Bei der Shalyn Falah

Ollowain versetzte Farodin mit seinem Panzerhandschuh einen klirrenden Schlag auf die Schulter. »Das war die letzte Schnalle.«

Farodin richtete sich ein wenig ungelenk auf. Die Rüstung war leichter, als er erwartet hatte, und doch würde sie seine Beweglichkeit erheblich einschränken.

Ollowain schritt die Reihe der gepanzerten Elfen ab. Sie waren zwanzig, und alle trugen sie Glattharnische, meisterhaft gefertigte Rüstungen, von deren abgerundeten Panzerplatten jeder Speerstoß abgelenkt wurde.

»Vergesst nicht, die Köpfe zu senken, sobald wir angreifen!«, schärfte Ollowain der Elfenschar ein. »Unsere verwundbarste Stelle sind die Sehschlitze des Helms. Die Menschen wissen das. Deshalb senkt den Kopf!«

»Haben sie Reiterei?«, fragte ein Elf links von Farodin. Seine Stimme klang blechern durch das geschlossene Visier.

»Ich will ehrlich sein. Seit gestern Mittag ist keiner unserer Späher zurückgekehrt. Wir kämpfen zu lange gegen sie. Sie kennen unsere Kriegslisten.« Er deutete mit ausgestrecktem Arm zum Himmel. Dort waren die Silhouetten von drei Raubvögeln zu sehen, die mit weit ausgebreiteten Schwingen ihre Kreise zogen. »Sie haben Turmfalken darauf abgerichtet, Blütenfeen zu jagen. Unsere Späherinnen wussten um die Gefahr. Sie sind trotzdem ausgeschwärmt. Nehmt euch ein Beispiel an den tapferen Herzen unserer kleinen Schwestern.«

Farodin traute seinen Ohren kaum. Wie weit war es mit Albenmark gekommen, wenn man selbst Blütenfeen in den Krieg schickte!

»Achtet darauf, dass ihr immer mindestens zwei Schritt Abstand zueinander haltet«, riet Ollowain. »Wir wollen uns schließlich nicht gegenseitig die Schädel einschlagen.«

Orgrim kam den Weg zu ihnen hinab. »Sie rücken an!«, brüllte er. »Seid ihr bereit?«

Ollowain hob sein riesiges Zweihandschwert. »Bereit!«, rief er und drehte sich noch einmal zu den Elfen in den Harnischen um. »Vergesst alles, was ihr über einen ehrenvollen Kampf gelernt habt. Unsere Feinde kennen keine Gnade. Sie werden keine Gefangenen machen. Also tötet so viele von ihnen, wie ihr nur könnt. Und hütet euch vor den Hellebardenträgern.«

Farodin nahm das mächtige Zweihandschwert, das vor ihm an der Felswand lehnte, und schloss das Visier seines Helms. Er wollte nicht, dass der König der Trolle ihn erkannte. Mit dem wiedergeborenen Mörder Aileens könnte er an dem Ort, an dem einst seine Liebste gestorben war, kein Wort wechseln!

Der kleine Elfentrupp marschierte das letzte Stück des Klippenwegs hinauf und dann vorbei an den ausgebrannten Resten von hölzernen Wachtürmen. Vorgestern erst hatten die Albenkinder den Ordensrittern die Stellung am Rand der Klippe wieder entrissen. Und sie hatten mit Strömen von Blut dafür bezahlt.

Die Schar der Verteidiger, die sie noch aufbieten konnten, um den gewundenen Steilweg hinab zur Shalyn Falah zu halten, war lächerlich klein. Siebenhundert Trolle, bewaffnet mit riesigen Schilden und Keulen, vierhundert Elfenbogenschützen und etwa dreihundert Gnome mit Armbrüsten. Die Festung jenseits der Brücke war nur mit Verwundeten besetzt und mit Kobolden, die zu klein waren, um in einer Feldschlacht gegen Menschen anzutreten. Dies hier war das letzte Aufgebot!

»Die Menschen werden verdammt überrascht sein, wenn wir sie angreifen«, sagte Ollowain gut gelaunt. Er hatte sich zu Farodin zurückfallen lassen und marschierte nun an seiner Seite.

»Ich selbst bin auch überrascht, dass ich mit einer Schar von zwanzig Irren gegen eine Schlachtreihe von tausenden Menschen anstürmen werde. Kann es sein, dass du mir gestern Nacht etwas in den Wein getan hast, als du mir davon erzählt hast und ich ganz begeistert war von deiner Idee?«

Ollowain schob sein Helmvisier auf und grinste ihn breit an. »Über die Sache mit dem Wein hatte ich nachgedacht, Farodin. Aber dann habe ich mir gesagt: Wer verrückt genug ist, nur mit einem Menschen an seiner Seite eine Trollburg anzugreifen, der wird sich auch für den heutigen Schlachtplan begeistern.«

In den Reihen der Trolle öffnete sich eine Lücke für die gepanzerten Elfen. Noch vor den Trollen hatten die Bogenschützen Aufstellung genommen. Der Zugang zum Steilweg war in weitem Halbkreis mit angespitzten Pfählen gesichert, die schräg in den Boden gerammt waren. Das Hindernis bot einen guten Schutz gegen die Reiterei. Einen Angriff von Fußsoldaten würde es jedoch nicht aufhalten.

Hinter der schwachen Verteidigungslinie lag ein abfallender Hang, der von breiten grauen Felsbändern durchzogen war. Der Wald, der hier einmal gestanden hatte, war verschwunden. Selbst die Baumstümpfe waren fort. Fahles Gras wuchs nun hier. Der Steinkreis von Welruun lag nur wenige hundert Schritt entfernt. Farodin schluckte. Für einen Moment sah er wieder das blasse Gesicht Aileens vor sich. Das dunkle Blut, das über ihre Lippen quoll.

»Duckt euch!«, befahl Ollowain.

Farodin gehorchte. Wenn sie knieten, waren sie weniger deutlich für die Angreifer zu sehen. Es war wichtig, dass es ihnen gelang, die Menschen zu überraschen!

Etwas mehr als eine Viertelmeile entfernt kamen die Ordenskrieger den Hang hinauf. Dicht wie ein Wald standen die langen Piken über ihren Häuptern. Trommelspiel und Flötenklang ertönten aus ihren Reihen. Es war eine überraschend fröhliche Melodie, die gar nicht wie ein Schlachtlied klang. Die Pikeniere marschierten im Gleichschritt den Hang hinauf. Sie trugen hohe Helme und schimmernde Brustplatten, ganz wie jene Soldaten, die sie vor Firnstayn auf dem Eis gesehen hatten.

»Verteilt euch!«, rief Ollowain. Die Krieger in den Glattharnischen bildeten nun hinter den Bogenschützen versteckt eine weite Linie und achteten sorgfältig darauf, Abstand zueinander zu halten.

Farodins Mund war ganz trocken geworden. Gebannt beobachtete er die vorrückenden Menschen. Wie steigende Flut zerteilten sich ihre Kampflinien vor den einzelnen Felsblöcken am Hang und schlossen sich danach wieder zusammen. Es waren tausende! Allein ihre Masse würde ausreichen, um die Verteidiger über den Rand der Klippe zu drängen.

Scharfe Kommandorufe erklangen entlang der Pikeniere. Die ersten fünf Reihen der Piken senkten sich. Die Bogenschützen der Elfen begannen ihr tödliches Handwerk. Die Luft war erfüllt vom Surren der Pfeile und vom scharfen Klacken der Armbrüste der Gnome. Dutzende Ordenssoldaten der ersten Reihe brachen zusammen. Sofort schlossen sich die Lücken mit Kriegern aus den hinteren Linien.

Schon waren die Feinde nur noch hundert Schritt entfernt. Farodin konnte beobachten, wie Armbrustbolzen blutige, runde Löcher in die Brustplatten der Angreifer stanzten.

Nur noch achtzig Schritt. Der Trommeltakt änderte sich. Die Flöten verstummten. Die ganze Kampfreihe beschleunigte den Marschschritt.

»Zum Angriff!«, erschallte Ollowains Stimme. Der blonde Elf schloss das Visier seines Helms. Farodin nahm den Zweihänder auf. Die Bogenschützen ließen die Krieger in den Harnischen passieren. Die Gnome, die noch vor den Elfen kniend eine Schützenlinie gebildet hatten, zogen sich zurück.

Farodins Hände zitterten. Er riss das Zweihandschwert hoch über den Kopf und beugte sich vor wie ein angreifender Stier. Es war völliger Wahnsinn! Vor ihnen standen tausende Ordenssoldaten, und sie gingen mit zwanzig Mann zum Angriff über!

Noch vierzig Schritt!

Farodin begann zu rennen. Die Piken der ersten Reihe ragten um sechs Schritt vor. Dahinter gestaffelt lagen noch weitere vier Reihen von stählernen Stichblättern. Der Elf sah, wie Unruhe in die Schlachtreihen kam. Die Piken bündelten sich auf einzelne Punkte. Dorthin, wo die Angreifer auf die Reihen treffen würden.

Der Aufprall erfolgte mit viel weniger Wucht, als Farodin erwartet hatte. Knirschend schrammte Stahl auf Stahl. Die Stichblätter der Piken glitten seitlich an seiner Rüstung ab. Farodin hielt weiter den Kopf gesenkt. Wieder ruckte es. Die zweite Reihe der Piken war geschafft. Gellende Schreie erklangen. Farodin ließ sein schweres Schwert kreisen. Krachend zerbrachen die Eschenschäfte.

Farodin spürte, wie ihn etwas an der Halsberge traf und abglitt. Jetzt wagte es der Elf den Kopf zu heben. Er blickte direkt in die entsetzten Gesichter der Männer vor ihm. Noch drei Schritt, und er war heran. Ein Stichblatt glitt seitlich an seinem Helm ab. Die Welt erschien ihm winzig. Die schmalen Sehschlitze ließen ihn nur erkennen, was direkt vor ihm lag. Einige der Ordenssoldaten hatten ihre Piken fallen gelassen und versuchten ihre Dolche und Kurzschwerter zu ziehen. Ein Mann mit einem breitkrempigen Hut fuchtelte mit einem seltsamen Stab herum. Plötzlich gab es einen Knall, und weißer Rauch quoll aus dem hohlen Stab. Farodins schwere Waffe schnitt durch Rüstungen, Fleisch und Knochen. Anderthalb Schritt maß die Klinge des Zweihänders, und nichts vermochte dem Elfenstahl zu widerstehen. So fürchterlich eine Einheit Pikeniere auf dem Vormarsch war, so verwundbar wurde sie, wenn man es an den Stichblättern vorbeigeschafft hatte. Die Offiziere in den hinteren Reihen achteten streng darauf, dass keiner der Männer seine Pike fallen ließ. Doch man brauchte beide Hände, um die schwere, unhandliche Waffe zu halten. Wer die Pike fallen ließ und ein kurzes Schwert zog, der hatte keinen Platz, um in der dicht gedrängten Formation auszuholen. Die Stiche aber glitten wirkungslos von Farodins Harnisch ab. Wie ein Schnitter im Korn, so schlug sich der Elf mit dem Zweihänder durch die dicht gedrängten Reihen der Pikeniere. Blut spritzte ihm durch den Sehschlitz und rann warm seine Wange hinab. Er war gefangen inmitten verzweifelter Schreie, reißenden Metalls und dumpf splitternder Knochen.

Voraus sah Farodin jetzt die funkelnden Stichblätter von Hellebarden. Mit ihrem langen, dreikantigen Dorn, der breiten Hiebklinge und dem Haken auf der Rückseite waren diese Waffen einzig dazu geschaffen, schwer gepanzerte Gegner das Fürchten zu lehren. Der dreikantige Dorn vermochte selbst die besten Rüstungen zu durchdringen, wenn er im rechten Winkel auf eine glatte Fläche auftraf. Das Hiebblatt war schwer genug, jeden Helm oder Schulterpanzer zu spalten, und mit den Haken mochte man nach den Füßen der Feinde angeln, um sie mit einem Ruck niederzureißen und ihnen dann den Dreikantdorn durch das Visier zu stoßen.

Sein Schwert riss einem Mann vor ihm den Kopf von den Schultern. Farodin griff keinen einzelnen Krieger gezielt an. Er ließ die Waffe kreisen, und in dem Gedränge war es schwer, seinem Todeskreis zu entgehen.

Jemand klammerte sich an sein Bein und versuchte ihn zu Boden zu reißen. Der Elf blickte kurz hinab, ohne dass er im Angriff innehielt. Ein verwundeter Ordenssoldat hielt sein linkes Bein umklammert. Farodin rammte ihm den Panzerschuh ins Gesicht. Er fühlte die Zähne des Kriegers splittern. Der Mann ließ los und rollte zur Seite.

Etwas Funkelndes schoss auf Farodin herab. Nur knapp verfehlte ihn das Hiebblatt einer Hellebarde. Eine Gruppe von Hellebardieren hatte sich durch die Formation der Pikeniere zu ihm vorgedrängt. Die Hälfte der Krieger hielt die Waffen gesenkt und zielte mit den Dornen und Haken nach seinen Beinen.

Farodin senkte den Kopf. Etwas traf ihn an der Schulter. Sein linker Arm war halb betäubt vor Schmerz. Der Elf machte einen Satz nach vorn. Das schwere Schwert ruckte. Es zerschmetterte einen Helm und grub sich tief in die Brust des nächsten Kämpfers.

Farodin fühlte, wie sich ein Haken hinter seine linke Ferse setzte. Er versuchte, den Fuß anzuheben, als ihn mehrere Stoßdorne gegen die Brust trafen. Die Klingen glitten zur Seite weg, doch ihr Aufprall brachte ihn vollends aus dem Gleichgewicht.

Er stürzte nach hinten. Das Schwert wurde seinen Händen entrissen. Der Elf versuchte sich zur Seite wegzurollen, doch ein Fuß setzte sich auf seine Brustplatte und drückte ihn zu Boden. Über Farodin glitt der Schatten eines Falken über den wolkenlosen, türkisblauen Himmel von Albenmark. Dann glitzerte ein Dreikantdorn silbern im Sonnenlicht und stieß herab.

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