Eine Gottesgabe

Nur noch wenige hundert Schritt trennten die _Zermalmer_ von den Langbooten der Fjordländer. Acht Schiffe folgten der Galeasse des Herzogs. Die übrigen hielten mit dem Flaggschiff des Königs auf das westliche Ende der Schiffsbarriere zu, wo die Ordensritter inzwischen die Übermacht gewonnen hatten. Wenn man sie nicht aufhielt, würden sie von der Flanke aus die ganze Verteidigungslinie der Fjordländer aufrollen.

Der Rauch, den sie von fern auf dieser Seite des Fjords gesehen hatten, war verflogen. Farodin entdeckte die Wracks von drei ausgebrannten Schiffen, die dicht unter der Küste trieben. Die Brände waren verloschen.

Der Elf fand es befremdlich, dass der König sich ausgerechnet den Teil des Schlachtfeldes aussuchte, vor dem ihn Skanga ausdrücklich gewarnt hatte.

»Es ist das Vorrecht des Königs, dort zu kämpfen, wo man den meisten Ruhm gewinnen kann«, sagte die Schamanin ungefragt.

Farodin fuhr wütend herum.

»Nein, ich werde nicht aufhören, in deinen Gedanken zu lesen.« Ihre Augen blitzten. »Nicht, so lange dein Wunsch, ihn tot zu sehen, nicht verloschen ist.«

Der Herzog ignorierte sie beide. Er winkte den Kriegern mittschiffs zu. »Schafft neue Deckbrecher heran!«

Farodin beugte sich seitlich über das Schanzkleid, um zu sehen, was Orgrim zu diesem Befehl veranlasste. Drei kleine Koggen hatten sich aus dem Pulk der Ordensschiffe gelöst und kamen ihnen mit dem Mut der Verzweiflung entgegengesegelt. Sie sind verrückt, dachte der Elf. Hoffnungslos verrückt! Eigentlich konnten sie sich auch gleich selbst die Kehlen durchschneiden. Das Schicksal der anderen Schiffe, welche die Trollflotte angegriffen hatten, konnte den Rittern und Seeleuten auf den drei Koggen schwerlich entgangen sein. Und trotzdem wagten sie diese unsinnige Attacke!

Neue Steine wurden aus einer Frachtluke an Deck gehoben und entlang der Reling der _Zermalmer_ aufgeschichtet. Farodin konnte hören, wie die Trolle miteinander scherzten und Wetten abschlossen, wem es gelingen würde, den Hauptmast zu zerschmettern.

Neben den Steinen lagen die Leichen einiger Seeleute. Die Trolle hatten sie nach dem kurzen Gefecht mit dem Dreimaster aus der See gezogen. Farodin ahnte schon, warum man dieses Fleisch an Bord geholt hatte. Die Sitten seiner Verbündeten ekelten ihn.

»Man muss das Herz eines toten Feindes gegessen haben, um in meinem Volk als Krieger anerkannt zu werden«, sagte die Schamanin mit heiserer Stimme. »Viele junge Trolle werden heute Nacht von ihren Fürsten in den Bund der Krieger aufgenommen werden. Wir ehren unsere Feinde damit. Keinem Troll würde es jemals einfallen, das Fleisch eines Feiglings zu essen.«

»Ich will das nicht hören!« Farodins Hände schlossen sich fester um die Reling. Er beugte sich ein wenig weiter vor, um die Kogge, die auf die _Zermalmer_ zuhielt, besser sehen zu können.

»Für dich gibt es nur einen Weg zu leben, nicht wahr, Elf? Alles, was auch nur um einen Zoll davon abweicht, ist falsch.«

Farodin verschloss sich vor den Worten der Alten. Es gab nichts, was die widerlichen Sitten der Trolle rechtfertigte.

An Bord der kleinen Kogge schien Panik ausgebrochen zu sein. Seeleute hieben mit Äxten auf Fässer ein, die an Deck vertäut waren. Eine ölige Flüssigkeit schwappte knöchelhoch über die Planken und rann in schillernden Schlieren aus den Speigatten.

Nur wenige Schritt trennten die beiden Schiffe noch voneinander. »Die Ruder auf!«, rief Orgrim. Sofort verstummte die Kesselpauke unter Deck.

Die Kogge verschwand im toten Winkel vor dem Rumpf der Galeasse. Farodin konnte sehen, wie sich einige Seeleute mit einem Sprung ins Wasser retteten. Dann gab es einen gewaltigen Schlag. Der Elf wurde von der Wucht des Aufpralls hart gegen die Reling geschleudert.

Von den Achterkastellen der Priesterschiffe, die voraus zum Pulk verkeilt waren, stiegen dunkle Rauchfäden steil in den Himmel. Brandpfeile!

Knirschend schrammte die steuerlose Kogge an der Galeasse der Trolle entlang. Ein Stück entfernt schlugen die Brandpfeile in die See. Die Priester hatten zu kurz geschossen.

»Bringt Wasserfässer an Deck!«, rief der Herzog.

Farodin wunderte sich über den sinnlosen Angriff. Hunderte dunkler Streifen malten sich nun gegen das Blau des Himmels ab. Die Trollschiffe waren fast außer Reichweite der Bogenschützen. Die meisten Pfeile fielen wieder zu kurz.

Farodin betrachtete das verlassene Schiff. Die Kogge zog einen breiten schillernden Streifen hinter sich her. Schlieren hafteten nun auch an der Bordwand der Galeasse. Einige Trolle bemühten sich, das kleine Schiff mit Stangen fortzudrücken.

Farodin versuchte zu durchschauen, was der Plan hinter diesem Angriff sein mochte. Das alles ergab keinen Sinn … Noch zwei weitere Schiffe der Flotte waren mit kleinen Koggen zusammengestoßen. Doch so weit er beobachten konnte, hatten die Galeassen keinen Schaden davongetragen.

Ein Schauer Pfeile fiel vor ihnen in die See. Zischend verloschen die Geschosse. Eines jedoch hinterließ eine kleine Flamme, die auf dem Wasser trieb.

Feuer, das auf Wasser brennt! Farodin musste an die Flotte der Ordenspriester im Hafen von Iskendria denken. Die Schreckensbilder waren noch frisch in seiner Erinnerung. Auch wenn in der Menschenwelt die Eroberung der Hafenstadt viele Generationen zurücklag, waren für ihn seitdem nur wenige Monde vergangen.

Der Elf fuhr herum. Jetzt fügte sich alles zu einem deutlichen Bild zusammen. Die Menschen wollten das Feuer so weit wie möglich von ihrer eigenen Flotte entfernt entfachen. Es gehörte zum Plan, dass die Koggen fast außerhalb der Bogenschussweite ihre Rammmanöver durchgeführt hatten. Doch warum hatte nicht ein Fanatiker die Schiffe selbst mit einer Fackel entzündet? Hatte man Angst gehabt, sie würden zu früh in Brand geraten?

»Weg von dem Schiff!«, rief Farodin und eilte auf den Steuermann zu. Dabei deutete er auf die schillernden Schlieren, die überall auf dem Wasser trieben. »Wir dürfen dort nicht hineingeraten! Lasst die Ruder wieder ausfahren. Wir müssen sofort wieder Fahrt aufnehmen.«

»Was ist los mit dir, Elf?«, fragte der Herzog überrascht. »Kommen wir dir immer noch nicht schnell genug in den Kampf?«

»Wir kommen nie mehr in den Kampf, wenn wir nicht schnell handeln!«

Orgrim runzelte die Stirn. Die Schnittwunde in seiner Kopfhaut riss wieder auf. Ein Tropfen Blut rann seitlich an seiner breiten Nase herab.

»Die Ruder werden ausgefahren, sobald wir die Kogge passiert haben. Wir können uns nicht leisten, weitere Riemen zu verlieren«, entschied der Herzog und wandte sich ab.

»Bei den Alben, Orgrim! Sie haben das Feuer Balbars gestohlen! Die Wunderwaffe, die den Flotten Iskendrias jahrhundertelang die Herrschaft auf der Aegilischen See sicherte. Wir sind des Todes, wenn wir nicht von diesen treibenden Ölflecken wegkommen. Nichts vermag diese Flammen zu löschen, wenn sie einmal entfacht sind!«

»Ich werde nicht …«, begann der Herzog, als steuerbord eine Stichflamme aus der See schoss. Im selben Augenblick fing eine jener beiden Koggen Feuer, die weiter im Westen angegriffen hatten. Flammen leckten die hohen Bordwände der _Knochenreißer_ empor. Rings um das Schiff stand die See in Flammen. Obwohl der Brand mehr als dreißig Mastlängen entfernt lag, spürte Farodin seinen Gluthauch auf den Wangen. Gestalten, in Flammen gehüllt, sprangen von Bord der _Knochenreißer_. Gellende Schreie klangen über das Wasser, das sie vor dem Feuer nicht retten konnte.

Steuerbord gab es einen dumpfen Schlag. Der Mast der Kogge, die sie gerammt hatte, verfing sich an den ausladenden Aufbauten des Achterkastells der _Zermalmer_. Knirschend rieben die Schiffsrümpfe aneinander, und die wuchtige Galeasse, die immer noch Fahrt machte, zog das kleinere Schiff mit sich.

»Zimmermann«, schrie Orgrim. »Auf das Achterdeck. Kappt die Rahen! Die Ruder raus!« Unter Deck ertönte der dröhnende Klang der Kesselpauke. »Zurück! Rudert zurück!« Orgrim packte seinen Kriegshammer und lief zum Schanzkleid, um auf Rahen und Takelage einzuschlagen, die sich dort verfangen hatten.

Farodin hatte den ersten Schreck überwunden und eilte nun dem Herzog zur Seite. Verzweifelt drosch er auf die Seile der Takelage ein. Orgrim schlang sich ein dickes Tau um den Leib und ließ sich an der Bordwand hinab, um besser an die Rahe der Kogge zu kommen. Das gereffte Segel hielt das zersplitterte Holz noch immer zusammen. Tuch und Seile hatten sich an einer Stützstrebe unter den Aufbauten des Achterkastells der _Zermalmer_ verfangen.

Orgrim warf den schweren Kriegshammer zurück auf Deck und versuchte mit bloßen Händen das Takelwerk zu zerreißen. Sein Gesicht war schweißüberströmt. Er blickte zu Farodin auf. »Na, wünschst du dir zum ersten Mal, dass ich nicht sterbe?«

Der Elf schob sein Schwert in die Scheide zurück und kletterte auf das Schanzkleid. »Ich wünsche mir, dass du mit deinen dummen Reden aufhörst und deine Arbeit machst.« Mit einem weiten Satz sprang er ab und schlug gegen die Rahe. Seine Hände krallten sich in die Taue. Er schwang ein Bein hoch und fand einen sicheren Sitz. Dann zog er einen Dolch und zerschnitt mit stummer Verbissenheit das Segeltuch.

Plötzlich rutschte Orgrim zur Seite, pendelte an dem Haltetau und schlug hart gegen die Bordwand der _Zermalmer_. Jubelrufe erklangen auf dem Achterdeck. Die Galeasse war freigekommen. Farodin saß noch auf der unbeschädigten Hälfte der Rahstange. Mit jedem Herzschlag vergrößerte sich der Abstand zum Trollschiff.

Orgrim stieß sich von der Bordwand ab und schwang sich in Richtung der Kogge. Doch das Seil war zu kurz. »Spring, du verdammter Elf!«, schrie ihn der Troll an und reckte ihm seine breite Hand entgegen.

Vom Pulk der verkeilten Schiffe stiegen wieder dunkle Rauchfäden in den Himmel. Diesmal schienen alle Bogenschützen auf die _Zermalmer_ angelegt zu haben.

Загрузка...