Er würde sich nichts anmerken lassen, dachte Mandred. Immer einen Schritt nach dem anderen. Zwei Tage waren sie nun schon in diesem trostlosen Land. Nuramon behauptete, sie folgten einem von drei Wegen, aber er sah keine Anzeichen dafür. Wenigstens hatten sie die Dünen hinter sich gelassen. Vor ihnen lag eine endlose Ebene. Wie Knochen riesiger Ungeheuer stachen weiße Felsen durch den Sand.
Er konnte die besorgten Blicke der anderen nicht mehr ertragen. »Mir geht es gut«, knurrte er Farodin an. Verdammtes Elfenpack! Ihnen schien die Hitze kaum etwas auszumachen. Sie schwitzten nicht einmal!
Mandred fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sein Mund war trocken, und die Lippen fühlten sich an wie raue Hanfseile. Die Haut war aufgesprungen und von Schorf bedeckt. Sein Gesicht schmerzte, so verbrannt war es von der gnadenlosen Sonne.
Er sah nach seinem Schatten. Er war noch viel zu groß! Noch etliche Stunden bis Mittag! Und schon jetzt war die Hitze unerträglich.
Mandred straffte sich. Nur keine Schwäche zeigen! Wieso hielten die Elfen das nur so gut aus? Nuramon wirkte ein wenig erschöpft, er war längst nicht so ein harter Bursche wie Farodin. Aber selbst er hielt sich gut. Mandred dachte zurück an die Zeit, als sie Jagd auf den Manneber gemacht hatten. Nuramon hatte irgendeinen Zauber gewirkt, der warme Luft unter seine Kleider geweht hatte. Mitten im kältesten Winter hatte der Elf nicht gefroren. Ob sie die Luft unter ihren Kleidern vielleicht auch abkühlen konnten? War das ihr Geheimnis? Es musste etwas in dieser Art sein.
Auch er hatte inzwischen aufgehört zu schwitzen, dachte Mandred müde. Aber nicht, weil er sich an die Hitze gewöhnt hätte. Er war ausgetrocknet wie ein Stück alter Schafskäse. Wieder fuhr seine Zunge über die trockenen Lippen. Sie war angeschwollen.
Mandred griff nach dem Sattelhorn seiner Stute. Selbst ihr schien die Hitze nicht so viel auszumachen. Heute Morgen hatte er sein letztes Wasser mit ihr geteilt. Sie hatte ihn dabei aus ihren großen, dunklen Augen angesehen, als hätte sie Mitleid mit ihm. Pferde, die Mitleid mit Menschen hatten! Die Hitze machte ihn wohl wahnsinnig!
Es war unheimlich still hier in der Wüste. Leise konnte man hören, wie der Wind die Sandkörner aneinander rieb.
Schritt für Schritt. Weiter vorwärts. Das Pferd zog ihn. Sich aufzustützen tat gut. Die beiden Elfen führten ihre Pferde am Zügel. Er ließ sich von seinem Pferd führen! Und er hatte nicht mehr die Kraft, dagegen aufzubegehren.
Der Wind frischte auf. Mandred stieß ein raues, kehliges Geräusch aus. Früher wäre es einmal ein Lachen gewesen. Frischer Wind! Nur Wind. Ein Wind, so heiß wie der Gluthauch, der einem entgegenschlug, wenn ein Bäcker seinen Ofen öffnete. Welch ein beschissenes Ende für einen Krieger! Er hätte heulen können. Aber da waren keine Tränen mehr. Er war ausgedörrt wie ein alter Apfel. So ein elender Tod!
Er hob den Kopf. Die Sonne stach ihm ins Gesicht, ihre Strahlen waren wie Dolche. Mandred wandte sich leicht zur Seite. Sein Blick schweifte zum Horizont. Nichts, kein Ende der Wüste. Nur weiße Felsblöcke und gelber Sand.
Es begann wieder! Die Luft schmolz. Sie wurde dicker und schlierig. Fast wie Sülze. Sie zitterte und zerfloss dann. Würde auch er zerfließen ganz am Ende? Oder wäre er irgendwann so ausgetrocknet, dass er plötzlich Feuer fing? Vielleicht würde er auch einfach nur umfallen und aufhören zu leben …
Mandred zerrte den Wasserschlauch vom Gürtel, zog den Verschluss ab und setzte das aus Horn geschnitzte Mundstück an die Lippen. Nichts. Er wusste, dass er den Schlauch längst leer getrunken hatte. Aber ein einziger Tropfen würde ihm genügen! Nur eine Erinnerung an Wasser. Verzweifelt wrang er das Leder. Warme Luft fauchte durch das Mundstück. Hustend ließ er den Wasserschlauch fallen.
Argwöhnisch blickte er zu Farodin, der vor ihm ging. Sein Schlauch war größer. Bestimmt hatte er noch Wasser und wollte es nicht teilen.
Er würde nicht betteln, ermahnte sich Mandred. Was die Elfen aushielten, das schaffte er auch. Er war viel größer und stärker als diese beiden Mistkerle. Das konnte gar nicht sein, dass sie diese Qualen besser aushielten als er. Bestimmt hatten sie größere Wasserschläuche. Oder vielleicht hatten sie auch verzauberte Wasserschläuche, die niemals leer wurden. Oder … Ja, das war es! Kein Zauber, nein! Sie hatten nachts, als er schlief, von seinem Wasser gestohlen! Nur so war zu erklären, dass sie noch immer weiterlaufen konnten, Schritt um Schritt durch diesen verfluchten Sand. Aber ihn, Mandred Torgridson, würden sie nicht betrügen. Seine Finger tasteten nach der Axt an seinem Gürtel. Er würde sie beobachten. Und wenn sie nicht damit rechneten, dann würde er zuschlagen. Ihm sein Wasser zu stehlen! Niederträchtiges Pack! Und das nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten.
Seine Rechte glitt vom Sattelhorn. Er taumelte noch ein paar Schritt, dann brach er in die Knie. Sofort war Nuramon an seiner Seite. Seine Haut sah rosig aus. Dunkle Ringe malten sich unter seinen Augen ab … Doch die Lippen waren nicht aufgeplatzt. Er hatte genug zu trinken! Sein Wasser! Mandreds Linke krampfte sich um den Holzschaft der Axt. Er schaffte es nicht, die Waffe aus seinem Gürtel zu ziehen. Nuramon beugte sich weiter vor. Seine Hände waren angenehm kühl. Sie strichen Mandred über das Gesicht. Das Brennen hörte einfach auf.
Ganz dicht über sich sah Mandred die Kehle des Elfen. Eine Kehle voll köstlich nassem Blut. Er musste nur zubeißen. Gewiss hätte er noch die Kraft, die Kehle mit den Zähnen zu zerreißen. Die Vorstellung, wie das Blut sein geschundenes Gesicht benetzen würde, ließ Mandred lustvoll aufseufzen.
»Nuramon?« Zum allerersten Mal hörte Mandred Angst in Farodins Stimme. »Was ist das?«
Der Elfenkrieger war stehen geblieben und deutete zum südlichen Horizont. Ein schmaler, brauner Streifen hatte sich zwischen Himmel und Wüste geschoben. Mit jedem Herzschlag wuchs er an.
Mandred schien es, als wäre die Luft zu einer zähen, erstickenden Masse geronnen. Mit jedem Atemzug brannte seine Kehle wie Feuer.
»Ein Sturm?«, fragte Nuramon unsicher. »Kann das ein Sturm sein?«
Eine Windbö trieb Mandred Sand ins Gesicht. Er blinzelte, um seine Augen wieder frei zu bekommen. Nuramon und Farodin packten ihn bei den Armen und zerrten ihn hinter eine kniehohe Felskante. Nuramons Hengst wieherte ängstlich. Er hatte die Ohren angelegt und starrte auf die braune Walze, die immer mehr anwuchs.
Die beiden Elfen brachten die Pferde dazu, hinter den Felsen zu knien. Mandred stöhnte laut auf, als er mit ansehen musste, wie Farodin sein letztes Wasser über ein Tuch goss und seinem Hengst um die Nüstern wickelte. Mandreds Stute stieß vor Angst eigentümliche Knurrlaute aus. Dann plötzlich war der Himmel verschwunden. Schleier aus wirbelndem Sand hatten die Welt auf wenige Schritte weit zusammenschrumpfen lassen.
Nuramon presste Mandred ein feuchtes Tuch auf Nase und Mund. Gierig saugte der Menschensohn an dem feuchten Stoff. Die Augen hatte er zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, und dennoch fand der Sand einen Weg zwischen seinen Wimpern hindurch.
Farodin hatte den Schutzplatz gut gewählt. Im Windschatten des flachen Felsens konnten sie rechts und links den feinen Flugsand gleich einem endlosen Schleier vorüberziehen sehen. Erde und Himmel schienen eins geworden zu sein. Von oben wurden sie mit Sand und Staub berieselt. Doch das meiste trieb der Wind über sie hinweg.
Trotz des Tuchs vor seinem Mund spürte Mandred Sand zwischen den Zähnen und in der Nase. Er war in seinen Kleidern und scheuerte über die geschundene Haut. Bald war das Schutztuch ganz und gar verklebt, und Mandred hatte wieder das Gefühl, ersticken zu müssen. Jeder Atemzug war eine Qual, auch wenn mit dem Sturm die Hitze ein wenig nachgelassen hatte.
Er kniff die brennenden Augen zusammen. Jedes Gefühl für Zeit war ihm verloren gegangen. Der Sturm begrub sie bei lebendigem Leibe. Seine Beine waren schon halb im Sand verschwunden, und er hatte nicht mehr die Kraft, dagegen anzukämpfen und sich zu befreien.
Mandred fühlte sich völlig ausgedörrt. Er glaubte zu spüren, wie sein eingedicktes Blut immer langsamer durch die Adern floss. Das also war das Ende …