Kurz nach dem Abendessen durchbrach plötzlich ein tiefes, dröhnendes Brüllen die friedliche Stille der Nacht. Die Fahrensleute am Feuer erstarrten. Die erschreckenden Laute kamen vom Südende des Sees, an dem das Lager aufgeschlagen war. Einmal, zweimal, dann wieder Stille. Alle Köpfe flogen herum, alle Gesichter spiegelten ängstliche Erwartung. Augenblicke später erscholl das Gebrüll wieder. Wie wütendes Donnergrollen eines gigantischen Stiers klang es durch die Nacht. Hastig griffen die Fahrensleute nach ihren Waffen und stürzten an den Rand ihres Lagers, um in die Dunkelheit hinauszuspähen. Doch das Brüllen erstarb, und diesmal wurde es nicht wieder laut. Cephelo und mehr als ein Dutzend seiner Männer blieben dennoch abwartend stehen. Als sich jedoch nichts tat, befahl der Führer seinen Leuten barsch, sich wieder ans Feuer zu setzen. Mit lauten Bemerkungen machte er sich über Teufel und andere Ungeheuer lustig, die in der Nacht ihr Unwesen trieben, und behauptete prahlerisch, keines dieser Geschöpfe würde es wagen, in ein Lager der Fahrensleute einzubrechen, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Die Weinbecher wurden neu gefüllt und machten die Runde. Man trank und plauderte und lachte. Und doch wanderten immer wieder verstohlene Blicke in jene Richtung, aus der das Gebrüll gekommen war. Eine halbe Stunde später dröhnte es wieder durch die Nacht, näher jetzt, noch bedrohlicher als zuvor. Erschreckt sprangen die Fahrensleute auf und packten erneut ihre Waffen, um an den Rand des Lagers zu eilen. Diesmal folgte Wil ihnen. Amberle hielt sich nur einen Schritt hinter ihm, als er an einer Lücke zwischen zwei Wohnwagen halt machte und vorsichtig in die Finsternis hinausblickte. Es war nichts zu sehen. Nichts rührte sich. Etwas zaghaft marschierte Cephelo bis zum Rand des Waldes, der die kleine Lichtung umschloß. Beide Hände lagen auf dem Griff seines wuchtigen Schwerts. Eine Zeitlang blieb er dort am Wald-rand stehen, eine schwarze Silhouette vor dem Hintergrund der Bäume, darauf gefaßt, jeden Moment einen Angriff abwehren zu müssen. Aber nichts rührte sich. Alles blieb still. Schließlich machte er kehrt und schritt wieder zurück. Sein Gesicht war starr.
Jetzt scherzte er nicht mehr. Die Pferde, die an einer schmalen Bucht des Sees angepflockt waren, wurden näher zur Wagenburg gebracht, damit man sie besser im Auge behalten konnte. Rund um die Lichtung wurden Wachposten aufgestellt und ermahnt, die Augen offen zu halten. Alle anderen kehrten ins Lager zurück und ließen sich im anheimelnden Feuerschein nieder. Der Wein wurde wieder herumgereicht, aber diesmal tranken nur wenige. Langsam kam auch das Gespräch wieder in Gang, doch die Stimmen waren gedämpft und ohne Ausgelassenheit, und häufig konnte man das Wort ›Teufel‹vernehmen.
Wil führte Amberle ein paar Schritte von der Gruppe der anderen fort.
»Halte dich immer dicht bei mir«, sagte er leise. »Geh auf keinen Fall von mir weg.«
Mit forschendem Blick sah sie ihn erschrocken an. »Glaubst du —?«
Das Gespräch der beiden wurde unterbrochen, als Cephelo plötzlich in die Hände klatschte und nach Musik rief. Mit lauten Rufen ermunterte er die anderen, es ihm nachzutun. Wil und Amberle folgten. Ein paar Beifallsrufe wurden laut, als Cephelo im Tanzschritt um das Feuer sprang.
Wil blickte sich voller Unbehagen um.
»Wenn da draußen irgendwas herumschleicht und womöglich das Lager angreift, dann verschwinden wir hier. Wir werden versuchen, an Artaq heranzukommen, und dann die Flucht wagen. Bist du bereit das zu riskieren?«
Sie nickte. »Sehr.«
Silbern klirrten die Becken, und die Saiteninstrumente sangen leise. Viele Hände klatschten in stetigem Rhythmus, ruhig und sicher.
Da brach das schreckliche Brüllen von neuem los. Ganz nahe diesmal dröhnte es wild und fürchterlich aus der Finsternis. Und in das Gebrüll mischten sich die Schreie der Wachposten, die voller Entsetzen waren. »Teufel! Teufel!« schrieen die Männer am Rande der Lichtung.
Die Leute am Feuer stoben auseinander. Die Männer stürzten zu ihren Waffen, während Frauen und Kinder in heilloser Verwirrung flohen. Ein Aufschrei, dünn und hoch, übertönte das allgemeine Lärmen. Beinahe augenblicklich erstarb er wieder. Jenseits des Wagenrings schob sich ein massiger dunkler Schatten durch die Nacht.
»Ein Dämon!« Wil flüsterte das Wort beinahe ohne Überlegung.
Einen Augenblick später tauchte das Geschöpf in einer Lücke zwischen zwei Wohnwagen auf. Es schob die kleinen Häuser auf Rädern auseinander, als seien sie aus Pappe. Kein Zweifel, es war ein Dämon, aber viel, viel größer als die Ungeheuer, vor denen Wil und Amberle aus Havenstead geflohen waren. Er bewegte sich auf zwei Beinen vorwärts und war mehr als fünfzehn Fuß groß. Der massige Körper, schwerfällig und gebeugt, war mit einer schwieligen, graubraun gesprenkelten Haut bedeckt, die in schweren Falten um Rumpf und Glieder schlotterte. Ein Schuppenkamm lief vom Hals des Geschöpfes den ganzen Rücken und beide Beine hinunter. Das Gesicht war eine leere Maske des Nichts, ein von Zähnen blitzender Rachen, aus dem das tiefe, dröhnende Brüllen hervorquoll. In zwei gewaltigen, klauenbewehrten Händen baumelte der leblose Körper eines der Wachposten.
Der Dämon schleuderte den Toten zur Seite und kam näher. Cephelo und ein Dutzend anderer Männer traten ihm mit Spießen und Schwertern entgegen. Einige Hiebe durchbohrten die dicke Haut, doch die meisten wurden abgewehrt. Das Ungeheuer bewegte sich langsam und schwerfällig, verfügte jedoch über unglaubliche Kräfte. Mit schlürfendem Schritt trampelte es die Mauer der Verteidiger einfach nieder, fegte die Männer, die sich ihm entgegenstellten, mühelos aus seinem Weg. Cephelo warf sich dem Dämon direkt in den Weg und schnellte sich mit einem gewaltigen Sprung vom Boden ab, um dem Ungeheuer das Schwert in den aufgerissenen Rachen zu stoßen. Das monströse Geschöpf zermalmte das Schwert mit einem Biß in kleine Splitter, während seine Klauenhände nach dem Führer der Fahrensleute faßten. Cephelo war flink und entkam, doch ein anderer Mann, der in seiner Hast über die eigenen Füße stolperte, ging zu Boden. Schwer wie ein Felsbrocken fiel der Fuß des Dämonen auf den hilflos am Boden liegenden Mann.
Wil zog Amberle zur anderen Seite des Lagers, wo die Pferde festgemacht waren. Da sah er, wie auch Cephelo zu Boden ging. Die Verteidiger versuchten, die Beine des Dämonen zu umklammern, um ihn aufzuhalten, als ein massiger Arm mit wuchtigem Schlag den Führer der Fahrensleute traf, so daß er Hals über Kopf zu Boden stürzte. Wil sah, wie die anderen Männer Cephelo zu Hilfe kamen. Zwei packten den leblosen Körper und brachten ihn in Sicherheit, während die anderen mit Spießen und Schwertern auf das Ungeheuer einhieben, um es abzulenken. Der Dämon wirbelte herum und streckte die Arme nach dem nächsten Wohnwagen aus. Er packte das schwere Gefährt und kippte es mit einem einzigen Stoß um. Der Wagen stürzte krachend auf die Seite, die Holzwände gingen in Trümmer, aus Metall gearbeitete Schmuckstücke und Ballen leuchtender Seide rollten und sprangen auf die Lichtung hinaus. Wütend schrieen die Verteidiger auf und erneuerten ihren hoffnungslosen Angriff.
Amberle zog ungeduldig an Wils Arm, doch noch immer zögerte dieser. Er konnte einfach nicht glauben, daß dieses gewaltige und so schwerfällige Ungeheuer es fertiggebracht haben sollte, ihnen den ganzen Weg von Havenstead zu folgen. Nein, dieses Geschöpf war allein durch die Mauer der Verfemung entkommen und blindlings in den Tirfing eingedrungen, wo es durch Zufall auf den Wagenzug gestoßen war. Es war allein, doch von solcher Kraft und Zerstörungswut, daß die Fahrensleute — das war schon jetzt klar — ihm nicht gewachsen waren. Sie mochten sich noch so sehr bemühen, den Dämonen aufzuhalten, er würde mit Sicherheit das ganze Lager zerstören.
Fliehen aber wollten die Fahrensleute nicht. Die bunten Wagen, die schwerfälligen Häuser auf Rädern — sie waren ihre Heimat, ihr ganzer Besitz. Nein, fliehen würden die Fahrensleute auf keinen Fall. Sie würden sich dem Kampf stellen, und wenn sie das taten, dann würden sie sterben. Der Dämon war ein Wesen aus einem anderen Zeitalter; er verfügte über Kräfte, die den menschlichen Kräften weit überlegen waren. Nur eine Kraft, die so groß war wie die seine, konnte ihn aufhalten. Wil Ohmsford allein besaß diese Kraft. Doch dies war nicht sein Kampf. Die Fahrensleute hatten ihn bestohlen; er schuldete ihnen nichts. Verantwortlich war er in erster Linie für Amberle. Das beste war, sie bei der Hand zu nehmen und rasch zu fliehen. Doch wenn er das tat, was würde dann aus den Fahrensleuten werden — nicht nur aus den Männern, sondern auch aus Frauen und Kindern? Hatten sie ihm etwas angetan? Ohne seine Hilfe hatten sie gegen den Dämon überhaupt keine Chance.
Seine Unschlüssigkeit wurde noch größer, als ihm einfiel, was sein Großvater ihm einmal berichtet hatte. Als er auf der Flucht vor dem Dämonen-Lord die Elfensteine gebraucht hatte, hatte er auf diese Weise dem Feind, ohne es zu wollen, genau gesagt, wo er gefunden werden konnte. So konnte es auch jetzt sein. Unter diesen Dämonen gab es zweifellos einige, die der Zauberkunst mächtig waren; Allanon hatte ihm das ja gesagt. Wenn er jetzt die Kraft der Elfensteine mobilisierte, würde er diesen Ungeheuern vielleicht verraten, wo er und Amberle sich im Augenblick befanden.
Er warf einen raschen Blick auf Amberle. Was sie in seinen Augen sah, verriet ihr sogleich, was er vorhatte. Wortlos ließ sie seinen Arm los. Er riß sich seinen rechten Stiefel herunter und griff hinein, um die Elfensteine herauszuholen. Versuchen wenigstens mußte er es, sagte er sich. Das war das mindeste, was er tun konnte. Er konnte diese Leute nicht einfach sterben lassen. Mit fliegenden Fingern zog er den Beutel auf und ließ die drei blauen Steine in seine Hand gleiten. Sie in der fest geschlossenen Faust haltend, machte er sich auf den Weg zurück ins Lager.
»Bleib du hier«, sagte er zu Amberle.
»Nein, warte!« rief sie ihm nach, doch er rannte schon über die Lichtung.
Der Dämon hatte sich von den Wagen abgewandt und trieb jetzt die Fahrensleute vor sich her, während er zur Mitte des Lagers strebte. Cephelo stand wieder auf den Füßen. Schwankend lehnte er an einem der Wagen und feuerte die Verteidiger mit lauten Rufen an. Wil rannte, bis ihn noch höchstens dreißig Schritte von den Kämpfern trennten. Da blieb er stehen, hob die Faust über seinen Kopf und beschwor die Kraft der Elfensteine.
Nichts geschah.
Eisiges Entsetzen erfaßte ihn. Das, was er am meisten befürchtet hatte, war geschehen — er konnte die Kraft der Elfensteine nicht lenken, Allanon hatte sich geirrt. Nur sein Großvater hatte die Kraft der Steine beschwören können; er vermochte es nicht. Ihm standen sie nicht zu Gebote. Ihm gehorchten sie nicht.
Aber sie mußten es! Er versuchte es noch einmal. Während er sich auf die Form und Substanz der Steine in seiner Hand konzentrierte, rief er die Zauberkräfte an, die irgendwo in ihrem Inneren verborgen lagen. Doch noch immer geschah nichts. Diesmal jedoch spürte er etwas, was ihm zuvor entgangen war — eine Sperre, die sich seinen Bemühungen entgegenstellte, eine Sperre, die sich irgendwo in seinem eigenen Inneren befand.
Die Rufe und Schreie der Fahrensleute brachen in seine Überlegungen ein, und er sah, daß der Dämon direkt auf ihn zukam. Die Verteidiger befanden sich jetzt hinter dem Geschöpf, stachen und hieben mit ihren Waffen nach seinen Beinen und Flanken, während sie sich bemühten, es von Wil abzulenken. Mit gewaltigem Arm schlug der Dämon zu, zwei der Männer stürzten, während die anderen angstvoll auseinanderstoben. Das dröhnende Gebrüll quoll aus dem aufgerissenen Rachen. Auf eine abgebrochene Lanze gestützt eilte Cephelo hinkend zu seinen kämpfenden Leuten. Seine Kleider waren zerfetzt und von Staub und Blut bedeckt. Wil sah das Geschehen wie aus weiter Ferne, während er sich verzweifelt bemühte, die Kraft freizusetzen, die in den Elfensteinen eingeschlossen war. Der Gedanke zu fliehen kam ihm gar nicht; unerschütterlich stand er in der Mitte des Lagers, eine einsame Gestalt, die einen Arm zum Nachthimmel emporgeschwungen hatte.
Plötzlich tauchte Eretria auf. Ihre schlanke, zierliche Gestalt huschte wie ein Schatten zwischen Dämon und Talbewohner hindurch, während eine braune Hand dem Ungeheuer eine lodernde Fackel ins Gesicht schleuderte. Der Dämon fing das brennende Holz mit seinem Maul auf, schlug krachend die mächtigen Kiefer darüber zusammen; doch er blieb dabei stehen, als machten ihm Feuer und Rauch etwas zu schaffen. Eretria nutzte diese Gelegenheit, um Wil am Arm zu packen und hastig nach hinten zu ziehen, bis sie beide stolperten und zu Boden stürzten.
Augenblicklich scharten sich die Verteidiger wieder um sie, rissen brennende Holzscheite vom Feuer und schleuderten sie dem Dämon entgegen, um ihn in Verwirrung zu bringen. Doch das Ungeheuer rückte schon wieder vor. Hastig sprang Wil wieder auf die Beine und zog Eretria mit sich hoch. In demselben Augenblick tauchte Amberle an seiner Seite auf. In ihren kleinen Händen hielt sie mit festem Griff einen langen Spieß. Wortlos nahm Wil sie beim Arm und stieß die beiden Frauen hinter sich, während er sich gleichzeitig umdrehte, dem herankommenden Dämon die Stirn zu bieten.
Fast schon hatte das Ungeheuer sie jetzt erreicht. Wil Ohmsford streckte die Hand aus, die die Elfensteine umschloß. Keine Unschlüssigkeit, keine Verwirrung verunsicherten ihn jetzt. In die Tiefe tauchend, sprengte er die Sperre, die zwischen ihm und der Kraft der Steine stand, zertrümmerte sie mit der Kraft seines Willens, die aus Verzweiflung und dringender Notwendigkeit geboren war. Und in diesem Moment spurte er, wie etwas in seinem Inneren sich veränderte, das er nicht erklären konnte. Er hatte nur den Eindruck, daß es nicht unbedingt gut war. Es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Tief in das Herz der Elfensteine eindringend, brachte er sie endlich zum Leben. Leuchtend blaues Licht züngelte von seiner geballten Faust in die Höhe, sammelte sich, schoß in einer Stichflamme vorwärts und traf den Dämon. Das gewaltige Ungeheuer heulte brüllend auf, als die Kraft der Steine sich brennend in es hineinfraß. Dennoch stolperte es weiter, und seine Klauenhände suchten wild tastend nach einem Opfer. Wil hielt stand. Er tauchte noch tiefer in die Steine ein und spürte, wie ihre Kraft immer stärker wurde. Alles um ihn herum verschwamm in ihrem blauen Glühen, und wieder schlugen die Elfensteine nach dem Dämon. Diesmal konnte das Geschöpf des Bösen dem Zauber nicht widerstehen. Die massige Gestalt ging in Flammen auf und wurde zu einer Säule blendenden Lichts. Einen Moment lang loderte sie tiefblau im Dunkel der Nacht, dann zerfiel sie in Asche und war verschwunden.
Langsam senkte Wil Ohmsford den Arm. Dort, wo der Dämon gestanden hatte, war jetzt nur noch verkohlte Erde, von der ein schwarzer Rauchfaden in die Dunkelheit aufstieg. Grabesstille herrschte in den Wäldern rundum, und nur das Knistern des Lagerfeuers war zu hören.
Unsicher blickte der Talbewohner in die Runde. Keiner der Fahrensleute regte sich; sie standen wie angewurzelt, die Männer noch mit kampfbereit gezückten Waffen in der Hand, die Frauen und Kinder dicht aneinandergedrängt. Und auf allen Gesichtern spiegelten sich Ungläubigkeit und Furcht. Schrecken fuhr durch alle Glieder. Würden sie sich jetzt gegen ihn wenden, da sie wußten, daß er sie getäuscht hatte? Rasch blickte er zu Amberle, doch auch die stand wie versteinert; und in ihren grünen Augen lag ein tiefes Staunen.
Dann endlich kam Cephelo hinkend auf ihn zu. Er warf die abgebrochene Lanze beiseite, als er vor dem Talbewohner stand. Sein dunkles, bärtiges Gesicht war von Ruß und Blut verschmiert.
»Wer seid Ihr?« fragte er leise. »Sagt mir, wer Ihr seid.«
Wil zögerte. »Ich bin der, der ich sagte, daß ich bin«, antwortete er schließlich.
»Nein.« Cephelo schüttelte den Kopf. »Nein, Ihr seid gewiß nicht nur ein schlichter Heiler. Ihr seid mehr als das.« Seine Stimme war barsch und drängend. »Ich habe von Anfang an recht gehabt, in Euch etwas Besonderes zu vermuten, nicht wahr?«
Wil wußte nicht, was er darauf entgegnen sollte.
»Sagt mir, wer Ihr seid«, forderte Cephelo wieder, und in seiner leisen Stimme lag ein gefährlicher Unterton.
»Ich habe Euch bereits gesagt, wer ich bin.«
»Gar nichts habt Ihr mir gesagt!« Das Gesicht des Führers der Fahrensleute färbte sich rot vor Zorn. »Ich glaube, daß Ihr von diesem Teufel wußtet. Ich glaube, daß er Euretwegen hierherkam. Ich glaube, daß all dies Euretwegen geschehen ist!«
Abwehrend schüttelte Wil den Kopf.
»Das Ungeheuer ist durch Zufall auf Euch gestoßen; und es war ebenso ein Zufall, daß ich bei Euch war, als es geschah.«
»Heiler, Ihr belügt mich!«
Wil spürte, wie auch in ihm sich der Zorn regte.
»Wer hat wen belogen, Cephelo? Das war doch Euer Spiel, das hier gespielt wurde — Ihr habt die Regeln bestimmt!«
Der hochgewachsene, dunkle Mann trat einen Schritt näher.
»Gewisse Regeln muß man Euch vielleicht erst noch lehren!«
»Das glaube ich nicht«, versetzte Wil gelassen.
Er hob ein klein wenig die Faust, in der die Elfensteine eingeschlossen waren. Cephelo entging die Geste nicht. Langsam wich er zurück. Das Lächeln, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete, war unverkennbar gezwungen.
»Ihr sagtet, daß Ihr nichts von Wert bei Euch habt, Heiler. Hattet Ihr diese da vergessen?«
»Die Steine besitzen für keinen einen Wert, außer für mich. In Eurer Hand waren sie wertlos.«
»In der Tat!« Cephelo sprach mit offenem Hohn. »Dann seid Ihr wohl ein Zauberer? Vielleicht selbst ein Teufel? Warum wollt Ihr nicht offenbaren, wer Ihr seid?«
Wil zögerte. Der Streit führte zu nichts. Er mußte dem ein Ende machen. Amberle trat neben ihn. Ihre kleine Hand berührte leicht seinen Arm. Wil fand es beruhigend, sie an seiner Seite zu wissen.
»Cephelo, Ihr müßt mir mein Pferd zurückgeben«, sagte er ruhig.
Das Gesicht des Fahrensmannes verschloß sich.
»Amberle und ich müssen unverzüglich weiter. Dieser Teufel, den ich vernichtet habe, ist nicht der einzige im Land — soviel will ich Euch immerhin sagen. Es sind noch andere Dämonen unterwegs, die es auf das Elfenmädchen abgesehen haben. Und jetzt, da ich die Steine gebraucht habe, werden sie wissen, wo wir zu finden sind. Wir müssen fort von hier — und auch Ihr müßt fort von hier.«
Eine Weile starrte Cephelo ihn wortlos an, offensichtlich unschlüssig, ob er ihm glauben sollte oder nicht. Am Ende siegte die Vorsicht über sein Mißtrauen. Er nickte kurz.
»Nehmt Euer Pferd und geht. Ich möchte mit Euch nichts mehr zu tun haben.«
Damit machte er auf dem Absatz kehrt und ging davon, während er seinen Leuten schon mit lauter Stimme Befehl gab, das Lager abzubrechen. Auch er, das war klar, hatte kein Verlangen, länger im Tirfing zu verweilen. Wil beobachtete ihn noch eine Zeitlang, dann ließ er die Elfensteine in den kleinen Lederbeutel fallen und steckte diesen wieder in seinen Kittel. Er nahm Amberle beim Arm und zog sie mit sich zu den Pferden. Dann fiel ihm Eretria ein. Er hielt nach ihr Ausschau und fand sie im Schatten der Wohnwagen. Ihre dunklen Augen sahen ihn unverwandt an.
»Leb wohl, Wil Ohmsford«, sagte sie leise.
Er lächelte schwach. Sie wußte, daß sie ihre Chance, mit ihm zu gehen, verloren hatte. Einen Augenblick lang zögerte er. Sie hatte ihm das Leben gerettet; dafür stand er in ihrer Schuld. Warum sollte er ihr jetzt nicht helfen? Doch er wußte, daß er es nicht konnte. Seine einzige Sorge mußte in diesen Tagen nur Amberle gelten. Davon durfte er sich nicht ablenken lassen, nicht einmal von diesem Mädchen, das ihn so bezauberte. Seine Schuld an sie mußte er ein andermal begleichen.
»Leb wohl, Eretria«, erwiderte er. Ein Funke jenes strahlenden Lächelns blitzte in ihrem Gesicht auf.
»Wir sehen uns wieder«, rief sie, ehe sie davonlief.
Minuten später ritten Wil und Amberle auf Artaq in nördlicher Richtung aus dem Lager hinaus und verschwanden in der Nacht.