Ein Morgen in Fargon

Die Dämmerung war gekommen, und die Vögel sangen ihr Morgenlied. Nuramon und Farodin standen am Rand des Hains, in dem sie die Nacht über gelagert hatten. Von hier aus konnten sie das umliegende Land gut überblicken. Im Norden sahen sie in der Ferne einen großen Wald, und nach Süden hin erstreckte sich Hügelland, das sich bis kurz vor Felgeres an der Küste hinzog.

Mandred schnarchte noch immer, und Yulivee hatte sich die Decke über den Kopf gezogen. Wahrscheinlich würde es wieder einmal schwierig werden, sie zu wecken.

»Lassen wir die beiden noch ein wenig schlafen«, meinte Farodin. »Gestern war ein schwerer Tag. Ich habe die Pferde schon gesattelt. Wir werden keine Zeit verlieren.«

Die Flucht vor den Ordensrittern hatte sie an die Grenzen ihrer Kraft getrieben. Sie waren so übermüdet gewesen, dass Nuramon bei seiner Wache kurz eingenickt war. Zum Glück war nichts geschehen, und keiner seiner Gefährten hatte etwas davon bemerkt.

In Fargon gab es keine Ruhe mehr für sie. Seit sie Guillaumes Bild in der Kirche gesehen hatten, war ihnen klar, wieso die Menschen die Albenkinder so sehr hassten. Es hatte in Aniscans begonnen. Es war ihre Schuld, und Nuramon konnte sich nicht damit abfinden, dass ihre guten Absichten diesen Hass geboren hatten. Sie hatten die Lügengeschichten schon damals gehört, aber nie hätte Nuramon für möglich gehalten, dass etwas derart Folgenreiches daraus erwachsen könnte. Die Königin hatte Recht behalten; ihr Versagen in Aniscans war der Same gewesen, aus dem dieses Übel entsprossen war.

»Was machen wir jetzt, Farodin?«, fragte Nuramon. »Wir können uns hier nicht mehr so bewegen wie früher. Überall diese Feindseligkeit und die Krieger!«

»Damit kommen wir zurecht«, entgegnete Farodin kühl und blickte zur aufgehenden Sonne.

»Du weißt, dass ich nur wenige Dinge als unmöglich erachte. Aber nach dem, was wir gestern gesehen haben, bin ich mir nicht mehr sicher.«

»Du meinst die Kontrollen?«

»Ja.« Sie hatten aus einem Versteck beobachtet, wie Ordensritter Reisende anhielten, um deren Ohren zu betrachten. Und weil ein Mann ein wenig spitze Ohren hatte, wurde er abgeführt. Dabei hatten sie nicht einmal entfernt Ähnlichkeit mit Elfenohren. Was war nur aus dem Glauben geworden, dem sich einst Guillaume verschrieben hatte? Die Tjuredpriester heilten die Menschen nicht mehr, sondern quälten sie.

»Du machst dir Sorgen um Yulivee«, sagte Farodin leise.

»Um sie, aber auch um uns. All die neuen Albenpfade machen mir Angst. Es kann kein Zufall sein, dass sie die großen Städte von Fargon verbinden.«

»Du hast Recht. Ein Mensch ist offensichtlich im Besitz eines Albensteins und der Dschinnenkrone. So abschreckend dies alles hier auf uns wirkt, es ist gewiss leichter, einem Menschen einen Albenstein wegzunehmen als einem Albenkind. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Stein aufspüren werden.«

»Aber wundert es dich nicht, dass du keine Spur von der Krone findest?«

Farodin lächelte selbstsicher. »Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, dass die Krone in der Hauptstadt ist.«

Nuramon schüttelte den Kopf. »Algaunis ist eine Festung. Du hast es selbst gesehen.«

»Welche Wahl haben wir sonst? Was sollen wir deiner Meinung nach tun?«

»Wir könnten uns Verbündete suchen. Erinnerst du dich an die Geschichten über die Elfenkrieger, die in Angnos und auf den Aegilischen Inseln gegen die Tjuredanbeter kämpften?«

»Das mögen am Ende nur Menschen sein. Und wie sollen die uns hier helfen?«

Nuramon ließ den Blick über das Hügelland schweifen.

»Auch hier muss es Feinde der Tjuredanbeter geben. Niemand wird diese Unterdrückung ewig hinnehmen. Und die Leben der Menschen sind kurz.«

»Aber die Menschen sind schwach.«

»Du irrst dich«, entgegnete Nuramon. »Ich war in Firnstayn und habe gesehen, dass sie nach Freiheit streben. Sie werden sich immer wieder auflehnen.«

»Vielleicht ist das an Orten wie Firnstayn so. Sie sind weit weg von all dem hier. Erinnere dich an Iskendria und diesen Balbar. Die Einwohner haben ihre Kinder geopfert. Diese Narren!«

Nuramon dachte mit Abscheu an ihren ersten Aufenthalt in Iskendria.

»Und denk auch an Aniscans! Was haben die Menschen damals getan, um Guillaume gegen die Krieger zu helfen? Am Ende haben sie uns sogar zu seinen Mördern erklärt.«

»Du hast wohl Recht. Doch wenn jemand einen kleinen Funken in ihnen entfachen könnte, dann …« Er brach ab. Da war ein Geräusch wie fernes Donnergrollen.

»Ich höre es auch«, flüsterte sein Gefährte und schaute zu den Hügeln jenseits der Wiese.

Weiß gewandete Ordensritter preschten über eine ferne Hügelkuppe und verschwanden wieder aus dem Blickfeld. Sie strebten ihnen entgegen.

Farodin zögerte nicht länger. »Los! Weck du die anderen!«

Einen Herzschlag später war Nuramon an Mandreds Seite und schüttelte ihn wach. Der Jarl schreckte auf und griff nach seiner Axt.

»Reiter! Wir müssen los!«, erklärte Nuramon.

Der Firnstayner sprang auf und stopfte sich absurderweise in aller Eile die Reste des Abendessens in die Satteltaschen.

Nuramon tippte Yulivee an und erschrak. Was seine Finger berührten, war viel zu hart für den Rücken der kleinen Elfe. Er schlug die Decke zurück. Dort lagen nur Yulivees Bücher und ihr Beutel.

»Sieh nur, Nuramon!«, rief Farodin.

Nuramon sprang auf und lief an die Seite seines Gefährten, während Mandred die Satteltaschen auf seine Stute wuchtete. Farodin deutete voraus.

Dort war Yulivee. Sie kam die Böschung zur Wiese heruntergelaufen. Zwei Hügeltäler trennten die Reiter noch von ihr. Deutlich sah Nuramon das Morgenlicht auf ihren Lanzen funkeln. Er wandte sich an Farodin. »Ihr macht euch jetzt davon! Wartet am Waldrand auf uns!« Nuramon sprang in den Sattel und galoppierte davon.

Yulivee rannte schnell, war aber noch ein gutes Stück vom Hain entfernt. Die Reiter befanden sich irgendwo zwischen den Hügeln. Er konnte nur hoffen, dass er schneller war. Niemals würde er es sich verzeihen, wenn Yulivee ein Leid geschah.

Die kleine Elfe war beachtlich flink, doch als die Reiter die Böschung des letzten Hügels hinunterritten, wusste Nuramon, dass es knapp werden würde. »Schneller, Felbion!«, rief er. Etwa die Hälfte der Ordensritter war mit Lanzen bewaffnet, die sie nun drohend senkten. Die anderen hielten Schwerter in den Händen. Wie die Ritter, die sie gestern gesehen hatten, trugen die Krieger lange Kettenhemden und darüber weiße Wappenröcke. Auf ihren Schilden prangte der schwarze Baum des Tjured, die Eiche, an der Guillaume verbrannt worden war. Dieses Symbol durfte nicht auch noch das Ende Yulivees markieren.

Felbion lief so schnell er konnte. Er würde noch vor den Reitern bei Yulivee sein. Sie hielt sich tapfer und lief, ohne zurückzublicken. Dann geschah es! Yulivee stürzte…

Nuramon spürte, wie Felbion ohne ein Kommando noch schneller lief.

Die Lanzenspitzen der Reiter senkten sich tiefer.

Steh auf, dachte Nuramon verzweifelt. Als hätte sie seine Worte gehört, sprang die kleine Elfe auf. Doch sie machte den Fehler, zurückzublicken und gleichzeitig loszulaufen. Schon strauchelte sie.

Dann war Nuramon bei ihr und streckte ihr die Hand entgegen. Yulivee sprang hoch und griff seinen Arm. Nuramon zog sie vor sich in den Sattel. Als er den Blick auf seine Feinde richtete, wusste er, dass er Felbion nicht mehr rechtzeitig wenden könnte. Die Lanzen der Krieger zeigten auf ihn, die Schwertträger hielten die Klingen hoch erhoben.

Er musste es zumindest versuchen. Er wollte Felbion herumreißen, doch das Pferd lief einfach weiter und stürmte gegen die Krieger an. Nuramon wusste im ersten Augenblick nicht, wie ihm geschah. Yulivee schrie vor Angst und klammerte sich vor Nuramon in die Mähne des Pferdes.

Der Elf hatte gerade noch Zeit, Gaomees Schwert zu ziehen. Felbion wieherte, und die Pferde der Feinde wichen aus. Da schoss von der Seite die erste Lanze heran. Nuramon duckte sich und schützte gleichzeitig Yulivees Körper. Die Lanzenspitze sauste an seinem Kopf vorbei, ihr Schaft aber streifte ihn hart an der Schläfe. Von rechts kam ein Schwertstreich. Nuramon schaffte es gerade noch, die Klinge zu parieren. Dann war er an den Reitern vorbei.

Er stieß sein Schwert zurück in die Scheide. Da entdeckte er eine abgebrochene Schwertklinge, die durch das Sattelhorn gedrungen war. »Yulivee!«, rief er voller Angst. Die Kleine antwortete nicht. Nuramon beugte sich vor. Das Mädchen hatte das Gesicht in den Händen vergraben und zitterte.

Nuramon schüttelte sie an der Schulter.

Sie blickte zu ihm auf. »Leben wir noch?«, fragte sie mit weit aufgerissenen Augen.

»Gehtʹs dir gut?«

»Mir ja, aber du hast eine schlimme Beule!«

Nuramon atmete erleichtert aus und tastete nur kurz nach seiner Schläfe. Der Lanzenschaft hatte ihm offenbar eine Schürfwunde zugefügt.

»Soll ich sie heilen?«

Nuramon fragte sie nicht, woher sie diesen Zauber gelernt hatte. Denn er kannte die Antwort. »Das darfst du später machen.« Er blickte über seine Schulter und sah, dass die Reiter gewendet hatten und ihnen nachsetzten.

Nuramon trieb Felbion auf die Hügelkette zu. Das Elfenross lief den Hang mit Leichtigkeit hinauf. Bevor sie auf der anderen Seite hinabritten, schaute Nuramon zurück und sah, dass die Menschenkrieger ein wenig an Boden verloren hatten. Kaum hatte er die Senke zwischen den Hügeln erreicht, lenkte er Felbion nach Westen und ritt im Schatten der lang gezogenen Hügelkette. Mehrmals blickte er über die Schulter zurück und wartete, dass die Krieger erschienen.

Da waren sie! Sogleich trieb Nuramon Felbion den Hügel wieder hinauf, um zurück zur Wiese zu gelangen. Er sah noch, wie die Reiter ihn bemerkten und auf der Hügelkuppe entlangritten, um ihm den Weg abzuschneiden. Doch wieder war Felbion schneller. Schon hatte Nuramon den Hügel hinter sich gelassen und strebte dem Hain entgegen, in dem sie ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten.

Die Menschen verloren viel Zeit, als sie die Böschung hinabkamen. Ihre Pferde waren von der Jagd auf Yulivee erschöpft und am Hang einfach nicht so trittsicher wie Felbion. Als die Verfolger schließlich die Wiese erreichten, lagen gewiss hundert Schritt zwischen den Menschen und ihnen.

Yulivee streckte sich und sah an Nuramon vorbei zurück. »Wir haben es geschafft!«

Nuramon zog die kleine Elfe zurück in den Sattel. »Freu dich nicht zu früh!«, mahnte er. Gewiss, die Menschen würden Felbion niemals einholen, doch wer wusste schon, welche Gefahren noch vor ihnen lagen?

Sie passierten den Hain und hielten auf den großen Wald zu.

»Da!«, rief Yulivee und deutete voraus.

Am Waldrand warteten Farodin und Mandred zu Pferde und blickten ihnen entgegen. Sie hatten gewartet! Das sah Farodin gar nicht ähnlich.

Endlich setzten sich die beiden langsam in Bewegung und verschwanden im Wald. Sie ließen Nuramon und Yulivee zu sich aufschließen.

»Seid ihr verletzt?«, rief Mandred.

»Nein, sind wir nicht!«, antwortete Yulivee, ehe Nuramon etwas sagen konnte.

»Das war gut, Nuramon!«, sagte Farodin anerkennend.

Nuramon war überrascht. Komplimente aus dem Munde des Elfenkriegers war er nicht gewohnt.

Schweigend ritten sie durch den Wald. Obwohl ihre Pferde für Menschenaugen kaum Spuren hinterließen, wateten sie ein Stück durch einen Fluss und wagten sich sogar durch ein kleines Sumpfgebiet. Die Pferde hatten ein Gespür für festen Grund und führten sie sicher bis zum Waldrand.

Dort machten sie im Schutz der Bäume eine Rast.

Kaum hatte Nuramon Yulivee vom Pferd gehoben, wollte die Kleine schon wieder fortlaufen, um die Gegend zu erkunden.

Nuramon packte sie bei der Hand und hielt sie fest. »Halt! Nicht so schnell! Wir sind noch nicht miteinander fertig.«

Yulivee hielt inne und machte ein zerknirschtes Gesicht. »Es tut mir Leid!«

Der Elf ging vor ihr in die Hocke und schaute ihr in die Augen. »Das sagst du immer, Yulivee. Und dann tust du doch wieder das, was du nicht tun solltest. Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nachts nicht das Lager verlassen darfst? Und dann hast du mich auch noch glauben gemacht, dass du dort liegst und schläfst.«

»Ich werde es wieder gutmachen«, sagte Yulivee und legte die Hand auf die Wunde an seiner Stirn. Kurz verzog sie das Gesicht und nahm die Hand wieder herunter.

Als Nuramon nach der Wunde tastete, war die Haut glatt und die Schwellung verschwunden. Er musste lächeln. »Danke, Yulivee. Doch bitte bleib nachts im Lager!«

Farodin mischte sich nun ein. »Wie konntest du überhaupt unbemerkt entkommen?«, fragte er.

Nuramon fühlte sich ertappt. Er war in der Nacht eingenickt, und diesen Moment musste die Kleine genutzt haben.

Yulivee antwortete: »Du darfst Nuramon keinen Vorwurf machen. Ich habe mich unsichtbar gemacht, und als er am Rand des Lagers stand, bin ich davongeschlichen.« Das war eine gute Ausrede, doch der verschwörerische Blick, den Yulivee Nuramon zuwarf, machte sie wieder zunichte.

Farodin schwieg; sein wissender Blick sagte mehr als Worte.

»Aber warum hast du dich überhaupt in solche Gefahr gebracht?«, wollte Nuramon wissen.

»Ihr habt euch doch gefragt, was die Fargoner vorhaben. Und da dachte ich mir, ihr würdet euch freuen, wenn ich es herausfände. Also habe ich mich unsichtbar gemacht. Bei aller Zauberei, die dafür nötig war, bin ich schnell müde geworden. Aber ich habe durch Wände gesehen und Dinge gehört, die im Geheimen besprochen wurden. Ich habe Gedanken gelesen und vieles mehr. Allerdings bin ich ja noch klein und habe nicht so viel Kraft«, endete sie mit ernster Miene. Sie ahnte offenbar nicht, wie viel Macht sie tatsächlich besaß. Für sie war ihre Zauberkraft nur eine Spielerei.

»Das war sehr dumm von dir, Yulivee«, sagte Farodin.

»Was wollt ihr denn, ich bin doch noch am Leben!«

Mandred lachte, doch ein Blick von Farodin ließ ihn verstummen.

»Wollt ihr nun erfahren, was ich weiß, oder nicht?«

»Bitte erzähle es uns«, forderte Nuramon sie auf.

Yulivee setzte sich auf einen umgestürzten Baum und wartete, bis die Gefährten sich um sie versammelt hatten. Dann berichtete sie von ihren Abenteuern. »Der Mond schien hell, als ich leise über die Hügel schlich und bis hinab nach Felgeres lief. Unsichtbar ließ ich die Wachen hinter mir und folgte meinem Gespür. Und als ich zum Hafen kam, da sah ich, dass gewiss hundert Schiffe vor der Stadt lagen.«

»Bei allen Alben! Die werden das Aegilische Meer nun endgültig unter ihre Herrschaft bringen«, meinte Farodin. »Die Schiffe aus Reilimee werden keinen Handel mehr treiben können.«

»Danke, Yulivee, dass du das herausgefunden hast«, sagte Nuramon.

»Aber das war doch noch nicht alles! Ich habe nämlich auch einige Anführer belauscht. Kapitäne und Ordensritter, sogar den Ordensfürsten von Felgeres. Die Schiffe sollen nicht die Aegilischen Inseln kontrollieren, sondern nach Norden fahren. Sie wollen das Fjordland noch vor den Herbststürmen erreichen. Auf dem Weg dorthin wollen sie sich mit noch einer Flotte vereinigen.«

Mandred sprang auf. »Was?«

»Sie haben den Befehl bekommen, den Widerstand im Norden zu brechen«, erklärte Yulivee. »Sie waren auch nicht begeistert davon. Aber sie haben auch gesagt, dass der Große Priester es so will. Er möchte die Elfenfreunde Demut lehren, sagten die Männer.«

»Wir müssen los und sie warnen!«, rief Mandred. Er ging zu seinem Pferd, kam aber wieder zurück. »Wir müssen es wagen, wieder von einem Albenstern zum nächsten zu springen.«

»Ausgeschlossen!«, erwiderte Farodin. »Wir müssen zuerst den Albenstein und die Dschinnenkrone holen. Das wird sie wahrscheinlich von dem Angriff abhalten.«

»_Wahrscheinlich_ ist mir nicht genug«, erwiderte der Krieger laut. »Es geht um Firnstayn, verdammt! Sie wollen es niederbrennen wie Iskendria! Dabei werde ich nicht tatenlos zusehen!«

Nuramon tauschte einen Blick mit Farodin. »Mandred hat Recht. Wir müssen die Suche nach dem Stein abbrechen. Denk an das Tor auf der Klippe. Es führt dicht an die Grenze des Herzlandes. Die Tjuredpriester dürfen es nicht zerstören! Oder schlimmer noch … Stell dir vor, es gelingt ihnen, nach Albenmark vorzustoßen. Denk an die Freunde, die wir immer noch dort haben! Wir sind es ihnen schuldig, die Königin zu warnen. Könntest du vor Noroelle treten und ihr sagen, dass du ihretwegen nichts getan hast, nur um ein paar Monde für unsere Suche zu gewinnen?«

»Sie haben es noch nie geschafft, ein Tor nach Albenmark zu öffnen«, beharrte Farodin. »Sie können die Tore nur zerstören. Aber in etwas anderem hast du Recht: Es ist eine Frage der Freundschaft.« Farodin wandte sich an Mandred. »Verzeih mir.« Er streckte dem Jarl die Hand entgegen. »Du bist uns so lange ein treuer Freund. Es ist an der Zeit, dass wir dir nun unsere Treue erweisen. Firnstayn kann auf unsere Schwerter zählen! Wir werden alles tun, um die Deinen zu beschützen.«

Mandred ergriff die dargebotene Hand. »Ihr bringt zwei Schwerter, die mehr als hundert Äxte zählen. Ich bin stolz, euch an meiner Seite zu wissen.«

Farodin legte dem Jarl die Hand auf die Schulter. »Aber die Albenpfade von Fargon können wir nicht nehmen. Sie sind nicht sicher.« Er wandte sich an Yulivee. »Du sagtest, die Ordensritter würden vor Beginn der Herbststürme aufbrechen.«

Das Madchen nickte.

»Dann lasst uns auf dem Landweg Fargon verlassen. Sobald wir dieses Reich hinter uns gelassen haben, können wir es wagen, auf den Albenpfaden zu reisen.«

»Farodin hat Recht«, setzte Nuramon nach.

Mandred nickte und starrte dann zu Boden. »Bei Luth! Dass unsere Tat in Aniscans selbst für Firnstayn eine Gefahr werden könnte, das hätte ich nie gedacht.« Er schaute zu Yulivee und musste lächeln. »Ich danke dir, kleine Elfe! Du bist eine wahre Gefährtin!« Der Nordmann wandte sich ab. »Lasst uns aufbrechen.«

Farodin folgte Mandred zu den Pferden.

Nuramon nahm Yulivee auf den Arm und trug sie zu Felbion. »Das hast du gut gemacht«, sagte er ihr. Dann hob er die kleine Zauberin auf das Pferd. Sie lächelte zufrieden. »Aber …«, setzte er nach.

»Aber?«, wiederholte das Mädchen.

»Aber mach mir nie wieder solche Angst.«

»Dir liegt wohl etwas an mir, nicht wahr?«

»Ja. Du bist wie eine Schwester für mich.«

Erstaunen legte sich auf das Gesicht der kleinen Elfe. »Wirklich?«, fragte sie.

Nuramon saß auf. Yulivee wandte den Kopf und sah ihn an. Offenbar erwartete sie eine Bestätigung. »Ja, Yulivee.«

»Dann hast du mich zu deiner Verwandtschaft gemacht. So, wie die Königin es gesagt hat?«

Nuramon nickte. »Genau so. Und was auch kommt, ich werde gegen tausend Krieger anreiten, um dich in Sicherheit zu bringen.«

In Yulivees Augen sammelten sich Tränen. Nuramon konnte nachfühlen, was in ihr vorgehen musste. Doch er hatte die Wahrheit gesagt. Sie war für ihn wie eine kleine Schwester, nicht wie eine Tochter. Dafür war sie zu mächtig. Nuramon konnte nicht sagen, was das Schicksal für ihn und seine Gefährten bereithielt. Doch eine Schlacht wollte er der Kleinen unbedingt ersparen. Es war an der Zeit, sie nach Albenmark zu bringen, damit sie in Sicherheit war. Vielleicht würde Obilee sich um sie kümmern, wenn sie denn noch nicht ins Mondlicht gegangen war.

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