Am folgenden Morgen suchte Allanon in aller Frühe Wil Ohmsford auf und erklärte ihm, daß sie Storlock unverzüglich verlassen müßten. Düster und mit grimmig entschlossener Miene erschien der Druide in der Tür des Häuschens, in dem Wil lebte. Flüchtig erwog Wil, einem so überstürzten Aufbruch zu widersprechen, doch ein Unterton in der Stimme, ein Zug im Gesicht Allanons machten ihm klar, daß es besser wäre, es zu unterlassen. Am vergangenen Abend, als sie auseinandergegangen waren, hatte das Ansinnen des Druiden nichts Drängendes gehabt; jetzt war das anders. Was immer auch Allanon veranlaßt hatte, diese rasche Entscheidung zu treffen, es mußte ein zwingender Grund vorliegen. Wortlos packte der Talbewohner seine wenigen Habseligkeiten und verriegelte die Tür des Häuschens, dann folgte er dem Druiden. Es regnete wieder. Aus Nordwesten wälzte sich ein neues Gewitter heran, und der Morgenhimmel war schwer und bleiern. Fest in seinen schwarzen Umhang gehüllt, den durch die Kapuze geschützten Kopf leicht gesenkt und gegen den stetig schärfer werdenden Wind, führte Allanon den jungen Talbewohner die schlammige Straße hinauf. Eine Handvoll weißgekleideter Stors erwartete sie auf der Treppe vor dem Krankenhaus, um Wil einen kleinen Nothilfekasten und Proviant für die Reise mitzugeben. Artaq war schon gesattelt und warf ungeduldig den Kopf hin und her. Ohne Verzögerung stieg Allanon auf. Die vorsichtige Behutsamkeit, mit der er sich dabei bewegte, ließ darauf schließen, daß seine Wunden noch nicht ganz ausgeheilt waren und Schmerzen bereiteten.
Wil bekam einen drahtigen grauen Wallach mit Namen Spitter und hatte gerade einen Fuß in den Steigbügel gestellt, als Flick keuchend angelaufen kam. Sein Kopf war hochrot, sein bärtiges Gesicht naß von Schweiß. Hastig zog er den jungen Mann auf die überdachte Veranda des Krankenhauses hinauf.
»Ich hab’s eben erst erfahren«, erklärte er schwer atmend, während er sich den Regen aus den Augen wischte. »Es wundert mich, daß man es überhaupt für nötig gehalten hat, mir Bescheid zu sagen.« Er warf einen zornigen Blick zu Allanon hinüber. »Ist es wirklich erforderlich, daß ihr so schnell aufbrecht?«
Wil nickte langsam. »Ich vermute, irgend etwas hat es notwendig gemacht.«
Enttäuschung und Sorge spiegelten sich in Flicks Augen.
»Es ist noch nicht zu spät, dir deinen Entschluß in dieser Sache noch einmal zu überlegen«, flüsterte er rauh und hätte noch mehr gesagt, wenn Wil nicht mit einem Kopfschütteln abgewehrt hätte. »Also gut. Ich werde deinem Großvater berichten, was geschehen ist. Ich bin überzeugt, es wird ihm ebensowenig gefallen wie mir. Sei vorsichtig, Wil. Und denk an meine Worte — uns allen sind Grenzen gesetzt.«
Wil nickte. Barsch, als hätten sie Angst zu zeigen, was sie fühlten, nahmen sie Abschied voneinander. Ihre Gesichter waren starr, ihre Blicke verlegen, als sie einander hastig umarmten. Dann machten sich Allanon und Wil auf den Weg. Flick, die Stors und das Dorf wurden zu Schatten, die allmählich mit den grauen Nebeln der Wälder des Ostlands verschmolzen.
Der Druide und Wil Ohmsford ritten in westlicher Richtung aus Storlock hinaus bis zum Rand der Rabb-Ebene. Dort wandten sie sich nach Süden. Allanon hielt seinen Rappen kurz an, um Wil mitzuteilen, daß die erste Etappe ihrer Reise sie über den Silberfluß hinüber in ein kleines Dorf am westlichen Ausläufer des Unteren Anar führen würde. Havenstead hieß das Dorf, sagte er, und dort würden sie Amberle finden. Nähere Erklärungen gab der Druide nicht, und Wil fragte auch nicht.
In Strömen rauschte der Regen auf sie nieder, während sie, sich am Rand der Wälder haltend, mit eingezogenen Köpfen, tief über ihre Pferde gebeugt, dahinritten, ohne ein Wort untereinander zu wechseln. Wils Gedanken wanderten zurück zu den Ereignissen des vergangenen Abends. Selbst jetzt wußte er nicht recht, warum er sich entschlossen hatte, den Druiden zu begleiten. Und das beunruhigte ihn. Er mußte doch in der Lage sein zu erklären, weshalb er sich auf ein solches Wagnis eingelassen hatte — wenn schon nicht anderen, dann wenigstens sich selbst! Aber er konnte es nicht. Zeit genug hatte er gehabt, über die Gründe für seine Entscheidung nachzudenken, und er hatte in der Tat auch kaum an etwas anderes gedacht. In der Rückschau wenigstens hätte es ihm gelingen müssen, seine Handlungsweise klar zu sehen; aber es gelang ihm nicht. Vielmehr verspürte er ein beharrliches Gefühl der Verwirrung, das sich nicht vertreiben lassen wollte. Alles schien in seinem Geist zu einem wirren Knäuel verfilzt — Argumente, die jeder Logik entbehrten und nicht bis zum Ende durchdacht waren, Emotionen, die wie Farben ineinanderliefen und miteinander verschwammen. Sie ließen sich nicht trennen und zu säuberlicher Überschaubarkeit ordnen. Sie jagten durcheinander wie eine Herde von Wölfen gejagter Schafe, und er hetzte ihnen hoffnungslos hinterher.
Er wollte gern glauben, daß er ausersehen worden war, diesen Weg einzuschlagen, weil er gebraucht wurde. Wenn all das, was Allanon berichtet hatte, der Wahrheit entsprach — und er glaubte es trotz Flicks unverhohlener Skepsis —, dann konnte er dem Elfenvolk und insbesondere dem Mädchen Amberle einen großen Dienst erweisen. Aber machte er sich da nicht etwas vor? Er hatte keine Ahnung, ob er die Elfensteine, die sein Großvater ihm anvertraut hatte, überhaupt zu gebrauchen verstand. Angenommen, ihre zauberischen Kräfte blieben ihm unzugänglich? Angenommen, Allanon täuschte sich, wenn er glaubte, die Elfensteine könnten einfach an ihn weitergegeben werden! Ach, alle möglichen ›Wenn‹und ›Aber‹fielen ihm ein. Nur eines stand fest: Er hatte eine reichlich impulsive Entscheidung getroffen, und nun mußte er eben versuchen, dieser Entscheidung gerecht zu werden.
Die Tatsache, daß die Entscheidung so impulsiv getroffen worden war, tat ihrem Verdienst keinen Abbruch. Wenn er die Mittel besaß, den Elfen zu helfen, dann mußte er diese Mittel zur Verfügung stellen. Er mußte wenigstens versuchen, Unterstützung zu leisten. Außerdem — sein Großvater wäre bestimmt mit Allanon gezogen! Shea Ohmsford wäre Allanon gefolgt, hätte dieser sich an ihn gewandt; genau wie er ihm damals gefolgt war, das Schwert von Shannara zu suchen. Wil durfte dem nicht nachstehen.
Er holte tief Atem. Ja, er hatte die richtige Entscheidung getroffen, und er glaubte, sie aus den richtigen Motiven heraus getroffen zu haben, so wirr und unklar sie ihm jetzt auch schienen. Das, was ihm am stärksten zu schaffen machte, erkannte er plötzlich, hatte mit der Entscheidung und den Gründen, die sie bewirkt hatten, gar nichts zu tun. Es hatte mit Allanon zu tun. Wil hätte gern geglaubt, daß sein Entschluß, den Druiden zu begleiten, von ihm allein gefällt worden war. Doch je ehrlicher er die Sache in Augenschein nahm, desto gewisser wurde er, daß er im Grunde mit der Entscheidung nichts zu tun gehabt hatte. Allanon hatte entschieden. Sicher, er — Wil Ohmsford — hatte die Worte ausgesprochen, als kämen sie aus seinem Herzen, hatte sie trotz der Warnungen seines Onkels mutig und beherzt ausgesprochen. Doch er wußte, daß der Druide genau vorausgesehen hatte, mit welchen Argumenten Wil Ohmsford dazu bewegen werden konnte, eben diese Worte auszusprechen; daß er das Gespräch entsprechend gelenkt hatte. Er hatte gewußt, wie Will und wie Flick reagieren würden, wie die beiden sich gegenseitig beeinflussen würden, wie seine eigenen Bemerkungen auf sie wirken würden. All dies hatte er gewußt und dieses Wissen angewandt. Shea Ohmsford hatte seinem Enkel einmal erzählt, Allanon besäße die Fähigkeit, die Gedanken anderer zu lesen. Wil verstand jetzt, was sein Großvater damit gemeint hatte.
Nun, wie dem auch sei, er hatte sich verpflichtet. Das konnte nicht ungeschehen gemacht werden, selbst wenn er den Wunsch gehabt hätte, sich von dieser Verpflichtung zu befreien, was jedoch nicht der Fall war. Von jetzt an würde er vor derartigen raffinierten Manipulationen des Druiden auf der Hut sein. Soweit es ihm möglich war, würde er sich bemühen, die Gründe zu erkennen, die sich hinter den Worten und Handlungen Allanons verbargen, um auf diese Weise klarer zu sehen, wohin er dirigiert wurde. Wil Ohmsford ließ sich nicht so leicht an der Nase herumführen. Er stand nun schon seit mehreren Jahren auf eigenen Füßen und hatte nicht die Absicht, sich das Heft aus der Hand nehmen zu lassen. Er mußte sich vor dem Druiden in acht nehmen. Er wollte ihm vertrauen, aber nicht blind und ohne kritische Überlegung. Vielleicht konnte er den Elfen und dem Mädchen Amberle Hilfe leisten; aber er würde selbst darüber entscheiden, wie er diese Hilfe geben wollte. Und er würde selbst darüber entscheiden, wessen Interessen er dienen wollte. Er wollte nichts einfach so akzeptieren, wie es sich darstellte.
Vorsichtig hob er den Kopf und spähte durch den Regen zu der dunklen Gestalt hin, die vor ihm ritt — Allanon, der letzte der Druiden, ein Wesen, das aus einer anderen Zeit kam und dessen besondere Kräfte alles Wissen dieser gegenwärtigen Welt klein und gering erscheinen ließen. Wil mußte ihm vertrauen und doch nicht blindlings vertrauen. Wieder fühlte er sich heillos verwirrt. Worauf hatte er sich da eingelassen? Vielleicht hatte Flick doch recht gehabt. Vielleicht hätte er gut daran getan, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken. Aber dazu war es jetzt zu spät. Und zu spät war es auch für diese Gedanken. Er schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, weiter solchen Überlegungen nachzuhängen. Besser war es, den Gedanken eine andere Richtung zu geben.
Den Rest des Tages plagte er sich mit diesem Bemühen ab. Ohne Erfolg.
Der prasselnde Regen flaute allmählich zu einem Nieseln ab und versiegte schließlich ganz im kalten Grau des Abends. Immer noch verhüllten Gewitterwolken den Himmel, als der Einbruch der Nacht den Tag verdunkelte. Dunstschwaden woben in der Luft und wanderten am Waldessaum entlang wie verirrte Kinder.
Allanon lenkte sein Pferd unter das schirmende Dach der mächtigen Bäume, und auf einer kleinen Lichtung schlugen sie ihr Nachtlager auf. Hinter ihnen befand sich, die Wipfel der Wälder weit überragend, die finstere Mauer des Wolfsktaag-Gebirges, schwarz im Dunkel der Nacht. Trotz der Nässe fanden sie genug dürres Holz, um ein kleines Feuer zu entfachen, dessen Flammen an diesem feuchtkalten Abend etwas Wärme spendeten. Sie hängten ihre Reisemäntel über Leinen, die sie von Baum zu Baum gespannt hatten, und pflockten die Pferde in der Nähe an.
Beim Essen, einem kargen Mahl aus kaltem Rindfleisch, Früchten und Nüssen, sprachen sie kaum miteinander. Der Druide hockte in grüblerischem Schweigen da, wie schon seit ihrem Aufbruch aus dem Dorf in seine eigenen Gedanken vertieft. An einem Gespräch schien er kein Interesse zu haben. Doch Wil war entschlossen, mehr darüber zu erfahren, was ihn erwartete, und er hatte nicht die Absicht, seine Fragen noch länger zurückzuhalten. Als sie beide gegessen hatten, rückte er ein wenig näher ans Feuer, tat es recht umständlich, um Allanons Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Könnten wir ein Weilchen miteinander reden?« fragte er vorsichtig, eingedenk der Berichte seines Großvaters über das unberechenbare Temperament des großen Alten.
Der Druide blickte ihn einen Augenblick ausdruckslos an, dann nickte er.
»Könnt Ihr mir noch ein wenig mehr über die Geschichte der Elfen erzählen?« fragte Wil, der fand, daß das Gespräch hier seinen Ausgang nehmen müsse.
Allanon lächelte schwach. »Was möchtest du denn gern wissen, Wil Ohmsford?«
Der junge Mann zögerte.
»Gestern abend habt Ihr uns erzählt, daß es die Elfen genau wie die Menschen wirklich gegeben hat, obwohl die geschichtlichen Zeugnisse aus den Zeiten der alten Welt nichts über sie berichten, sondern nur Märchen und Sagen von ihnen erzählen. Ihr sagtet, sie hätten existiert, aber die Menschen hätten sie nicht sehen können. Das hab’ ich nicht verstanden.«
»Nein?« Der Druide schien belustigt. »Nun, dann sollst du eine Erklärung bekommen. Einfach gesagt, die Elfen waren immer Geschöpfe des Waldes — ganz besonders in den Zeiten vor den Großen Kriegen. Damals waren sie, wie ich dir schon erzählt habe, Geschöpfe mit magischen Kräften. Sie besaßen die Fähigkeit, mit ihrer Umgebung zu verschmelzen und so unauffällig zu werden wie ein Busch oder Baum, an dem man tausendmal vorbeikommen kann, ohne ihn zu bemerken. Die Menschen konnten die Elfen nicht sehen, weil sie es nicht verstanden, nach ihnen Ausschau zu halten.«
»Aber sie waren nicht unsichtbar?«
»Kaum.«
»Nur schwer zu erkennen?«
»Ja, ja.« In der Stimme des Druiden schwang ein Anflug ungeduldiger Gereiztheit.
»Aber wieso fällt es uns heute nicht schwer, sie zu sehen?«
Allanon richtete sich auf.
»Du hörst nicht zu. In den Tagen der alten Welt waren die Elfen Geschöpfe mit magischen Kräften — genau wie alle anderen sogenannten Geisterwesen. Aber das sind sie heute nicht mehr. Sie sind Menschen genau wie du ein Mensch bist. Ihre Zauberkräfte sind ihnen abhanden gekommen.«
»Wie ist das geschehen?«
Wie ein wißbegieriges Kind stützte Wil die Ellbogen auf die Knie und drückte sein Kinn in die geöffnete Hand.
»Das ist nicht so leicht zu erklären«, erwiderte der Druide. »Aber ich sehe schon, daß du keine Ruhe geben wirst, solange ich nicht wenigstens versucht habe, es dir zu erklären. Also, paß auf.« Er beugte sich nach vorn. »Nach der Erschaffung des Ellcrys, nach der Verbannung der Mächte des Bösen von der Erde, lebten sich die Elfen und die anderen Völker der sogenannten Geisterwelt wieder auseinander. Das war ganz natürlich, denn sie hatten sich ja ursprünglich nur deshalb zusammengetan, um den gemeinsamen Feind zu besiegen. Als das erreicht war, blieb wenig Gemeinsames. Über ihre Sorge hinaus, die Erde zu erhalten, hatten sie fast nichts gemein. Jedes Volk hatte seine eigene Lebensweise, seine eigenen Gewohnheiten, seine eigenen Interessen. Elfen, Zwerge, Gnomen, Trolle und Hexen waren so verschieden voneinander, wie die Tiere des Waldes von den Fischen im Meer verschieden sind.
Die Menschheit war aus ihren frühen, primitiven Anfängen noch nicht erwacht, und die Dämmerung sollte sich noch über Hunderte von Jahren hinziehen. Die Zauberwesen zollten den Menschen kaum Aufmerksamkeit, und es schien ja auch, als gäbe es dazu keinen Anlaß. In diesem Stadium schließlich war der Mensch nicht mehr als ein höheres Tier. Er besaß eine größere angeborene Intelligenz als andere Tiere, aber weniger gut entwickelte Instinkte. Die Elfen und ihre Bruder sahen nicht voraus, welchen Einfluß die Menschen allmählich auf die Entwicklung der Erde gewinnen würden.«
Der Druide machte eine kurze Pause.
»Sie hätten das aber voraussehen können, wenn sie den Unterschieden zwischen ihrer eigenen Art und der Art der Menschen mehr Aufmerksamkeit gewidmet hätten. Zwei Unterschiede waren von besonderer Bedeutung. Die Elfen und ihre Brüder vermehrten sich langsam; die Menschen dagegen vermehrten sich rasch. Die Elfen beispielsweise waren eines der größeren Völker, doch infolge der längeren Lebenszeiten gab es weniger Geburten. Viele der anderen Zauberwesen gebaren im Lauf mehrerer hundert Jahre nur ein einziges Mal. Bei den Menschen hingegen gab es häufige Geburten im Familienverband, und ihre Bevölkerung wuchs rasch. Zu Beginn waren die Zauberwesen den Menschen an Zahl weit überlegen. Innerhalb von tausend Jahren jedoch kehrte sich die Situation um. Und von da an vergrößerte sich die menschliche Bevölkerung stetig, während die Zahl der Zauberwesen abzunehmen begann. Doch darauf komme ich gleich noch zurück.
Der zweite Unterschied zwischen den Zauberwesen und den Menschen betraf die Fähigkeit, sich den Gegebenheiten anzupassen. Die Elfen waren Geschöpfe des Waldes; nur selten verließen sie den Schutz ihrerWälder. Ähnlich verhielt es sich mit den anderen Völkern. Jedes lebte innerhalb eines ganz bestimmten geographischen Gebietes, eines scharf abgegrenzten Terrains. So war es immer gewesen. Die einen lebten in den Wäldern, die anderen in und an Flüssen und Meeren, wieder andere in den Bergen oder auf den offenen Ebenen. Sie hatten ihre Lebensweise dem Gebiet angepaßt, das ihr Heim war; sie konnten und wollten anderswo nicht leben. Der Mensch hingegen konnte überall leben; er war anpassungsfähiger. Ob Wälder oder Flüsse, ob Berge oder Täler — er nahm alles für sich in Anspruch. Und so breitete sich die Menschheit ganz natürlich und ohne Schwierigkeiten immer weiter aus, während ihre Zahl immer stetig zunahm. Der Mensch paßte sich jeder Veränderung der Umwelt an. Die Elfen und ihre Brüder widerstanden jeder Veränderung.«
Allanon schwieg. Dann lächelte er schwach und sagte: »Es gab eine Zeit, Wil Ohmsford, da hatte das Leben in der alten Welt viel mit dem heutigen Leben gemein. Das war damals, als die Menschen ihr Leben so ähnlich gestalteten, wie es die heutigen Rassen tun. Überrascht dich das?«
Wil nickte. »Ja, ein bißchen schon.«
Der Druide schüttelte den Kopf.
»Aber es hat eine solche Zeit gegeben. Und damals hätten die Elfen sich zeigen und sich mit den Menschen zusammentun sollen, um gemeinsam ihre Welt zu gestalten. Doch sie unterließen es — ebenso wie ihre Brüder. Sie zogen es vor, weiterhin in ihren Wäldern versteckt zu leben und Beobachter zu bleiben, da sie glaubten, die Entwicklung der Menschheit könne ihre Existenz nicht beeinflussen. Sie erkannten nicht die Bedrohung für sich. Die Menschen besaßen keine Zauberkräfte und wirkten auch nicht zerstörerisch — damals jedenfalls nicht. Kurz und gut, die Elfen hielten an ihrer Politik der Isolation fest und bildeten sich törichterweise ein, es könnte immer so bleiben. Das war ihr Verderben. Die menschliche Bevölkerung der Erde wuchs und wuchs und entwickelte sich immer weiter. Im Lauf der Zeit entdeckte der Mensch die Existenz der Elfen und ihrer Brüder.
Doch da die Zauberwesen es vorzogen, weiter im Verborgenen zu leben, weckten sie das Mißtrauen der Menschen. Man betrachtete sie als unheilbringende Geschöpfe, die andere bespitzelten und sich gegen sie verschworen, als boshafte Geschöpfe, die sich einen Spaß daraus machten, allerhand Schabernack zu treiben und den hart arbeitenden Menschen das Leben noch schwerer zu machen. Ein Körnchen Wahrheit lag in diesen Beschuldigungen. Einige dieser Geschöpfe spielten den Menschen tatsächlich mit Vergnügen üble Streiche, aber im großen und ganzen war ihr schlechter Ruf unverdient.
Nun, die Elfen und ihre Brüder ignorierten einfach die schlechte Meinung, die die Menschen von ihnen hatten. Was die Menschen von ihnen dachten, kümmerte sie nicht. Ihre einzige Sorge galt der Erhaltung und Bewahrung des Landes und der Wesen, die von ihm lebten, und dieser Aufgabe konnten sie trotz der unfreundlichen Gefühle, die die Menschen ihnen entgegenbrachten, weiterhin ungehindert nachgehen.
Doch auch da trat allmählich eine Änderung ein. Die Zahl der Menschen wuchs immer schneller, die Menschheit breitete sich weiter aus, man baute Städte und Festungen, man umsegelte die Welt, um neues Land zu entdecken, man rückte der Wildnis rundum zu Leibe, um sie urbar zu machen. Die Menschen begannen, das Land zu verändern, gaben ganzen Landstrichen ein neues Gesicht, indem sie das Land kultivierten. Die Elfen mußten immer tiefer in die Wälder zurückweichen, während die Menschen mit Äxten und Sägen stetig nachrückten. Alle Zauberwesen sahen durch diese Expansion plötzlich ihren Lebensraum bedroht und wurden immer weiter zurückgedrängt, bis es für einige schließlich keine Heimat mehr gab.«
»Aber versuchten sie denn nicht, sich den Eindringlingen zu widersetzen?« fragte Wil.
»Dafür war es schon zu spät«, antwortete Allanon mit einem bitteren Lächeln. »Als es soweit gekommen war, waren viele der Zaubervölker schon ausgestorben — einige, weil sie einfach nicht genug Nachkommen gezeugt hatten, andere, weil sie unfähig waren, sich einer veränderten Umwelt anzupassen. Jene, die übrigblieben, waren nicht mehr in der Lage, sich zusammenzuschließen, wie sie das einstmals getan hatten; Hunderte von Jahren waren seit dem Krieg mit den bösen Mächten vergangen, und die Zaubervölker hatten sich überall auf der Erde verstreut und die Verbindung miteinander wie untereinander verloren. Das schlimmste Unglück aber war, daß ihre Zauberkräfte erloschen waren. Als die bösen Mächte noch mit ihren Zauberkräften die Erde zu zerstören gesucht hatten, waren gute Kräfte der Magie nötig gewesen, dem Widerpart zu bieten. Doch als die bösen Mächte von der Erde verbannt waren, bestand keine Notwendigkeit mehr, Zauberkräfte einzusetzen. Und mit der Zeit gingen die Kräfte verloren. Da die Menschen kaum Zauberkräfte besaßen, hielten die Elfen es nicht für nötig, ihre magischen Kräfte zu gebrauchen. Und als sie dann einsahen, daß ihnen nur noch die Zauberkräfte helfen konnten, war es zu spät — sie waren ihnen zum großen Teil verloren. So kam es, daß sie dem Eindringen der Menschen in ihre heimatlichen Gebiete nur schwachen Widerstand entgegensetzen konnten. Anfangs kämpften sie mit Erbitterung und setzten all die magische Kraft ein, die ihnen noch verblieben war, doch es half nichts. Der Menschen waren zu viele, der Zauberwesen zu wenige. Ihre Magie hatte keine Wirkung. Sie brachte ihnen unbedeutende Siege ein, kurze Gnadenfristen, nicht mehr. Am Ende wurden sie einfach überwältigt, aus ihren Heimstätten vertrieben. Sie mußten sich entweder eine neue Heimat schaffen oder umkommen.«
»Und die Elfen?« fragte Wil leise.
»Sie lernten zu überleben. Ihre Bevölkerung schrumpfte beträchtlich, doch das Volk starb nicht aus wie viele andere Völker. Sie blieben in ihren Wäldern, zogen sich immer weiter zurück und lebten nunmehr völlig verborgen vor den Menschen, die inzwischen fast die ganze Erde erobert hatten. Mit Entsetzen verfolgten sie die Zerstörung ihrer Welt.
Sie sahen, wie die Erde ihrer Bodenschätze beraubt wurde, wie die Tiere, die auf ihr lebten, ausgerottet wurden. Sie mußten mit ansehen, wie die Erde von den Menschen völlig und irreversibel aus ihrem ökologischen Gleichgewicht gebracht wurde. Sie sahen tatenlos zu, wie die Menschen einander unaufhörlich bekriegten, weil immer eines der Völker die Vorherrschaft über die anderen erobern wollte. Sie sahen das alles mit an und warteten und bereiteten sich vor — denn sie erkannten, welches Ende das alles nehmen mußte.«
»Es kamen die Großen Kriege«, sagte Wil.
»Ja, es kamen die Großen Kriege«, bestätigte Allanon nickend. »Die Elfen sahen die Katastrophe voraus, und in einer gewaltigen Anstrengung rafften sie alle ihnen noch verbliebenen magischen Kräfte zusammen, um ihr eigenes Volk zu retten und einige sorgfältig ausgewählte Schätze ihrer Vergangenheit — darunter den Ellcrys — vor dem Untergang zu bewahren. Und die Anstrengung wurde belohnt. Sie überlebten. Die meisten anderen Zaubervölker wurden vernichtet. Eine kleine Zahl von Menschen überlebte ebenfalls, allerdings nicht aufgrund eigenen Weitblicks. Diese Menschen überlebten, weil es von ihrer Art so viele in allen Teilen der Welt gab, daß einige einfach dem Untergang durch die Katastrophe entkamen. Alles aber, was die Menschen erbaut hatten, fiel der Zerstörung anheim. Ihre wuchernde Zivilisation wurde ausgelöscht. Die alte Welt verkarstete in eine öde, wüste Wildnis.
Jahrhundertelang war alles Leben nach der Großen Katastrophe nur ein erbarmungsloser Kampf ums Überleben. Die wenigen Geschöpfe, die in dieser neuen Welt am Leben blieben, mußten sich der primitiven Umwelt anpassen, die durch die Katastrophe völlig verändert worden war. Die menschliche Rasse machte eine grundlegende Wandlung durch. Aus der alten Menschenrasse entwickelten sich vier neue, voneinander deutlich unterschiedliche Rassen: Menschen, Zwerge, Gnomen und Trolle. Man glaubte, und die meisten glauben es noch immer, daß die Elfen eine fünfte aus der Katastrophe geborene Rasse seien. Für die neuen Rassen war die Katastrophe der Beginn des Lebens. Die Geschichte der alten Welt geriet schnell in Vergessenheit; die alten Sitten und Gebräuche verloren sich. Die Elfen bewahrten sich einen großen Teil ihrer Geschichte und ihrer Traditionen. Nur ihre magischen Kräfte waren ihnen verloren — von nun an für immer. Die Notwendigkeit der Anpassung hatte Veränderungen zur Folge, die andernfalls nicht stattgefunden hätten. Diese Veränderungen brachten die Elfen in kultureller und physiologischer Hinsicht den neuen Rassen näher. Die neu geborenen Menschen und die überlebenden Elfen glichen sich in der neuen Welt einander an, bis sie schließlich kaum noch voneinander zu unterscheiden waren.
Und als sich schließlich, nahezu tausend Jahre nach dem Ende der Großen Kriege, die neuen Rassen aus dem primitiven Leben zu erheben begannen, das sie ertragen hatten, solange sie unter den Nachwirkungen der Katastrophe um das nackte Überleben gekämpft hatten, zogen sich die Elfen nicht vor ihnen zurück. Nimmermehr würden sie sich in ihren Wäldern verbergen, um als unbeteiligte Zuschauer die Entwicklung einer neuen Welt zu beobachten. Diesmal würden sie an dieser Entwicklung mitwirken, mit den neuen Rassen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, daß die Menschen nicht ein zweites Mal jenen Weg einschlugen, der nur um Haaresbreite an der Vernichtung allen Lebens vorbeigeführt hatte.
Die Elfen riefen also durch den Druiden Galaphile den ersten Druidenrat in Paranor zusammen. Sie bemühten sich, die neuen Rassen abzubringen von der verderblichen Suche nach den alten wissenschaftlichen Erkenntnissen von Kraft und Energie, rieten statt dessen zu einer behutsameren Annäherung an die Geheimnisse des Lebens. Sie strebten danach, die magischen Kräfte wieder zu erlangen, die sie verloren hatten, weil sie glaubten, diese Künste würden ihnen in ihrem Bemühen, die neue Welt und ihr Leben zu erhalten, helfen.«
»Aber die Elfen besitzen keine Zauberkräfte«, erinnerte Wil. »Nur die Druiden besaßen sie.«
»Die Druiden und eine Handvoll anderer, die über das Land verstreut lebten«, berichtigte Allanon.
Eine geraume Weile schien er mit seinen Gedanken woanders zu sein. Als er wieder sprach, klang seine Stimme abweisend. »Die Druiden machten früh Bekanntschaft mit den Gefahren, die der Suche nach den verlorenen Zauberkräften innewohnen. Ein Druide namens Brona führte sie ihnen vor Augen. Seine Begierde, die Magie bis an ihre Grenzen zu erforschen, vernichtete ihn und machte aus ihm jenes Wesen, das wir den Dämonen-Lord nennen. Als die Druiden erkannten, was die Gier nach dem Wissen um die Magie aus ihm gemacht hatte, unterbanden sie weiteres Forschen.
Die Kräfte, auf die sie gestoßen waren, waren weder absolut gut, noch absolut böse; sie waren einfach ungeheuer stark — so stark, daß der sterbliche Mensch sie nicht meistern konnte. Eine Zeitlang kehrte Ruhe ein. Dann aber überfiel Brona die Druiden in Paranor und tötete sie alle. Damit löste er den zweiten Krieg der Rassen aus. Nun war nur noch Brimen übrig, die Zauberkräfte weiterzuvermitteln. Als auch er dann nicht mehr unter den Lebenden weilte, blieb nur noch ich …«
Seine Stimme erlosch, und die dunklen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, während er in das züngelnde Feuer zu seinen Füßen starrte. Dann hob er plötzlich den Kopf und sah Wil direkt an.
»Was möchtest du noch wissen, Talbewohner?«
Sein Ton war scharf, beinahe ärgerlich. Es erschreckte Wil, doch er hielt dem Blick des Druiden ruhig stand.
»Was sollte ich denn sonst noch wissen Eurer Meinung nach?« fragte er zurück.
Allanon antwortete nicht. Ein langes unbehagliches Schweigen hing schwer zwischen den beiden Männern, die einander immer noch in die Augen sahen. Schließlich wandte Wil den Blick wieder ab und stocherte mit der Stiefelspitze müßig in der glühenden Asche des Feuers.
»Was hat es mit diesen Geschöpfen auf sich, die hinter die Mauer der Verfemung verbannt wurden?« fragte er schließlich. »Wie haben sie so lange Zeit überlebt? Wie kommt es, daß sie nicht untergegangen sind?«
Allanons düstere Miene veränderte sich nicht.
»Nenn sie Dämonen, denn dazu sind sie geworden. Sie wurden an einen Un-Ort verbannt, eine finstere Leere jenseits alles Lebendigen. In dieser Leere gab es keine Zeit, die Alter und Tod hätte anzeigen können. Die Elfen erkannten das nicht, vermute ich, oder sie hielten es für bedeutungslos, da es ihnen allem darum ging, das Böse aus ihrer eigenen Welt zu bannen. Wie dem auch sei, die Dämonen starben nicht; sie vermehrten sich vielmehr. Das Böse, das in ihnen lebte, nährte sich aus sich selbst und wuchs an Stärke. Es brachte neues Leben hervor. Denn das Böse, das man sich selbst überläßt, Talbewohner, geht nicht zugrunde; es wächst und gedeiht. Das Böse einzusperren, heißt nicht, das Böse zu vernichten. Es nährt sich aus sich selbst, es wuchert innerhalb seines Gefängnisses, schwillt an und tobt und wütet, bis es sich befreit, und dann — und dann gerät es außer Rand und Band.«
»Und seine Zauberkraft?« fragte Wil hastig. »Ist die auch gewachsen?«
Das Gesicht des Druiden verlor etwas von seiner grimmigen Härte, als er nickte.
»Sie wurde auf die gleiche Weise genährt und dazu ständig erprobt. Das Bedürfnis nämlich, ihrem Haß über das, was ihnen angetan worden war, Luft zu machen, trieb die Bösen bis an den Rand der Raserei, so daß sie sich in ihrem Gefängnis gegenseitig bekämpften.«
Jetzt war es an Wil, sich in Schweigen zu hüllen. Er senkte den Kopf, so daß sein Gesicht in den Schatten tauchte, und legte beide Arme fest um seine angezogenen Beine. Im Osten murrte mit gedämpftem Groll das abziehende Gewitter, das sich in den zerklüfteten Wänden des Wolfsktaag-Gebirges verlor.
Eine Spur von Ungeduld trat in Allanons dunkle Züge, während er den jungen Mann beobachtete. Wieder beugte er sich vor.
»Sind jetzt alle deine Fragen beantwortet, Wil Ohmsford?«
Wil blinzelte im Schein des Feuers. »Nein.« Mit einer heftigen Bewegung hob er den Kopf. »Nein, eine Frage habe ich noch.«
Allanon runzelte die Stirn.
»In der Tat. Nun, dann heraus damit.«
Er war offensichtlich verärgert. Wil zögerte, überlegte im stillen, ob es ratsam war, die Sache weiterzuverfolgen. Er kam zu dem Schluß, daß es gar nicht anders ging. Mit Bedacht wählte er seine Worte.
»Alles, was ich gehört habe, läßt darauf schließen, daß diese Dämonen den Elfen weit überlegen sind. Es scheint, daß sie selbst Euch gewachsen sind.« Zorn loderte bei diesen Worten im Gesicht des Druiden auf, doch Wil sprach hastig weiter. »Wenn ich, wie Ihr von mir verlangt, das Mädchen Amberle auf seiner Suche nach dem Blutfeuer begleite, werden die Bösen zweifellos versuchen, uns zu vernichten. Was geschieht, wenn sie uns finden? Habe ich im Kampf gegen sie denn überhaupt eine Chance, Allanon? Selbst mit den Elfensteinen? Ihr wolltet mir zuvor nicht antworten. So antwortet mir jetzt.«
»Ha!« Der Druide neigte sich leicht zurück. Das hagere, dunkle Antlitz war plötzlich völlig ausdruckslos im mageren Schein des Feuers. »Ich dachte mir doch, daß deine Wißbegier einzig darauf hinausläuft.«
»Bitte beantwortet mir meine Frage«, sagte Wil mit ruhiger Beharrlichkeit.
Allanon neigte nachdenklich den Kopf zur Seite.
»Ich weiß die Antwort selbst nicht.«
»Ihr wißt sie nicht?« rief Wil ungläubig aus.
Der Druide schloß wie erschöpft die Augen.
»Zunächst einmal hoffe ich verhindern zu können, daß sie euch auf die Spur kommen. Wenn sie euch nicht finden, dann können sie euch auch keinen Schaden zufügen. Im Augenblick wissen sie noch nichts. Und wenn es nach mir geht, dann bleibt es so.«
»Aber wenn sie uns finden — was dann?«
»Dann hast du die Elfensteine.« Er zögerte. »Hör mir zu, Wil. Die Elfensteine sind ein Zaubermittel aus der alten Welt. Ihre Zauberkraft bestand schon, als die Elfen diese Mächte des Bösen das erste Mal besiegten. Die Kraft der Steine richtet sich nach der Stärke des Mannes oder der Frau, die sich ihrer bedienen. Es sind drei Elfensteine- einer für das Herz, einer für den Geist, einer für den Körper dessen, der sie besitzt. Alle drei müssen eins werden; wenn das geschieht, dann kann die Kraft, die freigesetzt wird, gewaltig sein.«
Er maß den jungen Mann mit einem scharfen Blick.
»Begreifst du nun, warum ich deine Frage nicht beantworten kann? Du allein wirst die Kraft und Stärke deiner Verteidigung gegen eure Feinde bestimmen; sie muß aus deinem Inneren kommen, nicht aus den Steinen. Ich kann diese innere Stärke in dir nicht beurteilen. Das kannst nur du selbst. Ich kann dir lediglich sagen, daß ich dich für einen ebenso guten Menschen halte, wie dein Großvater einer ist — und einem besseren bin ich nie begegnet, Wil Ohmsford.«
Der junge Mann blickte den Druiden einen Moment lang wortlos an, dann sah er ins Feuer hinunter.
»Ich auch nicht«, flüsterte er.
Allanon lächelte schwach. »Es schien schlecht bestellt um die Aussichten deines Großvaters, als er sich aufmachte, das Schwert von Shannara zu suchen. Der Dämonen-Lord wußte von Anfang an von ihm; die Schädelträger drangen nach Shady Vale selbst ein, um seiner habhaft zu werden. Auf Schritt und Tritt seines Weges wurde er gehetzt und verfolgt. Und dennoch überlebte er — und das, obwohl er selbst beträchtliche Zweifel an einem glücklichen Ausgang des Unternehmens hatte.«
Er hob den Arm und legte Wil eine Hand auf die Schulter. Die tiefliegenden Augen blitzten im Feuerschein.
»Ich denke, du hast gute Aussichten in diesem Kampf. Ich glaube an dich. Jetzt mußt du selbst an dich glauben.«
Er nahm die Hand weg und erhob sich.
»Wir haben uns ausgesprochen für diese Nacht. Du brauchst Schlaf. Wir haben morgen einen langen Ritt vor uns.« Er zog seine schwarzen Gewänder eng um sich. »Ich wache.«
Er machte Anstalten, sich vom Feuer zu entfernen.
»Ich kann wachen«, erbot sich Wil eilig, dem die Verletzungen des Druiden in den Sinn kamen.
»Du kannst schlafen«, brummte Allanon, und die Schatten der Nacht verschluckten ihn.
Wil blickte ihm eine Weile nach, dann breitete er beinahe widerstrebend seine Decke am Feuer aus, wickelte sich darin ein und streckte sich müde aus. Schlafen würde er jetzt nicht, sagte er sich. Noch nicht. Denn erst wollte er alles, was er an diesem Abend gehört hatte, gründlich überdenken, um sich darüber klar zu werden, was er davon halten sollte. Und erst wenn er überzeugt war zu wissen, was für eine Rolle er in dieser Unternehmung spielte, wollte er sich dem erquickenden Schlaf überlassen.
Nur für einen Augenblick schloß er die Augen. Und schlief sofort ruhig und fest.