Das Ende der Feldschlacht

An Wengalfs Seite stürmte Nuramon vor. Die Ordensritter hatte der Mut verlassen, seit die Banner von Firnstayn über ihrem Feldherrenhügel wehten. Sie schienen völlig verwirrt zu sein. Immer mehr wichen vor ihnen zurück. Dann sah Nuramon Mandred. Auf den ersten Blick hätte er ihn fast nicht wiedererkannt. Er trug die Rüstung der Feinde und hatte seinen Bart geschoren. Von Gefährten in erbeuteten Rüstungen umringt, saß er auf einem schwarzen Hengst und hielt den abgeschlagenen Kopf eines Menschen an den Haaren. Von den Fleischfetzen am Ansatz des Kopfes tropfte das Blut herab. »Seht in das Gesicht eures Heerführers!«, rief er.

Die Zwerge drängten unerbittlich vorwärts und schufen einen weiten Schildwall um Mandred und seine Krieger. Da brach der letzte Widerstand, und die Feinde stürzten sich in eine wilde Flucht.

»Mandred!«, rief Nuramon.

»Mein Freund! Sieh diesen Tag!«

Nuramon schaute sich misstrauisch um. Noch mochte ein Schütze Mandreds Triumph zerschlagen. Doch die Feinde machten keine Anstalten mehr, sich zu wehren. Einige riefen ihnen Flüche zu und schworen, binnen Tagesfrist mit einer neuen Streitmacht wiederzukommen. Doch das vermochte niemanden zu beunruhigen.

»Kommt nur wieder!«, brüllte Mandred ihnen nach. »Dann treten wir euch noch einmal in den Arsch!«

Nuramon reichte Mandred die Hand. Der Freund wirkte auf seinem hohen Ross wahrhaftig wie ein echter Herrscher. Er schlug mit seiner blutigen Hand ein. Nuramon hielt bei seinem Gefährten nach Wunden Ausschau. Er konnte nicht sagen, ob das meiste Blut, das an dem Jarl haftete, dessen eigenes oder das der Feinde war. Mandreds Rüstung wirkte unversehrt. Eine lange Schramme lief über seine linke Wange. Doch der König der Fjordländer schien keine Schmerzen zu fühlen, sondern strahlte über das ganze Gesicht.

»Bist du verletzt, Mandred?«, fragte Nuramon seinen Freund, um sicherzugehen.

»Nur ein paar Kratzer«, entgegnete der Jarl.

Die Zwerge ließen eine Schar Elfen in den Schildkreis. Darunter waren Nomja und Daryll, die Anführerin der Alvemerer, die im Zentrum der Schlachtreihe dem Ansturm der feindlichen Reiterei standgehalten hatte. Sie führte Felbion am Zügel.

Nuramon war erleichtert. Mandred und Nomja lebten, und auch sein Pferd hatte die Schlacht überstanden!

Daryll reichte ihm die Zügel Felbions. »Hier ist dein Pferd! Es hat mir das Leben gerettet.« Die Anführerin erzählte, wie Felbion drei Feinde mit den Hufen niedergeschlagen habe, die ihr sonst den Todesstoß versetzt hätten.

Nuramon fuhr seinem treuen Ross durch die Mähne. »Du bist ja ein wahrer Held!« Felbion blickte scheinbar gelangweilt zur Seite.

Nuramon sah in die Runde. »Ich möchte euch allen danken.« Er wandte sich an Nomja. »Deine Bogenschützen sind die besten in Albenmark.« Zu Daryll sagte er: »Du warst für uns Elfen der Fels in der Brandung.« Dann kniete er sich zu Wengalf hinab. »Dir haben wir alles zu verdanken. Ohne dich hätten wir diesen Tag verloren.«

Wengalf winkte ab. »Nein, nein. Mandred gebührt die große Ehre!«

Nuramon schaute zu Mandred auf und lächelte. »Heute, mein mächtiger König, hast du dich unsterblich gemacht. Die Albenkinder werden deinen Namen auf immerdar rühmen.«

»Noch ist es nicht vorbei! Wer weiß, wie es an der Shalyn Falah steht! Komm! Lass uns rüberreiten!« Der Jarl warf einem seiner Mandriden den Kopf des feindlichen Anführers zu. Das Blut spritzte weit umher.

Ein Mann in der Rüstung eines Offiziers kam herbei und brachte Mandreds Stute. Der Jarl schwang sich aus dem Sattel und begrüßte sein Pferd. Als er aufsitzen wollte, fehlte es ihm an Kraft. Der Mann in der Offiziersrüstung half ihm rasch in den Sattel.

Nuramon sah sich um. Diese Krieger hier waren am Ende ihrer Kräfte. An diesem Tag würde keiner von ihnen mehr den Marsch zur Shalyn Falah schaffen. Und es wäre unklug, die Truppen hier abzuziehen, solange der Feind nicht gänzlich vernichtet war. »Nun, Mandred, wir werden wohl allein reiten müssen. Die Krieger sollen hier die Stellung halten.«

»Nun gut. Farodin kann unsere Hilfe bestimmt gut gebrauchen. Wenn die dort hören, dass wir die Feinde nicht nur aufgehalten, sondern in die Flucht geschlagen haben, dann wird sie das gewiss beflügeln.«

Nuramon grinste. »Nun gut, Mandred! Bete zu deinem Luth! Er hat uns heute wahrlich geholfen.« Er stieg auf Felbion und blickte den fliehenden Tjuredkriegern hinterher. Sie wären gewiss noch eine beachtliche Streitmacht gewesen, doch ohne ihren Kopf waren sie nur ein ungeordneter Haufen.

Als Nuramon sich an Mandreds Seite zur Shalyn Falah aufmachte, beschlich ihn ein beklemmendes Gefühl. Gewiss, die Brücke war noch nie eingenommen worden, und Farodin hatte mehr Erfahrung als sie beide zusammen. Und doch …

Während sie das Schlachtfeld passierten, jubelten Scharen von Kriegern ihnen zu. Nuramon sah seine Verwandten, die ihm zuwinkten und begeistert seinen Namen riefen. Die Mandriden reckten ihre Äxte und Schwerter in die Höhe und schrien: »Lang lebe Mandred, Jarl von Firnstayn!«

Als sie das Schlachtfeld hinter sich ließen, sagte Mandred: »Jetzt noch Farodin helfen, und dann mit zwei hübschen Mädels die Nacht verbringen!«

»Mit zwei?«, fragte Nuramon.

»Ja. Das war was gestern! Zuerst habe ich den beiden meinen …«

»Bitte, Mandred! Erspare mir deine Liebesabenteuer! Du findest nicht die Worte, die für Elfenohren angenehm klingen.«

»Du bist nur neidisch, weil ich gleichzeitig mit zwei…«

Nuramon lachte. »Halt ein, Mandred! Sprich nicht das aus, was bereits in aller Klarheit in meiner Vorstellung erwacht ist und mir jeden Gedanken an etwas Holdes verdirbt. Bitte!«

Mandred lachte. »Was weißt du schon von der Poesie einer Nacht zu dritt.«

»Lass uns lieber reiten«, schlug Nuramon vor. Diese Wortgeplänkel hatte er vermisst. Er wünschte sich, Mandred könnte ihn und Farodin begleiten. Doch es würde gewiss schwer werden, den Jarl aus dem Bett seiner beiden Geliebten zu reißen.

Sie galoppierten über das Grasland. Bis zur Shalyn Falah würden sie gewiss einige Stunden brauchen. Sie hatten etwa die Hälfte des Weges hinter sich gelassen, als Mandred sich ein wenig zurückfallen ließ. Als aber seine Stute unruhig wieherte, drehte Nuramon sich um. Sein Freund war im Sattel zusammengesunken !

Felbion stürmte der wiehernden Stute entgegen und kam neben ihr zum Stehen. Mit zitternden Händen berührte Nuramon seinen Gefährten und versuchte ihn aufzurichten. »Mandred!«, rief er.

Der Jarl schreckte auf und schaute sich unsicher um. Er taumelte und fiel dann aus dem Sattel.

Nuramon sprang vom Pferd und drehte ihn behutsam auf den Rücken.

Mandred schaute ihn aus angstgeweiteten Augen an und presste die Hand auf den Bauch. »Es ist wohl mehr als nur ein Kratzer«, flüsterte er und löste die Hand von seinem Körper. Die Brustplatte der Rüstung war unversehrt. Doch als Nuramon nach der breiten Bauchbinde griff, wurden seine Hände rot von Blut. Erschrocken zerrte er die Binde zur Seite und entdeckte ein rundes Loch in der Rüstung. Mit zitternden Händen löste der Elf die Schnallen der Brustplatte. Auch das gepolsterte Leinenhemd hatte sich mit Blut voll gesogen. Mit seinem Dolch zerschnitt Nuramon den zähen Stoff. Die Wunde in Mandreds Bauch war voller faseriger Kleidungsfetzen. Sie musste von der Kugel eines dieser unheimlichen Feuerrohre stammen. Vorsichtig tastete Nuramon nach Mandreds Rücken. Die Kugel hatte den Körper nicht verlassen. »Hast du keine Schmerzen?«, fragte Nuramon.

»Nein«, sagte Mandred überrascht. »Mir ist nur so … schwindelig.«

Mandred hatte viel Blut verloren, und er würde sterben, wenn nichts geschah. So legte Nuramon seine Hand auf die Verletzung und begann mit seinem Heilzauber. Er erwartete den Schmerz, und dieser kam auch, doch weit schwächer, als Nuramon angenommen hatte. Dann merkte er, dass sich die Wunde zwar unter seinen Fingern schloss, aber seine Magie nicht ins Innere von Mandreds Körper gelangte. Er bekam Angst. Der Schmerz verschwand, doch Mandred war nicht geheilt. Dass er die Bauchwunde verschlossen hatte, würde nicht helfen. Nun sammelte sich das Blut in Mandreds Leib, ohne ablaufen zu können. Der Tod würde ihn etwas langsamer ereilen, das war alles, was erreicht war. Noch einmal sammelte Nuramon all seine Kräfte. Doch wieder scheiterte er.

»Was ist das nur?«, fragte er sich. Irgendetwas störte seinen Zauber; etwas, das in Mandred war. Es konnte nur die Kugel sein. War es das letzte böse Geschenk des Devanthars an seine Gefolgsleute? Vielleicht konnten diese Schusswunden mit Elfenmagie nicht geheilt werden.

»Ich glaube, das ist das Ende, Nuramon«, flüsterte Mandred. »Und was für ein Ende das für einen Menschen ist!«

»Nein, Mandred!«

»Du warst mir immer …« Seine Augen schlossen sich, und er atmete erschöpft aus.

Nuramon schüttelte den Kopf. So durfte Mandreds Leben nicht enden! Er tastete nach dem Puls seines Freundes. Er war noch da. Der Atem ging nur mehr schwach. Mit großer Mühe hob Nuramon den schweren Menschenkönig auf Felbion und setzte sich dann hinter ihn in den Sattel. Dann ritt er in Richtung des Heerlagers vor der Burg der Königin. Sie lag näher als die Shalyn Falah.

Er machte sich Vorwürfe. Es war seine Schuld, wenn Mandred nun stürbe. Er hatte in der Schlacht selbstsüchtig seine eigenen Wunden geheilt und gewiss zu viel Kraft dabei aufgewendet; Kraft, die ihm nun fehlte, da sie einen Freund retten sollte. Er würde es sich nie verzeihen, wenn Mandred wegen seiner Unfähigkeit sterben müsste.

Während er im Galopp voranpreschte, drang in der Ferne ein gleißendes Licht gen Himmel und verbreitete sich wie ein vielfach verästelter Blitz. War das der Beginn des Zaubers, auf den sie gewartet hatten? Nuramon wünschte sich, einen Hauch dieser Macht zu Mandreds Heilung gewinnen zu können. Im Augenblick des Triumphes traf das Schicksal ihn und seine Gefährten mit voller Wucht. Er konnte nur hoffen, dass es Farodin bei der Shalyn Falah nicht ähnlich erging.

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