Arion Elessedil wurde beim ersten Licht des neuen Tages der Erde zurückgegeben. Sein Bruder, Pindanon und vier Dutzend Soldaten der Leibgarde bestatteten ihn gemäß der Elfentradition zum Zeitpunkt der Geburt des neuen Tages, zum Zeitpunkt seines Anfangs. Schweigend trugen sie den Leichnam zu einer von Eichen beschatteten Anhöhe unterhalb vom Baen Draw, die nach Westen hin die blauen Weiten des Innisbore-Sees überblickte und nach Osten das grüne Tal des Sarandanon. Dort legten sie den erstgeborenen Sohn Eventine Elessedils zur letzten Ruhe, gaben seine sterbliche Hülle der Erde zurück, die ihm das Leben geschenkt hatte. Sie setzten dem Kronprinzen kein Zeichen. Allanon hatte gewarnt, daß es unter den Dämonen welche gab, die nach solchen Zeugnissen suchen und die Ruhe der Toten stören würden. Nicht mit Liedern, nicht mit Worten, nicht mit Blumen gedachte man Arion Elessedils. Nichts blieb von ihm als Erinnerungen. Andor bemerkte die Tränen in den Augen all jener, die sich mit ihm eingefunden hatten, und sagte sich, daß Erinnerungen genügen mußten. Kaum eine knappe Stunde später griffen die Dämonen die Elfen am Baen Draw an. Ihr Kreischen und Heulen zerfetzte die Stille der Morgendämmerung, als sie in wilden Scharen aus den nördlichen Hügeln herabstömten. Wie am Halys-Joch wälzten sie sich in einer gewaltigen Woge zuckender dunkler Leiber heran, den entfesselten Wassern einer Springflut gleichend. Am unteren Ende des Baen Draw warteten die Schlachtreihen der Elfen, Lanzer und Pikeniere, die mit kampfbereiten Waffen Schulter an Schulter standen. Als die vordersten Dämonen-Horden sich ihnen entgegenstürzten, hob plötzlich auf den Hängen des Kensrowe ein mächtiges Summen an, und ein Schauer gefiederter Pfeile regnete auf die kreischenden Horden herab. Unzählige Dämonen fielen und wälzten sich zuckend am Boden, wurden von jenen überrannt, die nach ihnen kamen. Schauer um Schauer dunkel gefiederter Pfeile brach über sie herein, und Hunderte starben in dem ersten Ansturm. Schließlich aber war die Phalanx doch erreicht, und die Dämonen rannten blind und haßerfüllt gegen sie an. Ihre Schmerzensschreie gellten durch den Morgen, als die eisernen Spitzen von Lanzen und Piken ihre Körper durchbohrten. Der Angriff geriet ins Stocken und wurde schließlich vollends zurückgeschlagen. Und auch der nächste, eine plötzliche Flutwelle mißgestalteter Leiber mit klauenbewehrten Gliedern und gierigen Zähnen, wurde zurückgeworfen. Auf der Erde vor der Abwehrmauer der Elfen häuften sich Sterbende und Tote. Aber immer noch stürmten die Dämonen-Horden an, unerschöpflich an Zahl, und endlich gerieten die Linien der Elfen ins Wanken und zerbrachen. Triumphierend quoll die zuckende Masse der Dämonen durch die Bresche, die sie geschlagen hatte.
Augenblicklich wurden sie von einer Schar grauer Reiter bedrängt, die von einem hochgewachsenen, narbengesichtigen Mann auf einem mächtigen Rotschimmel angeführt wurden. Die Reiter jagten mit durch die Luft sirrenden Lanzen an der Spitze des Dämonensturms vorüber. Und schon waren sie wieder entschwunden, galoppierten mit fliegenden grauen Umhängen, tief über die Hälse ihrer Pferde geneigt, ins Tal zurück. In blinder Raserei setzten die Dämonen ihnen nach. Nur Augenblicke später wirbelten die Reiter herum und fielen mit gesenkten Lanzen erneut über die Verfolger her. Verwundete brüllten im Todeskampf, und Tote blieben reglos liegen, während die Geisterreiter schon wieder abschwenkten. Die Dämonen stürzten ihnen heulend vor ohnmächtiger Wut nach.
Da plötzlich machten die graugekleideten Reiter in einer geschlossenen Linie kehrt, die den Dämonen den Vormarsch sperrte. Der narbengesichtige Mann erhob den Arm. Die Dämonen, welche die Verteidigungslinien der Elfen durchbrochen hatten, erkannten jetzt, wozu man sie verleitet hatte, und blickten in wilder Panik hilflos um sich. Nicht mehr dicht geballt wie zuvor waren ihre Scharen, sondern weit, weit auseinandergezogen, schutzlos und leicht verletzlich. Zu beiden Seiten tauchten jetzt Kavallerie-Einheiten der Elfen auf, die sie zusammentrieben wie Schafe. Die Bresche hinter ihnen war durch einen hochgewachsenen, schwarz gekleideten Mann geschlossen worden, aus dessen gespreizten Fingern blaues Feuer loderte, um die Dämonen zu vernichten, die durch den Engpaß nachdrängten. Verzweifelt versuchten jene, die blindlings in die Falle gelaufen waren, die Umzingelung zu durchbrechen. Doch die Elfen trieben sie immer enger zusammen, während sie mit Schwert und Lanze die finsteren Gestalten bekämpften, die nach ihnen fassen wollten. Innerhalb von Sekunden war die Vortruppe der Dämonen vollständig vernichtet. Und durch den Engpaß des Baen Draw hallte das Siegesgeheul der Elfen hundertfach verstärkt wider.
Doch das war längst nicht das Ende. Noch während des ganzen Morgens und bis in den frühen Nachmittag hinein tobte die Schlacht hin und her. Immer wieder formierten sich die Dämonen zum Ansturm auf die Phalanx der Elfen, die den Engpaß des Baen Draw versperrte. Immer wieder gelang es ihnen, diese Phalanx zu durchbrechen, den Pfeilen der Bogenschützen und dem Feuer des Druiden, den Lanzen und Piken auszuweichen, nur um sich dann den grauen Reitern der Freitruppe der Grenzlegion gegenüberzusehen. Wütend und gereizt nahmen sie die Verfolgung auf. Ohne Rücksicht auf das, was sie möglicherweise erwartete, ließen sie sich von den Geisterreitern fortlocken, manchmal an die Ufer des Innisbore-Sees, dann wieder bis zu den Hängen des Kensrowe hinüber oder in das Tal des Sarandanon. Und gerade wenn es dann schien, als wäre es ihnen gelungen, die flüchtigen Reiter zu stellen, sahen sie sich von Kavallerie-Einheiten umzingelt, mußten erkennen, daß ihre eigenen Linien dünn und licht waren, da sie sich zu weit von ihren Brüdern entfernt hatten, die noch im Baen Draw kämpften. In tolldreister Raserei stürzten sie sich dann auf ihren Feind, doch es gab kein Entkommen. Die Elfen jagten zurück, und ihre Linien schlossen sich wieder, um den Baen Draw erneut zu versperren.
Eine Zeitlang versuchten die Dämonen, die Hänge des Kensrowe einzunehmen, um den verhaßten Bogenschützen den Garaus zu machen. Doch die Elfen-Krieger, deren Reihen tief gestaffelt im Schutz der Felsen aufgestellt waren, vernichteten die Angreifer bis auf den letzten Mann. Und in ihrer Mitte stand der schwarzgewandete Riese, aus dessen Fingern das blaue Zauberfeuer loderte. Alle Arten von Dämonen mühten sich, ihn zu erreichen — Dämonen, die auf der Erde krochen, solche, die flogen, solche, die an Felswänden emporklettern konnten wie Fliegen. Und alle starben sie.
Bei einem Angriff sprengten die Dämonen die Schlachtreihen der Elfen an einer Stelle, wo sie ans Ufer des Innisbore-Sees grenzte, und zwangen die Soldaten zurückzuweichen. Einen Augenblick lang, während Hunderte von Dämonen über die sandigen Hügel zum jenseits liegenden Tal ausschwärmten, schien es, als sei nun die Phalanx der Elfen endgültig zerbrochen. Doch in einer heldenhaften Anstrengung sammelten sich die Reiter der Kavallerie östlich von diesem neuen Stoßtrupp und ritten eine Attacke, die die Dämonen bis in die Fluten des Innisbore-Sees zurücktrieb. Wieder gelang es den Mächten des Bösen nicht, eine geschlossene Formation zu bilden, wieder waren sie weit auseinandergezogen an den Gestaden verstreut. Der Angriff wurde vereitelt, zerbrach an den Lanzen der Elfen. Und wieder schloß sich die Bresche in den Schlachtreihen.
Tausende von Dämonen fielen an diesem Nachmittag im sinnlosen, hirnlosen Anstürmen auf das Elfenheer. Unaufhörlich griffen sie an, wälzten sich mit der blinden Entschlossenheit von Lemmingen vorwärts, ohne der Vernichtung zu achten, die sie erwartete. Elfen und Grenzländer starben mit ihnen, Opfer ihres rasenden Bestrebens, das Sarandanon zu erreichen. Doch die vernichtende Niederlage, die den Elfen am Halys-
Joch beigebracht worden war, wiederholte sich in diesem Tal nicht; immer wieder wurden ihre Sturmtrupps vernichtet, bevor ihnen aus den nachdrängenden Massen Verstärkung kommen konnte.
In der Mitte des Nachmittags schließlich eröffneten die Dämonen ihren entscheidenden Angriff. Nachdem sie sich im Engpaß des Baen Draw gesammelt hatten, rannten sie in einem gewaltigen Ansturm gegen die Phalanx der Elfen an und trieben sie lediglich aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit zurück. Die Schlachtenreihen fielen auseinander. Und in die Lücken und Breschen fielen nun die Dämonen ein, und plötzlich blieb keine Zeit mehr für sorgsam ausgeklügelte Strategien, für Geschicklichkeit und Finesse. Die Elfen und die Freikämpfer schlugen wütend zurück; ihre Reiter stürmten tief in das Wogen der Schlacht hinein. Schwerter und Speere stachen wie giftige Stacheln in das Knäuel zuckender dunkler Leiber. Pferde und Reiter schrieen gellend auf und stürzten. Hin und her wogte der Kampf, doch endlich mußten die Dämonen weichen. Fauchend und schnaubend vor Wut flohen sie in den Draw zurück, und gellendes, haßerfülltes Kreischen stieg aus ihrer Mitte auf. Diesmal kehrten sie nicht um. Sie flohen über ihre eigenen Toten und Sterbenden hinweg, zogen sich hinkend und kriechend ins Hügelland zurück. Der Baen Draw war leer.
Zu Tode erschöpft und ungläubig starrten die Elfen den zurückweichenden Feinden nach und beobachteten, wie die letzten in den Hügeln verschwanden. Geschrei und Kreischen verloren sich allmählich. Erst als wieder Stille eingekehrt war, blickten die Elfen sich um und gewahrten mit schrecklicher Klarheit, welch entsetzlicher Kampf hier am Baen Draw getobt hatte. Tausende verkrümmter dunkler Leiber lagen über das Grasland verstreut. Vom Kensrowe bis zum Innisbore dehnte sich ein einziges Feld von Toten und Verwundeten. Und der Engpaß selbst war mit den Leibern der Toten übersät. Die Elfen wurden von Grauen geschüttelt. Es war, als habe das Leben den Dämonen nichts bedeutet, als zögen sie ihm den Tod vor. Die Männer suchten ihre Freunde und Kameraden. Hände trafen sich, umspannten einander fest, und eine tiefe Erleichterung übermannte die Elfen, Dankbarkeit, daß sie dieses grauenvolle Chaos überlebt hatten.
An der Mündung des Baen Draw stieß Andor Elessedil auf Kael Pindanon und umarmte impulsiv den alten Kämpen. Freudenschreie entrangen sich den Kehlen der Elfen, als sie erkannten, daß dies ihr Tag war. Stee Jans ritt an der Spitze seiner Freikämpfer heran, und er und seine Leute stimmten in die Triumphrufe der Elfen ein. Durch das Sarandanon-Tal pflanzten sich die freudigen Stimmen des Sieges fort.
Nur Allanon stand abseits. Allein stand er am Fuß des Kensrowe-Gebirges, die dunklen Züge den Hügeln im Norden zugewandt, wohin die Dämonen entschwunden waren. Er fragte sich, was der Grund dafür gewesen war, daß sie bereit gewesen waren, ihr Leben so bereitwillig zu opfern, und — das war vielleicht noch wichtiger — wie kam es, daß während der schrecklichen Schlacht keine Spur jenes Gewaltigen zu sehen gewesen war, den sie den Dagda Mor nannten.
Der Nachmittag verblich, und dem Abend folgte leise die Nacht. An der Mündung des Baen Draw erwartete das Heer von Westland einen neuerlichen Angriff der Dämonen. Doch die Dämonen griffen nicht an. Und sie kamen auch bei Morgengrauen nicht, dennoch verstärkten Elfen und Grenzländer ihre Alarmbereitschaft. Die Morgenstunden krochen dahin, und wachsendes Unbehagen breitete sich unter den Verteidigern aus.
Als der Mittag nahte, machte Andor sich auf die Suche nach Allanon. Er hoffte, der Druide könnte ihm eine Erklärung für das merkwürdige Verhalten der Dämonen geben. Allein erklomm er die Hänge des Kensrowe und wanderte zu dem Felsüberhang, wo Allanon einsam Wache hielt, halb verborgen im Schatten, während er den Blick über das Sarandanon schweifen ließ. Der Elfenprinz hatte seit dem vergangenen Tag, seit der Druide in diese Berge hinaufgestiegen war, nicht mehr mit Allanon gesprochen; niemand hatte ein Wort mit ihm gewechselt. Und in seiner Freude über den Sieg der Elfen hatte Andor kaum einen Gedanken an den Druiden verschwendet. Schließlich kam und ging Allanon stets, wie es ihm gefiel, und selten gab er eine Erklärung für sein Handeln. Jetzt aber, als Andor sich dem Druiden näherte, fragte er sich dennoch, warum Allanon gerade diesen Zeitpunkt gewählt hatte, um allein zu sein. Die Antwort auf diese Frage erhielt er, als der Druide sich nach ihm umwandte. Allanons Gesicht war aschfahl. Tief eingegrabene Linien durchzogen sein Gesicht, das schlaff und welk wirkte, und in den durchdringenden schwarzen Augen stand ein grüblerischer Ausdruck. Andor blieb wie angewurzelt stehen und starrte den Druiden entsetzt an.
Seine Bestürzung brachte ein schwaches Lächeln auf Allanons Lippen.
»Ist etwas mit Euch, Elfenprinz?«
Andor fuhr zusammen. »Nein, ich — es ist nur — Allanon, Ihr seht…«
Der Druide zuckte die Schultern.
»Für die Art und Weise, wie wir unsere Kräfte einsetzen, müssen wir einen Preis zahlen. Das ist eines der Naturgesetze, wenn wir es auch häufig außer acht lassen. Selbst ein Druide ist dem Willen der Natur unterworfen.« Er hielt einen Moment inne. »Versteht Ihr, was ich meine?«
Andor blickte ihn unsicher an.
»Diese Wirkung hat die Zauberkraft auf Euch?«
Allanon nickte. »Wer Zauberkraft einsetzt, dem wird Leben entzogen — ihm wird etwas von seiner Kraft und seinem Wesen genommen. Zum Teil kann es wiedergewonnen werden, aber die Erholung schreitet nur langsam voran. Und der Schmerz …«
Seine Stimme verklang, der Satz blieb unvollendet. Andor fröstelte plötzlich.
»Allanon, habt Ihr Eure Zauberkräfte verloren?«
Der Kopf unter der Kapuze hob sich.
»Die Zauberkraft geht nicht verloren, solange derjenige noch lebt, der sich ihrer bedient. Aber es gibt Grenzen, die nicht überschritten werden können, und die Grenzen werden mit dem Lauf der Jahre immer enger. Wir alle werden alt, Elfenprinz.«
»Auch Ihr?« fragte Andor leise.
Die schwarzen Augen waren verschleiert. Unvermittelt wechselte Allanon das Thema.
»Was führt Euch zu mir?«
Andor brauchte eine Zeitlang, um seine Gedanken wieder zu sammeln.
»Ich wollte Euch fragen, ob Ihr den Grund kennt, warum die Dämonen nicht angreifen.«
Der Druide wandte den Blick ab.
»Weil sie dazu noch nicht bereit sind.« Er schwieg einen Moment, dann richtete sich sein Blick wieder auf Andor. »Laßt Euch nicht in die Irre führen; sie werden kommen. Sie zögern den Angriff nur hinaus, doch hinter dieser Verzögerung steckt ein Sinn. Jener, der sie führt, jener, den sie den Dagda Mor nennen, tut nichts ohne Grund.« Er neigte sich leicht vornüber. »Laßt Euch dies durch den Kopf gehen: Der Dagda Mor befand sich nicht unter jenen, die uns gestern angriffen.«
Andor runzelte besorgt die Stirn.
»Wo war er dann?«
Allanon schüttelte den Kopf.
»Wir sollten eine andere Frage stellen: Wo ist er jetzt?« Einen Lidschlag lang blickte er Andor schweigend an, dann zog er seine schwarzen Gewänder fest um sich. »Ich habe mir überlegt, daß es klug wäre, Kundschafter nach Norden und nach Süden auszuschicken, um sicherzugehen, daß die Dämonen nicht die Absicht haben, uns von den Flügeln her in die Zange zu nehmen.«
Nach einer bedrückenden Zeit des Schweigens fragte Andor: »Ist die Zahl der Dämonen denn groß genug, um das zu tun?«
Allanons Lachen war spröde.
»Groß genug.« Der Druide wandte sich wieder ab. »Laßt mich jetzt allein, Elfenprinz.«
Von Zweifeln geplagt stieg Andor wieder aus dem Kensrowe-Gebirge herab. Nach seiner Rückkehr wurden Kundschafter ausgesandt, und das Heer wartete weiter. Der Morgen neigte sich zum Nachmittag, der Nachmittag zum Abend. Schwere Wolkenmassen wälzten sich über den dunkler werdenden Himmel, und die Nacht brach rasch herein.
Und noch immer kamen die Dämonen nicht.
Es ging auf Mitternacht zu, als der Angriff endlich losbrach. So plötzlich, daß die Wachtposten kaum Zeit hatten, Alarm zu schlagen, als die ersten Dämonen schon über sie herfielen. In gewaltigem Ansturm drängten sie durch den Engpaß des Baen Draw, Wogen schwarzer, mißgestalteter Körper, die aus den dunklen Hügeln im Norden herabströmten in das flackernde Licht der Feuer. Eines nach dem anderen erloschen die Feuer, erstickt von den Dämonen-Horden, die sich durch den Engpaß und über die Hänge des Kensrowe-Gebirges wälzten. Nun, da die Feuer erstorben und der Nachthimmel von den finsteren Wolken verdunkelt war, die von Osten her aufgezogen waren, lag das Gebiet um den Baen Draw in tiefe Finsternis gehüllt. Den Dämonen war diese Schwärze vertraut, sie hatten sich während der Zeit ihrer Einkerkerung hinter der Mauer der Verfemung an sie gewöhnt. Sie konnte ihnen nur dienlich sein. Elfen und Südländer waren beinahe wie blind in dieser Finsternis, die Dämonen jedoch sahen so scharf, als wäre es heller Tag. Mit schrillem Geheul der Siegesgewißheit griffen sie an.
Am oberen Ende des Engpasses, um Andor Elessedil und den leuchtend silberglänzenden Stab des Ellcrys geschart, begegnete eine Phalanx von Elfen dem Ansturm. Die Wucht des Angriffs schleuderte die Soldaten zurück, doch sie hielten die Linien. Hunderte dunkler Leiber rannten mit reißenden Klauen und Zähnen gegen sie an. Die Elfen kämpften mit wilder Entschlossenheit. Lanzen und Piken stachen blind in das Gewimmel vorwärtsdringender Dämonen, und Schmerzensschreie schallten gellend durch die Nacht. Doch die Dämonen ließen nicht locker, sammelten sich zu immer neuen Attacken, stürmten wie rasend auf die Elfen ein, um ihre Abwehrkette zu sprengen. Einige verzweifelte Minuten lang widerstanden die Elfen den wütenden Überfällen und hielten die Feinde zurück, die gegen sie anrannten. Doch die Dunkelheit verwirrte und behinderte sie. Und schließlich wurden sie überwältigt. Die Schlachtenreihen gerieten ins Wanken, wichen schrittweise zurück, fielen gänzlich auseinander. Sekunden später schafften die Dämonen den Durchbruch.
Das wäre das Ende gewesen, wäre nicht Allanon gewesen. Der Druide eilte zu den unteren Hängen des Kensrowe hinunter, wo die Bogenschützen in der Dunkelheit einen aussichtslosen Kampf gegen die anstürmenden Dämonen führten, und nahm dort eine Handvoll glitzernden Staubes aus einem kleinen Beutel, den er am Gürtel trug. Hoch schleuderte er den Staub in die Luft. Augenblicklich breitete er sich am Nachthimmel über den kämpfenden Elfen aus und erfüllte die Finsternis mit einem leuchtend weißen Licht, welches das Land heller als der Schein des Mondes beleuchtete.
Die Finsternis war vertrieben, die Dämonen konnten sich nicht mehr unter ihrem Mantel verstecken. Hinter der gesprengten Phalanx der Elfen erhob sich lautes Anfeuerungsgeschrei in die Luft. In die größte Lücke, dort, wo die dichteste Zusammenballung von Dämonen vorwärtsdrängte, ritten Stee Jans und die Männer der Freitruppe. Einem Eisenkeil gleich trieben sie die vorderste Front der Angreifer auseinander. Weniger als vierhundert waren ihrer jetzt, doch furchtlos preschten sie mitten unter die Dämonenhorde und drängten sie zurück zur Mündung des Baen Draw. Ihnen Beistand zu leisten, galoppierte die Elfen-Kavallerie heran, geführt von Kael Pindanon, der mit wehendem weißen Haar sein Pferd antrieb. Erbarmungslos stachen die Reiter mit ihren Lanzen auf die vorwärtsstürmenden Dämonen ein und warfen sie zurück.
An den Hängen des Kensrowe-Gebirges war es den Dämonen gelungen, die Reihe der Bogenschützen aufzubrechen, und nun strömten sie ins Sarandanon hinunter. Praktisch allein stellte sich Allanon ihnen in den Weg. Blaues Feuer züngelte aus seinen Händen. Von allen Seiten drangen sie auf ihn ein, und ihr rasendes Geheul widerhallte in der Nacht, als das Feuer sie zu Asche verbrannte. Der Druide hielt stand. Als der Dämonen allzu viele wurden, verwandelte er das ganze Land rundum in ein Flammenmeer. Er errichtete eine hohe Mauer blauen Feuers, die die tollwütigen Dämonen umschloß und deren Flammen alle vernichtete, die versuchten, dem Flammenmeer zu entkommen.
Einige hundert Schritt von der Mündung des Baen Draw entfernt kämpften die Elfen und die Grenzländer mit dem Mut der Verzweiflung, um die Übermacht der Dämonen am Einbruch in das Sarandanon zu hindern. Es war eine schreckliche, grausame Schlacht, und der Geruch des Todes breitete sich in der Sommernacht aus. Kael Pindanon stürzte, als sein Pferd unter ihm in die Knie ging. Der alte Kämpe kam nur schwankend wieder auf die Füße, und noch während seine Hand zum Schwert griff, stürzten sich die Dämonen heulend auf ihn. Elfen-Jäger versuchten, ihren bedrängten Befehlshaber zu erreichen, bahnten sich mit Schwertern und Lanzen einen Weg durch die Dämonenmassen, die sich ihnen entgegenstemmten. Doch sie kamen zu spät, krallenbewehrte Hände packten Pindanon und rissen den alten Mann in den Tod.
In demselben Augenblick löste sich eine Handvoll Dämonen aus dem Gros der Angreifenden und drang auf Andor Elessedil ein. Durch den Ring der Elfen-Jäger, die sich rund um ihn mit dem Feind schlugen, brachen die Dämonen und sprangen wie Raubkatzen den Elfenprinz an. Wie einen Schild riß er den Ellcrys-Stab in die Höhe, und seine Angreifer wichen kreischend vor Wut zurück. Doch Andor war jetzt ganz allein, umzingelt von mißgestalteten schwarzen Wesen, die nach ihm schnappten und an ihm rissen und nur auf eine Gelegenheit warteten, die Abwehr seines Talismans einzureißen. Elfen-Jäger mühten sich verzweifelt, dem Prinzen zu Hilfe zu kommen, doch die Dämonen versperrten ihnen den Weg, zerfetzten alle, die sich zu nahe heranwagten, wehrten fauchend und schnaubend die Hiebe und Stiche von Lanzen und Schwertern ab. Ihre Brüder eilten herbei, um ihnen Beistand zu leisten, als sie sahen, daß der Träger des verhaßten Talismans umzingelt war.
Da warf sich ein hünenhafter, narbengesichtiger Grenzländer in das Kampfgetümmel. Der graue Umhang, mit Schmutz und Blut besudelt, flatterte im Wind, als der Riese mit kraftvollen Schlägen seines großen Schwertes die finsteren Dämonen-Horden auseinandertrieb, bis er schließlich direkt an Andors Seite stand. Wutgebrüll erhob sich von den Dämonen, und sie stürzten sich auf ihn. Doch Stee Jans stand unerschütterlich wie ein Fels und wehrte Andors Angreifer ab, während er seine Leute herbeirief. Augenblicklich preschten sie auf ihren Pferden heran und schlossen sich in einem eisenbewehrten Kreis um ihn. Da schwang er sich wieder auf seinen Rotschimmel und hob sein Schwert. Die grauen Reiter griffen an, und ihr Schlachtruf gellte laut durch die Nacht.
Eine ganze Weile gewahrte Andor gar nicht, was um ihn geschah. Dann erblickte er im dunstigen Schein des trügerischen Mondlichts die Männer der Freitruppe unter der Führung von Stee Jans. In der einen Hand sein gewaltiges Schwert, in der anderen die Kriegsfahne der Freitruppe, ritt er mit fliegendem roten Haar gegen die Dämonen an. Die Freitruppe griff an, ein kleiner Trupp Todesmutiger gegen Hunderte von Dämonen! Sogleich ergriff der Elfenprinz die Zügel eines reiterlosen Pferdes, schwang sich in den Sattel und trieb das Tier an, während er seine Leute zusammenrief. Aus allen Richtungen strömten die Elfen herbei, um sich um ihn zu scharen, und er stürmte furchtlos mitten in die Reihen der Dämonen hinein, um an der Seite der Grenzländer zu kämpfen. In kraftvollem Ansturm jagten Elfen und Grenzländer in den Baen Draw hinein und trieben die Dämonen vor sich her. Wie Berserker schlugen sich Reiter und Fußsoldaten mit Lanzen, Piken und Schwertern den Weg frei, während sie sich, wie aus einem Munde, mit den Schlachtrufen ihrer Heimatländer Mut machten.
Nur kurze Zeit widerstanden die Dämonen dem Angriff. Kreischend vor Wut und Haß versuchten sie, die Wahnsinnigen, die sich so beherzt in ihre Mitte geworfen hatten, zu Boden zu reißen. Doch der Hüne mit dem gewaltigen Schwert und der Kriegsfahne der Freitruppe hatte den Elfen neuen Mut verliehen, der sie anspornte, dem Tod ohne Furcht ins Auge zu sehen, alles hintansetzend außer ihrer Entschlossenheit, diese schleimigen, zuckenden, grauenvollen Gestalten zu vernichten, die sich ihnen in den Weg stellten. Die Reihen der Dämonen gerieten ins Wanken und wichen zurück, schrittweise zunächst, dann in wilder Flucht, denn der Zorn und die Wut, die jetzt von dem Heer der Elfen Besitz ergriffen hatten, waren verheerender als ihre eigene. So ergriffen sie die Flucht in das nördliche Hügelland, in die bergenden Schatten der Nacht.
Innerhalb von Augenblicken war der Baen Draw zurückerobert worden, und das Sarandanon lag wieder in den Händen der Elfen.
Mit nacktem Oberkörper saß Andor Elessedil in seinem Zelt, während Elfen-Jäger die Verletzungen behandelten, welche die Dämonen ihm in der Schlacht beigebracht hatten. Schweigend saß er da auf seinem Lager. Die Verwundungen schmerzten höllisch, und alle Glieder taten ihm weh, vor Mattigkeit und Erschöpfung. Boten kamen und gingen, um ihm von den Aktivitäten des Heeres zu berichten, das sich anschickte, neuerlich die Einmündung zum Baen Draw zu blockieren. Soldaten der Leibgarde bewachten das Zelt. Das Eisen ihrer Waffen glitzerte im Licht der Feuer.
Der Elfenprinz war gerade dabei, sich die Rüstung anzulegen, als sich plötzlich die Klappe des Zelts öffnete und Stee Jans aus dem Dunkel der Nacht auftauchte. Seine hochgewachsene Gestalt war von Schmutz, Asche und Blut bedeckt. Im Zelt wurde es augenblicklich still. Mit einem kurzen Wort gebot Andor allen zu gehen, und Andor trat zu dem Grenzländer hin. Wortlos drückte er ihm die Hand.
»Ihr habt uns heute abend alle gerettet, Befehlshaber«, sagte er leise. »Wir stehen tief in Eurer Schuld.«
Stee Jans schüttelte langsam den Kopf.
»Herr, Ihr schuldet mir nichts. Ich bin Soldat. Was ich heute nacht getan habe, war nicht mehr als meine Pflicht.«
Andor lächelte müde. »Davon werdet Ihr mich nie überzeugen. Aber ich achte und bewundere Euch zu sehr, um mich darüber mit Euch zu streiten. Ich will Euch einfach danken.« Er gab die Hand des Hünen frei und trat zurück. »Kael Pindanon ist tot. Ich brauche einen neuen Befehlshaber für mein Heer. Ich wünsche, daß Ihr dieses Amt übernehmt.«
Der Grenzländer schwieg einen Augenblick.
»Herr, ich bin kein Elf, ich stamme nicht einmal aus diesem Land.«
»Ich weiß keinen Elfen oder Landsmann, der besser als Ihr geeignet wäre, dieses Heer zu befehligen«, entgegnete Andor sogleich. »Euer Plan war es, der es uns ermöglichte, den Baen Draw zu halten.«
Stee Jans senkte den Blick nicht.
»Es gibt gewiß Leute, die die Klugheit Eurer Entscheidung bezweifeln würden.«
»Es gibt Leute, die die Klugheit jeder Entscheidung bezweifeln würden.« Andor schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht mein Vater und auch nicht mein Bruder, und ich bin auch nicht der Führer, den sie sich ausgesucht hätten. Doch wie dem auch sei, ich bin es jetzt, der die Entscheidungen zu treffen hat, und ich habe meine Entscheidung gefällt. Ich wünsche Euch als Befehlshaber des Heeres. Nehmt Ihr an?«
Der Grenzländer überlegte lange, bevor er antwortete.
»Ja«, sagte er dann.
Andor spürte, wie ein Teil der Mattigkeit von ihm abfiel.
»Dann wollen wir anfangen …«
Sie fuhren beide herum, als sich in den Schatten nahe des Eingangs plötzlich etwas bewegte. Dort stand Allanon. Sein Gesicht war eine starre Maske der Bitterkeit.
»Die Kundschafter, die Ihr nach Süden und Norden geschickt habt, sind zurück.« Der Druide sprach leise. Die Worte entflohen beinahe wie ein Zischen seinem Mund. »Jene, die nach Süden ritten, am Innisbore-See entlang, erkundeten nichts. Die aber, die im Norden waren, stießen auf ein Heer von Dämonen, so gewaltig, daß die Horden, mit denen wir uns hier am Baen Draw geschlagen haben, sich daneben wie ein armseliges Häuflein ausnehmen. Das Heer marschiert an der Ostwand des Kensrowe-Gebirges entlang nach Süden. Es wird schon jetzt ins Sarandanon eingedrungen sein.«
Stumm starrte Andor Elessedil ihn mit großen Augen an, während die Hoffnung in seinen Augen langsam erlosch.
»Dies war von Anbeginn an ihr Plan, Elfenprinz — Euch hier am Baen Draw mit der kleineren Streitmacht zu binden, während das größere Heer im Norden die Kensrowe-Berge umrundete, um von hinten in das Sarandanon einzufallen und auf diese Weise das Elfenheer einzuschließen. Hättet Ihr die Kundschafter nicht ausgeschickt…«
Er ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen. Andor wollte etwas erwidern, aber er konnte kein Wort hervorbringen. Plötzlich standen Tränen in seinen Augen, Tränen des Zorns und der Entmutigung.
»All die Männer, die hier gefallen sind — hier und am Halys-Joch … Mein Bruder, Pindanon — alle fielen sie, um das Sarandanon zu halten … Können wir denn gar nichts tun?«
»Mit dem Heer, das aus Norden herunterkommt, nahen Dämonen, deren Kräfte alles, was Ihr bisher erlebt habt, bei weitem in den Schatten stellen.« Allanon schüttelte bedächtig den Kopf. »Ihre Kräfte, fürchte ich, sind zu übermächtig, als daß Ihr ihnen widerstehen könntet — ihre Zahl ist unübersehbar. Wenn Ihr noch länger versucht, das Sarandanon zu halten, wenn Ihr darauf beharrt, ihnen hier am Baen Draw entgegenzutreten, dann werdet Ihr bis auf den letzten Mann vernichtet werden.«
Andors jugendliches Gesicht war grau und trostlos.
»Dann ist das Sarandanon verloren.«
Allanon nickte langsam. Der Elfenprinz warf unwillkürlich einen Blick zum Nebenraum des Zelts, wo der König noch immer bewußtlos lag, in traumlosem Schlaf eingefangen, weit entfernt vom Schmerz und der Realität, die seinen Sohn quälten. Verloren! Das Grimmzacken-Gebirge, das Sarandonan, seine Familie, sein Heer — alles! Er hatte das Gefühl, in ihm bräche etwas. Allanons Hand umfaßte hart seine Schulter. Ohne den Kopf zu erheben, nickte er.
»Wir brechen sofort auf.«
Mit gesenktem Kopf schritt er aus dem Zelt, um den Befehl zu geben.