Das Volk der Freien

Die weiß gewandeten Krieger gaben ihnen Wasser. Dann nahmen sie die drei in ihre Mitte und brachten sie in die Oase. Im Schatten der Palmen wurde Gemüse angebaut und eine Kornsorte, die Farodin nicht kannte. Ein dichtes Netz schmaler Kanäle durchzog den Palmhain, und als sie sich dem See näherten, entdeckte Farodin hölzerne Schöpfräder.

Zwischen den Bäumen standen kleine Lehmhäuser, deren Wände mit aufwändigen geometrischen Mustern bemalt waren. Man sah den Häusern an, mit wie viel Liebe sie gebaut waren und gepflegt wurden. Es gab keinen Balken oder Fensterladen, der nicht mit Schnitzereien geschmückt war. Und doch war dies alles nichts im Vergleich zu der Pracht, die selbst das verlassene Valemas in Albenmark noch besaß. Vor vielen Jahrhunderten waren seine Bewohner gegangen, und niemand wusste zu sagen, wohin. Dies mussten ihre Nachfahren sein. Farodin sah sich aufmerksam um. Er war einmal im alten Valemas gewesen. Jedes Haus dort war ein Palast, und selbst die Straßen hatte man mit Mosaiken ausgelegt. Es hieß, die Bewohner von Valemas hätten sich in ihrem Stolz einst gegen die Königin aufgelehnt. Sie wollten niemanden dulden, der über ihnen stand. Und nach unzähligen Streitereien hatten sie schließlich Albenmark verlassen.

Wie es schien, hatten die Nachkommen der Bewohner des alten Valemas weder den Groll gegen die Königin überwunden noch ihren Stolz abgelegt. Nur in Palästen lebten sie nicht mehr. Entlang des Seeufers standen sieben gewölbte Hallen, wie Farodin noch keine gesehen hatte. Man hatte Palmstämme gebogen, bis sie wie Spanten von Schiffen aussahen, und dann ihre beiden Enden in der Erde verankert. Dazwischen waren Matten aus kunstvoll geflochtenem Schilf gespannt; sie bildeten Wände und Decken der Hallen.

Als sie den Platz zwischen den Schilfhallen erreichten, gab Giliath ihnen das Zeichen abzusteigen. Aus allen Richtungen kamen Neugierige herbei: Frauen in bunten Wickelgewändern und Männer, die Röcke trugen! Sie alle betrachteten die Neuankömmlinge mit stummer Feindseligkeit. Selbst die Kinder lachten nicht.

Einige junge Männer hoben Mandred vom Pferd und brachten ihn fort. Farodin wollte ihnen folgen, doch Giliath trat ihm in den Weg. »Du kannst uns trauen. Wir wissen, was die Wüste dem unvorsichtigen Reisenden antut. Wenn ihm noch zu helfen ist, dann wird er gerettet werden.«

»Warum behandelt ihr uns so herablassend?«, fragte Nuramon.

»Weil wir die Speichellecker Emerelles nicht mögen«, entgegnete die Elfe scharf. »Ein jeder fügt sich ihr in Albenmark. Sie erstickt alles, was anders ist. Wer dort lebt, der lebt in ihrem Schatten. Sie ist eine Tyrannin, die sich anmaßt, allein zu entscheiden, was Recht und was Unrecht ist. Wir wissen sehr genau, wie ihr vor ihr buckelt. Ihr seid doch nur der Staub unter ihren Füßen, ihr …«

»Genug, Giliath«, unterbrach sie eine volltönende Männerstimme. Ein hoch gewachsener Krieger trat aus der Schar ihrer Eskorte hervor. Auf der Faust trug er den Falken, dem er eine bunte Kappe über den Kopf gestülpt hatte. Er neigte knapp sein Haupt zum Gruß. »Man nennt mich Valiskar. Ich bin der Anführer der Krieger in unserer Gemeinschaft und bin verantwortlich für euch, solange ihr unsere Gäste seid.« Er sah Farodin scharf an. »Ich erinnere mich an deine Sippe. Die Nachkommen Askalels standen dem Hof der Königin schon immer sehr nahe, nicht war?«

»Ich bin nicht …«

Valiskar unterbrach ihn. »Was immer du zu sagen hast, kannst du dem Rat vortragen, denn wisse, hier in Valemas entscheidet nicht einer allein! Folgt mir nun.«

Valiskar brachte sie in die größte der sieben Hallen. Dort hatten sich fast hundert Elfen versammelt. Manche standen in kleinen Gruppen zusammen und redeten. Die meisten jedoch hatten sich entlang der Seitenwände auf Teppichen niedergelassen.

Am Ende der Halle saß ein silberhaariger Elf vor dem blauen Pferdebanner von Valemas. Er hatte die Hände im Schoß gefaltet und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Während Farodin und Nuramon durch die Halle schritten, wurde es immer stiller, und die übrigen Elfen wichen zu den Wänden zurück. Je näher sie dem Silberhaarigen kamen, desto deutlicher spürte Farodin die Aura der Macht, die ihn umgab.

Erst als sie unmittelbar vor ihm standen, hob er den Kopf. Die Iris seiner Augen schimmerte wie Bernstein. »Willkommen in Valemas.« Er bedeutete ihnen mit einer Geste, vor ihm auf einem Teppich Platz zu nehmen. Kaum hatten sie sich niedergelassen, eilten zwei junge Elfen herbei und brachten einen Krug mit Wasser, Tonbecher und eine Schale mit getrockneten Datteln.

»Ich bin Malawayn, der Älteste unter den Bewohnern dieser Oase. Ihr müsst die bescheidene Tafel entschuldigen, doch die Tage, da wir im Überfluss lebten, sind lange vergangen. Nun sagt uns, warum ihr die weite Reise von Albenmark bis hierher auf euch genommen habt.«

Abwechselnd erzählten die beiden Gefährten von ihren Reisen und Abenteuern. Je länger ihr Bericht dauerte, desto deutlicher spürte Farodin, wie die Feindseligkeit wich. Es war offensichtlich, dass, wer immer sich gegen Emerelle stellte, auf uneingeschränkte Gastfreundschaft in Valemas hoffen durfte. Als sie ihre Erzählung schließlich beendeten, nickte Malawayn. »Die Königin entscheidet, ohne sich zu erklären. So war es schon immer. In meinen Augen hat sie euch beiden und Noroelle großes Unrecht getan.« Er blickte in die Runde. »Ich glaube, ich spreche im Namen von uns allen, wenn ich euch unsere Hilfe bei eurer Suche anbiete.«

Es war still geworden in der großen Halle. Kein zustimmendes Gemurmel erklang, und kaum jemand bestätigte durch ein Nicken oder eine andere Geste Malawayns Worte. Und doch hätte der Unterschied zu ihrer Ankunft nicht deutlicher sein können. Zwar spürte Farodin immer noch Bitternis, Melancholie und Zorn, doch hatte er nun das Gefühl, in den Herzen der Versammelten Aufnahme gefunden zu haben. Wie diese Leute hier war auch er ein Opfer Emerelles.

»Wie könnt ihr in Eintracht mit den Fremden zusammensitzen?« Ganz am Ende der Halle erhob sich eine junge Frau. Farodin erkannte sie an ihrer Stimme. Es war Giliath, die verschleierte Kriegerin, die am Fuß der Düne mit ihnen gesprochen hatte. Offenbar war sie erst später zur Versammlung gekommen, denn sie hatte die Rüstung und ihre weißen Gewänder gegen einen Wickelrock und eine kurze, seidene Bluse getauscht. So konnte man auch ihr langes, dunkelbraunes Haar sehen, das zu einem Zopf geflochten war. Ihr Körper war so durchtrainiert, dass man ihre Brüste eher ahnen als sehen konnte. Hübsch war sie nicht. Ihr Kinn war zu kantig, die Nase zu groß, doch hatte sie sinnliche, volle Lippen, und ihre grünen Augen sprühten vor Leidenschaft, als sie im Zorn auf Farodin deutete. »Dieser dort hat vor kaum einer Stunde unser Volk mit Blutrache bedroht, wenn wir uns seinem Willen nicht fügen! Vor Emerelle sind wir hierher zurückgewichen. Wir wollten unsere Freiheit. Und nun duldet ihr einen Elfen aus ihrem Gefolge, der uns mit derselben Herablassung behandelt wie seine Herrin. Ich bestehe auf meinem Recht, ihm mit der Klinge besseres Benehmen beizubringen.«

»Stimmt es, dass du unserem Volk mit Blutrache gedroht hast?«, fragte Malawayn kühl.

»Es war anders, als sie sagt …«, begann Farodin, aber der Alte schnitt ihm mit einer knappen Geste das Wort ab. »Ich habe dir eine einfache Frage gestellt. Ich erwarte keine Ausflüchte, sondern eine klare Antwort!«

»Ja, es stimmt. Aber du solltest …«

»Willst du nun auch mir vorschreiben, was ich sollte und was nicht?«

»Es war anders, als es sich anhört«, versuchte Nuramon zu beschwichtigen. »Wir haben …«

»Und du glaubst, du musst mir erklären, wie zu verstehen ist, was ich höre?« Malawayn wirkte eher enttäuscht denn wütend. »Ich hätte es besser wissen müssen. Wer vom Hofe Emerelles kommt, der trägt ihren Hochmut in sich. Gemäß unseren Gesetzen hat Giliath jedes Recht, dich zu fordern, Farodin.«

Farodin konnte es nicht fassen. Wie konnte man nur so verbohrt sein? Die freundschaftliche Stimmung war dahin. Niemand in der Halle wollte mehr hören, was sie zu sagen hatten. »Ich entschuldige mich für meine Worte, und ich möchte mit niemandem kämpfen.«

»Hältst du dich in deiner Selbstgefälligkeit für unbesiegbar, oder führt die Angst deine Zunge?«, fragte Giliath. Breitbeinig stand sie vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt.

»Ist die Beleidigung zu groß, dann kann nur Blut die gesprochenen Worte sühnen«, erklärte Malawayn kühl. »Ihr werdet nach dem Klingenlied tanzen. Euer Zweikampf endet mit dem ersten Blut, das fließt. Wirst du verletzt, dann löscht dein Blut deine Worte. Sollte aber Giliath unterliegen, dann hast du dir einen Platz unter uns errungen, und wir nehmen an, was du sagst, denn wir sind ein freies Volk.«

Farodin zog seinen Dolch. Noch bevor ihm jemand in den Arm fallen konnte, schnitt er sich in den linken Handrücken. »Frauen und Männer von Valemas!« Er streckte die Hand hoch, sodass jeder sehen konnte, wie das Blut seinen Arm hinablief. »Ich habe mein Blut vergossen, um meine Worte zu sühnen. Damit ist der Streit beigelegt.«

Die Versammelten hüllten sich in eisiges Schweigen.

»Du solltest aufhören, uns deinen Willen aufzwingen zu wollen, Farodin. Auch wenn dein Weg durch die Wüste dich entkräftet hat, wirst du dich unseren Gepflogenheiten beugen und kämpfen!« Malawayn erhob sich und klatschte in die Hände. »Bringt die Trommeln. Beim Klingentanz folgt jeder Hieb dem Rhythmus des Trommelschlags. Wir fangen mit einem langsamen Rhythmus an, damit du dich daran gewöhnen kannst. Schnell werden Kampf und Trommelschlag sich gegenseitig im Tempo steigern. Üblicherweise führt jeder Tänzer zwei Klingen. Brauchst du noch eine Waffe?«

Farodin schüttelte den Kopf. Schwert und Dolch reichten ihm. Er stand auf und begann mit Dehnübungen, um seine schmerzenden Muskeln zu lockern.

Nuramon trat an seine Seite. »Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Das ist doch vollkommen verrückt!«

»Ich beginne zu verstehen, warum Emerelle sie nie gebeten hat, nach Albenmark zurückzukehren«, entgegnete er leise. »Doch nun schweig. Wir wollen ihnen nicht noch einen Grund für einen Klingentanz liefern.«

Nuramon griff nach seiner Hand. Angenehme Wärme durchfloss Farodin. Als er die Hand zurücknahm, hatte sich die Schnittwunde geschlossen. »Bring sie nicht um!« Nuramon versuchte aufmunternd zu lächeln.

Farodin sah zu seiner Gegnerin. Valiskar hatte ihr offensichtlich zugetraut, dass sie allein mit zwei Kriegern fertig würde, als er sie die Düne zu ihnen hinabgeschickt hatte. Er sollte sich vor ihr hüten. »Hoffen wir, dass sie mich nicht in Stücke schneidet. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass sie mir lieber die Klinge durchs Herz stoßen würde, als den Zweikampf mit einer kleinen Schnittwunde zu beenden. _Bis zum ersten Blut_. Das kann vieles heißen.«

Farodin schnallte sein Wehrgehänge ab, damit es ihn nicht beim Kampf behinderte. Dann nahm er einen kleinen Ring aus dem Lederbeutel, in dem er das Silberfläschchen und Noroelles Stein verwahrte. Der Ring war das Einzige, was ihm außer Erinnerungen von Aileen geblieben war. Drei kleine, dunkelrote Granate waren in ihn eingelassen; in ihrem Schliff brach sich das Öllicht der Halle. Prüfend strich er mit dem Daumen über die Steine. Sie würden jedes Handschuhfutter ruinieren. Es war lange her, seit er den Ring das letzte Mal getragen hatte.

»Bist du bereit?«, rief Giliath. Sie hatte zwei Kurzschwerter als Waffen gewählt und stand wartend inmitten der Halle.

Unterdessen hatte man zwei Trommeln zum Eingang der Halle gebracht. Sie waren so groß wie die riesigen Weinfässer, die sie bei ihrer Flucht in den Gewölben von Aniscans gesehen hatten. Man hatte sie hingelegt, sodass die Trommelfelle senkrecht aufragten. Ein verschlungenes Knotenmuster war in Schwarz und Rot auf das helle Fell gemalt. Zwei Frauen, die Trommelstöcke vor der Brust verschränkt hielten, warteten auf das Zeichen, dass der Klingentanz beginnen sollte.

Die Gäste in der Halle waren bis zu den Wänden zurückgewichen, sodass nun ein Kampfplatz von rund zwanzig Schritt Länge und fünf Schritt Breite zur Verfügung stand.

Farodin nahm seinen Platz ein.

»Jeder Trommelschlag steht für einen Schritt oder einen Hieb«, erklärte Giliath. »Der vollkommene Schwertkämpfer bewegt sich mit der Leichtigkeit eines Tänzers. Selbst wenn du verlierst, wirst du dein Gesicht wahren, wenn du mit Anmut gekämpft hast.«

Farodin nickte, auch wenn er von Grund auf anderer Meinung war. Er hatte noch nie gekämpft, um jemanden mit seinem Können zu beeindrucken. Er kämpfte, um zu siegen!

Giliath winkte den Trommlerinnen zu. »Beginnt!«

Der erste Schlag ertönte. Giliath machte einen Schritt zur Seite und hob die Waffen. Farodin folgte ihrer Bewegung mit einer Drehung.

Beim nächsten Schlag führte sie langsam einen weit ausholenden Hieb, der auf seinen Kopf zielte. Farodin blockte ihn mit seinem Dolch ab. Jedes Kind hätte diesen Angriff parieren können, dachte Farodin verärgert. Dieser Klingentanz war einfach nur albern!

Die Trommeln erzeugten tiefe Töne, die einem direkt in den Bauch fuhren. Sie wurden abwechselnd geschlagen, sodass jeder Ton lange nachhallte.

Ganz langsam steigerte sich das Tempo. Auch wenn Giliath sich zunächst mit seltsam überzeichneten Gesten bewegte, war sie zweifellos eine erfahrene Kämpferin. Farodin fügte sich zwar dem Rhythmus, doch verzichtete er darauf, Giliaths Stil zu kopieren, um sich bei den Zuschauern einzuschmeicheln. Er parierte mit sparsamen Bewegungen und verhielt sich defensiv, um die Bewegungen seiner Gegnerin zu studieren.

Je schneller der Trommelschlag wurde, desto fließender wurden die Angriffe der Kriegerin. Schlag folgte auf Schlag. Sie trieb ihn vor sich her, sprang dann wieder zurück, umtanzte ihn spielerisch und stieß plötzlich wieder vor. Trommelschlag und das Klirren von Stahl mischten sich zu einer Melodie, die nun auch Farodin immer mehr gefangen nahm. Ohne nachzudenken, bewegte er sich im Einklang mit dem Rhythmus und begann Gefallen an dem Kampf zu finden.

Plötzlich ging Giliath in die Hocke und wich überraschend einem Hieb aus, statt ihn zu parieren. Schnell wie ein Vipernstoß schnellte ihre Klinge vor. Farodin versuchte auszuweichen, doch der Stahl durchschnitt die Reithose. Der Trommelschlag verstummte.

Lächelnd stand die Kriegerin auf. »Du warst nicht schlecht für einen Speichellecker der Königin.«

Farodin tastete nach seinem Hosenbein. Er spürte keinen Schmerz. Doch das hieß nichts, wenn man mit sehr scharfen Klingen kämpfte. Vorsichtig zerteilte er den Stoff. Sein Oberschenkel war unverletzt. Sie musste ihn um Haaresbreite verfehlt haben.

Giliath runzelte die Stirn. »Glück!«, rief sie in die Runde.

Farodin lächelte überlegen. »Wenn du meinst.« Er konnte sehen, wie ihre Überheblichkeit bröckelte. Sie würde jetzt versuchen, schnell einen weiteren Treffer zu landen. Und vielleicht würde sie in ihrem Ungestüm ihre Deckung vernachlässigen.

»Dann machen wir eben weiter.« Giliath hob die Klingen und bezog eine eigentümliche Grundstellung. Das Schwert in ihrer Linken hielt sie wie zum Angriff vorgestreckt. Das in der Rechten aber hatte sie über den Kopf gehoben und nach vorn gewinkelt, sodass die Spitze auf Farodins Herz zeigte. Sie erinnerte Farodin an einen Skorpion, der drohend den Stachel erhoben hatte.

Diesmal wurde der Trommelschlag rasch schneller. Giliath machte einen ungestümen Ausfall und bedrängte ihn hart. Doch sie führte keinen einzigen Hieb mit der Rechten. Die ganze Zeit hielt sie ihr zweites Schwert drohend erhoben, bereit zuzustoßen, sobald sich die Gelegenheit fand.

Farodin war verblüfft vom Tempo der Kriegerin und davon, dass sie ihn erneut in die Defensive trieb. So schnell erfolgten ihre Angriffe, dass er kaum Gelegenheit zu Riposten fand. Er musste dieses Spiel beenden, sonst tat sie es!

Ihre Linke schnellte vor. Ein Stich, der auf seine Hüfte zielte. Gerade noch fing er den Angriff ab und gab vor, leicht zu straucheln. Dabei öffnete er weit die Deckung vor seiner Brust.

Darauf hatte Giliath gewartet. Wie ein Stachel fuhr ihre zweite Klinge nieder. Farodin drehte sich in ihren Angriff hinein. Sein Dolch schnellte hoch. Klirrend schlug Stahl auf Stahl. Sie standen nun so dicht beieinander, dass er Giliaths Atem auf seiner Wange spüren konnte. Die beiden Klingen hatten sie auf Kopfhöhe gekreuzt. Nur einen Herzschlag verharrten sie. Dann wich Giliath zurück. Farodin streifte sie leicht mit der Hand an der Wange und trat ebenfalls zurück.

»Der Kampf ist beendet!«, verkündete er mit lauter Stimme, und jeder in der Halle konnte sehen, dass er gewonnen hatte. Ein feiner Blutfaden rann vom Schnitt in Giliaths Wange ihren Hals hinab.

Sie legte ein Schwert ab und tastete ungläubig über ihr Gesicht. Fassungslos sah sie das Blut an ihren Fingern. Doch statt aufzubegehren, verneigte sie sich knapp. »Ich beuge mein Haupt in Demut vor dem Sieger und entschuldige mich für meine Worte«, sagte sie mit tonloser Stimme, offenbar noch immer erschüttert vom unvermuteten Ende des Kampfes.

Rings herum erhoben sich zornige Stimmen. Viele waren nicht bereit, diesen Ausgang des Kampfes anzuerkennen. Laut wurde über die Heimtücke des Höflings geschimpft.

Nuramon eilte an Farodins Seite, um ihn zu beglückwünschen und zu umarmen. »Wie hast du das gemacht?«, flüsterte er.

»Der Ring«, entgegnete Farodin. Er löste sich aus der Umarmung und hob die Hand, sodass man deutlich das kleine Schmuckstück mit den scharfkantig geschliffenen Steinen sehen konnte. Ihr tiefes Rot ließ sie wie in Gold gefasste Blutstropfen erscheinen.

»Ich fordere dich zum Klingentanz!« Ein junger Krieger baute sich vor Farodin auf. »Die Art, wie du den Kampf für dich entschieden hast, war unehrenhaft und beleidigt mich und mein ganzes Volk.«

Farodin stieß einen tiefen Seufzer aus. Gerade wollte er dem Krieger etwas erwidern, als Malawayns Stimme den Tumult übertönte. »Meine Brüder, der Streit ist entschieden. Bis zum ersten Blut, so hieß es. Und nirgends steht geschrieben, dass das Blut durch eine Klinge vergossen werden muss. Erkennen wir den Ausgang des Kampfes an, auch wenn dieser Sieg mehr aus Verschlagenheit denn aus kämpferischem Geschick geboren wurde.«

Trotz Malawayns Einschreiten legte sich die Aufregung nur allmählich. Viele der jüngeren Elfen verließen erzürnt die Halle.

Der silberhaarige Elf aber lud sie mit einer Geste ein, an seiner Seite Platz zu nehmen. Er goss ihnen von seinem Wein ein und reichte ihnen Obst von dem schweren silbernen Teller, der vor ihm auf dem Teppich stand. Ganz allmählich wurde es wieder ruhiger in der Halle.

Nachdem sie miteinander gegessen hatten, bat Malawayn sie von Albenmark zu berichten. Es war Nuramon, der daraufhin das Wort ergriff und sich nach Kräften mühte, was geschehen war, vergessen zu machen. Farodin beneidete ihn um die Fähigkeit, so lebendig zu erzählen, dass man glaubte, Albenmark vor sich zu sehen.

Im Gegenzug hörten die Gefährten vieles vom Leben in der Wüste. Die Elfen von Valemas hatten aus einer schlammigen Wasserstelle eine blühende Oase geschaffen. Lange hatten sie nach diesem Ort gesucht, denn wie ihre Ahnen liebten sie das Wüstenland. Und sie scherzten darüber, dass die Hitze der Wüste sie so heißblütig gemacht hätte.

Auch erzählten sie, dass sie oft in die Welt der Menschen ritten. Die Sterblichen dort nannten sie Girat, was in ihrer Sprache so viel wie Geister heißt, und sie behandelten die Elfen von Valemas mit großem Respekt.

»Wann immer sie uns begegnen, bestehen sie darauf, uns zu beschenken.« Malawayn lächelte. »Ich glaube, sie halten uns für so etwas wie Räuber.«

»Und ihr belasst sie in diesem Glauben?« Kaum war der Satz über seine Lippen, da tat es Farodin schon Leid.

»Wir haben keine Wahl. Es fehlt uns hier an so vielem, dass wir jedes Geschenk dankbar annehmen. Wir haben deshalb unsere Ehre nicht aufgegeben. Wir nehmen uns nichts mit Gewalt, obwohl wir dies leicht tun könnten.« Er senkte das Haupt und blickte auf das verschlungene Muster des Teppichs. »Was mir am meisten fehlt, ist der Sternenhimmel von Albenmark.«

»Und wenn ihr euren Frieden mit der Königin macht?«, warf Nuramon ein.

Malawayn sah ihn überrascht an. »Wir Elfen von Valemas mögen vieles verloren haben, doch nicht unseren Stolz. Nach Albenmark kehren wir nur zurück, wenn Emerelle uns darum bittet und sie uns unsere Freiheit auch dort gewähren wird.«

Also werdet ihr niemals wiederkehren, dachte Farodin bei sich.

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