Eine Stunde nach Tagesanbruch griffen die Dämonen an. In riesigen Schwärmen erklommen sie die Felswand des Carolan, kletterten über die Trümmer des zerstörten Elfitch, um sich bei den Mauern und beim Tor der sechsten Rampe zu sammeln. Nicht mehr geschwächt jetzt durch die Zauberkraft des Ellcrys und den Fluch der Verfemung, ließen die Dämonen Pfeile und Speere, die es auf sie herabregnete, einfach an sich abprallen und stürmten weiter vorwärts. Woge um Woge schwarzer Leiber brandete aus den Tiefen der Wälder heran. Innerhalb von Sekunden wimmelte es an den Wänden von kreischenden Ungeheuern. Aus eroberten Waffen grob gegossene Greifhaken, von denen die festen Ranken und Wurzeln von Kletterpflanzen herabhingen, wurden auf Mauern und Tore geschleudert, wo sie sich in die Steinquadern einkrallten. Dann begannen die Dämonenscharen sich hochzuziehen. Die Verteidiger waren bereit; Kerrin und die Leibgarde oberhalb des Tores; Stee Jans und die Freikämpfer auf der linken Mauer; Amantar und die Bergtrolle auf der rechten. Während die Angreifer wie Insektenschwärme an den Felswänden hingen, schnitten die Verteidiger mit gewaltigen Schlägen mit Äxten und Schwertern die Kletterseile durch. Kreischend stürzten die Dämonen in die Tiefe. Die langen Bogen der Elfen summten und vibrierten, und ein Hagelschauer schwarzer Pfeile traf die Angreifer. Doch die Dämonen ließen nicht nach, warfen neue Greifhaken mit neuen Kletterseilen. Schwere Holzbalken, aus den Bäumen geschlagen und mit Stufenkerben versehen, wurden gegen das Tor gedrückt, und die Dämonen begannen wieder zu klettern. Knüppel und Steine flogen aus der schwarzen wogenden Masse am Fuß der Mauern und schlugen in die Reihen der Verteidiger ein, die versuchten, den Angriff abzuwehren. Wieder und wieder wurden die Dämonen zurückgedrängt. Aber schließlich eroberten sie die Mauern doch, und die Elfen und ihre Verbündeten sahen sich in erbitterte Nahkämpfe verwickelt.
Zu beiden Seiten des Elfitch breitete sich das Heer der Dämonen weiter aus, und in wütender Entschlossenheit kletterten die Ungeheuer dem Rand des Carolan entgegen. Dort warteten die Kavallerie der Elfen, die Alte Garte der Legion, die Zwergenpioniere und verschiedene Einheiten anderer Kompanien. Den Oberbefehl hatte Ehlron Tay. Indem er eine Attacke nach der anderen gegen die Schwärme von Dämonen führte, die sich am Felsrand zeigten, warf er sie immer von neuem zurück, so daß sie auf dem Carolan nicht Fuß fassen konnten. Doch die Reihen der Verteidiger waren dünn gesät, und das Felsplateau war lang, hier und dort mit kleinen Wäldchen gesprenkelt, wo die Dämonen Deckung fanden. Einzelne Gruppen schafften den Durchbruch und die Flügel der Elfen gerieten ins Wanken.
Auf dem Elfitch sprengten die Dämonen das Tor der sechsten Rampe. Nachdem sie die Reihen der Verteidiger durchbrochen hatten, zertrümmerten sie die Riegel und Vorlegestangen, die das Tor sicherten, und rissen die beiden Flügel weit auf. Über die Leiber ihrer Toten hinweg strömten sie vorwärts. Amantar hielt noch immer die Mauer auf der rechten Seite, doch Stee Jans und sein zusammengeschmolzenes Häuflein wurden stetig weiter zurückgedrängt. In der Mitte der Abwehrstellungen sammelte Kerrin die Leibgarde um sich und versuchte, mit einer Konterattacke den Ansturm der Dämonen zurückzuwerfen. Mitten hinein in die heulenden, kreischenden Scharen stürzten sich die Elfen-Jäger, trieben die Dämonen auseinander, brachten den Angriff zum Stillstand. Eine Zeitlang schien es, als würde es der Leibgarde gelingen, das Tor zurückzuerobern. Da aber stürzte sich eine Gruppe von Furien von den Mauern herab auf die wild dreinschlagenden Elfen und fiel mit reißenden Zähnen und spitzen Krallen über sie her. Kerrin brach sterbend zusammen. Der Gegenangriff verlor an Schwung, die Elfen mußten zurückweichen.
Langsam zogen sich die Verteidiger den Elfitch hinauf zurück, um sich hinter dem Tor der siebenten und letzten Rampe noch einmal zu sammeln. Immer wieder versuchte der Feind, die Linien zu sprengen, doch sie hielten fest zusammen. Während Amantar und Stee Jans die Mitte hielten, flohen die Verteidiger hinter die Mauern, und das Tor schloß sich krachend. Unterhalb wogte das Meer der Dämonen.
Eine halbe Meile weiter östlich stand Andor Elessedil und blickte auf das Schlachtgetümmel, und seine Hoffnung begann zu erlöschen. In seinem Rücken standen die Soldaten der Schwarzen Wache, die den Garten des Lebens umschlossen. Er sah erst zu Korold hin, der die Schwarze Wache führte, dann zu Allanon. Der Druide war an seiner Seite. Das dunkle Gesicht blieb unbewegt, während er, auf Artaq sitzend, das Wogen der Schlacht beobachtete.
»Allanon«, flüsterte Andor, »wir müssen etwas tun.«
Der Druide drehte nicht einmal den Kopf.
»Noch nicht. Wartet.«
Den ganzen Rand des Carolan entlang zogen sich jetzt Dämonen auf das Plateau hinauf. Im Süden war es ihnen gelungen, Fuß zu fassen, und ihre Zahl wuchs ständig, während sie immer wieder die Attacken der Elfen-Kavallerie abwehrten, die versuchte, sie zurückzudrängen. Im Norden hielten die Zwergenpioniere trotz wiederholter Angriffe die Stellung. Der findige Browork scharte Kavallerie und Fußsoldaten in einer Folge von kurzen, scharfen Attacken um sich und warf die Dämonen immer wieder zurück. Am Kopf einer Reserveeinheit der Kavallerie ritt Ehlron Tay nach Süden, um das untere Plateau zurückzugewinnen. Mit gesenkten Lanzen stürmten die Soldaten gegen die Dämonen. Voll wütender Erbitterung prallten Angreifer und Verteidiger aufeinander, Schreie stiegen zum Himmel auf, und so grimmig tobte die Schlacht, daß es unmöglich war, Freund von Feind zu unterscheiden. Doch am Ende waren es die Elfen, die zurückwichen. Der linke Flügel der Verteidigungstruppe brach jetzt schnell zusammen, und mit wildem Triumphgeheul stießen die Dämonenscharen vor.
Da splitterten krachend die Torflügel der siebenten Rampe, und in breitem Strom wälzten sich die Dämonen hindurch. Die Verteidiger mußten weichen, und es schien, als sollten sie völlig überrannt werden. Doch die Trolle führten einen grimmigen Gegenstoß, der die Dämonen durch das gesprengte Tor zurücktrieb, und einen Moment lang waren die Mauern wieder in Besitz der Verteidiger. Doch schon sammelten sich die heulenden Ungeheuer von neuem. Die größten und brutalsten unter ihnen drängten sich in die vordersten Reihen, und wieder stürmten sie vorwärts. Diesmal konnten auch die Bergtrolle den wogenden Strom dunkler Leiber nicht aufhalten. Ihre Verwundeten mit sich schleppend, räumten die Verteidiger Mauern und Tor und eilten die Rampe hinauf zum Rand des Plateaus.
Jetzt war es den Dämonen, die die entschlossenen Zwerge zurückgeworfen hatten, gelungen, sowohl den Nord- als auch den Südteil des Carolan zu erobern, und die Flügel schoben sich zur Mitte hin zusammen. Der Garten des Lebens wurde langsam zu einer Insel mitten im tobenden Meer der Schlacht, heiß um kämpft von Dämonen und Elfen. Ehlron Tay wurde vom Pferd gerissen. Schwer verwundet wurde er von seinen Soldaten in Sicherheit gebracht und fortgetragen. Browork hatte ein halbes Dutzend Verletzungen erlitten, und die Dämonen umringten ihn von allen Seiten. Die Alte Garde hatte ein Drittel ihrer Kämpfer verloren. Zwei der Himmelsreiter waren gefallen; die drei, die noch blieben, unter ihnen Dayn, waren zum Garten des Lebens zurückgeflogen,um Allanon Beistand zu leisten. Überall befanden sich die Elfen und ihre Verbündeten im Rückzug.
Die Verteidiger des Elfitch waren von den Dämonen-Horden bis zum Ende der letzten Rampe zurückgedrängt worden. Umgeben von seinen Freikämpfern hielt Stee Jans die Mitte, während Elfen und Trolle an den Flügeln kämpften. Allen war klar, daß sie nicht lange würden aushaken können. Der rothaarige Grenzländer erkannte auf einen Blick, wie gefährlich ihre Situation war. Unten rotteten sich die Dämonen zu einem neuerlichen Überfall zusammen. Die Verteidigungslinien am Rand des Plateaus waren zusammengebrochen, und die Soldaten strömten zur Rampe, um dort Hilfe zu leisten. Gleich würden sie alle in einer Zange gefangen sein, aus der es kein Entkommen gab. Sie mußten sofort zurückfallen und sich vor dem Garten des Lebens neu sammeln, um dort ihre Kräfte zu konsolidieren und mit Unterstützung der Schwarzen Wache die Dämonen zurückzuwerfen. Doch sie brauchten Zeit, um das zu bewerkstelligen, und jemand mußte ihnen diese Zeit verschaffen.
Mit wehendem roten Haar packte der Befehlshaber der Freitruppe die rot-graue Standarte seiner Einheit und rammte sie zwischen den Steinquadern der Rampe in den Boden. Hier würde die Freitruppe sich dem Feind entgegenstellen. Nachdem er seine Grenzländer um sich geschart hatte, bildete er eine schmale Schlachtreihe in der Mitte der Rampe. Dann befahl er Elfen und Trollen zurückzuweichen. Niemand stellte den Befehl in Frage; Stee Jans hatte den Befehl über das Heer. Eilig räumten sie den Elfitch und zogen sich zu den Linien der Schwarzen Wache zurück, die den Garten des Lebens umzingelten. Es dauerte nur Augenblicke, dann standen Stee Jans und seine Freikämpfer allein.
»Was tut er da!« schrie Andor Allanon voller Entsetzen zu. Aber der Druide antwortete nicht.
Die Dämonen griffen an. Heulend und kreischend vor Wut stürmten sie die Rampe herauf. So unglaublich es war, die Freitruppe hielt dem Angriff stand, ja, warf ihn zurück. Die Elfen und ihre Verbündeten entkamen indessen der Falle, die gedroht hatte, sie einzuschließen. Wieder wälzte sich das Meer von Dämonen den Elfitch herauf, wieder konnte es die Abwehrmauer der Freitruppe nicht sprengen. Nicht mehr als zwei Dutzend Grenzländer blieben am Leben. An ihrer Spitze stand die hochgewachsene Gestalt von Stee Jans. Nachdem die Verteidiger, die vom Elfitch geflohen waren, sich neu geordnet hatten, blickten sie zurück zu dem kleinen Trüppchen von Männern, das dem Ansturm der Dämonen immer noch standhielt. Tiefes Schweigen breitete sich aus. Sie wußten alle, wie dies enden mußte.
Jetzt lag der Carolan ungeschützt. Stee Jans riß die Kriegsflagge heraus und schwang sie hoch über seinem Haupt. Der Schlachtruf der Freitruppe schallte durch die Stille. Langsam und mit Bedacht wich die kleine Truppe über den Carolan zurück zu den Elfen und ihren Verbündeten, die den Garten des Lebens umringten.
Andor stockte der Atem. Es war ein hoffnungsloser Rückzug. An seiner Seite tauchte Broworks Gesicht auf.
»Es ist zu weit, Grenzländer«, brummte er beinahe wie zu sich selbst.
Eine Woge von Dämonen wälzte sich über den Rand der Rampe. Im Norden und im Süden begannen sie jetzt, sich in Scharen zu sammeln.
»Schnell«, flüsterte Andor. »Schnell, Stee Jans!«
Doch es blieb keine Zeit mehr. Triumphgeheul erfüllte die Morgenluft, und das gesamte Dämonen-Heer stürmte vorwärts.
Da erfaßte Leben die bisher reglose Gestalt Allanons. Ein rasches Wort zu Dayn, und Dancers Zügel lagen in seinen Händen. Gleich darauf hatte er sich auf den Rücken des mächtigen Rock geschwungen, und der Riesenvogel hob sich in die Lüfte. Andor Elessedil und jene, die bei ihm standen, blickten dem Druiden erstaunt nach. Die schlanken Arme hoch erhoben, flog Allanon über den Garten des Lebens hinweg, und seine schwarzen Gewänder bauschten sich im Zugwind. Die Dämonen, die sich in Scharen den Carolan heraufwälzten, hielten inne und starrten himmelwärts. Da rollte plötzlich ein krachender Donnerschlag über das Land, und blaue Flammen sprühten aus den Fingern des Druiden. In einem Bogen, der vom einen Ende der Dämonen-Linien bis zum anderen reichte, raste das Feuer flackernd über die vorderen Reihen der Angreifer und verbrannte die Ungeheuer zu Asche. Heulen und Schreien erschallte, als eine Flammenmauer sich vor den Dämonen auftürmte und sie zum Zurückweichen zwang, so daß sie die umzingelte Freitruppe freigeben mußten.
Ein wilder Schrei der Erregung stieg aus den Reihen der Elfen und ihrer Verbündeten empor. Ein schmaler Korridor, der zum Garten des Lebens führte, hatte sich im Flammenring geöffnet, und durch diesen Korridor kamen die Grenzländer — schnell jetzt, denn jeden Moment konnte sich die Falle wieder schließen. Rund um sie herum wüteten und tobten die Dämonen, doch das Feuer hielt sie in Schach.
Lauft! schrie Andor stumm. Es gibt noch eine Chance! Und die Grenzländer flogen wie der Wind über das Felsplateau. Eine Gruppe von Furien setzte ihnen nach, stürzte sich rasend vor Haß und Wut in die Flammen. Doch Allanon sah sie. Eine dunkle Hand hob sich, ballte sich zur Faust. Druidenfeuer stach in lanzenspitzen Strahlen auf die Katzenwesen herab, und sie vergingen in einem leuchtenden Blitz. Nichts blieb von ihnen als eine Feuersäule, die zum Himmel aufstrebte. Hoch oben schmetterte Dancer seinen Kriegsruf.
Da hatten Stee Jans und seine Freikämpfer das Feuer auch schon hinter sich gelassen und befanden sich wieder im Schutz der eigenen Reihen. Willkommensgeschrei empfing sie, und die Banner der Vier Länder flatterten im leichten Morgenwind.
Das Druidenfeuer auf dem Carolan brannte jetzt tiefer, doch noch immer machten die Dämonen keinen Versuch, es zu durchbrechen. Allzu leicht hatte der Druide die Furien vernichtet. Hinter der Flammenmauer warteten sie, rastlos und ungeduldig, während sie wutschnaubend immer wieder zu dem einsamen schwarzen Flieger hinaufblickten.
Mit forschenden Blicken schwebte der Druide über sie hinweg. Er wußte, was jetzt geschehen mußte. Er wußte, daß einer der Dämonen seine Herausforderung beantworten mußte. Nur der Dagda Mor war stark genug, das zu tun — und Allanon war sicher, daß er es auch tun würde. Er hatte gar keine andere Wahl. Der Dagda Mor konnte die Zauberkraft der Elfensteine so deutlich wahrnehmen wie der Druide. Auch er wußte inzwischen gewiß, daß Wil Ohmsford sich der Steine bedient hatte, daß die Suche nach dem Blutfeuer von Erfolg gekrönt worden war, daß das, was er am meisten fürchtete, vielleicht doch noch geschehen konnte — die Wiedergeburt des verhaßten Ellcrys und damit die Wiedererrichtung der Mauer der Verfemung. Es war ein Augenblick höchster Gefahr für den Herrn der Dämonen. Sein Wandler war tot. Sein Raffer hatte versagt. Sein Heer stand gebannt durch das Feuer. Wenn er jetzt aufgehalten wurde, dann hatte er — obwohl fast das ganze Westland in seiner Hand war — verloren. Der Ellcrys war der Schlüssel zum Überleben der Dämonen. Der Mutterbaum mußte zerstört, die Erde in der er wurzelte, so verwüstet werden, daß nie wieder Leben daraus sprießen würde. Erst dann konnte in Ruhe das Samenkorn gesucht, die letzte der Erwählten aufgespürt werden. Erst dann konnten die Dämonen sicher sein, daß sie nicht wieder vom Angesicht der Erde verbannt werden würden. Dies alles jedoch würde nicht geschehen, wenn Allanon am Leben blieb. Der Dagda Mor wußte das, und deshalb würde er jetzt handeln müssen …
Gräßliches Kreischen gellte aus der Masse der Dämonen in den Morgen. Aus der Felswand des Carolan schwang sich ein riesiger schwarzer Schatten in die klare Luft des frühen Tages. Allanon wandte sich um. Es war das geflügelte Ungeheuer, das Wil Ohmsford und Amberle Elessedil im Rhenn-Tal verfolgt hatte, als sie von Havenstead aus nach Norden geflohen waren. Der Druide sah das dunkle Wesen jetzt ganz deutlich, eine gewaltige Fledermaus mit wendigem Leib und ledrigen Schwingen. Das Maul unter der stumpfen Schnauze war weit aufgerissen und zeigte blitzende Fänge; die Beine waren krumm und sehnig, mit Krallen bewehrt. Er hatte gehört, daß solche Wesen im fernen Nordland lebten, doch selbst er hatte bis zu diesem Tag nie eines zu Gesicht bekommen. Beinahe unbewegt hing es über den Dämonen-Horden, die unter seinem hohen, ohrenbetäubenden Schrei in plötzlicher Erstarrung gefroren.
Eiskalt durchzuckte es Allanon. Rittlings auf dem gekrümmten Hals des Untiers saß der Dagda Mor. Die Herausforderung war angenommen worden.
Mit einer energischen Bewegung zog der Druide seinen Riesenvogel herum. Die Fledermaus schoß abwärts. Dicht über ihren Hals gebeugt hing der bucklige Dämon. Der Stab der Macht in seiner Hand begann in roter Glut zu leuchten. Allanon wartete, hielt Dancer ganz ruhig. Die riesige Fledermaus kreischte schrill im Vorgefühl des Triumphes. Der Stab des Dämons spie rotes Feuer, aber es war einen Augenblick zu spät. Unter Allanons Führung schwenkte Dancer scharf ab und schoß nach links davon. Als das geflügelte Ungeheuer mit ausgestreckten Krallen herabstieß, um den Druiden zu packen, und das Dämonenfeuer in grellen Blitzen zum Carolan hinunterfuhr, ließ Allanon den Rock wenden. Die Fledermaus war schwerfällig und langsam; als sie aufwärts stieg, tauchte der Druide unter ihr hinweg und schlug zurück. Blaue Flammen versengten die Flughäute und den Körper des Ungeheuers. Seine schrillen Schreie hallten durch den Morgen.
Doch schon machte die gewaltige Fledermaus kehrt, und wieder griff der Dagda Mor mit seinem Feuerstab an. Zischende Flammen züngelten durch den Morgen und bauten sich vor dem Druiden und seinem Riesenvogel zu einer Mauer auf. Diesmal gab es keine Möglichkeit zu wenden. Doch Dancer zögerte keinen Augenblick. Mit einem kraftvollen Schrei schnellte der Rock steil nach oben und führte Allanon aus der drohenden Feuersbrunst heraus. Dann legte er sich wieder gerade und segelte abwärts über den Carolan. Die Elfen und ihre Verbündeten bejubelten das Manöver mit Triumphgeschrei.
Wieder griff der Dämon an, und in schnellem Flug jagte die gewaltige Fledermaus abwärts. Doch wieder war Dancer zu flink. Ehe das Dämonenfeuer ihn erreichen konnte, glitt er blitzschnell davon. Die brandroten Flammen verfehlten ihn und verbrannten das Grasland auf dem Plateau zu schwarzer Asche. Dancer schwenkte nach links und schwenkte nach rechts, wechselte so plötzlich und so behend die Richtung, daß der Dagda Mor ihn mit seinen Feuerstrahlen nicht treffen konnte. Und Allanon kämpfte derweilen unermüdlich. Immer wieder trafen die blitzenden blauen Flammenstrahlen die scheußliche Fledermaus, versengten Leib und Flughäute des Untiers an unzähligen Stellen, so daß es nun während des Flugs ständig eine Anzahl kleiner Rauchwölkchen mit sich zog, die von seinem Körper aufstiegen.
Noch immer hatte der Kampf kein Ende gefunden. Es war ein schreckliches Duell, bei dem Dämon und Druide einander erbarmungslos über dem verwüsteten Plateau des Carolan hin und her jagten, während sie verbissen versuchten, einander auszumanövrieren. Eine Zeitlang war der Kampf ausgeglichen, und keiner konnte einen Vorteil herausschlagen. Die Fledermaus war schwerfällig und leicht zu treffen, doch sie war ungeheuer kräftig, und es schien, als könnten ihre Verletzungen ihr nichts anhaben. Dancer war einfach zu wendig; die Flammen trafen ihn nie.
Als aber der Kampf unerbittlich weitertobte, begann der Rock zu ermüden. Drei Tage lang war er beinahe ohne Rast und Ruh in Kampf- und Erkundungsflügen unterwegs gewesen; jetzt ließen seine Kräfte allmählich nach. Jedesmal, wenn er über das Plateau zurückfegte, züngelten die Flammen des Dämonenfeuers näher. Schweigen breitete sich in den Reihen der Verteidiger aus. Jedem ging der gleiche Gedanke durch den Kopf. Früher oder später würde den Rock die Kraft verlassen, oder der Druide würde sich in seinen Überlegungen täuschen. Dann würden sie das Opfer des Führers der Dämonen werden.
Augenblicke später nur bewahrheiteten sich ihre Befürchtungen. Als Dancer plötzlich nach links abschwenkte, schoß ihm eine Feuergarbe über den Flugpfad und zerschmetterte die Schwinge des Riesenvogels. Dancer schwankte und trudelte in Spiralen abwärts zum Carolan. Ein Entsetzensschrei stieg aus den Reihen der Elfen auf. Wieder flammte der Stab der Macht rot auf, wieder fraß sich das Feuer in den schon verletzten Rock. Mit ausgestreckten Krallen stieß die riesige Fledermaus herab. In Verzweiflung drehte sich Allanon um, als das scheußliche Geschöpf näherkam. Mit geballten Händen streckte er beide Arme zum Himmel hinauf. Die Fledermaus hatte ihn beinahe schon erreicht, als blaue Flammen aus den Fingern des Druiden loderten. Der ganze Kopf des Untiers schien in einer feurigen Explosion zu bersten. Doch der Schwung trug die riesige Fledermaus weiter, und dreißig Fuß über dem Carolan prallten die Fledermaus und der Rock zusammen. Mit schrecklicher Wucht stießen sie aufeinander und sausten, ihre Reiter mit sich tragend, zur Erde nieder. Ein Zittern durchrann Dancers Körper nach dem gewaltsamen Aufprall, dann lag er still. Die Fledermaus rührte sich überhaupt nicht.
In diesem Moment meinten alle, die Schlacht sei verloren. Dancer und die Fledermaus waren tot. Allanon lag reglos, vom Dämonenfeuer getroffen, auf dem Boden. Und der Dagda Mor war schon wieder in Bewegung. Eines seiner Beine war zerschmettert, doch er kroch unter der toten Fledermaus hervor und näherte sich dem Druiden. Allanon hob schwach den Kopf. Langsam schleppte sich der Dagda Mor vorwärts, bis er nur wenige Schritte von dem verletzten Druiden entfernt war. Mit haßverzerrten Zügen hob er seinen Stab. Rote Glut pulsierte.
»Allanon!« hörte Andor Elessedil sich selbst aufschreien, und das Echo seiner Stimme widerhallte in der plötzlichen Stille.
Vielleicht hörte der Druide ihn. Plötzlich jedenfalls war er auf den Beinen und wich dem Feuerstrahl aus, der auf ihn zuschoß. Mit solcher Behendigkeit bewegte er sich, daß der Dagda Mor gar nicht mehr dazu kam, seinen Feuerstab ein zweites Mal zu gebrauchen. Der Dämon versuchte zwar, den Stab herumzuschwingen, doch da umspannten schon Allanons Hände das knorrige Holz. Dämonenfeuer flammte im Inneren des Stabs, und eine Welle des Schmerzes überspülte den Druiden. Doch sogleich ließ er seine eigenen Zauberkräfte wirken, und nun mischte sich blaues Feuer mit rotem. In grimmiger Erbitterung rangen Dämon und Druide miteinander, während jeder versuchte, dem anderen den Stab zu entwinden.
Da tauchte Allanon tief in einen inneren Brunnen der Kraft, in dem letzte Reserven gespeichert waren, und blaue Flammen barsten aus seinen Händen hervor. Züngelnd umschlangen sie den Stab des Dämons, erstickten sein Feuer, drängten sich in den Körper des Dagda Mor. Die Augen des Dämons weiteten sich vor Schmerz und Entsetzen, und er schrie laut auf. Es war ein schrecklicher Schrei. Allanon bäumte sich auf, schleuderte die bucklige Gestalt von sich und zwang sie langsam in die Knie. Wieder schrie der Dämon, und sein ganzer Haß ergoß sich mit diesem Schrei aus ihm. Verzweifelt wehrte er sich gegen das Feuer, das seinen eigenen Körper umhüllte, und versuchte, sich aus der Umklammerung des Druiden zu befreien. Doch Allanons Hände umspannten die seinen wie Schraubstöcke, preßten sie eisenhart gegen den sterbenden Feuerstab. Der Dagda Mor zuckte und bebte am ganzen Leib, dann sank er zusammen. Sein Schrei verklang in einem Wispern, und die schrecklichen Augen wurden leer.
Da fuhr das Druidenfeuer ungehindert durch ihn hindurch und schloß ihn in einem Mantel blauer Flammen ein, bis sein Leib in Asche zerfiel.
Stille senkte sich über den Carolan. Allanon stand allein, den Dämonenstab noch immer in beiden Händen haltend. Stumm starrte er auf das schwarz verkohlte Holz, das qualmend in seinen Fingern lag. Dann brach er den Stab in der Mitte entzwei und schleuderte die beiden Teile zu Boden.
Nun wandte er sich dem Garten des Lebens zu und pfiff Artaq zu sich. Allein trabte der Rapphengst aus den Reihen der Elfen hervor. Allanon wußte, daß ihm nur noch Augenblicke blieben. Seine Kraft war erschöpft, nur mit einer gewaltigen Willensanstrengung hielt er sich noch auf den Beinen. Die Feuermauer vor ihm, die bisher die Dämonen zurückgehalten hatte, sank langsam in sich zusammen. Schon rotteten sich die Ungeheuer hinter ihr zusammen, und ihre Augen richteten sich voller Gier auf den Druiden. Die Vernichtung des Dagda Mor bedeutete ihnen nichts. Nur ihr lodernder Haß gegen die Elfen zählte. Mit einem spöttischen Lächeln erwiderte der Druide ihre Blicke. Das einzige, was sie jetzt noch zurückhielt, war ihre Furcht vor ihm. Wenn sie die verloren, würden sie angreifen.
Mit leisem Wiehern stieß Artaq ihn an der Schulter an. Ohne die Dämonen aus den Augen zu lassen, wich Allanon zurück, bis er Mähne und Geschirr des Pferdes zu fassen bekam. Dann zog er sich mühsam und unter Schmerzen in den Sattel, wobei er vor Anstrengung beinahe ohnmächtig geworden wäre. Nachdem er die Zügel ergriffen hatte, wendete er Artaq. Scheinbar ohne Hast trat er den Rückweg zu den Reihen der Elfen an.
Quälend langsam ging die Rückkehr vor sich. Absichtlich ließ er Artaq bedächtig gehen; eine schnellere Gangart hätte ihm zuviel abverlangt. Schritt um Schritt kam der Garten des Lebens näher. Aus dem Augenwinkel konnte er in den Linien der Dämonen, die ihn umgaben, Bewegung erkennen. Einige von ihnen jagten schon herausfordernd durch die ersterbenden Flammen. Er hörte ihr Kreischen in seinem Rücken. Andere taten es ihnen nach. Mit beiden Händen umklammerte er die Zügel und blickte nicht zurück. Bald, dachte er, bald.
Dann brach plötzlich heulend und schreiend die ganze Horde los. Von allen Seiten stürmten die Dämonen hinter ihm her. Er wußte sogleich, daß er noch zu weit vom Garten des Lebens entfernt war, um ihnen bei diesem Tempo zu entkommen. Ihm blieb keine Wahl. Er schlug Artaq die Hacken in die Flanken, und der Rappe schoß mit einem gewaltigen Satz vorwärts. Den kräftigen Körper langgestreckt, galoppierte das mächtige Pferd mit ausgreifendem Schritt über den Carolan. Schwindel übermannte den Druiden, und er spürte, wie ihm die Zügel zu entgleiten drohten. Er würde stürzen.
Doch irgendwie gelang es ihm, auf dem Rücken des Pferdes zu bleiben. Irgendwie schaffte er es, sich oben zu halten, bis endlich die Linien der Elfen unmittelbar vor ihm auftauchten. Mit einem Riesensprung rettete sich Artaq hinüber, trug ihn vorbei an den ausgestreckten Armen von Elfen und Trollen und Zwergen, um endlich vor dem eisernen Tor des Gartens des Lebens zum Stillstand zu kommen.
Selbst da stürzte Allanon nicht. Eiserne Entschlossenheit hielt ihn auf dem Rücken des Rappen. Mit schweißnassem Gesicht drehte er sich um und blickte auf den Carolan hinaus, während die Dämonenhorden von allen Seiten zum Garten des Lebens strömten. Vor seinen Mauern machten sich die Verteidiger zum Kampf bereit.
Wenigstens haben sie jetzt eine Chance, dachte Allanon. Wenigstens das habe ich ihnen gegeben.
Da wurden plötzlich rund um ihn herum Rufe laut, und Hände wiesen zum Himmel. Dayn stand an seiner Seite, und in seinem Aufschrei lag Ungläubigkeit.
»Genewen! Es ist Genewen!«
Der Druide hob den Blick. Weit im Süden, beinahe unsichtbar im blendenden Licht der Mittagssonne, näherte sich mit gewaltigem Flügelschlag ein großer goldener Vogel der Stadt Arborlon.