23

Es war Mitternacht, als Crispin das Schiff wieder anlegen ließ. Unmittelbar unterhalb vom Drey-Wald schwenkte der Singende Fluß auf seinem langen, gewundenen Weg zum Innisbore-See nach Westen. Als die Elfen das Schiff in einen schmalen, von dichtem Wald umgebenen Seitenarm steuerten, befanden sie sich am nördlichsten Zipfel des Wirrnismoors, Meilen von dem Punkt entfernt, wo sie ursprünglich beabsichtigt hatten, den Fluß zu verlassen. Die prasselnden Wolkenbrüche waren wieder zu einem feinen Sprühregen verebbt, der wie ein zarter Dunstschleier in der kühlen Luft hing. Dicke Wolkenmassen verdunkelten Mond und Sterne, und die Nacht war so schwarz, daß selbst die Elfen nicht weiter als ein Dutzend Schritte sehen konnten. Der Wind hatte sich völlig gelegt, und feiner Nebel hatte sich über das ganze Land gesenkt.

Die Elfen-Jäger fuhren das Schiff auf einer flachen Sandbank am oberen Ende des stillen Wassers auf Grund, zogen es mit vereinten Kräften ganz aus dem Fluß und machten es fest. So lautlos wie Katzen erkundeten sie dann das Gelände in einem Umkreis von mehreren hundert Schritten und kehrten nach einer Weile zu Crispin zurück, um ihm zu melden, daß sie nichts Bedrohliches entdeckt hatten. Der Hauptmann der Elfen-Jäger war der Meinung, es sei sinnlos, in dieser Finsternis zu versuchen, die Reise fortzusetzen, und befahl Wil und Amberle, bis zum Morgen in ihrer Kabine zu bleiben. In warme Decken gehüllt, zum erstenmal seit zwei Tagen vom Stampfen und Schlingern des Schiffes erlöst, fielen die beiden augenblicklich in tiefen Schlaf. Die Elfen bewachten in Schichten das Schiff und seine schlafenden Passagiere, und Crispin machte es sich neben der Kabinenöffnung so bequem wie möglich.

Bei Tagesanbruch verstaute die kleine Truppe Proviant und Waffen und löste dann die Vertäuung des Schiffes, so daß der Fluß es forttragen konnte. Es trieb rasch davon, und Wil und Amberle brachen mit den Elfen-Jägern zu ihrem Marsch durch das Wirrnismoor auf.

Das Moor war eine sumpfige Niederung, von Gestrüpp und verkrüppeltem Buschwerk überwuchert, von stillen, schlammigen Tümpeln überzogen. Es spaltete die weiten Wälder des Westlands von den Ufern des Singenden Flusses bis zur gewaltigen Felswand des Steinkamm-Gebirges, eine unwegsame Wildnis, in die nur wenige Menschen sich hineinwagten. Jene, die das Wagnis dennoch auf sich nahmen, liefen ständig Gefahr, sich in den nebelumwallten Sümpfen und dem verwilderten Buschland zu verirren. Schlimmer noch, sie mußten mit unliebsamen Begegnungen mit den unleidlichen Bewohnern des Moors rechnen, bösartigen, hinterhältigen Geschöpfen, die bei der Wahl ihrer Opfer keine Unterschiede machten.

»Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, hätten wir diesen Weg gewiß nicht gewählt«, sagte Crispin zu Wil, als er einen Augenblick nach hinten kam, um seine Gedanken mit dem Talbewohner auszutauschen. »Wenn alles wie geplant verlaufen wäre, wären wir vom Stützpunkt aus mit Pferden am westlichen Rand des Wirrnismoors entlang zum Mermidon geritten, und dann weiter nach Westen in den Steinkamm. Aber die Geschehnisse im Drey-Wald haben das unmöglich gemacht. Jetzt darf sich unsere Sorge nicht darauf beschränken, was vor uns liegen mag, sondern muß auch die Frage einschließen, was uns noch bevorsteht. Der einzige Vorteil dieses Marsches durch das Moor liegt darin, daß man hier unsere Spur nicht finden wird.«

Wil schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Ein Ungeheuer wie der Raffer gibt sicher nicht so leicht auf.«

»Nein, er wird uns weiter jagen«, stimmte der Elf zu. »Aber ein zweites Mal wird er uns nicht so aus heiterem Himmel überraschen. Er erwartete uns im Drey-Wald, weil er wußte, daß wir kommen. Ich weiß nicht, woher er seine Kenntnis hatte, aber er wußte es.« Er warf einen Blick auf Wil, doch der hüllte sich in Schweigen. »Auf jeden Fall weiß er nicht, wo wir uns jetzt befinden. Wenn er uns wieder aufstöbern will, muß er erst unsere Spur finden. Das wäre ihm vielleicht ganz leicht möglich gewesen, wenn wir in den Wäldern geblieben wären; hier aber wird es ihm schwerfallen. Zuerst muß er nämlich einmal herausbekommen, wo wir den Fluß verlassen haben; das allein könnte ihn Tage kosten. Dann muß er uns ins Moor folgen, nur wird er da keine Anhaltspunkte finden. Die Sümpfe verschlucken jede Spur innerhalb von Sekunden. Und wir haben den Vorteil, daß wir Katsin bei uns haben, der in dieser Gegend aufgewachsen ist und das Moor schon früher durchquert hat. Der Dämon hingegen, mag er noch so große Kräfte besitzen, befindet sich auf fremdem Gebiet. Er muß sich ausschließlich auf seinen Instinkt verlassen. Damit sind wir ganz entschieden im Vorteil.«

Wil Ohmsford konnte dem Hauptmann nicht beipflichten. Allanon hatte geglaubt, die Dämonen würden seine Spur nicht finden, als er nach Paranor geritten war. Doch sie hatten sie aufgenommen. Wil hatte geglaubt, sie würden ihn und Amberle nicht wiederfinden, nachdem der König vom Silberfluß sie zu den Gestaden des Regenbogen-Sees gebracht hatte. Doch sie hatten sie gefunden. Warum sollte es diesmal anders sein? Die Dämonen waren Geschöpfe eines anderen Zeitalters; ihre Kräfte waren die Kräfte eines anderen Zeitalters. Allanon selbst hatte das gesagt. Und er hatte auch gesagt, daß der, welcher die Dämonen führte, ein Zauberer war. Konnte es für diese Wesen so schwierig sein, eine Handvoll Elfen-Jäger, ein junges Mädchen und einen jungen Talbewohner aufzustöbern?

Wil seufzte. Das waren Überlegungen, die zu nichts führten, denn es war ja nichts zu ändern. Crispin hatte schon die richtige Entscheidung getroffen. Die Elfen-Jäger waren fähige junge Männer; vielleicht würden sie ihre Schutzbefohlenen sicher und wohlbehalten ans Ziel bringen.

Viel mehr Sorge machte Wil eine andere Möglichkeit, und seit der Begegnung mit dem Raffer im Drey-Wald war ihm die Sache nicht aus dem Kopf gegangen. Der Raffer hatte gewußt, daß sie zu diesem Elfen-Stützpunkt kommen würden. Er mußte es gewußt haben, denn er hatte ihnen ja aufgelauert. In dieser Hinsicht hatte Crispin recht. Aber nur auf eine Weise konnte der Dämon von ihren Plänen erfahren haben — durch den Spion, der sich im Lager der Elfen verbarg, durch eben jenen Spion, den zu täuschen Allanon sich solche Mühe gegeben hatte. Und wenn die Dämonen von ihrem Vorhaben gewußt hatten, im Drey-Wald Station zu machen, was wußten sie dann noch alles über diese Reise? Es war durchaus möglich, sagte sich Wil, daß ihnen alles bekannt war.

Das war eine beängstigende Möglichkeit, mit der er sich am liebsten nicht näher befaßt hätte, die aber bei genauerer Betrachtung der Umstände immer greifbarer wurde. Allanon war sicher gewesen, daß sich im Lager der Elfen ein Spitzel verbarg. Irgendwie war es diesem Spitzel gelungen, ihr Gespräch in Eventines Studierzimmer zu belauschen. Wil konnte sich nicht vorstellen, wie er das zuwege gebracht haben sollte, doch es war ihm gelungen, soviel stand fest. Man hatte über den geplanten Aufenthalt im Drey-Wald gesprochen; daher der Raffer. Aber man hatte auch vom Wildewald gesprochen, und das hieß, daß die Dämonen genau wußten, wohin Wil und Amberle vom Drey-Wald aus zu reisen gedachten; und wenn die Dämonen das wußten, dann konnte die kleine Truppe noch so geheime Wege wählen und noch so schlaue Täuschungsmanöver anwenden, um die Verfolger abzuschütteln, sie würden im Wildewald doch von den Dämonen erwartet werden.

Diese Vorstellung quälte Wil Ohmsford den ganzen Tag über, während die kleine Truppe beherzt durch die sumpfigen Niederungen des Moors marschierte. Dorniges Gestrüpp zerrte bei jedem Schritt an ihren Kleidern, weiße Nebel umhüllten sie mit Kälte und Feuchtigkeit, die ihnen in alle Glieder kroch, Schlamm und brackiges Wasser sickerten durch die Nähte ihrer Stiefel und raubten ihnen mit ihrem üblen Geruch den Atem. Sie marschierten einzeln, wechselten kaum ein Wort miteinander, während sie scharf durch dünnen Sprühregen und wogenden Nebel spähten, die das ganze Land mit einem eintönigen grauen Vorhang verschleierten.

Als die Nacht hereinbrach, waren sie todmüde und erschöpft. Im Schutz einiger dürrer Büsche am Fuß eines niedrigen Hügels schlugen sie ihr Lager auf. Ein Feuer zu machen, wäre zu gefährlich gewesen; sie wickelten sich deshalb fest in Decken, die klamm waren von der Kälte und Feuchtigkeit des Moors.

Die Elfen-Jäger hatten ihr Mahl rasch beendet und teilten nun die Nachtwachen ein. Wil hatte eben den letzten Bissen Dörrfleisch mit einem Schluck Wasser hinuntergespült, als Amberle zu ihm kam und sich neben ihn niedersetzte. Ihr kindliches Gesicht blickte aus den Falten der Decke zu ihm auf, die sie sich über den Kopf gezogen hatte. Ein paar lockige Strähnen ihres kastanienbraunen Haares fielen ihr in die Augen.

»Wie fühlst du dich?« fragte er.

»Es geht mir gut.« Sie sah aus wie ein Kind, das nicht weiß, wohin es gehört. »Aber ich muß unbedingt mit dir reden.«

»Ja?«

»Ich hab’ den ganzen Tag über etwas nachgedacht.«

Er nickte stumm.

»Der Raffer hat uns im Drey-Wald erwartet«, sagte sie leise. »Ist dir klar, was das heißt?«

Er antwortete nicht. Er wußte, was sie als nächstes fragen würde. Es war, als hätte sie seine Gedanken gelesen.

»Das bedeutet, daß er von unserem Kommen wußte.« Sie sprach aus, was ihm durch den Kopf gegangen war. »Wie ist das nur möglich?«

Er schüttelte den Kopf. »Es war eben so.«

Es war die falsche Antwort, und er wußte es. Röte schoß ihr ins Gesicht.

»So, wie uns die Dämonen eben in Havenstead fanden? So, wie sie Allanon eben in Paranor fanden? So, wie sie uns eben überall zu finden scheinen, wo wir gerade sind?« Ihre Stimme blieb gesenkt, doch Zorn schwang unverkennbar mit. »Sag mal, wofür hältst du mich eigentlich, Wil?«

Es war das erstemal, daß sie ihn bei seinem Vornamen nannte, und das überraschte ihn so, daß er sie für eine Weile nur stumm anstarrte. Gekränktheit und Argwohn spiegelten sich in ihren Augen, und er sah, daß er ihr entweder verraten mußte, was Allanon vor ihr hatte verheimlichen wollen, oder daß er ihr ein Märchen auftischen mußte. Die Entscheidung war leicht getroffen. Er berichtete ihr von dem Spion. Als er geendet hatte, schüttelte sie verstimmt den Kopf.

»Du hättest mir das viel früher erzählen sollen.«

»Allanon bat mich, es nicht zu tun«, erklärte er. »Er meinte, für dich sei das alles schon schlimm genug.«

»Der Druide kennt mich nicht so gut, wie er meint. Du hättest es mir trotzdem sagen sollen.«

Er wollte sich nicht länger mit ihr über diesen Punkt streiten. Deshalb nickte er zustimmend.

»Ich weiß. Aber ich hab’s eben nicht getan.«

Sie schwiegen. Einer der Wachtposten tauchte wie ein Gespenst aus dem Nebel auf und verschwand wieder. Amberle blickte ihm nach, wandte sich dann wieder Wil zu. Ihre Stimme drang aus den Falten ihrer Kapuze hervor, während ihr Gesicht von dunklen Schatten umwölkt war.

»Ich bin nicht zornig. Wirklich nicht.«

Er lächelte schwach. »Gut. Es ist hier auch so schon trist genug.«

»Aber ich wäre zornig gewesen, wenn du mir jetzt nicht die Wahrheit gesagt hättest.«

»Deswegen hab’ ich sie dir ja gesagt.«

Sie ließ das Thema auf sich beruhen.

»Wenn dieser Spitzel gehört hat, was in der Nacht vor unserem Aufbruch im Studierzimmer meines Großvaters gesprochen wurde, dann kennen die Dämonen unser Ziel, nicht wahr?«

»Ich denke schon.«

»Das heißt, daß sie auch von Sichermal wissen; sie wissen alles, was der Ellcrys den Erwählten gesagt hat, weil Allanon es uns weitererzählt hat. Ihre Aussichten, das Blutfeuer zu finden, sind so gut wie unsere.«

»Vielleicht doch nicht.«

»Weshalb nicht?«

»Wir haben die Elfensteine.« Er fragte sich, ob das wirklich der Vorteil war, als den er es hinstellte. Er wußte ja gar nicht, ob er fähig sein würde, sich ihrer noch einmal zu bedienen. Der Gedanke machte ihn niedergeschlagen.

»Wer kann so nahe gekommen sein, daß er hören konnte, was wir sprachen?« fragte sie stirnrunzelnd.

Er schüttelte wortlos den Kopf. Diese Frage hatte er sich auch schon gestellt.

»Ich hoffe nur, meinem Großvater geht es gut«, murmelte sie nach einer kleinen Weile.

»Ich vermute, es geht ihm besser als uns.« Wil seufzte. »Wenigstens hat er ein warmes Bett.«

Er zog die Knie bis unter sein Kinn in dem Bemühen, ein wenig wärmer zu werden. Amberle zitterte vor Kälte, und er zog sie an sich, um sie zu wärmen.

»Ich wollte, es wäre schon vorüber«, flüsterte sie wie zu sich selbst.

»Ich wollte, es hätte nie begonnen.«

Sie hob den Kopf und sah ihn an.

»Da wir gerade bei Wünschen sind — ich wünschte, du wärst immer ehrlich zu mir, Wil. Von jetzt an keine Geheimnisse mehr, ja?«

»Keine Geheimnisse mehr«, versprach er.

Danach schwiegen sie. Wenig später sank Amberles Kopf an seine Schulter. Sie schlief. Wil störte sie nicht. Er starrte in die Finsternis hinaus und dachte an schönere Tage.

Zwei Tage lang stapfte die kleine Truppe durch die düstere Trostlosigkeit des Wirrnismoors. Die meiste Zeit regnete es — stetiger dünner Nieselregen, der hin und wieder von schweren Wolkenbrüchen abgelöst wurde, die die schon durchweichte Erde noch schlammiger machten und die Wanderer, denen schon kalt und elend genug war, völlig durchnäßten.Über ihnen hing der Nebel in dichten Schwaden, die über Buschwerk und stillen, moorigen Teichen wogten. Die Sonne blieb hinter dunklen Wolken verborgen, und nur ein schwaches Aufleuchten des Himmels gegen Mittag kündigte von ihrer Anwesenheit. In der Nacht herrschte nur undurchdringliche Schwärze.

Der Marsch war beschwerlich, und die Wanderer kamen nur langsam voran. Im Gänsemarsch schlugen sie sich durch das Geschlinge des Moors, bahnten sich mit Schwertern einen Weg durch dorniges Gestrüpp, stapften über schlammigen Grund, der unter ihren Füßen gluckste und gurgelte, zogen an Seen und Tümpeln vorüber, aus deren von grünem Schleim bedecktem Wasser widerlicher Gestank aufstieg. Dürres Holz lag überall, und bei jedem Schritt mußten sie achtgeben, daß sie nicht über knorrige Wurzeln stolperten. Über der Vegetation hing ein grauer Schleier, der ihre Grüntöne dämpfte und der ganzen Landschaft etwas kränklich Winterliches gab. Jene Wesen, die im Moor lebten, hielten sich verborgen. Nur hin und wieder waren seltsame Laute zu hören, die sich in der Stille auflösten, und Schatten glitten geisterhaft durch die regengraue Düsternis.

Kurz vor Mittag des dritten Tages erreichten die Wanderer einen See, dessen Wasser still und reglos unter dem bleiernen Himmel lag. Wurzeln und tote Bäume, die wie die gebrochenen Glieder der Erde selbst aus dem von Seerosen bedeckten Wasser ragten, schienen den See ersticken zu wollen. Seine Ufer waren, so weit das Auge reichte, von dichtem Gestrüpp und verwildertem Buschwerk überwuchert. Das andere Ufer war in den Nebelschwaden, die sich über das Wasser wälzten, versunken.

Es war klar, daß jeder Versuch, den See zu umrunden, einen riesigen Umweg verlangen und Stunden wertvoller Zeit kosten würde. Es blieb nur eine Alternative, und für die entschieden sie sich. Katsin führte sie, wie er das fast den ganzen Tag getan hatte. Die anderen Elfen-Jäger gruppierten sich paarweise, so daß ein Paar vor Wil und Amberle schritt, und eines hinter ihnen. Nachdem sie sich durch das Gestrüpp gekämpft hatten, das ihnen den Zugang verwehren wollte, traten sie auf eine schmale Brücke aus Erde und Wurzelwerk, die vom Ufer in den See hinausragte und sich im Nebel verlor. Wenn sie Glück hatten, spannte sich die Brücke bis an das andere Ufer.

Vorsichtig tasteten sie sich voran, setzten mit Bedacht einen Fuß vor den anderen auf dem unebenen Grat, der zu beiden Seiten von glucksendem Sumpfwasser umspielt wurde. Schnell schloß sich die Nebelwand hinter ihnen, und das Land versank hinter ihr. Regen schlug ihnen in die Gesichter, während sie vorwärtsschritten, und Windböen rissen an ihren Kleidern. Dann lichtete sich unversehens der Nebel, und sie sahen, daß die Brücke keine dreißig Schritte entfernt im See versank.

Jenseits hob sich ein massiger Erdhaufen aus dem Wasser, der mit Steinen und wuchernden Pflanzen bedeckt war. Das andere Ufer des Sees war nicht zu sehen. Sie waren in eine Sackgasse geraten.

Crispin wollte ein Stück vorauseilen, um zu erkunden, was sich jenseits des gewaltigen Erdhaufens befand, doch Katsin hob abwehrend die Hand. Er warf rasch einen Blick nach hinten zu den anderen und legte mahnend einen Finger auf die Lippen. Dann wies er auf den Erdhaufen, machte Crispin auf einen langgezogenen Kamm aufmerksam, der sich leicht gewölbt zum Wasser hinunterschwang. Ganz vorn stieg aus zwei kleinen Löchern, die unmittelbar über dem Wasserspiegel lagen, Dampf in die Luft auf.

Atemlöcher!

Wortlos winkte Crispin sie zurück. Er hatte nicht die Absicht, das Ding, das da draußen im Wasser schlief, zu stören.

Doch es war zu spät. Das Geschöpf hatte sie gewittert. Urplötzlich hob sich sein massiger Leib aus dem See und überschüttete sie mit stinkendem brackigen Wasser. Mit einem lauten Schnauben öffnete es die gelben Augen, die bis dahin unter Seerosenblättern verborgen gewesen waren. Zuckende Fühler tasteten von dem schlammstarrenden Leib in die Luft, und ein breites, flaches Maul wandte sich ihnen mit weit geöffnetem Rachen zu. Einen Moment lang hing es über dem See, dann sank es unter das Wasser und war verschwunden.

Wil Ohmsford erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf das massige Ungeheuer. Dann packte er Amberles Hand und zog das Elfenmädchen hinter sich her, während er hinter Ped und Cormac durch den Nebel hetzte. Hinter sich hörte er das Keuchen von Katsin, Dilph und Crispin und riskierte einen hastigen Blick zurück, um zu sehen, ob das Ungeheuer sie verfolgte. Genau in diesem Moment verfing sich sein Fuß in einer losen Wurzel, und er stürzte zu Boden.

Der Sturz, bei dem er Amberle mit sich zog, rettete ihnen das Leben. Aus dem wallenden Nebel nämlich stieß jetzt das gewaltige Ungeheuer empor und schob sein weit aufgerissenes Maul über die schmale Brücke wie einen Kescher. Angstschreie kamen von Ped und Cormac, als das Monstrum sie packte und in den See riß. Der massige Leib sank erneut ins Wasser und verschwand.

Wil war wie versteinert vor Entsetzen, während er dort, wo das Ungeheuer verschwunden war, in den Nebel spähte. Dann sprang Crispin zu ihnen hin, zog Amberle hoch und schwang sie sich über die Schulter, um mit ihr das sichere Ufer zu erreichen. Katsin hievte Wil über seine Schulter, ehe der noch ans Aufstehen dachte, und jagte Crispin nach. Dilph folgte als letzter mit gezogenem Schwert.

Sekunden später stolperten sie durch Dickicht und Gestrüpp und ließen sich schließlich weit vom Ufer entfernt auf die schlammige Erde niederfallen. Keuchend vor Anstrengung lauschten sie. Aber sie vernahmen nichts. Sie wurden nicht verfolgt. Das Ungeheuer hatte sich zurückgezogen.

Doch jetzt waren ihrer nur noch fünf.

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