Wenn es auf der Farm irgendwelche Leichen gab, dann hatten die Soldaten sie vor Kahlans Eintreffen fortgeräumt. In dem aus unbehauenem Stein erbauten Kamin hatten sie ein Feuer angezündet, aber das brannte noch nicht lange genug, um die unerbittliche Kälte aus dem verlassenen Haus zu vertreiben.
Man trug Cyrilla vorsichtig zu den Überresten einer Strohmatratze in einem der hinteren Zimmer. Es gab ein weiteres, kleines Zimmer mit zwei Strohlagern, wahrscheinlich für Kinder, dann den Wohnraum mit einem Tisch und wenig mehr. An den zerbrochenen Trümmern eines Küchenschranks, einer Truhe und den Überresten persönlicher Gegenstände erkannte Kahlan, daß die Imperiale Ordnung auf ihrem Weg nach Ebinissia hier durchgekommen war. Sie fragte sich erneut, was die Soldaten mit den Leichen gemacht hatten. Sie wollte nicht des Nachts über sie stolpern, falls sie nach draußen mußte, um ihre Notdurft zu verrichten.
Zedd sah sich im Raum um und rieb sich den Bauch.
»Wie lange bis zum Abendessen?« fragte er gutgelaunt.
Er trug einen schweren kastanienbraunen Umhang mit schwarzen Ärmeln und verstärkten Schultern. Die Manschetten seiner Ärmel waren mit drei Streifen Silberbrokat besetzt. Dickeres Goldbrokat lief um den Hals herum und dann an der Vorderseite herab, an der Hüfte war das Kleidungsstück mit einem roten Samtgürtel gerafft, der mit einer goldenen Schnalle besetzt war. Zedd konnte die protzige Aufmachung nicht ausstehen, auf deren Kauf Adie bestanden hatte, damit er sich verkleiden konnte. Ihm waren seine einfacheren Gewänder lieber, doch die waren längst dahin, genau wie sein eleganter Hut mit der langen Feder, den er irgendwo unterwegs ›verloren‹ hatte.
Kahlan mußte gegen ihren Willen schmunzeln. »Ich weiß es nicht. Was willst du kochen?«
»Kochen? Ich? Nun, vermutlich könnte ich…«
»Gütige Seelen, erspart uns die Kocherei dieses Mannes«, meinte Adie von der Tür aus. »Uns wäre besser gedient, wenn wir Rinde und Käfer verspeisten.«
Adie kam ins Zimmer gehinkt, gefolgt von Jebra, der Seherin, und Ahern, dem Kutscher, der Zedd und Adie auf ihren letzten Reisen gefahren hatte. Chandalen, der Kahlan vor Monaten vom Dorf der Schlammenschen aus hierher begleitet hatte, hatte sich nach jener wunderbaren Nacht, die Kahlan an dem Ort zwischen den Welten verbracht hatte, verabschiedet. Er wollte zurück in seine Heimat und zu seinem Volk. Sie konnte ihm keinen Vorwurf machen. Sie wußte, was es hieß, seine Freunde und Lieben zu vermissen.
Wenn Zedd und Adie da waren, hatte sie fast das Gefühl, als wären sie alle vereint. Sobald Richard sie eingeholt hatte, wäre es tatsächlich so. Kahlan konnte immer noch nichts dagegen machen. Mit jedem Atemzug stieg ihre Aufgeregtheit, denn jeder Atemzug brachte sie dem Augenblick näher, in dem sie die Arme um ihn schließen konnte.
»Meine Knochen sind zu alt für dieses Wetter«, meinte Adie, als sie das Zimmer durchquerte.
Kahlan fand einen einfachen Holzstuhl und nahm ihn mit, faßte Adie am Arm und führte sie ans Feuer. Sie stellte den Stuhl nahe ans Feuer und forderte die Magierin auf, sich hinzusetzen und aufzuwärmen. Im Gegensatz zu Zedds ursprünglicher Kleidung hatte Adies einfaches Flachsgewand mit dem gelben und roten Perlenbesatz am Hals in den uralten Symbolen ihres Berufes die Reise überlebt. Zedd machte jedesmal ein finsteres Gesicht, wenn er sie sah. Er fand es mehr als nur ein wenig seltsam, daß ihr einfaches Gewand die Reise überstanden hatte und seines verlorengegangen war.
Adie lächelte dann stets, meinte, es sei ein Wunder, und beharrte darauf, er sehe ausgezeichnet aus in seinen eleganten Kleidern. Vermutlich gefiel er ihr in seiner neuen Aufmachung tatsächlich besser, dachte Kahlan, und sie fand selbst, daß Zedd großartig aussah, auch wenn er nicht ganz so wie ein Zauberer wirkte wie in seiner gewohnten Kleidung. Zauberer seines hohen Ranges trugen normalerweise sehr schlichte Gewänder. Einen höheren Rang als den von Zedd gab es nicht: Erster Zauberer.
»Danke, mein Kind«, meinte Adie und wärmte sich die Hände am Feuer.
»Orsk«, rief Kahlan.
Der große Kerl kam herbeigeeilt. Die Narbe über seinem fehlenden Auge leuchtete weiß im Schein des Feuers. »Ja, Herrin?« Er stand da, bereit, ihre Anweisungen auszuführen. Was immer das war, für ihn war es ohne Belang, denn seine einzige Sorge war, Gelegenheit zu bekommen, sie zufriedenzustellen.
»Hier drinnen gibt es keinen Topf. Könntest du uns einen besorgen, damit wir etwas zum Abendessen zubereiten können?«
Seine Uniform aus dunklem Leder knarzte, als er sich verbeugte, kehrtmachte und aus dem Zimmer eilte. Früher war Orsk ein d’Haranischer Soldat aus dem Lager der Imperialen Ordnung gewesen. Er hatte versucht, sie umzubringen, und in diesem Kampf hatte sie ihn mit ihrer Kraft berührt. Daraufhin hatte die Magie des Konfessors für immer den Menschen zerstört, der er einst gewesen war, und ihn mit blinder Ergebenheit ihr gegenüber erfüllt. Diese blinde Ergebenheit und Hingabe war Kahlan auf zermürbende Weise bewußt. Es war eine stete Erinnerung daran, was und wer sie war.
Sie versuchte, nicht den Mann zu sehen, der er einst war: ein d’Haranischer Soldat, der sich der Imperialen Ordnung angeschlossen hatte, einer jener Totschläger, die an dem Gemetzel an hilflosen Frauen und Kindern in Ebinissia teilgenommen hatten. Als Mutter Konfessor hatte sie geschworen, keinem der Soldaten der Imperialen Ordnung gegenüber Gnade walten zu lassen, und bislang hatte sie sich an diesen Schwur gehalten. Nur Orsk lebte noch. Er lebte zwar noch, aber der Mann, der für die Imperiale Ordnung gekämpft hatte, war tot.
Wegen des Todesbanns, den Zedd über sie gelegt hatte, um ihr bei der Flucht aus Aydindril zu helfen, wußten nur wenige, daß Kahlan die Mutter Konfessor war. Orsk kannte sie lediglich als seine Herrin. Zedd wußte natürlich Bescheid. Adie, Jebra, Ahern und Chandalen, ihr Halbbruder Prinz Harold und Hauptmann Ryan kannten ihre wahre Identität, alle anderen dagegen waren überzeugt, die Mutter Konfessor sei tot. Die Männer, die an ihrer Seite gekämpft hatten, kannten sie nur als ihre Königin. Man hatte ihre Erinnerung daran, daß sie die Mutter Konfessor war, verwirrt und vernebelt, und jetzt hielten sie Kahlan für die Königin, die zwar nicht weniger ihre Führerin, aber eben nicht die Mutter Konfessor war.
Nachdem man Schnee geschmolzen hatte, gaben Jebra und Kahlan Bohnen und Speck hinein, schnitten Süßwurzeln auf, die sie in den Topf warfen, und gaben ein paar Löffel Sirup hinzu. Zedd stand händereibend daneben und beobachtete, wie die Zutaten in den Topf wanderten. Kahlan mußte über diesen kindlichen Eifer schmunzeln und zog ein wenig hartes Brot für ihn aus einem Bündel. Er freute sich und verspeiste das Brot, während die Bohnen garten.
Während das Abendessen vor sich hin köchelte, taute Kahlan ein wenig übriggebliebene Suppe auf und brachte sie Cyrilla. Sie stellte eine Kerze auf einen Stock, den sie in einen Mauerriß steckte, und setzte sich in dem stillen Zimmer auf die Bettkante. Eine Weile wischte sie ihrer Halbschwester mit einem warmen Lappen die Stirn ab und freute sich, als Cyrilla die Augen öffnete. Ein von Panik erfüllter, starrer Blick zuckte durch das schlecht beleuchtete Zimmer hin und her. Kahlan packte Cyrillas Unterkiefer und zwang sie, ihr in die Augen zu sehen.
»Ich bin’s, Schwester, Kahlan. Du bist in Sicherheit. Wir sind allein. Du bist in Sicherheit. Mach es dir bequem. Es ist alles in Ordnung.«
»Kahlan?« Cyrilla klammerte sich an Kahlans weißen Fellmantel. »Du hast es mir versprochen. Du darfst dein Wort nicht brechen. Auf keinen Fall.«
Kahlan lächelte. »Ich habe es versprochen, und ich werde mein Wort halten. Ich bin Königin von Galea und werde es bis zu dem Tag bleiben, an dem du die Krone zurückforderst.«
Sich immer noch an dem Fellmantel festhaltend, sank Cyrilla erleichtert zurück. »Danke, meine Königin.«
Kahlan drängte sie, sich aufzusetzen. »Jetzt komm. Ich habe dir ein wenig warme Suppe mitgebracht.«
Cyrilla drehte ihr Gesicht vom Löffel fort. »Ich bin nicht hungrig.«
»Wenn du willst, daß ich Königin bin, dann mußt du mich auch wie eine Königin behandeln.« Ein fragender Blick erschien auf Cyrillas Gesicht. Kahlan lächelte. »Dies ist ein Befehl deiner Königin. Du wirst die Suppe essen.«
Erst jetzt war Cyrilla gewillt zu essen. Nachdem sie alles aufgegessen hatte, fing wie wieder an zu zittern und zu weinen, und Kahlan nahm sie ganz fest in den Arm, bis sie in einen tranceähnlichen Zustand hinüberglitt und blind nach oben ins Leere starrte. Kahlan steckte die schweren Decken um sie herum fest und gab ihr einen Kuß auf die Stirn.
Zedd hatte ein paar Fässer, eine Bank und einen Schemel aus der Scheune organisiert und irgendwo einen weiteren Stuhl aufgetrieben. Er hatte Prinz Harold und Hauptmann Ryan gebeten, sich zum Abendessen Adie, Jebra, Ahern, Orsk, Kahlan und ihm selbst anzuschließen. Sie lagen kurz vor Ebinissia und mußten ihre Pläne besprechen. Alles drängte sich um den kleinen Tisch, als Kahlan das harte Brot brach und Jebra aus einem auf dem Feuer stehenden Kessel dampfende Schalen mit Bohnen verteilte. Als die Seherin damit fertig war, setzte sie sich neben Kahlan auf die kurze Bank. Die ganze Zeit über warf sie Zedd verwunderte Blicke zu.
Prinz Harold, ein Mann mit mächtiger Brust und einem Schopf langen, dichten, dunklen Haars, erinnerte Kahlan an ihren Vater. Harold war erst an diesem Tag mit seinen Spähern aus Ebinissia zurückgekehrt.
»Welche Neuigkeiten hast du aus der Heimat?« fragte sie ihn.
Er brach das Brot mit seinen dicken Fingern. »Nun«, seufzte er, »es war genau, wie du es beschrieben hast. Sieht nicht so aus, als sei inzwischen jemand dort gewesen. Ich denke, wir sind dort sicher. Jetzt, wo die Armee der Imperialen Ordnung vernichtet ist —«
»Die Truppe in dieser Region«, verbesserte ihn Kahlan.
Er gab ihr mit einem Schwenken seines Brotes recht. »Ich denke, wir werden erst einmal keine Schwierigkeiten bekommen. Wir haben noch nicht viele Leute, aber es sind gute Soldaten, und wir sind zahlreich genug, um die Stadt oben von den Pässen aus zu beschützen, solange sie nicht in solchen Massen angreifen wie zuvor. Solange die Imperiale Ordnung keine weiteren Soldaten heranschafft, können wir die Stadt halten, denke ich.« Er deutete mit einer Handbewegung auf Zedd. »Außerdem haben wir einen Zauberer bei uns.«
Zedd, der damit beschäftigt war, Bohnen in seinen Mund zu schaufeln, zögerte gerade lange genug, um ihm mit einem Brummen beizupflichten.
Hauptmann Ryan schluckte eine große Portion Bohnen hinunter. »Prinz Harold hat recht. Wir kennen die Berge. Wir können die Stadt verteidigen, bis sie eine größere Streitmacht herführen. Bis dahin haben sich uns vielleicht schon weitere Soldaten angeschlossen, und wir können mit dem Vormarsch beginnen.«
Harold tauchte sein Brot in die Schale und fischte ein Stück Speck heraus. »Adie, wie stehen deiner Ansicht nach die Chancen, daß wir Hilfe aus Nicobarese bekommen?«
»Meine Heimat ist in Aufruhr. Als Zedd und ich dort waren, haben wir erfahren, daß der König tot ist. Der Lebensborn ist eingerückt, um die Macht an sich zu reißen, aber nicht alle Menschen sind glücklich darüber. Am wenigsten die Magierinnen. Wenn der Lebensborn die Macht übernimmt, wird man diese Frauen verfolgen und töten. Ich erwarte, daß die Magierinnen jede Armee unterstützen werden, die sich dem Lebensborn widersetzt.«
»In einem Bürgerkrieg«, meinte Zedd und unterbrach seine zügige Löffelei, »läßt es nichts Gutes ahnen, wenn man Truppen entsendet, um den Midlands zu helfen.«
Adie seufzte. »Zedd hat recht.«
»Vielleicht könnten einige der Magierinnen helfen?« schlug Kahlan vor.
Adie rührte mit dem Löffel in den Bohnen. »Vielleicht.«
Kahlan sah hinüber zu ihrem Halbbruder. »Aber ihr habt Truppen in anderen Gebieten, die ihr hinzuziehen könnt.«
Harold nickte. »Sicher. Wenigstens sechzig- oder siebzigtausend, vielleicht sogar bis zu einhunderttausend Mann können bereitgestellt werden, wenn auch nicht alle gut ausgebildet und gut bewaffnet sind. Es wird eine Zeit dauern, sie zu organisieren, aber wenn es soweit ist, wird Ebinissia eine Macht sein, mit der man rechnen muß.«
»Wir hatten schon einmal annähernd so viele Soldaten hier«, erinnerte sie Hauptmann Ryan, ohne von seiner Schale aufzusehen, »und es hat nicht gereicht.«
»Stimmt«, meinte Harold und schwenkte sein Brot. »Aber das ist nur der Anfang.« Er sah Kahlan an. »Du kannst noch mehr Länder zusammenführen, nicht wahr?«
»Das hoffen wir«, sagte sie. »Wir müssen die Midlands um uns vereinen, wenn wir eine Chance haben wollen.«
»Was ist mit Sanderia?« wollte Hauptmann Ryan wissen. »Ihre Lanzen sind die besten in den Midlands.«
»Und Lifany«, meinte Harold. »Dort stellt man ebenfalls eine Menge guter Waffen her und weiß sie zu gebrauchen.«
Kahlan zupfte das Weiche aus ihrem Brot. »Sanderia ist darauf angewiesen, das es seine Schafherden im Sommer in Kelton grasen lassen kann. Lifany bezieht Eisen aus Kelton und verkauft ihnen Getreide. Herjborgue ist von der Wolle aus Sanderia abhängig. Ich könnte mir vorstellen, daß sie alle Kelton folgen.«
Harold stach seinen Löffel in die Bohnen. »Unter den Soldaten, die Ebinissia angegriffen haben, waren auch Tote aus Kelton.«
»Und Galeaner.« Kahlan steckte das Brot in den Mund und kaute einen Augenblick, während sie beobachtete, wie Harold den Löffel wie ein Messer packte. Er starrte wütend in seine Schale.
»Rebellen und Mörder aus vielen Ländern haben sich ihnen angeschlossen«, sagte sie, nachdem sie es hinuntergeschluckt hatte. »Das heißt aber nicht, daß ihre Heimatländer das ebenfalls tun werden. Prinz Fyren aus Kelton hat sein Land der Imperialen Ordnung übergeben, aber der ist mittlerweile tot. Wir befinden uns nicht im Krieg mit Kelton. Kelton ist ein Teil der Midlands. Wir befinden uns im Krieg mit der Imperialen Ordnung. Wir müssen zusammenhalten. Wenn Kelton sich uns anschließt, werden die anderen fast gezwungen sein, dies ebenfalls zu tun. Wenn sie sich aber an die Imperiale Ordnung halten, wird es uns schwerfallen, die anderen davon zu überzeugen, daß sie sich uns anschließen sollen. Wir müssen Kelton auf unsere Seite bringen und sie an uns binden.«
»Ich wette, Kelton schließt sich der Imperialen Ordnung an«, meinte Ahern. Alles drehte sich zu ihm um. Er zuckte die Achseln. »Ich bin Keltonier. Eins verrate ich Euch, sie werden tun, was die Krone tut. So ist unser Volk nun mal. Mit Fyrens Tod wäre dann Herzogin Lumholtz die nächste in der Erbfolge. Sie und ihr Gatte, der Herzog, werden sich auf die Seite schlagen, die ihrer Ansicht nach siegen wird, ganz gleich, wer das ist. Wenigstens ist das, nach allem, was ich über sie gehört habe, meine Meinung.«
»Das ist Unsinn!« Harold warf seinen Löffel hin. »Sosehr ich den Keltoniern mißtraue — das soll keine Beleidigung sein, Ahern — und ihre intrigante Art kenne, im Grunde sind sie Bürger der Midlands. Mag sein, daß sie sich jedes Fleckchen Acker unter den Nagel reißen, das in umstrittenem Grenzland liegt, und es für keltonisch erklären, aber die Menschen sind immer noch Bürger der Midlands.
Die Seelen wissen, daß Cyrilla und ich oft gestritten haben. Aber wenn es um ernste Schwierigkeiten ging, haben wir immer zusammengehalten. Das gleiche gilt für unsere Länder. Als D’Hara letzten Sommer angriff, haben wir gekämpft, um Kelton zu beschützen — trotz einiger Unstimmigkeiten. Wenn es um die Zukunft der Midlands geht, werden sich die Keltonier uns anschließen. Die Midlands bedeuten mehr als das, was jemand, der eben erst den Thron bestiegen hat, darüber sagen kann.« Harold schnappte sich seinen Löffel und schwenkte ihn in Aherns Richtung. »Was meinst du dazu?«
Ahern zuckte mit den Achseln. »Nichts, denke ich.«
Zedds Augen wanderten zwischen den beiden hin und her. »Wir sind nicht hier, um zu streiten. Wir sind hier, um einen Krieg zu führen. Sag, was immer deine Überzeugung ist, Ahern. Du bist Keltonier und weißt wahrscheinlich mehr darüber als wir.«
Ahern kratzte sich das wettergegerbte Gesicht und ließ sich Zedds Worte durch den Kopf gehen. »General Baldwin, der Befehlshaber aller Keltonischen Streitkräfte, und seine Generäle Bradford, Cutter und Emerson werden sich auf dieselbe Seite schlagen wie die Krone. Ich kenne diese Männer nicht, ich bin nur ein Kutscher, aber ich komme eine Menge rum und höre viel, und das ist es, was man sich von ihnen erzählt. Unter den Leuten macht ein Spruch die Runde: Wenn die Königin ihre Krone aus dem Fenster wirft und sie sich auf dem Geweih eines Hirsches verfängt, ernährt sich die gesamte Armee innerhalb eines Monats von Gras.«
»Und nach allem, was du gehört hast, bist du tatsächlich überzeugt, daß diese zur Königin gewordene Herzogin sich der Imperialen Ordnung anschließt, nur weil sie dadurch eine Chance auf die Macht bekommt — selbst wenn das den Bruch mit den Midlands bedeutet?« fragte Zedd.
Ahern zuckte mit den Achseln. »Das ist nur meine Meinung, versteht mich nicht falsch. Aber ich denke, so wird es sein.«
Kahlan fischte ohne aufzusehen ein Stück Süßwurzel heraus und meinte: »Ahern hat recht. Ich kenne Cathryn Lumholtz und ihren Mann, den Herzog. Sie wird Königin werden. Sie läßt sich zwar von ihrem Mann beraten, ist aber ohnehin derselben Meinung wie er. Prinz Fyren wäre König geworden, und ich denke, er hätte zu uns gehalten, egal, was geschieht. Aber irgend jemand aus der Imperialen Ordnung hat ihn für ihre Seite gewonnen, und er hat uns verraten. Ich bin sicher, Cathryn Lumholtz wird ein ähnliches Angebot von der Imperialen Ordnung bekommen. In diesem Angebot wird sie die Chance zur Macht sehen.«
Harold langte über den Tisch und nahm sich noch etwas Brot. »Wenn sie das tut und Ahern recht hat, dann haben wir Kelton verloren. Und das mindert unsere Aussicht auf Erfolg.«
»Das wäre nicht gut«, bemerkte Adie. »Nicobarese steckt in Schwierigkeiten, Galea ist geschwächt, weil so viele aus seiner Armee in Ebinissia getötet wurden, und Kelton tendiert zur Imperialen Ordnung — und mit ihm eine ganze Reihe von Ländern, die seine Handelspartner sind.«
»Und dann sind da noch andere, die im Falle eines —«
»Genug.« Der autoritäre Ton in Kahlans Stimme ließ alle rings um den Tisch verstummen. Ihr war eingefallen, was Richard stets sagte, wenn ihre Schwierigkeiten größer waren als die Chancen, sich aus ihnen herauszuwinden: Denk an die Lösung, nicht an das Problem. Wenn man den Kopf voller Gedanken hatte, woran man scheitern mußte, konnte man nicht mehr überlegen, wie man siegte.
»Hört auf, mir zu erzählen, daß wir die Midlands nicht wieder zusammenbringen und warum wir nicht gewinnen können. Wir müssen über die Lösung diskutieren.«
Zedd lächelte über seinen Löffel hinweg. »Wohl gesprochen, Mutter Konfessor. Ich denke, wir müssen uns etwas einfallen lassen. Zum einen gibt es eine Reihe kleinerer Länder, die den Midlands, was auch geschieht, treu ergeben bleiben werden. Deren Vertreter müssen wir in Ebinissia versammeln und dann mit dem Wiederaufbau des Rates beginnen.«
»Stimmt«, meinte Kahlan. »Sie sind vielleicht nicht so mächtig wie Kelton, aber eine große Zahl kann durchaus auch eine Wirkung haben.«
Kahlan schlug ihren Fellmantel auf. Das knisternde Feuer hatte den Raum erwärmt und das warme Essen ein wenig ihren Bauch, trotzdem war es die Sorge, die sie schwitzen ließ. Sie konnte es kaum noch abwarten, daß Richard zu ihnen stieß. Er hatte bestimmt eine Idee. Richard saß niemals herum und ließ sich von den Geschehnissen beherrschen wie sie. Sie beobachtete die anderen, die mit düsterer Miene über ihre Schalen gebeugt dasaßen und über ihre Möglichkeiten grübelten.
»Nun«, sagte Adie und legte ihren Löffel aus der Hand, »ich bin sicher, wir können ein paar Magierinnen aus Nicobarese überreden, sich uns anzuschließen. Das wäre eine mächtige Hilfe. Einige von ihnen werden sich zwar weigern, aber sie wären bestimmt nicht abgeneigt, uns auf andere Weise zu helfen. Keine von ihnen möchte den Lebensborn oder seine Verbündeten, die Imperiale Ordnung, in den Midlands an der Macht sehen. Die meisten kennen die Schrecken aus der Vergangenheit und wollen nicht, daß diese Zeiten wiederkommen.«
»Gut«, meinte Kahlan. »Das ist gut. Meinst du, du könntest dorthin gehen und sie überzeugen, sich uns anzuschließen? Und vielleicht auch Teile der regulären Armee überreden, uns zu helfen? Schließlich würde es den Bürgerkrieg ja gar nicht geben, wenn nicht wenigstens einige bereit wären, die Midlands zu unterstützen.«
Adie sah Kahlan einen Augenblick lang aus ihren vollkommen weißen Augen an. »Für eine so wichtige Sache werde ich es natürlich versuchen.«
Kahlan nickte. »Danke, Adie.« Sie blickte zu den anderen hinüber. »Was noch? Irgendwelche Ideen?«
Harold stützte einen Ellenbogen auf den Tisch und legte nachdenklich die Stirn in Falten. Er wedelte mit seinem Löffel. »Ich denke, wenn ich ein paar Offiziere als offizielle Delegation in einige der kleineren Länder schicke, könnte man die Leute dort überzeugen, ihre Vertreter nach Ebinissia zu entsenden. Galea steht bei den meisten in hohem Ansehen, und die Leute wissen, daß die Midlands sich für ihre Freiheit eingesetzt haben. Sie werden uns helfen.«
»Und wenn ich vielleicht«, sagte Zedd mit einem verschlagenen Grinsen, »diese Königin Lumholtz aufsuchen würde, als Erster Zauberer wohlgemerkt, könnte ich sie vielleicht davon überzeugen, daß die Midlands noch nicht völlig entmachtet sind.«
Kahlan kannte Cathryn Lumholtz, aber sie wollte nicht die noch ganz frische Hoffnung zunichte machen, die mit Zedds Idee aufkeimte. Schließlich war sie es gewesen, die gesagt hatte, man müsse an die Lösungen denken und nicht an das Problem.
Was ihr nach wie vor eine entsetzliche Angst machte, war die Vorstellung, daß sie diejenige Mutter Konfessor war, die die Midlands verloren hatte.
Nach dem Abendessen zogen Prinz Harold und Hauptmann Ryan los, um sich um die Soldaten zu kümmern. Ahern warf sich seinen langen Mantel über die breiten Schultern und sagte, er müsse nach seinen Leuten sehen.
Nachdem sie gegangen waren, ergriff Zedd Jebras Arm, als diese gerade Kahlan beim Einsammeln der Schalen helfen wollte.
»Willst du mir jetzt vielleicht erzählen, was du siehst, jedesmal, wenn du in meine Richtung schaust?«
Jebra, mit ihren blauen Augen, wich seinem Blick aus, nahm noch einen weiteren Löffel auf und legte ihn zu den anderen, die sie bereits in der Hand hielt. »Es ist nichts.«
»Das würde ich gerne selbst beurteilen, wenn es dir nichts ausmacht.«
Sie zögerte, dann sah sie zu ihm auf. »Flügel.«
Zedd zog eine Augenbraue hoch. »Flügel?«
Sie nickte. »Ich sehe dich mit Flügeln. Siehst du? Es ergibt keinen Sinn. Es handelt sich bestimmt um eine Vision, die keinerlei Bedeutung hat. Ich hab dir doch gesagt, daß ich manchmal solche Visionen habe.«
»Das ist alles? Nur Flügel?«
Jebra zupfte nervös an ihrem kurzen, sandfarbenen Haar. »Nun, du schwebst hoch oben in der Luft, mit diesen Flügeln, und dann wirst du in einem riesigen Feuerball fallen gelassen.« Die feinen Fältchen in ihren Augenwinkeln wurden tiefer. »Ich weiß nicht, was es bedeutet, Zauberer Zorander. Es ist kein Ereignis — du weißt, wie meine Visionen manchmal funktionieren —, sondern ein Gefühl von Ereignissen. Ich weiß nicht, was sie bedeuten, so verwirrt sind sie.«
Zedd ließ ihren Arm los. »Ich danke dir, Jebra. Wenn du noch irgend etwas herausfindest, erzählst du mir doch davon?« Sie nickte. »Und zwar gleich. Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können.«
Ihre Augen suchten den Boden, während sie erneut nickte. Sie deutete mit dem Kopf auf Kahlan. »Kreise. Ich sehe die Mutter Konfessor in Kreisen herumlaufen.«
»Kreise?« fragte Kahlan und kam näher. »Wieso laufe ich in Kreisen herum?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Nun, ich habe jetzt schon das Gefühl, im Kreis herumzulaufen, während ich versuche, einen Weg zu finden, die Midlands wieder zusammenzubringen.«
Jebra hob hoffnungsvoll den Kopf. »Das könnte es sein.«
Kahlan lächelte sie an. »Vielleicht. Deine Visionen haben nicht immer mit Katastrophen zu tun.«
Sie wollten gerade mit dem Aufräumen weitermachen, als Jebra noch einmal das Wort ergriff. »Mutter Konfessor, wir dürfen deine Schwester nicht mit Stricken alleine lassen.«
»Was soll das heißen?«
Jebra atmete geräuschvoll aus. »Sie träumt davon, sich zu erhängen.«
»Willst du damit sagen, du hast eine Vision gesehen, wie sie sich erhängt?«
Jebra legte Kahlan besorgt die Hand auf den Arm. »O nein, Mutter Konfessor, das habe ich nicht gesehen. Es ist nur so, daß ich die Aura sehen kann. Ich kann sehen, daß sie davon träumt. Das bedeutet nicht, daß sie es auch wirklich tut. Nur, daß wir sie im Auge behalten müssen, damit sie keine Gelegenheit findet, bevor sie sich erholt hat.«
»Klingt vernünftig«, meinte Zedd.
Jebra band das übriggebliebene Brot in ein Tuch. »Ich werde heute nacht bei ihr schlafen.«
»Danke«, sagte Kahlan. »Warum läßt du mich nicht zu Ende aufräumen und gehst sofort zu Bett, für den Fall, daß sie aufwacht.«
Zedd, Adie und Kahlan teilten sich die Hausarbeit, nachdem Jebra mit ihrem zusammengerollten Bettzeug in Cyrillas Zimmer gegangen war. Als sie fertig waren, stellte Zedd für Adie einen Stuhl vors Feuer. Kahlan stand mit locker gefalteten Händen da und blickte in die Flammen.
»Zedd, wenn wir die Delegationen in die kleinen Länder entsenden, um sie zum Rat nach Ebinissia zu bitten, wäre es leichter, sie zu überzeugen, wenn es eine offizielle Delegation der Mutter Konfessor wäre.«
Nach einer Weile antwortete Zedd: »Sie alle glauben, die Mutter Konfessor sei tot. Wenn wir sie darüber informieren, daß du lebst, wirst du zur Zielscheibe. Das würde uns die Imperiale Ordnung auf den Hals hetzen, bevor wir eine genügend starke Streitmacht zusammenstellen können.«
Kahlan drehte sich um und packte ihn an seinem Gewand. »Ich bin es leid, tot zu sein, Zedd.«
Er tätschelte ihre Hand auf seinem Arm. »Du bist Königin von Galea, und fürs erste kannst du auf diese Weise deinen Einfluß geltend machen. Wenn die Imperiale Ordnung erfährt, daß du noch lebst, bekommen wir mehr Schwierigkeiten, als wir zur Zeit gebrauchen können.«
»Wenn wir die Midlands vereinen wollen, dann brauchen sie eine Mutter Konfessor.«
»Kahlan, ich weiß, du willst nichts unternehmen, was das Leben der Männer dort draußen aufs Spiel setzen könnte. Sie haben gerade eine verlustreiche Schlacht gewonnen, sie sind noch nicht stark genug. Wir brauchen viel mehr Soldaten auf unserer Seite. Wenn irgend jemand deine wahre Identität erfährt, wirst du zur Zielscheibe, und sie müssen kämpfen, um dich zu beschützen. Im Augenblick können wir keine zusätzlichen Schwierigkeiten gebrauchen.«
Kahlan preßte die Fingerspitzen aneinander und starrte ins Feuer. »Ich bin die Mutter Konfessor, Zedd. Ich habe fürchterliche Angst, daß ich die Mutter Konfessor sein werde, die bei ihrem Untergang über die Midlands herrscht. Ich wurde als Konfessor geboren. Das ist mehr als nur eine Aufgabe. Das ist mein Wesen.«
Zedd nahm sie in den Arm. »Liebes, du bist nach wie vor die Mutter Konfessor. Aus diesem Grund müssen wir zur Zeit deine Identität geheimhalten. Wir brauchen die Mutter Konfessor. Wenn die Zeit kommt, wirst du wieder über die Midlands herrschen, Midlands, die stärker sind als je zuvor. Hab Geduld.«
»Geduld«, murmelte sie.
»Ja, doch«, entgegnete er schmunzelnd, »auch Geduld hat etwas von Magie, mußt du wissen.«
»Zedd hat recht«, sagte Adie von ihrem Stuhl aus. »Kein Wolf überlebt, wenn er der Herde gegenüber verkündet, daß er ein Wolf ist. Er schmiedet seine Angriffspläne, und erst im allerletzten Moment läßt er die Beute wissen, daß er es ist, der Wolf, der es auf sie abgesehen hat.«
Kahlan rieb sich die Arme. Dahinter steckte noch mehr — es gab einen weiteren Grund.
»Zedd«, flüsterte sie gequält. »Ich ertrage diesen Bann nicht länger. Er macht mich wahnsinnig. Das Gefühl ist immer da. Es ist, als wandele der Tod in meinem Körper umher.«
Zedd zog ihre Hand hinauf auf seine Schulter. »Meine Tochter meinte das auch immer. Sie benutzte sogar genau die gleichen Worte, ›als wandelte der Tod in meinem Körper umher‹.«
»Wie hat sie das all die Jahre ausgehalten?«
Zedd seufzte. »Nun, nachdem Darken Rahl sie vergewaltigt hatte, wußte ich, er würde ihr nachstellen, wenn er erfährt, daß sie noch lebt. Ich hatte keine Wahl. Sie zu schützen war mir wichtiger, als ihn zu jagen. Ich brachte sie in die Midlands, wo Richard geboren wurde. Und dann hatte sie noch einen weiteren Grund, sich zu verstecken. Wenn Darken Rahl jemals dahintergekommen wäre, hätte er auch Richard gejagt. Deshalb blieb ihr gar nichts anderes übrig, als durchzuhalten.«
Kahlan erschauderte. »All die Jahre. Ich hätte nicht die Kraft dazu gehabt. Wie hat sie das nur ausgehalten?«
»Nun, zum einen hatte sie gar keine andere Wahl. Zum anderen hat sie sich nach einer Weile ein wenig daran gewöhnt. Es ist nicht mehr so schlimm gewesen wie zu Beginn. Das Gefühl läßt mit der Zeit ein bißchen nach. Du wirst dich daran gewöhnen und hoffentlich nicht mehr lange so weitermachen müssen.«
»Hoffentlich«, sagte Kahlan.
Der flackernde Schein des Feuers fiel auf Zedds Gesicht. »Außerdem meinte sie, es sei ihr ein wenig leichter gefallen, weil sie Richard hatte.«
Kahlans Herz tat einen Sprung, als sie seinen Namen hörte. Sie mußte lächeln. »Davon bin ich überzeugt.« Sie ergriff Zedds Arm. »Er wird bald hier sein. Er wird sich durch nichts aufhalten lassen. Spätestens in ein, zwei Wochen ist er hier. Gütige Seelen, wie soll ich es nur so lange aushalten!«
Zedd lachte stillvergnügt in sich hinein. »Du hast ebensowenig Geduld wie dieser Junge. Ihr zwei seid füreinander wie geschaffen.« Er strich ihr das Haar zurück. »Deine Augen sehen schon besser aus, Liebes.«
»Wenn Richard erst bei uns ist und wir damit beginnen, die Midlands wieder zusammenzufügen, kannst du diesen Todesbann von mir nehmen. Dann werden die Midlands wieder eine Mutter Konfessor haben.«
»Mir geht es auch nicht schnell genug.«
Kahlan wurde nachdenklich. »Zedd, angenommen, du suchst Königin Cathryn auf, und ich muß diesen Bann loswerden, wie kann ich das machen?«
Zedd sah wieder in die Flammen. »Gar nicht. Angenommen, du gibst bekannt, daß du die Mutter Konfessor bist — dann würden dir die Menschen ebensowenig glauben, als wenn Jebra verkünden würde, sie sei die Mutter Konfessor. Der Bann wird dadurch nicht einfach aufgehoben.«
»Wie werde ich ihn dann los?«
Zedd seufzte. »Nur durch mich.«
»Aber es muß doch noch eine andere Möglichkeit geben, den Bann aufzuheben. Richard vielleicht?«
Zedd schüttelte den Kopf. »Selbst wenn Richard wüßte, was es heißt, ein Zauberer zu sein, könnte er das Netz nicht entfernen. Das kann nur ich.«
»Und das ist der einzige Weg.«
»Ja.« Er sah ihr wieder in die Augen. »Es sei denn natürlich, ein anderer mit der Gabe käme hinter deine wahre Identität. Wenn ein solcher Mann dich sähe und begriffe, wer du bist, und deinen Namen laut ausspräche, dann bräche das ebenfalls den Bann, und alle wüßten, wer du bist.«
Darauf bestand keine Hoffnung. Sie spürte, wie sie der Mut verließ. Kahlan ging in die Hocke und schob einen weiteren Ast ins Feuer. Ihre einzige Möglichkeit, den Todesbann loszuwerden, war Zedd, und der würde es erst tun, wenn er bereit dazu wäre.
Als Mutter Konfessor würde sie keinem Zauberer einen Befehl erteilen, der, wie sie beide wußten, falsch wäre.
Kahlan sah zu, wie die Funken stoben. Ihre Miene hellte sich auf. Bald würde Richard bei ihr sein, und dann wäre alles nur noch halb so schlimm. Wenn Richard bei ihr wäre, würde sie nicht an den Bann denken. Sie wäre viel zu sehr damit beschäftigt, ihn zu küssen.
»Was ist so komisch?« erkundigte sich Zedd.
»Was? Ach nichts.« Sie stand auf und wischte sich die Hände an den Hosen ab. »Ich denke, ich werde hinausgehen und mich um die Soldaten kümmern. Vielleicht vertreibt ein wenig kalte Luft den Bann aus meinen Gedanken.«
Die kalte Luft tat ihr tatsächlich gut. Kahlan stand auf der Lichtung vor dem kleinen Farmhaus und atmete tief durch. Der Rauch des Holzfeuers roch angenehm. Sie rief sich die vergangenen Tage ins Gedächtnis zurück, als sie marschiert waren und ihre Finger sich angefühlt hatten, als wären sie erfroren, sie dachte daran, wie ihr die Ohren von der beißenden Kälte gebrannt hatten, an ihre laufende Nase, und wie sie sich den Rauch eines Holzfeuers vorgestellt hatte, denn der bedeutete ein warmes Feuer.
Kahlan schlenderte über das Feld vor dem Haus. Sie blickte hinauf zu den Sternen. Ihr Atem wehte langsam in der stillen Luft davon. Sie konnte kleine Feuer erkennen, die das Tal weiter hinten übersäten, und sie konnte die gemurmelten Gespräche der Soldaten hören, die um die Feuer saßen. Glücklicherweise konnten auch sie in dieser Nacht Feuer machen. Bald wären sie in Ebinissia, wo sie es wieder warm hätten.
Kahlan sog die kalte Luft tief in sich hinein und versuchte, den Bann zu vergessen. Der gesamte Himmel glitzerte von Sternen, wie Funken eines riesigen Feuers. Sie fragte sich, was Richard wohl gerade tat, ob er eilig ritt oder sich ein wenig schlafen gelegt hatte. Sie sehnte sich danach, ihn wiederzusehen, er sollte sich aber auch ausruhen. Wenn er endlich bei ihr war, konnte sie in seinen Armen schlafen. Sie mußte schmunzeln, als sie daran dachte.
Kahlan runzelte die Stirn, als sich ein Teil des Sternenhimmels verdunkelte. Einen winzigen Augenblick später war er wieder voller blinkender Lichtpunkte. Hatte sie tatsächlich gesehen, daß er sich für einen winzigen Augenblick verdunkelte? Es muß wohl Einbildung gewesen sein, dachte sie.
Sie hörte, wie etwas mit dumpfem Schlag auf dem Boden landete. Niemand schlug Alarm. Es gab nur ein Wesen, das ihre Verteidigungslinie durchbrechen konnte, ohne Alarm auszulösen. Plötzlich bekam sie am ganzen Körper eine Gänsehaut, und diesmal war es nicht der Bann.
Kahlan riß ihr Messer heraus.