47

Im nächsten Augenblick wurde Wil Ohmsford gewahr, daß er Amberle nicht mehr sehen konnte. Zuerst zauderte er, da er glaubte, seine Augen spielten ihm Streiche, das Feuer verberge sie in seinem Spiel aus scharlachrotem Licht und zuckenden Schalten. Er glaubte, sie müsse immer noch dort auf dem Felssockel stehen, wo sie eben gestanden hatte. Doch wenn das zutraf, wie kam es dann, daß er sie nicht sehen konnte? Er wollte gerade zum Blutfeuer laufen, um sich Gewißheit zu verschaffen, da hörten sie alle drei den Schrei — schrill und schrecklich gellte er durch die Stille. »Wisp!« flüsterte Eretria voller Entsetzen. Sie war schon auf dem Weg zum Tunnel, als Wil sie einholte und rasch zurückriß zum Feuer. Hebel folgte ihnen, eine Hand in Drifters zottigem Fell. Der große Hund knurrte warnend. Dann vernahmen sie, wie etwas durch den Wasserfall glitt. Nicht Wisp, das wußte Wil. Dies war ein anderer; ein Wesen, das viel größer war als Wisp. Das war dem Geräusch zu entnehmen. Und wenn es nicht der kleine Irrwisch war, dann … Drifters Nackenhaare sträubten sich, und der Hund kauerte sich knurrend nieder. »Hinter mich!« Wil winkte Eretria und den alten Hebel zurück.

Schon griff Wil unter seinen Kittel und riß den Beutel heraus, in dem die Elfensteine lagen. Während er bis zum Rand des Felssockels zurückwich, auf dem das Blutfeuer loderte, zog er den Beutel auf. Die Augen unverwandt auf den Eingang zur Höhle gerichtet, holte er die Elfensteine hervor.

Es war der Raffer.

Sein Schatten fiel düster in die Höhle, so lautlos wie der wandernde Mond. Der Raffer bewegte sich wie ein Mensch, doch er war größer und massiger als ein gewöhnlicher Sterblicher, ein gewaltiges, unheimliches Wesen, größer noch als Allanon. Nichts war von ihm zu sehen außer den Gewändern und der Kapuze von der Farbe feuchter Asche, die ihn völlig vermummten. Als er aus dem Gang in die Höhle glitt, übergoß ihn das brennend rote Licht des Feuers wie Blut.

Eretrias Schreckensschrei durchschnitt die Stille. Von einer großen, grausamen Krallenhand hing der leblose kleine Körper Wisps herab.

Augenblicklich zog Eretria den gekrümmten Dolch. Aus den schwarzen Schatten seiner Kapuze starrte der Raffer sie an, gesichtslos, ohne Erbarmen. Wil spürte die Eiseskälte, die ihn umgab, kälter noch als in jenem Augenblick, da er zum ersten Mal Mallenroh begegnet war. Er spürte das absolute Böse in der Gegenwart des Dämonen. Er dachte an seine Opfer, an die Elfenwachen im Drey-Wald, an Crispin, Dilph und Katsin auf dem Pykon, an Cephelo und die Fahrensleute am Heulekamm — alle waren sie von diesem Ungeheuer vernichtet worden. Und jetzt trachtete es ihnen nach dem Leben.

Er begann zu zittern. Die Angst in ihm war so heftig, daß sie wie etwas Lebendiges war. Er konnte den Blick nicht von dem Dämon wenden, brachte es nicht fertig wegzusehen, obwohl alles in ihm danach schrie. Das Gesicht Eretrias, die an seiner Seite stand, war grau vor Entsetzen, und ihre dunklen Augen sahen immer wieder zu Wil hin. Hebel wich noch einen Schritt weiter zurück, und Drifters Knurren wurde zu einem angstvollen Winseln.

Geschmeidig und lautlos wie ein Gespenst trat der Raffer durch dieÖffnung in das Innere der Höhle. Wil Ohmsford nahm seine ganze Kraft zusammen. Er hob die Hand, die die Elfensteine hielt. Der Raffer verharrte. Die gesichtlose Kapuze hob sich ein wenig. Doch nicht Wil hatte den Raffer veranlaßt zu zögern. Das blutrote Feuer, das hinter ihm loderte, ließ das Ungeheuer zaudern. Etwas an diesem Feuer verwirrte und störte den Raffer. Reglos betrachtete der Dämon die blutroten Flammen, die aus der glatten Fläche des Felssockels züngelnd zur Decke der Höhle emporstiegen. Das Feuer schien nicht zu drohen. Es brannte ruhig, kühl, rauchlos und beständig, ohne Spuren zu hinterlassen. Noch einen Augenblick wartete der Raffer, um das Feuer aufmerksam zu betrachten. Dann setzte er sich wieder in Bewegung.

Die Träume fielen Wil Ohmsford in diesem Augenblick wieder ein, die Träume, die seinen Schlaf in Havenstead und später in der Festung auf dem Pykon heimgesucht hatten; die Träume von dem Ungeheuer, das ihm durch Nacht und Nebel nachjagte, und dem er nicht entkommen konnte. So wie damals im Schlaf überfielen ihn jetzt die Träume, und all die Gefühle, die ihn gequält hatten, wurden wiedergeboren, doch intensiver und beängstigender. Es war der Raffer gewesen, der ihn verfolgt hatte, gesichtslos ihm nachgesetzt hatte von einer Traumwelt in die andere, immer nur einen Schritt entfernt — der Raffer, der jetzt aus den bösen Träumen in die Wirklichkeit getreten war. Diesmal jedoch gab es kein Entfliehen, kein Verstecken, kein Erwachen. Diesmal gab es kein Entkommen.

Allanon! Hilf mir!

Wil zog sich tief in sich selbst zurück und fand in einem Meer der Angst die Worte des Druiden wieder. Glaube an dich selbst. Glaube! Habe Vertrauen. Auf dich vor allen anderen verlasse ich mich. Ich verlasse mich auf dich.

Er raffte die Worte an sich. Mit ruhiger Hand beschwor er die Zauberkraft der Elfensteine. Tief tauchte er in den Zauber der Steine ein, spürte, wie er durch Schichten tiefblauen Lichtes sank. Sein Blick schien sich zu verschleiern, während er fiel, und der scharlachrote Schein des Blutfeuers schien dagegen fahl und grau zu werden. Fr war jetzt nahe, ganz nahe. Er konnte das Feuer der Kraft spüren, die den Elfensteinen innewohnte.

Und dennoch, es geschah nichts.

Wil geriet in Panik, und einen endlos langen Augenblick überwältigte ihn die Angst mit solcher Macht, daß er nahe daran war, einfach davonzulaufen. Nur das Wissen, daß er ja doch nicht entfliehen konnte, ließ ihn standhaft ausharren. Die Schranke in seinem Inneren sperrte immer noch genauso wie nach der Begegnung mit dem Dämon im Tirfing —, und sie würde immer in ihm sein, weil er nicht der wahre Meister der Elfensteine war, nicht ihr rechtmäßiger Besitzer, sondern nur ein einfältiger Talbewohner, der sich in seinem Hochmut eingebildet hatte, er könnte mehr sein als er wirklich war.

»Heiler!« schrie Eretria verzweifelt.

Wieder versuchte Wil die Kraft der Steine zu erwecken, und wieder mißlang es. Er konnte den Quell der Kraft nicht erreichen, konnte ihn nicht zum Sprudeln bringen. Schweiß strömte ihm über das Gesicht, und er umklammerte die Elfensteine so fest, daß die Kanten in sein Fleisch einschnitten. Warum konnte er die Kraft nicht freisetzen?

Da sprang Eretria plötzlich ein paar Schritte vor, täuschte einen Angriff mit dem Dolch vor, um den Dämon auf sich zu lenken.

Der Raffer fuhr herum. Aus der finsteren Vermummung der Kapuze verfolgte er das Mädchen, das langsam an dem Felssockel entlangglitt, als wolle es durch die Höhlenöffnung entfliehen.

Wil war augenblicklich klar, was sie da tat — sie wollte ihm Zeit schaffen, einige kostbare Sekunden nur, um die Kraft der Elfensteine freizusetzen. Er wollte sie rufen, ihr sagen, daß sie zurückkommen solle, ihr erklären, daß er keine Macht mehr über die Zauberkräfte der Steine besaß. Doch er brachte keinen Ton hervor. Tränen rannen ihm über sein Antlitz, während er sich in rasender Verzweiflung bemühte, die Sperre zu durchbrechen, die ihm den Weg zu den Steinen verschloß. Sie wird sterben, schoß es ihm voller Entsetzen durch den Kopf. Der Raffer wird sie töten, während ich hier stehen und zusehen muß.

Mit einer trägen Bewegung schleuderte der Raffer die sterbliche Hülle Wisps zur Seite. Aus den Falten seines düsteren Gewandes streckten sich scharf gebogene Klauenhände in das rubinrote Licht des Blutfeuers und schnappten nach Eretria.

Eretria! Was dann geschah, sollte sich ihm unauslöschlich einprägen. In wenigen Sekunden erstarrter Zeit fielen Vergangenheit und Gegenwart in eins zusammen; so, wie es einst seinem Großvater widerfahren war, so stand Wil Ohmsford jetzt sich selbst von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

Ihm war, als höre er Amberle sprechen. Ihre Stimme entschwebte der roten Glut des Blutfeuers. Ruhig und gelassen klang sie und voller Hoffnung. Sie sprach zu ihm wie sie an jenem Morgen nach ihrer gemeinsamen Flucht aus den Felsen des Pykon zu ihm gesprochen hatte, als der Mermidon sie südwärts getragen hatte, fort von den Greueln der vergangenen Nacht. Sie sagte ihm, wie sie ihm damals verkündet hatte, daß trotz allem, was geschehen war, die Kraft der Elfensteine nicht verloren war, sondern noch immer ihm gehörte und von ihm eingesetzt werden konnte.

Aber die Zauberkraft war doch verloren. Sie hatte gesehen, was auf der schmalen Brücke über der Schlucht geschehen war. Aus tiefstem Herzen hatte er den Dämon vernichten wollen nach allem, was dieser dem tapferen Crispin angetan hatte. Doch er hatte nur wie versteinert dagestanden, die Elfensteine nutzlos in der Hand, und war unfähig gewesen, etwas zu tun. Hätte nicht der Wind die Brücke abgerissen, der Raffer hätte sie beide getötet. Sie mußte doch einsehen, daß die Kraft verloren war.

Er vernahm ihr Seufzen, das wie ein Wispern durch seinen Geist zog. Sie war nicht verloren. Er versuchte, etwas zu erzwingen. Er war so verkrampft, daß er sich dadurch selbst daran hinderte, an den Kraftquell heranzukommen; das lag nur daran, daß er nicht fähig war, das Wesen der Kraft zu verstehen, die er zu meistern suchte. Er mußte sich um Verstehen bemühen. Er mußte bedenken, daß elfischer Zauber immer nur eine Erweiterung dessen war, der sich seiner bediente …

Ihre Stimme verklang, und an ihrer Stelle hörte er die Allanons. Herz, Geist und Körper — ein Stein für jedes. Wenn alle drei sich vereinigten, dann erwachten die Elfensteine. Wil mußte diese Vereinigung herbeiführen. Vielleicht würde ihm das nicht so mühelos gelingen wie seinem Großvater, weil er ja ein anderer Mensch war als dieser. Er war zwei Generationen entfernt von Shea Ohmsfords Elfenblut, und das, was seinen Großvater vielleicht nur einen Gedanken gekostet hatte, würde ihm sicher nicht so leicht gegeben werden. Vieles in ihm widerstand der Zauberkraft.

Ja, ja! schrie es in Wils Innerem. Das Menschenblut widersteht. Es war seine menschliche Seite, die ihm den Zugang zu der Kraft der Elfen verwehrte. Es war seine menschliche Seite, welche die Zauberkraft zurückwies.

Allanons Lachen klang leise und spöttisch. Wenn das wirklich zutraf, wie kam es dann, daß er trotz allem schon einmal vermocht hatte, sich der Elfensteine zu bedienen?

Auch die Stimme des Druiden verklang.

Aber da sah Wil Ohmsford plötzlich die Täuschung, mit der er sich selbst betrogen hatte, seit dem Augenblick im Tirfing, als er die Kraft der Elfensteine beschworen und den lebendigen Strom der Zauberkraft gespürt hatte, die ihn durchflutet hatte wie flüssiges Feuer. Aus den Zweifeln daran, daß er wirklich das Recht und die Macht besaß, der Kraft der Elfensteine zu befehlen, hatte er die Lüge erwachsen lassen. Und sie hatte zusätzlich Nahrung gefunden durch Allanons bestürzende Enthüllung, daß nur der den Steinen gebieten konnte, in dessen Adern Elfenblut floß. Wie schnell war er dabei gewesen, sich einzureden, daß seine menschliche Seite die Ursache seines Unvermögens war, eben jene Kraft, die er im Tirfing freigesetzt hatte, erneut zu beschwören!

Er hatte sich selbst getäuscht. Vielleicht nicht wissentlich, vielleicht nicht willentlich, aber er hatte sich etwas vorgemacht und dadurch die Kraft der Elfensteine verloren. Wie war das geschehen? Amberle hatte an die Wahrheit gerührt, als sie ihn während ihrer langen Wanderung zweimal angesprochen und erklärt hatte, sie habe den Eindruck, er habe sich selbst etwas angetan durch den Einsatz der Steine im Tirfling. Er hatte ihre Worte auf die leichte Schulter genommen und versucht, ihre Besorgnis zu zerstreuen — auch wenn er ihr bekannte, daß sie recht hatte. Er hatte sich in jenem Moment, als er die Kraft der Elfensteine freigesetzt hatte, wirklich etwas angetan. Doch er konnte nicht aufspüren, was es war. Er hatte geglaubt, es sei etwas Körperliches, doch da konnte er keinen Schaden feststellen. Amberle hatte gemeint, es könne etwas weniger Greifbares sein, elfischer Zauber könnte auch die Seele angreifen. Doch auch das hatte er nicht glauben wollen. Als er nicht auf Anhieb etwas Sichtbares entdeckte, hatte er sich schleunigst die ganze Sache aus dem Kopf geschlagen, denn schließlich konnte er es sich nicht leisten über sich selbst zu grübeln, wenn er Amberle beschützen mußte. Doch das war ein schwerwiegender Fehler gewesen. Er hätte erkennen müssen — so wie er es jetzt erkannte —, daß Amberle recht hatte und daß der Gebrauch der Elfensteine tatsächlich seine Seele angegriffen hatte, ihr so großen Schaden zugefügt hatte, daß die Macht über die Kraft der Steine ihm so lange verloren sein würde, bis er sich mit diesem Schaden an seiner Seele auseinandergesetzt hatte.

Wil Ohmsford nämlich hatte Angst bekommen.

Er konnte sich das jetzt eingestehen. Er mußte es eingestehen. Dies war eine Angst, die er bisher nicht hatte erkennen können, so leicht ließ sie sich mit anderen Empfindungen verwechseln, so geschickt hatte sie sich getarnt. All die Tage war sie dagewesen, und er hatte sie nicht als das erkannt, was sie war. Denn dies war nicht die Furcht vor dem Ungeheuer, das ihn in seinen Träumen verfolgte, oder vor dem Dämon, der Amberle und ihn seit Arborlon jagte. Es war Angst vor eben jener Sache, die sie beide schützen sollte, vor den Elfensteinen und der Wirkung, die ihre unerklärbare, ehrfurchtgebietende Kraft vielleicht auf ihn haben würde.

Jetzt verstand er. Nicht sein Menschenblut verwehrte ihm den Zugang zu der Macht der Steine. Vielmehr war es seine Angst vor dem Zauber.

Er selbst hatte sich das angetan. So entschlossen war er gewesen, die Aufgabe, die Allanon ihm übertragen hatte, zu bewältigen und sich ja von nichts an ihrer Durchführung hindern zu lassen, daß er seine Angst schon in dem Moment, als sie geboren wurde, in einem tiefen Brunnen eiserner Entschlossenheit vergraben hatte. Er hatte sich geweigert, ihre Existenz anzuerkennen, hatte sie statt dessen vor anderen und vor sich selbst verborgen gehalten. Doch eine Vereinigung von Herz, Geist und Körper konnte es nicht geben, solange solche Angst unerkannt in ihm wohnte. Er hatte sich eingeredet, daß der Widerstand gegen den Elfenzauber durch seine menschliche Seite hervorgerufen worden sei. Damit hatte er die Selbsttäuschung noch fester untermauert, und damit war es ihm hinfort unmöglich geworden, den Elfensteinen zu gebieten.

Bis zu diesem Augenblick. Jetzt begriff er die Natur der Schranke, die ihm das Tor zur Kraft der Elfensteine verschloß. Es war die Angst — und mit ihr konnte er vielleicht fertig werden.

Wieder tauchte er tief in sich ein, bewußt und entschlossen, um Herz, Geist und Körper, Bereitschaft, Gedankenkraft und Körperkraft, im Hinblick auf ein einziges Ziel zu vereinigen. Einfach war es nicht. Die Angst war immer noch da. Wie eine Mauer stand sie vor ihm auf, wollte ihn zurückdrängen, seine Entschlossenheit brechen. So stark war sie, daß Wil einen Moment lang glaubte, er könne es nicht bewirken.

Eine Gefahr lag in seinem Gebrauch der Elfensteine, eine Gefahr, die er weder sehen noch berühren, weder bestimmen noch begreifen konnte. Sie war da, wirklich und greifbar, und sie konnte Körper und Seele nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen. Sie konnte ihn vernichten. Schlimmer, sie konnte ihn am Leben lassen. Es gab Dinge, die schrecklicher waren als das Sterben…

Er kämpfte. Er dachte an seinen Großvater. Als Shea Ohmsford das Schwert von Shannara gebraucht hatte, hatte eine Gefahr gedroht, die der Talbewohner zwar gespürt, aber nicht verstanden hatte. Das hatte er Wil erzählt. Doch nur die Zauberkraft des Schwertes hatte Rettung bringen können, und sein Großvater hatte die einzig mögliche Entscheidung getroffen. Und so stand es jetzt auch um Wil. Er stand Auge in Auge mit einer Notwendigkeit, hinter der seine eigenen Bedürfnisse zurücktreten mußten. Ihm war eine besondere Waffe in die Hand gegeben; ihm war es gegeben, Leben zu retten, die kein anderer retten konnte.

Er stürzte sich tief in das blaue Licht der Elfensteine, und die Angst zerfloß vor ihm. Der Mensch wich dem Elf, und die gewaltige Kraft der Steine schoß in ihm empor.

Vergangenheit und Gegenwart rissen auseinander, und die Sekunden waren verflogen.

Eretria!

Der Raffer war in Bewegung, sprang lautlos durch die rote Glut des Blutfeuers auf das Mädchen zu. Wil hob die Elfensteine, und ihr Feuer schoß aus seinen Händen hervor. Es traf den Raffer mit solcher Gewalt, daß der Dämon gegen die Mauern der Höhle geschleudert wurde.

Kein Geräusch war zu hören, als der Raffer gegen die Mauer schlug, und seine Gewänder am Fels in sich zusammenfielen. Doch im nächsten Moment schon war der Dämon wieder auf den Beinen und wollte sich auf den Talbewohner stürzen. Nie hätte Wil es für möglich gehalten, daß ein so massiges Wesen so schnell und behende sein konnte. Noch bevor er sich’s versah, tauchte der Raffer mit krallenden Klauenhänden vor ihm auf. Wieder sprang das blaue Feuer aus den Elfensteinen und traf mit zuckendem Strahl den Dämon, so daß dieser erneut zurücktaumelte. Und wieder herrschte tiefste Stille. Wil spürte diesmal das Feuer in seinem Körper. Als wäre es sein Lebensblut, pulste es in ihm. Es war das gleiche Gefühl wie damals im Tirfing. Etwas war mit ihm geschehen — etwas, das nicht unbedingt wünschenswert —war.

Doch es blieb keine Zeit, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. In einem lautlosen Angriff schoß die aschgraue Gestalt des Raffers durch das flackernde Zwielicht. Feuergarben aus den ausgestreckten Händen des Talbewohners, doch diesmal war der Raffer schneller. Er wich den züngelnden Flammen aus und stürmte weiter vor. Wieder versuchte Wil, ihn aufzuhalten, wieder mißlang es. Er wich wankend zurück, während er wie ein Rasender den Elfenzauber zu beschwören suchte, doch seine Konzentration war durchbrochen, und das Feuer drohte zu erlöschen. Der Raffer sprang durch die dünnen Flammen hindurch. Im letzten Augenblick erst gelang es Wil, die Flammen wie einen Schild vor sich zu sammeln. Dann warf sich der Raffer schon auf ihn und schleuderte ihn heftig zur Seite. Wil stürzte, schlug hart mit dem Kopf auf dem Steinboden auf. Flüchtig glaubte er, er würde ohnmächtig werden. Die Krallen des Raffers schlugen wild in die blauen Flammen in dem rasenden Bestreben, ihn zu erreichen. Doch Wil wehrte sich gegen Schwindel und Schmerz, kämpfte sie nieder, und der Zauber der Elfensteine blieb lebendig. In ohnmächtiger Wut sprang der Raffer zurück und tänzelte lautlos davon.

Benommen raffte sich Wil auf. Sein Körper schmerzte von der Gewalt des Angriffs durch den Raffer, und vor seinen Augen tanzten bunte Kreise. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich aufrecht zu halten. Die Dinge entwickelten sich ganz anders, als er erwartet hatte. Er hatte geglaubt, das Schlimmste sei vorüber, als es ihm endlich gelungen war, die Schranke in seinem Inneren zu durchbrechen und den Elfenzauber freizusetzen; er hatte geglaubt, nun endlich eine Waffe zu besitzen, welcher der Raffer nichts entgegenzusetzen hatte. Doch jetzt war Wil dessen nicht mehr so sicher.

Dann fiel ihm Eretria ein. Wo war Eretria? In seinem Inneren zuckte das Elfenfeuer wie ein eingesperrtes Wesen. Einen schrecklichen Moment lang hatte er Angst, daß er die Beherrschung über es verloren hatte. Und in diesem Augenblick griff der Raffer wieder wütend an. Geräuschlos und blitzschnell tauchte er aus den Schatten, sprang in den glühenden Schein des Blutfeuers und stürzte sich auf Wil. Beinahe wie von selbst flammte der Elfenzauber zwischen den beiden Widersachern auf, schoß in blendendem Strahl empor, so daß beide von dem schmalen Sims stürzten. Wil, der darauf nicht vorbereitet gewesen war, wurde gegen die Höhlenmauer geschleudert. Seine Rippen und der Ellbogen seines freien Arms zerbrachen wie dürres Holz, als er gegen den Fels geworfen wurde. Betäubender Schmerz durchzuckte ihn, und bald spürte er den Arm gar nicht mehr.

Irgendwie kam er wieder auf die Beine, blieb, gegen die Mauer gelehnt, stehen. Gegen den Schmerz und die Wellen von Übelkeit ankämpfend, die ihn zu übermannen drohten, rief er laut nach Eretria. Das Mädchen flog aus den Schatten, erreichte ihn kaum einen Schritt vor dem Raffer. Mit einem lautlosen Satz sprang der Dämon auf sie zu, so blitzschnell diesmal, daß Wil keine Zeit mehr blieb, etwas zu tun. Das Ungeheuer hätte sie überwältigt, wäre nicht Drifter gewesen. Von allen vergessen, riß sich der große Hund von Hebel los und stürzte sich auf den Dämon. Der wich von der Wucht des Angriffs torkelnd zurück, als scharfe Zähne sich in seine aschgrauen Gewänder schlugen. Einen Moment lang verschwanden die beiden in den Schatten. Drifters Knurren klang tief und grimmig. Dann reckte sich die Gestalt des Raffers, er schleuderte den tapferen Hund von sich, als sei er Schmutz an seinen Händen. Drifter flog durch die Luft und prallte gegen die Höhlenmauer. Wimmernd schlug er auf dem Boden auf, dann gab er keinen Laut mehr von sich.

Doch diese wenigen Sekunden verschafften Wil die Zeit die er brauchte, um sich zu erholen. Augenblicklich hob er den Arm, und sogleich sprühten die blauen Flammen. Sie streiften den Raffer, doch wieder gelang es dem gräßlichen Ungeheuer zu entkommen, indem er behende davonsprang und hinter der Säule des Blutfeuers Schutz suchte.

Wil wartete. Seine Augen durchschweiften aufmerksam die Steinkammer. Nirgends war eine Spur des Dämons zu sehen. Angestrengt suchte er in den Schatten. Er wußte, daß das Ungeheuer wiederkommen würde. Aber er konnte es nicht entdecken. Eretria kauerte zitternd wie Espenlaub neben ihm, noch immer den Dolch in der Hand. Ihr Gesicht war verschmiert von Schmutz und Tränen. Hebel beugte sich zu Drifter hinunter und streichelte flüsternd seine Hand. Die Sekunden verrannen. Noch immer regte sich nichts.

Dann blickte Wil auf. Der Raffer hing oben an der Decke der Höhle.

Er sah ihn gerade noch, als er sich schon auf ihn niederfallen ließ. Seine aschgrauen Gewänder flatterten wie Flügel. Mit einer kräftigen Bewegung stieß Wil Eretria zur Seite und hob die Elfensteine hoch. Wie eine große Raubkatze landete der Dämon vor ihnen, gewaltig und geschmeidig. Eretria schrie laut auf und taumelte voller Entsetzen zurück. Langsam, langsam weitete sich das schwarze Loch der Kapuze und versteinerte Wil Ohmsford mit leerem Starren. Wil war unfähig, sich zu rühren. Die Schwärze, die gesichtslose, undurchdringliche Schwärze hielt ihn fest.

Dann sprang der Raffer, und Wil hatte flüchtig das Gefühl, von ihm verschlungen zu werden. In diesem Moment wäre er umgekommen, wäre nicht die wunderbare Kraft der Elfensteine gewesen. Suchende Steine, hatte Allanon sie genannt, und durch seinen Geist hallte der Warnruf- such das Gesicht des Raffers! Schneller als ein Gedanke fliegt, wirkte der Zauber, machte ihn blind für das schreckliche Ungeheuer, für seine Angst und seinen Schmerz, für alles außer dem Instinkt zu überleben. Er hörte sich aufschreien, und die blauen Flammen barsten aus ihm hervor. Sie rasten züngelnd durch die gesichtslose Kapuze, umklammerten wie ein Schraubstock den unsichtbaren Kopf. Wie ein Rasender suchte der Dämon sich zu befreien. Wil Ohmsfords Hände verklammerten sich vor ihm, und der Elfenzauber fuhr aus seinem Körper in den Raffer, hob ihn vom Boden empor und schleuderte ihn gegen die Höhlenmauer. Dort hing der Raffer, aufgespießt auf einer blitzenden Klinge blauen Feuers. Einen Augenblick später durchdrang das Feuer die Gewänder des Dämons und explodierte in einer hohen Stichflamme blendenden Lichts.

Als das Feuer erlosch, war vom Raffer nur eine Kohlezeichnung verschlungener Gewänder übrig, die tief in den Fels eingegraben war.

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