53

»Es ist Lord Rahl!« Stimmen trugen den Ruf durch den wilden, ungeordneten Haufen d’Haranischer Truppen weiter nach hinten. »Sammelt euch! Es ist Lord Rahl!«

Ein Schlachtruf wurde laut in der Luft des späten Nachmittags. Tausende von Stimmen übertönten den Lärm der Schlacht. Waffen wurden unter donnerndem Gebrüll in die verqualmte Luft gereckt. »Lord Rahl! Lord Rahl! Lord Rahl!«

Mit verbitterter Miene marschierte Richard durch die Soldaten im Hintergrund der Schlacht. Verwundete, blutende Männer kamen taumelnd auf die Beine und schlossen sich der Menge an, die ihm folgte.

Durch den Dunst des beißenden Rauchs konnte Richard den Hang hinab durch die Straßen bis zum verzweifelten Kampf der Männer in der vordersten Reihe dunkel uniformierter D’Haraner blicken. Jenseits davon flutete ein Meer aus Rot in die Stadt hinein und verdrängte seine Männer. Der Lebensborn. Von rechts und links und allen Seiten kamen sie, unerbittlich, unaufhaltsam.

»Es müssen weit über einhunderttausend sein«, murmelte Kahlan, offenbar zu sich selbst.

Richard hatte eine Streitmacht von einhunderttausend Mann auf die Suche nach Kahlan geschickt. Sie waren Wochen von der Stadt entfernt. Er hatte die Streitmacht in Aydindril fast halbiert und die Hälfte fortgeschickt. Und jetzt kam der Lebensborn aus dem Schoß der Kirche, um seinen Fehler auszunutzen.

Trotzdem hätten genug D’Haraner hier sein müssen, um einer solchen Zahl standzuhalten. Irgend etwas war verkehrt. Vollkommen verkehrt.

Gefolgt von einer wachsenden Menge Verwundeter, die sich hinter ihm herschleppte, erreichte Richard das, wie es schien, größte Gefecht. Der Lebensborn drängte von allen Seiten in die Stadt vor. Über der Königsstraße züngelten Flammen in den Himmel. Mitten in der weiten Fläche dunkler Uniformen erhob sich die weiße Pracht des Palastes der Konfessoren.

Offiziere kamen herbeigelaufen, deren Freude, ihn zu sehen, vom Anblick dessen, was gleich hinter ihnen geschah, gedämpft wurde. Die Schreie vom Kampfplatz fraßen sich ihm brennend in die Nerven.

Zu Richards Überraschung war seine eigene Stimme ruhig wie der Tod selbst. »Was ist hier eigentlich los? Das sind d’Haranische Soldaten. Wieso werden sie zurückgetrieben? Sie sind nicht in Unterzahl. Wie konnte der Lebensborn aus dem Schoß der Kirche so weit in die Stadt vordringen?«

Der kampferprobte Kommandeur sagte nur ein einziges Wort. »Mriswiths.«

Richard ballte die Fäuste. Gegen Mriswiths hatten diese Männer keine Chance. Ein Mriswith konnte in wenigen Minuten Dutzende von Soldaten niedermachen. Richard hatte lange Schlangen von Mriswiths in die Sliph hineinsteigen sehen — Hunderte von ihnen.

Vielleicht waren die D’Haraner zu Beginn nicht in der Unterzahl gewesen, jetzt jedoch waren sie es.

Schon begannen die Stimmen der Seelen zu ihm zu sprechen und übertönten die Schreie der Todesqualen. Er blickte hinauf zur matten Scheibe der Sonne hinter dem Qualm. Noch zwei Stunden Tageslicht.

Richards Blick traf sich mit denen dreier seiner Leutnants. »Ihr, Ihr und Ihr. Sucht Euch einen Trupp von der erforderlichen Größe zusammen.« Ohne sich umzudrehen, deutete er mit dem Daumen nach hinten auf Kahlan. »Bringt die Mutter Konfessor, meine Königin, in den Palast und beschützt sie.«

Der Blick in Richards Augen machte jede Bemerkung über den Ernst des Auftrags vollkommen unnötig, jede Warnung vor den Folgen eines Versagens überflüssig.

Kahlan protestierte lauthals. Richard riß das Schwert aus der Scheide.

»Sofort.«

Die Männer sprangen auf und taten, wie ihnen befohlen, drängten Kahlan zurück, während sie ihn anschrie. Richard sah weder hin, noch hörte er auf ihre Worte.

Er hatte sich bereits seinem lebendigen Zorn hingegeben. Magie und Tod tanzten gefährlich in seinen Augen. Schweigende Männer wichen langsam in einem immer größer werdenden Kreis vor ihm zurück.

Richard zog die Klinge durch das Blut auf seinem Arm, um dem Schwert einen Vorgeschmack zu geben. Der Druck des Zorns erhöhte sich.

Er drehte den Kopf, die Augen des Todes suchten die wandelnden Toten. Im doppelten Aufbrausen des Zorns des Schwerts und seines ganz persönlichen nahm er nichts mehr wahr als die kochende Wut in seinem Innern, und doch wußte er, das genügte noch nicht. In rascher Folge riß er sämtliche Schranken nieder und entfesselte alle Magie, hielt nichts zurück. Er war eins mit den Seelen in seinem Innern, mit der Magie, mit dem Verlangen. Er war der wahre Sucher, und mehr als das.

Er war der zum Leben erwachte Bringer des Todes.

Und dann setzte er sich in Bewegung, schob sich durch die Männer hindurch, die versuchten, zur Front zu gelangen, durch die in dunkles Leder gehüllten Soldaten, die sich, ächzend vor Entschlossenheit, mit den eingebrochenen Soldaten in karminroten Capes und blitzenden Rüstungen Handgemenge lieferten, durch Ladenbesitzer, die zum Schwert gegriffen hatten, durch junge Burschen aus der Stadt mit Lanzen und Kinder mit Knüppeln.

Stolzen Schritts ging er vorwärts, streckte die Männer des Lebensborns nur nieder, wenn sie versuchten, ihm den Weg zu versperren. Er hatte es auf eine tödlichere Gefahr abgesehen als sie.

Richard sprang mitten im Gewühl auf einen umgestürzten Karren. Männer drängten sich um ihn, um Schaden von ihm fernzuhalten. Sein Raubvogelblick wanderte über die Szene. Schaden anzurichten, das war seine Absicht.

Vor ihm überflutete ein Meer aus roten Capes das dunkle Gestade aus toten D’Haranern. Die Zahl der d’Haranischen Toten war erschreckend, doch er hatte sich in der Magie verloren, und der Gedanke an etwas anderem als den Feind war kaum mehr als Bodensatz im Hexenkessel seines Zorns.

Irgendwo im hintersten Winkel seines Verstandes schrie eine Stimme in Richard beim Anblick von soviel Tod auf, der Schrei verlor sich jedoch im Getöse seines Zorns.

Richard spürte ihre Gegenwart, bevor er sie sah. Eine fließende Bewegung, die wie mit Sicheln in lebendiges Fleisch schnitt und eine Ernte aus Tod einfuhr. Der Lebensborn aus dem Schoß der Kirche drängte hinter ihnen nach und überrannte die dezimierten D’Haraner.

Richard hob das Schwert der Wahrheit und legte sich die karminrote Klinge an die Stirn. Er gab sich mit seinem ganzen Selbst hin.

»Klinge«, flehte er eindringlich, »sei mir heute treu.«

Bringer des Todes.

»Tanze mit mir, Tod«, raunte er. »Ich bin bereit.«

Mit dumpfem Schlag landeten die Stiefel des Suchers auf der Straße. Seine Instinkte verschmolzen mit denen all derer, die die Klinge zuvor geführt hatten. Er trug ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihr Können wie eine zweite Haut.

Er ließ sich von der Magie leiten, die wiederum wurde getrieben vom Sturm seines Zorns und seines Willens. Er ließ der Gier zu töten freien Lauf und schlüpfte durch die Reihen der Männer.

Flink wie der Tod fand seine Klinge ihr erstes Ziel, und ein Mriswith ging zu Boden.

Vergeude deine Kraft nicht, indem du Menschen tötest, die die andern töten können, flüsterten ihm die Stimmen der Seelen zu. Töte nur die, die sie nicht töten können.

Richard folgte dem Rat der Stimmen und erspürte die Mriswiths ringsum, manche von ihnen in ihren Capes verborgen. Er tanzte mit dem Tod, und gelegentlich ereilte sie das Ende, bevor sie ihn kommen sahen. Er tötete, ohne Kraft zu vergeuden, ohne je ein zweites Mal zuzuschlagen. Jeder Hieb seiner Klinge traf auf Fleisch.

Richard schritt durch die Reihen, auf der Suche nach den schuppigen Kreaturen, die den Lebensborn anführten. Er spürte die Hitze der Feuer, als er auf der Jagd nach ihnen durch die Straßen streifte. Er vernahm das überraschte Zischen, wenn er wie ein Wirbelwind zwischen sie fuhr. Seine Nüstern füllten sich mit dem Gestank ihres Blutes. Der Kampf wurde zu einer einzigen, verschwommenen Bewegung.

Trotz allem, er wußte, es würde nicht reichen. Mit einem Gefühl, als würde er in Angst ertrinken, wurde ihm bewußt, daß es nicht reichen würde. Es gab nur einen, der so war wie er, und wenn ihm nur der geringste Fehler unterlief, gab es nicht einmal mehr ihn. Es war, als wollte man ein Volk von Ameisen vernichten, indem man eine nach der anderen zertrat.

Schon kamen die Yabree näher, als er hätte zulassen sollen. Zweimal streifte ihr Gesang seine Haut und hinterließ rote Striemen. Schlimmer noch, überall ringsum starben die Männer zu Hunderten, während der Lebensborn von hinten nachdrängte, um die Verwundeten abzuschlachten. Der Kampf zog sich endlos hin.

Richard blickte in die Sonne und sah, daß der Horizont sie bereits teilte. Nacht senkte sich wie ein Leichentuch über die letzten Züge der Sterbenden. Er wußte, auch für ihn würde es kein Morgen geben.

Richard spürte einen brennenden Schnitt in seiner Seite und wirbelte herum. Ein Mriswithkopf zerplatzte in einer Gischt aus Rot, als er ihn mit seinem Schwert erwischte. Er wurde müde, und sie kamen ihm zu nah. Er riß die Klinge hoch, schlitzte einem weiteren den Bauch auf. Er war taub für ihr Totengeheul.

Er mußte an Kahlan denken. Es würde kein Morgen geben. Für ihn nicht. Für sie nicht. Der Tod senkte sich über sie wie die Dunkelheit.

Nur mit Mühe verbannte er Kahlan aus seinen Gedanken. Die Ablenkung konnte er sich nicht erlauben. Drehen. Klinge hoch. Zustoßen. Ducken. Schnitt. Die Stimmen sprachen zu ihm, und er reagierte ohne Zögern oder Frage.

Mit atemberaubender Bestürzung wurde ihm bewußt, daß sie ins Zentrum von Aydindril abgedrängt wurden. Er drehte sich um und blickte über den mit Getümmel, Chaos und der wirren Raserei des Gemetzels überschwemmten Platz hinaus und entdeckte den Palast der Konfessoren, kaum eine halbe Meile entfernt. Bald würden die Mriswiths die Reihen durchbrechen und auf den Platz strömen.

Er hörte lautes Gebrüll und sah, wie ein Trupp d’Haranischer Soldaten hinter den feindlichen Linien aus einer Seitenstraße in den Lebensborn vorstieß und dessen Aufmerksamkeit vom Gemetzel an der Front ablenkte. Von der anderen Seite strömte eine ähnlich große Zahl herbei und trennte eine große Anzahl Männer in karminroten Capes auf einer breiten Durchgangsstraße ab. Die D’Haraner hackten sich in den Kessel aus Soldaten des Lebensborns und schlugen sie in Stücke.

Richard erstarrte zur Statue, als er sah, daß Kahlan an der Spitze des Ausfalls stand. Sie führte nicht nur d’Haranische Truppen an, sondern auch Männer und Frauen aus dem Palastpersonal. Das Blut gefror ihm, als er daran dachte, mit welcher Verzweiflung sich die Menschen aus Ebinissia zum Schluß an der Verteidigung ihrer Stadt beteiligt haben mußten.

Was tat sie nur? Sie sollte im Palast sein, wo es sicher war. Er erkannte zwar, daß dies ein tapferer Schachzug war, aber enden würde er fatal. Der Lebensborn war zu zahlreich, und sie würden mitten zwischen ihnen eingekeilt werden.

Bevor es dazu kam, zog sie die Männer zurück. Richard schlug einem Mriswith den Kopf herunter. Er glaubte schon, sie habe sich wieder in Sicherheit gebracht, als sie einen weiteren Stoßangriff aus einer anderen Straße anführte, an einer anderen Stelle der Front.

Die Männer in den karminroten Capes wandten sich der neuen Bedrohung zu, nur um von hinten bedrängt zu werden. Die Mriswiths nahmen der Wirkung der Taktik die Schärfe und fraßen sich bald mit derselben Wirksamkeit in die neue Front, mit der sie schon den ganzen Nachmittag vorgegangen waren.

Richard schnitt eine gerade Linie durch die Masse karminroter Capes zu Kahlan. Nach dem Kampf gegen Mriswiths wirkten Menschen im Vergleich träge und schwerfällig. Nur die Entfernung machte die Sache anstrengend. Seine Arme wurden schwer, und seine Kraft ließ nach.

»Kahlan! Was tust du!« Der Zorn der Magie kräftigte seine Stimme, als er sie an einem Arm zu fassen bekam. »Ich habe dich in den Palast geschickt, wo du in Sicherheit bist.«

Sie riß ihren Arm los. In der anderen Hand hielt sie ein blutverschmiertes Schwert. »Ich werde nicht in einer Ecke meines Zuhauses kauernd sterben, Richard. Ich werde um mein Leben kämpfen. Und wage es nicht wieder, mich anzuschreien!«

Richard wirbelte herum, als er die Gegenwart eines anderen Wesens spürte. Kahlan duckte sich, als die Luft auf einmal voller Blut und Knochen war.

Sie drehte sich um und brüllte Befehle. Soldaten schwenkten herum, um auf ihr Kommando anzugreifen.

»Dann sterben wir zusammen, meine Königin«, sagte Richard leise, denn sie sollte nicht hören, wie er sich verloren gab.

Richard spürte die Zusammenballung der Mriswiths, als sich die Frontlinien auf den Platz zubewegten. Das Gefühl ihrer Gegenwart war zu übermächtig, um einzelne zu erkennen. Über den Köpfen des Meeres aus roten Capes und blitzenden Rüstungen erkannte er in der Ferne etwas Grünes, das auf die Stadt vorrückte. Er konnte sich keinen Reim darauf machen.

Richard stieß Kahlan zurück. Ihr Protest war im Nu beendet, als er sich wirbelnd in die Reihen schuppiger Wesen warf, sobald sie vor ihm sichtbar wurden. Er tanzte durch ihren Angriff hindurch und streckte sie so schnell nieder, wie er vorankam.

Inmitten seines wüsten Ansturms entdeckte er noch etwas, auf das er sich keinen Reim machen konnte: Punkte. Er dachte, er müsse müde sein, daß er begann, einen Himmel voller Punkte zu sehen.

Vor Wut brüllend schrie er einen Yabree an, der ihm zu nahe kam. Er hackte den Arm, dann den Kopf in schneller Folge ab. Die nächste Klinge folgte. Er duckte sich darunter weg und kam, das Schwert voran, wieder hoch. Ein Stoß mit seinem Messer erledigte den nächsten. Dem Mriswith hinter ihm mußte er einen Tritt verpassen, bevor er sein Schwert rauszerren konnte.

Mit kalter Wut wurde ihm bewußt, daß die Mriswiths begriffen hatten, daß er allein ihnen gefährlich werden konnte, und daß sie ihn umzingelten. Er hörte Kahlan seinen Namen schreien. Selbst wenn er gewollt hätte, er konnte nichts tun, nirgendwohin fliehen. Er fühlte das Brennen der Klingen, die ihm zu nahe kamen, bevor er sie stoppen konnte.

Es waren zu viele. Gütige Seelen, es waren einfach zu viele.

Er sah nicht mal mehr Soldaten in der Nähe. Er war umzingelt von einer Wand aus Schuppen und dreiklingigen Messern. Nur die Raserei seiner Magie hielt sie noch zurück. Er wünschte, er hätte Kahlan gesagt, daß er sie liebe, anstatt sie anzuschreien.

Am Rand seines Gesichtsfeldes blitzte etwas Braunes auf. Er hörte das Heulen eines Mriswiths, aber das war nicht der, den er getötet hatte. Er fragte sich, ob man beim Sterben vielleicht eine Art Verwirrung spürte. Das Herumwirbeln, das Schwingen seines Schwertes, die markerschütternden Zusammenstöße hatten ihn schwindelig gemacht.

Ein riesengroßes Etwas stürzte aus dem Himmel herab. Dann noch eins. Bemüht zu erkennen, was geschah, versuchte Richard, sich das Mriswithblut aus den Augen zu wischen. Überall ringsum heulten die Mriswiths auf.

Richard konnte Flügel erkennen. Braune Flügel. In seinem Blickfeld schienen pelzige Arme, die Köpfe abdrehten. Krallen rissen Schuppenhäute auseinander. Reißzähne vergruben sich in Hälse.

Richard taumelte zurück, als der gewaltige Gar mit dumpfem Schlag direkt vor ihm landete und die Mriswiths torkelnd zurückschreckte.

Es war Gratch.

Richard sah sich fassungslos um. Überall waren Gars. Hoch droben in der Luft folgten immer mehr nach — das waren die Punkte, die er gesehen hatte.

Gratch wuchtete einen aufgeschlitzten Mriswith in die Männer des Lebensborns und stürzte sich auf den nächsten. Überall fielen die Gars über sie her. Immer mehr von ihnen ließen sich aus dem dunkler werdenden Himmel überall längs der Kampflinien auf die Mriswiths fallen. Überall sah man leuchtend grüne Augen. Die Mriswiths hüllten sich in ihre Capes, wurden unsichtbar, doch es nützte ihnen nichts. Die Gars fanden sie trotzdem. Es gab kein Entrinnen.

Richard hielt das Schwert mit beiden Händen fest und glotzte nur. Gars brüllten. Mriswiths heulten. Richard mußte lachen.

Kahlans Arme schlangen sich von hinten um ihn. »Ich liebe dich«, schrie sie ihm ins Ohr. »Ich dachte, ich würde sterben, ohne es dir gesagt zu haben.«

Richard hörte Rufe über dem Geschrei der Schlacht. Das Grüne, das er gesehen hatte, waren Soldaten. Zu Zehntausenden stießen sie in den Rücken des Lebensborns, strömten um Gebäude herum und schlugen die Männer in den karminroten Capes vernichtend zurück. Die D’Haraner auf Richards Seite, befreit von den Mriswiths, sammelten sich und stürzten sich mit der todbringenden Tüchtigkeit, für die sie bekannt waren, auf den Feind.

Ein riesiger Keil aus Soldaten in Grün wurde in den Lebensborn hineingetrieben und arbeitete sich zu Kahlan und Richard vor. Zu allen Seiten warfen sich Dutzende von Gars auf die Mriswiths. Gratch stürzte sich wild um sich schlagend unter sie und drängte die Angreifer zurück. Richard kletterte auf einen Brunnenrand, um das Geschehen besser verfolgen zu können. Er ergriff Kahlans Hand und half ihr zu sich hinauf. Männer liefen herbei, um sie zu schützen, trieben den Lebensborn zurück.

»Das sind Keltonier«, erklärte Kahlan. »Die Männer in den grünen Uniformen sind Keltonier.«

In der vordersten Reihe des keltonischen Angriffs stand ein Mann, den Richard kannte: General Baldwin. Als der General sie oben auf dem Brunnen erblickte, löste er sich, während er noch Befehle brüllte, mit einer kleineren Gruppe von seiner Hauptstreitmacht und bahnte sich einen geraden Weg durch die Männer in den karminroten Capes, wobei ihre Pferde die Soldaten unter ihren Hufen wie Herbstlaub zertraten. Der General hackte auf ein paar mit seinem Schwert ein, um ihnen den Rest zu geben. Er durchbrach die Kampflinien und erreichte Richard und Kahlan, die auf dem Brunnen standen.

General Baldwin schob das Schwert in die Scheide und verbeugte sich im Sattel. Das schwere Sergecape, auf einer Schulter von zwei Knöpfen gehalten, war über eine Seite drapiert, so daß man das grüne Innenfutter sah. Er stieg ab und schlug eine Faust auf seinen dunkelbraunen Wappenrock.

»Lord Rahl«, meinte er voller Ergebenheit.

Er verneigte sich abermals. »Meine Königin«, wiederholte er mit noch größerer Ergebenheit.

Kahlan beugte sich zu ihm, als er sich wieder aufrichtete. Ihr Tonfall ließ nichts Gutes ahnen. »Eure was?«

Sogar die glänzende Schädeldecke des Mannes wurde rot. Er verneigte sich erneut. »Meine höchst … ruhmreiche und … hochverehrte Königin und Mutter Konfessor?«

Richard zupfte sie hinten am Hemd, bevor sie etwas erwidern konnte. »Ich habe dem General hier erklärt, daß ich beschlossen habe, dich zur Königin von Kelton zu ernennen.«

Sie riß die Augen auf. »Königin von…«

»Ganz recht«, sagte General Baldwin, während er den Blick über das Kampfgeschehen schweifen ließ. »Dadurch wurde Kelton zusammengehalten, und unsere Kapitulation blieb unwidersprochen. Gleich nachdem ich durch Lord Rahl von dieser großen Ehre erfahren hatte, daß wir, wie zuvor Galea, die Mutter Konfessor zur Königin bekommen sollten, und er mir dadurch bewies, wie sehr er uns als Nachbarn schätzt, führte ich eine Streitmacht nach Aydindril, um zum Schutz von Lord Rahl und unserer Königin beizutragen und mich dem Kampf gegen die Imperiale Ordnung anzuschließen. Ich wollte nicht, daß Ihr glaubt, wir wären nicht bereit, unser Teil beizutragen.«

Schließlich richtete sich Kahlan maßlos verwundert auf. »Vielen Dank, General. Eure Hilfe kam genau zur rechten Zeit. Euch gebührt höchste Anerkennung.«

Der General zog seine dicken, schwarzen Handschuhe aus und steckte sie in den breiten Gürtel. Er küßte Kahlan die Hand. »Wenn meine neue Königin mich entschuldigen würde, ich muß zurück zu meinen Männern. Die Hälfte unserer Streitmacht hält sich hinter den Linien bereit, für den Fall, daß die verräterischen Bastarde zu fliehen versuchen.« Er errötete erneut. »Verzeiht die Sprache eines Soldaten, meine Königin.«

Als der General zu seine Leuten zurückkehrte, widmete sich Richard wieder dem Kampf geschehen. Die Gars suchten nach weiteren Mriswiths, fanden aber nur noch wenige. Und diese hielten nicht lange durch.

Gratch schien einen weiteren Fuß gewachsen zu sein, seit Richard ihn das letzte Mal gesehen hatte, und war jetzt so groß wie die anderen Männchen. Er schien die Suche zu dirigieren. Richard war sprachlos, doch das Ausmaß des Blutbads vor seinen Augen dämpfte seine Freude.

»Königin?« fragte Kahlan. »Du hast mich zur Königin von Kelton ernannt? Die Mutter Konfessor?«

»Zum damaligen Zeitpunkt schien es eine gute Idee zu sein«, erklärte er. »Nur so konnte ich verhindern, daß Kelton sich gegen uns stellt.«

Sie sah ihn zaghaft lächelnd an. »Sehr wohl, Lord Rahl.«

Als Richard endlich sein Schwert in die Scheide steckte, sah er, wie sich drei rote Punkte durch das dunkle Leder der d’Haranischen Uniformen einen Weg bahnten. Die drei Mord-Siths, Strafer in den Händen, kamen quer über den Platz gelaufen. Jede von ihnen trug ihren roten Lederanzug, auch wenn der an diesem Tag nur unzureichend all das Blut auf ihren Körpern verbergen konnte.

»Lord Rahl! Lord Rahl!«

Berdine flog auf ihn zu wie ein Eichhörnchen, das sich von Ast zu Ast schwingt. Sie landete auf ihm, hüllte ihn in ein Gewirr aus Armen und Beinen und stieß ihn von der Mauer herunter in den Brunnen voll geschmolzenen Schnees.

Sie hockte auf seinem Bauch. »Lord Rahl! Ihr habt es geschafft! Ihr habt das Cape abgelegt, wie ich es Euch geraten habe! Dann habt Ihr meine Warnung also doch gehört?«

Sie warf sich wieder auf ihn, packte ihn mit ihren roten Armen. Richard hielt den Atem an, als er untertauchte. Er hätte sich zwar nicht das eisige Wasser ausgesucht, trotzdem war er froh darüber, sich das stinkende Mriswithblut herunterwaschen zu können. Er schnappte nach Luft, als sie sein Hemd mit der Hand packte und ihn hochhievte. Sie saß auf seinem Schoß, die Beine um seinen Leib geschlungen, und drückte ihn erneut.

»Berdine«, sagte er leise, »ich habe mich an der Schulter verletzt. Bitte drückt nicht zu fest zu.«

»Das ist nichts«, verkündete sie mit der aufrichtigen Verachtung einer Mord-Sith für Schmerzen. »Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Als der Angriff erfolgte, dachten wir, wir würden Euch nie wiedersehen. Wir glaubten, wir hätten versagt.«

Kahlan räusperte sich. Richard stellte sie mit einer Handbewegung einander vor. »Kahlan, dies sind meine persönlichen Leibwachen, Cara, Raina, und dies ist Berdine. Meine Damen, das ist Kahlan, meine Königin.«

Berdine, die keinerlei Anstalten machte, von seinem Schoß zu steigen, sah grinsend hoch zu Kahlan. »Ich bin Lord Rahls Liebling.«

Kahlan verschränkte die Arme. In ihren grünen Augen funkelte finstere Wut.

»Berdine, laßt mich raus.«

»Ihr stinkt noch immer wie ein Mriswith.« Sie stieß ihn zurück ins Wasser und zerrte ihn erneut an seinem Hemd hoch. »Das ist schon besser.« Sie zog ihn näher an sich heran. »Wenn Ihr noch einmal so davonrennt, ohne auf mich zu hören, werde ich noch ganz etwas anderes machen, als Euch zu baden.«

»Wie kommt es nur, daß Frauen dich ständig baden wollen?« fragte Kahlan ruhig.

»Ich weiß es nicht.« Er blickte hinaus auf die noch immer tobende Schlacht, dann sah er wieder in Berdines blaue Augen. Er drückte sie mit einem gesunden Arm an sich. »Tut mir leid. Ich hätte auf Euch hören sollen. Für meine Torheit mußten wir einen zu hohen Preis zahlen.«

»Geht es Euch gut?« hauchte sie in sein Ohr.

»Berdine, geht runter von mir. Laßt mich hoch.«

Sie ließ sich von seinem Schoß zur Seite fallen. »Kolo meinte, die Mriswiths seien feindliche Zauberer, die ihre Kraft gegen die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, eingetauscht hätten.«

Richard reichte ihr die Hand und half ihr auf. »Dasselbe hätte ich fast auch getan.«

Sie stand auf Zehenspitzen im Wasser, riß seinen Hemdkragen zur Seite und untersuchte seinen Hals. Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Es ist weg. Ihr seid in Sicherheit. Kolo beschrieb, wie es zu der Verwandlung gekommen sei, wie ihre Haut begann, schuppig zu werden. Er erklärte auch, dieser Vorfahr von Euch, Alric, habe eine Macht geschaffen, um die Mriswiths zu bekämpfen.« Sie zeigte auf die geflügelten Wesen. »Die Gars.«

»Die Gars …?«

Berdine nickte. »Er gab ihnen die Fähigkeit, Mriswiths zu erspüren, selbst wenn sie unsichtbar sind. Daher stammt der grüne Glanz in den Augen der Gars. Wegen dieser Wechselbeziehung der Magie, die alle Gars teilen, erlangten die, die unmittelbar mit den Zauberern zu tun hatten, eine gewisse Vorherrschaft über die anderen und wurden im Volk der Gars zu einer Art Generäle der Zauberer. Diese Mittler unter den Gars standen bei den anderen Gars in sehr hohem Ansehen, weshalb sie zusammen mit den Völkern der Neuen Welt gegen die feindlichen Mriswiths kämpften und sie in die Alte Welt zurücktrieben.«

Richard machte ein erstauntes Gesicht. »Was hat er sonst noch gesagt?«

»Ich hatte noch keine Zeit weiterzulesen. Wir hatten seit Eurem Aufbruch alle Hände voll zu tun.«

»Wie lange?« Er kletterte aus dem Brunnen und wandte sich an Cara. »Wie lange war ich fort?«

Sie sah zur Burg hinüber. »Beinahe zwei Tage. Seit vorgestern abend. Heute bei Tagesanbruch kamen die Späher, völlig außer sich, und meldeten, der Lebensborn sei ihnen ganz dicht auf den Fersen. Kurz darauf griffen sie an. Die Kämpfe dauern seit heute morgen an. Zuerst lief alles gut, aber als dann die Mriswiths…« Ihre Stimme verebbte.

Kahlan legte ihm einen Arm um die Hüfte, um ihn zu stützen, während er sprach. »Tut mir leid, Cara. Ich hätte hier sein sollen.« Benommen starrte er auf das Meer der Toten. »Das ist meine Schuld.«

»Ich habe zwei getötet«, verkündete Raina, ohne irgendeinen Versuch zu unternehmen, ihren Stolz zu verhehlen.

Ulic und Egan kamen angerannt, wirbelten herum und blieben in Verteidigungsstellung stehen. »Lord Rahl«, sagte Ulic über seine Schulter, »wir sind froh, Euch zu sehen. Wir haben den Jubel gehört, aber jedesmal, wenn wir in Eure Nähe kamen, wart Ihr woanders.«

»Ach, ja?« meinte Cara und zog eine Braue hoch. »Wir haben es geschafft.«

Ulic verdrehte die Augen und wandte seine Aufmerksamkeit der Schlacht zu.

»Sind sie immer so?« flüsterte Kahlan ihm ins Ohr.

»Nein«, flüsterte er zurück. »Dir zu Ehren legen sie gerade ihr bestes Benehmen an den Tag.«

Richard sah weiße Fahnen zwischen den Männern des Lebensborns flattern. Niemand beachtete sie.

»D’Haraner geben kein Pardon«, erläuterte Cara, als sie sah, wohin er blickte. »Es geht bis zum bitteren Ende.«

Richard sprang vom Brunnen herunter. Als er sich mit großen Schritten entfernte, folgten ihm seine Leibwächter auf dem Fuß.

Kahlan hatte ihn eingeholt, bevor er drei Schritte weit gekommen war. »Was tust du, Richard?«

»Ich werde dem Gemetzel ein Ende machen.«

»Das kannst du nicht tun. Wir haben geschworen, den Lebensborn bis zum letzten Mann auszumerzen. Du mußt es zulassen. Dasselbe hätten sie mit uns gemacht.«

»Das kann ich nicht, Kahlan. Ich kann es nicht. Wenn wir sie alle töten, werden sich andere aus der Imperialen Ordnung niemals ergeben, weil sie wissen, daß dies den Tod bedeutet. Wenn ich ihnen zeige, daß wir sie gefangennehmen, statt sie umzubringen, werden sie eher bereit sein aufzugeben. Wenn sie aber eher bereit sind aufzugeben, siegen wir, ohne daß so viele unserer Männer ihr Leben verlieren, und das wiederum macht uns stärker. Dann werden wir gewinnen.«

Richard begann, Befehle zu brüllen. Sie wurden durch die Reihen seiner Männer weitergegeben, und langsam legte sich der Lärm der Schlacht. Die Augen Tausender von Menschen richteten sich auf ihn.

»Laßt sie hindurch«, befahl er einem Kommandeur.

Richard ging zum Brunnen zurück, stellte sich auf die Mauer und verfolgte, wie die Befehlshaber des Lebensborns ihre Leute zu ihm führten. Überall standen waffenstrotzende D’Haraner Wache. Ein Korridor öffnete sich, und die Männer in den karminroten Capes traten, von einer Seite zur anderen blickend, vor.

Ein Offizier an ihrer Spitze blieb vor Richard stehen. Seine Stimme klang heiser und gedämpft. »Nehmt Ihr unsere Kapitulation an?«

Richard verschränkte die Arme. »Kommt darauf an. Seid Ihr bereit, mir die Wahrheit zu sagen?«

Der Mann drehte sich zu seinen schweigenden, blutverschmierten Männern um. »Ja, Lord Rahl.«

»Wer gab Euch den Auftrag, die Stadt anzugreifen?«

»Die Mriswiths gaben uns Anweisungen, und viele von uns bekamen ihre Anweisungen im Traum, durch den Traumwandler.«

»Wollt Ihr von ihm befreit werden?«

Alle nickten oder bejahten dies mit leiser Stimme. Sie stimmten auch bereitwillig zu, alles zu verraten, was sie über Pläne des Traumwandlers und der Imperialen Ordnung wußten.

Richard war erschöpft und konnte vor Schmerzen kaum noch stehen. Er sog Zorn aus dem Schwert, um sich zu stärken.

»Wenn Ihr Euch ergeben und Euch der d’Haranischen Herrschaft unterwerfen wollt, dann geht auf die Knie und schwört Ergebenheit.«

Im verblassenden Licht, untermalt vom Gestöhne der Verwundeten, gingen die übriggebliebenen Männer des Lebensborns auf die Knie und sprachen die Andacht wie von den D’Haranern, die sich ihnen anschlossen, angewiesen.

Die riesige Menschenmenge sprach mit einer einzigen Stimme, die durch die gesamte Stadt trug. Sie alle verneigten ihre Häupter bis zum Boden und leisteten den Eid.

»Herrscher Rahl, führe uns. Herrscher Rahl, lehre uns. Herrscher Rahl, beschütze uns. In deinem Licht gedeihen wir. In deiner Gnade finden wir Schutz. Deine Weisheit erfüllt uns mit Demut. Wir leben nur, um zu dienen. Unser Leben gehört dir.«

Während die Männer allesamt ihre karminroten Capes herunterrissen und sie, als sie abgeführt und erst einmal unter Bewachung gestellt wurden, ins Feuer warfen, drehte sich Kahlan zu ihm um.

»Du hast gerade die Spielregeln des Krieges verändert, Richard.« Sie ließ den Blick über das Blutbad hinwegschweifen. »Es sind schon so viele gestorben.«

»Zu viele«, sagte er leise, während er beobachtete, wie die Männer des Lebensborns unverrichteterdinge in die Nacht davonmarschierten, umringt von den Männern, die sie hatten töten wollen. Er fragte sich, ob er den Verstand verloren hatte.

»›In deiner Gnade finden wir Schutz‹«, zitierte Kahlen aus der Andacht. »Vielleicht ist es so gemeint.« Sie legte ihm tröstend eine Hand auf den Rücken. »Ich weiß, irgendwie fühlt es sich richtig an.«

Nicht weit entfernt lächelte Fräulein Sanderholt zustimmend, ein blutiges Metzgermesser in der Hand.

Leuchtend grüne Augen sammelten sich auf dem Platz. Richards finstere Stimmung hellte auf, als er Gratchs schauerliches Grinsen erblickte. Er und Kahlan sprangen hinunter und liefen auf den Gar zu.

Nie war es so ein schönes Gefühl gewesen, von diesen pelzigen Armen umschlungen zu werden. Richard lachte mit Tränen in den Augen, als er vom Boden gehoben wurde.

»Ich liebe dich, Gratch. Ich liebe dich so.«

»Grrrratch haaag Raaaaach aaaach lieeeg.«

Kahlan schloß sich der Umarmung an. »Ich habe dich auch lieb, Gratch. Du hast Richard das Leben gerettet. Dir verdanke ich alles.«

Gratch gurgelte zufrieden und strich ihr mit einer Kralle übers Haar.

Richard schlug nach einer Fliege. »Gratch. Du hast Blutmücken!«

Gratchs selbstzufriedenes Grinsen wurde noch breiter. Gars benutzten die Mücken, um ihre Opfer aufzuscheuchen, doch bislang hatte Gratch keine gehabt. Richard wollte Gratchs Blutmücken nicht totschlagen, sie wurden jedoch mehr als lästig. Sie stachen ihm in den Hals.

Gratch bückte sich, tauchte eine Kralle in das Blut eines toten Mriswiths und schmierte es sich auf die feste, rosige Haut seines Bauches. Die Mücken kehrten folgsam zurück und labten sich daran. Richard war überrascht.

Er ließ den Blick über all die leuchtenden grünen Augen wandern, die ihn beobachteten. »Gratch, es sieht aus, als hättest du ein ziemliches Abenteuer hinter dir. Hast du all diese Gars um dich geschart?« Gratch nickte. Der Stolz stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Und sie haben getan, was du von ihnen verlangt hast?«

Gratch schlug sich voller Autorität an die Brust. Er drehte sich um und grunzte. Die übrigen Gars erwiderten das Grunzen. Gratch lächelte, daß man seine Reißzähne sah.

»Wo ist Zedd, Gratch?«

Das ledrige Lächeln erlosch. Der mächtige Gar sackte ein Stück in sich zusammen, als er über die Schulter hinauf zur Burg blickte. Er drehte sich wieder um. Das Leuchten in seinen grünen Augen wurde ein wenig matter, als er traurig den Kopf schüttelte.

Richard schluckte seinen Schmerz hinunter. »Verstehe«, sagte er leise. »Hast du gesehen, wie sie getötet wurden?«

Gratch schlug sich vor die Brust, raufte sich das Fell auf seinem Kopf, offenbar ein Zeichen für Zedd, und legte die Krallen über die Augen — Gratchs Zeichen für Mriswiths. Anhand dieser Zeichen und seiner Fragen konnte Richard ermitteln, daß Gratch Zedd in die Burg gebracht hatte, es dort zu einem Kampf mit vielen Mriswiths gekommen war, Gratch Zedd mit blutendem Kopf reglos hatte am Boden liegen sehen und den alten Zauberer danach nicht mehr gefunden hatte. Daraufhin war der Gar losgezogen, um Hilfe zu holen, damit sie gegen die Mriswiths kämpfen und Richard beschützen konnten. Es war eine Menge Arbeit gewesen, die anderen Gars aufzutreiben und sie zu diesem Zweck um sich zu scharen.

Richard umarmte seinen Freund noch einmal. Gratch drückte ihn lange an sich, dann trat er zurück und hielt nach den anderen Gars Ausschau.

Richard spürte, wie sich in seinem Hals ein Kloß bildete. »Kannst du nicht hierbleiben, Gratch?«

Gratch deutete mit einer Kralle auf Richard, mit einer anderen auf Kahlan, dann legte er die beiden aufeinander. Er schlug sich vor die Brust, dann zeigte er nach hinten auf einen der Gars. Als das Tier nach vorne kam und sich neben ihn stellte, erkannte Richard, daß es ein Weibchen war.

»Du hast eine Geliebte, Gratch? So wie ich Kahlan habe?«

Grinsend schlug Gratch sich mit beiden Klauen vor die Brust.

»Und ihr möchtet mit den anderen Gars Zusammensein«, stellte Richard fest.

Gratch nickte zögernd, sein Grinsen geriet ins Wanken.

Richard setzte sein bestes Lächeln auf. »Ich finde das wundervoll, mein Freund. Du hast es verdient, bei deiner Geliebten zu sein, und bei deinen neuen Freunden. Aber du kannst uns trotzdem immer besuchen. Wir würden uns jederzeit über dich und deine neue Freundin freuen. Über euch alle, um die Wahrheit zu sagen. Ihr alle hier seid willkommen.«

Gratchs Lächeln kehrte zurück.

»Aber kannst du mir einen Gefallen tun, Gratch? Bitte? Es ist wichtig. Kannst du sie bitten, keine Menschen mehr zu fressen? In Ordnung?«

Gratch drehte sich zu den anderen um und grunzte etwas in der seltsam kehligen Sprache, die die anderen verstanden. Sie äußerten sich ihrerseits ebenfalls mit einem murmelnden Gegrunze, woraufhin eine Art Gespräch zu folgen schien. Gratchs grunzende Worte wurden schriller, dann schlug er sich auf seine mächtige Brust — er war mindestens so groß wie alle anderen auch. Schließlich brachen sie in johlende Zustimmung aus. Gratch drehte sich zu Richard um und nickte.

Kahlan drückte das pelzige Tier noch einmal an sich. »Paß auf dich auf, und komm uns besuchen, wenn du kannst. Ich stehe für immer in deiner Schuld, Gratch. Ich liebe dich. Wir beide lieben dich.«

Nach einer letzten Umarmung mit Richard, für die keinerlei Worte nötig waren, flog Gratch mit den Gars davon und verschwand in der Nacht.

Richard stand neben Kahlan, umgeben von den Leibwächtern, seiner Armee und dem Schreckgespenst des Todes.

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