Die Stors brachten Allanon ins Krankenhaus. Wil und Flick wollten den verwundeten Druiden begleiten, doch man gab ihnen mit freundlicher Bestimmtheit zu verstehen, daß ihre Hilfe weder erforderlich noch erwünscht sei. Schweigend und rätselhaft verschwanden die Stors und der Druide in den Gängen des Krankenhauses, und die beiden Talbewohner blieben draußen im Regen zurück. Da im Augenblick keine weiteren Auskünfte über das Kommen des Druiden zu erwarten waren, wünschte Wil Ohmsford seinem Onkel gute Nacht und zog sich zurück. Am frühen Abend desselben Tages ließ Allanon den beiden Talbewohnern mitteilen, daß er sie zu sprechen wünsche. Wil nahm die Nachricht mit gemischten Gefühlen auf. Einerseits war er neugierig und gespannt darauf zu erfahren, was dem Druiden zugestoßen war. Allanon war ihm aus den Geschichten, die sein Großvater und Flick immer wieder erzählt hatten, wohl vertraut. Doch nirgends in den Berichten war von Verletzungen die Rede gewesen, die so schwer waren wie jene, die der Druide offensichtlich vor seiner Ankunft in Storlock erlitten hatte. Nicht einmal der Schädelträger, der ihn auf der Suche nach dem Schwert von Shannara in der Feuerkammer von Paranor überfallen hatte, hatte ihn so übel zugerichtet, und Wil hätte gern gewußt, was für ein schreckliches Wesen es war, das gefährlicher war als die geflügelten Kämpfer des Dämonen-Lords.
Andererseits beunruhigte ihn das Auftauchen des Druiden in Storlock. Es mochte Zufall sein, daß Allanon gerade zu einer Zeit gekommen war, als Flick und Wil sich beide im Dorf aufhielten. Es konnte Zufall sein, daß er gerade auf sie gestoßen war. Doch daran glaubte Wil nicht. Allanon war mit Bedacht zu ihnen gekommen. Aber aus welchem Grund? Und warum bat er sie nun zu dieser Zusammenkunft? Daß Allanon mit Flick sprechen wollte, konnte Wil noch verstehen; sie kannten einander und teilten gemeinsame Erinnerungen. Doch was wollte er von Wil? Der Druide kannte den jüngsten Ohmsford nicht einmal. Welches Interesse konnte Allanon an einem Zusammentreffen mit ihm haben ?
Trotz dieser Zweifel machte er sich gehorsam auf den Weg und eilte in der dichter werdenden Dunkelheit über den Dorfplatz zum Gästepavillon, wo, wie er wußte, Flick ihn erwartete. Wenn er auch hinsichtlich des Zwecks dieser Zusammenkunft äußerst mißtrauisch war, war er doch entschlossen hinzugehen. Er zählte nicht zu denen, die der Mut verläßt, wenn es brenzlich wird; außerdem konnte er sich irren. Vielleicht wollte der Druide ihm lediglich für seine Hilfe danken.
Flick wartete schon auf der Veranda des Gastepavillons, als Wil ankam. Er hatte sich fest in seinen schweren Reiseumhang vermummt und brummelte ärgerlich über das Wetter. Recht unwirsch kam er die Treppe herunter, und die beiden Männer machten sich auf den Weg zum Krankenhaus von Storlock.
»Was meinst du, was er von uns will, Onkel Hick?« fragte Wil nach einer Weile und zog dabei seinen eigenen Mantel fester um sich, um sich gegen die abendliche Kühle besser zu schützen.
»Schwer zu sagen«, brummte Flick. »Aber eines kann ich dir versichern: Jedesmal wenn er auftaucht, gibt’s Verdruß.«
»Sein Auftauchen in Storlock hat doch etwas mit uns zu tun, nicht wahr?« meinte Wil.
Flick schüttelte unsicher den Kopf.
»Sicher, ohne Grund ist er bestimmt nicht hierher gekommen. Und nur um uns Guten Tag zu sagen, hat er uns auch nicht zu sich gerufen. Ich sag’s dir, Wil, ganz gleich, was er uns mitzuteilen hat, es ist bestimmt nichts, was wir gern hören. Das weiß ich bestimmt. Es war immer so, und ich sehe keinen Grund, diesmal etwas anderes zu erwarten.« Unvermittelt blieb er stehen und blickte seinen Großneffen an. »Sei auf der Hut, Wil. Diesem Burschen kann man nicht über den Weg trauen.«
»Ich gebe schon acht, Onkel Flick, aber ich glaube nicht, daß wir uns Sorgen machen müssen«, erwiderte Wil. »Wir wissen doch beide einiges über Allanon, nicht wahr? Außerdem bist du ja dabei, um darauf zu achten, daß alles seine Ordnung hat.«
»Und genau das werde ich tun.« Flick wandte sich wieder ab und setzte den Weg fort. »Vergiß nur nicht, was ich dir gesagt habe.«
Bald darauf stiegen sie die Stufen zur Veranda des Krankenhauses hinauf und betraten das Gebäude. Es war ein langer, flacher Bau aus Stein, dessen Dach mit Lehmziegeln gedeckt war. Ein weiträumiges, behaglich eingerichtetes Foyer führte zu beiden Seiten in Gänge, die in verschiedene Trakte mündeten. Als die beiden Männer eintraten, kam ihnen einer der weißgekleideten Stors, die Aufsichtsdienst hatten, entgegen, um sie zu begrüßen. Wortlos winkte er ihnen und führte sie einen langen, leeren Gang hinunter. An seinem Ende befand sich eine geschlossene Tür. Der Stor klopfte einmal, drehte sich um und ging davon. Wil warf Flick einen Blick voller Unbehagen zu, doch der ältere Ohmsford starrte wie gebannt auf die verschlossene Tür. Stumm warteten sie.
Dann schwang die Tür plötzlich auf, und Allanon stand vor ihnen. Er sah aus, als sei er überhaupt nie verletzt gewesen. Nicht eine Wunde war sichtbar. Die schwarzen Gewänder, die seine hochgewachsene Gestalt einhüllten, blitzten vor Sauberkeit; von Blutflecken keine Spur mehr. Sein Gesicht wirkte etwas eingefallen, ließ jedoch kein Anzeichen von Schmerz erkennen. Sein durchdringender Blick richtete sich geraume Zeit auf die beiden Talbewohner, dann winkte er und deutete auf einen kleinen Tisch, an dem vier Stühle standen.
»Setzen wir uns doch zum Gespräch.« Der Vorschlag klang beinahe wie ein Befehl.
Sie traten ein und nahmen auf den Stühlen Platz. Der kleine Raum war fensterlos; abgesehen von dem Tisch und den Stühlen und einem großen Bett war er leer. Wil sah sich flüchtig um, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Druiden. Allanon war ihm von Flick und Shea wohl ein dutzendmal beschrieben worden, und er entsprach genau diesen Beschreibungen. Wie aber konnte das sein, fragte sich Wil, da doch die Schilderungen einem Mann galten, den sein Großvater und sein Großonkel seit der Zeit vor seiner — Wils — Geburt nicht mehr zu Gesicht bekommen hatten?
»Also, da wären wir«, bemerkte Flick, als es den Anschein hatte, daß keiner bereit war, die Unterredung einzuleiten.
Allanon lächelte schwach. »So scheint es.«
»Ihr seht wieder recht gesund aus für einen Mann, der noch vor wenigen Stunden mehr tot als lebendig war.«
»Die Stors sind Meister in ihrer Kunst, wie gerade du wissen solltest«, erwiderte der Druide etwas zu freundlich. »Aber leider fühle ich mich nicht halb so wohl, wie ich es gerne möchte. Und wie geht es dir, Flick?«
»Ich bin älter und weiser geworden — so hoffe ich jedenfalls«, entgegnete der Talbewohner vielsagend.
Allanon ging nicht darauf ein. Sein Blick wanderte unvermittelt zu Wil. Eine Weile saß er schweigend da, das dunkle Gesicht unergründlich, während er den jüngeren Ohmsford aufmerksam betrachtete. Wil ließ die Prüfung ruhig über sich ergehen und wandte seinerseits den Blick nicht ab, obwohl ihm unter den Augen des Druiden recht unbehaglich wurde. Mit einer langsamen Bewegung beugte Allanon sich dann vor, legte die großen Hände auf den Tisch und faltete sie ineinander. »Ich bedarf deiner Hilfe, Wil Ohmsford«, erklärte er sachlich. Die beiden Talbewohner starrten ihn an. »Du mußt mit mir ins Westland ziehen.«
»Ich hab’s ja gewußt«, murmelte Flick kopfschüttelnd.
Allanon lächelte wehmütig.
»Es ist ein Trost zu wissen, Flick, daß gewisse Dinge im Leben sich niemals ändern. Dafür bist du eindeutig der Beweis. Würde es in deinen Augen einen Unterschied machen, wenn ich dir sagte, daß nicht ich Wils Hilfe brauche, sondern das Elfenvolk und insbesondere ein junges Elfenmädchen?«
»Nein«, versetzte der Talbewohner ohne zu zögern. »Er kommt nicht mit, und dabei bleibt es.«
»Augenblick, Onkel Flick«, warf Wil hastig ein. »Es kann gut sein, daß ich nicht mitgehe, dennoch würde ich diese Entscheidung gern selbst treffen. Zumindest können wir uns etwas mehr darüber erzählen lassen, warum und in welcher Form meine Hilfe vonnöten sein soll.«
Flick ignorierte die Zurechtweisung.
»Glaub mir, es ist das beste, wenn du das Gespräch auf der Stelle abbrichst. Genauso nämlich fing der Ärger stets an. Genauso nämlich nahm er vor fünfzig Jahren für deinen Großvater seinen Anfang.« Er warf einen flüchtigen Blick auf Allanon. »Stimmt das, oder stimmt es nicht? Ging es nicht genauso los, als ihr nach Shady Vale kamt und uns von dem Schwert erzählt habt?«
Allanon nickte. »Doch, das ist wahr.«
»Na bitte — da hast du’s!« rief Flick triumphierend aus. »Genau das gleiche. Ich wette, dieses Unternehmen, das ihr da für ihn geplant habt, ist ebenfalls gefährlich, oder vielleicht nicht?«
Wieder nickte der Druide.
»Na also!« Der Talbewohner lehnte sich zurück, und Befriedigung spiegelte sich in seinem bärtigen Gesicht. »Ich denke doch, daß die Angelegenheit damit erledigt ist. Ihr verlangt zuviel. Er kommt nicht mit.«
Allanons dunkle Augen funkelten glitzernd.
»Er muß.«
Flick fuhr empört hoch.
»Er muß?«
Der Druide nickte. »Du wirst den Grund verstehen, Flick, wenn ich euch erklärt habe, was in den letzten Tagen in den vier Ländern geschehen ist. Hört mir genau zu, Talbewohner.«
Er rückte seinen Stuhl näher an den Tisch heran und beugte sich vor.
»Vor langer, langer Zeit, noch vor den Großen Kriegen und der Entwicklung der neuen Rassen, ja, noch vor dem Heranwachsen des Menschen zu einem zivilisierten Wesen, wurde zwischen Geschöpfen, die größtenteils heute nicht mehr existieren, ein schrecklicher Kampf ausgefochten. Einige dieser Geschöpfe waren gut und liebevoll; sie liebten und achteten das Land und waren bestrebt, es vor Unbill und Ungemach zu bewahren. Ihnen war alles Leben heilig. Doch es gab auch andere, die böse und selbstsüchtig waren; ihre Lebensweise war zerstörerisch und rücksichtslos. Ohne Notwendigkeit und ohne Sinn beuteten sie das Land aus und alles Leben, das sie nährte.
Alle diese Geschöpfe besaßen körperliche Merkmale und geistige Fähigkeiten, die man bei den heutigen Erdenbewohnern nicht mehr vorfindet — das heißt, ihre äußere Erscheinung hatte mit eurer nichts gemein, und sie besaßen Fähigkeiten, die den Menschen dieser Welt heute nicht mehr eigen sind. Insbesondere verfügten sie in außerordentlichem Maße über Zauberkräfte — zumindest würden wir bei diesen besonderen Kräften von Zauber oder Hexerei oder dem Übersinnlichen sprechen. Solche Kräfte waren zu jener Zeit nicht außergewöhnlich, wenn auch einige dieser Geschöpfe in höherem Maße damit ausgestattet waren als andere; ihre Fähigkeiten zum Guten oder zum Bösen wurden auf diese Weise entsprechend verstärkt. Diese Geschöpfe nun, die Guten wie die Bösen, lebten gemeinsam auf der Welt, und da der Mensch sich noch nicht über eine primitive Lebensform hinaus entwickelt hatte, die nur auf einem eng abgegrenzten geographischen Raum existierte, gehörte die Welt ihnen allein. Dieser Zustand währte einige Jahrhunderte lang. Doch ihr Nebeneinander war niemals zu einem harmonischen Miteinander verschmolzen. Sie lebten in ständiger Zwietracht, denn ihre Ziele waren zu entgegengesetzt — die Guten wollten bewahren und erhalten, die Bösen zerstören. Von Zeit zu Zeit verschob sich das Gleichgewicht der Macht zwischen beiden Seiten, so daß einmal das Gute, dann wieder das Böse die Oberhand gewann.
Der Kampf zwischen den beiden Mächten tobte im Laufe der Jahre immer erbitterter, bis schließlich — nachdem Jahrhunderte ohne eine Lösung des Konflikts vergangen waren — die Anführer der beiden Lager alle jene um sich scharten, die sie unterstützten, um zum Entscheidungskampf anzutreten. Der Krieg brach aus. Doch dieser Krieg glich in nichts denen, die wir seither erlebt haben. Dies war nicht ein Krieg vom Rang der Großen Kriege; in den Großen Kriegen nämlich wurden Kräfte von solcher Gewalt und solchem Umfang eingesetzt, daß eben die Menschen, die sie anwendeten, völlig die Kontrolle darüber verloren und von der heraufbeschworenen Katastrophe vernichtet wurden. Nein, es war vielmehr ein Krieg, in dem Kraft und Macht bei jedem Manöver geschickt eingesetzt wurden — bei dem die Geschöpfe einander im Kampf von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, und Tod oder Überleben von den Fähigkeiten abhing, die sie besaßen. Dies war den Kriegen der Rassen ähnlich, die die Geschichte der neuen Welt bestimmt haben; in den Rassenkriegen verdarb der Dämonen-Lord die Denkart jener, die ihm dienten. Er hetzte sie gegeneinander auf, damit am Ende er sie alle unterwerfen und beherrschen konnte. In diesem Krieg gab es weder Lug noch Trug, der die Kämpfenden schwankend gemacht hätte. Gut und Böse standen einander von Anfang an als feindliche Kräfte gegenüber; niemand konnte sich in die Neutralität flüchten. Dieser Krieg wurde geführt, um ein für allemal das Wesen und die Art und Weise der Entwicklung des Lebens auf Erden zu bestimmen. Durch diesen Krieg sollte entschieden werden, ob das Land in Zukunft gehegt und gepflegt werden sollte oder aber auf immer geschändet. Jedes der beiden Lager war entschlossen, diesmal den Gegner vernichtend zu schlagen. Für die Geschöpfe des Bösen bedeutete eine Niederlage die Verbannung; für die Geschöpfe des Guten bedeutete sie Ausgelöschtwerden.
Es kam also, wie ich sagte, zum Krieg. Ein schrecklicher, grausamer Krieg, den in vollem Ausmaß zu schildern ich nicht in der Lage bin, da es sinnlos wäre. Für uns ist im Moment nur der Ausgang dieses Krieges wichtig. Die bösen Mächte wurden geschlagen, ihre Macht gebrochen, sie wurden immer weiter zurückgedrängt und schließlich gefangengenommen. Die Sieger verhängten einen Bannspruch der Verfemung und errichteten eine Mauer, hinter der das Böse eingekerkert wurde. Dieses Gefängnis des Bösen war nicht von dieser Welt, gehörte überhaupt keiner Welt an, sondern war ein schwarzes Verlies der Leere und der Abgetrenntheit, wo nichts als das Böse existieren durfte. Und in dieses Verlies des Nichts wurde das Böse verbannt, gefangen auf alle Zeiten hinter der Mauer der Verfemung.
Der Kraftspender, der die Mauer der Verfemung trug und stützte, war ein wunderbarer Baum mit Namen Ellcrys. Die Geschöpfe des Guten schufen den Ellcrys aus dem Lebensquell der Erde, den sie Blutfeuer nannten, und aus ihren eigenen Kräften. Sie brachten ihn zum Leben, damit durch sein In-der-Welt-Sein die Mauer der Verfemung fortdauern sollte, auch wenn sie selbst längst vergangen waren und die Welt, für deren Erhaltung sie so lange und erbittert gekämpft hatten, sich bis zur Unkenntlichkeit verändert und entwickelt hatte. Die Lebenszeit des Baumes sollte nicht nach Maßstäben bemessen sein, die ihnen geläufig waren. Doch solange er lebte, würde der Bannspruch der Verfemung weiter bestehen, und solange der Bannspruch der Verfemung galt, solange würde das Böse hinter seinen Mauern eingeschlossen sein.«
Behutsam stemmte er sich von dem Tisch, um die verkrampften Muskeln zu lockern, und ließ sich gegen die Rückenlehne des Sessels sinken. Seine Hände glitten auf seine Knie. Die dunklen Augen blieben unverwandt auf die beiden Talbewohner gerichtet.
»Man glaubte, daß der Ellcrys ewig leben würde — nicht jene glaubten das, die ihm das Leben gegeben hatten, denn diese wußten, daß alle Geschöpfe und Wesen eines Tages vergehen müssen, doch die, die nach ihnen kamen, glaubten es — alle jene, die diesen wundersamen Baum, der Jahrhunderte lang ihr Beschützer gewesen war, hegten und pflegten und liebten. Ihnen wurde der Ellcrys zu einem Symbol der Dauerhaftigkeit; er überlebte die Zerstörung der alten Welt während der Katastrophe der Großen Kriege, er überlebte die Rassenkriege und die Macht des Dämonen-Lords, er lebte weiter, nachdem alle anderen Lebewesen, die seine Existenz geteilt hatten, untergegangen waren — als nichts mehr übrig war außer der Erde selbst, und selbst die Erde ihr Gesicht verändert hatte, während der Ellcrys unwandelbar derselbe geblieben war.«
Er machte eine kurze Pause.
»So wurde es zur festen Überzeugung, daß der Ellcrys ewig leben würde; daß er unsterblich sei. Man glaubte unerschütterlich daran.« Er hob ein wenig den Kopf. »Bis heute. Jetzt ist dieser Glaube zerstört. Der Ellcrys stirbt. Die Mauer der Verfemung befindet sich schon im Verfall.
Die bösen Mächte, die hinter ihr gefangen sind, schicken sich an, aus ihrem Kerker auszubrechen und in diese Welt zurückzukehren, die einst ihnen gehörte.«
»Haben etwa diese Wesen Euch die schweren Verletzungen beigebracht?« fragte Wil.
Allanon nickte. »Einige von ihnen durchstreifen bereits die vier Länder. Ich wollte meine Anwesenheit geheimhalten, aber sie haben mich entdeckt. Sie fanden mich in Paranor in der Druidenfestung, und beinahe wäre ich dabei ums Leben gekommen.«
Auf Flicks Gesicht machte sich Entsetzen breit.
»Suchen sie noch immer nach Euch?«
»Ja — aber ich denke, diesmal werden sie mich nicht so rasch finden.«
»Sehr beruhigend ist das nicht«, brummte Flick, während er ängstlich in Richtung der Fenster des kleinen Raumes blickte.
Allanon ging auf die Bemerkung nicht ein.
»Du wirst dich vielleicht erinnern, Flick, daß ich einst Shea und dir die Geschichte der Rassen erzählte. Ich erklärte euch, wie die verschiedenen Rassen sich nach der völligen Zerstörung durch die Großen Kriege aus der alten Rasse der Menschen entwickelten — das heißt, alle Rassen außer einer. Außer den Elfen. Ich erzählte euch damals, daß die Elfen immer schon existiert hatten. Erinnerst du dich?«
»Ja, ich erinnere mich«, knurrte Flick. »Das war auch so etwas, was Ihr nie näher erklärt habt.«
»Ich sagte damals, ihre Geschichte fände zu einer anderen Zeit ihren Platz. Diese Zeit ist jetzt gekommen — wenn ich auch nicht beabsichtige, in großer Ausführlichkeit auf die Geschichte des Elfenvolkes einzugehen. Einige Dinge jedoch solltet ihr wissen. Wir haben bisher lediglich in abstrakter Form von den Geschöpfen gesprochen, die diesen Krieg zwischen Gut und Böse austrugen, nach dessen Ende der Ellcrys erschaffen wurde. Wir müssen ihnen eine Identität geben. Alle waren sie Geschöpfe, die später, als der Mensch aus der Finsternis der Unwissenheit auftauchte und die Erde zu bevölkern und sich untenan zu machen begann, in die alten Märchen und Sagen von guten und bösen Geistern eingingen. Sie alle waren Geschöpfe, die, wie ich schon sagte, über magische Kräfte verfügten. Es gab eine Reihe verschiedener Arten — einige davon nur gut, einige nur böse, einige schließlich, deren einzelne Völker sich teilten und entgegengesetzte Wege einschlugen. Sie trugen Namen, die ihr erkennen werdet — Feen, Irrwische, Kobolde, Heinzelmännchen und so weiter. Die neuen Rassen wurden, obwohl menschlicher Abstammung, nach vier Gattungen dieser legendären Zauberwesen benannt, nämlich Zwerge, Gnomen, Trolle und Elfen. Nur sind die Elfen eine Rasse für sich. Und zwar insofern, als sie nicht einfach eine wiedergeborene Legende sind. Sie haben in der Tat überlebt. Die Elfen sind die Nachkommen der Geisterwesen, die in der alten Welt existierten.«
»Moment mal!« warf Flick hastig ein. »Soll das heißen, daß die heutigen Elfen dieselben Elfen sind, von denen die alten Märchen erzählen — daß es in der alten Welt tatsächlich Elfen gab?«
»Aber selbstverständlich existierten in der alten Welt Elfen — genauso wie Trolle und Zwerge und all die anderen Geschöpfe, denen die Entstehung der Märchen zu verdanken ist. Der einzige Unterschied besteht darin, daß all die anderen Wesen schon seit Jahrhunderten aus dieser Welt verschwunden sind, während die Elfen weiterleben. Sie haben sich verändert, gewiß; sie haben eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Sie waren gezwungen, sich anzupassen.«
Flick machte ein Gesicht, als verstünde er nicht ein Wort von dem, was der Druide von sich gab.
»In der alten Welt hat es Elfen in der Tat gegeben?« wiederholte er ungläubig. »Das ist doch nicht möglich!«
»Doch, es ist möglich«, entgegnete der Druide gelassen.
»Ja, wie haben die denn die Großen Kriege überlebt?«
»Wie hat der Mensch die Großen Kriege überlebt?«
»Aber die alten Geschichtsbücher berichten uns doch nur von Menschen — die Elfen erwähnen sie nicht mit einem einzigen Wort!« gab Flick gereizt zurück. »Die Elfen waren ein Märchenvolk. Wenn es auf der alten Welt wirklich Elfen gab, wo lebten sie dann?«
»Genau dort, wo sie immer gelebt hatten — nur, der Mensch konnte sie nicht sehen.«
»Ach, jetzt wollt Ihr mir weismachen, daß die Elfen unsichtbar waren?« Flick warf in gespielter Verzweiflung die Hände hoch. »Ich glaube kein Wort!«
»Du hast auch nicht geglaubt, was ich dir über Shea und das Schwert von Shannara berichtete, wenn ich mich recht erinnere«, erklärte Allanon, den Anflug eines Lachens auf den Lippen. »Ich sehe nicht ein, was all dies mit der Frage zu tun hat, warum die Elfen gerade meine Hilfe brauchen«, warf Wil ein und kam damit einem weiteren Ausbruch Flicks zuvor.
Der Druide nickte. »Ich will versuchen, dir das zu erklären, wenn Flick sich nur noch ein Weilchen in Geduld fassen kann. Die Geschichte der Elfen ist für dieses Gespräch nur aus einem Grunde von Bedeutung. Die Elfen waren es, die den Gedanken des Ellcrys gebaren und zum Leben erweckten. Sie waren es, die dem Baum das Leben schenkten, ihm durch die Jahrhunderte Hege und Pflege angedeihen ließen. Sein Schutz und sein Wohlergehen sind einem Orden ihrer Elfen anvertraut, die sich die Erwählten nennen. Ein Erwählter hat dem Baum jeweils ein Jahr zu dienen und dafür zu sorgen, daß es ihm wohlergeht. Am Ende dieses Jahres wird er abgelöst. So ist es seit der Erschaffung des Baumes. Nur jeweils ein Jahr des Dienstes. Die Erwählten genießen im Elfenvolk hohes Ansehen, und es gilt als eine große Ehre, zum Dienst an dem Baum ausersehen zu werden.
Damit sind wir schon in die Gegenwart gesprungen. Wie ich euch berichtet habe, siecht der Ellcrys langsam dahin. Er selbst offenbarte dies vor einigen Tagen den Erwählten. Das ist deshalb möglich, weil er ein fühlendes Wesen ist und die Fähigkeit besitzt, sich anderen mitzuteilen. Er tat den Erwählten kund, daß sein Tod unvermeidlich sei und kurz bevorstehe. Er ließ sie aber auch noch etwas anderes wissen: Die Legenden der Elfen berichten darüber, und den ersten Elfen war es noch bewußt, doch Generationen später ist es in Vergessenheit geraten — daß nämlich der Ellcrys, auch wenn er sterben muß, wie alle anderen lebenden Wesen, im Gegensatz zu ihnen wiedergeboren werden kann. Seine Wiedergeburt jedoch hängt von den Bemühungen der Erwählten ab, Einer von ihnen muß im Fall des nahenden Todes das Samenkorn des Ellcrys zum Lebensquell der Erde bringen — dem Blutfeuer. Nur ein Erwählter, erklärte der Baum, der gegenwärtig in seinem Dienst stünde, sei dazu befugt. Er zeigte den Erwählten auch, wo das Blutfeuer zu finden ist und befahl ihnen, die nötigen Vorbereitungen zu treffen, und sich auf den Weg dorthin zu machen.«
Der Druide hüllte sich eine Weile in Schweigen.
»Aber noch bevor die Erwählten den Auftrag erfüllen konnten, gelang es einigen der Bösen, die hinter der Mauer der Verfemung eingesperrt gewesen waren, sich zu befreien, da die Mauer mit dem allmählichen Verfall des Ellcrys abzubröckeln begann. Einer von ihnen schlich sich heimlich in die Elfenstadt Arborlon, wo der Ellcrys steht, und tötete die Erwählten, die er dort vorfand. Er glaubte, mit dem Tod sei jede Möglichkeit einer Wiedergeburt des Baumes verhindert. Ich traf zu spät ein, um diese schrecklichen Geschehnisse noch verhindern zu können. Aber ich sprach mit dem Ellcrys, und er eröffnete mir, daß einer aus dem Kreis der Erwählten noch am Leben sei — ein junges Mädchen, das sich nicht in der Stadt aufhielt, als die anderen getötet wurden. Ihr Name ist Amberle. Daraufhin verließ ich Arborlon, um sie zu suchen.«
Wieder beugte er sich vor, so, als könne er dadurch seinen Worten mehr Eindringlichkeit verleihen.
»Aber auch die Bösen haben von ihr Kenntnis erhalten. Einmal schon versuchten sie, mich daran zu hindern, sie zu erreichen, und es wäre ihnen beinahe gelungen. Zweifellos werden sie es wieder versuchen, wenn sich ihnen eine Chance dazu bietet. Aber sie wissen nicht, wo das Mädchen gefunden werden kann, und im Augenblick wissen sie auch nicht, wo ich mich aufhalte. Wenn ich schnell genug bin, mußte es mir möglich sein, zu ihr zu gelangen und sie sicher und wohlbehalten nach Arborlon zu bringen, noch bevor die Bösen mir wieder auf die Spur kommen.«
»Dann finde ich, daß Ihr hier im Gespräch mit uns wertvolle Zeit vergeudet«, erklärte Flick mit Entschiedenheit. »Ihr solltet längst auf dem Weg zu diesem Mädchen sein.«
Der Druide ging auf seine Worte nicht ein, obwohl seine Gesichtszüge sich verfinsterten.
»Selbst wenn es mir gelingt, Amberle nach Arborlon zu bringen, sind damit nicht alle Probleme gelöst. Ihr, als der letzten der Erwählten, wird es obliegen, das Samenkorn des Ellcrys zum Blutfeuer zu bringen. Niemand aber — auch ich nicht — weiß genau, wo dieser Lebensquell der Erde zu finden ist. Der Ellcrys wußte es früher einmal. Doch die Welt, an die er sich erinnert, gibt es nicht mehr. Er nannte den Elfen einen Namen — Sichermal. Es ist ein Name aus der alten Welt, der ihnen nichts sagt. Als ich Arborlon verließ, reiste ich zuerst nach Paranor, um in den Geschichtsbüchern der Druiden zu forschen, die nach den Großen Kriegen vom Rat zusammengestellt wurden und in denen die Geheimnisse der alten Welt aufgezeichnet sind. Es gelang mir, das Land zu finden, in dem Sichermal liegt. Doch der genaue Ort, wo das Blutfeuer sprudelt, muß erst noch von jenen entdeckt werden, die es suchen.«
Plötzlich begriff Wil Ohmsford, warum Allanon wünschte, daß er ins Westland zöge.
Er verstand es und konnte es dennoch nicht glauben.
»Amberle kann dieses Abenteuer nicht allein wagen«, fuhr Allanon fort. »Das Land, das sie aufsuchen muß, ist gefährlich — viel zu gefährlich für ein junges Elfenmädchen. Jene, denen es gelungen ist, die Mauer der Verfemung zu durchbrechen, werden weiterhin ihre Spur suchen; und wenn sie sie finden, dann hat Amberle keinen Schutz gegen sie. Aber es darf ihr nichts zustoßen. Sie ist die letzte Hoffnung ihres Volkes. Wenn der Ellcrys nicht wiedergeboren wird, wird die Mauer der Verfemung schließlich ganz einstürzen, und das Böse, das dahinter gefangen ist, wird von neuem über die Erde einbrechen. Es wird zu einem Krieg mit den Elfen kommen, in dem diese höchstwahrscheinlich unterliegen werden. Werden aber die Elfen vernichtet, so wird das Böse auch in die anderen Länder vordringen. Es wird immer mächtiger werden, wie das in der Natur dieser Wesen liegt, und am Ende wird es alle vier Rassen verschlingen.«
»Aber Ihr seid doch da, um ihr zu helfen …« begann Wil, der verzweifelt nach einem Ausweg aus dem Netz suchte, in das er verstrickt zu werden drohte.
»Nein, ich kann nicht an ihrer Seite bleiben«, versetzte Allanon.
Darauf folgte ein langes Schweigen. Allanon breitete seine Hände auf dem Tisch aus.
»Das hat seinen guten Grund, Wil Ohmsford. Ich habe dir berichtet, daß die Bösen bereits hinter der Mauer der Verfemung hervorbrechen. Der Ellcrys wird stetig schwächer werden; und in dem Maße, in dem er schwächer wird, werden die Geschöpfe, die durch seine Macht gefangengehalten werden, dreister werden. Sie werden weiterhin gegen die Mauer der Verfemung anrennen. Immer neuen wird es gelingen, sich zu befreien. Und schließlich werden sie die Mauer völlig einreißen. Wenn das geschieht, werden sie über das Elfenvolk herfallen und es vernichten. Es kann der Fall eintreten, daß dies lange vor der Entdeckung des Blutfeuers geschieht. Es kann auch sein, daß das Blutfeuer nie oder doch zu spät gefunden wird. In jedem Fall muß das Elfenvolk zum Kampf bereit sein. Einige der Geschöpfe hinter der Mauer der Verfemung jedoch besitzen große Kräfte; eines zumindest verfügt über magische Kräfte, die sich vielleicht sogar mit den meinen messen können. Dagegen sind die Elfen machtlos. Ihre eigene Zauberkraft ist ihnen auf immer abhanden gekommen. Die Druiden, die ihnen einst zur Seite standen, sind nicht mehr. Nur ich bin noch da. Wenn ich die Elfen aber im Stich lasse und mit Amberle gehe, dann sind sie wehrlos. Darum kann ich das nicht tun. Ich muß ihnen jeden mir möglichen Beistand leisten.
Aber dennoch muß jemand Amberle begleiten — jemand, der über die nötigen Kräfte verfügt, dem Bösen zu widerstehen, das sie verfolgen wird. Es muß jemand sein, bei dem man sich darauf verlassen kann, daß er sein Menschenmögliches tun wird, sie zu beschützen. Und dieser Jemand bist du.«
»Was redet Ihr da?« rief Flick voller Unmut. »Wie soll Wil gegen solche Geschöpfe etwas ausrichten können, die beinahe sogar Euch vernichtet hätten? Ihr wollt doch nicht etwa, daß er zum Schwert von Shannara greift?«
Allanon schüttelte den Kopf.
»Die Kraft des Schwertes wirkt nur gegen Täuschung und Trug. Das Böse, dem wir uns gegenübersehen, ist sehr real, sehr greifbar. Das Schwert vermag nichts dagegen auszurichten.«
Flick fuhr hoch. »Was dann?«
Die Augen des Druiden waren dunkel und erfüllt von einem verborgenen Wissen. Wil Ohmsford überflutete plötzlich Beklommenheit.
»Die Elfensteine.«
Flick war entsetzt. »Die Elfensteine! Aber die Elfensteine hat doch Shea in Verwahrung!«
Wil legte dem alten Mann hastig die Hand auf den Arm.
»Nein, Onkel Flick, die Elfensteine habe ich.« Er griff unter seinen Kittel und brachte einen kleinen Lederbeutel zum Vorschein. »Großvater hat sie mir gegeben, als ich aus Shady Vale fortging, um in Storlock zu studieren. Er sagte damals, er brauche sie nicht länger und fände, sie sollten mir gehören.« Seine Stimme zitterte. »Es ist seltsam; ich nahm sie nur, um ihm eine Freude zu machen — nicht weil ich glaubte, daß ich sie jemals brauchen würde. Ich habe nie auch nur versucht, mich ihrer Kraft zu bedienen.«
»Das wäre auch völlig zwecklos, Wil.« Erregt wandte sich Flick wieder an Allanon. »Er weiß es ganz genau. Keiner außer Shea kann die Kräfte der Elfensteine zum Leben und Wirken erwecken.
Allanons Miene blieb unverändert.
»Das entspricht nicht ganz der Wahrheit, Flick. Nur der kann die Kräfte der Elfensteine einsetzen, dem die Steine freiwillig geschenkt wurden. Ich gab sie Shea zum Gebrauch, als ich ihm riet, das Tal von Culhaven zu fliehen. Sie blieben sein Eigentum, bis er sie Wil zum Geschenk machte. Jetzt gehören sie Wil. Er hat, wie einst Shea, die Macht, sich ihrer Kräfte zu bedienen.«
Flicks Gesicht drückte Verzweiflung aus.
»Du kannst sie zurückgeben«, drängte er Wil, als er die Verwirrung in den Augen des jungen Mannes sah. »Oder du kannst sie jemandem schenken — irgend jemandem. Du brauchst sie nicht zu behalten. Du brauchst dich auf diesen Wahnsinn nicht einzulassen!«
Allanon schüttelte den Kopf.
»Flick, so einfach ist das nicht.«
»Aber was wird aus meinen Plänen, ein Heilkundiger zu werden?« rief Wil plötzlich. »Soll die Zeit und die Arbeit, die ich darauf verwendet habe, einfach verloren sein? Mein Leben lang wollte ich immer nur ein Heilkundiger werden, und jetzt endlich bin ich auf dem besten Weg dazu. Soll ich das alles aufgeben?«
»Wie kannst du ein Heilkundiger werden, wenn du dich weigerst, in dieser Lebensbedrohung Beistand zu leisten?« Die Stimme des Druiden war plötzlich hart. »Ein Heilkundiger muß helfen, wo er kann und wie er kann. Er kann nicht wählerisch sein. Wenn du dich jetzt weigerst zu helfen, und all das, was ich vorausgesehen habe, Wirklichkeit wird, wie willst du dann in der Zukunft mit dem Wissen leben, daß du nicht einmal versucht hast, es zu verhindern?«
Wils Gesicht lief rot an. »Aber wann kann ich dann endlich zurückkehren?«
»Das weiß ich nicht. Es kann lange dauern.«
»Und wenn ich nun mit Euch gehe, könnt Ihr mir dann mit Sicherheit sagen, daß die Kraft der Elfensteine ausreichen wird, dieses Mädchen zu beschützen?«
Allanons Gesicht verschloß sich.
»Nein, das kann ich nicht. Die Kraft der Elfensteine wird durch die Kräfte desjenigen gespeist, der sie in seinem Besitz hat.«
»Ihr könnt mir also keine Versicherungen geben?« Wils Stimme war zu einem Flüstern abgesunken.
»Nein.« Der Blick des Druiden ruhte unverwandt auf ihm. »Dennoch, du mußt mitkommen.«
Ungläubig und verzweifelt sank Wil in den Sessel zurück. »Mir scheint, ich habe da gar keine Wahl.«
»Natürlich hast du eine Wahl!« fuhr Flick ihn ärgerlich an. »Willst du denn alles hier nur aus dem einen Grund aufgeben, daß Allanon sagt, du müßtest ihm folgen? Willst du aus diesem Grund allein ihn begleiten?« Wil hob den Blick. »Habt ihr das nicht auch getan, Onkel Flick — Großvater und du —, als ihr euch auf die Suche nach dem Schwert von Shannara begabt?«
Flick zögerte, unsicher geworden. Dann beugte er sich zu dem jungen Mann hinüber und umschloß fest seine Hände.
»Wil, du läßt dir in dieser Sache nicht genug Zeit der Überlegung. Ich habe dich vor Allanon gewarnt. Jetzt hör mir einmal genau zu. Ich sehe mehr in dieser Geschichte als du. Hinter den Worten des Druiden verbirgt sich etwas. Ich fühle es.« Seine Stimme wurde eindringlicher, und die Furchen in seinem bärtigen Gesicht vertieften sich. »Ich habe Angst um dich. Nur deshalb spreche ich so mit dir, wie ich es jetzt tue. Du bist mir wie ein eigener Sohn; ich möchte dich nicht verlieren.«
»Ich weiß«, flüsterte Wil. »Ich weiß.«
Flick richtete sich wieder auf. »Dann geh nicht. Soll Allanon sich einen anderen suchen.«
Der Druide schüttelte den Kopf.
»Das kann ich nicht, Flick. Einen anderen gibt es nicht. Nur Wil ist dazu befähigt.« Seine Augen suchten die des jungen Talbewohners. »Du mußt mich begleiten.«
»Laßt mich statt dessen gehen«, rief Flick, Verzweiflung in der Stimme. »Wil kann mir die Elfensteine geben, und ich kann das Elfenmädchen beschützen. Allanon, schon früher sind wir miteinander auf Abenteuer gegangen …«
Doch der Druide schüttelte wiederum ablehnend das Haupt.
»Flick, du kannst mich nicht begleiten«, sagte er freundlich und behutsam. »Dein Herz ist größer als deine Kraft, Talbewohner. Die Reise, die bevorsteht, ist lang und beschwerlich. Nur ein junger Mann kann die Strapazen ertragen.« Er schwieg eine Weile. »Unsere Zeit der gemeinsamen Reisen ist ein für allemal vorüber, Flick.«
Lange lastete tiefes Schweigen über der Runde. Dann wandte sich der Druide wieder Wil Ohmsford zu. Der junge Mann sah seinen Onkel an. Einen Moment lang blickten die beiden einander wortlos in die Augen. Unsicherheit flackerte in den grauen Augen Flicks, Wils Blick aber war jetzt ruhig und fest. Flick sah, daß er seine Entscheidung getroffen hatte. Beinahe unmerklich nickte er.
»Du mußt das tun, was du für richtig hältst«, murmelte er widerstrebend.
Wil richtete seinen Blick auf Allanon.
»Ich werde Euch begleiten.«