23

Als plötzlich eine Woge süß quälenden Verlangens seinen Körper durchflutete, da wußte er, daß sie den Raum betreten hatte, obwohl er sie nicht sehen konnte. Ihr unverkennbarer Duft füllte seine Nase, und schon sehnte er sich danach, sich ihr hinzugeben. Einer verstohlenen Bewegung im Nebel gleich konnte er das Wesen der Bedrohung nicht klar erkennen, irgendwie, in den entlegensten Winkeln seines Bewußtseins, wußte er jedoch ohne jeden Zweifel, daß dort eine lauerte, und diese köstliche Gefahr erregte ihn zusätzlich.

Mit der Verzweiflung eines Mannes, der von einem übermächtigen Feind bestürmt wird, tastete er nach dem Heft seines Schwertes, in der Hoffnung, seine Entschlossenheit zu bestärken und der Macht der Unterwerfung Einhalt zu gebieten. Aber es war nicht blanker Stahl, wonach er trachtete, sondern blanke Wut, ein Zorn, der ihn aufrechterhalten und ihm die Kraft geben würde, zu widerstehen. Er konnte es schaffen. Er mußte es schaffen — alles hing davon ab.

Seine Hand schloß sich fest um das Heft an seinem Gürtel, und er spürte, wie die Raserei einer Flut gleich durch seinen Geist und Körper strömte.

Als Richard aufsah, erblickte er über dem Menschenknäuel die Köpfe von Ulic und Egan, die sich ihm näherten. Auch wenn er sie nicht gesehen hätte, die Lücke zwischen ihnen, wo die Frau sein würde, verriet ihm, daß sie hier war. Soldaten und Würdenträger begannen, den Weg freizumachen für die beiden großen Männer und ihren Schützling. Die Woge aus Köpfen, die tuschelnd zusammengesteckt wurden, um Bemerkungen weiterzugeben, erinnerte ihn an das Kräuseln eines Teiches. Richard mußte daran denken, daß ihn die Prophezeiungen auch als ›Kiesel im Teich‹ bezeichnet hatten — den Erzeuger eines Kräuselns in der Welt der Lebenden.

Und dann sah er sie.

Das Verlangen schnürte ihm die Brust zusammen. Da sie keine Kleider zum Wechseln bei sich hatte, trug sie das gleiche rosafarbene Seidenkleid wie am Abend zuvor. Richard wurde lebhaft daran erinnert, wie sie ihm erzählt hatte, sie schlafe nackt. Er spürte, wie sein Herz pochte.

Unter Anstrengung versuchte er, seine Gedanken auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Mit großen Augen betrachtete sie die ihr bekannten Soldaten. Es war die keltonische Palastwache. Jetzt trugen sie d’Haranische Uniformen.

Richard war früh aufgestanden und hatte alles vorbereitet. Er hatte ohnehin nicht viel schlafen können, und das bißchen Schlaf, das er gefunden hatte, war durchsetzt gewesen von sehnsuchtsvollen, quälenden Träumen.

Kahlan, meine Liebste, wirst du mir diese Träume je verzeihen können?

Bei so vielen d’Haranischen Soldaten in Aydindril war ihm klar gewesen, daß Nachschub jeder Art zur Verfügung stand, daher hatte er befohlen, Reserveuniformen herbeizuschaffen. Die Keltonier waren, da man sie entwaffnet hatte, nicht in der Position, zu widersprechen. Als sie jedoch das dunkle Leder und die Kettenhemden angelegt und Gelegenheit gehabt hatten, zu sehen, wie wild sie in ihrer neuen Rüstung aussahen, hatten sie anerkennend gegrinst. Man hatte ihnen erklärt, Kelton sei nur ein Teil D’Haras, und ihnen ihre Waffen zurückgegeben. Jetzt waren sie in Reih und Glied angetreten, stolz und aufrecht, und hielten ein Auge auf die Vertreter der anderen Länder, die sich noch nicht ergeben hatten.

Wie sich herausstellte, hatte das Unwetter, das Brogan die Flucht ermöglicht hatte, als Ausgleich auch etwas Gutes mitgebracht: Die Würdenträger hatten vor ihrem Aufbruch abwarten wollen, bis das schlechte Wetter vorüber war, also hatte Richard die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und sie vor ihrer Abreise am späteren Vormittag noch einmal in den Palast beordert. Nur die höchsten, wichtigsten Amtsinhaber waren anwesend. Er wollte, daß sie Zeugen der Kapitulation Keltons wurden: eines der mächtigsten Länder der Midlands. Er wollte, daß sie eine letzte Lektion erteilt bekamen.

Richard erhob sich, als Cathryn die Stufen seitlich neben dem Podium hinaufzusteigen begann, während ihr Blick über die ihr zugewandten Gesichter hinwegglitt. Berdine trat zurück, um ihr Platz zu machen. Richard hatte die drei Mord-Siths am äußersten Ende des Podiums plaziert, wo sie ihm nicht zu nahe waren. Er war nicht daran interessiert, was sie zu sagen hatten.

Schließlich fiel Cathryns Blick auf ihn, und er mußte die Knie zusammendrücken, um nicht einzuknicken. Seine Linke, mit der er den Griff des Schwertes fest umklammert hielt, begann zu zittern. Er ermahnte sich, daß er das Schwert nicht in der Hand zu halten brauchte, um seine Magie zu beherrschen, und riskierte es, die Hand zu lösen und wieder ein wenig Gefühl in seine Hand zu schütteln, während er über die vor ihm liegende Aufgabe nachdachte.

Als die Schwestern des Lichts ihm die Beherrschung seines Han hatten beibringen wollen, hatten sie ihn angehalten, ein geistiges Bild zu benutzen, um seinen Willen zu konzentrieren. Richard hatte sich ein Bild des Schwertes der Wahrheit als Bündelpunkt seiner Gedanken ausgesucht, und dieses hatte er in seinen Gedanken jetzt fest fixiert.

Doch im Kampf mit den Menschen, die sich heute vor ihm versammelt hatten, würde ihm das Schwert nichts nützen. Heute würde er auf die geschickten Manöver zurückgreifen müssen, die mit der Hilfe von General Reibisch, seinen Offizieren und kenntnisreichen Mitgliedern des Palaststabes ersonnen worden waren. Hoffentlich hatte er alles richtig behalten.

»Richard, was —«

»Willkommen, Herzogin. Es ist alles vorbereitet.« Richard ergriff ihre Hand und küßte sie auf eine Weise, die seinem Dafürhalten nach einer Königin vor Publikum angemessen war, trotzdem entflammte die Berührung nur seine Leidenschaft. »Ich wußte, Ihr würdet wollen, daß diese Repräsentanten Zeugen Eures Mutes werden, die erste zu sein, die sich mit uns gegen die Imperiale Ordnung verbündet, die erste, die den Midlands den Weg bereitet.«

»Aber ich … nun, ja … gewiß.«

Er drehte sich zu den Zuschauern um. Die Menge war beträchtlich ruhiger und willfähriger als beim letzten Mal, als sie in gespannter Erwartung vor ihm gestanden hatten.

»Herzogin Lumholtz — die, wie Ihr alle wißt, bald zur Königin von Kelton ernannt werden wird — hat Ihr Volk der Freiheit überantwortet und sich gewünscht, daß Ihr alle dabeisein sollt, wenn sie die Dokumente der Kapitulation unterzeichnet.«

»Richard«, flüsterte sie leise und beugte sich ein wenig vor, »ich muß … sie erst von unseren Rechtskundigen prüfen lassen … nur um ganz sicher zu gehen, daß sie eindeutig sind und es keine Mißverständnisse gibt.«

Richard lächelte beruhigend. »Ich bin zwar überzeugt, Ihr werdet feststellen, daß sie recht eindeutig sind, dennoch habe ich Eure Besorgnis vorausgeahnt und mir die Freiheit herausgenommen, die Rechtskundigen zur Unterzeichnung einzuladen.« Richard streckte die Hand zum anderen Ende des Podiums aus. Raina packte einen Mann am Arm und drängte ihn, die Stufen hochzusteigen. »Meister Sifold, würdet Ihr Eurer zukünftigen Königin Eure geschätzte Meinung mitteilen?«

Er verneigte sich. »Die Dokumente sind, wie Lord Rahl sagt, recht eindeutig, Herzogin. Sie lassen keinen Raum für Mißverständnisse.«

Richard nahm das reichverschnörkelte Dokument vom Tisch. »Mit Eurer Erlaubnis, Herzogin, möchte ich es den versammelten Repräsentanten vorlesen, damit sie sehen, daß Keltons Wunsch nach der Vereinigung unserer Kräfte unmißverständlich ist. Damit sie sehen, wie tapfer Ihr seid.«

Sie hob unter den Blicken der Repräsentanten der anderen Länder stolz den Kopf. »Ja, bitte. Nur zu, Lord Rahl.«

Richard sah kurz in die wartenden Gesichter. »Ich bitte um Geduld, es ist nicht lang.« Er hielt das Blatt vor sich und las laut vor. »An alle Völker, hiermit unterwirft sich Kelton bedingungslos D’Hara. Unterzeichnet, höchstselbst, als rechtmäßig erkannte Führerin des Keltonischen Volkes, Herzogin Lumholtz.«

Richard legte das Dokument zurück auf den Tisch und tauchte den Federkiel in ein Tintenfaß, bevor er ihn Cathryn reichte. Sie nahm ihn steif und ohne Regung entgegen. Ihr Gesicht war leichenblaß geworden.

Er mußte befürchten, daß sie einen Rückzieher machen würde und hatte keine andere Wahl. Er nahm all seine Kraft zusammen, die, das wußte er, ihm später fehlen würde, brachte seine Lippen ganz nah an ihr Ohr und ertrug dabei stillschweigend die Wogen qualvollen Verlangens, die der warme Duft ihrer Haut in ihm erzeugte.

»Cathryn, wenn wir hier fertig sind, würdet Ihr mit mir Spazierengehen? Nur wir beide, alleine? Ich habe von nichts anderem geträumt als von Euch.«

Ihre Wangen erblühten in leuchtenden Farben. Er glaubte, sie würde ihm den Arm um den Hals legen, und dankte den Seelen, als sie es unterließ.

»Natürlich, Richard«, antwortete sie flüsternd. »Ich habe auch von nichts anderem geträumt als von Euch. Bringen wir diese Formalitäten hinter uns.«

»Macht mich stolz auf Euch und Eure Stärke.«

Richard war überzeugt, die anderen im Saal müßten erröten, wenn sie ihr Lächeln sahen. Er spürte, wie ihm die Ohren glühten, als er daran dachte, was ihr Lächeln verhieß.

Sie ergriff den Federkiel, streifte dabei seine Hand und hielt ihn in die Höhe. »Ich unterzeichne diese Kapitulationserklärung mit der Feder einer Taube, als Zeichen dafür, daß ich dies freiwillig tue, in Frieden und nicht als Besiegte. Ich tue es aus Liebe zu meinem Volk und in der Hoffnung auf die Zukunft. Diese Hoffnung verkörpert dieser Mann hier — Lord Rahl. Ich schwöre jedem die unsterbliche Rache meines Volkes, der es wagt, ihm Schaden zuzufügen.«

Sie beugte sich vor und kritzelte ihre ausladende Unterschrift quer unter die Erklärung.

Bevor sie sich aufrichten konnte, zog Richard weitere Papiere hervor und schob sie ihr unter.

»Was…«

»Die Briefe, von denen Ihr gesprochen habt, Herzogin. Ich wollte Euch nicht mit der langweiligen Aufgabe belasten, diese Arbeit selbst zu übernehmen, wo wir die Zeit doch besser nutzen können. Eure Berater haben mir dabei geholfen, sie aufzusetzen. Seht sie bitte durch, nur um sicherzugehen, daß alles so ist, wie es in Eurer Absicht lag, als Ihr mir gestern abend das Angebot gemacht habt.

Leutnant Harrington von Eurer Palastwache half mir mit den Namen von General Baldwin, dem Oberkommandeur aller keltonischen Streitkräfte, den Divisionsgenerälen Cutter, Leiden, Nesbit, Bradford und Emerson sowie einigen der Kommandanten der Palastwache. Hier ist ein Brief an jeden von ihnen für Euch zur Unterschrift, in dem Ihr ihnen befehlt, alle Befehlsgewalt an meine d’Haranischen Offiziere abzutreten. Einige der Offiziere Eurer Palastwache werden eine Abteilung meiner Männer zusammen mit den neuen Offizieren begleiten.

Euer Berater, Meister Montleon, war mir von unschätzbarer Hilfe bei den Anweisungen an Finanzminister Pelletier, an Meister Carlisle, den stellvertretenden Verwalter des Amtes für strategische Planungen, die geschäftsführenden Gouverneure des Handelsrates, Cameron, Tuck, Spooner und Ashmore sowie Levardson, Doudiet und Faulkingham vom Handelsministerium.

Adjutant Schaffer war es, der die Liste Eurer Bürgermeister zusammengestellt hat. Wir wollten selbstverständlich niemanden beleidigen, indem wir ihn vergessen, daher hat er sich bei der Zusammenstellung der vollständigen Liste von einer Reihe von Beratern helfen lassen. Hier sind Briefe an sie alle. Aber natürlich lauten die Schreiben mit den Anordnungen an alle gleich, bis auf die jeweiligen Namen. Ihr braucht also nur eins durchzusehen und könnt dann die übrigen so unterschreiben. Von da an übernehmen wir.

Meine Kuriere warten, um mit den offiziellen Dokumententaschen loszureiten. Ein Soldat aus Eurer Palastwache wird jeden von ihnen begleiten, nur um sicherzustellen, daß es keine Mißverständnisse gibt. Wir haben alle Soldaten Eurer Palastwache hier versammelt, damit sie Eure Unterschrift bezeugen können.«

Richard holte Luft und richtete sich auf, als Cathryn, die Feder immer noch erhoben, fassungslos auf all die Papiere starrte, die Richard ihr hingeschoben hatte. Ihre Berater waren sämtlich aufs Podium gekommen und hatten sich um sie herum aufgestellt, stolz auf die Arbeit, die sie in so kurzer Zeit geleistet hatten.

Richard beugte sich erneut zu ihr hinunter. »Ich hoffe, ich habe alles Euren Wünschen gemäß erledigt, Cathryn. Ihr sagtet zwar, Ihr wolltet Euch darum kümmern, aber ich mochte nicht von Euch getrennt sein, während Ihr Euch mit dem Schreiben abmüht, also bin ich zeitig aufgestanden und habe Euch die Arbeit abgenommen. Ich hoffe doch, ich habe Euch damit eine Freude gemacht?«

Sie überflog die Briefe, schob einen nach dem anderen zur Seite, um den darunterliegenden zu betrachten. »Ja … natürlich.«

Richard schob einen Sessel näher heran. »Warum setzt Ihr Euch nicht?«

Als sie Platz genommen und mit der Unterzeichnung begonnen hatte, schob Richard sein Schwert aus dem Weg und setzte sich neben sie, in den Sessel der Mutter Konfessor. Er ließ seinen Blick auf den Zuschauern ruhen und beließ ihn dort, während er auf das Kratzen der Feder lauschte. Um sich konzentrieren zu können, hielt er den Zorn auf kleiner Flamme.

Richard drehte sich zu den lächelnden keltonischen Beamten hinter ihrem Sessel um. »Ihr alle habt heute morgen sehr wertvolle Arbeit geleistet, und ich würde mich geehrt fühlen, wenn Ihr bereit wärt, auch weiterhin in meinen Diensten zu stehen. Ich bin sicher, daß ich für Eure Fähigkeiten bei der Verwaltung des größer werdenden D’Haras Verwendung habe.«

Nachdem sich alle verneigt und ihm für seine Großherzigkeit gedankt hatten, richtete er erneut sein Augenmerk auf die schweigende Gruppe von Leuten, die das Geschehen verfolgte. Die d’Haranischen Soldaten, vor allem ihre Offiziere, hatten, da sie monatelang in Aydindril stationiert waren, eine Menge über den Handel in den Midlands gelernt. In den vier Tagen, die er auf der Suche nach Brogan unter ihnen verbracht hatte, hatte Richard sich soviel Wissen als möglich angeeignet. Zudem hatte er seine Kenntnisse heute morgen noch bereichert. Denn es hatte sich herausgestellt, daß Fräulein Sanderholt eine Quelle großen, über viele Jahre beim Zubereiten von Gerichten aus vielen Ländern zusammengetragenen Wissens war. Speisen waren, wie sich herausstellte, eine Quelle von Informationen über ein Volk. Ihr scharfes Ohr war ebenfalls nützlich gewesen.

»Einige der Papiere, die die Herzogin soeben unterzeichnet, sind Handelsanweisungen«, erklärte Richard den Beamten, während Cathryn sich ihrer Arbeit widmete. Sein Blick verweilte auf ihren Schultern. Er zwang sich, ihn abzuwenden. »Da Kelton jetzt ein Teil D’Haras ist, gibt es keinen Handel mehr zwischen Kelton und jenen Ländern, die sich uns nicht angeschlossen haben.«

Er sah einen kleinen, rundlichen Mann mit lockigem, schwarzgrauem Bart an. »Mir ist bewußt, Repräsentant Garthram, daß dies Lifany in eine unangenehme Lage bringt. Nach der Anordnung zur Schließung der Grenzen von Galea und Kelton für alle, die nicht Teil D’Haras sind, stehen Euch harte Zeiten bevor, was den Handel anbetrifft.

Mit Galea und Kelton im Norden, D’Hara im Osten und dem Rang’Shada-Gebirge im Westen wird es Euch äußerst schwerfallen, Euren Bedarf an Eisen zu decken. Der größte Teil Eurer Einkäufe stammte aus Kelton, und dort wiederum hat man Euch Getreide abgekauft. Jetzt wird Kelton sein Getreide aus den galeanischen Lagerhäusern beziehen müssen. Da sie jetzt beide zu D’Hara gehören, gibt es keinen Grund mehr, den Handel wegen Feindseligkeiten wie früher einzuschränken. Außerdem stehen ihre beiden Armeen jetzt unter meinem Kommando, so daß sie keine Mühe darauf verschwenden werden, wegen des jeweils anderen beunruhigt zu sein, sondern statt dessen ihre Aufmerksamkeit auf die Schließung der Grenzen richten können.

Natürlich hat D’Hara Verwendung für Eisen und Stahl aus Kelton. Ich schlage vor, Ihr sucht Euch eine andere Quelle, und das schnell, denn die Imperiale Ordnung wird wahrscheinlich von Süden her angreifen. Möglicherweise geradewegs durch Lifany hindurch, wie ich mir vorstellen könnte. Ich werde weder zulassen, daß auch nur das Blut eines einzigen Soldaten für den Schutz von Ländern vergossen wird, die sich noch nicht mit uns verbündet haben, noch werde ich ein Zögern in diesem Punkt mit Handelsprivilegien belohnen.«

Richard richtete den Blick auf einen großen, hageren Mann mit einem strähnigen, weißen Haarkranz um den knorrigen Schädel. »Botschafter Bezancort, es tut mir leid, Euch mitteilen zu müssen, daß dieser Brief hier den Kommissar Cameron aus Kelton davon in Kenntnis setzt, daß sämtliche Übereinkünfte mit Ihrem Heimatland Sanderia hiermit aufgekündigt werden, bis auch Ihr ein Teil D’Haras seid. Nach diesem Winter wird es Sanderia nicht mehr gestattet sein, seine Herden im kommenden Frühjahr in das Hochland von Kelton zu treiben.«

Der Mann verlor das bißchen Farbe, das er ohnehin nur hatte. »Aber Lord Rahl, es gibt keinen Ort, wo wir die Tiere im Frühjahr und Sommer unterbringen können. Die Ebenen sind im Winter zwar üppiges Weideland, im Sommer jedoch sind sie eine braune und verdorrte Ödnis. Was sollen wir Eurer Ansicht nach denn tun?«

Richard zuckte die Achseln. »Ich schlage vor, Ihr laßt Eure Herden schlachten, um zu retten, was zu retten ist, bevor die Tiere Hungers sterben.«

Dem Botschafter stockte der Atem. »Lord Rahl, diese Abmachungen haben seit Jahrhunderten Gültigkeit. Unsere gesamte Wirtschaft gründet sich auf den Schafen!«

Richard zog eine Augenbraue hoch. »Das ist nicht meine Sorge. Meine Sorge gilt denen, die uns beistehen.«

Botschafter Bezancort hob flehend die Hände. »Lord Rahl, das wäre eine Katastrophe für mein Volk. Unser ganzes Land wäre ruiniert, wären wir gezwungen, unsere Herden zu schlachten.«

Repräsentant Theriault trat hastig einen Schritt nach vorn. »Ihr dürft auf keinen Fall zulassen, daß diese Herden geschlachtet werden. Herjborgue ist auf diese Wolle angewiesen. Das, das … würde unsere Industrie zugrunde richten.«

Ein anderer meldete sich zu Wort. »Dann könnten sie mit uns keinen Handel treiben, und wir hätten keine Möglichkeit mehr, Getreide einzukaufen, das bei uns nicht gedeiht.«

Richard beugte sich vor. »Dann schlage ich vor, Ihr berichtet Euren Führern diese Argumente und tut Euer Bestes, sie davon zu überzeugen, daß eine Kapitulation ihre einzige Möglichkeit ist. Je eher desto besser.« Er sah hinüber zu den anderen Würdenträgern. »Angesichts so großer gegenseitiger Abhängigkeit werdet ihr sicher bald den Wert der Einheit erkennen. Kelton ist jetzt ein Teil D’Haras. Die Handelswege werden für alle geschlossen werden, die sich nicht auf unsere Seite schlagen. Ich habe es Euch bereits erklärt, Neutrale wird es nicht geben.«

Proteste, Appelle und flehentliche Bitten erfüllten den Ratssaal. Richard stand auf, und die Proteste verstummten.

Der sanderianische Botschafter hob vorwurfsvoll den knochigen Zeigefinger. »Ihr seid ein unbarmherziger Mann.«

Richard nickte, die Magie brachte seinen wütend funkelnden Blick zum Glühen. »Und vergeßt nicht, dies der Imperialen Ordnung mitzuteilen, falls Ihr Euch dafür entscheidet, Euch ihnen anzuschließen.« Er blickte in die Gesichter hinab. »Ihr alle hattet Frieden und Einheit, garantiert durch den Rat und die Mutter Konfessor. Während sie fort war und für Euch und Euer Volk kämpfte, habt Ihr diese Einheit mit Füßen getreten, aus nackter Gier. Ihr benehmt Euch wie kleine Kinder, die sich um einen Kuchen zanken. Jeder hätte sein Stück bekommen können, statt dessen beschloßt Ihr, ihn Euren kleineren Geschwistern wegzunehmen. Wenn Ihr an meinen Tisch kommt, werdet Ihr auf Eure Manieren achten müssen, aber Ihr werdet alle Brot bekommen.«

Diesmal widersprach ihm niemand. Richard zog das Mriswithcape zurecht, als er merkte, daß Cathryn mit Unterschreiben fertig war und ihn aus diesen großen, braunen Augen ansah. Angesichts ihres süßen Blickes konnte er die Kontrolle über den Zorn des Schwertes nicht länger aufrechterhalten.

Er drehte sich wieder zu den Repräsentanten um, der Zorn war aus seinem Ton gewichen. »Das Wetter ist gut. Ihr solltet jetzt besser aufbrechen. Je eher Ihr Eure Führer überzeugt, meinen Bedingungen zuzustimmen, desto weniger Unannehmlichkeiten werden Eure Völker zu erleiden haben. Ich möchte nicht, daß jemand leidet…« Seine Stimme brach ab. Cathryn stand neben ihm und blickte hinunter zu den Leuten, die sie so gut kannte. »Tut, was Lord Rahl von Euch verlangt. Er hat Euch genug von seiner Zeit geschenkt.« Sie drehte sich um und wandte sich an einen ihrer Berater. »Laßt augenblicklich meine Kleider herbeischaffen. Ich werde hier bleiben, im Palast der Konfessoren.«

»Wieso bleibt sie hier?« wollte einer der Botschafter wissen, die Stirn argwöhnisch in Falten gelegt.

»Ihr Gatte wurde, wie Ihr wißt, von einem Mriswith getötet«, sagte Richard. »Sie bleibt hier, zu ihrem Schutz.«

»Soll das heißen, für uns besteht Gefahr?«

»Aber durchaus«, sagte Richard. »Ihr Gatte war ein erfahrener Fechter, dennoch wurde er … nun, hoffentlich seid Ihr vorsichtig. Wenn Ihr Euch uns anschließt, seid Ihr berechtigt, Gäste des Palastes zu sein und den Schutz meiner Magie zu genießen. Es gibt ausreichend leerstehende Gästezimmer, aber bis zu Eurer Kapitulation wird niemand darin wohnen.«

Aufgeregt und voller Sorge in Gespräche vertieft, drängten sich die Anwesenden zum Ausgang.

»Gehen wir endlich?« hauchte Cathryn.

Jetzt, nach getaner Arbeit, spürte Richard, wie die plötzliche Leere sich mit ihrer Gegenwart füllte. Als sie sich bei ihm einhakte und sie beide sich zum Gehen wandten, bot er seine letzte Willenskraft auf und trat zu Ulic und Cara am Rand des Podiums.

»Behaltet uns jederzeit im Auge, verstanden?«

»Ja, Lord Rahl«, sagten Ulic und Cara wie aus einem Mund.

Cathryn zerrte an seinem Arm, drängte ihn, ihr sein Ohr hinzuhalten. »Richard.« Sein Name, getragen von ihrem warmen Atem, jagte ihm ein sehnsüchtiges Schaudern durch den Körper. »Ihr sagtet, wir würden alleine sein. Ich will mit Euch alleine sein. Ganz alleine. Bitte.«

Dies war der Augenblick, für den sich Richard seine Kraft hätte aufsparen sollen. Er konnte das Bild des Schwertes nicht länger mit seinen Gedanken festhalten. Verzweifelt ersetzte er es durch Kahlans Gesicht.

»Gefahr ist im Verzug, Cathryn. Ich spüre es. Ich werde Euer Leben nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Wir können allein sein, sobald ich die Bedrohung nicht mehr spüre. Bitte, versucht, das zu begreifen. Fürs erste.«

Sie schien beunruhigt, nickte aber. »Fürs erste.«

Als sie vom Podium hinunterstiegen, wandte sich Richard noch einmal Cara zu. »Laßt uns nicht aus den Augen — aus welchem Grund auch immer.«

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