Aus den träge wogenden Nebeln seines Schlafes kommend stürzte sich das Ungeheuer auf Wil, ein formloses Geschöpf seiner Träume, das aus den Tiefen seines Unbewußten aufstieg, um ihn zu quälen. Ein Schreckenswesen war es, ein Wesen, das in den finsteren Nischen seines Geistes lauerte, dort, wo er seine tiefsten Ängste verborgen hielt. Schlau und hinterhältig überfiel es ihn, überwand mit Leichtigkeit die Hindernisse, die er ihm entgegenstellen wollte, und seine Bewegungen waren schnell und geschmeidig, als es sich über ihn warf. Er konnte es nicht sehen, als es nahte; würde es nie sehen. Es besaß weder Substanz noch Identität; hatte keinen Sinn. Es existierte nur durch das überwältigende Gefühl des Entsetzens, das es auslöste. Natürlich floh er vor ihm — flog auf schnellen Beinen durch die Landschaften seiner Phantasie, lief und lief, bis ihm schien, daß es ihn nicht mehr einholen könnte. Doch er irrte. Augenblicklich war es wieder da, holte ihn schnell und sicher ein. Voller Verzweiflung floh er wieder, während er lautlos um Hilfe schrie. Aber es war niemand da, der ihm helfen konnte. Er war mutterseelenallein mit dem Ungeheuer und konnte ihm nicht entkommen. Und doch mußte er ihm entrinnen, denn er wußte mit Gewißheit, daß er sterben würde, wenn es ihn einholte, wenn es ihn berührte. So rannte er denn weiter voller Angst, mit blinden Augen, und spürte den Atem des Schreckenswesens heiß in seinem Nacken … Mit einem Aufschrei fuhr er aus dem Schlaf, riß sich die Decke herunter und setzte sich auf. Kalt lag die Nachtluft auf seinem Gesicht und seinem Körper. Schweiß strömte ihm aus den Achselhöhlen, und er spürte im Kopf den wilden Schlag seines Herzens. Allanons dunkle Gestalt kauerte an seiner Seite. Seine kräftigen Hände hielten Wils Schultern umfaßt. Die Stimme des Druiden war ein heiseres Flüstern. »Schnell, Talbewohner. Sie haben uns gefunden.« Wil Ohmsford brauchte nicht zu fragen, wer die waren, die sie gefunden hatten. Sein Traum war Wirklichkeit geworden. Mit einem Sprung war er auf den Beinen, packte seine Decke und stürzte dem Druiden nach, der schon zu dem kleinen Haus eilte. Als hätte die Intuition sie geweckt, erschien Amberle auf der Veranda. Das weiße Nachtgewand flatterte gespenstisch um ihre zierliche Gestalt. Sie wirkte wie ein Geisterwesen.
Sogleich eilte Allanon zu ihr.
»Ich habe dir befohlen, dich anzuziehen«, flüsterte er zornig.
Sie schien nicht überzeugt.
»Solltet Ihr versuchen, mich mit List von hier fortzulocken, Druide? Sollte dies ein Spiel sein, das Ihr Euch ausgedacht habt, um mich zu bewegen, Euch nach Arborlon zu begleiten?«
Allanons Miene verfinsterte sich.
»Bleib ruhig noch einige Minuten hier stehen, dann wirst du deine Antwort schon bekommen! Kleide dich jetzt an!«
Sie ließ sich nicht einschüchtern.
»Gut. Aber ich kann die Kinder nicht einfach im Stich lassen. Sie müssen an einen Ort gebracht werden, wo sie in Sicherheit sind.«
»Dazu bleibt keine Zeit«, entgegnete der Druide ungeduldig. »Außerdem sind sie hier sicherer, als wenn wir sie jetzt durch die Dunkelheit schleppen.«
»Sie werden es nicht verstehen, daß sie einfach verlassen werden.«
»Bleib, dann werden sie dein Schicksal teilen.« Allanon war mit seiner Geduld am Ende. »Wecke das älteste! Sag ihm, daß du fort mußt, daß du keine Wahl hast. Sag ihm, es soll die anderen zu einem Nachbarn bringen, sobald es draußen hell wird. Tu, was ich dir sage — spute dich!«
Diesmal widersprach sie nicht. Sie machte kehrt und verschwand im Inneren des Häuschens. Wil zog seine Kleider zurecht und wickelte seine Decke zusammen. Gemeinsam mit Allanon sattelte er die Pferde. Sie führten sie vor das dunkle Haus, um dort das Elfenmädchen zu erwarten.
Amberle ließ nicht lange auf sich warten. Ihre Füße steckten in Stiefeln, und über der langen Hose und dem gegürteten Kittel trug sie einen langen blauen Umhang.
Allanon führte das Elfenmädchen und den Talbewohner dicht vor Artaq. Flüsternd sprach er mit dem Tier, während er seinen seidenweichen Hals streichelte. Dann drückte er Wil die Zügel in die Hand.
»Steig auf!«
Wil tat, wie ihm befohlen. Artaq warf den Kopf zurück und wieherte leise. Allanon sprach weiter flüsternd auf ihn ein. Dann faßte er Amberle um die Mitte und hob sie so schwungvoll, als besäße sie höchstens das Gewicht einer Feder, hinter Wil auf das Pferd. Er selbst schwang sich auf Spitter.
»Leise«, mahnte er. »Kein Wort.«
Sie bogen in die Straße ein, die vor dem kleinen Haus vorbeiführte, und folgten ihr in östlicher Richtung durch das schlafende Dorf. Nur das sachte Trappeln der Pferdehufe auf der festgetrampelten Erde durchbrach die tiefe Stille. Bald hatten sie die Häuser des Dorfes hinter sich gelassen und den Rand des Waldes erreicht. Vor ihnen dehnten sich Wiesen und Äcker, und in den Bewässerungsgräben glitzerte das Wasser im Mondlicht.
Wortlos stieg Allanon vom Pferd. Eine Weile stand er unbewegt in dermondhellen Nacht und lauschte in die Stille hinein. Ängstliche Besorgnis spiegelte sich auf seinen Zügen. Schließlich trat er nahe an Artaq heran und bedeutete Wil und Amberle, sich zu ihm herunterzuneigen.
»Sie sind überall.« Er sprach die Worte wie einen Hauch. Wil überlief es eiskalt. Der Druide blickte ihn an, als wolle er seinen Wert taxieren. »Bist du schon einmal zur Jagd geritten?« Wil nickte. »Gut. Du und Amberle behaltet Artaq. Wenn ihr in Bedrängnis geratet, laß ihm die Zügel schießen. Er wird euch sicher aus aller Gefahr herausführen. Wirreiten jetzt am Dorfrand entlang in nördlicher Richtung bis zur Öffnung des Tals. Dort durchbrechen wir ihre Umzingelung. Halte auf keinen Fall an, ganz gleich, was geschieht. Hast du mich verstanden? Wenn wir getrennt werden sollten, dann kehrt nicht um. Reitet weiter nach Norden, bis ihr den Silberfluß erreicht. Wenn ich nicht gleich nachkomme, dann durchquert den Fluß und reitet nach Westen in Richtung auf Arborlon.«
»Was werdet ihr …?« fragte Wil hastig.
»Kümmere dich nicht darum, was ich tun werde«, fiel ihm der Druide ins Wort. »Konzentriere dich darauf, das zu tun, was ich dir aufgetragen habe.«
Wil nickte widerstrebend. Ihm gefiel das alles gar nicht. Als Allanon sich umdrehte, blickte er Amberle an.
»Halt dich fest«, flüsterte er mit einem Lächeln.
Sie erwiderte das Lächeln nicht. In ihren Augen stand unverhüllte Angst.
Allanon saß wieder auf. Langsam und vorsichtig trabten sie am Waldsaum entlang und schlugen einen Bogen um die westlichen Ausläufer des Dorfes. Tief und lastend hing die Stille über dem Tal. Wie Schatten glitten sie durch die Dunkelheit, während ihre Augen die Nacht nach Bewegungen durchforschten. Nach einer Weile erhob sich vor ihnen dunkel der Nordhang des Tals.
Plötzlich hielt Allanon sein Pferd mit einem Ruck an und bedeutete Wil, ebenfalls stehenzubleiben. Stumm wies er zu den Feldern zu ihrer Linken. Wil und Amberle blickten in die Richtung seines Armes. Zunächst war nichts weiter zu erkennen als endlose Reihen von Getreidehalmen. Doch gleich darauf machten sie die flinke Bewegung eines tierähnlichen Wesens aus, das aus einem der Bewässerungsgräben kroch und im Getreidefeld verschwand.
Eine Weile standen sie wie versteinert und warteten, dann ritten sie weiter. Sie hatten erst ein kurzes Stück Wegs zurückgelegt, als aus den Wäldern hinter ihnen ein tiefes, gieriges Heulen aufstieg. Amberle umfaßte Wil fester und drückte ihren Kopf an seinen Rücken.
»Dämonen-Wölfe«, sagte Allanon ruhig. »Sie haben unsere Spur aufgenommen.«
Er schlug Spitter die Hacken in die Flanken, und das Pferd fiel in einen leichten Trab. Artaq schnaubte angstvoll und folgte. Andere Dämonen-Wölfe stimmten in das Heulen ein, und dann dröhnte das laute Knacken von Ästen und Zweigen, als viele Leiber durch die Bäume brachen.
»Reitet zu!« rief Allanon.
Die Pferde sprangen vorwärts, schwenkten aus dem Schutz des Waldsaums in scharfem Winkel nach links. Im Galopp donnerten sie an den Feldern entlang, folgten der Linie des Hauptbewässerungsgrabenszur Öffnung des Tals, die den Weg ins offene Grasland freigab. Rings um sie herum widerhallte es vom gierigen, wilden Geheul der Dämonen-Wölfe. Gigantische, zuckende Schatten setzten in Riesensprüngen über Getreidehalme und Maisstengel und rasten wie toll vor Mordgier auf sie zu. Wil beugte sich tief über Artaqs Hals und trieb den schwarzen Rappen an. Der Paß, der aus dem Tal herausführte, kam in Sicht.
Ein halbes Dutzend knurrender, fauchender Schatten brach aus dem Wald vor ihnen, wolfsähnliche Wesen von riesenhafter Gestalt. Ihre Gesichter wirkten auf groteske Weise menschlich, als sie sie im Mondlicht emporhoben und die scharfen Zähne fletschten. Allanon ritt ihnen direkt entgegen. Blaue Flammen züngelten an den Fingern der Hand, die er drohend emporschwang. Gleich darauf schnellten die Flammen lodernd mitten in das Rudel hinein, brennend heiß, so daß die Wölfe wie rasend auseinanderstoben. Mittendurch jagte der Druide, und sein Pferd wieherte schrill vor Angst und Schrecken.
Artaq hatte den Druiden und die Dämonen-Wölfe schon hinter sich gelassen, flog in gestrecktem Galopp dem offenen Flachland entgegen. Mehrere dunkle Leiber stürzten aus dem Schutz der Felder, die vor ihnen lagen, und gierige Mäuler schnappten nach den Läufen des Rappen. Artaq ließ sich nicht aufhalten. Er prallte mit der Schulter gegen eines der greulichen Wesen, so daß dieses sich überschlagend zu Boden stürzte. Die anderen blieben rasch zurück. Wil beugte sich noch tiefer über den Hals des Pferdes, zog Amberle mit sich hinunter und ließ die Zügel lockerer. Zu ihrer Rechten tauchte eine neue Schar Dämonen-Wölfe auf.
Ihr wütendes Heulen erfüllte die Nacht. Blaue Flammen fuhren wie Messerklingen in den blutrünstigen Haufen hinein, und das Geheul wurde zu jämmerlichem Schmerzensgeschrei. Artaq jagte weiter.
Dann brach aus dem vor ihnen hegenden Wald ein einzelner Dämonen-Wolf hervor, ein gewaltiges Wesen, das an dem Flüßchen entlangschoß, aus dem die Bewässerungsgräben gespeist wurden. Er raste vorwärts, um sie abzufangen, flog mit unglaublicher Geschwindigkeit dahin, geschmeidig in seinen Bewegungen und völlig lautlos. Wil spürte, wie ein kalter, harter Klumpen sich in seiner Brust zusammenzog. Das Ungeheuer verkürzte den Abstand zu ihnen allzu rasch; sie würden ihm nicht entkommen. Er tat das einzige, was ihm einfiel. Er feuerte Artaq mit einem wilden Schrei der Verzweiflung an und ließ ihm die Zügel schießen. Der mächtige Rappe reagierte sofort, vermochte es, neue Kräfte zu mobilisieren. Sein Schritt wurde ausgreifender. Das Ungeheuer hatte sie fast eingeholt, ein finsteres Schreckgespenst, das plötzlich aus der Nacht aufzutauchen schien. Wil schloß die Augen und stieß erneut einen Schrei aus. Artaq wieherte wie zur Erwiderung, dann übersprang er mit einem gewaltigen Satz das Flüßchen. Sobald seine Hufe das andere Ufer berührten, jagte er aus den Wäldern und Feldern von Havenstead hinaus, dem offenen Flachland zu.
Sekundenlang ließ Wil die Augen geschlossen, klammerte sich nur blind an Artaqs Hals und überließ sich den sicheren Bewegungen des kräftigen Tieres, als dieses in die Nacht floh. Als er endlich den Kopf wieder hob und einen Blick nach rückwärts wagte, sah er, daß sie allein waren. Feuer und Rauch stiegen aus der Finsternis des Tals, und die Nacht erzitterte unter schrecklichem Jaulen und Winseln. Von den Dämonen-Wölfen war keine Spur zu sehen. Von Allanon allerdings auch nicht.
Ohne zu überlegen, zügelte Wil den Rappen mit heftiger Bewegung und riß ihn herum. Allanons Anweisungen waren klar und bestimmt gewesen. Unter keinen Umständen durfte er umkehren. Amberle mußte seine vordringlichste Sorge gelten. Sie war seinem Schutz anvertraut; sie mußte behütet werden um jeden Preis. Er warf einen raschen Blick auf das kindliche Gesicht hinter sich. Die grünen Augen blickten ihn fragend an. Er wußte, was er zu tun hatte. Und doch wußte er auch, daß der Druide noch im Tal war, inmitten der Ungeheuer, vielleicht in Gefahr. Wie konnte er ihn einfach im Stich lassen und davonreiten?
Nur einen Moment hielt seine Unschlüssigkeit an. Dann sah er Spitter, der wie von Furien gejagt aus dem Tal hervorschoß. Und tief über seinem Hals hing der Druide, dessen schwarze Gewänder sich im Wind bauschten, während hinter ihm der Himmel blutrot loderte. Dichtauf folgten die Dämonen-Wölfe mit gewaltigen zottigen Leibern und heulten ihren Haß auf die Menschen heraus, die ihnen entkommen waren.
Wil wandte Artaq ohne Verzug nach Norden und schlug ihm die Fersen in die Seiten. Schnaubend sprang der große Rappe vorwärts. Diesmal ließ Wil ihm nicht freien Lauf, sondern hielt ihn sorgfältig unter Kontrolle. Die Jagd würde vielleicht noch lange dauern, und auch die Kräfte des mächtigen Rappen hatten ihre Grenzen. Artaq widersetzte sich nicht, sondern folgte gehorsam seiner Führung. Wil beugte sich wieder nach vorn. Er spürte, wie Amberles Hände seine Körpermitte fester umspannten, während sie das Gesicht wieder an seinen Rücken drückte.
Eine Meile später holte Spitter sie ein. Der Körper des keuchenden Pferdes war schweißnaß, die Nüstern waren weit gebläht. Schon zeigte es Müdigkeit. Wil blickte voll ängstlicher Sorge zu Allanon hinüber, aber der Druide erwiderte den Blick nicht; seine dunklen Augen erforschten das Land, das sich vor ihnen auftat, während er mit flüchtigen Handbewegungen sein Pferd antrieb.
Die Jagd über die grasbewachsenen Ebenen der Landschaft am Silberfluß ging weiter und verlor nichts an grimmiger Entschlossenheit. Das rasende Geheul der Dämonen-Wölfe erstarb schnell; statt dessen hörten sie jetzt keuchenden, röchelnden Atem und wütendes Knurren ohnmächtigen Zorns. Sie galoppierten durch Talmulden, die sich zwischen sanften Hügeln öffneten, und über weite, öde Anhöhen, an Obsthainen vorüber und an einsam stehenden Eichen und Weiden — ohne Pause flogen sie durch die schweigende Finsternis des Flachlandes. Die Zeit hatte keine Bedeutung mehr. Nahezu ein Dutzend Meilen hatten sie schon hinter sich gebracht. Doch der Abstand zwischen ihnen und den Verfolgern blieb unverändert.
Endlich kam der Silberfluß in Sicht, ein breites Band mondfunkelnden Wassers, das zwischen den niedrigen Hügeln am Flußufer in der Dunkelheit aufblitzte. Wil sah den Fluß zuerst und stieß einen lauten Ruf aus. Beim Klang seiner Stimme sprang Artaq augenblicklich vorwärts und setzte sich wieder vor Spitter. Verspätet suchte Wil, ihn zurückzuhalten, doch der Rappe ließ sich diesmal nicht zügeln. Er lief noch immer leichtfüßig und mühelos und ließ den rasch ermattenden Spitter schnell zurück.
Die Lücke zwischen Artaq und jenen, die hinter ihm kamen, wurde größer. Wil mühte sich immer noch, den Rappen zu zügeln, als er die kauernden, dunklen Gestalten gewahrte, die unversehens aus der Nacht hervorbrachen — sich windende, schlängelnde Gestalten, die mit borstigem grauen Haar bedeckt waren. Dämonen! Wil spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Es war eine Falle. Sie hatten ihn hier erwartet für den Fall, daß es ihm und Amberle gelingen sollte, den Dämonen-Wölfen bei Havenstead zu entkommen. Jetzt warteten sie in breiter Front an den Ufern des Silberflusses und rückten enger zusammen, als die Reiter sich näherten.
Artaq sah sie ebenfalls und schwenkte scharf nach links, um auf eine kleine Anhöhe zuzuhalten. Hundert Schritte zurück tat Spitter es ihm nach. Noch weiter zurück, die Distanz zu dem rasch ermüdenden Pferd jedoch verringernd, schossen die Dämonen-Wölfe über die Ebene, und ihr Heulen hallte jetzt wieder schauerlich durch die Nacht. Artaq jagte in gestrecktem Galopp die Anhöhe hinauf und flog schon wieder abwärts, zum Silberfluß hin. Eilig wollten die Dämonen vor ihm sich ihm in den Weg stellen. Wil konnte sie jetzt deutlich sehen, katzenähnliche Ungeheuer mit den Gesichtern von Frauen, die gräßlich verzerrt waren. Mit scheußlichem Gekreische stürzten sie dem Rappen entgegen, und ihre langen, reißenden Zähne blitzten im Mondlicht.
In letzter Sekunde wirbelte Artaq herum und raste wieder zur Anhöhe. Die Ungeheuer blieben wütend kreischend zurück. Im selben Moment erklomm Spitter den Hügel, stolperte vor Müdigkeit und ging in die Knie. Allanon wurde mit flatternden Gewändern zu Boden geschleudert, überschlug sich mehrmals und sprang schließlich wieder auf die Beine. Von allen Seiten jagten die Dämonen-Wölfe heran, aber in einem weiten lodernden Bogen schossen die blauen Flammen aus seinen Fingern und trieben die Unwesen auseinander wie der Herbstwind welke Blätter.
Artaq schwenkte wieder nach links. Wil und Amberle klammerten sich verzweifelt an ihn, um nicht abgeworfen zu werden. Laut wiehernd vor Haß auf diese Katzenwesen, die ihn aufhalten wollten, stürmte der Rappe erneut gegen die Widersacher an, parallel zum Flußufer. So schnell flog er dahin, daß er mitten unter ihnen war, noch ehe sie gewahrten, was er beabsichtigte. Mehrere der Ungeheuer wollten ihn packen, rissen mit klauenbewehrten Gliedern an ihm, doch im selben Augenblick war er an ihnen vorüber, entzog sich mit einem gewaltigen Sprung ihren gierigen Krallen und raste durch die Nacht davon. Hinter ihm übergoß blauer Flammenregen die nächsten Verfolger und verbrannte sie zu Asche. Wil sah sich nur einmal um. Allanon stand noch immer auf der Höhe des Hügels, auf allen Seiten umgeben von Dämonen-Wölfen und Katzenwesen, die immer näher rückten. Zu viele! Feuer schoß aus den Händen des Druiden, und er verschwand in einem nebelhaften Chaos aus Rauch und dunklen, zuckenden Leibern.
Ein sechster Sinn warnte Wil plötzlich vor neuer Gefahr. Hastig wandte er den Blick von der Schlacht oben auf der Anhöhe. Aus dem Nichts tauchte plötzlich eine neue Rotte Dämonen-Wölfe auf. In riesigen, lautlosen Sprüngen jagten sie Artaq entgegen. Wil verspürte einen Anflug kopfloser Angst. Er und Amberle waren zwischen den Ungeheuern und dem Fluß eingekeilt. Vor ihnen stand wie eine Mauer dichter Wald, der ihnen den Fluchtweg abschnitt, hinter ihnen die Dämonen, denen sie eben erst entflohen waren. Es gab keine Rettung.
Artaq zögerte nicht. Er schlug einen Haken und stürmte zum Silberfluß zurück. Die Wölfe folgten, lautloses, schwarzes Entsetzen. Wil war überzeugt, daß sie diesmal nicht entrinnen würden. Allanon war nicht mehr da; er konnte ihnen nicht mehr helfen. Sie waren ganz allein auf sich gestellt.
Der Silberfluß kam näher. Nirgends war eine seichte Stelle, nirgends eine Furt zu sehen — nur mondschimmerndes Wasser, das zu tief, dessen Strömung zu schnell war, um eine Durchquerung zu wagen. Und doch verlangsamte Artaq sein Tempo nicht. Wie groß auch immer die Gefahrsein mochte, die eine Überquerung des Flusses mit sich brachte, der Rappe hatte sich entschieden. Er war entschlossen, es mit dem Fluß aufzunehmen.
Auch die Dämonen-Wölfe spürten das. Weniger als dreißig Schritte zurück, warfen sie sich in wilder Entschlossenheit vorwärts, Wil und das Elfenmädchen doch noch zu fassen. Amberle schrie auf. Verzweifelt suchte Wil in seinem Kittel nach dem Lederbeutel mit den Elfensteinen. Dabei wußte er nicht einmal, ob er fähig sein würde, sie zu gebrauchen. Er wußte nur, daß er etwas tun mußte. Doch er hatte sich ihrer zu spät erinnert. In demselben Moment, als seine Hand sich um die Steine schloß, erreichten sie das Ufer des Flusses. Artaq zog sich zusammen wie eine Feder und sprang. Wil und Amberle klammerten sich an seinen Rücken. Und im selben Augenblick erstrahlte rund um sie herum ein gleißendes weißes Licht und bannte sie in der Bewegung, als wären sie in einem Bild eingefangen worden. Die Wölfe verschwanden. Der Silberfluß versank. Alles war fort. Sie waren allein und stiegen langsam aber stetig ins Licht auf.