30

Der Tag brach an, und dichte graue Nebelschwaden überzogen da: Gebiet der Rauhen Platte. Unbewegt und undurchdringlich hingen sie wie Totenschleier über der Erde. Die Nacht schlich davon, als das bleiche, silberne Licht des Sonnenaufgangs über dem Grimmzacken-Gebirge zu schimmern begann; und als die Nacht endgültig gewichen war, erwachten die Nebel. In trägen, schweren Wellen brandeten sie kreiselnd gegen die Bergkette. Schneller und schneller drehten sie sich, während sie an Hängen und Wänden emporstiegen, bis es schien, als müsse der Fels in ihren weißen Wogen untergehen. Hoch oben, in der von Berggipfeln überschatteten Abgeschlossenheit des Halys-Jochs, stand Andor Elessedil mit seinem Vater und Allanon, von den Soldaten der Leibwache umringt, und blickte in die Tiefe hinab. Dort richtete das Heer der Elfen sich darauf ein, den Paß gegen den Ansturm der Dämonen-Horden zu verteidigen. Reihen von Bogenschützen, Lanzern und Pikenieren versperrten die Klamm, die sich zur Rauhen Platte hinaus öffnete. Ihre Waffen kampfbereit in den Händen, spähten die Soldaten angespannt in den Nebel hinaus, der in dichten Schwaden vor der Öffnung des Passes brodelte. Aus diesem kochenden Nebel mußten die Dämonen auftauchen, aber noch war nichts von ihnen zu sehen. Die Zeit verstrich, und noch immer ließ der Angriff auf sich warten; die Soldaten begannen unruhig zu werden. Andor spürte, wie ihr Unbehagen sich wie das seine langsam in Furcht wandelte.

»Seid unverzagt; habt keine Furcht!« erscholl plötzlich Allanons Stimme, und alle Augen wandten sich dem schwarzgekleideten Druiden zu. »Es sind nur Nebelschwaden, wenn auch von Dämonen gesandt. Habt Mut! Die Mauer der Verfemung wankt schon; die Dämonen werden jeden Augenblick hinter ihr hervorbrechen!«

Noch immer drehten sich die Nebel vor dem Eingang des Passes, als hielte eine unsichtbare Sperre sie auf. Tiefe Stille hing über dem Land. Andors Hände zitterten, als er die Stange ergriff, von der schlaff das Banner des Hauses Elessedil herabhing, und er mühte sich stumm, das Beben zu unterdrücken.

Dann wurden plötzlich Schreie laut, fern und gespenstisch, als stiegen sie aus den Tiefen der Erde auf. Im weißen Nebel sprangen Zungen roten Feuers aufwärts zu dem noch immer dunklen Morgenhimmel, und der brodelnde Dunst schien sich in gewaltigen Wogen zu heben und zu senken. Die Schreie wurden lauter, gingen in ein schrilles, wütendes Kreischen über, das von Wahnsinn erfüllt war. Stetig schwollen sie an, bis sie sich zu einem einzigen gellenden Schrei ohne Ende vereinten, dersich aus dem wüsten Ödland der Rauhen Platte in den schmalen Hohlweg am Halys-Joch ergoß.

»Jetzt kommt es«, flüsterte Allanon heiser.

Die Soldaten des Elfenheeres ließen sich auf die Knie nieder, als die Wogen der schrillen Schreie über ihnen zusammenschlugen. Hastig wurden die Bogen gespannt, Lanzen und Piken gegen die Erde gestemmt. Vor dem Paß barsten die Nebelschwaden in einem Schwall roten Feuers, dessen Widerschein Himmel und Erde scharlachrot färbte. Das Schreien und Kreischen schwoll zu ohrenbetäubender Lautstärke an, und plötzlich war es, als explodiere die Luft selbst in einem krachenden Donnerschlag, der aus der Wildnis hervorbrach und den Fels des Grimmzacken-Gebirges bis in seine Grundfesten erschütterte. Andor schrie auf vor Entsetzen, und der gewaltige Druck des Donnerschlags schleuderte sie alle zu Boden. Eilig rappelten sie sich wieder auf, sahen sich suchenden Auges um. Totenstill war es geworden. Grau und reglos hingen plötzlich die Nebelschwaden.

»Allanon?« fragte Andor leise. »Es ist soweit — die Mauer der Verfemung ist gefallen«, hauchte der Druide. Im nächsten Augenblick stiegen aus der Wildnis der Rauhen Platte von neuem die gellenden Schreie auf, ein irres Freudengeheul, und die Dämonen-Horden, endlich aus ihrem Gefängnis befreit, strömten durchdie Öffnung des Halys-Joch-Passes. In einer mächtigen Woge zuckender, dunkler Leiber wälzten sie sich durch die Schlucht, Dämonen jeglicher Größe und Gestalt, krumm und mißgestaltet von der Schwärze, die sie eingeschlossen hatte. Mit reißenden Zähnen und scharfen Krallen und tödlichen Stacheln bewehrt; zottiges Haar, glänzende Schuppen und wütend gesträubtes Fell; sie krochen und robbten, sie schlängelten sich wie Würmer und flogen wie Insekten, sie sprangen und hüpften und glitten wie Schlangen über den rauhen Fels; alle waren sie Wesen aus Legende und Alptraum. Jedes Geschöpf aus den ältesten Schauermärchen war vertreten: Werwölfe, halb Mensch, halb Tier, flüchtige graue Schatten, denen das Auge kaum folgen konnte; massige, schwerfällig dahinschlürfende Monster mit gräßlich verzerrten Fratzen; Kobolde, die dahinflitzten wie vom Wind getragen; Irrwische, die schwarz waren von Schmutz und Schlamm; Nachtmahre mit ledrigen Flughäuten; schlangenhafte Wesen, die zischend ihr Gift verspritzten, während ihre Leiber in wütenden Windungen zuckten; Furien und Dämonen-Wölfe; Ghuls und andere Unholde, die Menschenfleisch fraßen und menschliches Blut tranken; Vampire, die den Himmel verdunkelten, als sie sich mit schwerfälligen Körpern aus der Masse ihrer Brüder in die Lüfte erhoben. Und während diese wilden Horden durch den Nebel drängten, schnappten sie in ihrer Begierde, endlich freizukommen, mit reißenden Zähnen nach ihren Brüdern, schlugen mit klauenbewehrten Händen nach ihnen.

Die langen Bogen der Elfen surrten, und ein Hagel schwarzer Pfeile ging auf die Dämonen der vordersten Reihe nieder. Die übrigen kannten kein Zögern, kletterten und stolperten vielmehr eilig über die Leichen jener, die gefallen waren. Wieder und wieder feuerten die Bogenschützen der Elfen ihre Pfeile auf die Dämonen ab, doch die wütenden Horden wichen nicht zurück, stürmten schreiend und brüllend immer näher. Keine hundertfünfzig Schritte trennten die beiden Heere mehr, und nun wichen die Bogenschützen zurück, scherten nach beiden Flanken aus, während die erste Schlachtreihe von Lanzern und Pikenieren mit stoßbereiten Waffen zur Höhe des Plateaus stürmte. Wie ein Meer wildzuckender Leiber brandete die Masse der Dämonen vorwärts, wälzte sich wogend den Hang hinauf zu der Stelle, wo die Elfen warteten.

Knirschend brach sich die Flutwelle an der Mauer der Phalanx. Die vorderen Linien der Abwehrmauer gerieten leicht ins Schwanken, doch sie hielten. Dämonen wurden von Speeren aufgespießt, und ihr gellendes Heulen erfüllte die Klamm. Mit gewaltigem Schwung schleuderten die Elfen-Jäger sie zu ihren Brüdern zurück und sahen mit Entsetzen, wie die toten Leiber von der Flut verschlungen wurden, die sich nach ihnen den Hang hinaufwälzte. Wieder prallten die Dämonen-Horden gegen die Schlachtreihen der Elfen, und diesmal gelang mehreren Knäueln der Durchbruch, doch sie wurden augenblicklich von der hinteren Phalanx vernichtet, die rasch in die Bresche sprang, um die Lücken in den vorderen Linien zu schließen. Jetzt aber begann das Sterben auch unter den Elfen. Von der schwarzen Masse der Angreifer wurden sie gewaltsam zu Boden gerissen und zerfetzt. Und immer noch strömten die Dämonen in Scharen aus dem Nebel, Tausende an der Zahl, überfluteten die Klamm und kletterten an ihren Wänden empor. Pfeile regneten auf sie herab, doch wo einer fiel, tauchten drei neue auf. Die Flügel des Elfenheeres begannen unter dem Ansturm zu wanken, und die ganze Linie war in Gefahr, überrannt zu werden.

Eventine gab Befehl zum Zurückweichen. Da wandten sich die Elfen vom Feind ab, zogen sich zu ihrer zweiten Verteidigungsstellung zurück, einem Felssims, der unmittelbar unterhalb des Durchgangs lag, der in die Schlucht hineinführte. Wieder sangen die langen Bogen, und die Pfeile flogen in dichten Schauern auf die Masse wogender Leiber weiter unterhalb. Lanzer und Pikeniere formierten sich neu und machten sich bereit, dem nächsten Ansturm zu trotzen. Er brandete beinahe augenblicklich heran. In ungeheurer Zahl suchten die Dämonen den Hang zu erklimmen, um den Damm von Elfenspeeren einzureißen. Hunderte starben bei dem Vorstoß, von Pfeilen und Speeren durchbohrt, unter den Füßen ihrer Brüder zertrampelt. Und doch versiegte die Flut nicht, wälzte sich in einer immer erneuerten gewaltigen Woge aus dem Nebel in den tiefen Schlund der Klamm, um gegen die Linien der Verteidiger zu branden. Die Elfen warfen die Angreifer zurück — einmal, zweimal, ein drittes Mal. Der Paß am Halys-Joch füllte sich mit dunklen Leibern, die blutend und zerschmettert auf dem Boden lagen und mit gellenden Schreien ihren Schmerz und ihren Haß herausbrüllten.

An der Öffnung der Schlucht stehend, beobachtete Andor Elessedil stumm das Auf und Nieder des Kampfgetümmels. Die Elfen verloren an Boden. Wie Allanon versprochen hatte, schwächte der Ellcrys-Stab die Kräfte der Dämonen, so daß sie, von den Waffen der Elfen getroffen, in großer Zahl starben. Doch dies würde die Horden, die sich aus der Wildnis der Rauhen Platte ergossen, nicht aufhalten können — auch wenn die Soldaten noch so tapfer kämpften, auch wenn die Verteidigungsstellungen noch so umsichtig gewählt waren. Der Dämonen waren einfach zu viele, der Elfen zu wenige.

Andor blickte zu seinem Vater hinüber, doch der König sah ihn nicht. Eventines Hände umfaßten den knorrigen Silberstab des Ellcrys, und seine gebannte Konzentration richtete sich auf den Kampf, der zu seinen Füßen tobte. Die Stellung der Elfen wankte gefährlich unter dem Ansturm des Feindes. Mit den Waffen, die sie den getöteten Elfen aus den Händen gerissen hatten, mit Felsbrocken und Holzknüppeln, mit Zähnen und Krallen und erbarmungsloser Urgewalt kämpften die Dämonen, um die sich lichtenden Reihen von Lanzern und Pikenieren, die ihnen noch heldenhaft den Durchgang versperrten, restlos zu vernichten. Die Freitruppe der Grenzlegion, die bis jetzt in Reserve gehalten worden war, stürzte sich mit wildem Kampfschrei in die Schlacht. Doch noch immer drangen die Dämonen schier unaufhaltsam vor.

»Wir können die Stellung nicht halten«, murmelte Eventine und schickte sich an, den Befehl zum Rückzug zu geben.

»Bleibt in der Nähe«, flüsterte Allanon Andor plötzlich zu.

Genau in diesem Augenblick durchbrachen die Dämonen an der linken Flanke die Schlachtenreihe und strömten in wilden ungeordneten Scharen die Klamm herauf zu der kleinen Gruppe von Männern, die vor dem Eingang zur Schlucht Wache hielt. Die Leibgarde stellte sich schützend vor den König und Andor, und das Metall ihrer kurzen Schwerter blitzte im frühen Morgenlicht. Hastig rammte Andor die Fahne der Elessedils in die steinige Erde und zog seine eigene Waffe. Schweiß rann ihm unter seinem Kettenhemd den Körper hinunter, und sein Mund war wie ausgedörrt vor Furcht.

Jetzt trat Allanon vor. Seine schwarzen Gewänder flatterten im Wind, als er die Arme erhob. Blaues Feuer, das aus den Fingern des Druiden zügelte, durchzuckte das graue Licht des neuen Tages, und der Boden unter den Angreifern barst. Rauch stieg in dichten Wolken aus dem Fels auf, verteilte sich dann über einem Feld lebloser dunkler Körper. Aber nicht alle waren gefallen. Nur einen Bruchteil zauderten die, die überlebt hatten. Hinter ihnen hatte sich die Bresche wieder geschlossen; es gab keine Umkehr. Kreischend vor Wut stürmten sie von neuem voran und stürzten sich auf die Leibgarde. Es war ein verzweifelter Kampf. Dämonen fielen unter den Schwertern der Elfen-Jäger, doch eine Handvoll durchbrach die Abwehr und griff den König an. Ein geschmeidiger schwarzer Kobold fiel Andor an, und seine scharfen Klauen suchten die Kehle des Elfenprinzen. Wie ein Rasender riß Andor sein kurzes Schwert hoch und wehrte den Angriff ab. Nochmals versuchte das scheußliche Wesen ihn zu packen, doch ein Elfen-Jäger sprang dazwischen und durchbohrte den Dämon mit einem einzigen Hieb seines Schwertes.

Voller Entsetzen taumelte Andor zurück. Wieder war es den Dämonen gelungen, den linken Flügel zu durchbrechen, und wieder sprang Allanon ein, um den Ansturm aufzuhalten. Blaue Flammen trafen wie blitzende Messer die Angreifer, und ihre Schreie erfüllten die Luft. Einem anderen Trupp von Dämonen war es gelungen, an der rechten Flanke durchzustoßen, und in einem todesmutigen Versuch, jenen ihrer Brüder zu helfen, die hinter den Abwehrstellungen der Elfen eingeschlossen waren, jagten sie nun den Hang hinunter. Andor erstarrte. Der Elfenjäger waren nicht genug, sie alle aufzuhalten.

Da geschah plötzlich das Unglaubliche — Eventine stürzte zu Boden, gefällt von einem Knüppel, den einer aus der Masse der Angreifer geschleudert hatte. Der Schlag traf den alten König an der Schläfe, und er sank taumelnd zu Boden. Der Ellcrys-Stab entfiel seiner Hand. Tierisches Triumphgeheul brach aus den Kehlen der Dämonen hervor, und sie drängten mit neuer Macht vorwärts. Ein halbes Dutzend aus der Rotte, die den Hang heruntergeschossen war, umzingelte den gefallenen König, um ihm den Todesstoß zu versetzen.

Doch Andor sprang schon für seinen Vater in die Bresche. Seine eigene Angst war verflogen, sein Gesicht verzerrt vor Zorn. Mit einem Wutschrei drang er auf die nächsten Angreifer ein, schwarze Kobolde wie jene, die ihm kurz zuvor selbst ans Leben gewollt hatten. Zwei krümmten sich sterbend auf der Erde, bevor den anderen überhaupt bewußt wurde, was geschah. Wie von blinder Raserei gepackt, stürzte sich Andor auf die anderen, um sie von dem wankenden König zurückzutreiben.

Unerbittlich tobte das Chaos. Auf dem Plateau waren die Elfenlinien beinahe bis zum Eingang in die Schlucht zurückgedrängt worden. Kreischend vor Freude beim Anblick des gefallenen Königs, stürmten die Dämonen in Scharen vor und schlugen wie tollwütig auf die Elfen ein, die versuchten, sich ihnen in den Weg zu stellen. Andor kämpfte verzweifelt, um die Dämonen von seinem Vater fernzuhalten. In seinem blinden Kampfesmut stolperte er über einen, den er niedergestochen hatte, und stürzte zu Boden. Augenblicklich warfen sie sich auf ihn. Krallen schlugen sich in sein Fleisch und rissen an seiner Rüstung, und einen schrecklichen Augenblick lang glaubte er sich verloren. Doch Dardan und Rhoe schlugen sich zu ihm durch, trieben seine Angreifer auseinander und brachten ihn in Sicherheit. Benommen torkelte er zurück zu der Stelle, wo sein Vater lag, und kniete neben dem alten Mann nieder. Ungläubigkeit und tiefe Bestürzung lähmten ihn. Seine Hände suchten den Puls. Er ging langsam und schwach. Eventine war noch am Leben, doch den Elfen war er verloren — der König, der einzige, der sie vor dem retten konnte, was da geschehen sollte…

Dann stand Allanon neben ihm. Mit einer schnellen Bewegung hob er den herabgefallenen Ellcrys-Stab vom Boden auf, riß Andor auf die Füße und drückte ihm den Zauberstab in die Hand.

»Trauert später, Elfenprinz!« Sein dunkles Gesicht neigte sich dem Anders sehr nahe zu. »Denn jetzt müßt Ihr die Führung übernehmen. Schnell — zieht die Elfen in die Schlucht zurück.«

Andor wollte Einwände erheben, hielt aber sogleich inne. Das, was ihm aus den Augen des Druiden entgegenfunkelte, überzeugte ihn, daß dies weder die Zeit noch der Ort für Widerreden war. Stumm gehorchte er. Er ließ seinen Vater wegtragen, dann sammelte er die Leibgarde um sich, schickte Kuriere zur Mitte und zu beiden Flügeln der Verteidigungslinien und gab seinen Elfen Befehl zum Rückzug. Mit Allanon an seiner Seite stellte er sich am Zugang zur Schlucht auf, wo Elfen und Grenzländer ihn sehen konnten, und beobachtete, wie das Schlachtgetümmel ihm entgegenwogte.

Lanzer und Pikeniere und die grauen Soldaten der Freitruppe zogen sich zurück. Der Zugang zur Schlucht war schnell verstopft. Stee Jans tauchte auf, ritt mit fliegendem roten Haar, ein mächtiges Schwert in den Händen schwingend, mitten durch den Hexenkessel. Da hob Allanon seine Arme hoch über sein Haupt, und in züngelnden Flammen schoß das blaue Feuer aus seinen Fingern.

»Jetzt!« rief er Andor zu. »Zurück in die Schlucht!«

Andor hob den Ellcrys-Stab und rief laut. Die letzten Elfen und Freitruppen-Kämpfer lösten sich vom Feind und rannten durch den Paß zurück, der Klamm und Schlucht verband. Wutschnaubend jagten die Dämonen ihnen nach.

Allanon stand allein am Zugang zur Schlucht. In wildem Sturmlauf stürzten die Dämonen ihm entgegen, wälzten sich in einer gewaltigen Woge schwarzer Leiber durch die Klamm. Der Druide schien sich zu sammeln, und seine hagere Gestalt richtete sich vor dem Schatten der Felswand kerzengerade auf. Wieder hob er die Hände, und wiederum schoß funkelnd blaues Feuer durch die Luft. Wie eine blitzende blaue Mauer züngelte es vor den wutschnaubenden Dämonen in die Höhe und versperrte ihnen den Zugang zur Schlucht. Heulend und kreischend wichen sie zurück.

Drinnen in der Schlucht wandte sich Allanon Andor zu.

»Das Feuer wird nur kurze Zeit brennen.« Das Antlitz des Druiden war fahl und eingefallen, von Schweiß und Schmutz gezeichnet. »Dann werden sie uns wieder auf den Fersen sein.«

»Allanon, wie sollen wir einer solchen Überzahl standhalten …?« begann Andor hoffnungslos.

»Wir können es nicht — jedenfalls nicht hier und nicht jetzt.« Der Druide faßte seinen Arm. »Die Pässe durch das Grimmzacken-Gebirge sind verloren. Wir müssen auf dem schnellsten Wege fliehen.«

Andor brüllte schon Befehle. Das Heer der Elfen flutete durch die Schlucht zurück. Voran ritten die Kavalleriereserven mit Verwundeten, die noch in der Lage waren, auf einem Pferd zu sitzen; Pikeniere, Lanzer und Bogenschützen folgten, trugen die, die zu schwer verwundet waren, um zu reiten. Die Leibgarde bemühte sich um den bewußtlosen König. Allanon und Andor bildeten den Schluß. Sie hatten gerade den von Buschwerk umrahmten Teich passiert, der in der Mitte der Schlucht lag, als die Flammen, die den Zugang versperrten, noch einmal züngelnd aufloderten und dann erloschen.

In ihrer wilden Flucht blickten die Elfen zurück. Einen Moment lang zeigte sich ihnen der Zugang zur Schlucht offen und frei, dann aber drängten die Dämonen in Scharen hindurch und blockierten den Engpaß in ihrem wilden Bestreben, in die Schlucht zu gelangen. Heulend fegten sie den fliehenden Elfen hinterher. Doch sie kamen zu spät. Das Gros des Heeres hatte schon den Hohlweg gewonnen, der in die Felsspalte hineinführte, und hatte die Kluft durcheilt. Eine Nachhut aus Kämpfern der Freitruppe unter dem Befehl von Stee Jans bezog Posten, während Allanon, Andor und die restlichen Soldaten der Leibgarde das letzte Stück des Weges durch die Schlucht hetzten. An der Mündung zum Hohlweg drehten sie sich kurz nach ihren Verfolgern um.

Es war ein schrecklicher, beängstigender Anblick, der sich ihnen bot. Wie eine finstere Wolke verdunkelte das Heer der Dämonen die Schlucht, während es sich von Wand zu Wand ausbreitete. Die zuckenden schwarzen Leiber eng zusammengepfercht, stürzten sie kreischend vorwärts wie eine riesige Meute von Ratten, die vor den Wassern einer gewaltigen Flut auf der Flucht ist. Schwarz war der Boden von springenden, kriechenden, sich schlängelnden Leibern, und die Luft darüber war dunkel gesprenkelt von jenen, die durch die Luft flogen. Druide und Elfen wollten ihren Augen nicht trauen. Es war, als seien der Dämonen unendlich viele.

Plötzlich teilte sich die finstere Wolke, und ein gewaltiges, gepanzertes Ungeheuer drang durch die Öffnung der Schlucht. Wie Zwerge wirkten die anderen Dämonen neben dem scheußlichen grünen Untier, das sich hoch aufbäumte und jene, die ihm im Weg waren, zur Seite schleuderte wie nichts. Die Elfen schrieen auf vor Entsetzen. Es war ein Drache, dessen schlangenähnlicher Leib über und über mit Stacheln bedeckt und glitschig war von seinen eigenen schleimigen Absonderungen. Sechs schwerfällige, stämmige Beine, mit Krallen bewehrt und mit Büscheln dunklen Haares bewachsen, trugen den massigen Körper. Der gehörnte, krustige Kopf, den das Ungeheuer suchend in die Höhe reckte, war nicht mehr als ein mißgestalteter Klumpen, in dem ein einziges, lidloses grünes Auge prangte. Als der Geruch von Elfenblut dem Drachen in die Nüstern wehte, riß er weit den gierigen Rachen auf und zeigte zwei Reihen spitzer Zähne. In wütender Raserei schlug der lange, schuppige Schwanz auf und nieder, schleuderte zerschmetterte Leiber durch die Luft wie tote Fliegen. Eilig machten die Dämonen Platz, und das Ungeheuer wälzte sich schnaubend vorwärts. Der Fels erzitterte unter dem Gewicht seines Körpers und der Wucht seines Schrittes.

Am anderen Ende der Schlucht beobachtete Allanon noch einen Augenblick lang das Nahen des Drachens, bis er sich Andor zuwandte.

»Zieht Euch auf die andere Seite der Felsspalte zurück. Schnell!«

Andor war schreckensbleich. »Aber der Drache —«

»- ist zuviel für Euch.« Die Stimme des Druiden klang schneidend undkalt. »Tut, was ich Euch gesagt habe. Überlaßt den Drachen mir.«

Andor gab den Befehl des Druiden weiter, und das Elfenheer zog sich auf die andere Seite der Felsspalte zurück. Stee Jans neben sich, beobachtete Andor die weiteren Vorgänge. Allanon stand ganz allein, den Blick unverwandt in die Schlucht gerichtet. Der Drache hatte den Teich in der Mitte schon passiert und stieß sich jetzt mit zuckenden Bewegungen den Hang hinauf zum Hohlweg. Schon hatte er den Druiden gesichtet, diese einsame schwarze Gestalt, die nicht floh wie die anderen, und er gierte danach, diesen verwegenen Gegner zu fassen und zu zerschmettern. Die kräftigen Beine wirbelten in schnellem Lauf, zertrampelten Erde und Fels. Heulend und kreischend vor Erwartungsfreude folgten die Dämonen in sicherem Abstand ihrem gewaltigen Bruder.

Die schwarzen Gewänder eng um sich gezogen, wich Allanon nicht einen Schritt zurück, bis der Drache nur noch ein paar hundert Schritte vom Hohlweg entfernt war. Da aber flatterten die schwarzen Gewänder weit auseinander, die sehnigen Arme hoben sich, die Hände schienen nach dem Drachen greifen zu wollen. Blaue Flammen aus den gespreizten Fingern, trafen den Kopf und die Kehle des Ungeheuers, und der Geruch nach versengtem Fleisch erfüllte die Luft. Doch der Drache wich nicht zurück, wurde nicht einmal langsamer; er schüttelte den Angriff ab, als wäre er ihm nur lästig, und sein gewaltiger Leib schob sich ungehindert vorwärts. Wieder packten ihn züngelnde Flammen, brannten auf Beinen und Brust, ließen schwarze Rauchfäden zurück, die vorn Leib des Drachens aufstiegen. Mit einem scharfen Zischen der Wut registrierte das Ungeheuer den Angriff, doch es stapfte weiter vorwärts.

Allanon glitt in den Hohlweg hinein, eilte auf flinken Füßen bis zum anderen Ende. Dort wandte er sich um. Hoch aufgerichtet kam der Drache in Sicht, zwängte sich durch den engen Durchgang. Allanon ließ erneut die blauen Flammen blitzen. Das Zischen des Drachen war giftig und haßerfüllt, als er schnappend seinen Rachen aufriß, voll ohnmächtiger Wut darüber, daß er das Geschöpf nicht erreichen konnte, das ihn auf solche Weise reizte. Die engen Wände des Hohlwegs behinderten ihn in der Bewegung, als er schwerfällig weiter vorwärtsstieß. Hinter ihm feuerten die Dämonen-Brüder ihn mit wildem Geschrei an.

Langsam wich Allanon von der Öffnung des Hohlwegs in die Felsspalte zurück. Der Durchgang war von Rauch- und Staubwolken verhüllt, und der scheußliche grüne Leib des Drachen war durch den Dunst nur undeutlich zu sehen. Plötzlich aber kam das Ungeheuer wieder deutlich in Sicht, und wieder riß es gierig den Rachen auf. Beide Hände vor sich verschränkt, schoß Allanon einen feurigen Blitz auf das Auge des Drachen ab. Als der Feuerstrahl traf, hüllten blaue Flammen den Kopf des Untiers ein. Diesmal brüllte der Drache laut auf; es war ein gräßliches Heulen des Schmerzes und der Wut. Hoch bäumte sich der schuppige grüne Leib im Hohlweg auf und schlug in wilden Zuckungen gegen die Felswände, bis der massige Berg unter der Wucht der Schläge erzitterte. Felsbrocken brachen los und holperten auf das vor Schmerz zuckende und wild um sich schlagende Ungeheuer hinunter.

Gleich darauf barst mit ohrenbetäubendem Krachen die Südwand, und der ganze Felshang geriet langsam ins Rutschen, bewegte sich abwärts zum Hohlweg hin. Der Drache witterte die Gefahr, in der er sich befand, und stürzte vorwärts, um der Falle zu entkommen. Halb blind vor Schmerz brach er aus dem Hohlweg hervor, als hinter ihm ungeheuere Felsmassen herabstürzten und die Dämonen unter sich begruben, die dem Drachen folgen wollten. Wieder blitzten blaue Flammen auf, doch blieben sie ohne Wirkung. Diesmal war der Drache auf den Angriff gefaßt und schwenkte den unförmigen Kopf hin und her, um dem Feuer auszuweichen. Vor sich erblickte er jetzt die dunkle Gestalt des Druiden. Wutschnaubend, den riesigen Schlund weit aufgerissen, raste das Ungeheuer auf seinen Feind zu. Allanon wirbelte herum und lief zurück zur Felsspalte, aber nicht zum breiteren Weg, der rechts durch die Kluft führte, sondern zu dem schmalen Sims, der sich hoch über dem Abgrund links an der Felswand entlangzog. Blind vor Raserei, der Gefahr nicht achtend, die ihm drohte, jagte der Drache ihm nach. Seine stämmigen Beine trugen ihn mit rasender Geschwindigkeit vorwärts, als er auf den Sims donnerte und gierig nach dem Menschen schnappte, der vor ihm floh.

Aber plötzlich gab der Sims nach. Brüchiger Fels bröckelte unter dem Gewicht des massigen Ungeheuers ab. Mit einer verzweifelten Anstrengung sprang der Drache vorwärts, um den Druiden noch zu erhaschen. Allanon entkam den spitzen Zähnen nur um Haaresbreite. Mit einem letzten schrecklichen Schnauben der Wut rutschte der Drache von dem herabstürzenden Sims in den schwarzen Abgrund der Kluft und verschwand in einer Lawine von Erde und Gestein. Nur das Echo seiner haßerfüllten Schreie hallte noch eine Weile in den Bergen mit vielfachem Echo wider.

Andor Elessedil wartete ungeduldig am Ausgang der Kluft, während Allanon sich vorsichtig seinen Weg über Geröll und brüchiges Gestein bahnte, das vom Sims geblieben war.

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