Richard zuckte zusammen, als er sah, wie der Junge bewußtlos geschlagen wurde. Einige der Schaulustigen zerrten ihn zur Seite, und ein anderer Junge nahm seinen Platz ein. Selbst hinter dem hohen Fenster im Palast der Konfessoren konnte er die Jubelschreie der Kinder hören, die zuschauten, wie die Jungen jenes Spiel spielten, das er auch bei den Kindern in Tanimura beobachtet hatte: Ja’La.
In seiner Heimat Westland hatte er nie etwas von Ja’La gehört, doch die Kinder in den Midlands spielten es ebenso wie die aus der Alten Welt. Es war tempogeladen und sah aufregend aus, er fand jedoch, Kinder sollten sich den Spaß am Spiel nicht mit ausgeschlagenen Zähnen teuer erkaufen müssen.
»Lord Rahl?« rief Ulic. »Lord Rahl, seid Ihr da?«
Richard wandte sich vom Fenster ab und ließ die tröstlich schützende Hülle von sich abfallen, indem er das schwarze Mriswithcape nach hinten über seine Schultern warf.
»Ja, Ulic. Was gibt’s?«
Der kräftige Gardesoldat betrat mit großen Schritten das Zimmer und sah, wie Richard aus der Luft aufzutauchen schien. Er war den Anblick gewöhnt. »Da ist ein keltonischer General, der Euch zu sprechen wünscht. General Baldwin.«
Richard legte die Fingerspitzen an die Stirn und überlegte. »Baldwin, Baldwin.« Er hob den Kopf. »General Baldwin. Ja, ich erinnere mich. Er ist der Befehlshaber aller keltonischen Streitkräfte. Wir haben ihm eine Nachricht über die Kapitulation Keltons geschickt. Was will er?«
Ulic zuckte mit den Achseln. »Er sagte nichts weiter, als daß er den Lord Rahl zu sprechen wünscht.«
Richard drehte sich zum Fenster um, schob den schweren Goldvorhang beiseite und lehnte sich an die bemalte Fenstereinfassung. Er beobachtete, wie ein Junge sich nach einem Treffer durch den Broc krümmte. Der Junge richtete sich wieder auf und ging ins Spiel zurück.
»Wie viele Soldaten haben den General nach Aydindril begleitet?«
»Ein kleiner Begleittrupp von vielleicht fünf-, sechshundert Mann.«
»Man hat ihn von der Kapitulation Keltons unterrichtet. Wollte er Ärger machen, wäre er sicher nicht mit so wenigen Mann nach Aydindril einmarschiert. Ich denke, es ist besser, wenn ich ihn empfange.« Er wandte sich wieder Ulic zu. »Berdine ist beschäftigt. Laß den General von Cara und Raina hereinbegleiten.«
Ulic schlug sich die Faust vors Herz und wollte bereits kehrtmachen, drehte sich jedoch noch einmal um, als Richard ihn zurückrief. »Haben die Männer am Fuß des Berges unterhalb der Burg noch etwas gefunden?«
»Nein, Lord Rahl, nichts weiter als all diese Mriswithteile. Die Schneeverwehungen am Fuß der Klippen sind so tief, daß es Frühling werden wird, bis sie geschmolzen sind und wir herausfinden können, was sonst noch von der Burg herabgefallen ist. Der Wind kann es sonstwo hingeweht haben, und die Männer wissen nicht, wo sie in diesem ausgedehnten Gebiet suchen sollen. Die Mriswitharme und -krallen, die sie gefunden haben, waren so leicht, daß sie nicht im Schnee versunken sind. Alles, was schwerer ist, könnte sich zehn, vielleicht zwanzig Fuß tief in diesen leichten Pulverschnee eingegraben haben.«
Richard nickte enttäuscht. »Noch etwas. Im Palast muß es Näherinnen geben. Sag ihrer Vorarbeiterin, sie möchte zu mir kommen.«
Ohne sich darüber im klaren zu sein, hüllte sich Richard in sein schwarzes Mriswithcape und schaute wieder dem Ja’La-Spiel zu. Er wartete voller Ungeduld auf die Ankunft von Kahlan und Zedd. Jetzt dürfte es nicht mehr lange dauern. Sicher waren sie längst ganz in der Nähe. Gratch hatte sie bestimmt gefunden, und bald wären sie alle vereint.
Hinter sich, an der Tür, hörte er Caras Stimme. »Lord Rahl?«
Richard drehte sich um, atmete durch und öffnete das Cape. Zwischen den beiden Mord-Sith stand ein großer, robust gebauter, älterer Mann mit einem weiß gesprenkelten, dunklen Schnäuzer, dessen Enden bis zur Unterseite seines Kinns wuchsen. Sein ergrauendes, schwarzes Haar wucherte ihm bis über die Ohren. Wo es dünner wurde, schimmerte sein Schädel durch.
Er trug ein schweres, halbrundes Cape aus Serge, das reich mit grünem Samt gesäumt und mittels zweier Knöpfe an einer Schulter befestigt war. Ein hoher, bestickter Kragen war über einen hellbraunen Wappenrock geschlagen, der mit einem Emblem verziert war — durchschnitten von einer schwarzen, diagonalen Linie, die einen gelben und einen blauen Schild voneinander trennte. Die hohen Stiefel des Mannes reichten ihm bis über die Knie. Derbe schwarze Handschuhe, deren ausgestellte Manschetten seinen Bauch verdeckten, steckten in einem breiten Gürtel, der mit einer reich verzierten Schnalle besetzt war.
Als Richard vor seinen Augen sichtbar wurde, wurde der General bleich im Gesicht und blieb abrupt stehen.
Richard verneigte sich. »General Baldwin, freut mich, Euch kennenzulernen. Ich bin Richard Rahl.«
Der General fand schließlich seine Haltung wieder und erwiderte die Verbeugung. »Lord Rahl, ich fühle mich geehrt, daß Ihr mich so kurzfristig empfangt.«
Richard machte eine Geste mit der Hand. »Cara, bitte bringt einen Stuhl für den General. Er ist bestimmt müde von der Reise«
Nachdem Cara einen schlichten gepolsterten Stuhl vor den Tisch gestellt hatte und der General Platz genommen hatte, setzte Richard sich in seinen Sessel hinter dem Tisch. »Was kann ich für Euch tun, General Baldwin?«
Der General sah kurz hoch zu Raina hinter seiner linken und Cara hinter seiner rechten Schulter. Die beiden Frauen standen schweigend da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und gaben unzweideutig zu verstehen, daß sie nicht die Absicht hatten, den Raum zu verlassen.
»Ihr könnt frei sprechen, General. Diesen beiden vertraue ich so sehr, daß sie im Schlaf über mich wachen.«
Er holte Luft, wirkte ein wenig gelöster und schien die Beteuerung zu akzeptieren. »Lord Rahl, ich komme wegen der Königin.«
Richard hatte schon vermutet, daß dies der Grund sein könnte. Er faltete die Hände auf dem Tisch. »Was geschehen ist, tut mir sehr leid, General.«
Der General stützte den Arm auf den Tisch und beugte sich vor. »Ja, ich habe von den Mriswiths gehört. Ich habe ein paar von diesen abscheulichen Tieren auf den Lanzen draußen gesehen.«
Richard mußte sich bremsen. Fast hätte er gesagt, daß es vielleicht Tiere waren, aber keine abscheulichen. Schließlich hatte ein Mriswith Cathryn Lumholtz getötet, als sie ihn gerade hatte ermorden wollen. Doch da der General dies vermutlich nicht verstehen würde, behielt Richard es für sich und erwiderte statt dessen: »Ich bedauere aufrichtig, daß Eure Königin getötet wurde, während sie unter meinem Dach weilte.«
Der General tat dies mit einer knappen Handbewegung ab. »Ich wollte Euch damit nichts unterstellen, Lord Rahl. Ich bin gekommen, weil Kelton jetzt, da Cathryn Lumholtz tot ist, weder König noch Königin hat. Sie war die letzte in der Erbfolge, und das ist wegen ihres plötzlichen Todes ein Problem.«
Richard blieb freundlich, aber förmlich. »Was für ein Problem? Ihr seid jetzt ein Teil von uns.«
Der Mann verzog das Gesicht zu einem bemüht gelassenen Ausdruck. »Ja, wir haben die Kapitulationsdokumente erhalten. Aber die Königin, die uns geführt hat, ist jetzt tot. Als sie noch im Amt war, handelte sie im Rahmen ihrer Machtbefugnis, jetzt jedoch müssen wir feststellen, daß wir ein wenig ratlos sind, wie es weitergehen soll.«
Richard runzelte die Stirn. »Ihr meint, Ihr braucht eine neue Königin — oder einen König?«
Er zuckte kleinlaut mit den Achseln. »Bei uns ist es nun mal üblich, daß ein Monarch das Volk führt. Auch wenn es nun, da wir uns dem Bund mit D’Hara ergeben haben, nur symbolisch ist, so erfüllt es das keltonische Volk mit Achtung, einen König oder eine Königin zu haben. Ohne hat das Volk das Gefühl, nicht mehr als Nomaden zu sein, ohne Wurzeln — ohne etwas Gemeinsames, das es verbindet.
Da es keinen Lumholtz mehr in der Erbfolge gibt, könnte eines der anderen Häuser sich hervortun. Keines hat ein Anrecht auf den Thron, das hingegen könnte sich eines erwerben. Ein umstrittener Thron jedoch beschwört die Gefahr eines Bürgerkriegs herauf.«
»Verstehe«, sagte Richard. »Euch ist natürlich bewußt, daß es, soweit es Eure Kapitulation betrifft, keinerlei Rolle spielt, wen Ihr zu Eurem König oder zu Eurer Königin wählt. Die Kapitulation ist unwiderruflich.«
»So einfach ist das nicht. Deswegen bin ich gekommen, um Eure Hilfe zu erbitten.«
»Wie kann ich helfen?«
Der General knetete sein Kinn. »Seht Ihr, Lord Rahl, Königin Cathryn hat Euch Kelton übergeben, jetzt aber ist sie tot. Bis wir einen neuen Monarchen haben, sind wir Eure Untertanen. Gewissermaßen seid Ihr, solange kein echter Monarch ernannt ist, unser König. Wenn jedoch eines dieser Häuser den Thron besteigt, könnte es sein, daß man dort anderer Meinung ist.«
Richard ließ seine Stimme nicht so bedrohlich klingen, wie es seiner Laune entsprochen hätte. »Eine solche Meinung interessiert mich nicht. Dieser Fluß ist überschritten.«
Der General wedelte mit der Hand, als wollte er um Geduld bitten. »Ich denke, die Zukunft liegt bei Euch, Lord Rahl. Das Problem ist, fällt der Thron an das falsche Haus, könnte man dort auf andere Gedanken kommen. Offen gesagt, hätte ich nie gedacht, das Haus Lumholtz würde sich für Euch und D’Hara entscheiden. Ihr müßt sehr überzeugend gewesen sein, um die Königin zur Vernunft zu bringen.
Einige der Herzöge und Herzoginnen sind durchaus begabt, was das Spiel um die Macht angeht, nicht aber, was das Wohl aller angeht. Die Herzogtümer sind fast unabhängig, und ihre Untertanen beugen sich nur einem Monarchen. Da sind einmal jene, die sich voller Überzeugung für Kelton und die Befolgung der Anordnungen der Krone — und nicht D’Haras — aussprechen würden, sollte eines der falschen Häuser auf den Thron gelangen und die Kapitulation für ungültig erklären. Die Folge wäre ein Bürgerkrieg.
Ich bin Soldat und betrachte das Geschehen mit den Augen eines Soldaten. Kein Soldat kämpft gern in einem Bürgerkrieg. Unter meinem Kommando stehen Männer aus jedem Herzogtum. Ein Bürgerkrieg würde die Einheit der Armee zerstören und uns für unsere wahren Feinde angreifbar machen.«
Richard sprach in die Stille hinein. »Ich höre zu, sprecht weiter.«
»Wie gesagt, als Mann, der den Wert von Einigkeit kennt, denke ich, die Zukunft liegt bei Euch. Im Augenblick seid Ihr das Gesetz — bis ein neuer Herrscher den Thron besteigt.«
General Baldwin lehnte sich seitlich an den Tisch und senkte bedeutungsschwer die Stimme. »Da Ihr gegenwärtig das Gesetz seid, wäre die Angelegenheit mit der Ernennung eines Königs oder einer Königin durch Euch erledigt. Versteht Ihr, was ich meine? Die Häuser wären verpflichtet, den neuen Herrscher anzuerkennen und sich Euch anzuschließen, vorausgesetzt, der neue Herrscher ordnet an, es soll sein, wie es bereits beschlossen wurde.«
Richard sah ihn argwöhnisch an. »So wie Ihr das sagt, klingt es wie ein Spiel, General. Man verschiebt einen Stein auf dem Brett, um einen gegnerischen Stein zu blockieren, bevor der Gegner Gelegenheit bekommt, den eigene Stein zu schlagen.«
Der General strich seinen Schnäuzer glatt. »Ihr seid am Zug, Lord Rahl.«
Richard lehnte sich zurück in seinen Sessel. »Verstehe.« Er dachte einen Augenblick lang nach, wußte nicht, wie er in dieser Angelegenheit weiter verfahren sollte. Vielleicht konnte er den General fragen, welches Haus treu ergeben sein würde. Er hielt es jedoch nicht für klug, einem Mann zu vertrauen, der gerade eben erst hereinspaziert war und seine Absicht zu helfen, kundgetan hatte. Es konnte eine Falle sein.
Er blickte kurz zu Cara hinüber, die seitlich hinter dem General stand. Sie hatte die Schultern hochgezogen und einen Ausdruck stummer Verwirrung im Gesicht. Als sein Blick zu Raina hinüberwanderte, gab sie ihm zu erkennen, daß auch sie keinen Rat wußte.
Richard erhob sich und trat ans Fenster, starrte hinaus auf die Menschen in der Stadt. Er wünschte, Kahlan wäre hier. Sie wußte über diese Dinge Bescheid: über Erbfolge und Herrscher. Die Übernahme der Midlands wurde zunehmend komplizierter, als er erwartet hatte.
Er konnte diesen Unfug einfach mit einem Befehl unterbinden und d’Haranische Truppen zur Durchsetzung seiner Befehle aussenden, aber das wäre eine Vergeudung wertvoller Soldaten für etwas, das eigentlich längst geregelt war. Er konnte die Angelegenheit auf sich beruhen lassen, andererseits war er darauf angewiesen, daß Kelton ihm treu ergeben blieb — die Kapitulation anderer Länder hing von Kelton ab. Wenn er einen Fehler machte, konnten all seine Pläne zu Asche zerfallen.
Richard wünschte nur, Kahlan würde sich beeilen und nach Aydindril kommen. Sie konnte ihm sagen, was er zu tun hatte. Vielleicht konnte er bis zu ihrem und Zedds Eintreffen Zeit schinden, und dann, mit ihrem Rat, das Richtige tun. Sie würde bald hier sein. Aber war das bald genug?
Kahlan, was soll ich tun?
Kahlan.
Richard drehte sich zu dem wartenden General um. »Da Kelton einen Monarchen als Symbol der Hoffnung und der Führerschaft über das gesamte keltonische Volk braucht, werde ich einen für Euch bestimmen.«
Der General wartete gespannt.
»Kraft meiner Amtsgewalt als Herrscher D’Haras, dem gegenüber Kelton zur Treue verpflichtet ist, ernenne ich Eure Königin.
Von diesem Tag an ist Kahlan Amnell Königin von D’Hara.«
General Baldwin riß die Augen auf und erhob sich von seinem Stuhl. »Ihr ernennt Kahlan Amnell zu unserer Königin?«
Richards Blick wurde härter, während seine Hand sich auf das Heft seines Schwertes senkte. »Ganz recht. Ganz Kelton wird sich ihr beugen. Wie Eure Kapitulation, so ist auch dieser Befehl unwiderruflich.«
General Baldwin fiel auf die Knie und senkte sein Haupt. »Lord Rahl, ich kann kaum glauben, daß Ihr das für unser Volk tun wollt. Wir sind Euch dankbar.«
Richard, der kurz davor war, sein Schwert zu ziehen, stutzte bei den Worten des Generals. Eine solche Reaktion hatte er nicht erwartet.
Schließlich erhob sich der General vor dem Tisch. »Lord Rahl, ich muß sofort aufbrechen, um unseren Truppen diese glorreichen Neuigkeiten zu überbringen. Sie werden sich ebenso wie ich geehrt fühlen, Untertanen von Kahlan Amnell zu sein.«
Richard, der nicht wußte, wie er reagieren sollte, blieb unverbindlich. »Es freut mich, daß Ihr meine Wahl akzeptiert, General Baldwin.«
Der General breitete die Arme aus. »Akzeptieren? Das übertrifft all meine Hoffnungen, Lord Rahl. Kahlan Amnell ist die Königin von Galea. Daß die Mutter Konfessor höchstselbst unserem Konkurrenten Galea als Königin dient, war Anlaß zu mancherlei Zwist, sie jetzt jedoch auch als unsere Königin zu haben, nun, es wird sich zeigen, daß Lord Rahl uns ebensosehr schätzt wie Galea. Wenn Ihr mit ihr vermählt seid, dann seid Ihr auch mit unserem Volk vermählt, genau wie die Galeaner.«
Richard erstarrte und war sprachlos. Wieso wußte dieser Mann, daß Kahlan die Mutter Konfessor war? Gütige Seelen, was war geschehen?
General Baldwin ergriff Richards Hand, zerrte sie vom Schwert fort und umschloß sie in einem herzlichen Griff. »Lord Rahl, dies ist die größte Ehre, die unserem Volk jemals zuteil wurde: die Mutter Konfessor höchstselbst als Königin zu haben. Ich danke Euch, Lord Rahl, danke.«
General Baldwin strahlte vor Freude, Richard dagegen stand am Rande einer Panik. »Ich hoffe, General, dies besiegelt unsere Einheit.«
Vor Wonne lachend winkte der General ab. »Für alle Zeiten, Lord Rahl. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt, ich muß sofort zurück, um unserem Volk von diesem großen Tag zu berichten.«
»Natürlich«, brachte Richard hervor.
General Baldwin ergriff Caras und Rainas Hand, bevor er aus dem Saal stürmte. Richard stand wie gelähmt.
Cara runzelte die Stirn. »Lord Rahl, stimmt etwas nicht? Ihr seid totenbleich.«
Schließlich löste Richard seinen Blick von der Tür, durch die der General hinausgetreten war, und sah sie an. »Er weiß, daß Kahlan die Mutter Konfessor ist.«
Caras Stirn zuckte, als hätte jemand versucht, sie zum Narren zu halten. »Aber jeder weiß doch, daß Eure zukünftige Braut, Kahlan Amnell, die Mutter Konfessor ist.«
»Was?« fragte er tonlos. »Ihr wißt es auch?«
Raina und sie nickten. Raina meinte: »Natürlich. Ist etwas mit Euch, Lord Rahl? Seid Ihr krank? Vielleicht solltet Ihr Euch setzen?«
Richards Blick wanderte von Rainas fragendem Gesicht zurück zu Cara. »Sie war durch einen Bann geschützt. Niemand wußte, daß sie die Mutter Konfessor ist. Niemand. Ein mächtiger Zauberer hat sie mit Magie beschützt. Ihr wußtet es vorher auch nicht.«
Cara sah ihn verwirrt an. »Nein? Das ist äußerst seltsam, Lord Rahl. Mir scheint es, als hätte ich immer gewußt, daß sie die Mutter Konfessor ist.« Raina nickte. Sie war derselben Ansicht.
»Ausgeschlossen«, sagte Richard. Er drehte sich zur Tür. »Ulic! Egan!«
Sie kamen fast augenblicklich durch die Tür geschossen, ruhig und bereit zum Kampf. »Lord Rahl?«
»Wen werde ich heiraten?«
Die beiden Männer richteten sich überrascht auf. »Die Königin von Galea, Lord Rahl«, antwortete Ulic.
»Und wer ist das?«
Die beiden Männer tauschten verblüffte Blicke aus. »Nun«, meinte Egan, »das ist die Königin von Galea — Kahlan Amnell, die Mutter Konfessor.«
»Die Mutter Konfessor ist angeblich tot! Erinnert sich denn keiner von euch mehr an die Rede, die ich vor den Vertretern aller Länder unten im Ratssaal gehalten habe? Ich habe sie aufgefordert, das Andenken der Mutter Konfessor zu ehren, indem sie sich D’Hara anschließen?«
Ulic kratzte sich am Kopf. Egan starrte auf den Boden, nuckelte an einer Fingerspitze und dachte angestrengt nach. Raina blickte zu den anderen hinüber, in der Hoffnung, sie wüßten eine Antwort. Schließlich hellte Caras Miene sich auf.
»Ich glaube, jetzt erinnere ich mich, Lord Rahl«, sagte sie. »Aber ich meine, Ihr hättet von früheren Müttern Konfessor im allgemeinen gesprochen, nicht von Eurer zukünftigen Braut.«
Richard blickte von einem nickenden Gesicht zum anderen. Irgend etwas stimmte hier nicht.
»Hört zu, Ihr versteht das nicht, aber hier ist Magie im Spiel.«
»Dann habt Ihr recht, Lord Rahl«, meinte Raina und wurde ernster. »Wenn ein magischer Bann daran beteiligt ist, dann wird es so sein, daß dieser Bann uns täuscht. Ihr beherrscht die Magie, daher seid Ihr sicher in der Lage, die Schwierigkeiten zu erkennen. Wir müssen darauf vertrauen, was Ihr uns über Magie erzählt.«
Richard rieb die Hände aneinander und richtete den Blick in die Ferne, ohne daß seine Augen einen Punkt fanden, wo sie zur Ruhe kommen konnten. Irgend etwas stimmte da nicht. Irgend etwas stimmte hier ganz und gar nicht! Aber was? Vielleicht hatte Zedd den Bann aufgehoben? Vielleicht hatte er einen Grund dafür gehabt. Möglicherweise war alles in Ordnung. Zedd war bei ihr. Zedd würde sie beschützen. Richard wirbelte herum.
»Der Brief. Ich habe ihnen einen Brief geschickt. Vielleicht hat Zedd den Bann aufgehoben, weil er weiß, daß ich Aydindril der Imperialen Ordnung abgenommen habe, und er der Meinung war, es gäbe keinen Grund mehr, sie unter dem Bann zu belassen.«
»Klingt vernünftig«, meinte Cara.
Richard spürte, wie Sorge in ihm aufstieg. Was, wenn Kahlan außer sich war, weil er den Bund der Midlands aufgekündigt und die Kapitulation der Länder vor D’Hara verlangt hatte. Vielleicht hatte sie Zedd gedrängt, den Bann aufzuheben, damit die Menschen wußten, daß die Midlands noch immer eine Mutter Konfessor hatten? Demnach wäre sie nicht in Schwierigkeiten, sondern lediglich verärgert über ihn. Ärger konnte er hinnehmen, Schwierigkeiten nicht. Wenn sie in Schwierigkeiten steckte, mußte er ihr helfen.
»Ulic, bitte geh und suche General Reibisch und bringe ihn sofort zu mir.« Ulic berührte mit der Faust die Brust und eilte hinaus. »Egan, du wirst einige der Offiziere und Mannschaften aufsuchen. Verhalte dich nicht so, als sei das etwas Außergewöhnliches. Verwickele sie einfach in ein Gespräch über mich, vielleicht über meine Heirat oder ähnliches. Stelle fest, ob auch andere wissen, daß Kahlan die Mutter Konfessor ist.«
Richard lief hin und her, während er nachdachte und auf General Reibisch wartete. Was sollte er tun? Kahlan und Zedd müßten jeden Augenblick hier eintreffen. Was aber, wenn irgend etwas schiefgegangen war? Selbst wenn sein Vorgehen Kahlan verärgert hatte, würde sie dies nicht davon abhalten, nach Aydindril zu kommen. Sie würde lediglich versuchen, es ihm auszureden, oder ihm Vorträge über die Geschichte der Midlands halten und was er alles zerstörte.
Vielleicht würde sie auch ihre Hochzeit abblasen und ihn nie mehr wiedersehen wollen. Nein. Das konnte er nicht glauben. Kahlan liebte ihn, und auch wenn sie verärgert war, er weigerte sich zu glauben, daß sie freiwillig etwas über die Liebe zu ihm stellen würde. Er mußte an ihre Liebe glauben, genau wie sie an seine glauben mußte.
Die Tür ging auf, und herein kam Berdine, die Arme voller Bücher und Papiere. Sie hatte eine Feder zwischen den Zähnen. Sie lächelte, so gut dies mit der Feder im Mund möglich war, und ließ die Sachen auf den Tisch fallen.
»Wir müssen uns unterhalten«, flüsterte sie, »wenn Ihr nicht zu beschäftigt seid.«
»Ulic ist hinausgegangen, um General Reibisch zu suchen. Ich muß ihn dringend sprechen.«
Berdine sah zu Cara hinüber, dann zu Raina, zur Tür. »Soll ich Euch allein lassen, Lord Rahl? Ist etwas nicht in Ordnung?«
Richard hatte bereits genug herausgefunden und wußte, daß seine Einschätzung der Wichtigkeit des Tagebuchs richtig war. Bis zu General Reibischs Rückkehr konnte er außerdem nichts unternehmen.
»Wen werde ich heiraten?«
Berdine schlug ein Buch auf dem Tisch auf, setzte sich auf seinen Sessel und blätterte in den Papieren, die sie mitgebracht hatte. »Königin Kahlan Amnell, die Mutter Konfessor.« Sie hob erwartungsvoll den Kopf. »Habt Ihr ein wenig Zeit? Ich könnte Eure Hilfe gebrauchen.«
Richard seufzte, ging um dem Tisch herum und stellte sich neben sie. »Ich habe Zeit, bis General Reibisch eintrifft. Womit kann ich Euch helfen?«
Sie tippte mit dem hinteren Ende ihrer Feder auf das offene Tagebuch. »Ich habe es fast geschafft, diese Passage hier zu übersetzen, und offenbar war dem Autor sehr an ihr gelegen, als er sie schrieb, aber mir fehlen zwei Worte, die ich für wichtig halte.« Sie drehte die Ausgabe von Die Abenteuer von Bonnie Day in Hoch-D’Haran vor ihnen herum. »Ich habe hier eine Stelle gefunden, die dieselben beiden Worte enthält. Wenn Ihr Euch erinnern könnt, was hier steht, dann habe ich es.«
Richard hatte Die Abenteuer von Bonnie Day unzählige Male gelesen, es war sein Lieblingsbuch, und er hatte geglaubt, es auswendig aufsagen zu können. Er hatte aber feststellen müssen, daß das nicht der Fall war. Er kannte das Buch gut, sich jedoch an den genauen Wortlaut zu erinnern, erwies sich als schwieriger denn erwartet. Solange er ihr die genauen Worte eines Satzes nicht sagen konnte, stellte die Handlung der Geschichte allein oft keine große Hilfe dar.
Mehrmals war er in die Burg gegangen und hatte nach einer Ausgabe des Buches gesucht, die er lesen konnte, damit sie sie mit der d’Haranischen Ausgabe vergleichen konnten, es war ihm jedoch nicht gelungen, eine zu finden.
Berdine zeigte auf eine Stelle in Die Abenteuer von Bonnie Day. »Ich benötige diese beiden Worte. Könnt Ihr mir sagen, was der Satz bedeutet?«
Richards Hoffnung stieg. Es war der Anfang eines Kapitels. Bei Kapitelanfängen hatte er den meisten Erfolg, denn die ersten Worte waren einprägsam.
»Ja! Das ist das Kapitel, in dem sie aufbrechen. Ich erinnere mich. Es fängt an: ›Zum dritten Mal in dieser Woche brach Bonnie das Gesetz ihres Vaters, daß sie nicht alleine in den Wald gehen durfte.‹«
Berdine beugte sich hinüber und blickte auf die Zeile. »Ja, das heißt ›brach‹, das habe ich bereits herausgefunden. Das Wort hier bedeutet ›Gesetz‹, und dieses hier ›dritte‹?«
Richard nickte, als sie kurz den Kopf hob. Vor Aufregung über ihre Entdeckung lächelnd, tauchte sie ihre Feder in das Tintenfaß, begann auf einem der Blätter, die sie mitgebracht hatte, zu schreiben und einige Lücken zu füllen. Als sie fertig war, schob sie ihm stolz das Blatt hin.
»Das steht in diesem Teil des Tagebuches.«
Richard nahm das Blatt zur Hand und hielt es ins Licht, das vom Fenster kommend über seine Schulter fiel.
Die heftigen Streitereien unter uns gehen weiter. Das Dritte Gesetz der Magie: Leidenschaft ist stärker als Vernunft. Ich fürchte, dieses heim tückischste aller Gesetze könnte unser Verderben sein. Obwohl wir es besser wissen, fürchte ich, daß einige von uns es dennoch brechen wer den. Jede Splittergruppe besteht nachdrücklich darauf, daß ihr Vorge hen der Vernunft entspringt, doch bei dieser ausweglosen Lage fürchte ich, daß ihr aller Vorgehen auf Leidenschaft zurückgeht. Selbst Alric Rahl gibt verzweifelt die Losung aus, er habe eine Lösung gefunden. Währenddessen mähen die Traumwandler unsere Männer nieder. Ich bete darum, daß die Türme vollendet werden können, sonst sind wir alle verloren. Heute habe ich mich von Freunden verabschiedet, die zu den Türmen aufgebrochen sind. Ich habe geweint, denn ich wußte, daß ich diese guten Männer nie wiedersehen werde. Wie viele werden in den Türmen für die Sache der Vernunft sterben? Aber ach, ich weiß, was es uns schlimmstenfalls kosten wird, wenn wir das Dritte Gesetz brechen.
Als Richard die Übersetzung gelesen hatte, drehte er sich fort, zum Fenster hin. Er war in diesen Türmen gewesen. Zauberer hatten ihre Lebenskraft dafür gegeben, die Banne der Türme zu entfachen, früher jedoch hatte er sie nie als wirkliche Menschen betrachtet. Es machte einen schaudern, wenn man las, welche Seelenqualen jener Mann erlitten hatte, dessen Gebeine Tausende von Jahren in besagtem Raum in der Burg gelegen hatten. Die Worte aus dem Tagebuch schienen seine Gebeine wieder zum Leben zu erwecken.
Richard dachte über das Dritte Gesetz nach und fragte sich, was es bedeutete. Damals, beim Ersten und Zweiten, hatten ihm erst Zedd und dann Nathan geholfen, hatten sie ihm erklärt und ihn soweit gebracht, bis er verstand, wie die Gesetze im wirklichen Leben funktionierten. Dieses Mal würde er alleine dahinterkommen müssen.
Er erinnerte sich daran, wie er unten auf den Straßen, die aus Aydindril hinausführten, mit einigen Menschen gesprochen hatte, die aus der Stadt flohen. Er hatte wissen wollen, warum sie die Stadt verließen, und verängstigte Menschen hatten ihm erzählt, was sie glaubten: daß er ein Ungeheuer war, welches sie zu seinem krankhaften Vergnügen hinmetzeln würde.
Auf sein Drängen erzählten sie Gerüchte, als seien es Tatsachen, die sie mit eigenen Augen gesehen hatten, Gerüchte, denen zufolge Lord Rahl Kinder in seinem Palast als Sklaven halte, zahllose junge Frauen zu sich ins Bett nehme, die nach diesem Erlebnis abgestumpft und nackt durch die Straßen wanderten. Sie behaupteten, junge Frauen zu kennen, die er geschwängert habe, und kannten sogar Leute, die die Fehlgeburten einiger dieser armen Opfer seiner Vergewaltigungen tatsächlich gesehen hatten. Angeblich seien es häßliche, mißgebildete Sonderlinge, die Brut seines gottlosen Samens. Sie spuckten ihn an für die Verbrechen, die er an hilflosen Menschen begangen hatte.
Er fragte sie, wie sie ihm gegenüber so offen sprechen konnten, wenn er ein solches Ungeheuer war. Sie sagten, unter freien Himmel würde er ihnen kein Leid tun. Sie hätten gehört, in der Öffentlichkeit heuchele er Mitgefühl, um die Menschen zu täuschen, daher wüßten sie, daß er ihnen vor all den Menschen nichts antun würde, außerdem hätten sie schon bald ihre Frauen dem Zugriff seiner gottlosen Krallen entzogen.
Je mehr Richard versuchte, diese erstaunlichen Vorstellungen auszuräumen, desto hartnäckiger hielten die Menschen daran fest. Sie sagten, sie hätten diese Dinge von zu vielen anderen Menschen gehört, als daß sie etwas anderes als die Wahrheit sein könnten. Es sei unmöglich, so viele Menschen zum Narren zu halten. Sie waren in ihrem Glauben und in ihrer Angst voller Leidenschaft und logischen Argumenten nicht zugänglich. Sie wollten schlicht in Ruhe gelassen werden und sich fluchtartig unter den Schutz begeben, den ihnen — Gerüchten zufolge — die Imperiale Ordnung angeboten hatte.
Ihre Leidenschaft würde sie erst recht in den Untergang treiben. Vielleicht, fragte er sich, war dies die Art, wie die Menschen durch den Bruch des Dritten Gesetzes zu Schaden kommen konnten. Er wußte nicht, ob das Beispiel treffend genug war. Es schien mit dem Ersten Gesetz verstrickt zu sein: Die Menschen glaubten etwas, entweder weil sie wollten, daß es wahr ist, oder weil sie fürchteten, es könnte wahr sein. Offenbar konnten mehrere Gesetze miteinander verknüpft und gemeinsam gebrochen werden, ohne daß man genau bestimmen konnte, wo das eine endete und das andere begann.
Und dann fiel Richard jener eine Tag zu Hause in Westland ein, als Mrs. Rencliff, die nicht schwimmen konnte, sich von den Männern losgerissen hatte, die versuchten, sie zurückzuhalten. Sie hatte sich geweigert, auf das Ruderboot zu warten, und war in einen durch die Flut angeschwollenen Fluß gesprungen, nachdem ihr Junge hineingefallen war. Ein paar Minuten später waren die Männer mit dem Ruderboot herbeigeeilt und hatten dem Jungen das Leben gerettet. Chad Rencliff wuchs ohne Mutter auf. Ihre Leiche wurde nie gefunden.
Richards Haut kribbelte, als wäre sie von Eis überzogen. Das Dritte Gesetz der Magie: Leidenschaft ist stärker als Vernunft.
Es war eine quälende lange Stunde, während der er in allen Einzelheiten auflistete, wie Leidenschaft, dort wo Vernunft geboten war, den Menschen Schaden zufügte. Er fragte sich, wie — schlimmer noch — Magie den Untergang in die Waagschale dieser Gleichung werfen konnte — was, wie er wußte, unweigerlich geschehen würde —, bis Ulic endlich mit dem General zurückkam.
General Reibisch schlug sich die Faust vors Herz, als er den Raum betrat. »Lord Rahl, Ulic sagte, Ihr hättet es eilig, mich zu sehen?«
Richard packte den bärtigen Mann an seiner Uniform. »Wie lange braucht Ihr, Eure Leute für eine Suche aufbruchbereit zu machen?«
»Es sind D’Haraner, Lord Rahl. D’Haranische Soldaten sind jederzeit aufbruchbereit.«
»Gut. Ihr kennt meine zukünftige Braut, Kahlan Amnell?«
General Reibisch nickte. »Ja, die Mutter Konfessor.«
Richard zuckte zusammen. »Richtig, die Mutter Konfessor. Sie ist auf dem Weg hierher, von Südwesten. Sie ist längst überfällig, und möglicherweise gibt es Schwierigkeiten. Sie war mit einem Bann belegt, der ihre Identität als Mutter Konfessor schützen sollte, damit ihre Feinde sie nicht verfolgen können. Irgendwie wurde der Bann aufgehoben. Möglicherweise bedeutet das Ärger. Ganz sicher wissen ihre Feinde jetzt von ihr.«
Der Mann kratzte sich den rostfarbenen Bart. Schließlich hob er den Kopf und sah ihn aus seinen grau-grünen Augen an. »Verstehe. Was soll ich für Euch tun?«
»Wir haben annähernd zweihunderttausend Mann in Aydindril, dazu weitere einhunderttausend überall verteilt in der näheren Umgebung der Stadt. Ich weiß nicht genau, wo sie sich befindet, außer, daß sie südwestlich von hier sein müßte und auf dem Weg hierher. Wir müssen sie beschützen.
Ich möchte, daß Ihr eine Truppe zusammenstellt — die Hälfte der Soldaten in der Stadt, mindestens einhunderttausend Mann — und auszieht, um sie zu suchen.«
Der General strich sich schwer seufzend über seine Narbe. »Das sind eine Menge Männer, Lord Rahl. Glaubt Ihr, daß wir so viele aus der Stadt abziehen müssen?«
Richard lief zwischen dem Schreibtisch und dem General auf und ab. »Ich weiß nicht genau, wo sie sich befindet. Nehmen wir zuwenig mit, könnten wir sie um fünfzig Meilen verfehlen und vorüberziehen, ohne jemals auf sie zu stoßen. Mit so vielen Männern können wir uns fächerförmig ausbreiten, ein großes Netz auswerfen, um sämtliche Straßen und Wege abzudecken, damit wir sie nicht verfehlen.«
»Dann werdet Ihr uns also begleiten?«
Richard hätte um sein Leben gern an der Suche nach Zedd und Kahlan teilgenommen. Er sah zu Berdine hinüber, die hinter dem Schreibtisch saß, und dachte an die warnenden Worte eines dreitausend Jahre alten Zauberers. Das Dritte Gesetz der Magie: Leidenschaft ist stärker als Vernunft.
Berdine war auf seine Hilfe beim Übersetzen des Tagebuches angewiesen. Bereits jetzt hatte er wichtige Dinge über den letzten Krieg erfahren, über die Türme und die Traumwandler. Und jetzt trieb sich wieder ein Traumwandler in der Welt herum.
Wenn er tatsächlich loszog und Kahlan ihn dort, wo er suchte, verpaßte, würde sich ihr Wiedersehen womöglich noch länger verzögern, als wenn er einfach in Aydindril wartete. Und dann war da auch noch die Burg. In der Burg war etwas geschehen, und es war seine Pflicht, die Magie dort zu bewachen.
Seine Leidenschaft drängte Richard zum Gehen — er wollte sich unbedingt auf die Suche nach Kahlan machen —, doch vor seinem inneren Auge sah er Mrs. Rencliff, die sich in die dunklen, rauschenden Fluten stürzte, weil sie sich geweigert hatte, auf das Boot zu warten. Diese Soldaten waren sein Boot.
Die Truppen konnten Kahlan finden und sie beschützen. Mehr Schutz konnte er ihr auch nicht bieten. Die Vernunft riet ihm, hier zu warten, wie sehr ihn das auch beunruhigte. Ob es ihm gefiel oder nicht, er war jetzt ein Führer. Ein Führer durfte nur aus Vernunft heraus handeln, sonst mußte jeder, der ihm folgte, den Preis für seine Leidenschaft bezahlen.
»Nein, General. Ich werde in Aydindril bleiben. Stellt die Truppen zusammen. Nehmt die besten Fährtensucher mit.« Er sah dem Mann in die Augen. »Ich weiß, ich brauche Euch nicht zu sagen, wie wichtig das für mich ist.«
»Nein, Lord Rahl«, meinte der General voller Mitgefühl. »Seid unbesorgt, wir werden sie finden. Ich werde die Männer begleiten und dafür Sorge tragen, daß alles mit der gleichen Sorgfalt erledigt wird, als wärt Ihr selbst dabei.« Er schlug sich mit der Faust aufs Herz. »Nur über unser aller Leichen wird Eurer Königin ein Haar gekrümmt.«
Richard legte dem Mann die Hand auf die Schulter. »Ich danke Euch, General Reibisch. Ich weiß, ich könnte es nicht besser machen als Ihr. Mögen die Gütigen Seelen mit Euch sein.«