützigen Interessen zerfallen. Dies war der Beginn des Untergangs. Ich war gezwungen zu handeln.

Meine Truppen haben Aydindril genommen.‹«

Zedd explodierte. »Verdammt und noch einmal verdammt! Was redet er da bloß! Er hat überhaupt keine Truppen! Er hat gerade mal sein Schwert und diesen fliegenden Teppich mit Zähnen!«

Gratch richtete sich knurrend auf. Zedd zuckte zusammen.

Kahlan verkniff sich mit Mühe ihre Tränen. »Seid still, alle beide.«

Zedds Blick wanderte von ihr zum Gar. »Tut mir leid, Gratch. Ich wollte dich nicht kränken.«

Die beiden lehnten sich wieder zurück, und sie las weiter.

»›Ich habe heute die Vertreter der Länder hier in Aydindril zusammenkommen lassen und sie davon in Kenntnis gesetzt, daß das Bündnis der Midlands aufgelöst wurde. Meine Truppen haben ihre Paläste umstellt und werden ihre Soldaten in Kürze entwaffnen. Ich erklärte ihnen, so wie ich es Euch erklären werde, daß es in diesem Krieg nur zwei Seiten gibt: die unsere — und die der Imperialen Ordnung. Es wird keine Neutralität geben. Wir werden eine Einheit bekommen, so oder so. Alle Länder der Midlands müssen sich D’Hara ergeben.‹«

»D’Hara! Verdammt!«

Kahlan sah nicht auf. Die Tränen strömten ihr über das Gesicht. »Wenn ich dich noch einmal ermahnen muß, still zu sein, wirst du draußen warten, bis ich diesen Brief vorgelesen habe.«

Adie packte Zedds Gewand mit der Faust und zog ihn hinunter auf seinen Stuhl. »Lies weiter.«

Kahlan räusperte sich. »›Ich erklärte den Vertretern, daß Ihr, die Königin von Galea, mich heiraten würdet, um mit Eurer Kapitulation und unserer Vermählung zu beweisen, daß dieser Bund in Frieden geschlossen wurde — mit gemeinsamen Zielen und gegenseitigem Respekt — und nicht als Folge einer Eroberung. Den Ländern wird gestattet sein, ihr Erbe und ihre rechtmäßigen Traditionen beizubehalten, nicht aber ihre Eigenständigkeit. Magie in allen Erscheinungsformen wird geschützt werden. Wir werden ein Volk sein, mit einer Armee, unter einem Kommando und unter einem Gesetz. Alle Länder, die sich uns durch ihre Kapitulation anschließen, werden bei der Formulierung dieser Gesetze ein Mitspracherecht haben.‹«

Kahlans Stimme brach. »›Ich muß Euch bitten, sofort nach Aydindril zurückzukehren und Galea zu übergeben. Ich muß mich um die Angelegenheiten der unterschiedlichsten Länder kümmern, und Euer Wissen und Eure Hilfe wären von unschätzbarem Wert.

Ich setzte die Vertreter davon in Kenntnis, daß die Kapitulation Pflicht ist. Es wird keinerlei Begünstigungen geben. Jeder, der die Kapitulation verweigert, wird belagert werden. Den Betreffenden wird es nicht erlaubt sein, mit uns Handel zu treiben — bis sie sich ergeben. Tun sie dies nicht freiwillig, bei allen Vorteilen, die darin liegen, sind wir genötigt, die Kapitulation mit Waffengewalt zu erzwingen. Dadurch werden sie nicht nur diese Vorteile verlieren, sondern sich auch einer Bestrafung aussetzen. Wie bereits erwähnt, wird es keine Unbeteiligten geben. Wir werden eins sein.

Meine Königin, ich gäbe mein Leben für Euch und wünsche nichts weiter, als Euer Gemahl zu werden. Sollte aber mein Vorgehen Euer Herz gegen mich wenden, so werde ich Euch nicht zwingen, mich zu ehelichen. Versteht aber bitte, daß die Kapitulation Eures Landes notwendig und lebenswichtig ist. Wir müssen nach einem Gesetz leben. Ich kann es mir nicht erlauben, irgendeinem Land besondere Vorrechte einzuräumen, denn dann sind wir verloren, noch bevor wir überhaupt begonnen haben.‹«

Kahlan mußte innehalten, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Die Worte verschwammen vor ihren Augen, sie konnte kaum noch weiterlesen.

»›Mriswiths haben die Stadt angegriffen.‹« Zedd pfiff leise durch die Zähne. Sie ging darüber hinweg und las weiter. »›Mit Gratchs Hilfe habe ich ihre Überreste auf Lanzen aufgespießt, damit alle sehen können, welches Schicksal unsere Feinde erwartet. Mriswiths können sich nach Belieben unsichtbar machen. Außer mir selbst kann nur Gratch sie entdecken, wenn sie in ihre Capes gehüllt sind. Ich befürchte, daß sie Euch angreifen werden, deshalb habe ich Gratch zu Eurem Schutz geschickt.

Vor allem an eines müssen wir stets denken: Die Imperiale Ordnung will die Magie vernichten. Sie schreckten allerdings nicht davor zurück, sie selbst einzusetzen. Unsere Magie ist es, die vernichtet werden soll.

Bitte teilt meinem Großvater mit, daß auch er augenblicklich zurücckommen muß. Sein angestammtes Zuhause schwebt in Gefahr. Dies ist der Grund, weshalb ich Aydindril einnehmen mußte und unabkömmlich bin. Ich fürchte, dem Feind könnte dadurch das angestammte Zuhause meines Großvaters in die Hände fallen, mitsamt allen entsetzlichen Folgen, die das mit sich brächte.‹«

Zedd konnte nicht länger schweigen. »Verdammt«, fluchte er bei sich und kam wieder auf die Beine. »Richard meint die Burg der Zauberer. Er wollte es nicht niederschreiben, aber das ist es, worauf er anspielt. Wie konnte ich nur so dumm sein? Der Junge hat recht. Wir dürfen ihnen die Burg nicht in die Hände fallen lassen. Dort gibt es Dinge von mächtiger Magie, für die die Imperiale Ordnung sehr viel geben würde, wenn sie sie in die Hände bekäme. Richard weiß nichts von der Magie dort, aber er ist klug genug, die Gefahr zu erkennen. Ich war ein blinder Narr.«

Kahlan überlief es eiskalt, als auch sie die Gefahr erkannte. Würde die Imperiale Ordnung die Burg einnehmen, hätte sie Zugang zu ungeheuer mächtiger Magie.

»Zedd, Richard ist dort ganz alleine. Er weiß fast nichts über Magie. Er weiß nichts über die Sorte Menschen in Aydindril, die Magie benutzen können. Er ist ein Rehkitz in der Höhle des Bären. Gütige Seelen, er hat keine Ahnung von der Gefahr, in der er sich befindet.«

Zedd nickte erbittert. »Der Junge steckt bis über beide Ohren drin.«

Adie entfuhr ein spöttisches Lachen. »Bis über beide Ohren? Er schnappt der Imperialen Ordnung Aydindril und den Zugang zu der Burg der Zauberer vor der Nase weg. Sie bieten Mriswiths gegen ihn auf, und er spießt sie vor dem Palast auf Lanzen. Wahrscheinlich hat er die Länder bereits an den Rand einer Kapitulation gedrängt und zu einem Zusammenschluß zu einem Bündnis, das in der Lage wäre, die Imperiale Ordnung zu bekämpfen — genau die Ziele, über deren Erreichen wir uns den Kopf zerbrochen haben. Er hat sich genau das zunutze gemacht, was unser Problem ist, den Handel. Und selbst den benutzt er wie eine Waffe, um sie unter Druck zu setzen. Er wartet nicht etwa ab und versucht, sie zu überzeugen. Er setzt ihnen einfach das Messer an die Kehle. Wenn sie ihm nach und nach zufallen, ist es sehr gut möglich, daß er bald die gesamten Midlands in der Hand hat. Die wichtigen Länder jedenfalls.«

»Und wenn sie sich erst alle D’Hara angeschlossen haben, als eine Streitmacht unter einem Kommando«, sagte Zedd, »dann könnte dies eine Streitmacht sein, die in der Lage wäre, der Imperialen Ordnung Paroli zu bieten.« Er drehte sich zu Kahlan um. »Steht dort noch etwas?«

Sie nickte. »Ein wenig. ›Auch wenn mir um mein Herz sehr bange ist, ich fürchte auch die Folgen, wenn ich nichts unternehme — so wie den Schatten der Tyrannei, der die Welt für alle Zeiten verdunkeln wird. Wenn wir dies nicht tun, dann wird das Schicksal von Ebinissia erst der Anfang gewesen sein.

Ich werde meinen Glauben in Eure Liebe setzen, auch wenn ich befürchten muß, sie dadurch auf die Probe zu stellen.

Zwar bin ich umgeben von Leibwächtern, und eine von ihnen hat bereits ihr Leben für mich geopfert, dennoch fühle ich mich trotz ihrer Anwesenheit nicht sicher. Ihr alle müßt augenblicklich nach Aydindril zurückkehren. Schiebt es nicht auf. Gratch wird Euch vor den Mriswiths schützen, bis Ihr bei mir seid. Unterzeichnet, ganz Euer in dieser Welt und in den jenseitigen, Richard Rahl, Herrscher D’Haras.‹«

Zedd pfiff erneut durch die Zähne. »Herrscher D’Haras. Was hat der Junge bloß angestellt?«

Kahlan ließ den Brief sinken, den sie in ihren zitternden Händen hielt. »Er hat mich zugrunde gerichtet, das hat er angestellt.«

Adie hob mahnend den dürren Zeigefinger in ihre Richtung. »Jetzt hör mir mal zu, Mutter Konfessor. Richard weiß sehr gut, was er dir antut, und er hat dir darüber sein Herz ausgeschüttet. Er hat dir gesagt, daß er diesen Brief unter dem Bild von Magda Searus schreibt, weil ihn das, was er tun muß, schmerzt und weil er weiß, war er dir damit antut. Lieber würde er deine Liebe verlieren, als dich töten zu lassen durch das, was geschehen wird, wenn er sich vor der Vergangenheit verbeugt, anstatt sich um die Zukunft zu kümmern. Er hat getan, was wir nicht tun konnten. Wir würden um Einigkeit bitten, er hat sie gefordert und der Forderung Nachdruck verliehen. Wenn du wirklich die Mutter Konfessor sein willst und dir die Sicherheit deines Volkes über alles geht, dann wirst du Richard helfen.«

Zedd zog eine Braue hoch, sagte aber nichts.

Als er den Namen hörte, meldete Gratch sich zu Wort. »Grrrrratch haaaag Raaaach arrg lieeeg.«

Kahlan wischte sich eine Träne von der Wange und schniefte. »Ich habe Richard auch lieb.«

»Kahlan«, meinte Zedd tröstend, »so sicher wie der Bann mit der Zeit von dir genommen wird, so sicher wirst du auch irgendwann wieder die Mutter Konfessor sein.«

»Du verstehst nicht«, sagte sie, ihre Tränen unterdrückend. »Seit Jahrtausenden hat stets eine Mutter Konfessor die Midlands mit Hilfe des Bündnisses bewahrt. Ich werde diejenige Mutter Konfessor sein, die die Midlands verraten hat.«

Zedd schüttelte den Kopf. »Nein. Du wirst die Mutter Konfessor sein, die die Kraft besaß, das Volk der Midlands zu retten.«

Sie legte die Hand aufs Herz. »Da bin ich nicht so sicher.«

Zedd kam näher. »Kahlan, Richard ist der Sucher der Wahrheit. Er trägt das Schwert der Wahrheit. Ich selbst habe ihn ernannt. Als Erster Zauberer habe ich in ihm denjenigen erkannt, der über die Instinkte des Suchers verfügt.

Er handelt aus diesen Instinkten heraus. Jemanden wie Richard findet man selten. Er handelt als Sucher und mit Hilfe seiner Gabe. Er handelt, wie er glaubt, handeln zu müssen. Wir müssen unseren Glauben in ihn setzen, selbst wenn wir nicht völlig begreifen, warum er so handelt. Verdammt, möglicherweise begreift er selbst nicht recht, warum er das tut, was er tut.«

»Lies den Brief selbst«, meinte Adie. »Lausche mit dem Herzen auf die Worte, und du wirst sein Herz in ihnen fühlen. Und vergiß auch nicht, daß es möglicherweise Dinge gab, die er nicht zu Papier zu bringen wagte, für den Fall, daß der Brief in falsche Hände gerät.«

Kahlan wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. »Ich weiß, es klingt egoistisch, aber das ist es nicht. Ich bin die Mutter Konfessor. Von all den anderen, die vor mir dahingegangen sind, wurde eine Verpflichtung an mich weitergegeben. Mit meiner Wahl wurde mir diese Verpflichtung in die Hände gelegt. Sie wurde zu meiner Verantwortung. Bei meinem Aufstieg zur Mutter Konfessor habe ich einen Eid geleistet.«

Zedd legte ihr seinen knochigen Finger unter das Kinn. »Einen Eid, dein Volk zu schützen. Dafür ist kein Opfer zu groß.«

»Vielleicht. Ich werde darüber nachdenken.« Kahlan mußte nicht nur ihre Tränen zurückhalten, sie mußte sich auch zusammennehmen, damit sich ihr die Nackenhaare nicht vor Wut sträubten. »Ich liebe Richard, aber so etwas würde ich ihm niemals antun. Ich glaube, er weiß gar nicht, was er mir antut — und den Müttern Konfessor vor mir, die ihr Leben geopfert haben.«

»Ich glaube, doch«, erwiderte Adie mit leise schnarrender Stimme.

Plötzlich wurde Zedds Gesicht fast so weiß wie seine Haare. »Verdammt«, meinte er leise. »Du glaubst doch nicht, Richard wäre so töricht, die Burg der Zauberer zu betreten, oder?«

Kahlan hob den Kopf. »Die Burg ist durch Banne geschützt. Richard weiß nicht, wie er seine Magie benutzen muß. Er wird nicht wissen, wie er an ihnen vorbeigelangen kann.«

Zedd beugte sich näher zu ihr. »Du hast gesagt, er besitzt Subtraktive Magie, zusätzlich zu seiner Additiven. Die Banne sind additiv. Wenn Richard mit seiner Subtraktiven Magie etwas anfangen kann, wird er in der Lage sein, sogar durch die mächtigsten Banne, mit denen ich die Burg belegt habe, einfach hindurchzuspazieren.«

Kahlan stockte der Atem. »Mir hat er erzählt, daß er im Palast der Propheten einfach durch die Schilde hindurchgehen konnte, weil sie additiv waren. Nur der Grenzschild hat ihn aufhalten können, weil der auch Subtraktive Magie enthielt.«

»Wenn der Junge die Burg betritt, wird er dort drinnen Dingen begegnen, die ihn innerhalb eines Herzschlags töten können. Aus diesem Grund haben wir die Schilde dort angebracht — damit niemand hineingelangt. Verdammt, es gibt dort Schilde, die zu passieren nicht einmal ich bisher gewagt habe. Für jemanden, der nicht weiß, worauf er sich einläßt, ist das dort eine tödliche Falle.«

Zedd packte sie bei den Schultern. »Glaubst du, Kahlan, er wird die Burg betreten?«

»Ich weiß es nicht, Zedd. Du hast ihn erzogen. Du müßtest das besser wissen als ich.«

»Er wird dort nicht hineingehen. Er weiß, wie gefährlich Magie sein kann. Er ist ein kluger Junge.«

»Es sei denn, er hätte irgend etwas vor.«

Er schaute sie mit einem Auge an. »Er hätte irgend etwas vor? Was willst du damit sagen?«

Kahlan wischte sich die letzte Träne von der Wange. »Na ja, als wir bei den Schlammenschen waren, wollte er, daß eine Versammlung abgehalten wird. Der Vogelmann warnte ihn, das sei gefährlich. Eine Eule überbrachte eine Botschaft der Seelen. Sie traf ihn genau am Kopf, riß seine Kopfhaut auf und fiel tot zu Boden. Der Vogelmann meinte, dies sei eine äußerst ernste Warnung der Seelen vor der Gefahr, in die Richard sich begeben wolle. Richard berief die Versammlung trotzdem ein. Damals kehrte Darken Rahl aus der Unterwelt zurück. Wenn Richard sich etwas in den Kopf gesetzt hat, hält ihn nichts zurück.«

Zedd zuckte zusammen. »Aber im Augenblick hat er sich nichts in den Kopf gesetzt. Er muß nicht dort hinein.«

»Du kennst doch Richard, Zedd. Er lernt gerne etwas dazu. Vielleicht möchte er einfach nur mal einen Blick hineinwerfen, aus Neugier.«

»Ein solcher Blick kann ebenso tödlich sein.«

»In dem Brief schreibt er, einer seiner Leibwächter sei getötet worden.« Kahlan runzelte die Stirn. »Genaugenommen sprach er sogar von einer ›sie‹. Wieso ist sein Leibwächter eine Frau?«

Zedd fuchtelte ungeduldig mit den Armen herum. »Das weiß ich doch nicht. Was wolltest du gerade sagen, über diesen Leibwächter, der getötet wurde?«

»Soweit wir wissen, könnte es durchaus sein, daß sich bereits jetzt jemand von der Imperialen Ordnung in der Burg aufhält und sie mit Hilfe der Magie aus der Burg getötet hat. Vielleicht befürchtet er aber auch, daß die Mriswiths die Burg einnehmen wollen, und geht dorthin, um sie zu sichern.«

Zedd rieb mit dem Daumen über das glattrasierte Kinn. »Er hat keine Vorstellung von den Gefahren in Aydindril. Aber was noch schlimmer ist, er hat nicht den geringsten Schimmer vom tödlichen Wesen der Dinge in der Burg. Ich erinnere mich, ihm irgendwann einmal erklärt zu haben, daß dort magische Gegenstände, wie das Schwert der Wahrheit oder Bücher, aufbewahrt werden. Ich vergaß zu erwähnen, wie gefährlich viele davon sind.«

Kahlan umklammerte seinen Arm. »Bücher? Du hast ihm erzählt, daß es dort Bücher gibt?«

Zedd knurrte. »War ein großer Fehler.«

Kahlan ließ einen Seufzer ab. »Das würde ich allerdings auch sagen.«

Zedd warf die Arme in die Luft. »Wir müssen sofort nach Aydindril!« Er packte Kahlan bei den Schultern. »Richard hat keine Kontrolle über seine Gabe. Sollte die Imperiale Ordnung tatsächlich Magie benutzen, um die Burg einzunehmen, wird Richard sie nicht aufhalten können. Möglicherweise verlieren wir diesen Krieg, bevor wir überhaupt Gelegenheit finden zurückzuschlagen.«

Kahlan ballte die Fäuste. »Ich glaube es einfach nicht. Wochen haben wir damit zugebracht, aus Aydindril zu fliehen, und jetzt müssen wir schnellstens wieder dorthin zurück. Das wird wieder Wochen dauern.«

»Die Tage, an denen wir diese Entscheidung gefällt haben, gehören längst der Vergangenheit an. Wir sollten uns darauf konzentrieren, was wir morgen tun müssen. Das Gestern können wir nicht noch einmal durchleben.«

Kahlan betrachtete Gratch nachdenklich. »Richard hat uns einen Brief geschickt. Wir könnten ihm einen zurückschicken und ihn warnen.«

»Das wird ihm nicht helfen, die Burg zu halten, wenn sie Magie benutzen.«

Angesichts all dieser Gedanken und anstehenden Entscheidungen drehte sich Kahlan der Kopf. »Könntest du einen von uns zu Richard bringen?«

Gratch sah sie nacheinander an, am längsten verweilte sein Blick auf dem Zauberer. Schließlich schüttelte er den Kopf.

Kahlan biß sich verzweifelt auf die Unterlippe. Zedd lief vor dem Feuer auf und ab und murmelte vor sich hin. Adie starrte gedankenversunken in die Ferne. Plötzlich hielt Kahlan den Atem an.

»Könntest du nicht Magie benutzen, Zedd?«

Zedd blieb abrupt stehen und hob den Kopf. »Was für eine Art von Magie?«

»So wie bei dem Karren heute. Als du ihn mit Magie hochgehoben hast.«

»Fliegen kann ich nicht, Liebes. Ich kann nur Gegenstände hochheben.«

»Aber könntest du uns nicht leichter machen, so wie den Karren, damit Gratch uns tragen kann?«

Zedd verzog sein faltiges Gesicht. »Nein. Es wäre viel zu anstrengend, das durchzuhalten. Bei seelenlosen Gegenständen funktioniert es, bei Felsen oder Karren. Aber bei lebendigen Wesen ist das etwas völlig anderes. Ich könnte uns alle ein kleines Stück in die Höhe heben, aber nur für ein paar Minuten.«

»Könntest du es nicht nur bei dir tun? Könntest du dich nicht so leicht machen, daß Gratch dich tragen kann?«

Zedds Miene hellte sich auf. »Ja, vielleicht. Es würde zwar recht anstrengend werden, das so lange durchzuhalten, aber ich glaube, es wäre zu schaffen.«

»Könntest du das auch, Adie?«

Adie sank auf ihrem Stuhl zusammen. »Nein. Mir fehlt die Kraft, die er besitzt. Ich kann das nicht.«

Kahlan versuchte, ihre Sorgen zu verdrängen. »Dann mußt du es tun, Zedd. Du könntest Wochen vor uns in Aydindril sein. Richard braucht dich sofort. Wir dürfen nicht länger warten. Jede Minute der Verzögerung bedeutet eine Gefahr für unsere Seite.«

Zedd warf die dürren Arme in die Höhe. »Ich kann euch doch nicht schutzlos zurücklassen.«

»Ich habe doch noch Adie.«

»Und wenn die Mriswiths auftauchen, wie Richard befürchtet?

Dann würde Gratch dir fehlen. Gegen die Mriswiths kann Adie dir nicht helfen.«

Kahlan packte seinen schwarzen Ärmel. »Wenn Richard die Burg der Zauberer betritt, wird er vielleicht getötet. Wenn die Burg und die Magie darin der Imperialen Ordnung in die Hände fallen, sind wir alle des Todes. Diese Angelegenheit ist wichtiger als mein Leben. Jetzt geht es darum, was mit all den Menschen in Ebinissia passiert ist. Wenn wir der Imperialen Ordnung den Sieg überlassen, werden sehr viele Menschen sterben, und wer überlebt, wird zur Sklaverei verdammt sein. Die Magie wird ausgelöscht werden. Dies ist eine Kampfentscheidung.

Außerdem sind bis jetzt noch keine Mriswiths aufgetaucht. Daß sie Aydindril angegriffen haben, heißt noch lange nicht, daß sie irgendwo anders auch angreifen. Außerdem ist meine Identität durch den Bann verborgen. Kein Mensch weiß, daß die Mutter Konfessor noch lebt, geschweige denn, daß ich es bin. Sie haben keinen Grund, mich zu verfolgen.«

»Makellose Logik. Jetzt verstehe ich, wieso man dich zur Mutter Konfessor auserwählt hat. Ich halte es trotzdem nach wie vor für riskant.« Zedd wandte sich an die Magierin. »Wie denkst du darüber?«

»Ich denke, die Mutter Konfessor hat recht. Wir müssen uns überlegen, was der wichtigste Schritt ist, den wir tun können. Wir dürfen nicht die gesamte Menschheit aufs Spiel setzen, nur weil ein paar von uns in Gefahr geraten könnten.«

Kahlan stand vor Gratch. So wie er jetzt dahockte, stand sie ihm Auge in Auge gegenüber. »Gratch, Richard schwebt in großer Gefahr.« Gratchs zottige Ohren zuckten. »Zedd muß ihm helfen. Und du auch. Ich bin in Sicherheit, noch sind keine Mriswiths hier gewesen. Kannst du Zedd nach Aydindril bringen? Er ist ein Zauberer und kann sich leicht machen, damit du ihn tragen kannst. Wirst du das für mich tun? Für Richard?«

Gratchs glühende Augen wanderten zwischen den dreien hin und her, er dachte nach. Schließlich stand er auf. Er spreizte die ledrigen Flügel und nickte. Kahlan drückte den Gar an sich, und er erwiderte die zärtliche Umarmung.

»Bist du müde, Gratch? Willst du dich ausruhen, oder kannst du sofort aufbrechen?«

Als Antwort schlug Gratch mit den Flügeln.

Zedd blickte mit wachsender Besorgnis von einem zum anderen. »Verdammt. Das ist die größte Torheit, die ich je begangen habe. Wenn ich hätte fliegen sollen, wäre ich als Vogel geboren worden.«

Kahlan sah ihn milde lächelnd an. »Jebra meinte, sie habe dich in einer Vision mit Flügeln gesehen.«

Zedd stemmte die Fäuste in seine knochigen Hüften. »Sie meinte auch, sie habe gesehen, wie man mich in einen Feuerball fallen läßt.« Er tippte ungeduldig mit dem Fuß. »Also schön, machen wir uns auf den Weg.«

Adie erhob sich und riß ihn zu einer Umarmung an sich. »Du bist ein tapferer alter Narr.«

Zedd brummte entrüstet. »Ein Narr, das stimmt.« Schließlich erwiderte er die Umarmung. Plötzlich jaulte er laut auf, als sie ihn ins Hinterteil kniff.

»Du siehst gut aus in deinem feinen Gewand, alter Mann.«

Ein hilfloses Grinsen überkam Zedd. »Na ja, kann schon sein.« Sein finsteres Gesicht kehrte zurück. »Ein wenig jedenfalls. Paß auf die Mutter Konfessor auf. Wenn Richard dahinterkommt, daß ich sie alleine zurückreisen lasse, macht er womöglich noch ganz etwas anderes mit mir, als mich zu zwicken.«

Kahlan schlang die Arme um den abgemagerten Zauberer und kam sich plötzlich sehr alleine vor. Zedd war Richards Großvater, und sie hatte sich zumindest ein klein wenig besser gefühlt, wenigstens ihn bei sich zu wissen, wenn Richard schon so weit fort war.

Beim Abschied zwinkerte Zedd dem Gar zu. »Tja, Gratch, ich denke, wir sollten uns jetzt auf den Weg machen.«

Die Nachtluft war kalt. Kahlan packte Zedd am Ärmel. »Zedd, du mußt Richard zur Vernunft bringen.« Ihre Stimme wurde hitziger. »Das kann er mir nicht antun. Er benimmt sich unvernünftig.«

Zedd betrachtete ihr Gesicht im schwachen Licht. Schließlich sprach er, leise. »Geschichte wird nur selten von vernünftigen Männern gemacht.«

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