Farodins Zorn

Mandred war kein ängstlicher Mann, aber die Art, in der sich Farodin verändert hatte, versetzte ihn in Schrecken. Was verbarg sich in den Abgründen der Seele des Elfen? Nach all den Jahren hatte er geglaubt, seinen Gefährten zu kennen. Ein Irrtum! Nachdem der Elf Shalawyns Bericht gehört hatte, war etwas Dunkles in ihm erwachsen. Aber nein, wenn Mandred es sich recht überlegte, dann war dieser dunkle Wesenszug schon immer dagewesen. Farodin hatte es nur verstanden, ihn zu verbergen. Nun aber war etwas erwacht, das Farodin selbst die Suche nach den Sandkörnern vergessen ließ.

Der Elf hatte ihn gebeten, bei König Njauldred Klingenbrecher um Erlaubnis zu fragen, einen der Bootsschuppen nutzen zu dürfen. Auch bat er um die Hilfe einiger erfahrener Zimmerleute. Großzügig wurde ihm diese gewährt.

Die nächsten Wochen verbrachte Farodin ausschließlich in dem Schuppen. Er baute ein Schiff, wie es Firnstayn noch nicht gesehen hatte. Die Zimmerleute behandelte er fast wie Sklaven, so hart ließ er sie arbeiten. Sie fluchten über sein Wesen, und doch sprachen sie auch voller Bewunderung über sein Können. Nie hatte Farodin davon erzählt, dass er sich auf die Kunst des Schiffsbaus verstand. Doch wie viel mochte man erlernen, wenn das eigene Leben Jahrhunderte währte?

Nur zehn Wochen dauerte es, bis ein kleines, schlankes Schiff gebaut war. Sein Kiel war aus einem einzigen Eichenstamm geschnitten, den Farodin selbst in den Wäldern nördlich der Stadt ausgesucht hatte, ebenso wie die Spannten, die das Skelett des Rumpfes bildeten. Das Segel war aus feinstem Leinen. Man hatte es mit Hanfseilen verstärkt, die zu einem Netz geknüpft waren. Sieben Schritt maß das Boot in der Länge, doch kaum mehr als einen an seiner breitesten Stelle.

Als das Schiff zu Wasser gelassen wurde, kamen die Einwohner von ganz Firnstayn zusammen, um es zu bewundern. Es war schlank und von schöner Form. Seine Planken überlappten einander, was Mandred noch nie zuvor bei einem Schiff gesehen hatte.

Als der Elf dann aber vor dem König und seinem Gefolge erklärte, er werde am nächsten Tag in See stechen, da mochten sie alle ihren Ohren nicht trauen. Im Winter den Fjord zu verlassen, um die Küste hinauf nach Norden zu segeln, das war der blanke Wahnsinn. Ganz gleich wie gut ein Schiff sein mochte, nichts und niemand konnte gegen die Stürme und das Eis bestehen.

So verrückt war dieses Vorhaben, dass niemand von Mandred erwartete, dem Elfen zu folgen. Sich dieser Fahrt zu verweigern hatte nichts mit mangelnder Treue gegenüber einem Waffenbruder zu tun. Und doch fühlte sich Mandred an Farodin gekettet. Er, Mandred Torgridson, war nicht jener unbesiegbare Krieger, von dem die Skalden sangen, wenn sie seinen Namen im Mund führten. Er hatte auch nicht jene Heldentaten begangen, die sie ihm allenthalben andichteten. Aber vielleicht vermochte er Wahrheit und Sagadichtung zu einem Leben zu verschmelzen, wenn er Farodin nun folgte.

König Njauldred versah das Schiff mit den besten Vorräten. Bärenfleisch, das einem nach Kämpfen rasch die Kraft zurückgab, Kleidung aus feinen Otterfellen, von der das eisige Wasser abperlte, und ein Fass mit Tran von Pottwalen, das vor Erfrierungen schützte, wenn man es sich auf die Haut schmierte. Mandred wusste, dass sein Gefährte die Kälte nicht zu fürchten brauchte. Doch um seinetwillen war er froh, das Fass an Bord zu wissen.

Njauldred lud sie in seine Königshalle ein und gab ihnen zu Ehren ein Fest. Mandred kam es so vor, als wäre er zu Gast auf seinem Leichenschmaus. Obwohl die Skalden sich mühten, mochte keine rechte Stimmung aufkommen. Farodin verließ die Festlichkeit schon früh. So tief in Gedanken war er, dass er grußlos in die Nacht hinaustrat.

Auch Mandred zog sich bald zurück. Er mochte den traurigen Blick Ragnas, der Tochter Njauldreds, nicht länger zu ertragen, und außerdem wagte er es nicht, sich an dem Abend, bevor sie zu ihrem tollkühnen Abenteuer aufbrachen, zu betrinken.

Kalter Nordwind zerrte an seinem Umhang, als er aus der Festhalle trat. Ein schabendes Geräusch ließ ihn aufhorchen. Es stand kein Mond am Himmel. Die Sterne verbargen sich hinter Wolken. Wieder war da dieses Geräusch. Es kam von den steinernen Löwen, die den Aufgang zur Königshalle flankierten. Fast hörte es sich an, als scharrten sie unruhig mit ihren Krallen auf den Treppenstufen.

Ein Schatten löste sich von der untersten Stufe. Mandred rief die Gestalt an, erhielt jedoch keine Antwort. Wie der Rauch, der unter den Giebeln der Langhäuser hervorquoll, verschwand die Schattengestalt in der Nacht, als hätte es sie nie gegeben.

Der Krieger senkte die Hand auf die schwere Axt an seinem Gürtel. Langsam stieg er die Treppenstufen hinab. Außer dem Wind, der sich heulend unter den Dächern fing, war kein Geräusch zu hören.

Da ist nichts, beruhigte sich Mandred in Gedanken. Er ging zu dem Haus, das einer von Alfadas’ Söhnen für ihn hatte errichten lassen. Als er die Tür aufstieß, brannte ein Feuer unter dem Herdstein. Rauch und wohlige Wärme erfüllten den Raum. Farodin ließ sich nicht sehen. Vielleicht war er hinab zum Bootsschuppen gegangen. Trotz der Kälte hatte er meist dort übernachtet.

Mandred streifte seinen Umhang ab, als ihn ein Geräusch verharren ließ. Jemand war hier. Das Stroh der Schlafnische hatte geknistert. Eine weiße Hand schob den Vorhang aus grober Wolle zurück. Ragna, die Tochter des Königs! Ihre Wangen leuchteten rot. Sie konnte Mandred nicht in die Augen sehen.

»Es ist nicht, wie du denkst«, stammelte sie. »Ich … Ich dachte, der Elf sei gekommen. Da habe ich mich versteckt. Ich habe das Feuer angefacht, damit du es warm hast in dieser rauen Nacht.« Sie blickte zur Tür.

»Ich danke dir, Ragna«, entgegnete Mandred ein wenig steif.

Sie war ein hübsches Ding. Ihre Haut war weiß wie Milch. Verblasste Sommersprossen zierten ihr Gesicht. Das rote Haar hatte sie zu schweren Zöpfen geflochten. Ragna stammte aus der Blutlinie Alfadas’, doch Mandred konnte keine Züge seines Sohnes in ihrem Gesicht erkennen.

»Musst du wirklich mit ihm segeln?«, fragte sie schüchtern.

»Das ist eine Frage der Ehre!«

»Zum Henker mit der Ehre!« Ihre Schüchternheit war wie weggewischt. Wut spiegelte sich in ihren Augen. »Du wirst nicht von dort zurückkommen. Niemand kehrt von der Nachtzinne zurück!«

Mandred hielt ihrem Blick stand. Ihre Augen hatten das helle Grün junger Tannentriebe. Sie hielten ein Stück Frühling gefangen. »Ich war schon an vielen Orten, von denen es hieß, dass man von dort nicht zurückkehren würde«, sagte er selbstgefällig.

»Wie wollen zwei Männer gegen hunderte Trolle bestehen? Stürz dich doch gleich von der Klippe ins Meer, wenn du sterben willst, du …« Erschrocken hob sie die Hand vor den Mund. »Das wollte ich nicht sagen. Ich…«

»Warum bedeutet es dir so viel, ob ich lebe?« Und warum bedeutet mir mein Leben so wenig?, fügte er in Gedanken hinzu. Weil ich aus der Zeit gerückt wurde? Lebe, obwohl meine Gebeine seit Jahrhunderten im Grab vermodern sollten?

»Du bist der stattlichste Mann, dem ich jemals begegnet bin. Nicht so wie die großsprecherischen Jünglinge in der Halle meines Vaters. Du bist mit jedem Zoll ein Held.«

Mandred lächelte. »Früher waren es die Männer, die um die Frauen gefreit haben.«

Ragna wurde tiefrot. »So habe ich das nicht gemeint. Ich … Es ist …« Hilflos hob sie die Hände. »Es ist mir nur einfach nicht gleichgültig, dass du morgen in dein Verderben segelst.«

»Und du würdest alles tun, damit ich bleibe?«

Sie schob ihr Kinn vor und sah ihn herausfordernd an. »Das musst du selbst herausfinden. So sehr haben sich die Zeiten nun doch nicht geändert.«

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