39

Am frühen Morgen jenes Tages, an dem Wil und Amberle den Verlust der Elfensteine bemerkten, griffen die Dämonen Arborlon an. Mit ohrenbetäubendem Geheul, das die morgendliche Stille zerfetzte und in den Wäldern des Tieflands widerhallte, stürzten sie aus dem Schutz der Bäume hervor, eine gewaltige Flutwelle verkrüppelter, buckliger Leiber, die den Carolan seiner ganzen Länge nach bedrohte. In tollwütigem Haß, der weder Vorsicht noch Vernunft kannte, strömten die Geschöpfe der Finsternis aus der Dunkelheit der Wälder und warfen sich in die Wasser des Singenden Flusses. Wie ein riesiger Fleck, der sich auf den blauen Wellen ausbreitete, füllten sie den Fluß, große und kleine, flinke und schwerfällige, springende, kriechende, sich windende Wesen, die durch die rasch dahinfließende Strömung wogten. Viele suchten den Fluß schwimmend zu durchqueren, schlugen wie rasend um sich, um das andere Ufer zu erreichen. Jene, die leicht und wendig waren, schwebten über den Wellen dahin, sprangen auf dem Wasser oder glitten auf der Fläche des Wassers vorwärts. Andere, von solch gewaltiger Größe, daß sie den Fluß durchwaten konnten, schlurften und stampften schwerfällig durch das Wasser, Schnauzen und Mäuler weit emporgereckt. Viele fuhren auf Flößen oder in roh zusammengezimmerten Booten, stakten blind und ziellos und grapschten nach allem, was ihnen in den Weg kam, um sich entweder an Land ziehen oder auf den Grund des Flusses hinunterreißen zu lassen. Wahnsinn, der aus Ohnmacht und Haß geboren war, packte die Dämonenhorden. Diesmal würden sie den Feind, der sie am anderen Ufer erwartete, mit Sicherheit vernichten.

Doch die Elfen blieben besonnen und verloren nicht den Kopf.

Ein weniger entschlossenes Heer hätte sich vielleicht von der riesigen Zahl und der wilden Raserei der Horden, die da heranstürmten, entmutigen lassen; nicht so die Elfen. Dies sollte die entscheidende Schlacht werden. Hier verteidigten sie ihre Hauptstadt, das Herz des Landes, das seit Bestehen der Rassen das ihre war. Alles, was westlich des Singenden Flusses lag, war verloren. Doch Arborlon würden sie nicht preisgeben. Lieber wollten sie kämpfen und bis auf den letzten Mann untergehen, als sich aus ihrem Heimatland vertreiben lassen und als Ausgestoßene in fremden Landen zu leben, von ihren Verfolgern gehetzt wie Tiere.

Auf der Höhe der Befestigungsanlagen des Elfitch stand Andor Elessedil und beobachtete das wogende Meer von Dämonen, das sich heranwälzte. An seiner Seite stand Allanon. Beide Männer schwiegen. Nach einer Weile hob Andor den Blick. Hoch oben tauchte aus dem klaren Blau des frühen Morgens ein dunkler Punkt, wurde größer, als er sich in weiten Kreisen abwärts senkte, und nahm schließlich Gestalt an. Es waren Dayn und sein Rock Dancer. Abwärts schwebten sie, glitten über die Felsklippen des Carolan, um schließlich auf der Rampe oberhalb von Andor und dem Druiden zu landen. Dayn sprang hastig vom Rücken des Riesenvogels und eilte zu dem Elfenprinzen.

»Wie viele?« fragte Andor sogleich.

Dayn schüttelte den Kopf.

»Nicht einmal die Wälder und der Nebel können sie alle verbergen. Die, die wir hier vor uns sehen, sind im Vergleich dazu nur eine Handvoll.«

Andor nickte. So viele, ging es ihm bedrückend durch den Kopf. Er versagte es sich, den Druiden anzusehen.

»Haben sie die Absicht, uns über die Flügel anzugreifen, Dayn?«

Der Himmelsreiter schüttelte wieder den Kopf.

»Sie marschieren direkt gegen den Carolan — alle.« Er warf einen Blick hinunter auf die angreifenden Dämonen, die sich in den Wassern des Singenden Flusses wälzten. Dann machte er kehrt und schickte sich an, wieder den Wall hinaufzusteigen. »Ich lasse Dancer noch ein paar Minuten rasten, dann fliege ich zurück und sehe mir alles noch einmal an. Viel Glück, Herr!«

Andor hörte ihn kaum.

»Wir müssen sie hier halten«, murmelte er beinahe zu sich selbst.

Unten tobte schon die Schlacht. Am Ufer des Flusses standen in dichten Reihen die Bogenschützen des Elfenheeres, und ihre Langbogen summten und vibrierten, während ein Hagelschauer von Pfeilen nach dem anderen auf die Masse wogender Leiber in den Wassern des Singenden Flusses niederging. Von jenen Ungeheuern, die mit Schuppen und Lederhäuten gepanzert waren, prallten die Pfeile ab, ohne Schaden anzurichten; viele aber fanden auch ihr Ziel, und die Schreie der Getroffenen übertönten schrill das Geheul der Angreifer. Dunkle Körper bäumten sich auf und versanken in den brodelnden Wassern, um von den nachfolgenden Wellen wütender Angreifer auf den Grund des Flusses gestampft zu werden. Pfeile mit Feuerspitzen schlugen in Boote, Flöße und Holzblöcke ein. Doch die meisten wurden rasch gelöscht, und die Wasserfahrzeuge brandeten weiter voran. Immer wieder die Bogenschützen in die voranstürmenden Horden hinein, die aus den Wäldern in den Fluß strömten, doch die Dämonen ließen nicht locker. Das ganze westliche Ufer und der Fluß waren schwarz von den Ungeheuern.

Da stieg auf der Höhe des Carolan ein vielstimmiger Schrei auf, und Freudenrufe schallten durch den Morgen. Im Zwielicht des frühen Morgens wandten die Elfen die Köpfe in die Richtung, um zu sehen, was es gab. Ungläubigkeit und Freude spiegelten sich auf ihren Gesichtern, als ein hochgewachsener, grauhaariger Reiter auftauchte. Von Mund zu Mund pflanzten sich die Freudenrufe fort bis hinunter zu den vordersten Linien am Singenden Fluß.

»Eventine! Eventine!«

Die Elfen waren wie verwandelt, von neuer Hoffnung, neuem Glauben, neuem Leben erfüllt. Denn hier war der König, der beinahe sechzig Jahre über sie geherrscht hatte — für viele ihr ganzes Leben lang. Hier war der König, der gegen den Dämonen-Lord in den Kampf gezogen war und schließlich über ihn triumphiert hatte. Hier war der König, der sein Volk sicher durch jede Krise geführt hatte. Am Halys-Joch verwundet, schon verloren geglaubt, war er zu ihnen zurückgekehrt. Da konnte das Böse, ganz gleich, wie ungeheuerlich es war, nicht siegen.

Eventine!

Und doch stimmte da etwas nicht. Andor erkannte es, sobald sein Vater vom Pferd stieg und zu ihm trat. Dies war nicht, wie das Volk glaubte, der alte Eventine. Er sah in den Augen des Königs eine Distanz, die den Herrscher der Elfen von allem trennte, was rund um ihn geschah. Es war, als habe er sich in sich selbst zurückgezogen, nicht aus Furcht oder Unsicherheit, denn diese konnte er meistern, sondern aus einer tiefen Traurigkeit heraus, die seinen Lebensmut gebrochen zu haben schien. Gewiß, er sah stark aus, die Maske seines Gesichts zeigte Entschlossenheit und eisernen Willen, und er begrüßte jene um ihn herum mit den alten, vertrauten Worten der Ermutigung. Doch die Augen verrieten den Schmerz, die Trostlosigkeit, die sich in seinem Herzen breitgemacht hatten. Sein Sohn las es in ihnen und bemerkte, daß auch Allanon es las. Es war nur die leibliche Hülle des Königs, die an diesem Morgen heranritt, um seinem Volk nahe zu sein. Vielleicht hatten der Tod Arions und Kael Pindanons diese Zerstörung angerichtet; vielleicht die Verwundung, die er am Halys-Joch erlitten hatte, die Niederlage seines Heeres dort, oder die schreckliche Verheerung seines Landes; wahrscheinlich war die Ursache all dies zusammen und noch etwas — der Gedanke an die Niederlage, das Wissen, daß, sollten die Elfen diese Schlacht verlieren, ein Unheil über die Vier Länder hereinbrechen würde, das niemand aufhalten konnte, das über alle Rassen herfallen und sie verschlingen würde. Die Verantwortung dafür, dies zu verhindern, lag bei den Elfen, und bei keinem mehr als bei ihm, Eventine, denn er war ihr König.

Andor verbarg die Trauer, die er empfand, und umarmte seinen Vater mit Wärme. Dann trat er zurück und hielt den Ellcrys-Stab hoch.

»Das gehört Euch, Herr!«

Eventine schien einen Moment lang zu zögern, dann schüttelte er langsam den Kopf.

»Nein, Andor. Er gehört jetzt dir. Du mußt ihn für mich tragen.«

Stumm betrachtete der Elfenprinz seinen Vater. In den Augen des alten Mannes gewahrte er etwas, was ihm zuvor entgangen war. Sein Vater wußte. Er wußte, daß er nicht gesund war, wußte, daß in ihm eine Veränderung vorgegangen war. Er mochte den anderen etwas vorspielen, seinem Sohn gegenüber wollte er es nicht.

Andor nahm den Stab an sich.

»Dann stellt Euch zu mir auf den Wall, Herr«, bat er leise.

Sein Vater nickte, und zusammen stiegen sie zum Wall hinauf.

Unten eroberten in diesem Augenblick die ersten Dämonen das Ostufer des Singenden Flusses. Mit Wutgeschrei hoben sie sich aus dem Wasser und rannten gegen die Lanzen und Piken an, die hinter den Verschanzungen der Elfen warteten. Bald wälzten sich überall, an der gesamten Verteidigungslinie entlang, Dämonen aus den dunklen Wassern des Singenden Flusses. Gehörnt und klauenbewehrt, mit reißenden Zähnen und aufgerissenen Rachen stürzten sie sich auf die Verteidiger, die ihnen den Weg versperrten. In der Mitte der Abwehrmauer stellten sich Stee Jans und die Reste der Freitruppe dem Ansturm der Dämonen entgegen. An der vordersten Front stand der hünenhafte Grenzländer mit dem roten Haar, das breite Schwert hoch erhoben. An den Flügeln ermutigten Ehlron Tay und Kerrin von der Leibgarde ihre Soldaten, tapfer auszuharren.

Doch schließlich konnten sie dem Ansturm der Dämonenhorden nicht mehr widerstehen. Die Linien gerieten ins Wanken. Riesenhafte Ungeheuer brachen durch die Abwehrmauer und schlugen Breschen in die niedrigen Schanzwälle, um den Nachkommenden den Weg freizumachen. Die Wasser des Singenden Flusses waren schwarz von Dämonenblut und verkrümmt dahintreibenden Leibern. Doch für jeden, der fiel, kamen drei neue. Oben beim Tor der zweiten Terrasse des Elfitch gab Andor den Befehl zum Rückzug. Rasch gaben die Elfen und ihre Verbündeten die einstürzende Flußmauer auf und glitten in den dahinter liegenden Wald, um auf geheimen Pfaden die Sicherheit der Rampe zu erreichen. Noch bevor die Dämonen sich’s versahen, hatten sich die Verteidiger hinter die schützenden Mauern der Rampe zurückgezogen, und das Tor schloß sich hinter ihnen.

Augenblicklich jagten die Dämonen ihnen nach. In wilden Scharen strömten sie durch den Wald am Fuß der Felsen und verfingen sich in Hunderten von Netzen und Fallen, die die Elfen dort gelegt hatten. Viele stürzten auch in die mit Laub und Zweigen getarnten Gruben, welche die Elfen ausgehoben hatten. Einige Augenblicke lang geriet der Sturmangriff ins Stocken. Doch als die Zahl der Dämonen am Flußufer sich mehrte, überrannten die nachfolgenden Massen jene ihrer Brüder, die in die Fallen geraten waren, und wälzten sich schon die Rampe des Elfitch herauf. Rasch hatten sie sich gesammelt und griffen an. Nebeneinander und übereinander erklommen sie in Schwärmen die Mauern und ergossen sich über die Verschanzungen der unteren Stufe. Die Elfen wurden zurückgetrieben; ehe das Tor zur zweiten Stufe geschlossen werden konnte, war das erste gefallen.

Und immer noch stürmten die Dämonen vorwärts, schoben sich in gewaltiger Flut die Rampe herauf zum zweiten Tor. Sie zogen sich an den Wällen hoch und erklommen selbst die schroffe Felswand wie die Insekten. Ein wogendes Getümmel kreischender, heulender Ungeheuer wälzte sich die Rampe und die Felswand herauf. Die Elfen waren voller Entsetzen. Der Fluß hatte die Dämonen nicht aufhalten können. Die Verschanzungen an seinem Ufer waren innerhalb von Minuten überrannt worden. Jetzt war die erste Stufe des Elfitch verloren, und selbst die Felswand schien die Ungeheuer nicht abhalten zu können. Es sah aus, als würden sich all ihre Abwehrmaßnahmen als nutzlos erweisen.

Dämonenleiber prallten krachend gegen das zweiflügelige Tor der zweiten Rampe. Krallen schlugen sich in das Holz, und die Ungeheuer zogen sich aufwärts. Lanzen und Piken stießen hernieder und spießten die Angreifer auf. Die beiden Flügel des Tores senkten sich in ihren Angeln, doch diesmal hielten die Verteidiger die Stellung. Eisen und schwere Taue verstärkten das Tor. Schmerzgeheul und Todesschreie bebten in der Luft, und das Dämonenheer ballte sich zu einer Masse zuckender Leiber zusammen, die sinnlos gegen die Mauern der Rampe anrannten.

Eine Handvoll von Furien sprang plötzlich aus der Mitte der wogenden Massen, geschmeidige graue Wesen, deren Katzenfrauen-Gesichter verzerrt waren vor Haß. Die Verteidiger schreckten vor ihnen zurück, als sie auf den Wall sprangen, fauchend ihre Krallen in die nächststehenden Elfen schlugen, die laut aufschrieen vor Angst und Entsetzen. Da aber schoß Allanons blaues Feuer züngelnd unter die Furien und trieb sie auseinander. Die Elfen griffen ohne Zögern an und schleuderten die gräßlichen Katzenwesen von den Mauern.

Der Druide und die Elessedils stiegen hinauf zum dritten Tor. Von dort aus beobachteten sie, wie der Angriff der Dämonen an Kraft gewann. Aber noch immer hielten die Elfen die Stellung, unterstützt von den Bogenschützen, die von den oberen Rampen ihre gefiederten Pfeileherabschnellen ließen. Überall rund um die Rampe des Elfitch hingen Dämonen in Schwärmen in der Felswand und arbeiteten sich langsam und mühsam aufwärts zur Höhe. Von oben schleuderten die Zwergenpioniere Felsbrocken hinunter, um die schwarzen Ungeheuer mit in den Abgrund zu stürzen. Einer nach dem anderen sausten die Dämonen heulend in die Tiefe.

Da hob sich plötzlich ein gewaltiger Dämon aus der Mitte der Angreifer, die gegen das Tor der zweiten Rampe anrannten; ein riesiges Geschöpf mit Schuppenpanzer, das auf zwei Beinen stand wie ein Mensch, aber den Leib und den Kopf einer gigantischen Eidechse hatte. Wutschnaubend warf es sich mit der ganzen Kraft seines Körpers gegen das Tor, so daß die Eisenstangen brachen und die Angeln sich lockerten. Mit dem Mut der Verzweiflung versuchten die Elfen, es zurückzudrängen, doch das unförmige Ungeheuer schüttelte die Hiebe und Stiche ab, und die Waffen der Elfen brachen an seinem gepanzerten Leib. Ein zweites Mal warf es sich gegen das Tor, und diesmal sprang es auf, und seine Flügel stürzten auf die Elfen herab. Die Verteidiger fielen sogleich zurück und flohen den Elfitch hinauf zur dritten Terrasse, wo das nächste Tor offenstand, um sie schützend aufzunehmen. Das Eidechsenwesen und seine Brüder jagten den Fliehenden hinterher.

Eine Zeitlang schien es, als würde es den Elfen nicht gelingen, das Tor zur dritten Rampe zu schließen, bevor die Dämonen es erreichten. Da tauchte Stee Jans vor dem Tor auf. Mit einem gewaltigen Speer in den Händen, von den Soldaten seiner Truppe und einer Handvoll Leibgardisten flankiert, trat er den vorwärts stürmenden Dämonen entgegen.

Das riesige Eidechsenungeheuer ließ sich nach vorn fallen und versuchte, ihn zu packen. Doch der Grenzländer war flink und geschmeidig. Er wich dem Angriff des Ungeheuers behende aus und stieß ihm gleichzeitig den Speer aufwärts in den aufgerissenen Rachen. Fauchend und speiend bäumte sich die Riesenechse auf den Hinterbeinen auf. Der Schaft des Speeres ragte aus seinem gewaltigen Haupt. Klauenhände grapschten nach dem Befehlshaber der Freitruppe, doch seine Soldaten und die Elfen umringten ihn und wehrten Schläge und Hiebe ab. Innerhalb von Sekunden waren sie wieder in der Sicherheit des Walls, und das Tor schloß sich hinter ihnen.

Die Riesenechse stand noch einen Moment lang in der Mitte der Rampe und mühte sich, den Speer aus ihrem Kopf herauszuziehen. Dann aber brach das Ungeheuer inmitten seiner Brüder zusammen, riß sie mit sich die Rampe hinunter, als es über den Wall stürzte und in den Wald darunter fiel.

Heulend vor Wut und Haß griffen die Dämonen von neuem an. Doch der erste Schwung war verloren. Über die Länge des Elfitch verteilt, schienen sie nicht fähig, sich zu einem gemeinsamen Vorstoß zu sammeln. Der Größte und Gewaltigste unter ihnen war getötet worden; ein anderer war nicht da, um seinen Platz einzunehmen. Und so verharrten sie unschlüssig innerhalb der Mauern der unteren Rampe. Ermutigt von der Unerschrockenheit der Freitruppe und ihrer eigenen Leibwache, warfen die Elfen sie zurück. Pfeile und Speere schlugen tausend Wunden, und Hunderte schwarzer Leiber brachen auf der Rampe zusammen. Immer noch drängten die Dämonen nach, doch sie waren jetzt verwirrt und leicht angreifbar.

Andor erkannte seine Möglichkeit. Er gab das Signal zum Gegenangriff. Auf Kerrins Befehl wurde das Tor zur dritten Rampe weit geöffnet, und die Elfen stürmten heraus. Mitten hinein in das Gewoge der Dämonen stürzten sie sich und trieben die schrecklichen Feinde den Elfitch hinunter, zurück durch das zerschmetterte Tor der zweiten Rampe. Und als die Rampe leergefegt war, jagten sie die Dämonen weiter hinunter bis zum unteren Tor. Erst da sammelten sich die Dämonen wieder. Und nun griffen sie von neuem an, verstärkt von den Tausenden, die der Singende Fluß noch immer ausspie. Nur einen Moment lang hielten die Elfen stand, dann zogen sie sich zum Tor der zweiten Stufe zurück. Sie befestigten es erneut mit Eisenstangen und schweren Holzbalken und warteten auf den Ansturm der Dämonen-Horden.

So wogte die Schlacht den ganzen Tag bis in den Abend hinein. Auf und nieder tobte der Kampf, vom Fuß des Carolan-Felsens bis hinauf zum Tor der dritten Stufe. Elfen und Dämonen hieben mit schrecklicher Wut aufeinander ein, es gab kein Erbarmen. Zweimal eroberten die Dämonen das zweite Tor zurück und stürmten gegen das dritte an. Zweimal wurden sie bis zum Fuß des Felsens zurückgetrieben. Tausende starben. Die Zahl der Toten allerdings war bei den Dämonen ungleich größer als bei den Elfen und ihren Verbündeten; denn die Dämonen kämpften, ohne ihres eigenen Lebens zu achten. Aber auch unter den Elfen gab es Verluste, und die Zahl der Kämpfer wurde stetig kleiner, während die der Dämonen immer noch zu wachsen schien.

Ganz plötzlich dann gaben die Dämonen ihre Angriffe auf. Nicht daß sie Hals über Kopf geflohen wären, nein, langsam, widerwillig, fauchend und knurrend wichen sie den Elfitch hinunter zurück und verschwanden in den Wäldern. Schwarze Leiber kauerten sich im schattigen Dunkel der Nacht zusammen, hockten reglos und schweigend da, als erwarteten sie ein bestimmtes Ereignis. Hinter den Toren und Wällen des Elfitch und vom Rand des Carolan spähten die erschöpften Verteidiger in die Finsternis hinunter. Sie fragten nicht nach den Gründen für den Rückzug der Dämonen; sie waren einfach froh und dankbar dafür.

In derselben Nacht, kaum zwei Stunden nachdem die Dämonen sich in das Waldesdunkel zu Füßen des Carolan zurückgezogen hatten, kam ein Bote zu Eventine und Andor, die sich im Hohen Rat mit den Ministern des Elfenreichs berieten. Mit aufgeregter Stimme verkündete er, daß ein Heer von Bergtrollen aus dem Kershal eingetroffen sei.

Eilig verließen der König und sein Sohn das Gebäude. Im Hof erwartete sie die überraschend eingetroffene Truppe. Bis in die letzte Ecke drängten sich Reihen kräftiger, knorriger Gestalten, die in Leder und Eisen gekleidet waren. Breite Schwerter und Speere schimmerten im qualmenden Licht der Fackeln, und aus kantigen Gesichtern blickten tiefliegende Augen die erstaunten Elfen an.

Der Befehlshaber trat vor, ein riesenhafter Troll mit einer großen, zweischneidigen Streitaxt auf dem Rücken. Mit einem flüchtigen Blick auf die anderen Elfen, die dem König und seinem Sohn hinaus gefolgt waren, stellte er sich vor Eventine auf.

»Ich bin Amantar, Maturen dieses Heeres«, erklärte er, den rauhen Dialekt der Trolle sprechend. »Wir sind fünfzehnhundert Mann stark, König Eventine. Wir sind gekommen, den Elfen Beistand zu leisten.«

Eventine war sprachlos. An die Hilfe der Trolle hatten sie nicht mehr geglaubt; die Nordländer, hatten sie gedacht, zögen es vor, sich aus diesem Konflikt herauszuhalten. Sie jetzt hier zu sehen, nachdem man schon alle Hoffnung auf fremden Beistand aufgegeben hatte…

Amantar sah die Überraschung des alten Königs.

»König Eventine, Ihr müßt wissen, daß Eure Bitte um Beistand gründlich bedacht wurde«, brummte er leise. »Immer zuvor haben Trolle und Elfen gegeneinander gekämpft; immer sind wir Feinde gewesen. Das läßt sich nicht mit einem Schlag vergessen. Doch für jeden gibt es eine Zeit zum Neuanfang. Diese Zeit ist nun für Elfen und Trolle gekommen.

Wir wissen von den Dämonen. Es ist schon zu vereinzelten Zusammenstößen mit ihnen gekommen. Es hat Verwundete und Tote gegeben. Die Bergtrolle wissen um die Gefahr, die die Dämonen darstellen. Die Dämonen sind ein ebenso großes Unheil wie der Dämonen-Lord und die Geschöpfe des Schädelreiches. Solches Unheil ist eine Bedrohung für uns alle. Deshalb müssen Elfen und Trolle ihre Differenzen vergessen und gemeinsam diesem Feind entgegentreten. Wir sind bloß gekommen, Euch zur Seite zu stehen.«

Nachdem Amantar geendet hatte, ließ er sich mit gemessener Bewegung auf die Knie nieder, um so, nach der Art der Trolle, seine Treue zu beschwören. Seine Männer taten es ihm nach, knieten schweigend vor Eventine nieder.

Andor entgingen die Tränen nicht, die dem alten Mann plötzlich in die Augen traten. In diesem Moment kehrte Eventine ganz zurück von dem Ort, an den er sich zurückgezogen hatte, und in seinem Gesicht leuchteten Hoffnung und Stolz auf. Langsam legte er seine rechte Hand aufs Herz, den Treueschwur der Trolle auf Elfenart erwidernd. Amantar erhob sich, und die beiden Männer reichten einander die Hand.

Andor hätte am liebsten aus vollem Herzen gejubelt.

Unter einem verhangenen Nachthimmel, hinter dessen jagenden Wolken sich Mond und Sterne nur flüchtig zeigten, schritt Allanon allein über die schmalen Pfade im Garten des Lebens. Einsam und still glitt seine hochgewachsene Gestalt durch die kühle, von Düften schwere Dunkelheit der Blumenterrassen und blühenden Hecken. Den Kopf gesenkt, die Arme in den tiefen Falten seines langen schwarzen Gewandes verborgen, wanderte er dahin. Sein hartes Gesicht war im Schatten der Kapuze verborgen, und seine schmalen Züge waren von Linien tiefer Sorge und bitterer Entschlossenheit gezeichnet. In dieser Nacht nämlich ging er zu einem Stelldichein mit dem Tod.

Er ging zum Fuß des Hügels, der von den Soldaten der Schwarzen Wache umringt war. Ungeduldig hob er eine Hand und glitt so rasch und leicht wie ein flüchtiger Gedanke zwischen ihnen hindurch. Sie sahen ihn nicht. Langsam erklomm er die Höhe des Hügels, die Augen zur Erde gesenkt, da er nicht sehen wollte, was zu sehen er gekommen war.

Als er die Höhe des Hügels erreicht hatte, hob er den Kopf. Vor ihm stand der Ellcrys, die einst schlanken und anmutigen Zweige dürr und verkümmert. Verflogen war der Duft und verblichen die Farbe, nur ein Schatten war übrig von dem, was einst so kraft- und lebensvoll gewesen war. Blutrote Blätter lagen auf dem Boden verstreut wie verknülltes Pergament. Nackt und kahl ragte der Baum in den Nachthimmel.

Eiskalt durchfuhr es Allanon. Selbst er war auf diesen Anblick nicht vorbereitet gewesen. Schmerz und Trauer stiegen in ihm auf über das Unvermeidliche. Er hatte nicht die Macht, es zu verhindern, denn selbst die Druiden besaßen nicht die Gabe des ewigen Lebens.

Er hob die Hand, um die welken Zweige zu berühren, und ließ sie wieder sinken. Er wollte den Schmerz des Baumes nicht spüren. Und doch war ihm bewußt, daß er wissen mußte, wie es um den Baum stand, und deshalb hob er nochmals die Hand, ganz langsam, und berührte sacht den Baum. Nur einen Moment lang ließ er seine Hand liegen und ließ Trost und Hoffnung aus seiner Seele in die des Ellcrys fließen, ehe er sie wieder zurückzog. Noch einen Tag oder zwei, vielleicht auch drei. Länger nicht.

Seine Gestalt richtete sich auf, und seine Arme fielen schlaff zu seinen Seiten herab, als er die dunklen Augen auf den sterbenden Baum richtete. So wenig Zeit blieb noch.

Als er sich abwandte, fragte er sich, ob die Zeit ausreichen würde, um Amberle zurückzubringen.

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