Ein türgroßer Schild verdunkelte den Himmel und fing den Dorn der Hellebarde auf. »Schlagt die Kerle in Stücke!«, rief eine wohl vertraute Stimme. Eine starke Hand packte Farodin und half ihm auf. »Sieht so aus, als hättest du noch alle Glieder beieinander!« Orgrim grinste breit. »Das war dafür, dass du im Fjord mich und mein Schiff gerettet hast.«
Der Elf blinzelte benommen. »Wie … wie hast du mich erkannt?«
»Ollowain hat mir einen Gefallen getan. Er hat ein weißes Kreuz auf die Rückseite deines Helms gemalt. So konnte ich hinter dir bleiben, als du die Bresche in die Pikenformation geschlagen hast.«
Dumpfer Schmerz pochte in Farodins linker Schulter. Eine Platte seines Harnischs war eingedrückt und quetschte ihm das Fleisch. Den linken Arm konnte er kaum noch anheben. »Du könntest mir gleich noch einen Gefallen tun, Orgrim. Öffne die Schnallen an meinem linken Schulterstück und nimm es ab.«
Der König hielt ihm seine großen Hände vors Gesicht. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass diese Finger die zierlichen Schnallen einer Elfenrüstung öffnen können?«
Farodin streckte sich und fluchte. Allein war es ihm nicht möglich, die Rüstung abzunehmen. Er sah sich um. Rings herum lagen dutzende Tote.
»Kannst du aus eigener Kraft laufen?«
»Ich brauche jedenfalls keinen Troll, der mich trägt«, erwiderte der Elf gereizt. Die Schmerzen in der Schulter wurden schlimmer.
Der Angriff der Trolle hatte die Pikeniere ein weites Stück zurückgeworfen. Die breiten Rücken der Hünen versperrten Farodin den Blick auf das Kampfgeschehen. Noch immer erklang infernalisches Geschrei.
»Wie steht die Schlacht?«
Orgrim spuckte aus. »Es gibt ʹne verdammt große Menge Menschen, die nicht mehr zu Hause mit ihren Heldentaten prahlen werden. Wir haben sie zurückgeschlagen.« Er winkte einem Troll aus seinem Stab, und Augenblicke später erklang ein lang gezogenes Hornsignal. »Sie sammeln Reiter unten am Hügel. Wir sollten uns zurückziehen, bevor sie mit dem Gegenangriff beginnen.« Ohne weiter auf Farodin zu achten, stapfte der König zu den Seinen und deckte den Rückzug der Truppen.
Nur sechs jener zwanzig Elfen, die den Angriff angeführt hatten, kehrten zurück hinter die Schanzen der Bogenschützen. Ollowain gehörte zu den Überlebenden. Seine Rüstung war verschrammt und rot vor Blut. Der Elf hatte den Helm abgenommen; das lange blonde Haar klebte ihm in Strähnen am Kopf. »Welch ein Sieg!« Er deutete den Hang hinab. An manchen Stellen konnte man das Gras nicht mehr sehen, so dicht lagen die Toten. Nachdem die Trolle in die Breschen vorgestoßen waren, welche die Elfen in die Pikenreihe geschlagen hatten, war der Kampf zu einem Massaker geworden.
Ollowain nahm Farodin die eingedellte Schulterplatte ab. Er schob den wattierten Gambeson zur Seite und tastete die Schulter ab. »Nichts gebrochen. Hast Glück gehabt. Wie geht es dem Arm?«
Farodin machte eine weite, kreisende Bewegung. Jetzt, da kein Druck mehr auf der Prellung lastete, ließ der Schmerz nach. »Um es mit Menschen aufzunehmen, wird es reichen.«
Ollowain deutete zu einem der niedergebrannten Türme über dem Steilweg. »Dort drüben findest du einen Rüstmeister der Gnome. Er wird deine Schulterplatte ausbeulen, damit du sie wieder anlegen kannst. Lass dir nicht zu viel Zeit. Die Ordensritter haben leider ein sehr kurzes Gedächtnis, was ihre Niederlagen angeht. Sie werden bald wieder angreifen.« Mit diesen Worten ging der Wächter der Shalyn Falah. Farodin sah ihm nach. Ollowain scherzte mit ein paar Bogenschützen und rief einem Troll etwas zu, das den Hünen grinsen ließ. Der Anführer der Elfen strahlte eine Zuversicht aus, als stünde völlig außer Zweifel, dass sie ihre Stellungen bis zum Abend halten würden. Dabei war noch nicht einmal die Mittagsstunde angebrochen.
Farodin fand den Plattner ohne Schwierigkeiten. Der Gnom war ein geschwätziger alter Kerl mit einem weißen Bart voller Kautabaksflecken. Er ließ sich Zeit damit, die Rüstung auszubeulen. Er sprach über alles, außer über den Krieg. Anscheinend flüchtete sich der Alte in seine Arbeit und versuchte verzweifelt, ein kleines bisschen Alltag zu bewahren. Zuletzt spuckte er auf die Schulterplatte und polierte sie mit seinem Ärmel blank. Als er die Schnallen der Rüstung schloss, blickte er den Elfen besorgt aus seinen trüben braunen Augen an. »Werden wir die Brücke halten?«
Farodin mochte den Alten nicht belügen. »Ich weiß es nicht.« Er blickte den Hang hinab. Die Menschen hatten eine neue Angriffslinie gebildet.
»Hmmm«, war alles, was der Alte dazu sagte. Dann bückte er sich und holte eine Armbrust unter seiner Werkbank hervor. »Mein Volk hat der Königin immer die Treue gehalten.« Es gelang dem Plattner nicht, seine Angst zu verbergen. Er blinzelte nervös und strich immer wieder über das Schulterstück der Waffe. »Ein Gutes hat es mit den Menschen. Sie kommen immer gleich so zahlreich, dass nicht einmal ein alter, halb blinder Plattner danebenschießen wird.«
»Darf ich dich zur Schlachtreihe begleiten?«, fragte Farodin ernst.
Der Gnom sah überrascht zu ihm auf. »Du bist doch ein berühmter Elfenheld. Was willst du mit mir?«
»Für den nächsten Kampf hat man mir keinen Platz in unserer Schlachtlinie angewiesen. Ich habe noch nie an der Seite eines Gnomhelden gekämpft. Wenn du nichts dagegen hast, wäre es mir eine Ehre, den Platz zu deiner Linken einzunehmen. Wie heißt du?«
»Gorax.« Der Alte zog einen dunkelbraunen Riegel Kautabak hinter seinem Gürtel hervor. »Ein Elf, der einen Gnom darum bittet, an seiner Seite kämpfen zu dürfen! Wir leben in wundersamen Zeiten. Darf ich dir was hiervon anbieten? Das macht den Kopf klar.« Er hielt Farodin den Kautabak hin.
Der Elf nahm den Riegel und biss ein Stück von der zähen Masse ab. Der Tabak brannte auf der Zunge, und Speichel lief ihm im Mund zusammen. Am liebsten hätte er das Stück sofort wieder ausgespuckt. Doch er schob es mit der Zunge in seine Backentasche und reichte Gorax den Riegel zurück. »Einen klaren Kopf können wir wahrlich gebrauchen.«
Am Fuß des Hügels erklangen wieder Trommelschlag und Flötenspiel. Die Ordenssoldaten rückten erneut vor.