Eretria!« rief Wil leise, Überraschung und Mißtrauen in der Stimme. Ohne auf den Schmerz seiner Verletzung zu achten, richtete er sich auf einem Ellenbogen auf, um das Mädchen näher zu betrachten. »Was tust du denn hier?« »Dich retten, scheint mir.« Sie lachte mit schalkhaften Augen. Plötzliche Bewegung zog sein Augenmerk auf sich, und er spähte an ihr vorbei in die Schatten. Zwei Frauen machten sich an einer Stellage im hinteren Teil des Wagens zu schaffen. Sie waren dabei, seine blutdurchtränkten Kleider in einer Schüssel mit Wasser zu waschen. Automatisch hob er die Hand zum Kopf und stellte fest, daß ein Verband um die Wunde lag. Er betastete ihn vorsichtig und verzog das Gesicht. »Das würde ich lieber nicht tun.« Eretria zog seine Hand weg. »Das ist das einzige an dir, was sauber ist.« Wil sah sich hastig um. »Was habt ihr mit Amberle gemacht?« »Mit deiner Schwester?« fragte sie spöttisch. »Der passiert schon nichts.« »Du mußt schon entschuldigen, wenn ich da ein bißchen skeptisch bin.« Er machte Anstalten, sich von seinem Bett zu erheben. »Bleib liegen, Heiler.« Sie drückte ihn wieder hinunter. Dann senkte sie die Stimme, so daß die Frauen hinter ihr sie nicht hören konnten. »Fürchtest du, ich könnte mich an dir rächen, weil du mich im Tirfing einfach zurückgelassen hast? Hältst du so wenig von mir?« Sie lachte und warf den Kopf in den Nacken. »Aber vielleicht würdest du es jetzt anders machen, wenn du eine Chance hättest. Ja?« »Keinesfalls. Also, was ist mit Amberle?« »Hätte ich die Absicht gehabt, dir, Wil Ohmsford — oder ihr — Böses zu tun, dann hätte ich euch beide den Banditen überlassen, die euch durch Grimpen Ward gejagt haben. Dem Elfenmädchen geht es gut. Ich lasse sie holen, wenn wir miteinander gesprochen haben.« Sie wandte sich an die beiden Frauen. »Geht hinaus. Laßt uns allein.«
Die Frauen unterbrachen augenblicklich ihre Arbeit und verschwanden durch eine Klappe am anderen Ende des Wagens. Als sie weg waren, wandte sich Eretria wieder dem Talbewohner zu und neigte den Kopf auf eine Seite.
»Also, was soll ich jetzt mit dir tun, Wil Ohmsford?«
Er holte tief Atem.
»Wie hast mich überhaupt gefunden, Eretria?«
Sie lächelte. »Das war einfach. Die Mär von deinen unerhörten heilerischen Kräften verbreitete sich innerhalb von Minuten, nachdem du diese fette Wirtin verarztet hast, wie ein Lauffeuer in ganz Grimpen Ward. Dachtest du denn, eine so aufsehenerregende Vorstellung würde unbemerkt bleiben? Was denkst du wohl, wie es kam, daß diese Banditen euch fanden?«
»Du wußtest also auch davon?«
»Heiler, du bist ein Narr.« Sie sagte es voller Freundlichkeit, während sie mit einer Hand seine Wange tätschelte. »Die Fahrensleute wissen immer als erstes alles, was an den Orten geschieht, wo ihre Reisen hinführen. Wenn dem nicht so wäre, würden sie nicht lange überleben — das scheint mir eine Lektion zu sein, die du noch lernen mußt. Als die Geschichte von der wunderbaren Heilung der dicken Wirtin bekannt wurde, mußte jedem mit dem kleinsten Funken Verstand klar sein, daß gewisse Leute unweigerlich früher oder später zu dem Schluß gelangen würden, einer mit deiner Begabung müsse ein reicher Mann sein. Du hast Glück, daß du noch am Leben bist.«
»Ja, wahrscheinlich«, bekannte er bekümmert. »Ich hätte ein bißchen vorsichtiger sein sollen.«
»Stimmt genau. Zum Glück für dich wußte ich gleich, daß nur du es sein konntest, und setzte Cephelo so lange zu, bis er mir erlaubte, dich zu suchen. Sonst hätten dich die freundlichen Leute hier wahrscheinlich ihren Hunden zum Fraß vorgeworfen.«
»Eine reizende Vorstellung.« Wil zog ein Gesicht. Dann sah er sie an.» Cephelo weiß, daß ich hier bin?«
»Natürlich.« Sie lächelte, und der Schalk blitzte wieder in ihren Augen. »Macht dir das Angst?«
»Sagen wir, es macht mir Sorge«, gab Wil zurück. »Wie kommt er dazu, mir nach den Vorfällen damals im Tirfing überhaupt zu helfen?«
Eretria neigte sich nahe zu ihm und legte ihm ihre schlanken dunklen Arme um den Hals.
»Weil seine Tochter sehr beredsam ist, Heiler — so beredsam, daß sie manchmal sogar einen schwierigen Mann wie Cephelo beeinflussen kann.« Sie zuckte die Schultern. »Außerdem hat er Zeit gehabt, sich die Geschehnisse im Tirfing noch mal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich glaube, ich habe ihn davon überzeugt, daß das alles nicht deine Schuld war — sondern daß du im Gegenteil der Familie das Leben gerettet hast.«
Wil schüttelte skeptisch den Kopf.
»Ich trau’ dem Burschen nicht.«
»Daran tust du auch ganz recht«, meinte sie zustimmend. »Aber heute nacht wenigstens brauchst du dir seinetwegen keine Sorgen zu machen. Er wartet sicher bis zum Morgen, ehe er von dir Rede und Antwort verlangt. Und bis dahin werden eure Verfolger von der wilden Jagd nach euch genug haben und schon wieder in der Schenke sitzen.«
Sie stand auf und eilte in einer raschelnden Wolke blauer Seide davon. Einen Augenblick später kam sie mit einem feuchten Tuch und einer Schüssel voll Wasser zurück, die sie neben dem Lager auf den Boden stellte.
»Zunächst müssen wir dich säubern, Heiler. Du riechst ganz fürchterlich nach Schweiß und Schmutz, und deine Kleider sind ruiniert. «Sie hielt inne. »Zieh dich aus, dann wasche ich dich.«
Wil schüttelte den Kopf.
»Ich wasche mich selbst. Kannst du mir ein paar Sachen zum Anziehen leihen ?«
Sie nickte, machte aber keine Anstalten zu gehen. Wil errötete.
»Ich möchte das gern allein machen, wenn du nichts dagegen hast.«
Das strahlende Lächeln leuchtete in ihrem Gesicht auf.
»Ich hab’ aber was dagegen.«
Er schüttelte den Kopf.
»Du bist wirklich unverbesserlich.«
»Du bist mir bestimmt, Wil Ohmsford. Das habe ich dir schon einmal gesagt.«
Das Lächeln erlosch, wich einem so sinnlichen und verführerischen Blick, daß Wil alles andere um sich herum vergaß. Als sie sich zu ihm neigen wollte, setzte er sich hastig im Bett auf. Heftiger Schwindel erfaßte ihn, doch er hielt sich gewaltsam aufrecht.
»Würdest du mir die Sachen bringen?«
Ihre Augen verdunkelten sich vor Zorn. Dann stand sie auf, trat zu einem Schrank, nahm ein paar Kleider heraus und brachte sie ihm.
»Die hier kannst du haben.« Sie warf sie ihm in den Schoß. Sie wollte an ihm vorübergehen, doch da beugte sie sich plötzlich zu ihm hinunter und küßte ihn schnell auf den Mund. »So, und jetzt wasch dich und kleide dich an.« Damit huschte sie davon.
Sie öffnete eine Tür am Ende des Wagens und verschwand in der Nacht. Wil hörte, wie sie von außen den Riegel vorschob. Unwillkürlich mußte er lachen. Ganz gleich, was sie für Absichten haben mochte, entkommen lassen würde sie ihn nicht.
Rasch streifte er seine verschmutzten Kleider ab, wusch sich und legte die Sachen an, die Eretria ihm gebracht hatte. Sie paßten ihm gut, aber er kam sich recht exotisch vor in dieser Pracht.
Er war gerade mit dem Ankleiden fertig, als die Tür wieder geöffnet wurde, und Eretria mit Amberle erschien. Das Elfenmädchen trug eine weite Seidenhose und darüber einen Kittel, der um die Taille von einer Schärpe zusammengehalten wurde. Um den Kopf lag ein Stirnband, das ihr langes Haar bändigte. Ihr Gesicht war frisch gewaschen und zeigte einen etwas überraschten Ausdruck. Sie warf einen Blick auf Wil, und sogleich trat ängstliche Besorgnis in ihre Augen.
»Geht es dir gut?« fragte sie hastig.
»Ich habe mich um ihn gekümmert.« Eretria fegte die Frage einfach zur Seite. Sie wies auf das Bett, das Wils gegenüber stand. »Du kannst hier schlafen. Und versucht ja nicht, euch heute nacht aus dem Wagen zu schleichen.«
Sie sah Wil mit einem wissenden Lächeln an, ehe sie sich abwandte und zur Tür zurückging. Dort drehte sie sich noch einmal um.
»Gute Nacht, Bruder Wil. Gute Nacht, Schwester Amberle. Schlaft gut.«
Lachend schlüpfte sie zur Tür hinaus. Der Riegel schloß sich knirschend.
Der Talbewohner und das Elfenmädchen schliefen ruhig und fest in dieser Nacht im Wagen der Fahrensleute. Als sie erwachten, graute der Morgen, und das Licht des neuen Tages stahl sich durch die Ritzen der Fensterläden und warf fahle Schatten im Inneren des Wagens. Wil blieb eine Weile liegen, während er seine Gedanken sammelte und wartete, daß die letzten Schleier des Schlafes sich lüfteten. Er griff unter seinen Kittel nach dem kleinen Lederbeutel mit den Elfensteinen. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie noch da waren, steckte er den Beutel wieder ein. Vorsicht kann nie schaden, dachte er.
Er war schon mit einem Bein aus dem Bett, als Amberle ihn bat, sich wieder hinzulegen, und aus ihrem Bett herüberkam. Aufmerksam untersuchte sie die Verletzung an seinem Kopf und brachte den Verband wieder in Ordnung. Als sie fertig war, setzte Wil sich auf und überraschte sie mit einem flüchtigen Kuß auf die Wange. Sie errötete leicht, und ihr kindliches Gesicht strahlte.
Wenig später knarrte der Riegel an der Tür, und Eretria trat ein, in den Händen eine Platte mit Brot, Honig, Milch und Obst. Hauchzarte weiße Gewänder umhüllten das dunkle Mädchen wie eine Rauchwolke. Mit ihrem strahlenden Lächeln sah sie Wil an.
»Gut erholt, Wil Ohmsford?« Sie stellte ihm die Platte auf die Knie und zwinkerte. »Cephelo will jetzt mit dir sprechen.«
Sie ging wieder, ohne das Wort an Amberle gerichtet zu haben. Wil sah das Elfenmädchen an und zuckte hilflos die Schultern. Amberle lächelte gezwungen.
Wenige Minuten später kam Cephelo. Er trat ohne anzuklopfen ein, hochgewachsen und mager, in einen waldgrünen Umhang gehüllt. Er sah aus wie damals, als sie ihn zum erstenmal am Ufer des Mermidon gesehen hatten. Der breitkrempige Hut saß in frecher Verwegenheit auf seinem Kopf. Er zog ihn mit schwungvoller Geste beim Eintreten und lächelte breit.
»Ah, die Elfenkinder, der Heiler und seine Schwester. So trifft man sich wieder.« Er verneigte sich. »Sucht Ihr noch immer Euer Pferd?«
Wil lächelte. »Diesmal nicht.«
Mißtrauisch musterte sie der Fahrensmann.
»Nein? Dann habt Ihr Euch wohl verirrt? Arborlon liegt nördlich, wenn ich mich recht erinnere.«
»Wir waren schon in Arborlon und sind dann weitergereist«, erwiderte Wil und stellte die Frühstücksplatte beiseite.
»Und da hat Euch Euer Weg nach Grimpen Ward geführt.«
»Genau wie Euch.«
»In der Tat.« Der hochgewachsene Mann setzte sich den beiden gegenüber. »In meinem Fall ist es so, daß die Geschäfte mich an viele Orte führen, die ich sonst lieber nicht aufsuchen würde. Aber wie steht es mit Euch, Heiler? Was führt denn Euch nach Grimpen Ward? Doch sicher nicht der Wunsch, Eure Kunst an dem Lumpengesindel auszuprobieren, das dieses schäbige Dorf bevölkert.«
Wil zögerte mit der Antwort. Er würde sehr vorsichtig sein müssen mit dem, was er Cephelo sagte. Denn dieser, so gut kannte er ihn inzwischen, war rücksichtslos, wenn er etwas entdeckte, was sich zu seinem eigenen Vorteil ausschlachten ließ.
»Auch wir haben Geschäfte«, versetzte er gleichmütig.
Der Fahrensmann schürzte die Lippen.
»Eine glückliche Hand scheint Ihr bei Euren Geschäften nicht zu haben, Heiler. Wäre ich nicht gewesen, so lägt Ihr jetzt ‘ mit durchschnittener Kehle auf der Straße.«
Wil hätte am liebsten laut herausgelacht. Der alte Fuchs! Daß Eretria bei seiner und Amberles Rettung die treibende Kraft gewesen war, würde er niemals zugeben.
»Wir scheinen wieder einmal in Eurer Schuld zu stehen«, bemerkte er.
Cephelo zuckte die Schultern, »Im Tirfing war ich vorschnell mit meinem Urteil über Euch; ich ließ zu, daß die Sorge um meine Leute die Oberhand über den gesunden Menschenverstand gewann. Ich machte Euch das zum Vorwurf, was geschah; dabei hätte ich Euch für Eure Hilfe danken müssen. Das hat mich seither bedrückt. Daß ich Euch helfen konnte, entlastet mein Gewissen ein wenig.«
»Es freut mich zu hören, daß Ihr so empfindet.« Wil glaubte nicht ein einziges Wort. »Meine Schwester und ich haben sehr schwere Zeiten durchgemacht.«
»Schwere Zeiten?« Cephelos dunkles Gesicht drückte plötzlich Teilnahme aus. »Vielleicht kann ich irgend etwas tun, um Euch zu helfen — um Euch zu Diensten zu sein. Wenn Ihr mir erklären würdet, was Euch in dieses unerfreulichste Gebiet des ganzen Landes führt…«
Jetzt kommt’s, dachte Wil. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Amberle warnend den Kopf schüttelte.
»Ich wünschte, es stünde in Eurer Macht, uns zu helfen.« Wil bemühte sich nach Kräften, den Eindruck von Aufrichtigkeit zu erwecken. »Aber leider ist dem nicht so. Das, was ich am dringendsten brauche, ist ein Führer, der die Geschichte dieses Tals kennt, der mit seiner Landschaft und mit den Örtlichkeiten vertraut ist.«
Cephelo klatschte leicht in die Hände.
»Nun, damit kann ich Euch vielleicht zu Diensten sein. Ich habe den Wildewald viele Male durchreist.« Er legte seinen Zeigefinger an den Kopf. »Ich weiß einiges über seine Geheimnisse.«
Ja, vielleicht, dachte Wil. Vielleicht aber auch nicht. Er will doch nur unser Vorhaben herausbekommen.
»Ich meine, wir sollten Eure Gastfreundschaft nicht noch weiter in Anspruch nehmen, indem wir Euch in unsere Angelegenheiten hineinziehen«, sagte er achselzuckend. »Meine Schwester und ich kommen schon zurecht.«
Das Gesicht des Fahrensmannes war ausdruckslos.
»Warum verratet Ihr mir nicht, was genau Euch hierher führt? Dann kann ich selbst beurteilen, ob der Anspruch wirklich so hoch ist.«
Amberles Hand auf Wils Arm verkrampfte sich, doch Wil ignorierte es. Er hielt den Blick unverwandt auf Cephelo gerichtet. Irgend etwas, das war ihm klar, mußte er dem Fahrensmann erzählen.
»Krankheit hat das Haus Elessedil heimgesucht, das Haus der Herrscher der Elfen.« Er senkte die Stimme. »Die Enkelin des Königs liegt schwerkrank darnieder. Sie braucht eine ganz bestimmte Medizin, nämlich den Sud einer Wurzel, die nur hier im Wildewald zu finden ist. Ich allein weiß das — ich und meine Schwester. Um diese Wurzel zu suchen, sind wir hierhergekommen, denn wenn wir sie finden und dem Herrscher der Elfen bringen, erwartet uns eine hohe Belohnung.«
Er spürte, wie Amberles Hand sich entspannte. Er wagte nicht, ihr ins Gesicht zu blicken.
Cephelo blieb eine Weile schweigsam und nachdenklich.
»Wißt Ihr«, fragte er dann, »wo im Wildewald diese Wurzel zu finden ist?«
Wil nickte. »Es gibt Bücher, uralte Bücher über die Heilkunst, die noch aus der alten Welt stammen. In ihnen ist von dieser Wurzel die Rede, und sie nennen auch den Namen des Ortes, wo sie gedeiht. Aber der Name ist längst vergessen, aus den Landkarten ausgelöscht, die heute den Rassen dienen. Ich bezweifle, daß der Name Euch etwas sagen würde.«
Der Fahrensmann beugte sich vor.
»Nennt ihn mir trotzdem.«
»Sichermal«, erwiderte Wil und beobachtete dabei die Züge des anderen. »Der Name lautet Sichermal.«
Cephelo überlegte, dann schüttelte er den Kopf.
»Ihr habt recht — der Name sagt mir nichts. Dennoch…« Er hielt inne und wippte leicht hin und her, so als sei er tief in Gedanken. »Es gibt jemanden, dem der Name bekannt sein könnte. Er ist vertraut mit den alten Bezeichnungen dieses Tals. Ich könnte Euch zu ihm führen. Hm, ja — aber Heiler, der Wildewald ist ein äußerst gefährliches Gebiet — das wißt Ihr selbst, da Ihr ja einen Teil der Wildnis durchqueren mußtet, um nach Grimpen Ward zu gelangen. Für meine Leute und für mich wäre es ein großes Wagnis, Euch bei dieser gefahrvollen Suche Beistand zu leisten.« Er breitete entschuldigend die Hände aus. »Außerdem haben wir andere Verpflichtungen, andere Geschäfte, um die wir uns kümmern müssen, und die uns an anderen Orten erwarten. Die Zeit ist ein kostbares Gut für Leute wie uns. Das werdet Ihr gewiß verstehen können.«
»Was wollt Ihr mit alledem sagen?« fragte Wil ruhig.
»Daß Euch ohne mich der Erfolg Eures Bemühens versagt bleiben wird. Daß Ihr mich braucht. Daß ich bereit bin, Euch meine Hilfe anzubieten. Aber solche Hilfe kann nicht ohne — äh —angemessene Entschädigung gegeben werden.«
Wil nickte. »Und welcher Art soll die Entlohnung sein, Cephelo?«
Die Augen des Fahrensmannes funkelten begierig auf.
»Gebt mir die Steine, die Ihr bei Euch tragt. Die Steine mit der Zauberkraft.«
Wil schüttelte ablehnend den Kopf.
»Sie würden Euch nichts nützen.«
»In der Tat? Ist ihr Geheimnis so unergründlich?« Cephelo kniff die Augen zusammen. »Haltet mich nicht für einen Narren. Ihr seid kein schlichter Heiler. Das war mir praktisch vom ersten Augenblick unseres Zusammentreffens an klar. Aber was Ihr seid, zählt nicht für mich — nur was Ihr habt. Ihr habt die Zauberkraft der Steine, und ich wünsche sie für mich.«
»Ihre Zauberkraft ist elfischen Ursprungs.« Wil zwang sich, ruhig zu bleiben. »Nur einer, in dessen Adern Elfenblut fließt, kann sich dieser Kraft bedienen.«
»Ihr lügt schlecht, Heiler.« Die Stimme des Fahrensmannes klang drohend. »Er sagt die Wahrheit«, warf Amberle hastig ein. Ihr Gesicht zeigte Angst. »Hätte er nicht die Steine gehabt, so hätte er diese Suche niemals unternommen. Ihr habt kein Recht, von ihm zu verlangen, daß er sie Euch gibt.«
»Ich kann verlangen, was ich will«, gab Cephelo gereizt zurück und fegte ihren Einwurf mit einer wegwerfenden Geste beiseite. »Außerdem glaube ich Euch beiden ohnehin kein Wort mehr.«
»Glaubt, was Ihr wollt.« Wils Stimme blieb bestimmt und fest.»Ich werde Euch die Steine nicht geben.«
Eine Zeitlang starrten die beiden Männer einander wortlos an. Das Gesicht des Fahrensmannes war hart und drohend. Und doch spiegelte sich darin auch Furcht — ausgelöst durch die Erinnerungen Cephelos an die gewaltige Kraft, die den Steinen innewohnte, und die Wil Ohmsford gebändigt hatte. Mit einer Anstrengung zwang er sich zu einem Lächeln.
»Was wollt Ihr mir dann geben, Heiler? Erwartet Ihr, daß ich Euch diesen Dienst umsonst leiste? Soll ich Menschenleben und Besitz aufs Spiel setzen, ohne dafür entschädigt zu werden? Ihr müßt doch etwas von Wert haben, das Ihr mir geben könnt —etwas von ähnlichem Wert wie die Steine, die herzugeben Ihr Euch so hartnäckig weigert. Was dann? Was wollt Ihr mir geben?«
Wil überlegte angestrengt, doch er trug nichts bei sich, das auch nur den geringsten Wert besaß. Doch gerade als er zu dem Schluß gekommen war, daß die Situation aussichtslos war, schnalzte Cephelo plötzlich mit den Fingern.
»Ich will ein Geschäft mit Euch machen, Heiler. Ihr sagt, daß der Elfenkönig Euch hoch belohnen wird, wenn Ihr ihm die Medizin bringt, die seine Enkelin heilen wird. Gut. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um Euch bei der Suche nach diesem Ort namens Sichermal zu helfen. Ich werde Euch zu einem Manne führen, der den Namen vielleicht kennt. Aber mehr werde ich nicht tun. Als Gegenleistung müßt Ihr mir die Hälfte der Belohnung geben, die Ihr von dem Elfenkönig erhaltet. Seid Ihr damit einverstanden?«
Wil wog den Vorschlag nachdenklich ab. Ein seltsames Geschäft, sagte er sich. Selten, wenn überhaupt jemals, gaben die Fahrensleute etwas her, wenn sie nicht sofort die Gegenleistung erhielten. Was führte Cephelo im Schilde?
»Soll das heißen, daß Ihr mir helfen wollt, den Ort Sichermal zu finden—«
»Wenn ich kann.«
»-daß Ihr mich aber dann nicht dorthin begleiten werdet?«
Cephelo zuckte die Schultern.
»Mich verlangt nicht danach, unnötig mein Leben aufs Spiel zu setzen. Wie Ihr die Medizin findet und sie dem Elfenkönig überbringt, ist Eure Sache. Meine Verpflichtung bei diesem Geschäft besteht lediglich darin, Euch den Weg zu weisen.« Er machte eine kurze Pause. »Glaubt aber ja nicht, daß Ihr mich um das, was Ihr mir schuldet, betrügen könnt, nur weil ich Euch nicht begleite. Das nähme ein schlimmes Ende für Euch.«
Wil runzelte die Stirn.
»Woher wollt Ihr denn wissen, ob ich gefunden habe, was ich suche, wenn Ihr mich nicht begleitet?«
Cephelo lachte. »Heiler, ich bin ein Fahrensmann — ich werde es schon erfahren. Ich werde alles erfahren, was mit Euch geschieht, glaubt mir das.«
Sein Grinsen war so wölfisch, daß Wil sicher war, daß die Worte noch eine andere Bedeutung hatten. Etwas braute sich zusammen; er witterte es förmlich. Doch sie brauchten Hilfe, um ihren Weg durch den Wildewald zu finden, wenn er nicht die Elfensteine einsetzen wollte.
»Abgemacht?« fragte Cephelo.
Wil schüttelte den Kopf. Er wollte den Fahrensmann auf die Probe stellen.
»Die Hälfte ist mir zuviel. Ich bin bereit, Euch ein Drittel zu geben.«
»Ein Drittel!« Cephelos Gesicht verfinsterte sich, wurde aber sogleich wieder freundlich. »Also gut. Ich bin ein Mann, der mit sich reden läßt. Ein Drittel.«
Viel zu leicht war das gegangen, dachte Wil. Er warf einen Blick auf Amberle und sah in ihren Augen das Mißtrauen, das auch er empfand. Doch das Elfenmädchen sagte nichts. Amberle überließ ihm die Entscheidung.
»Kommt, kommt, Heiler«, drängte Cephelo. »Ihr braucht ja noch den ganzen Tag.«
Wil nickte. »Also gut, es ist abgemacht.«
»Schön.« Der Fahrensmann stand augenblicklich auf. »Wir brechen sofort auf, da wir unsere Geschäfte hier abgeschlossen haben. Es ist das beste, wenn Ihr in Grimpen Ward nicht wieder gesehen werdet. Darum bleibt vorläufig im Wagen. Wenn wir den Wald erreicht haben, könnt Ihr herauskommen.«
Er grinste breit, schwang elegant den breitkrempigen Hut zum Abschied und ging hinaus. Leise fiel die Tür hinter ihm ins Schloß. Wil und Amberle sahen einander an.
»Ich trau’ ihm nicht«, flüsterte Amberle.
»Ich auch nicht«, gab Wil zurück.
Wenig später setzte sich der Wagen mit einem Ruck in Bewegung. Die Reise in den Wildewald ging weiter.