36

Nach allen Seiten gingen Flure ab. Richard versuchte, sich an den zu halten, den er für den Hauptgang hielt, damit er den Rückweg wiederfand. Jedesmal, wenn sie an einem Zimmer vorbeikamen, steckte Richard den Kopf hinein, um nachzusehen, ob es dort Bücher gab oder sonst etwas, das vielleicht von Nutzen war. Bei den meisten handelte es sich um schlichte, leere, aus Stein gemauerte Kammern. In einigen standen Tische und Stühle, dazu Truhen oder andere schmucklose Möbel, aber nichts, was von besonderem Interesse gewesen wäre. Ein ganzer Trakt bestand aus Zimmern mit Betten. Es gab Tausende von Räumen, und er hatte erst ein paar davon gesehen.

Jedesmal, wenn er in ein Zimmer hineinsah, spähte Berdine über seine Schulter. »Wißt Ihr, in welche Richtung wir gehen?«

»Nicht genau.« Er warf einen Blick in den nächsten Seitenkorridor. Es war der reinste Irrgarten. »Aber ich denke, wir sollten eine Treppe suchen. Wir fangen unten an und arbeiten uns dann nach oben durch.«

Sie zeigte nach hinten. »Ich habe eine gesehen, im Korridor links von uns, gleich dort hinten.«

Die Treppe befand sich dort, wo sie gesagt hatte. Er hatte sie nicht bemerkt, denn es war nur ein Loch im Fußboden, mit einer steinernen Wendeltreppe, die hinabführte ins Dunkel, während er nach einem richtigen Treppenhaus Ausschau gehalten hatte. Richard schalt sich selbst, weil er nicht daran gedacht hatte, eine Lampe mitzubringen oder eine Kerze. Er hatte einen Feuerstein und einen Wetzstahl in der Tasche, und wenn er etwas Stroh oder einen alten Fetzen Stoff fand, konnte er vermutlich eine kleine Flamme zum Brennen bringen und eine der Kerzen anzünden, die er in den eisernen Haltern gesehen hatte.

Während sie in die Finsternis hinunterstiegen, spürte und hörte Richard ein leises Summen, das von unten kam. Das Gestein, das in der Dunkelheit immer mehr verschwunden war, offenbarte sich jetzt in einem bläulichgrünen Licht, so als hätte jemand den Docht einer Lampe hochgedreht. Als sie das untere Ende der Treppe erreichten, konnte er in dem unheimlichen Licht alles deutlich erkennen.

Gleich hinter der ersten Ecke nach dem Ende der Treppe entdeckte er die Lichtquelle. In einer ringförmigen Eisenhalterung lag eine Kugel, ungefähr so groß wie seine Hand und dem Anschein nach aus Glas. Von ihr rührte das Licht her.

Berdine schaute zu ihm hoch, ihr Gesicht hob sich in der eigenartigen Beleuchtung deutlich ab. »Was bringt sie zum Leuchten?«

»Nun ja, es gibt keine Flamme, vermutlich handelt es sich also um Magie.«

Richard hielt vorsichtig die Hand ins Licht. Es wurde heller. Er berührte sie mit einem Finger, und das bläulich-grüne Schimmern wechselte zu einer wärmeren gelben Farbe.

Offenbar war es nicht gefährlich, sie zu berühren, daher nahm Richard sie vorsichtig aus der Halterung. Sie war schwerer, als er erwartet hatte. Die Kugel war nicht hohl und aus geblasenem Glas, sondern schien eher massiv zu sein. Als sie in seiner Hand lag, verströmte sie ein warmes Licht, das sie gut gebrauchen konnten.

Richard bemerkte, daß es ein gutes Stück weiter in dem tunnelähnlichen Korridor noch andere solcher Kugeln in Halterungen gab. Die nächste glomm, weit entfernt, in einem kaum erkennbaren bläulichen grünen Schimmer. Wann immer sie eine von ihnen passierten, wurde sie heller, solange er sich ihnen näherte, und dunkler, sobald er sich mit der einen, die er mitgenommen hatte, wieder entfernte.

An einer Kreuzung stieß der Korridor auf einen breiteren, einladenderen Gang. Helles, rosafarbenes Gestein lief in einem Streifen entlang beider Seiten, und an verschiedenen Stellen taten sich Durchgänge zu höhlenartigen Kammern mit gepolsterten Bänken auf.

Er öffnete die breite Doppeltür, die in einen der großen Räume an diesem Gang führte, und entdeckte eine Bibliothek. Der Raum war mit seinem polierten Holzfußboden, den getäfelten Wänden und der weiß getünchten Decke geradezu gemütlich und freundlich. Neben den Regalreihen standen Tische und bequeme Stühle. Mit Glas versehene Fenster auf der gegenüberliegende Seite gingen auf Aydindril hinaus und verliehen dem Raum etwas Helles, Luftiges.

Er betrat die nächste höhlenartige Kammer auf diesem Flur und stellte fest, daß auch an sie eine Bibliothek angrenzte. Offenbar verlief der Flur parallel zur Vorderseite der Burg und längs zu einer ganzen Reihe von Bibliotheken. Als sie am Ende des Flures angekommen waren, hatten sie zwei weitere Dutzend dieser riesigen Bibliothekensäle entdeckt.

Richard hätte niemals für möglich gehalten, daß es so viele Bücher gab. Selbst die Gewölbekeller im Palast der Propheten kamen ihm, trotz der Unmenge von Büchern, die sie enthielten, nach dem Anblick so vieler Bände kläglich vor. Wo sollte er anfangen?

»Das muß es sein, wonach Ihr gesucht habt«, meinte sie.

Richard runzelte die Stirn. »Nein, ist es nicht. Ich weiß nicht warum, aber das ist es nicht. Es ist zu gewöhnlich.«

Berdine ging neben ihm her, während sie durch Korridore liefen und mehrere Stockwerke hinabstiegen, bis sie schließlich zu einem Treppenhaus kamen. Ihr Strafer baumelte, jederzeit bereit, an der Kette um ihr Handgelenk. Am unteren Ende der Treppe gab es einen reichverzierten, mit Blattgold überzogenen Türrahmen, und dahinter lag eine Kammer, die nicht gemauert, sondern in das rosafarbene Gestein gehauen war — früher vielleicht einmal eine Höhle, die man vergrößert hatte. An bestimmten Stellen, wo man das Gestein weggebrochen hatte, waren glänzende, glattgeschliffene Facetten zurückgeblieben. Beim Herausschlagen des Gesteins hatte man an einigen Stellen mächtige Säulen stehenlassen, um die niedrige, schroffe Decke zu stützen.

Am goldenen Türrahmen stieß Richard zum vierten Mal seit Betreten der Burg auf einen Schild, doch dieser war anders als die ersten drei. Die ersten drei hatten sich gleich angefühlt, dieser hier war mit den ersten nicht zu vergleichen. Als er seine Hand hindurch steckte, erglühte die senkrechte Fläche im Türrahmen rot, ohne daß es eine sichtbare Quelle gegeben hätte, und wo das rote Licht ihn berührte, kribbelte es nicht, sondern fühlte sich heiß an. Es war der unangenehmste Schild, den er je gespürt hatte. Schon fürchtete er, die Haare auf den Armen könnten versengt werden, was jedoch nicht geschah.

Richard zog den Arm zurück. »Dieser Schild hier ist anders. Wenn er unangenehmer ist, als Ihr zu ertragen bereit seid, müßt Ihr mich zurückhalten.« Er legte die Arme um Berdine, um sie besser schützen zu können. Sie hielt die Luft an. »Keine Angst. Ich bleibe sofort stehen, wenn Ihr es wollt.«

Sie nickte, und er schob sich in den Türrahmen. Als das rote Licht auf das rote Leder an ihren Armen fiel, zuckte sie zurück. »Schon gut«, meinte sie. »Geht nur weiter.« Er zog sie hindurch und ließ sie wieder los. Sie schien sich erst zu entspannen, als er die Arme wieder von ihr gelöst hatte.

Das Leuchten der Kugel, die Richard vor dem Körper hielt, warf zwischen den Säulen scharfe Schatten, und er sah, daß überall im Raum kleine Nischen in das Gestein geschlagen waren. In den Wänden gab es vielleicht sechzig oder siebzig solcher Nischen. Er konnte zwar nicht genau erkennen, was sich in ihnen befand, aber es handelte sich um Gegenstände von unterschiedlicher Größe und Gestalt.

Richard spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten, als sein Blick aus der Entfernung über die Nischen hinwegwanderte. Er wußte nicht, was diese Gegenstände darstellten, aber instinktiv war ihm klar, daß sie überaus gefährlich waren.

»Bleibt dicht bei mir«, meinte er zu ihr. »Wir müssen uns von der Wand fernhalten.« Mit dem Kinn deutete er auf die gegenüberliegende Seite des riesigen Raumes. »Dort drüben. Das ist der Durchgang, zu dem wir müssen.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Seht Euch den Boden an.« Auf dem rauhen Naturstein war ein Pfad ausgetreten, der mitten durch den Raum führte. »Am besten halten wir uns an diesen Pfad.«

Sie sah ihn ängstlich aus ihren blauen Augen an. »Seid vorsichtig. Wenn Euch etwas zustößt, werde ich nicht aus diesem Palast herauskommen und von den anderen Hilfe holen können. Ich säße hier unten in der Falle.«

Richard lächelte und machte sich auf den Weg mitten durch die totenstille Höhle. »Tja, das ist das Risiko, das Ihr als mein Liebling eingeht.«

Ihre Beklommenheit wurde durch seinen Versuch, die Stimmung aufzuheitern, nicht geringer. »Denkt Ihr wirklich, ich glaube, daß ich Euer Liebling bin, Lord Rahl?«

Richard prüfte, ob sie sich noch auf dem richtigen Pfad befanden. »Das habe ich nur gesagt, weil Ihr das immer behauptet, Berdine.«

Sie dachte schweigend darüber nach, während sie vorsichtig weiter durch den Raum gingen. »Darf ich Euch eine Frage stellen, Lord Rahl? Eine ernstgemeinte Frage? Etwas Persönliches?«

»Sicher.«

Sie zog ihren welligen, braunen Zopf über die Schulter und hielt sich daran fest. »Wenn Ihr Eure Königin heiratet, dann werdet Ihr doch auch noch andere Frauen haben, nicht wahr?«

Richard blickte mißbilligend auf sie herab. »Ich habe auch jetzt keine anderen Frauen. Ich liebe Kahlan. Ich bin ihr in meiner Liebe treu ergeben.«

»Aber Ihr seid Lord Rahl. Ihr könnt haben, wen immer Ihr begehrt. Sogar mich. Genau das tut ein Lord Rahl: Er nimmt sich viele Frauen. Ihr braucht nur mit den Fingern zu schnippen.«

Richard gewann den entschiedenen Eindruck, daß sie ihm ganz gewiß kein Angebot machen wollte. »Hat es etwas damit zu tun, als ich meine Hand auf Euch, auf Eure Brust gelegt habe?« Sie wandte rasch den Blick ab und nickte. »Ich habe das getan, weil ich Euch helfen wollte, Berdine, nicht weil ich … also, jedenfalls nicht aus irgendeinem anderen Grund. Ich hatte gehofft, das wüßtet Ihr.«

Sie legte ihm besorgt die Hand auf den Arm. »Das weiß ich doch. Das habe ich nicht gemeint. Ihr habt mich nie in irgendeiner anderen Weise berührt. Was ich meinte war, Ihr habt es nie von mir verlangt.« Sie biß sich auf die Unterlippe. »Die Art, wie Ihr mich mit Eurer Hand berührt, erfüllt mich mit Scham.«

»Warum?«

»Weil Ihr Euer Leben riskiert habt, um mir zu helfen. Ihr seid mein Lord Rahl, und ich war nicht ehrlich zu Euch.«

Mit einer Handbewegung lenkte Richard sie auf dem Pfad um eine Säule, die zwanzig Männer nicht hätten umfassen können. »Allmählich verwirrt Ihr mich, Berdine.«

»Nun, ich behaupte, Euer Liebling zu sein, damit Ihr nicht denkt, ich mag Euch nicht.«

»Wollt Ihr damit sagen, daß Ihr mich nicht mögt?«

Sie griff erneut nach seinem Arm. »Aber nein. Ich liebe Euch.«

»Berdine, ich habe es Euch schon erklärt, ich habe —«

»Nein, nicht so. Ich meinte, ich liebe Euch als meinen Lord Rahl. Ihr habt mir die Freiheit geschenkt. Ihr habt erkannt, daß ich mehr bin als eine einfache Mord-Sith, und Ihr habt mir vertraut. Ihr habt mir das Leben gerettet und mir meine Unversehrtheit zurückgegeben. Ich liebe Euch dafür, daß Ihr der Lord Rahl seid, der Ihr seid.«

Richard schüttelte den Kopf, als wollte er ihn klarbekommen. »Was Ihr da sagt, ergibt keinen Sinn. Was hat das damit zu tun, daß Ihr ständig behauptet, mein Liebling zu sein?«

»Das sage ich nur, damit Ihr nicht denkt, ich würde nicht freiwillig in Euer Bett kommen, wenn Ihr mich darum bittet. Ich hatte Angst, wenn Ihr wüßtet, daß ich das nicht möchte, würdet Ihr mich zwingen, etwas Perverses zu tun.«

Als sie den Durchgang erreicht hatten, der aus dem Raum hinausführte, hielt Richard das Licht nach vorne. Es schien sich um einen einfachen Verbindungsgang zu handeln. »Hört auf, Euch deswegen den Kopf zu zerbrechen.« Er winkte sie weiter. »Ich sagte doch, das werde ich nicht tun.«

»Ich weiß. Nach dem, was Ihr getan habt« — sie berührte ihre linke Brust —, »glaube ich Euch. Vorher war das anders. Allmählich begreife ich, daß Ihr in mehr als einer Hinsicht anders seid.«

»Anders als wer?«

»Darken Rahl.«

»Also, da habt Ihr ausnahmsweise recht.« Sie folgten weiter dem langen Gang. Plötzlich sah er sie erneut an. »Wollt Ihr mir etwa zu verstehen geben, daß Ihr jemanden liebt und daß Ihr mir das alles nur deshalb gesagt habt, damit ich nicht denke, Ihr würdet meine Gefühle mißachten und mich dadurch provozieren, Gewalt anzuwenden?«

Sie schloß kurz die blauen Augen, und ihre Faust krallte sich um ihren Zopf. »Ja.«

»Wirklich? Das finde ich wunderbar, Berdine.« Am Ende des Ganges stießen sie auf einen weitläufigen Saal, dessen Wände mit zusammengebundenen Fell- und Haarbüscheln gesäumt waren, die von gerahmten Wandfächern herabhingen. Richard betrachtete die Schaukästen aus der Entfernung. Er sah, daß eines der Büschel aus dem Fell eines Gars gemacht war.

Richard warf ihr einen Blick zu, als er sich erneut auf den Weg machte, und mußte schmunzeln. »Und, wer ist es?« Er winkte ab, als ihn plötzlich Verlegenheit überkam, er könne, in Anbetracht ihrer augenblicklich etwas seltsamen Verfassung, seine Grenzen überschreiten. »Es sei denn, Ihr wollt ihn mir nicht verraten. Ihr müßt es mir nicht sagen. Ich will nicht, daß Ihr das Gefühl habt, Ihr seid dazu gezwungen. Wenn Ihr es so wollt, ist das allein Eure Sache.«

Berdine schluckte. »Ich möchte beichten — wegen der Dinge, die Ihr für uns, für mich, getan habt.«

Richard verzog das Gesicht. »Beichten? Wenn Ihr mir verratet, wen Ihr liebt, dann ist das keine Beichte, sondern —«

»Raina.«

Richard klappte der Mund zu. Er betrachtete genauestens den Boden. »Grüne Fliesen nur mit dem linken Fuß. Mit dem rechten nur auf die weißen. Laßt keine grüne oder weiße aus. Berührt das Postament, bevor Ihr mit dem Fuß die letzte Fliese verlaßt.«

Sie folgte ihm, während er vorsichtig von den grünen auf die weißen Fliesen trat und den Steinboden auf der gegenüberliegenden Seite erreichte, das Postament berührte und weiterging, hinein in einen hohen, schmalen Korridor, der einer Spalte in einem riesigen Edelstein gleich.

»Woher wißt Ihr das — die Sache mit den grünen und weißen Fliesen?«

»Was?« Er sah sich kurz stirnrunzelnd um. »Keine Ahnung. Muß ein Schild oder so etwas gewesen sein.« Er drehte sich zu ihr um, während sie, die Augen auf den Boden gerichtet, daherlief. »Ich liebe Raina auch, Berdine. Und Cara, dich, und auch Ulic und Egan. So wie eine Familie. Meint Ihr das?« Sie schüttelte den Kopf, ohne aufzusehen. »Aber … Raina ist eine Frau.«

Berdine warf ihm einen kühlen, drohenden Blick zu.

»Berdine«, begann er nach langem Schweigen, »am besten erzählt Ihr Raina nichts davon, sonst könnte —«

»Raina liebt mich ebenfalls.«

Richard richtete sich auf. Er wußte nicht recht, was er antworten sollte. »Aber wie kann … Ihr könnt doch nicht … ich verstehe nicht, wieso — Berdine, wieso erzählt Ihr mir das?«

»Weil Ihr immer aufrichtig zu uns wart. Als Ihr uns anfangs Versprechungen machtet, dachten wir, Ihr würdet sie nicht erfüllen. Nun, jedenfalls nicht alle von uns dachten das. Cara hat Euch immer geglaubt, ich dagegen nicht.«

Ihr Gesicht nahm wieder den entrückten Ausdruck einer Mord-Sith an. »Als Darken Rahl unser Lord Rahl war, kam er dahinter und befahl mir, zu ihm ins Bett zu kommen. Er lachte mich aus. Er mochte es … mich in sein Bett zu nehmen, weil er Bescheid wußte. Das war seine Art, mich zu demütigen. Ich dachte, wenn Ihr es wißt, würdet Ihr das gleiche tun, also versuchte ich, es vor Euch zu verheimlichen, indem ich Euch vortäuschte, ich begehre Euch.«

Richard schüttelte den Kopf. »So etwas würde ich Euch niemals antun, Berdine.«

»Das weiß ich — jetzt. Deswegen mußte ich es Euch auch beichten — weil Ihr immer aufrichtig zu mir wart, aber ich nicht zu Euch.«

Richard zuckte mit den Achseln. »Nun, hoffentlich fühlt Ihr Euch jetzt besser.« Nachdenklich führte er sie in einen verschlungenen Gang mit verputzten Wänden entlang. »Hat Darken Rahl Euch dazu gemacht, indem er Euch als Mord-Sith ausgewählt hat? Ist das der Grund, weshalb Ihr die Männer haßt?«

Sie blickte mißbilligend zu ihm hoch. »Ich hasse die Männer nicht. Ich, nun, ich weiß nicht recht. Seit ich klein war, habe ich immer den Mädchen hinterhergeguckt. Jungs haben mich in dieser Hinsicht nie interessiert.« Sie fuhr mit der Hand an ihrem Zopf entlang. »Haßt Ihr mich jetzt?«

»Nein. Nein, ich hasse Euch nicht, Berdine. Ihr seid meine Beschützerin, genau wie vorher. Aber könnt Ihr nicht vielleicht versuchen, nicht an sie zu denken? Das ist einfach nicht richtig.«

Sie lächelte entrückt. »Wenn Raina mich anlächelt und der Tag plötzlich wundervoll wird, kommt es mir sehr wohl richtig vor. Ich weiß, daß mein Herz bei ihr gut aufgehoben ist.« Ihr Lächeln erlosch. »Jetzt haltet Ihr mich für verabscheuungswürdig.«

Richard wandte den Blick ab, ihn überkam eine kalte Welle der Scham. »Bei Kahlan empfinde ich genauso. Mein Großvater meinte einmal, ich solle sie vergessen, aber ich konnte einfach nicht.«

»Warum sollte er so etwas sagen?«

Richard konnte ihr schlecht erzählen, daß es daran lag, daß Kahlan ein Konfessor war und Zedd nur in Richards bestem Interesse gehandelt hatte. Angeblich war es unmöglich, einen Konfessor zu lieben. Ihm war überhaupt nicht wohl dabei, daß er Berdine gegenüber im Augenblick nicht aufrichtig sein konnte. Er zuckte mit den Achseln. »Er fand, sie sei nicht die Richtige für mich.«

Als sie das Ende des Ganges erreichten, zog Richard sie durch einen weiteren kribbelnden Schild. In dem dreieckigen Raum stand eine Bank. Er setzte sie neben sich und legte die leuchtende Kugel zwischen ihnen ab.

»Ich glaube, ich weiß, was Ihr empfindet, Berdine. Ich weiß noch, wie ich mich fühlte, als mein Großvater meinte, ich sollte mir Kahlan aus dem Kopf schlagen. Niemand kann einem anderen seine Gefühle vorschreiben. Entweder man empfindet so oder eben nicht. Ich verstehe es zwar nicht, und mir ist auch nicht ganz wohl dabei, trotzdem seid Ihr alle auf dem besten Wege, meine Freunde zu werden. Nur deshalb müßt Ihr nicht genauso sein wie ich. Ihr seid trotzdem meine Freunde.«

»Lord Rahl, ich weiß, Ihr werdet mich niemals akzeptieren können. Ich mußte es Euch trotzdem sagen. Morgen werde ich nach D’Hara zurückkehren. Ihr sollt keine Beschützerin haben, die Ihr nicht akzeptiert.«

Richard überlegte kurz. »Mögt Ihr gedünstete Erbsen?«

Berdine sah ihn verwundert an. »Ja.«

»Also, ich kann gedünstete Erbsen nicht ausstehen. Mögt Ihr mich deswegen weniger, nur weil ich etwas nicht ausstehen kann, was Ihr mögt? Oder erweckt dies in Euch den Wunsch, nicht mehr meine Beschützerin sein zu wollen?«

Sie verzog das Gesicht. »Lord Rahl, das ist doch wohl etwas anderes als gedünstete Erbsen. Wie kann man jemandem vertrauen, den man nicht akzeptiert?«

»Wieso sollte ich Euch nicht akzeptieren, Berdine? Es ist einfach so, daß es mir nicht richtig vorkommt. Aber das muß es auch nicht. Seht Ihr, als ich jünger war, hatte ich einen Freund, der ebenfalls Waldführer war. Giles und ich waren viel zusammen, weil wir eine Menge gemeinsam hatten.

Dann verliebte er sich in Lucy Flecker. Ich konnte Lucy Flecker nicht ausstehen. Sie war gemein zu Giles. Ich begriff nicht, wie jemand sie lieben konnte. Ich mochte sie nicht und glaubte, er müsse ebenso empfinden. Ich verlor meinen Freund, weil er nicht so sein konnte, wie ich dachte, daß er sein müsse. Ich verlor ihn nicht wegen Lucy. Ich verlor ihn wegen mir selbst. Ich verlor unsere Freundschaft, nur weil ich ihn nicht den sein lassen wollte, der er war. Ich habe den Verlust stets bereut.

Wahrscheinlich verhält es sich hier ähnlich. Sobald Ihr lernt, etwas anderes zu sein als eine Mord-Sith — so wie ich beim Heranwachsen Dinge dazugelernt habe —, werdet Ihr feststellen, daß mit jemandem befreundet zu sein heißt, ihn so zu mögen, wie er ist, auch das, was man an ihm nicht versteht. Die Tatsache, daß man jemanden mag, macht das, was man nicht versteht, unwichtig. Weder muß man alles an ihm verstehen noch dieselben Dinge tun oder sein Leben leben. Wenn man jemanden wirklich mag, dann will man, daß er der ist, der er ist. Denn das war schließlich der Grund, warum man überhaupt erst angefangen hat, ihn zu mögen.

Und Euch mag ich, Berdine, und das allein zählt.«

»Ist das wahr?«

»Das ist wahr.«

Sie schlang ihm die Arme um den Hals und drückte ihn. »Ich danke Euch, Lord Rahl. Nachdem Ihr mich gerettet hattet, fürchtete ich, Ihr würdet es bereuen. Jetzt bin ich froh, daß ich Euch alles gesagt habe. Raina wird erleichtert sein, wenn sie erfährt, daß Ihr uns nicht dasselbe antun werdet wie Darken Rahl.«

Während sie dort standen, glitt ein Teil der steinernen Wand zur Seite. Richard nahm sie bei der Hand und führte sie die Treppe dahinter hinunter in einem muffigen, feuchten Raum mit einem Steinboden, der in der Mitte zu einer gewaltigen Erhebung anstieg.

»Wenn wir jetzt Freunde werden, kann ich Euch dann sagen, was mir an Eurem Tun nicht gefallen hat, was ich nicht billige und bei welcher Gelegenheit Ihr Euch falsch verhalten habt?« Richard nickte. »Mir gefällt nicht, was Ihr Cara angetan habt. Sie ist wütend gewesen.«

Richard sah sich in dem seltsamen Raum um, der alles Licht zu schlucken schien. »Cara? Wütend auf mich? Was habe ich ihr denn getan?«

»Ihr habt sie schlecht behandelt — wegen mir.« Als Richard verwirrt das Gesicht in Falten legte, fuhr sie fort. »Als ich unter dem Bann stand und ich Euch nach Eurer Rückkehr von der Suche nach Brogan mit dem Strafer bearbeitet hatte, da wart Ihr auf uns alle wütend. Ihr habt die anderen behandelt, als hätten sie Euch das gleiche angetan, dabei war ich das allein.«

»Ich wußte nicht, was vor sich ging. Durch Euer Vorgehen fühlte ich mich von den Mord-Sith bedroht. Das sollte sie eigentlich wissen.«

»Das tut sie auch. Aber als Ihr schließlich dahintergekommen wart und mir meine Unversehrtheit zurückgegeben hattet, da habt Ihr Euch bei Cara und Raina für diese ungerechte Behandlung nicht entschuldigt — ganz so, als hätten sie Euch ebenso bedroht wie ich. Aber das war nicht der Fall.«

Richard spürte, wie sein Gesicht im Dunkeln rot wurde. »Ihr habt recht. Warum hat sie nichts gesagt?«

Berdine zog die Augenbrauen hoch. »Ihr seid Lord Rahl. Sie würde selbst dann nichts sagen, wenn Ihr beschließt, sie zu schlagen, nur weil Euch die Art, wie sie ›Guten Morgen‹ gesagt hat, nicht gefällt.«

»Und warum sagt Ihr etwas?«

Berdine folgte ihm in einen seltsamen Korridor, mit einem Boden aus Pflastersteinen, der gerade mal zwei Fuß breit war, und glatten, runden, röhrenähnlichen Seitenwänden, die vollständig mit Gold bedeckt waren. »Weil Ihr ein Freund seid.«

Als er über seine Schulter sah und sich mit einem Lächeln bei ihr bedankte, streckte sie die Hand aus, um das Gold zu berühren. Richard packte sie am Handgelenk, bevor sie dazu kam. »Wenn Ihr das tut, seid Ihr tot.«

Sie sah ihn verwundert an. »Wieso erzählt Ihr uns, Ihr wüßtet nichts über diesen Ort, und dann spaziert Ihr einfach hier durch, als hättet Ihr Euer ganzes Leben hier verbracht?«

Richard wunderte sich maßlos über die Frage. Doch dann bekam er plötzlich große Augen, als es ihm dämmerte. »Wegen Euch.«

»Wegen mir!«

»Ja«, meinte Richard erstaunt. »Durch unser Gespräch wurde mein bewußter Verstand abgelenkt. Ich habe Euch aufmerksam zugehört und über Eure Worte nachgedacht, so daß meine Gabe mich leiten konnte. Ich habe überhaupt nichts davon gemerkt. Jetzt, wo wir diesen Weg einmal gegangen sind, kenne ich die Gefahren und auch den Rückweg. Jetzt finde ich hier wieder heraus.« Er drückte ihre Schulter. »Danke, Berdine.«

Sie schmunzelte. »Wozu sind Freunde denn da?«

»Ich glaube, das Schlimmste haben wir hinter uns. Hier entlang.«

Am Ende des goldenen Tunnels befand sich ein Turmzimmer von wenigstens einhundert Fuß im Durchmesser, mit Treppen, die spiralförmig an der Innenseite der Außenmauer nach oben führten. In unregelmäßigen Abständen befand sich anstelle einer Stufe ein Absatz, dort gab es jeweils auch eine Tür. Oben, in der düsteren Weite, durchbohrten Lichtbalken die Dunkelheit. Die meisten der Fenster waren klein, eines jedoch schien riesig zu sein. Richard konnte nicht mit Gewißheit sagen, wie weit der Turm sich in die Höhe reckte, aber es mußten an die zweihundert Fuß sein. Nach unten stieg der kreisrunde Schacht hinab in feuchte, Ungewisse Niederungen.

»Das gefällt mir überhaupt nicht«, meinte Berdine nach einem Blick über den Rand des eisernen Geländers auf dem Treppenabsatz.

Richard glaubte, im Dunkeln unten eine Bewegung erkennen zu können. »Bleibt ganz nah bei mir und haltet die Augen offen.« Er heftete seinen Blick auf die Stelle, wo er glaubte, die Bewegung entdeckt zu haben, und versuchte, sie noch einmal zu sehen. »Wenn irgend etwas passiert, müßt Ihr versuchen, nach draußen zu kommen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie viele Schilde wir passiert haben. Wenn Euch irgend etwas zustößt, bin ich ebenfalls tot.«

Richard wog die Alternativen ab. Vielleicht wäre es besser, wenn er sich in sein Mriswithcape hüllte. »Wartet hier. Ich gehe nachsehen.«

Berdine packte sein Hemd an der Schulter und riß ihn herum, so daß er in ihre feurig-blauen Augen blickte. »Nein. Ihr werdet nicht alleine gehen.«

»Berdine —«

»Ich bin Eure Beschützerin. Ihr werdet nicht alleine gehen. Verstanden?«

Sie hatte diesen durchdringenden, unerbittlichen Blick in den Augen, der ihn fürchten ließ, er könnte etwas Falsches sagen. Schließlich gab er sich seufzend geschlagen. »Also schön. Aber Ihr bleibt in der Nähe und tut, was ich sage.« Sie hob herausfordernd den Kopf. »Ich tue immer, was Ihr sagt.«

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