Fleisch

Mandred erwachte in einem Käfig. Er konnte nur wenig sehen. Um ihn herum war es fast völlig dunkel. Als er sich bewegte, begann der Käfig leicht zu schwingen. Er schien an einem Seil zu hängen.

Der Jarl versuchte sich zu strecken, doch seine Arme waren ihm auf den Rücken gebunden, und der Käfig war so klein, dass er in kauernder Haltung verharren musste. Mit Schrecken dachte er an die Gefangenen auf dem Pferdemarkt in Iskendria. Sie hatte man in Käfige gesteckt, auf dass sie verdursteten. Wieder bäumte er sich in seinen Fesseln auf. Doch das Einzige, was er damit erreichte, war, dass ihm die dünnen Lederriemen schmerzhaft in die Handgelenke schnitten.

Mandred versuchte sich zu erinnern, wie er hierher gekommen war. Er hatte sich erbrochen, mitten in den Saal hinein. Die Trolle hatten gelacht und ihn herumgestoßen. Voller Abscheu hatte er den Herzog einen gemeinen Lügner genannt. Orgrim aber hatte das nicht sonderlich beeindruckt. Im Gegenteil, er hatte zynisch gefragt, ob Mandred vielleicht seine Ziegen und Gänse Gefangene nannte. Sein Spott war unerträglich gewesen. Schließlich hatte Mandred die Axt gezogen. Welch unbeschreiblich dummer Fehler! Und doch hatte er nicht anders gekonnt. Schreiend war er auf Orgrim losgegangen, um ihm den Schädel einzuschlagen. Doch noch bevor er den Herzog hatte erreichen können, hatte ihm einer der Trolle einen Knüppel zwischen die Beine geworfen, sodass er gestürzt war. Mit einem Tritt hatte Orgrim ihn entwaffnet und dann an Scandrag übergeben, den Koch. Dieser hatte Mandred wie einen Welpen im Nacken gepackt und ihm die Hände auf den Rücken gebunden. Jeglicher Widerstand war zwecklos gewesen; gegen einen Troll war er machtlos wie ein Kind.

Das Letzte, was Mandred von Orgrim gehört hatte, war die Ankündigung gewesen, dass sie sich zur Mittwinternacht zum Essen wiedersähen. Als er dem Herzog zugerufen hatte, er möge an diesem Mahl ersticken, hatte Scandrag ihn niedergeschlagen.

Ein Wispern schreckte Mandred aus seinen Gedanken. Jemand war schräg über ihm. Er sprach mit leiser, kehliger Stimme. Kurzes Schweigen. Dann begann das Wispern erneut. Diesmal hatten sich Tonlage und Sprachmelodie verändert. Schließlich sprach die Stimme auf Elfisch, doch Mandred verstand nur wenige Worte. Es war von einem Versuch die Rede, von Sprachen und von Menschen, wahrscheinlich von ihm.

»Verstehst du Dailisch?«, fragte Mandred in der Sprache der Kentauren.

»Wer bist du?«, kam nun die Gegenfrage auf Dailisch.

Mandred zögerte. Mochte das hier eine List der Trolle sein, um aus ihm herauszulocken, was er an der Festtafel nicht gesagt hatte? »Ich bin Torgrid von Firnstayn«, antwortete er schließlich.

»Wie haben sie dich gefangen?«, fragte darauf die Stimme über ihm.

»Ich war auf der Jagd.« Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Es hingen noch andere Käfige rings herum.

»Und warum spricht ein menschlicher Jäger die Sprache der Kentauren? Wer hat sie dich gelehrt? Seit den Tagen des Alfadas pflegen Albenkinder nur selten Umgang mit den Menschen.«

Mandred fluchte stumm. Lügen haben kurze Beine! »Ein Freund hat sie mich gelehrt.«

»Der Menschensohn belügt uns«, sagte nun eine müde Stimme weit oben in der Dunkelheit. »Meine Ohren ertragen weder seine Lügen noch die Art, wie er die dailische Sprache verstümmelt. Lasst ihn! Scandrag wird ihn als Nächsten holen. Es ist nicht mehr lang bis zum Mittwinterfest, das fühle ich. Bis dahin gebiete ich euch Schweigen, meine Brüder und Schwestern. Wir sind ohnehin nur noch Fleisch. Und Fleisch spricht nicht.«

Schweigt doch, ihr Bastarde, dachte sich Mandred. Bestraft mich! In zwei oder drei Stunden holt Farodin mich hier heraus. Und dann werdet ihr mir die Füße dafür küssen, dass ich hierher gekommen bin.

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