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So kam es, daß die Magie aus den Vier Ländern verschwand und die Geschichten von den Druiden und Paranor zu Legenden wurden. Eine Zeitlang würden noch viele behaupten, die Druiden wären als Sterbliche von Fleisch und Blut und als Beschützer der Rassen durch die Lande gezogen; eine kurze Zeit lang sollten viele beharrlich erklären, Zauberei hätte es wirklich gegeben, und sie hätte zu schrecklichen Kämpfen zwischen guter und böser Hexenkunst geführt. Doch mit den Jahren würde die Zahl derjenigen, die davon überzeugt waren, schwinden. Und irgendwann wären fast alle tot.

Am selben Morgen, da Allanon endgültig aus der Welt der Menschen geschieden war, nahm die kleine Gruppe Abschied voneinander. Inmitten von Herbstgerüchen und -färben umarmten sie sich, sagten sich Lebewohl und brachen in ihre Heimatländer auf.

»Du wirst mir fehlen, Brin Ohmsford«, gestand ihr Kimber und gab sich alle Mühe, die resolute Miene auf ihrem Koboldgesicht zu wahren. »Großvater wirst du auch fehlen, nicht wahr, Großvater?«

Cogline scharrte verlegen mit den Füßen in den Sandalen und nickte, ohne das Talmädchen anzuschauen. »Wahrscheinlich schon ein bißchen«, gab er widerwillig zu. »Allerdings nicht das ganze Geflenne und Gejammer. Das werde ich nicht vermissen. Klar, wir haben ein paar tolle Abenteuer zusammen bestanden — in der Hinsicht wirst du mir schon fehlen, Mädchen. Die Spinnengnomen, die schwarzen Wandler und das alles. Fast wie in alten Zeiten...«

Er verstummte und Brin lächelte. »Ihr werdet mir auch beide fehlen. Und Wisper. Wisper verdanke ich mein Leben ebenso sehr wie euch anderen. Wäre er nicht in den Maelmord gekommen, um mich zu suchen...«

»Er fühlte, daß er gebraucht wurde«, erklärte Kimber unumstößlich. »Er hätte deine Warnung nicht in den Wind geschlagen, wenn er das nicht gespürt hätte. Ich glaube, zwischen euch besteht ein besonderes Band — welches über das hinausgeht, was durch das Wünschlied geschaffen wurde.«

»Trotzdem will ich nicht, daß ihr in Zukunft hereinplatzt, ohne euch vorher anzukündigen«, fiel Cogline ihr plötzlich ins Wort. »Oder bevor ich euch eingeladen habe. Man stapft nicht unaufgefordert ins Haus von anderen Leuten!«

»Großvater.« Kimber seufzte.

»Wirst du mich besuchen kommen?« fragte Brin sie.

Das Mädchen lächelte und warf einen Blick zu ihrem Großvater.

»Vielleicht irgendwann. Eine Weile werde ich jetzt wohl erst einmal bei Großvater und Wisper am Kamin bleiben. Ich war nun lange genug fort. Ich sehne mich nach meinem Zuhause.«

Brin trat auf sie zu und drückte sie an sich. »Ich mich auch, Kimber. Aber irgendwann werden wir uns wiedersehen.«

»Du wirst stets meine Freundin bleiben, Brin.« Tränen standen Kimber in den Augen, als sie ihren Kopf an der Schulter des Talmädchens vergrub.

»Und du die meine«, flüsterte Brin. »Auf Wiedersehen, Kimber. Ich danke dir.«

Rone verabschiedete sich ebenfalls und trat dann vor Wisper. Die riesige Moorkatze saß auf den Hinterläufen und blinzelte den Hochländer neugierig aus blauen Kulleraugen an.

»Ich habe mich in dir getäuscht, Kater«, gestand er widerwillig. Er zögerte. »Dir ist das wahrscheinlich ziemlich gleichgültig, aber mir ist es wichtig. Du hast auch mir das Leben gerettet.« Er blieb stehen, betrachtete die Moorkatze einen Augenblick lang und schaute dann verlegen zu den anderen zurück. »Ich hatte mir geschworen, ihm das zu sagen, wenn er Brin unversehrt aus der Grube brächte. Trotzdem komme ich mir wie ein Idiot vor, so vor ihm zu stehen und mit ihm zu reden wie... um der Katze... willen!«

Er verstummte. Wisper gähnte schläfrig und zeigte allen seine Zähne.

Zehn Meter entfernt kam Jair sich ebenfalls wie ein Idiot vor, wo er vor Spinkser stand und nach Worten für die aufgewühlten Gefühle suchte, die ihn überwältigten.

»Schau mal, Junge.« Der Gnom war barsch und ungeduldig. »Mach doch keinen solchen Wirbel darum. Sag es einfach. Auf Wiedersehen. Sag es nur.«

Aber Jair schüttelte widerspenstig den Kopf. »Ich kann nicht, Spinkser. Das reicht nicht aus. Du und ich waren irgendwie von Anfang an zusammen — von dem Augenblick an, da ich dich mit den Schlangen übertölpelt und in die Holzkiste gesperrt habe.«

»Erinnere mich bloß nicht daran!« knurrte der Gnom.

»Wir sind als letzte übrig, Spinkser«, versuchte Jair zu erklären und verschränkte wie zum Schutz die Arme vor der Brust. »Wir sind den ganzen weiten Weg zusammen gezogen, du und ich und die anderen — aber sie sind tot, und nur wir sind noch übrig.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist so viel geschehen, und das kann ich nicht einfach mit einem einfachen ›Auf Wiedersehen‹ abtun.«

Spinkser seufzte. »Es ist ja nicht so, als ob wir uns niemals wiedersähen, Junge. Was ist denn — denkst du, ich beiße schließlich auch noch ins Gras? Dann überleg doch mal! Ich kann gut auf mich aufpassen — das hast du selbst einmal geäußert, weißt du noch? Mir wird nichts passieren. Und ich wette dreißig Nächte in diesem Höllenschlund, daß dir auch niemals etwas zustoßen wird! Dazu bist du viel zu clever!«

Jair mußte unwillkürlich grinsen. »Das ist vermutlich ein ziemliches Kompliment aus deinem Mund.« Er atmete tief ein. »Komm mit mir zurück, Spinkser. Komm mit nach Culhaven und erzähl ihnen, was geschehen ist. Sie sollen es von dir hören.«

»Nein, Junge.« Der Gnom ließ das derbe Gesicht sinken und schüttelte langsam den Kopf. »Dort gehe ich nicht wieder hin. Im unteren Anar werden Gnomen aus welchen Gründen auch immer viele Jahre lang nicht gerne gesehen werden. Nein, ich schlage wieder den Weg zum Grenzland ein — zumindest fürs erste.«

Jair nickte, und es trat verlegenes Schweigen zwischen ihnen ein. »Dann auf Wiedersehen, Spinkser. Bis zum nächsten Mal.«

Er trat vor und schlang seine Arme um den Gnomen. Spinkser zögerte und hieb ihn dann grob auf die Schulter.

»Na siehst du, Junge — war doch gar nicht so schlimm, oder?«

Aber es dauerte eine ganze Weile, ehe er sich aus der Umarmung löste.

Etwas mehr als eine Woche später kamen Brin, Jair und Rone wieder in Shady Vale an und bogen auf den gepflasterten Weg zum Vordereingang des Ohmsford-Hauses ein. Es war Spätnachmittag, und die Sonne war bereits hinter die Berge gesunken, so daß der Wald in Schatten und Dämmerlicht gehüllt lag. Durch die Herbstluft zog der Klang von Stimmen aus den Häusern rings umher, und Blätter raschelten im hohen Gras.

Vor ihnen waren die Fenster des Häuschens schon gegen die Abenddämmerung erleuchtet.

»Brin, wie sollen wir ihnen das alles nur erklären?« fragte Jair nun wohl schon zum hundertsten Mal.

Sie traten zwischen den Zierpflaumenbäumen hervor, die inzwischen fast völlig entlaubt waren, als die Haustür aufgerissen wurde und Eretria auf sie zugestürmt kam.

»Wil, sie sind da!« rief sie über ihre Schulter zurück und lief auf ihre Kinder zu, um sie und Rone zu umarmen. Einen Augenblick später tauchte auch schon Wil Ohmsford auf, beugte sich herab, Brin und Jair zu küssen, und schüttelte Rone herzlich die Hand.

»Du siehst ein bißchen müde aus, Brin«, bemerkte er ruhig. »Habt ihr beiden denn in Leah auch ab und zu geschlafen?«

Brin und Jair wechselten einen raschen Blick, während Rone betreten lächelte und den Blick starr auf den Boden heftete. »Wie war eure Reise in den Süden, Vater?« wechselte Jair schnell das Thema.

»Glücklicherweise konnten wir einer Menge Leuten helfen.« Wil Ohmsford musterte seinen Sohn eingehend. »Die Arbeit hat uns entschieden länger aufgehalten, als wir vorhatten, sonst hätten wir euch in Leah abgeholt. Aber so sind wir erst gestern Abend zurückgekehrt.«

Brin und Jair wechselten wieder einen knappen Blick, und diesmal fiel es ihrem Vater sofort auf. »Würde mir nun einer von euch beiden erklären, wer der alte Mann war, den ihr geschickt habt?«

Brin war fassungslos. »Welcher alte Mann?«

»Der alte Mann mit eurer Nachricht, Brin.«

Jair zog die Stirn kraus. »Mit welcher Nachricht?«

Eretria trat hinzu, und aus ihren dunklen Augen sprach nun ein leiser Tadel. »Ein alter Mann suchte uns in den verstreuten Dörfern südlich von Kpyra auf. Er kam von Leah. Er brachte eine Nachricht von Euch, daß ihr einige Wochen fortbliebt, und wir sollten uns keine Sorgen machen. Euer Vater und ich fanden es eigentümlich, daß ein so alter Mann Rones Vater als Kurier dienen sollte, aber...«

»Brin!« flüsterte Jair mit großen Augen.

»Er kam mir irgendwie bekannt vor«, überlegte Wil plötzlich. »Mir kam es vor, als müßte ich ihn kennen.«

»Brin, ich habe keinen...«, hob Jair an und verstummte dann. Alle starrten ihn an. »Wartet... wartet hier, nur... einen Augenblick«, stieß er hervor und stolperte über die Worte, als er sich an seinen Eltern vorbeidrängte. »Ich bin sofort zurück.«

Er schoß an ihnen vorbei ins Haus, die Halle hinab durch das vordere Zimmer und in die Küche. Er trat sofort an den Kamin, wo der in die Regalnischen mündete und zählte die dritte Nische aus.

Dann nahm er den lockeren Stein aus seiner Vertiefung und griff hinein.

Seine Finger schlössen sich um die Elfensteine in ihrem vertrauten Lederbeutel.

Einen Augenblick lang blieb er verblüfft stehen. Dann nahm er die Steine und ging durchs Haus zurück zum Gartenweg, wo die anderen noch warteten. Mit einem Grinsen zog er den Beutel mit seinem Inhalt hervor und präsentierte ihn einer erstaunten Brin und Rone.

Es trat ein langer Augenblick des Schweigens ein, während die Fünf einander anstarrten. Dann hakte Brin mit einem Arm ihre Mutter, mit dem anderen ihren Vater unter.

»Mutter. Vater. Ich glaube, wir sollten besser alle nach drinnen gehen und uns eine Weile hinsetzen.« Sie lächelte. »Jair und ich haben euch etwas zu erzählen.«

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