»Möge das Feuer euch durch die Dunkelheit geleiten.« Farodin hielt die Fackel an den Scheiterhaufen, den sie aufgeschichtet hatten. Nur langsam griffen die Flammen auf die Fichtenzweige über. Dichter weißer Rauch quoll zum Himmel. Noch trug er den Geruch des Waldes in sich, den Duft von Fichtennadeln und Harz.
Farodin wandte sich ab. Stunden hatten sie gearbeitet, um den Scheiterhaufen aufzurichten. Weil es unmöglich war, den toten Kentauren zu bewegen, hatten sie schließlich Brandan und Lijema zur Lichtung gebracht.
Mandred kniete neben dem Feuer. Seine Lippen bewegten sich stumm. Der Mensch überraschte Farodin. Er schien Aigilaos ins Herz geschlossen zu haben, als wäre er ein Bruder. Und das in so kurzer Zeit!
Der Wind drehte. Wie ein dichter Schleier griff der Rauch nach ihnen. Schon lag ein erster Hauch von brennendem Fleisch in der Luft.
Farodin kämpfte einen Anflug von Übelkeit nieder. »Wir müssen aufbrechen. Uns läuft die Zeit davon.«
Nuramon sah ihn vorwurfsvoll an, als hätte er kein Herz. Oder ahnte er etwas? Vanna hatte nicht feststellen können, woran Brandan gestorben war. Farodin hatte den anderen diesen Teil seines Zwiegesprächs mit dem Devanthar verschwiegen. Er wollte ihnen nicht den Mut nehmen, sagte er sich. Sie durften nicht wissen, dass der Devanthar nur mit einem Gedanken töten konnte! Vielleicht war es ja auch nur Trug. Vielleicht war Brandan auch an etwas anderem gestorben. Es reichte, wenn er sich mit dieser Frage quälte.
»Brechen wir auf!« Mandred erhob sich und klopfte sich den Schnee von der Hose. »Folgen wir dieser Missgeburt und bringen sie zur Strecke.«
Die Sprache des Fjordlandes klang wie ein drohendes Zischeln in Farodins Ohren. Die Königin musste sich geirrt haben. Dieser Mensch würde sie nicht verraten. Er war nur ein Opfer des Devanthars, wie sie alle!
Der Elf zog sich in den Sattel. Er fühlte sich müde. Mit der Zuversicht hatte ihn auch ein guter Teil seiner Kraft verlassen. Oder war es das Schuldgefühl? Würde Brandan noch leben, wenn er, Farodin, nicht gezögert hätte? Er blickte zu den Wölfen. Nur zwei der wilden Jäger begleiteten sie noch. Sie hatten die Ruten ängstlich zwischen die Hinterbeine geklemmt und hielten sich nahe bei den Reitern, als sie die Lichtung verließen.
Farodin lenkte seinen Braunen dicht an die Seite des Menschensohns. »Was ist das für ein Ort – die Höhle des Luth?«
Mandred schlug mit fahriger Geste ein Zeichen in die Luft. »Ein Ort der Macht«, flüsterte er. »Luth, der Weber der Schicksalsfäden, soll dort einen langen Winter verbracht haben. Es war so kalt, dass die Wände der Höhle weiß von seinem Atem wurden.« Der Krieger reckte das bärtige Kinn vor. »Es ist ein heiliger Ort. Wir werden den Manneber dort zur Strecke bringen, denn die Götter werden an unserer Seite sein, wenn …« Der Blick des Menschen heftete sich auf den polierten Schaft der Saufeder, die quer vor ihm auf dem Sattel ruhte.
»Wenn was?«, setzte Farodin nach.
»Wenn sie uns gestatten, dorthin zu kommen.« Mandred deutete nach Norden. »Die Höhle liegt hoch in den Bergen. Die Pässe werden tief verschneit sein. Niemand geht dort mitten im Winter hin.«
»Du warst aber schon einmal dort?«, fragte der Elf misstrauisch.
Mandred schüttelte den Kopf. »Nein, aber die Eisenbärte werden uns den Weg weisen.«
»Eisenbärte? Was ist das?«
Mandred lächelte flüchtig. »Keine Feinde. Man muss sich nicht vor ihnen fürchten. Jedenfalls nicht wir. Es sind die Trolle, die ihnen aus dem Weg gehen. Die Priester haben sie gebracht. Sie sind aus den Stämmen heiliger Eichen geschnitten. Bilder der Götter. Wer immer zur Höhle des Luth zieht, der opfert ihnen. So gewinnt man ihr Wohlwollen … jedenfalls meistens. Die hölzernen Statuen haben lange Bärte. Man stößt eiserne Gegenstände hinein. Nägel, ein altes Messer, das zerbrochene Blatt einer Axt. So werden aus hölzernen Bärten mit der Zeit Eisenbärte.«
»Du beschenkst deine Götter mit Nägeln?«, fragte Farodin ungläubig.
Mandred sah ihn missbilligend an. »Wir leben hier im Fjordland nicht im Reichtum. Eisen ist kostbar. Ein Kettenhemd, wie es in der Burg deiner Königin jeder Wächter trägt, besitzen in meinem Land nur Fürsten und Könige. Unsere Götter wissen das!«
Und die Trolle fürchten Eisen, dachte Farodin, hütete sich aber seine Gedanken auszusprechen. Ihre Waffen waren stets aus Holz oder Stein. Der Elf dachte an die Schlacht bei Welruun, als die Trolle den Steinkreis zerstört hatten, der in das Tal ihrer Königshöhlen führte. Sie brauchten kein Eisen und keinen Stahl. Ihre Kraft reichte, um mit bloßer Faust einen Helm einzuschlagen, doch war ihnen die Berührung von Eisen unangenehm. Und so boten Rüstungen doch einen gewissen Schutz gegen diese Unholde. Voller Ekel erinnerte sich Farodin an die Kämpfe mit den hünenhaften Ungeheuern. Wann immer er an sie dachte, hatte er den ranzigen Geruch in der Nase, der von ihnen ausging.
»Ihr müsst den Eisenbärten opfern«, schreckte ihn die Stimme des Menschen aus seinen Gedanken. »Selbst wenn ihr nicht an sie glaubt.«
»Sicher doch.«
Farodin nickte beiläufig. Er hätte die Erinnerung nicht aufwühlen sollen. Aileen! Die Trolle hatten sie getötet, nur fünf Schritt von ihm entfernt. Er erinnerte sich an ihren Blick, als die mächtige Steinaxt ihr Kettenhemd zerteilt hatte, als wäre es dünne Seide. Siebenhundert Jahre waren vergangen, bis er wieder lieben konnte. All die Jahrhunderte hatte er nicht aufgehört zu hoffen. In den Trollkriegen war Aileens ganze Familie umgekommen, und so hatte es lange gedauert, bis sie wiedergeboren wurde. Und niemand hatte wissen können, in welche Familie sie geboren wurde. Farodin hatte Jahrhunderte dafür gebraucht, einen Suchzauber zu erlernen und sie schließlich in Alvemer aufzuspüren. Sie war als Noroelle zurückgekommen, doch er hatte der Elfe nie etwas über ihre Vergangenheit verraten. Er wollte, dass sie sich noch einmal in ihn verliebte, dass es reine Liebe war und nicht nur Zuneigung, geboren aus dem Gefühl einer alten Verpflichtung. Siebenhundert Jahre …
»Du hast Angst vor den Trollen, nicht wahr?« Mandred richtete sich im Sattel auf. Seine Hand strich über den Schaft der Saufeder. »Keine Sorge! Hiervor werden sie Respekt haben. Und meine Sippe fürchten sie auch. Sie haben keinen meiner Ahnen töten können.«
»Dann haben deine Ahnen und ich ja etwas gemeinsam«, entgegnete Farodin grimmig.
»Wie meinst du das? Bist du etwa schon einmal einem Troll begegnet?«, fragte der Menschensohn ehrfürchtig.
»Sieben haben die Begegnung mit mir nicht überlebt.« Farodin lag es nicht, mit seinen Taten zu prahlen. Alles Trollblut hatte den lodernden Hass in ihm nicht auslöschen können.
Mandred lachte. »Sieben Trolle! Niemand tötet sieben Trolle.«
»Glaub es oder nicht«, herrschte Farodin ihn an. Er zog seinen Hengst am Zügel herum und ließ sich zurückfallen, bis Nuramon und Vanna ihn überholt hatten. Er wollte allein sein, mit sich und seinen Gedanken.